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Erstrebtes und Erlebtes.


1.
Meine erste Stütze.

Ich habe mit dem Worte »stützen« immer den Begriff von Hilfsleistungen an schwache, gebrechliche Persönlichkeiten, oder auch Bauwerke, verbunden, und so wäre es mir als junge Frau lächerlich vorgekommen, mich nach einer »Stütze« umzusehen.

Aber es kamen Zeiten, wo die Arbeiten des großen Landhaushaltes übertriebene Ansprüche an meine Leistungsfähigkeit stellten, und die Frage »Wirtin oder Stütze« lebhaft an mich herantrat.

Nach einigem Hin und Her entschlossen wir uns für die Stütze, und es wurde eine Notiz in dem Inseratenteil unserer Zeitung veröffentlicht, nach welcher ich »ein gebildetes junges Mädchen zu meiner Unterstützung im landwirtschaftlichen Haushalt bei Familienanschluß« suchte. »Denn«, sagte ich zu meinem Manne, »so ein armes junges Mädchen muß doch wissen, wohin sie gehört, sie soll meine Arbeit, aber auch meine behaglichen Ruhestunden mit mir teilen.« Mein Mann zog die Nase etwas kraus, was seinem Gesicht einen Ausdruck gibt, den ich absolut nicht liebe, es liegt ein Gemisch von Mißtrauen und Zweifel, aber auch eine gewisse Überlegenheit des Besserwissens in diesem Gebahren, das mir immer trübe Ahnungen erweckt, weil es etwas Prophetisches an sich hat. Nun, es kamen allerlei Antworten auf mein Gesuch, acht oder zehn Briefe verschiedensten Inhalts, von denen zwei in die engere Wahl genommen wurden. Die eine, Lina Peuker hieß sie, schrieb eine wunderhübsche Handschrift und versicherte in ihrem vier Seiten langen Briefe, daß sie von ihrer Lehrprinzipalin nur sehr ungern entlassen wurde. Leider konnte sie mir sonst kein Zeugnis mitschicken, da die Dame ihr ein solches erst beim Weggehen ausstellen wollte. Die andere stand in bezug auf Schriftstellerei entschieden einige Stufen tiefer, hatte aber ein recht gutes Zeugnis über ihre Brauchbarkeit beigelegt. Beide stammten aus gut bürgerlichem Hause. Ich entschloß mich für Lina Peuker, »wir wollen das Fräulein doch ganz zur Familie rechnen,« sagte ich zu meinem Manne, »und diese ist entschieden gebildeter als die andere, das sieht man ja schon dem Briefe an.« Mein Mann schüttelte den Kopf und las nochmals beide Briefe aufmerksam durch. »Ich würde die Marie Stiller nehmen,« sagte er dann, »sie hat ein gutes Zeugnis, und wenn sie sich auch schriftlich etwas ungelenk ausdrückt, so kann sie doch trotzdem eine angenehme Hausgenossin sein. Übrigens, mach wie du willst, – ich brauche ja keine Stütze, sondern du mußt sie ertragen, wenn du meinem Rate folgen willst, so bestelle dir beide Damen zur Vorstellung nach H. und wähle die bestechendste Persönlichkeit aus.«

Aber mir war eine Fahrt nach der zwei Meilen entfernten Stadt im Augenblick zu unbequem, auch war ich insgeheim für Lina und ihre Vorzüge entbrannt, und da die Sache eilte, denn es drängten sich Besuchswellen und die großen Ferien heran, so ließ ich jede Vorsicht fahren und schrieb an Fräulein Lina Peuker, daß mir ihr Brief gefallen habe, und daß ich sie am 1. Juli, also in vierzehn Tagen, erwarte, hieraus traf wieder ein sehr schön geschriebener, gewandt stilisierter Brief ein, der mich noch mehr davon überzeugte, daß ich eine hochgebildete Hausgenossin erwarten durfte. Ich freute mich doppelt darüber, weil, nachdem die Kinder das Haus verlassen hatten, so manche einsame Stunde zu verwinden war, die ich nun im Gedankenaustausch mit einem jungen Mädchen oder beim gemeinsamen Lesen und Musizieren angenehmer hinzubringen hoffen durfte. Die Tage vergingen mir in rastloser Tätigkeit. Ich tat nebenbei, was ich konnte, um für Fräulein Lina ein nettes Stübchen herzurichten, wozu ich aus den Wohnräumen Entbehrliches zusammentrug. Allerdings mußte ich ein Bild, welches ich aus meines Mannes Stube entlehnt hatte, wieder an seine Stelle zurückbringen, da er es wider Erwarten vermißte. Aber es sah wirklich wohnlich und behaglich in dem Giebelstübchen aus, und ich konnte den Augenblick kaum noch erwarten, bis es seine zukünftige Bewohnerin aufnehmen würde. Unwillkürlich teilte sich meine frohe Erwartung auch den anderen Hausbewohnern mit, nur mein Mann trug seine skeptische Miene zur Schau.

Endlich war der 1. Juli herangekommen, ich hatte nachmittags noch einen großen Strauß im Garten gepflückt und ihn in die Oberstube gestellt. Das Fräulein konnte bei dem weiten Wege, den sie zu machen hatte, erst abends nach 10 Uhr bei uns eintreffen. Mein Mann hatte sich todmüde zurückgezogen, und ich saß still und allein auf der Terrasse vor dem Hause, nach einem Tage voller Unruhe und Arbeit den herrlichen kühlen Abend genießend. Es sollte nun ja besser werden, eine fleißige Helferin würde mir zur Seite stehen, nur ein paar Tage des Einrichtens, dann kam die Entlastung, die ich so sehr ersehnte. Mir wurde ganz weich ums Herz, ich nahm mir vor, das junge Mädchen mütterlich ans Herz zu nehmen. Endlich rollte der Wagen heran, die Mädchen kamen herbei, um das Gepäck des Fräuleins vom Wagen zu heben. Eine helle, etwas scharfe Stimme ertönte: »Meine Sachen sind noch nicht mitgekommen, nur diesen Karton nehmen Sie, bitte!« Im Schein der Wagenlaterne sah ich eine kleine, runde Gestalt in hellem Staubmantel und Schleierhut aussteigen. Die Mädchen flüsterten und kicherten miteinander, wie sie es mit oder ohne Anlaß zu tun pflegen. Ich erwartete in dem erleuchteten Eßzimmer den Eintritt meiner Stütze, die gleich darauf von dem Stubenmädchen Marie hereingewiesen wurde. Fräulein Lina Peuker eilte auf mich zu, knixte tief und erzählte ein wenig aufgeregt und hastig, daß ihr Reisekorb leider vertauscht sein müsse, da er auf der Station nicht zu finden gewesen wäre. Ich bedauerte das und sagte, daß es nicht nur für sie unangenehm wäre, sondern auch für uns, da nun noch einmal ein Wagen nach der weit entfernten Station gehen müsse, um den später eintreffenden Korb zu holen. Das Fräulein schien durch diese Tatsache nicht besonders bedrückt, sie nahm das Butterbrot, welches am gedeckten Tische nebst einem Glase kühler Milch für sie bereit stand, ohne weiteres in die Hand und biß tapfer hinein. Die Milch lehnte sie mit einer Gebärde des Abscheus ab: »Milch nicht sehen, nein, ich danke.«

Alles in allem hatte ich bessere Manieren erwartet, ich fühlte im innersten Seelenwinkel etwas wie Enttäuschung, begann aber den kleinen Vortrag zu halten, den ich mir für den weihevollen Augenblick des Empfanges ausgedacht hatte, und der sehr viele Versprechungen für ein gedeihliches Zusammenleben geben und verlangen sollte. Aber ich kam nicht weit. Mit einer bezeichnenden Bewegung der Hand sagte Lina, während ein nachsichtiges Lächeln um ihren vollen Mund spielte: »Ach, gnädige Frau, lassen Sie das nur. Es ist gewiß gut gemeint, aber wir werden uns schon vertragen, wenn Sie sehen, daß ich meine Pflicht tue. Und jetzt möchte ich zu Bette gehen, ich bin müde. Muß ich morgen schon um vier Uhr aufstehen oder darf ich noch einmal ausschlafen?« Das letzte war in zutraulich bittendem Ton gesprochen, und trotzdem ich über soviel Freimut etwas starr war, sagte ich doch ganz sanft, daß ich mich freuen würde, wenn sie gut schliefe. Ich klingelte und befahl Marie das Fräulein nach oben zu begleiten, eigentlich hatte ich mir vorgenommen, das zu tun, aber mir war die Lust dazu vergangen. Meine hochgeschraubten Erwartungen waren merkwürdig schnell gesunken, ich sah der kommenden Zeit plötzlich mutlos entgegen. Unangenehme Tage sind es ja stets, die uns neue Hausgenossen bringen, aber so aus allen Himmeln zu fallen, ist besonders entmutigend. Das kleine, vierschrötige, dunkelhaarige Mädchen mit den lebhaften runden Augen und der hohen scharfen Stimme war gänzlich verschieden von dem Bilde, welches ich mir von der Schreiberin der stilvollen Briefe gemacht hatte. Aber ich tröstete mich endlich mit dem Gedanken, daß die flüchtige Bekanntschaft noch kein Urteil erlaube und daß der zweite Teil meiner Erwartungen, – der sich auf die tätige Helferin bezog, keine Enttäuschung erfahren würde.

Als ich die Treppe zum Oberstock erstieg, begegnete mir Marie, die von oben herunterkam, sie trug den Blumenstrauß in der Hand, den ich in Fräulein Linas Zimmer gestellt hatte. Aber obgleich sie ihn so recht bedeutungsvoll und anklagend gegen mich emporhob, ließ ich sie mit flüchtigem Gutenachtgruß, ohne jede weitere Bemerkung vorbei.

AIs ich unser Schlafgemach betrat, erwachte mein Mann und murmelte die Frage: »Na, ist der Engel da?« Ich bejahte kurz und löschte möglichst schnell das Licht, um weitere Fragen abzuschneiden.

Am anderen Morgen fehlte Fräulein Lina am Kaffeetisch, doch fand mein Mann es natürlich, daß ich ihr nach der Reise ein längeres Ruhen erlaubt hatte, er war nur ärgerlich wegen des vertauschten oder liegen gebliebenen Koffers, der ihn noch einen Wagen kostete. »Übrigens,« sagte er plötzlich, »laß dir nur gleich das Originalzeugnis von dem Fräulein geben, du hast doch außer ihren Briefen nichts in der Hand, und die Geschichte mit den Sachen kann wahr sein, oder auch nicht, vielleicht ist alles Schwindel und sie hat gar keine Sachen.«

Das spöttische Lächeln, welches diese Worte begleitete, reizte mich sehr, besonders da ich ohnehin einige Unruhe im Herzen trug, aber ich schwieg still. »Jedenfalls schicke ich erst nach dem Gepäck, wenn es avisiert ist,« setzte mein Mann hinzu. Ich nickte still mit dem Kopfe und ging an meine Tagesgeschäfte.

Aber unten in der Küche fand ich Fräulein Lina. In einfachem dunkelblauem Waschkleide, eine große Schürze umgebunden, stand sie am Küchentisch und half dem Mädchen die Tauben für den Mittagstisch zu rupfen. Sie kam wieder mit einem Knix auf mich zu. Das kleine rundliche Wesen sah sauber und appetitlich aus, ihre Augen aber zeigten leichte Tränenspuren – mein Herz schlug ihr wärmer entgegen, und ich reichte ihr die Hand, sie nochmals willkommen heißend. »Aber, Sie haben ja noch nicht gefrühstückt,« setzte ich hinzu, »kommen Sie nur herauf ins Eßzimmer.« »Danke, gnädige Frau, ich habe mich versorgt,« sagte sie und fragte dann, ob ich andere Arbeit für sie habe. Ich führte sie durch die Wirtschaftsräume und wies ihr das Feld ihrer Tätigkeit an. Sie schien gut Bescheid in ihrem Fache zu wissen und orientierte sich schnell in meinem Reiche, so daß ich erleichterten Herzens in die Zukunft zu sehen begann. Aber wenige Stunden später sollte dieses Vertrauen arg erschüttert werden, mein Mann rief mich in sein Zimmer und reichte mir schweigend eine Karte. Ich sah zunächst nur Krähenfüße in fast unleserlicher Schrift. Dann entzifferte ich mühsam. Die Karte war an die Eisenbahnverwaltung adressiert und Sina Peuker unterzeichnet.

»Du hast Fräulein Sina, wenn ich nicht irre, ihrer schönen Handschrift und ihres klaren Stiles wegen angenommen,« sagte mein Mann hohnlächelnd. Mir war der Schreck in die Füße gefahren, ich mußte mich setzen. »Wer aber auch so vertrauensselig sein kann« begann mein Mann dann seine längere Rede, die nur zu viele Wahrheiten enthielt. Ich stand endlich auf, ging in mein Zimmer und ließ das Fräulein rufen. Sie erschien eilig und sah erwartungsvoll in mein Gesicht. Ihre beiden Briefe, die ich meinem Schreibtisch entnommen hatte, lagen neben der Karte auf dem Tisch. Bei diesem Anblick flog eine dunkle Röte über das kindliche Gesicht. Lebhaft trat das kleine Fräulein auf mich zu. »Ach, gnädige Frau, es war wohl Unrecht, daß ich mir die Briefe schreiben ließ? Aber meine Handschrift ist so schrecklich schlecht,« – hier nickte ich zustimmend, – »da bat ich die Lehrerstochter im Dorfe für mich zu schreiben.« »Aber der Inhalt,« fragte ich möglichst streng, »der Inhalt ist doch wahr?«

»Ich habe die Briefe gar nicht gelesen, die Lehrerstochter kennt mich ja genau und hat natürlich nur die Wahrheit geschrieben. Aber hier ist auch das Zeugnis meiner Lehrprinzipalin.« Fräulein Lina brachte aus ihrer Tasche einen Briefumschlag, welcher das wichtige Dokument enthielt. Es war ein ordnungsmäßig beglaubigtes, sehr empfehlendes Zeugnis, in welchem die Dame ihrem Bedauern über des jungen Mädchens Weggehen warmen Ausdruck gab. Mir wurde leicht ums Herz, aber ich ließ mir nichts merken, sondern schloß das Papier in meinen Schreibtisch, Fräulein Lina schickte ich beruhigt zu ihrer Beschäftigung zurück.

Meinem Manne zeigte ich später triumphierend das Zeugnis und berichtete die Aussage des Fräuleins, er konstatierte, daß ich mit meinem Leichtsinn noch unerhörtes Glück gehabt habe. Nach einigen Tagen kam der Reisekorb an, und alles ging nun seinen guten Gang. Freilich war kein Gedanke an ein geistiges Zusammenleben mit der nur praktisch denkenden Hausgenossin. Jeder Versuch, sie in ihren Mußestunden zu mir heranzuziehen, oder auch ihre äußeren Formen zu veredlen, scheiterte an ihrem kühl abgeschlossenen Wesen. Aber ich lernte das pflichttreue, fleißige Mädchen von Herzensgrund achten und verzichtete gern darauf, ihre selbstgewählten Erholungs- und Ruhestunden für mich zu beanspruchen. Als wir unsern ersten großen Besuchstag hatten, half mir Fräulein Lina decken. Ihr Platz war an das untere Ende der Tafel gelegt, aber sie nahm den Teller fort und schob die andern Gedecke näher zusammen. »Lassen Sie nur, gnädige Frau,« sagte sie in ihrer ruhigen Weise, »ich bleibe lieber in der Küche und am Buffet, es sieht mich doch niemand für voll an, und kein Mensch spricht mit mir bei solchen Gelegenheiten, da ist es mir viel lieber, das Anrichten persönlich überwachen zu können.« Ich verstand sie zu gut, um widersprechen zu können, hatte ich doch schon oft bemerkt, daß nur wenige Menschen ein freundliches Wort für ein einfaches Mädchen haben, welches sich in keiner Weise aus dem Rahmen seiner Stellung hervorhebt, wenn ich später auch vorsichtiger bei der Wahl neuer Hausgenossinnen gewesen bin, so hat sich meine erste Stütze doch ein bleibendes Gedächtnis in unsern Herzen gesichert, und als sie nach drei Jahren von uns schied, konnte ich dem ersten Zeugnis ein ebenso warmes, herzliches Abschiedswort hinzufügen.


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