Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wenn die letzten Kartoffeln und Rüben eingeerntet und vor Frost und Verderben geschützt worden sind, dann kommt für den Landwirt eine ruhigere, behaglichere Zeit. Die Wirtschaft, um welche sich sonst alles drehte, tritt in den Hintergrund, trotzdem sie den wichtigsten Arbeitsteil des Jahres, das Umwandeln der Bodenerträge in klingende Münze durch Dreschen, Spiritusbereiten oder Stärkefabrikation, Mast usw. zu besorgen hat.
Die kurzen Tage geben langen gemütlichen Abenden Raum, welche die Familienglieder und Hausgenossen enger zusammen führen und auch der Geselligkeit, sofern sie gewünscht wird, Gelegenheit zur Entfaltung bieten.
Wenn das ungemütliche Stadium der Übergangszeit überwunden ist, die Hausfrau beim Großreinmachen den letzten Fliegenfleck getilgt hat, die Doppelfenster zum Schutz und Trutz gegen Sturm und Kälte eingesetzt sind und der »reizvolle« Duft verflogen ist, den die Wintersachen noch ausgehaucht haben, nachdem sie den Truhen entnommen wurden, dann beginnt die gemütlichste Zeit im Landleben. Da stören die trüben Novembertage nicht sehr, die Lampen werden eher angezündet, bei Handarbeiten und Lektüre sitzt man im warmen Zimmer, und da die Hausfrau um diese Zeit die Speisekammer reichlich gefüllt sieht, bleibt ihr die Sorge um Küche und Keller fern, sie hat nur einzuteilen, um alles gut anzuwenden. Das erste Schwein ist geschlachtet und spendet seine delikaten Würste und Braten, Geflügel und Wild stehen auf dem Höhepunkte und der Garten liefert noch die verschiedenen Kohlarten, die Vorratskammer das frische Obst, oder die wohlschmeckenden Konserven – kurz man sollte glauben, daß auch der Geldbeutel, dieses vielgeplagte Ding, nun mal zur Ruhe kommt, und das Wirtschaftsgeld sich in erfreulicher Weise aufstapelt. Nur für kurze Zeit! Zunächst steht ja das Weihnachtsfest vor der Tür, und der alte Zauber seiner geheimnisvollen Schönheit beginnt seine Macht zu üben. Wie viele schauen hoffnungsvoll und sehnsüchtig auf das Christkind, und glücklich sind die Besitzenden, die ihre Hand auftun und nach Herzenslust einkaufen können.
Aber es ist auch dankenswert, gebrauchte Sachen zu verwerten, die langen Abende fördern viele nützliche Dinge, welche aus den entwachsenen, aber noch haltbaren Kleidungsstücken der Kinder, aus den warmen Hüllen, die wir selber durch neue ersetzen können, entstehen. Gewaschen und herausgeputzt geben die guten Stoffe oft noch haltbarere Sachen, wie die billig gekauften neuen sind. Die Dorfschneiderin kennt die Leute und trifft ihren Geschmack ganz gut, weiß auch oft, wo es am meisten fehlt. Die Kinder, denen man die Augen verbindet, wenn man die Sachen anprobiert, sind schon selig bei diesen verheißungsvollen Vorbereitungen, und den Müttern ist es eine große Hilfe, wenn jedes Kind etwas zum Anziehen bekommt. Wie schnell wachsen Strümpfe, Röckchen, Shawls und Pulswärmer an den langen Winterabenden. Auf dem Tische stehen die saftigen Äpfel, denen sich Nüsse und Pfefferkuchen als Vorschmack beigesellen, und ob es draußen stürmt und schneit, die Freude am Geben, das fleißige Schaffen für so viele, die es brauchen können, macht frohe Gesichter und stimmt die Gemüter zu echt weihnachtlichem Empfinden. Was schadet es schließlich, so vielen glückseligen Kinderaugen gegenüber, wenn ein bißchen Undank mit unterläuft, wie von so vielen behauptet wird. Auch die anderen Weihnachtsarbeiten fordern ihre kleinen Listen und geheimnisvollen Vorbereitungen, wer möchte diese Zeit des geschäftigen Treibens in großen Familien missen?
Aber auch andere Scherze und Bräuche brachte uns die Winterzeit zur Freude der Jugend. Fiel der erste Schnee, so kamen die Bratäpfel auf den Tisch, sie mußten kunstgerecht hergestellt werden und wurden mit oder ohne Zucker verspeist.
Und der Andreasabend, der auf den 30. November fällt, wurde zu ähnlichen Scherzen benützt, wie sie der Sylvesterabend sonst mit sich bringt. Wir Alten schrieben prophetische Verse auf Zettel, die zusammengerollt unter die Kopfkissen der jungen Leutchen gelegt wurden, es bekam jedes drei solcher auf die Zukunft bezüglichen Sprüchlein, und welches am anderen Morgen zuerst gezogen wurde, das hatte Erfüllungskraft, aber sicher! Wehe, wenn neugierige Augen vorher die Schrift zu entziffern versucht hätten. Am anderen Morgen beim Frühstück wurden die Verse dann vorgelesen und, je nach ihrem Werte für die Empfänger, belacht, oder mit Jubel begrüßt.
Um 12 Uhr in dieser Andreasnacht gingen die jungen Mädchen schweigend und innerlich bebend in den Garten hinaus und pflückten Zweige von den Kirschbäumen. Bekanntlich blühen diese dann am Weihnachtsabend, wenn man sie die ganze Zeit im Zimmer in stets erneuertem Wasser hält. Daß die Zweige kleine Zettel an sich trugen, die mit Hieroglyphen bedeckt waren, brauchte ja niemand zu wissen, sie trugen auf diese Weise Namen von lieben Menschen, und der zuerst erblühende Zweig sprach dann deutlich für die wahre Zuneigung des Betreffenden!
Unter drei Tellerchen wurde Myrte, Brot und ein Geldstück versteckt, die Jugend mußte dann eines berühren und ersah daraus, ob das kommende Jahr an Liebe, an Geld, oder nur am täglichen Brot reich sein werde. Wieviel Lachen und Frohsinn füllte die Bäume bei diesen althergebrachten, kindlichen Spielen und half über die rauhe Winterzeit hinweg.
Und wenn Eis und Schnee des Winters starke Macht bekundeten, wie lustig klang das Schellengeläute, zur Schlittenfahrt einladend trotz grimmer Kälte. Bei 12 Grad fuhren wir einst dahin, Bratäpfel in den Muffs und erhitzte Ziegelsteine unter den Fußsäcken. Im fernen Landstädtchen oder Dorfe harrten eine überheizte Stube, warmer Kaffee und frische Pfannkuchen der fröhlichen Gesellschaft, Tanz und Spiele wurden ausgeübt, und die Nachhausefahrt durch die glitzernde Waldespracht, im schimmernden Mondes- oder Sternenscheine gab dem fröhlichen Beisammensein einen weihevollen Schluß.
War der See fest zugefroren, so galt er als Tummelplatz für groß und klein. Einst war ein Konzert in einem über dem 2000 Morgen großen See gelegenen Forsthaus, das auch von der Stadt viel besucht wurde, angesetzt. Die Stuhlschlitten wurden flott gemacht und die Schlittschuhe hervorgesucht, dann ging es über den spiegelglatten See hinüber, der Weg war ja nicht zu verfehlen. Bis dann zum Aufbruch nach dem Konzert geblasen wurde, blieben zunächst auch alle unsere Hausgenossen zusammen, aber als die Gesellschaft drüben am heimatlichen Gestade landete, fehlte ein paar. Er hatte sie im Stuhlschlitten gefahren – man hatte sie schon lange nicht mehr gehört, wo waren sie geblieben? Nach langem Warten entschlossen wir uns zum Suchen. Mit Laternen fuhren wir nochmals hinaus, laut rufend, und endlich kam Antwort. Sie hatten auf dem großen See die Richtung vollständig verloren, hatten Lichterglanz und Hundegebell aus einem anderen Dorfe zur Richtschnur genommen und – wären, wie am nächsten Tage unleugbar festgestellt wurde, wenige Minuten später in eine offene Stelle des Sees geraten, die ihnen wahrscheinlich verhängnisvoll geworden wäre. Der gemeinsam zurückgelegte Irrweg hat ihnen wohl gezeigt, wie gut sie Freud und Leid mit einander tragen konnten, bald darauf präsentierten sie sich als glückliches Brautpaar!
Wie gern begleitete ich meinen Mann zum Wildfüttern. In den großen fürstlichen Waldungen, wo das Wild sorglichst gehegt wurde, gestattete uns der Oberförster, dem Füttern zuzuschauen. Die Futterplätze wurden fleißig von Rehen und Damwild besucht, die das Heu von den durch ein Dach geschützten Raufen nahmen und sich die zerschnittenen Kastanien munden ließen, die ihnen hingestreut wurden. Es war ein entzückendes Bild, die scheuen Waldbewohner in der Freiheit und doch so vertraulich nahe zu sehen. Auch unsere Rehe bekamen ihr Winterfutter, und in einem Winterabend, als die Kälte besonders arg war und tiefer Schnee die Felder deckte, wagten sie sich bis auf den Hof, wo an der Brennerei Kartoffeln und Schlempereste ihren Appetit stillten. Es ist doch eine Freude, den hungernden Tierchen im Winter zu helfen, wie schnell nehmen sie das Gebotene an und kehren pünktlich an dieselbe Stelle zurück, wenn der Hunger sie treibt. Für die Rebhühner mußte man noch besonders sorgen, damit nicht die Krähen den Hauptvorteil von der Fütterung hatten. Die kleinen Lauben von Tannenreisern bewährten sich gut. Auch die Meisen fanden ihre sorglich festgenagelten Speckschwarten immer wieder erneuert vor, es ist erstaunlich, mit welcher Kraft die kleinen Schnäbel das Gebotene bearbeiten.
So sorgt man einerseits nach bestem Wissen und Können für das Wohl der Tiere, und zur selben Zeit finden die großen Jagden statt, die sie massenhaft vernichten.
Aber wer kennt nicht die Freude der Jäger an den erfolgreichen Treibjagden, wer freute sich nicht mit, wenn die Strecke überreich ausgefallen ist? Und wie schafft und rüstet die Hausfrau mit ihren Gehilfinnen, um den heimkehrenden Schützen ein behagliches Asyl zu bieten, ihnen ein leckeres Mahl aufzutischen, an dem sie meist als einzige Dame fröhlichen Anteil hat! So ein Jagdtag stellt die größten Anforderungen an die Wirtin. Zunächst das Frühstück im Hause, zu welchem sich auch die aus der Nachbarschaft eintreffenden Jäger einfinden. Kaffee und Tee, sowie kräftigere Getränke, kaltes Fleisch und Wurst, oft schon ein warmes Gericht, sind vorhanden, um die ausziehenden Helden zu stärken, auch liegt Schnittenpapier bereit, falls der eine oder der andere sich mit einem Butterbrot versorgen will. Der Hausherr bietet eifrig seine Zigarren an und eilt sorgenerfüllt hin und her, bis [Fehlende Zeile/n im Druck] bracht, Geschirr und Gläser gleichfalls, und ein fröhlichen Jagen« und die Pürschwagen bestiegen werden, um den Treibern zu folgen, die schon ihren Posten bezogen haben. Die Stunden fliegen nur so dahin, bis die Frühstückspause eintritt, für welche die Hausfrau inzwischen bestens gesorgt hat. Die Körbe mit den leckeren Brötchen, oder dem warmen Jagdessen, dem heißen Punsch oder Bier, werden manchmal von ihr selber auf dem Wagen herausgebracht, Geschirr und Gläser gleichfalls und ein fröhliches Pokulieren und Schmausen belohnt für die ausgestandene Mühsal. Heitere Gespräche fliegen hin und her, und die Jagdresultate und Erlebnisse bilden den Stoff dazu. Aber nicht lange heißt es rasten, schnell wird alles wieder verpackt, und weiter zieht sich die Jagd, nachdem auch die Treiber ihr Frühstück, Kaffee und Semmel, verzehrt haben, wenn das Tageslicht entschwunden ist, winken dann die Lichter des gastlichen Hauses den müden Helden, die behaglich erwärmten Zimmer bergen erfrischende oder erwärmende Getränke, die bei der Toilette genossen werden, und endlich öffnen sich die Türen des Salons, wo man die Hausfrau findet, die sich lebhaft für den Gang der Jagd interessiert, bis der Ruf zum Mittagessen ertönt, und die Schüsseljagd ihr Recht geltend macht. Meistens ist dabei die Unterhaltung sehr heiter und fröhlich, und auch die Hausfrau freut sich über die große Zahl der erlegten Kreaturen, deren Erlös vielleicht in ihre Kasse rinnt – vielleicht auch nicht! –
Wenn das Essen vorüber ist und unsereins sich zurückgezogen hat, dann ist die Fidelitas erst recht entfesselt – ja, es kommt vor, daß der frühe Morgen erst die Jäger entführt, ein Beweis, daß die Treibjagden entschieden zu den Winterfreuden zu rechnen sind. Böse Zungen wollen behaupten, daß die Jäger volle 24 Stunden bei solchen Gelegenheiten beisammen sind, das ist aber schrecklich übertrieben, – es sind höchstens 22 gewesen.
Die ländliche Wintergeselligkeit wird in manchen Kreisen durch sogenannte »Kränzchen« ausgefüllt, die für meinen Geschmack stets viel Anziehungskraft hatten.
Alle vierzehn Tage ging die Sache der Reihe nach herum, man fand sich in einem befreundeten Hause zusammen, die Jugend amüsierte sich nach ihrer Art, tanzte, musizierte, spielte Gesellschaftsspiele, bis das Abendbrot alle wieder vereinigte. Die älteren Herren (leider auch mancher junger) spielten L'hombre, Whist oder Skat, die Frauen hatten die Handarbeiten mitgebracht und erzählten sich allerlei, und meistens freute man sich von einem Male auf das andere des gemütlichen Beisammenseins.
Zum Kaffee kam man zusammen, wozu natürlich das Gebäck im Hause bereitet wurde, und jede Hausfrau ihr Bestes tat, um Abwechselung zu schaffen. Das Abendessen hielt sich in bestimmten Grenzen, die nur bei Strafe überschritten werden durften:
»Auch beim Essen gibts Gebote,
Schnittchen, Braten und Kompote
Bringt man in beschränkter Zahl,
Sonst kost'ts Strafe, allemal!«
Die unvermeidlichen Flecke auf dem Tischtuch brachten der Kränzchenkasse auch oft etwas ein, denn es hieß in den Statuten:
»Schneeig blinkt die Tafeldecke,
Strahlend schimmern die Bestecke,
Aber, nehmt euch wohl in acht:
Flecke werden nicht gemacht!
Ist es aber doch geschehen,
Könnt den Sünder ihr hier sehen,
Wie
mit Münzen er bedeckt,
Was so
gräulich ward befleckt.
Auch der Spielerlös der Herren kam in diese Kasse und war genug drinnen, so wurde die Summe zu gemeinsamen Vergnügen angewendet. Ein besseres Mittel, die Bekannten regelmäßig zusammenzuführen, gibt es nicht, und der Zwischenraum von vierzehn Tagen kann ja nach Belieben weiter hinausgerückt werden; je größer der Kreis ist, um so seltener kommt der Einzelne daran, und diese Art Verkehr nimmt dem Zusammensein alles Steife und Förmliche, man tritt sich allmählich immer näher. Ging die Feldarbeit an, so wurde dem Kränzchen Halt geboten, meistens feierten wir ein Schlußfest als Picknick, da wurden dann lustige Scherze getrieben, Spieltisch und Landarbeiten blieben unbenützt, und Jung und Alt ließ seinem Humor zum allgemeinen Besten die Zügel schießen.
Ja, der Winter auf dem Lande! Von verwöhnten Städtern für langweilig und trübe erklärt, ist er in Wirklichkeit ein Freund und lustiger Kumpan des Landmannes –; laßt ihn uns weiter so genießen, dann tauschen wir nicht mit der städtischen ermüdenden Geselligkeit, nicht wahr?