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5.
Handel und Wandel.

Die heutige Zeit steht im Zeichen des erleichterten Verkehrs, und die jungen Frauen der Landwirte wissen nichts von all den Nöten, die wir in früheren Jahren durchzukämpfen hatten. Ich greife einige Episoden aus meinen Erinnerungen heraus, um den Unterschied zwischen jetzt und einst zu beleuchten.

Mit vieler Mühe hatte ich als junge Anfängerin meine erste Butter fertig gemacht, 44 Stücke zu einem halben Pfunde lagen auf den sauberen Brettern ausgebreitet, und verbessernd half ich noch hier und da mit dem Holzlöffel nach. Nun konnten sie zur Stadt geschickt werden, und ich freute mich auf den Erlös. Um gleich alles zu erledigen, ging ich zu meinem Manne, der am Schreibtische saß. Triumphierend teilte ich ihm das Resultat meiner Arbeit mit und fragte, wen ich mit der Butter zur Stadt schicken dürfe.

Er sah mich erstaunt an. »Sonnabend ist Gelegenheit nach der Stadt,« sagte er kühl und wendete sich wieder seiner Buchführung zu. »Heute ist ja erst Montag,« stammelte ich erschreckt. »Ja, extra die anderthalb Meilen hineinschicken, das lohnt doch nicht, da mußt du es wie Fräulein Hartmann machen und die Butterfrau benachrichtigen.« Die Butterfrau, die ich in völliger Ungnade entlassen hatte, weil sie 70 Pfennige, sage und schreibe siebzig Pfennige für ein ganzes Pfund Butter bot – nicht einen Pfennig mehr! Und das im Januar.

Ich teilte meinem Manne diese Tatsache mit, aber auch das rührte ihn nicht, »Wir haben doch früher mehr für die Butter bekommen,« sagte er mild lächelnd, »du wirst es wohl erst lernen müssen mit den Leuten zu handeln. Ihr Städter – –« Weiter kam er nicht, denn ich war empört, »wir in der Stadt müssen sehr rechnen und handeln, denn die Landleute schlagen immer vor,« entgegnete ich.

Mein Mann griff nach einem Wirtschaftsbuche, welches im Bereich seiner Hand lag. »Wir wollen mal sehen, was Fräulein Hartmann bekam,« sagte er. Ich neigte mich erwartungsvoll mit über das Buch, und bald fanden wir, was wir suchten. Da waren wohl allwöchentlich die Einnahmen für Butter und Milch notiert, aber nicht, wieviel Pfund und Liter verkauft waren; es ließ sich also nichts feststellen. Ich hatte inzwischen meinen Plan gemacht. Mutter bezahlte daheim stets 1,10 Mark für ihre Tischbutter und bekam oft nicht genug, auch fragten häufig die Bekannten, ob sie nicht auch Butter von ihrem Lieferanten beziehen könnten. Den Leutchen sollte geholfen werden. Ich packte auf gut Glück die Butter zwischen feuchte Tücher in eine Kiste und schickte sie an meine Mutter. Leider wog die Kiste allein schon vier Pfund, und ich hatte trotz der geringen Entfernung ein so hohes Porto zu zahlen, daß mein erstes Geschäft allerdings kein glänzendes genannt werden konnte. Aber ich hatte die Genugtuung, daß Mutter, nach der ersten erstaunten Anfrage, ob ich gedacht hätte, daß sie einen Butterhandel eröffnen wolle, ganz erfreut schrieb, mein Produkt würde gut befunden, und sie hoffe, mir ausreichende Kundschaft besorgen zu können.

So war die Sache in die Wege geleitet, und es handelte sich darum, eine passende leichte Verpackung zu finden. Mir schwebten Spahnkörbe vor, wie ich sie schon als Postpaket bekommen hatte, und ich brachte in Erfahrung, daß man diese aus Finkenheerd beziehen konnte, der Name des Korbmachers blieb aber im Dunkeln. Die findige preußische Post mußte helfen. Ich adressierte eine Karte »an den Korbmachermeister (Name unbekannt) in Finkenheerd,« fragte an, ob er mir Spahnkörbe in verschiedenen Größen zum Ineinandersetzen liefern könne, und bekam nach wenigen Tagen die Antwort: »Ich heiße Josef Pietschmann und werde die Körbe anfertigen.« Und sie kamen und haben viele Jahre ihre Dienste getan. Leider mußte unser Postbote die Pakete bis zur Stadt tragen und die Tatsache, daß ein im zeitigen Frühjahr abgeschicktes Butterpaket, der Sonne zu sehr ausgesetzt, eine andere Sendung durchfettet hatte, brachte mir neue Sorgen. Ich ließ nun Blechbüchsen anfertigen, die mit Pergamentpapier ausgelegt und zum Verschicken in Leinwand genäht wurden.

Die Empfänger stellten diese Büchsen nach der Ankunft in Eis oder in den Keller und fanden dann die Butter tadellos. Aber die Postangelegenheit beschäftigte mich sehr. Das große Dorf, dessen arbeitskräftige Söhne, soweit sie nicht in der Landwirtschaft tätig waren, den Sommer über als Maurer usw. in Berlin arbeiteten, hatte regen Postverkehr und mangelhafte Bestellung, verschiedene Gesuche um Verbesserung blieben unberücksichtigt. Da entschloß ich mich, an Exzellenz, den Herrn General-Postdirektor, zu schreiben. Man rühmte sein freundliches Entgegenkommen, seine Hilfsbereitschaft sehr, und da er im benachbarten fürstlichen Jagdgebiet ein häufiger Gast war, sickerte auch etwas über seine persönliche Liebenswürdigkeit durch. Kurz, ich wagte es, schrieb einen vier Seiten langen Brief und legte Sr. Exzellenz unsere Postverbesserung ans Herz.

Erwartungsvoll öffnete ich dann das große Schreiben, welches eines Tages aus Berlin kam. »Exzellenz haben Ihr wertes Schreiben erhalten und Ermittelungen an geeigneter Stelle befohlen,« so ungefähr der Inhalt. Die Sache ging nun wohl rückwärts den Instanzenweg.

Endlich wieder ein Schreiben. Der Postbote, welcher es mir übergab, richtete eine Empfehlung vom Herrn Direktor aus, und ob irgend etwas vorgefallen wäre, weil ich mit Berlin korrespondiere Ich beruhigte und ließ sagen, daß ich nur eine Eingabe gemacht hätte. Das zweite Schreiben enthielt die niederschmetternde Kunde, daß vorläufig eine Änderung nicht eingeleitet werden könnte; aber das war nur ein Schreckschuß, bald hatten wir die Freude, Fahrpost zu bekommen. Meine zahlreichen Pakete konnten von da ab vor Sonne und Regen geschützt abgehen. In meiner Freude erwog ich den Plan, Exzellenz durch eine Wurstsendung meine Dankbarkeit zu beweisen, aber mein Mann hemmte diesen Eifer, indem er warnend sagte: »Die Antwort aus diese Zudringlichkeit könnte vielleicht lauten: Ihre werte Sendung habe ich erhalten und zur weiteren Benutzung dem Reichspost-Hund überwiesen!« So bewegte ich die Dankbarkeit nur still im Herzen.

Der Eierverkauf war früher auch wenig lohnend. Eierkisten nach den heute bewährten Systemen gab es damals noch nicht, das Packen in Siede und Papier war zeitraubend, die Kisten mußten fest sein, und so ergab sich ein unverhältnismäßig hohes Porto.

Es kam wohl ein Handelsmann, der wöchentlich die gesammelten Vorräte abnahm, aber oft zahlte er nur 45 bis 50 Pfg. für die Mandel Eier, und das waren 16 Stück. Mit Staunen sah ich zuerst immer zu, mit welcher Schnelligkeit der Mann die Eier aus dem großen Korbe herauszählte; er nahm in jede Hand zwei Eier, zählte diese Belegung sechzehnmal ab, und das Schock war richtig beisammen. Die Eiergelder waren aber doch ziemlich mühelos gewonnen, man überließ früher die Hühner fast ganz ihrer eigenen Fürsorge, sie bekamen nur Abfälle und mußten fleißig auf dem Hofe (und leider auch im Garten!) scharren, um satt zu werden. Dagegen war bei den altmodischen Hühnerbühnen die Kontrolle ziemlich erschwert, man mußte auf wackliger Leiter in den engen finstern Raum kriechen, um die Hühner zu greifen, oder die Eier zu holen. Und dennoch, so ketzerisch es klingt, ich bilde mir ein, damals viel mehr Eier angesammelt zu haben, als in späteren Jahren, wo auf Rassereinheit, Futtergaben und Auslauf geachtet wurde!

Ganz schlecht stand es um Absatz und Preis für Geflügel im Vergleich zu jetzt, wer nicht Privatkundschaft in der Stadt hatte, war übel daran, der Preis für eine Henne variierte von 90 Pfg. bis zu 1,20 Mk., fette Enten wurden einem mit 2 Mark bezahlt und das paar Tauben mit 50 bis 60 Pfg. Die Händler, welche durch die Dörfer fuhren, kauften den Leuten zu unglaublich billigen Preisen das Geflügel ab und machten dann ihren Schnitt. Wer in der Nähe der großen Stadt lebte, konnte natürlich bessere Preise erzielen, aber unsere Gegend hatte nicht diesen Vorzug. Ich fand überhaupt, daß die Landfrauen zu zaghaft im Fordern waren, sie diktierten damals selten die Preise. In der Stadt, wo man sich an den Zwischenhändler wendet, heißt es aber einfach: »Das kostet so oder soviel«. Ich faßte darum den Entschluß, alles, was ich an die Bekannten und Verwandten schickte, gleich mit dem Preiszettelchen zu versehen, ich bin auch nie darum getadelt worden, man fand es ganz natürlich, freilich achtete ich auch auf tadellose Lieferungen, auf sauberes Putzen des Geflügels, auf gutes Gewicht, was ja eigentlich selbstverständlich ist, wenn man seinen guten Ruf behalten will. Mir ist aber doch gelegentlich gesagt worden, daß nicht immer die Landfrauen sich selber um diese Dinge kümmern, oder sorgloser mit ihrer Ware umgehen und sich Kunden damit verscherzen. Andererseits ist es doch eine große Freude, zu erfahren, daß man für gutes Geld auch gute Ware geliefert hat. Ich ließ mich auch herbei, Lieferungen von Wurst, Speck und Schinken zu übernehmen, die ich zu den Preisen berechnete, wie sie mein Fleischer bekam, meine Wurst war dafür gehaltreicher, die Schinken zarter und nicht so scharf gesalzen, die Räucherung sorgfältig überwacht. Man versucht gern alles, um Einnahmen zu erzielen, und meistens hat man Räume, Gefäße und auch Hände genug, um die einzelnen Arbeiten nach Belieben erweitern zu können.

Konnte man die Alleen nicht verpachten, und war der Obstverkauf nicht im Großen zu ermöglichen, so blieb dem häuslichen Getriebe eine große Arbeitslast, und der Verdienst bei getrocknetem Obst, Mus und dergleichen war sehr gering. Bei der Neuanlage von Gärten und Alleen sollte man daraus Bedacht nehmen, nur gangbare Sorten zu pflanzen. Gutes Winterobst findet überall Abnehmer und wird entsprechend bezahlt, und mir sagte ein erfahrener Obstgärtner, daß man heutzutage mit künstlichem Dünger überall edle Sorten fortbrächte.

Wo eine Obstkelterei in der Nähe ist, wird ja alles minderwertige auch Verwendung finden, und namentlich lohnt es dann, Johannisbeeren zu pflegen, die ja so reich tragen und von den Kindern gepflückt werden können. Auch Stachelbeeren geben einen wohlschmeckenden Wein, so daß man sie in größeren Mengen anbauen kann, wenn eine Fabrik erreichbar ist. Wer den Absatz für die Gartenerzeugnisse aber nicht lohnend findet, betrachte den Garten eben nur als ländliche angenehme Zugabe und baue Obst und Gemüse nur zum eigenen Gebrauch und zur eignen Freude.

Das Konservieren von Früchten und Gemüse war früher sehr umständlich, man kannte die Fäulniserreger und Pilze nicht so genau und suchte nur möglichst Luft und Licht von den Vorräten abzusperren. Ich lernte z. B., daß man die Fässer mit eingesäuerten Gurken in die Erde vergraben müsse, und tatsächlich hielten sich diese Gurken, bis es frische gab. Auch wurden wir als Kinder an einem Weihnachtsabend mit frischen Pflaumen überrascht, die ebenfalls im Erdboden verwahrt waren. Sie waren mit Handschuhen so gepflückt, daß die Stiele daran blieben, dann kamen sie in einen Steintopf, die Frucht durfte dabei nicht mit der Hand berührt werden, der Steintopf ward luftdicht verschlossen, oben darauf ein Stück Wachstuch gebunden und in die Erde gebracht, so daß kein Frost dazu konnte, das war das geheimnisvolle Rezept, welches durchaus nicht jedem verraten wurde; jede Hausfrau setzte ihren Stolz darein, so etwas Besonderes aufzutischen. Allerdings ist mir auch die ergötzliche Tatsache bekannt geworden, daß die Versenkung eines solchen Topfes, die wohl nächtlicherweise geschehen mußte, um lüsterne Beobachter fern zu halten, doch nicht heimlich genug betrieben wurde, und als der Topf seine Auferstehung feiern sollte, fand er sich zwar noch wohlverbunden, aber gänzlich leer vor!

Auch in ausgeschwefelten Fäßchen, die man unter Wasser verwahrte, hielten sich frische Pflaumen gut, merkwürdigerweise mußte man aber, wenn das Fäßchen halb gefüllt war, eine an einem Draht befestigte Muskatnuß brennend hineinhalten, dann erst fertig füllen, verspunden und verpichen.

Einmal war ich sehr stolz, als ich in Abwesenheit meines Mannes ein Saugkalb zu dem damals verblüffenden Preise von 30 Pfg. pro Pfund Lebendgewicht verkauft hatte, und erzählte das beglückt, als mein Mann zurückkehrte. »Ja, ja,« sagte er, »ich habe den Fleischer getroffen, er sagte, er habe dir den hohen Preis bewilligt, hoffe aber, daß ich ihm das nächste Kalb dafür billiger berechnen würde.«

Da sank mein stolzer Handelsmut in sich zusammen.

Der Händler, welcher die Wolle kaufte, hatte nebenbei ein Kolonialwarengeschäft in einem kleinen Marktflecken. War das Wollgeschäft abgewickelt, eilte er mit großen Schritten an seinen Wagen und brachte Pakete von Waren hervor. Dünne, leicht triefende Kerzen, herzlich schlechte Schokolade, gelben Farinzucker und Rum. »Se werden brauchen von allem was, Frau Oberamtmann,« sagte er überredend, und da mein Mann mir freudig zugeraunt hatte: »Ich habe die Wolle gut verkauft,« so mußte ich wohl ein Auge zudrücken, und die leichte Ware mit schwerem Gelde bezahlen. – Zum Schluß kam noch die Frage: »Haben Se vielleicht ein Entchen oder ein Hühnchen übrig? Meine Frau ißt so gern Geflügel!« Das fand sich dann natürlich auf dem vollen Geflügelhofe, und befriedigt zog der alte Mann, mit dem ich übrigens meinen Spaß hatte, ab. Viele originelle Gestalten aus der Handelswelt zogen damals an einem vorüber, die Bahnverbindungen haben diese Typen immer mehr verwischt, jetzt kommen fein angezogene Herren (oder Damen!), sie notieren die Bestellungen in ihre Bücher, nachdem sie mit liebenswürdiger Gewandtheit ihre Überredungskunst angewendet haben, aber der Erfolg ist derselbe – man hat oft etwas auf dem Halse, was man gar nicht haben wollte. Jetzt wie früher muß man wachsam sein und rechnen – ganz ohne kleinen Ärger oder Reue geht's bei wenigen ab.


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