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Der Gutsherr.

I.

Inspektor Riebel kam erhitzt und bestaubt vom Felde herein. Die Frühjahrsbestellung war in vollem Gange und der tätige Beamte gönnte sich in dieser Zeit keine Ruhe. Auch jetzt machte er erst die Runde durch die Ställe, ehe er seine Wohnung betrat. Überall fand sich noch etwas zu beobachten und zu erinnern, so daß die Feierabendstunde stark überschritten war, als Riebel endlich sein Zimmer erreichte. Er wollte schnell in das zunächst der Haustür gelegene Schlafzimmer treten, um sich für das im Herrenhause einzunehmende Abendessen zu säubern und umzuziehen, aber die alte Merkeln, seine Bedienung, harrte schon im Hausflur seiner und ihre wichtige Miene verriet Ungewöhnliches. »Gahn Se ok nein, Herr Inspektor,« sagte sie und öffnete die Tür zum Wohnzimmer, »'s is a Brief vum Gerichte da, ich ha unterschreiben müssen.« »Das hat ja Zeit,« meinte er ärgerlich und durchaus nicht neugierig, aber die Merkeln gab nicht nach, sie rannte an den Schreibtisch und brachte einen großen Brief mit Amtsstempel und dem Vermerk »Einschreiben« herbei. Da trat er dann in die Stube, legte Stock und Mütze auf den Tisch und brach das Schreiben auf. Die Merkeln stand und harrte, was da kommen möchte. Vom Gericht – das mußte doch was Ärgerliches sein! Aber der erwartete derbe Fluch kam noch immer nicht. Riebel schritt plötzlich zum Armstuhl, der vor seinem Schreibtische stand und setzte sich hart nieder. Mit gerunzelten Brauen las er das Schriftstück noch einmal durch. »I, da soll doch gleich das Donnerwetter dreinschlagen,« schrie er dann auf und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch, daß das Tintenfaß in seinem Behälter einen Hops riskierte. »Nu Jemine,« rief die immer näher herangekommene Alte und konnte sich vor Neugierde schon nicht mehr lassen, »han se Ihnen etwan verklagt?« Da sprang er auf, fuhr sich ein paar Mal durch die Haare, faßte dann die Merkeln um die Taille, tanzte mit ihr in der Stube herum und als sie atemlos sich zu befreien trachtete, schrie er ihr in die Ohren: »Ich hab' geerbt, ich bin Rittergutsbesitzer.«

»Sie sein wohl nicht recht gescheidt,« fragte sie, ihr dünnes Zöpfchen, das sich bei der wilden Bewegung gelöst hatte, befestigend, es fiel ihr ein, daß der alte Neubauer auch so jählings den Verstand verloren hatte. Aber nach diesem ersten tollen Ausbruch wurde Riebel ganz still. »Es ist ja alles Unsinn,« beruhigte er sie, »und ich muß mich umziehen.« Er machte sich eilig fertig, steckte das Schriftstück in die Tasche und ging ins Herrenhaus. Die Merkeln räumte die herumgelegten Kleidungsstücke kopfschüttelnd weg, irgend was war da nicht in Ordnung!

Amtsrat Mehnerts saßen schon am Tische, als Riebel eintrat. Er murmelte eine Entschuldigung und setzte sich auf seinen Platz. Seit fünf Jahren in Stellung bei seinem äußerst tüchtigen Prinzipal, hatte sich Riebel des vollen Vertrauens und eines beinahe freundschaftlichen Verhältnisses in der Familie Mehnert zu erfreuen. Die Kinder des Hauses hingen mit Zuneigung an ihm, er war den drei Knaben, die eben zu den Osterferien anwesend waren, ein Ideal an Mut, Kraft, Energie, und Lob oder Tadel, von ihm ausgesprochen, hatten oft ungeahnte Wirkungen. Die einzige Tochter des Hauses, erst eben aus der Pension zurückgekehrt, fand noch nicht den richtigen Ton dem jungen Manne gegenüber, sie wollte die junge Dame herausbeißen und doch wäre es ihr viel bequemer gewesen, das alte kameradschaftliche Verhältnis wieder hergestellt zu sehen. So war sie zurückhaltend und verlegen ihm gegenüber. Frau Mehnert war mit ihren 38 Jahren noch eine stattliche Erscheinung. Ihr energisch geschnittenes Gesicht mit den dunkeln Augen unter der klaren Stirn hatte etwas sehr Anziehendes durch den Ausdruck von Güte und Klugheit, der es kennzeichnete. Gretchen glich mehr dem Vater, ihr hübsches Gesicht trug einen weicheren Stempel, die blauen Augen wurden leicht feucht, und um den vollen Mund zuckte bei dem geringsten Anlaß ein schmerzlicher Ausdruck. Es fehlte noch die Beherrschung und Würde, die man heutzutage durch die Erziehung zum Selbstbewußtsein und zur Selbständigkeit den jungen Mädchen so früh einimpft.

Jetzt warf Gretchen einen etwas spöttischen Blick aus Riebel, der sichtlich zerstreut seinen Teller mit Speisen belud und dann einen tiefen Zug aus dem Bierglase tat. Der Amtsrat sprach bei Tische gern über die Tagesarbeiten, und auch heute bildeten sie den Stoff der Unterhaltung, an der sich nur die Mutter hier und da beteiligte. Als man sich dann erhob, bat Riebel den Prinzipal noch um eine Unterredung. Dieser schien nicht angenehm berührt, er liebte es nicht, nach dem Abendbrot noch mit geschäftlichen Dingen behelligt zu werden und witterte irgend eine Leutekalamität. Doch schritt er gelassen in sein Zimmer voran und gedachte stehenden Fußes die Sache abzutun. Erstaunt überflog er dann das gerichtliche Schreiben. »Nanu, was ist denn das? Da muß man ja gratulieren! Sie sind der Erbe eines Rittergutes? Sie haben mir ja noch nie etwas von solchen Aussichten gesagt? Wo liegt denn das Ding? In Niederschlesien? Geben Sie mir doch mal das Güteradreßbuch her, dort oben links. So, haben wirs ja!« –

Während er in dem Buche blätterte, sagte Riebel erregt und mit beinahe zitternder Stimme: »Ich habe ja gar nichts davon gewußt. Das Gut gehörte meinem Onkel, der es wohl nicht besonders bewirtschaftet hat. Vor einigen Jahren hat er sich mit einem jungen vermögenslosen Mädchen verheiratet. Er ist dann schnell gestorben, und die junge Witwe hat ein kostspieliges Leben geführt, man sprach von ihrer Wiederverheiratung. Nun ist auch sie tot, und ein Testament meines Onkels, welches mir das Gut zuspricht, wenn keine Kinder da sein sollten, tritt in Kraft. Was soll ich denn nun machen?« Das letzte klang ganz hilflos. Mehnert hatte das Gut gefunden und las vor: »Rittergut Mollendorf, Größe 554 ha, Brennerei, Rübenbau, Oldenburger Herde usw. Donnerwetter, das ist ja eine große Geschichte! Menschenskind, Sie sind ja ein Glückspilz, da freue ich mich ehrlich mit Ihnen.« Er streckte ihm die Hand entgegen. »Fahren Sie nur gleich mal hin. Wir sind ja jetzt so weit, ein paar Tage behelfe ich mich allein, und dort wird ja die Karre vielleicht auch weiter gehen, bis ich Ersatz gefunden habe, nicht wahr?« Mit glänzenden Augen, aus denen warme Anteilnahme strahlte, legte der Prinzipal die Hand auf Riebels Schulter und sagte nochmals herzlich: »Viel, viel Glück dazu, Riebel, und wenn Sie Rat brauchen, oder sonst meiner Hilfe bedürfen, ich bin da.« »Danke, danke, Herr Amtsrat. Ich bin nur zweifelhaft. Viel wird da nicht zu holen sein, der Besitz ist sicher stark verschuldet. Und die Bemerkung des Justizrats, die Herr Amtsrat wohl auch gelesen haben, deutet an, daß die Verwaltung durchaus nicht vertrauenswürdig ist. Vor zehn Jahren habe ich ein Vierteljahr bei dem Onkel auf eine passende Stellung gewartet, da fing es schon an, bergab zu gehen. Besser wird es nicht mehr geworden sein.« »Na, sehen und hören Sie selber.« Mehnert griff nach dem Kursbuche. »Sie fahren am besten über Breslau.« Er blickte in das Buch, »Früh um 5,30 fort, dann erreichen Sie den Schnellzug und können den Tag in Mollendorf noch gut ausnützen. Wegen der Rückkehr schreibe ich Ihnen nichts vor, Sie müssen dort ja alles erst so ordnen, daß Sie ruhig fortkönnen.« »Ich beeile mich so viel wie möglich, es wird ja doch nicht zu halten sein,« sagte der junge Mann, aber er spürte doch ein drängendes Verlangen, sich den eignen Besitz anzusehen. »Da alles noch so unsicher, wollte ich Herrn Amtsrat bitten, die ganze Sache geheim zu halten.« »Ich spreche nur mit meiner Frau darüber,« entgegnete Mehnert. Das war so selbstverständlich, daß Riebel ernsthaft mit dem Kopfe nickte, am liebsten hätte er selber das Urteil der verständigen Frau gleich jetzt gehört und ihren Rat erbeten. Aber es galt noch Vorbereitungen zu treffen, die Zeit war knapp. Man besprach das Nötige für die Wirtschaft, dann reichte Mehnert dem Scheidenden die Hand: »Glück auf den Weg,« sagte er warm.

In seinem Zimmer ging der junge Erbe noch lange ruhelos umher. Immer wenn er sich mit berauschendem Glücksgefühl als Besitzer eines großen Gutes fühlte, kam der kühle Verstand und vertrieb die lockenden Bilder. Er malte sich den Zustand des Gutes dann unhaltbar und kläglich aus und sah den Besitz in fremde Hände übergehen, vielleicht ohne irgend einen erheblichen Nutzen für sich. Auch ein liebes ernstes Mädchenantlitz blickte ihn verheißungsvoll an, mit dem eignen Heim dürfte er wohl wagen, um diejenige zu werben, der sein ganzes Herz gehörte! Die Arme ausstreckend, sagte er plötzlich in jauchzendem Tone: »Nun kommt das Glück;« aber das Zagen und die Zweifel waren stärker und ließen den Jubel nicht Herr werden. Er hatte nur kurze Zeit geschlafen, wie der Schaffer ihn weckte. Da waren dann alle Gedanken auf die Wirtschaft gerichtet, und kurz und klar kamen die Anordnungen über seine Lippen.

II.

Riebel hatte sich einen Wagen vom Gute zur Station bestellt und saß nun in demselben. Abgearbeitete, magere Pferde waren vor die klapprige Britschke gespannt, die ein junger Knecht lenkte. Der sah den neuen Herrn mit schlauen Augen prüfend an, als er grüßte. Wie sie ein Weilchen mit den müden Tieren getrabt waren, sagte Riebel: »Fahren Sie ein bißchen Schritt, die Braunen sind das Traben nicht gewohnt. Sind das Eure Kutschpferde?« »Nee, der Herr Inspektor ist mit dem Kutscher fortgewesen, wie die Depesche kam. Mamsell hat mich vom Felde holen lassen.«

»Wie lange haben wir zu fahren?« »Eine halbe Stunde mit denen da, der Kutscher macht's mit den Füchsen in einer Viertelstunde.«

»Na, dann los,« gebot Niebel, der ungeduldig den Anblick des Gutes herbeisehnte. Nach kurzer Zeit drehte sich Wilhelm aus dem Bocke um. »Da drüben sind schon unsere Felder.«

Ein Streifen zog sich grau am Waldessaume hin, die Saat lag wie ein dünner grüner Schleier auf dem schlecht bestellten Acker. Und doch schien der Boden hier nicht schlecht, zu beiden Seiten lagen kleine Parzellen mit üppiger Winterung, jedenfalls Bauernland. »Außenschläge,« murmelte Riebel vor sich hin, man sah das Gut noch nicht. Aber nun bog der Wagen in einen auf den Wald zuführenden Weg ein, ungefähr 10 Minuten fuhren sie durch gut bestandenen Wald, dann kam frischer Holzschlag, und in geringer Entfernung sah man das Dorf und die großen Wirtschaftsgebäude des Gutes liegen. »Halt,« rief Riebel laut und hart. »Ist das Mollendorfer Wald?« »Jawohl.« Er war im Wagen aufgestanden und suchte sich zu orientieren. Er hatte vor zehn Jahren seinen Oheim um den schönen Wald beneidet – nun war er zum großen Teil niedergeschlagen. Noch waren die Stämme nicht sämtlich abgefahren, sie lagen, zum Teil im besten Wachstum geschlagen, am Wege. Scheitholz und Rollholz stand geschichtet und der eigentümliche Geruch von frisch geschnittenem Holze erfüllte die Luft. Auf dem Felde waren Gespanne beim Furchenziehen, Weiber legten Kartoffeln, und in den Hof schwankte eben ein Fuder mißfarbenes Stroh, das von geleerten Kartoffelmieten zu stammen schien. Obgleich also Leben und Bewegung hier zu herrschen schien, überkam es den jungen Mann doch wie ein Gefühl von Einsamkeit und Verlassenheit, und die Freude am Besitz, die er sich ausgemalt hatte, wollte nicht zum Durchbruch kommen.

Als der Wagen vor dem stattlichen Wohnhaus hielt, das von zwei alten Linden flankiert, vor der Haustür einen erhöhten Sitzplatz zeigte, erschien niemand, um ihn willkommen zu heißen, so drückte Riebel den Knopf der elektrischen Klingel, deren Ton laut hallend durch das stille Haus tönte. Der Knecht ließ seine Peitsche gleichfalls laut knallen und setzte die Koffertasche seines neuen Herrn auf den Tisch, dann fuhr er ab. Riebel hielt Umschau. Überall gewahrte sein scharfes Auge den beginnenden Verfall, den eine sorgsame Hand leicht verhütet hätte. Die Dächer sahen böse aus, auf Fensterscheiben schien man keinen Wert zu legen, Stroh verstopfte hier und da die Rahmen, oder ein altes Brett versah denselben Dienst. Ackergerätschaften lagen unverwahrt in allen Ecken herum, und die Pfosten der Düngerstätte standen schief, zum Umfallen geneigt da, die Stangen fehlten ganz. Der Strohwagen stand vor dem Stalle, sein Lenker war verschwunden, und niemand kam, ihn abzuladen. Ein recht verwahrlostes Bild, das dem jungen Manne einen tiefen Seufzer entlockte. Da öffnete sich die Tür des Hauses und Riebel konnte ungehindert seinen Einzug in »sein« Eigentum halten. Vor ihm stand eine dunkelhaarige, hagere, ganz in Schwarz gekleidete Frauengestalt, die sich ihm als Fräulein Heisig, die Wirtin, vorstellte. Er erwiderte diese Höflichkeit, und sie führte ihn in das zu ebener Erde gelegene Herrenzimmer, dessen er sich noch von seinem letzten Besuche erinnerte. Daß der Inspektor fortgefahren sei, bestätigte sie ihm, aber der Assistent, Herr Salzmann sei da und werde sogleich hereinkommen. Die noch jugendliche Frau musterte den neuen Herrn gespannt. Ob das andere Gepäck bald nachkäme, und welches Zimmer er zum Schlafen wünsche, fragte sie. Er ging an ihrer Seite durch das Haus, dessen Inneres wenige Veränderungen aufwies, die alte gediegene Einrichtung war nur in zwei Räumen eleganten modernen Möbeln gewichen, im Schlafzimmer des Ehepaares und dem Salon der jungen Frau, den noch ein eigentümlicher Duft durchzog; sie hatte aufdringliches Parfüm bevorzugt. Unwillkürlich öffnete Riebel ein Fenster, um die frische Luft hereinzulassen. Dann wählte er eines der Gastzimmer zum persönlichen Gebrauch aus. Im Speisezimmer stand ein Frühstück für ihn bereit, das er sich nach der Fahrt wohlschmecken ließ. Dann kam der Assistent herein, ein junger, kräftiger Mensch mit hellblickenden Augen und raschem Wesen. Mit ihm begann Riebel nun seine Entdeckungsreisen. Salzmann gewann sich dabei das Vertrauen seines neuen Herrn. Er war zwar noch nicht lange in seinem Dienst, wußte aber überall gut Bescheid. Es fielen bei dieser stundenlangen Wanderung eigentümliche Streiflichter auf den Inspektor. Wie es schien, hatte er sich schon vollkommen als Herrn des Gutes aufgespielt und war wohl nahe daran gewesen, es zu werden. Mit Befremden sah Riebel auf einem der Vorwerke zwei Dreschapparate mit Lokomobilen stehen. »Die Dritte drischt auf dem Nachbargute, sie gehören dem Herrn Oberinspektor, der Lohndrusch damit übernimmt und ein gutes Geschäft dabei macht.« Ein anderes Mal hieß es: »Diese beiden Pferde sind Eigentum Herrn Völkers, sie sind hier gezogen, und er hat sie der Gnädigen noch kurz vor ihrer Krankheit abgekauft, wie er mir sagte.« Riebel sah mit gemischten Gefühlen auf die schöngebauten, etwas feingliedrigen Füchse, die ihre Freiheit noch in der Koppel genossen. Am Waldessaume hütete ein alter Schäfer eine große Herde englischer Lämmer. »Sie sind nach Domsdorf verkauft,« sagte Salzmann, »werden heute oder morgen abgeholt.« Riebel schüttelte den Kopf. Die jungen Tiere hätte er sicher zurückbehalten, unter den alten, die er gesehen hatte, waren sehr viele Bracken, die ihr Futter nicht verdienten. Der alte Schäfer sah finster auf den neuen Herrn. Er schien nicht mehr bei klarem Verstande, hob statt zu grüßen drohend den Arm und rief: »Die Axt ist an den Stamm gelegt, 's dauert nie mehr lange.« Riebel sah prüfend in die irrblickenden Augen, dann lobte er die Herde und sagte schließlich: »Wir werden sehen, daß wir sie für uns behalten können.« Da ging ein Schimmer von Verständnis über des Alten Gesicht, und er trieb seine Herde weiter. Der Spitz umbellte die Tiere, und Riebel schaute ernsthaft dem Treiben zu. »Der Alte pflegt das Vieh gut, wenn er auch sonst verdreht ist,« äußerte Salzmann. Riebel nickte ernst, er grübelte dem Worte nach: »Die Axt ist an den Stamm gelegt,« es hatte beinahe schauerlich geklungen.

Noch vieles kam zur Sprache, was Riebel die Notwendigkeit seiner Anwesenheit auf dem Gute klar machte. Und es war wunderbar, er fühlte sich nach kurzer Zeit in das Wirtschaftsgetriebe unwiderstehlich hineingezogen. Fernab lagen seine engen Beziehungen zur Familie seines Prinzipals, lag seine Beamtentätigkeit, er fühlte nur das eine, daß er auf seinem Grund und Boden stand. Hier mußte er die eigene Kraft im vollsten Maße einsetzen, jede Stunde sollte genützt werden, ihm zu erwerben, was er geerbt hatte. In diesem Gefühl der Zugehörigkeit, der Freude am Besitz, wagten sich vorläufig all die furchtsamen Gedanken, alle Zweifel, ob er das Gut würde halten können, nicht hervor. Die unerquicklichen Einblicke, die er in die Wirtschaft tat, spornten zunächst nur seine Tatkraft und Arbeitslust. »Das muß anders werden, so oder so wird's gemacht,« klang es gar häufig aus des Gutsherrn Munde, und der junge Assistent an seiner Seite sah hoffnungsvoll und diensteifrig zu ihm auf, – er empfand es voller Vertrauen: »Nun wird es besser.«

III.

Am späten Nachmittag erschien Herr Völker. Er fuhr ahnungslos am Herrenhause in der ansehnlichen Gutsequipage vor und war sehr überrascht, im Herrenzimmer, das er seit langem als Privatgemach zu betrachten gewohnt war, den rechtmäßigen Besitzer von Mollendorf vorzufinden. Sein ohnehin stark gerötetes Angesicht wurde um eine Schattierung dunkler, so schnell hatte er den Herrn nicht erwartet. Das Resultat eines stundenlangen Beisammenseins, wobei auch die Rechnungsbücher vorgenommen und als nicht ordnungsmäßig geführt erkannt wurden, war die fest und ruhig gegebene Erklärung Riebels, daß er allein weiter zu wirtschaften gedenke. Er stellte Herrn Völker anheim, nach Empfang des vollen Gehaltes und etwaiger anderer, berechtigter Forderungen sofort das Gut zu verlassen. Natürlich kam auch das »Geschenk« der Füchse zur Sprache, und Riebel sagte ruhig, wenn Herr Völker ausreichende Beweise für diese Schenkung erbringen könne, so möge er die Pferde nehmen, anderen Falles aber blieben sie, wo sie wären. Darüber wütend und heftige Drohungen ausstoßend, entfernte sich Völker schließlich, man würde von ihm hören, schrie er noch von der Tür aus. Riebel fühlte sich durch seinen Abgang erleichtert und beschloß den Rat des Rechtsanwaltes in Anspruch zu nehmen, bevor er weitere Schritte unternahm. Es bot sich nach dem Abzug des Beamten dann noch Stoff genug zur gerichtlichen Verfolgung, und viele Stunden ärgerlicher Aufregung mußten durchgekämpft werden, bis der ungetreue Haushalter mit seinen immer wieder versuchten Übervorteilungen zur Ruhe gebracht war. Die Füchse aber blieben in der Koppel und hatten später die Ehre, die junge Frau Riebel in ihr neues Heim zu führen.

Fräulein Heisig schien einverstanden mit dem Herrn. Sie war eine tüchtige Wirtin, hatte aber bei ihrer verstorbenen Herrin wenig Verständnis für ihre guten Absichten gefunden und so viel mit dem Bewirten der vielen Gäste zu tun gehabt, daß die Wirtschaft dabei entschieden zu kurz gekommen war. Aus guter Bauernfamilie stammend, von einem strengen Vater für ihren Beruf erzogen, war ihr das Treiben des Beamten und der jungen Witwe ein stetes Ärgernis gewesen, und sie hätte sich kaum mehr auf ihrem Posten halten lassen, wenn der Tod nicht alles plötzlich verändert hätte. Nun antwortete sie bereitwillig mit einem »Ja,« als Riebel fragte, ob sie bei ihm bleiben wolle. Aber sie hatte viel auf dem Herzen, was herunter mußte, und Riebel hielt sich lachend die Ohren zu, als auch da die Mängel und Schäden aufgedeckt wurden, die im Haushalte überall fühlbar geworden waren. Schließlich sagte er sich, daß man diese kleinen Dinge mit geringen Geldopfern in Ordnung bringen könne und müsse. Es zauberte einen Freudenschimmer auf das ernste Gesicht Fräulein Heisigs, als er ihr auftrug, eine Liste des Fehlenden anzufertigen, sie sollte gelegentlich in die Stadt fahren, alles zu kaufen. Die Leute erklärten sich mit einigen Ausnahmen bereit, ihre Dienste weiterhin zu versehen, hatten aber eine Menge Anliegen, die dem Herrn nun schon einen Seufzer entlockten. Die Stuben waren seit lange nicht geweißt, die Öfen defekt, der Raum häufig nicht ausreichend, man wollte sich gern ein Schwein halten, da und da in der Nachbarschaft hatten die Leute die Erlaubnis dazu usw., ein endloses Heischen und Quängeln begann. Riebel vertröstete. Er würde sich überzeugen; was nötig wäre, sollte gemacht werden.

Er gab jedem mit einem freundlichen Worte ein ansehnliches Handgeld. Dieses und seine knappe, energische Sprache nahmen die Leute für den neuen Herrn ein, sie gingen, eifrig miteinander ihre Ansicht austauschend, davon. Diejenigen, die gehen wollten, hatten auf Riebels Frage, warum und wohin, ausweichend geantwortet. Salzmann wußte bald darauf zu berichten, daß Völker sie für sich gewonnen habe, er wolle sich ankaufen. Riebel schrieb an seinen Prinzipal, teilte ihm mit, daß er in einigen Tagen noch einmal nach Merzen kommen wolle, sich auch nach einer Vertretung umgetan habe und Herrn Mehnert bitte, ihn dann zu entlassen, da seine Anwesenheit in Mollendorf unter den obwaltenden Umständen nicht zu entbehren sei. Lebhaft schilderte er den Zustand des Gutes und fügte hinzu, daß er keinen größeren Wunsch habe, als den, seinen verehrten Prinzipal an Ort und Stelle begrüßen zu dürfen und seinen Rat zu hören. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Mehnert war nicht müßig gewesen, sondern hatte schon einen Ersatz für Riebel gefunden. Ein entfernter Verwandter seiner Frau, der die Absicht hatte, sich selbständig zu machen, war noch frei und konnte sogleich in die Bresche springen, bis sich ein geeigneter Nachfolger finden würde.

So kehrte Riebel nur für einen Tag nach Merzen zurück, um seine Sachen zu packen und sich zu verabschieden. Mehnert hörte mit Interesse alles an, was Riebel zu erzählen wußte, und stellte seinen Besuch für später in Aussicht. Alle machten ihm den Abschied nicht leicht, aber in seinem Innern spürte er das freudige Drängen, Last und Freude des eigenen Besitzes auf sich zu nehmen, und das half ihm über das Scheiden hinweg. Die Jungen zeigten ihren Abschiedsschmerz durch brummiges Wesen und wurden erst durch Riebels Einladung, ihn in den großen Ferien zu besuchen, einigermaßen versöhnt. Gretchens Augen schimmerten feucht, als er ihre Hand kameradschaftlich schüttelte, und Frau Mehnert sagte ihm gute mütterliche Worte, die ihm noch lange im Herzen nachklangen. Sehr ungern schien ihn die Merkeln ziehen zu lassen. Einige vertragene Kleidungsstücke, die ihrem Sohne zugute kommen sollten, und ein metallener Händedruck Riebels erregten zwar Freude, vermochten aber die Tränen nicht zurückzuhalten, die ihr treues Herz erleichterten.

Unterwegs übersprang Riebel einen Zug in dem kleinen Städtchen, das der Domäne zunächst lag. Hier galt es, einige Abschiedsbesuche zu machen. Nächst dem Pastor und einigen Geschäftsfreunden gab es da einen Fabrikbesitzer, dessen Tochter in engem Zusammenhange mit den Zukunftsträumen Riebels stand. Aber noch fiel kein Wort, das sie hätte binden sollen, nur der warme Händedruck beim Abschied sprach deutlich zum Herzen der blonden zierlichen Else, die von des Freundes veränderten Lebensverhältnissen mit Anteil hörte.

IV.

Aller Anfang ist schwer, so schwer hatte ihn Riebel nicht gefürchtet. Gleich in den ersten Tagen nach seiner Rückkehr von Merzen war der Brennereiverwalter zu ihm gekommen, um über die nötigen Reparaturen mit ihm Rücksprache zu nehmen, die gleich nach beendeter Campagne vorgenommen werden sollten. Der Vorrat an Kartoffeln war nur noch gering, zwar war bis zum Mai deklariert, aber es mußten noch 3000 Ztr. gekauft werden, wenn bis dahin gebrannt werden sollte. Rechnend und grübelnd saß der Gutsherr am Schreibtisch. Sein kleines eignes Kapital, dem er in den letzten Jahren die Zinsen hatte zufügen können, da er mit seinem erhöhten Gehalt auskam, würde als Betriebskapital nicht lange herreichen, das sah er ein. Nun hatte ihm der Brenner gesagt, daß zwar Maschine und Apparat in Ordnung seien, aber die Rohre, die aus Sparsamkeitsrücksichten von Eisen, statt von Kupfer gearbeitet waren, unweigerlich herausmüßten. Auch an der Kühlung war viel auszusetzen, und das Dach des Henze mußte erneuert werden. Mißmutig hörte Riebel alles an und war nur froh, daß es noch Zeit hatte. Er notierte sich zwar die Adresse des Kupferschmieds, die ihm der Brenner nannte, beschloß aber die Firma, welche in Merzen arbeitete, heranzuziehen, eingedenk einer Äußerung Mehnerts, die ihn vorsichtig machte. Es sollte vorkommen, daß die Brenner den Handwerksmeistern gelegentlich einen Verdienst zuschoben, auch wenn noch keine zwingende Notwendigkeit zu dieser Ausgabe vorlag. Eine Hand wäscht die andere. So blieb es vorläufig bei dem notwendigen Kartoffelankauf für die Brennerei, der die Kasse allerdings im Moment stark belastete. Ein Verzeichnis des Inventars war aufgenommen worden, und Riebel hatte sich seinen Überschlag gemacht. Es fehlte an kräftigen Zugochsen, die vorhandenen Stiere mußten noch ein Jahr bis zur Einstellung warten. Aber die Kalben im Jungviehstalle waren gerade im richtigen Zeitpunkt für vorteilhaften Verkauf, für den Erlös konnte er Ochsen kaufen. Fräulein Heisig war außer sich, als sie davon hörte, auf die Kalben wartete sie nur so. Im Kuhstalle standen so viele wertlose Fresserinnen, die fort müßten, die Zutreter hatten sie ersetzen sollen. Riebel erkannte die Wahrheit dieser Bemerkungen, mußte aber bei seinem Entschlusse beharren. Er benachrichtigte einen Händler und erwartete mit Ungeduld dessen Erscheinen. Da brachte die Post einen Brief von Völker. In Kürze teilte dieser dem Gutsherrn mit, daß er bei der Eile des Abschiedes vergessen habe, zu erwähnen, daß die sechs braunen Kalben aus dem Jungviehstalle verkauft wären. Das Geld sei bereits, bis auf eine kleine Summe, gezahlt und in der Wirtschaft verwendet worden. Die Abholung des Viehes werde in den nächsten Tagen durch den betreffenden Käufer erfolgen. Der beigelegte Schlußschein und die von einer Frauenhand unterzeichnete, den Namen seiner verstorbenen Tante tragende Quittung Über den Empfang der Summe, war beigefügt. Das war ein empfindlicher Schlag, und doch schien die Sache in Ordnung. Fräulein Heisig, der er die Unterschrift zeigte, erkannte die Handschrift der Verstorbenen, so blieb nichts übrig, als sich zu fügen. Die Kalben gingen schon in den nächsten Tagen, zum größten Schmerz der Wirtin, fort, und eine geringe Restsumme kam in die Kasse.

Eines Nachts klopfte jemand an das Fenster des zu ebener Erde gelegenen Schlafzimmers. Nur schwer vermochte sich Riebel zu ermuntern, erst dem erneuten energischen Klopfen antwortete sein »Ja«. Er sprang aus dem Bette und öffnete das Fenster. Es war dunkle Nacht, er erkannte nur die Umrisse einer hellen Gestalt. Fräulein Heisigs Stimme drang leise zu ihm. »Bitte, kommen Sie in den Kuhstall, Herr Oberamtmann, aber nicht ohne Stock, ich warte hier.« »Was ist los?« fragte er rauh. »St,« machte sie. Sein Auge entdeckte nun einen schwachen Lichtschimmer an den Kuhstallfenstern. Er zog sich eilig an, ergriff seinen Stock und eilte geräuschlos über den Hof. Die große Tür fand er verschlossen, sein Fuß stieß beim Weitergehen an einen gelösten Pflasterstein, der weiterrollend, in der Stille der Nacht genug Lärm machte, um als Warnungssignal zu dienen. Das schwache Licht erlosch sogleich und tiefe Stille herrschte im Stall. Fräulein Heisig war hinter ihm. Sie zog ihn am Arme zu der kleinen Pforte, die in die Futterkammer führte. Diese gab dem Drucke nach. Ein plötzliches Licht aus einer von der Wirtin verborgen gehaltenen elektrischen Lampe fiel auf das erschrockene Gesicht des Kuhmanns, der, eine beinahe gefüllte Gelte mit Milch in der Hand, wie das lebendig gewordene Bild des Entsetzens vor seinem Herrn stand. Auf die Frage, was er um diese Zeit im Stalle zu tun habe, kam prompt die Antwort, er habe nach der Juno sehen wollen, die habe, wenn sie neumelk sei, immer so ein straffes Euter, daß man sie abmelken müsse. Er hätte die Milch in der Futterkammer aufheben wollen. Es fand sich dort noch ein mit dem angemachten Kuhfutter gefüllter Sack, von dem sich der unschuldige Mann gar nicht denken konnte, wer ihn gefüllt und hier habe stehen lassen. Man tue eben alles, um ihn, den redlichen Mann, in falschen Verdacht zu bringen, aber wenn er reden wolle, so würde sich der gnädige Herr wundern. Er sei Tag und Nacht auf dem Posten (letzteres ließ sich nicht leugnen), aber der Schweinemeister! Und erst der Kutscher! Riebel schnitt das Weitere durch ein energisches Wort kurz ab, Fräulein Heisig nahm die Milchgelte an sich, der Kuhmann mußte den Sack ausschütten, dann wurde er auf morgen vertröstet und entlassen. Riebel war nicht sonderlich erregt, bestohlen wird der Landwirt an allen Ecken, man muß sich, so gut es geht, schützen und wehren und energisch strafen. Es freute ihn nur, daß die Heisig so wachsam und mutig war. Immerhin aber mußte wohl ein Exempel statuiert werden. Er warf sich lange noch ruhelos umher, bis er seinen Entschluß gefaßt hatte. Er nahm sich am andern Tage den Mann vor, der seine Herde in gutem Zustande hatte und ein nüchterner Mensch war, so daß er ihn ungern missen mochte. Die Sprache des Landwirts ist bilderreich, sagt man; nun, Kurt Riebel besaß die Gabe, unter vier Augen, ohne stark erhobenen Ton, kräftige Worte zu sagen, die nachhaltig wirkten. Der Kuhmann kam ziemlich betreten aus des Herrn Zimmer, wo er all das, was er hatte sagen wollen, verschlucken mußte; er nahm dafür die Gewißheit mit, daß er ein ziemlicher Lump sei, und daß dem Herrn so leicht nichts vorzumachen war.

Es blieb natürlich nicht bei dem einen ärgerlichen Vorfall, vielmehr häuften sich die Beweise für die nachlässig geführte Wirtschaft. Bei der Ackerarbeit zeigte sich, daß die meisten Geräte unbrauchbar waren, war es absichtliche Ungeschicklichkeit der Leute oder tatsächliches Verbrauchtsein, ein Pflug nach dem andern stand bei der Schmiede, und der Meister lächelte boshaft, wenn er zur Eile gemahnt wurde. Immer hatte er notwendige andere Arbeiten vor, frühere Bestellungen zu erfüllen. Es war Riebel unerklärlich, daß das Gut nicht längst eine eigene Schmiede besaß, er wollte sobald es ging, für eine solche sorgen. Eines Mittags kam er müde vom Felde und wollte den säumigen Schmied nochmals zur eiligen Arbeit mahnen, da fand er die Schmiede geschlossen und erfuhr auf seine Nachfrage, daß der Meister verreist sei. Da ließ er sein Pferd satteln und ritt nach dem Nachbardorfe, um mit dem dortigen Schmied sein Abkommen zu treffen. Es gelang ihm, mit dem Manne einig zu werden, und noch denselben Tag wurden die Ackergeräte hinübergeschafft, um in kürzester Zeit ausgebessert zurückzukommen. Dabei hatte Riebel auch den Grund der Widerhaarigkeit des Schmieds erfahren. Es hatten Beziehungen des Verwalters zu dem Schmiedstöchterlein bestanden, die durch seinen jähen Abgang unsanft zerschnitten waren. Daß eine der übrig gebliebenen Kalben verwarf, das zweijährige Fohlen den Fuß brach und erschossen werden mußte, waren Fälle, denen der Landwirt stets ausgesetzt ist, daß aber das eine Rutschpferd an Kolik krepierte, war schon wieder etwas anderes. Es ergab sich, daß der Kutscher das gute Futter ins Dorf geschafft und schlechtes, naß eingefahrenes Getreide dafür eingetauscht hatte, der Assistent hatte es glücklich entdeckt. Das ging doch über den Hofjungenärger.

Die Handwerker kamen und besserten zunächst die »Leutehäuser« aus, es wurden auch Ställe erneuert und neu aufgerichtet für Schweine und Ziegen, ein kleiner Anfang für die großen Pläne, die das Zukunftsbild des neuen Besitzers ihm vorzeichnete. Aber bedenklich schmolz die Summe seines Baarvermögens nach dem Ochsenkauf und allen andern Ausgaben zusammen, und immer näher rückte der Termin der Zinszahlung, vergeblich hatte Kurt in den Papieren des Schreibtisches nach einem Nachweis gesucht, daß ein Betriebskapital auf der Bank läge, es waren nur kleine Summen im Geheimfach niedergelegt, sonst nichts vorhanden. Der Erlös für den letzten Spiritus war zum Teil durch den Kartoffelankauf schon vorweg genommen – kurz, wenn der Schüttboden sein letztes Korn hergegeben hatte, und Kurt alles zusammen nahm, blieb ihm nach der Zinszahlung nichts für die Erntezeit mit ihren erhöhten Ausgaben.

Sorgen über Sorgen bedrängten das Herz des unermüdlich fleißigen Mannes. Er erbat schließlich den Besuch Mehnerts, der auch bereitwillig zusagte, was hatte er ihm vom Herzen herunter vorzuklagen! Er sah seine Hände auf Jahre hinaus gebunden; statt freudig zu arbeiten, würde er nur ängstlich lavieren können. Nichts von dem ruhigen, selbstverständlichen Vorwärtsgehen, wie er es in der Wirtschaft seines Prinzipals gesehen, würde bei ihm durchführbar sein, überall lagen die Steine des Hindernisses, die ihn jeden Augenblick am Ergreifen eines Vorteils hinderten.

An allen Ecken standen riesengroß wie drohende Gespenster Sorgen und Ängste, die den Redlichen übermannen, der es nicht gelernt hat, Schulden und Verpflichtungen wie etwas Gleichgültiges zu betrachten. Voraus nehmen, was die Ernte bringen wird, statt in Ruhe den Erlös zu erwarten und dann die Ausgaben den Einnahmen anzupassen, wie schwer ist's für den Anfänger, der ein überschuldetes Gut übernimmt und keine Hilfsquellen fließen sieht. In einen großen Besitz hineinzugehen, ohne die Möglichkeit, ungezählten Ansprüchen genügen zu können, sich sagen zu müssen, daß die größte persönliche Enthaltsamkeit und Sparsamkeit, der unermüdlichste Fleiß nur Tropfen auf einen heißen Stein sind, die von Fall zu Fall nutzlos verdunsten – das lähmt die Arbeitskraft. Wenn Riebel den Rechenstift noch so oft zur Hand nahm, wenn er den Stand der Felder überschlug und die damit verbundenen unsicheren Berechnungen aufstellte, er kam zu keinem befriedigenden Resultat, es schien alles vergeblich. Und doch liebte er sein Eigentum, hoffte und wünschte leidenschaftlich, es zu behalten.

Da kam in diese ratlose Stimmung hinein Amtsrat Mehnert und brachte seine Frau mit. Das war eine grenzenlose Freude für Kurt. Sie gingen und fuhren überall herum, alles wurde in Augenschein genommen und die scharfen Augen des tüchtigen Mannes sahen Gutes und Schlimmes ohne jeden Verschleierungsversuch. Auch Frau Mehnert prüfte mit offenem Blick das ganze Getriebe und sprach hier und da ein kluges Mort, während ihr Gatte sich zunächst jeden Urteils enthielt. Riebel sah oft bange in seines Prinzipals Gesicht, kam denn gar kein ermutigendes Wort?

Abends saßen sie dann traulich in dem großen behaglichen Wohngemach. Keine Störung war hier zu fürchten, und offen ward alles geäußert, was ehrliche Menschen einander zu sagen hatten. Auf Mehnerts Frage: »Haben Sie schon an einen Verkauf gedacht?« antwortete Riebel mit allen Gründen, die das Behalten des Besitzes irgend befürworten konnten. Mehnert lächelte schließlich. »Ich sehe, Sie wollen den Kampf auf sich nehmen,« sagte er dann, »so handelt es sich um die Möglichkeit. Lassen Sie mich Einblick nehmen in die Geldverhältnisse.«

Dann saßen sie über die Papiere gebeugt, die langsame bedächtige Art des Älteren schien den Jüngeren zu peinigen, aber er kannte die Gründlichkeit des früheren Chefs und vertraute ihr. Frau Mehnert saß still mit ihrer Handarbeit dabei, aber man sah, sie folgte jeder Bemerkung mit Interesse. Nun endlich war alles klar gelegt. »Eine Frage, Riebel,« tönte dann Mehnerts Stimme, »haben Sie schon an eine Heirat gedacht und wenn, ist es eine solche, von der Sie pekuniären Vorteil erhoffen?« Riebel errötete, sah aber offnen Auges den Fragenden an. Zögernd sagte er: »Ich habe meine Wahl getroffen, aber ich weiß nicht, ob meine zukünftige Frau mir ein Vermögen zubringen würde, ich glaube es nicht.« Er schwieg einen Augenblick, dann wendete er sich Frau Mehnert zu; das Gefühl, daß er diesen Menschen volle Offenheit schulde, überkam ihn zwingend. »Es ist Else Mertens,« sagte er leise, »ich glaube ihrer sicher zu sein.« Frau Mehnert ergriff seine Hand. »Da gratuliere ich,« rief sie, »ein tüchtiges, liebes Mädchen und sicher aufs Land passend. Übrigens ist da auch Vermögen, freilich im Betriebe der Fabrik steckend und schwerlich als Mitgift flüssig zu machen.« Mehnert sann still vor sich hin. »Klara,« sagte er dann, »du erinnerst dich, was wir besprochen haben, ehe wir herkamen, ich halte es, nachdem ich alles gesehen und Riebels Ansicht gehört habe, für richtig, unsern Vorsatz auszuführen. Sie brauchen Geld, lieber Freund, ich habe 10 000 Mark daliegen, die ich anlegen wollte, verfügen Sie darüber. Nach unserm Überschlage würden Sie damit auskommen, bis Sie die Erträge des Gutes heranziehen können. Wir besprechen das Nähere noch.« Riebel war aufgesprungen, er wollte seinen erregten Dankgefühlen Luft machen, aber Mehnert beschwichtigte ihn und fuhr ruhig fort: »Ich tue nur dasselbe, was ein Freund mir in schwerer Stunde getan hat, und ich würde es ganz bestimmt nicht anbieten, wenn mir Ihre Persönlichkeit nicht die beste Sicherheit böte. Aber noch eins. Heiraten Sie bald. Wir arbeiten ganz anders, wenn wir die Gefährtin neben uns haben. Die richtige, notabene! Nicht eine, »die sich von dem goldnen Ringe goldene Tage nur verspricht,« sondern eine, die mitringen, mit arbeiten, mit erwerben will und auch erhalten.« Er suchte den Blick seiner Frau, die ihm freundlich zunickte. »Es kann knapp zugehen, wir Landwirte können ganz in der Stille gar Manches entbehren, aber Behaglichkeit, Wärme und Sonnenschein müssen wir im Hause haben, dann kommen wir über vieles hinweg. Also Mut und Glück auf den Weg.« Damit war diese Angelegenheit erledigt und hochklopfenden Herzens strebte Riebel alle seine Gedanken den eingehenden Ratschlägen zuzuwenden, welche Mehnert in betreff der nötigen Reparaturen und Anschaffungen zu geben hatte. Was an Vieh etwa noch zu entbehren war, riet er zu Gelde zu machen, denn da Stroh knapp und die Ernteaussichten nicht besondere waren, mußte man auch an das Durchkommen für das ganze Jahr denken. Der Jungviehstall ergab da noch eine Einnahmequelle, die freilich unter anderen Umständen nicht in Betracht gezogen worden wäre. Eines der Reitpferde schien entbehrlich und Mehnert riet zum Verkauf von Ferkeln, die hoch im Preise standen und in großer Anzahl vorhanden waren. Wie oft hatte Riebel an alle diese Mittel, sich zu Einnahmen zu verhelfen, gedacht, aber sie ebenso oft verworfen, weil er an die Zukunft dachte, »was man ohne dem Gute zu schaden, herausnehmen kann, muß man nehmen, ehe man auf andere Hilfe sinnt,« äußerte Mehnert unter anderem. »Ich habe Ähnliches durchgemacht und weiß, wie sehr man sich scheut, den Viehstand zu verringern, auch des Geredes der lieben Nachbarn wegen, aber ein gutes Jahr bringt den Schaden wieder ein, wenn es überhaupt einer ist.«

Noch manches gute Wort ward gesprochen, ehe die Freunde abreisten. Tief gerührt und dankbar für das Gebotene sah Kurt Riebel nun mit anderen Gefühlen dem Kommenden entgegen. Es entwickelte sich ein geschäftiges Treiben, noch vor der Ernte sollten die baulichen Arbeiten eingeleitet werden. Bald verlor der Hof sein verwahrlostes Aussehen und die erheblichen Lücken in den Ställen waren das einzige, was Riebel unliebsam berührte. Dafür aber lag im Tresor seines Schreibtisches eine Summe, die ihn in Ruhe die Ernte überdauern ließ, Zinsen und Löhne waren bezahlt und die Handwerker würden rechtzeitig befriedigt werden. Bald nach der Ernte kam die Zeit, wo er an sich denken mußte, vor Winter wollte er diejenige in sein Heim führen, die er sich erkoren. Eines Tages erschien er im Hause des Fabrikbesitzers, holte sich das Jawort seiner Else und den Segen der Eltern, und trotz der Kürze der Zeit gelang es ihm auch, alle Zweifelsgründe niederzuschlagen und die Vereinigung für den Monat November festzusetzen. Als er mit Else die erste glückliche Stunde allein war, sagte er freilich: »Als Besitzer von Mollendorf komme ich um deine Hand werben. Ob ichs in zwei Jahren noch bin, oder ob ich dann wieder nach einer Stelle suchen muß, das weiß ich nicht. An mir solls nicht fehlen, meine Sache verstehe ich wohl, aber den Segen von oben sollst du mir erbitten helfen.« Da legte sie feuchten Auges ihre Hand in die seine, und sie gelobten einander, den Weg, der steinig und steil genug vor ihnen lag, mit ernstem Willen und unermüdlich zu wandern. Sie kannten einander und wußten, was eines zu tragen hatte, würde das andere mit auf die Schultern nehmen. Die Eltern sahen wohl klaren Blickes den schweren Anfang, den die jungen Leute mutig auf sich nehmen wollten, vermochten sich aber dem hoffnungsvollen Vertrauen derselben nicht zu entziehen. Außer der reichlichen Aussteuer bestimmte der Fabrikbesitzer seiner Tochter ein ansehnliches Taschengeld, und Riebel fand sich reich in dem Bewußtsein, eine treue Gefährtin neben sich zu wissen, die anspruchslos wie er, pflichttreu und gütig neben ihm walten würde. Gütig! Er kannte keinen Reiz, der ein weibliches Wesen so verklärte und veredelte wie die Güte, ich meine die Güte, welche die Menschen in ihrer inneren und äußeren Not versteht, die neidlos das Glück anderer mit empfindet und ihren Schmerz zu lindern weiß. Die Güte, die für sich nichts unmögliches heischt, nichts schweres fordert, aber stets sich zu opfern bereit ist. Solche Güte blickte aus Elses Augen, und ihre Strahlen erhellten ihm die trübsten Stunden der kommenden Jahre.

Wohl hieß es sparen im jungen Haushalte. Oft hat der von Unverständigen viel beneidete »Rittergutsbesitzer« nicht gewußt, wo er das Geld hernehmen sollte, um das nötigste zu bestreiten, sie haben für sich den einfachsten Tisch geführt und ihre Kleidung geschont und bewahrt wie die ärmsten Leute. Es gab andere Gelegenheit genug, wo die Hand offen sein mußte und man des Standesbewußtseins zu gedenken hatte, wo mit einem Worte nicht gespart werden durfte.

Der erste Winter war ungewöhnlich hart, die Kohlen teuer, da fanden sie es heraus, daß die Bewegung im Freien sie warm machte und ihnen die hohen großen Zimmer erträglicher waren, wenn sie nach tüchtigem Laufen heimkehrten. Oft war die Lage schwierig. Man hatte damals keine Zölle; Getreide und Futtermittel überschwemmten den Markt, die Ernte war gut hereingebracht, aber es war nichts los zu werden. Die Händler zuckten die Achseln, alles überfüllt, die niedrigsten Preise wurden geboten und die Nachfrage fehlte ganz. Sorgenvoll saßen beide eines Tages in dem einzigen geheizten Zimmer, als ein Fremder auf den Hof fuhr. Es war ein Geschäftsmann, der Kartoffeln zu kaufen suchte. Riebel hatte eine sehr gute Ernte gemacht und schon den Überschlag fertig, der ihm trotz des Brennereibetriebes den Verkauf von Eßkartoffeln möglich machte. Seine Frau wußte das und glaubte nicht recht zu hören, als er kühl und fast ablehnend auf die Anfrage antwortete. Nur sehr zögernd wickelte sich das Geschäft ab, schließlich legte der Händler einen ansehnlichen Vorschuß auf den Tisch. Als er gegangen war, fiel Riebel lachend seiner Frau um den Hals. »Gott sei Dank,« sagte er, »nun sind wir wieder flott.« Sie fragte, warum er erst nicht heran gewollt habe, und er entgegnete: »Ich durfte den Mann doch nicht merken lassen, wie nötig ich sein Geld brauchte.« So wurde in damaliger Zeit ein einfaches gelungenes Geschäft wie ein Glücksfall begrüßt.

Dann kamen Kinder, eine ganze Schar, daß das große Haus lebendig wurde und widerhallte vom fröhlichen Geräusch der wilden Kleinen. Sie brachten das Glück mit. Es gedieh alles in Feld und Flur, ja, die Nachbarn sahen auf das Tun des Besitzers von Mollendorf. So wie der mußte mans machen, um vorwärts zu kommen. Und es kamen allerlei Hilfen von außen, die Eltern konnten geben, und der sorgfältig betreute Boden spürte die klug helfende Menschenhand und gab mehr her, als man hatte ahnen können. Es wurde besser. Längst hatte man eingesehen, daß die Landwirtschaft der Unterstützung von oben herab bedurfte, es kamen die Zölle und zum Ausgleich für die höher werdenden Löhne auch die höheren Preise. Längst waren die Schulden verringert und zum Teil getilgt, die Heranwachsenden Kinder konnten die beste Erziehung genießen. Das Leben im Hause geht in breiterem Strome dahin, es herrscht Gastfreiheit und oft recht fröhliches Leben, aber noch immer besteht bei dem alternden Paar die Scheu vor persönlichen Ausgaben, noch immer erlahmt nicht die Arbeitskraft des Gutsherrn, seine Tätigkeit bleibt die Basis aller Unternehmungen, und treue Pflichterfüllung ist der selbstverständliche Inhalt seiner Tage.


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