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11.
Der neue Kuhmann.

Mein Mann kam vom Hofe herein. Er sah ziemlich erhitzt und geärgert aus. »Ich habe dem Thomas endlich gekündigt«, sagte er. Mir sank das Herz etwas. »Also doch?« fragte ich beklommen. »Nun ja, er ist seit gestern noch nicht nüchtern, das geht doch nicht so weiter.« »War die Frau denn nicht da?« »Ja natürlich, sie machte seine Arbeit, aber das ist doch nicht das Richtige.« Ich schwieg still, ich sah ja, daß mein Mann beinahe schon bereute, was er getan. Die Thomasschen Leute waren soweit ordentlich im Dienst, bekam er aber Geld in die Hand, wie gestern, wo die vier schönen Kalben weggegangen waren, die ihm hübsches Stallgeld gebracht hatten, dann leistete er sich einen festen Trunk. Da er nicht viel vertrug, kämpfte er mindestens einen ganzen Tag mit dem Alkoholteufel, der ihn jämmerlich herumriß. Man tat gut, ihm an solchen Tagen aus dem Wege zu gehen, da der sonst friedliche Mann dann leicht aufsässig wurde. Es war, als wollte er sich im voraus gegen jeden Tadel zur Wehr setzen. Da die arbeitsame Frau ihn in diesem Falle ohne weiteres unterstützte oder ersetzte, vermied ich daher, ihn durch meine Gegenwart aufzureizen. Durch diese kleine Diplomatie hatten wir uns den guten Viehpfleger nun glücklich zwei Jahre erhalten. Wir verloren mit ihm auch die Tochter, die als Magd im Stalle war, und die Frau als gute Melkerin. Unter den zahlreichen Kindern waren ferner noch andere brauchbare Kräfte, zu Botengängen, Gartenarbeit usw. Also ich sah mit Bangen einem Wechsel entgegen. Das damals oft gesprochene Wort: »Für Geld krieg ich Zucker, warum nicht auch Leute« fing schon ein wenig an, seine tröstende Macht zu verlieren. Die Mietsfrau wurde benachrichtigt, und bald lud sie zum Hereinkommen in die Stadt ein, am Markttage würde sich ein äußerst zuverlässiger Mann mit großer, arbeitsfähiger Familie vorstellen. Das Dienstbuch war noch nicht zu haben, aber Nerlich war im letzten Dienst das dritte Jahr. Um es kurz zu machen: nachdem wir uns bei seinem Prinzipal des näheren erkundigt hatten, mieteten wir Nerlich. »Er versteht seine Sache, ist kein Trinker, etwas langsam, aber zuverlässig,« hatte der Bescheid gelautet. Das ließ sich ja hören, und der Abschied von Thomas gestaltete sich schließlich weniger schmerzlich als ich gefürchtet hatte. Am Umzugstage herrschte kaltes Wetter, worüber sich mein Mann, herzlos wie er schien, freute. Er meinte, wenn es kalt wäre, suchten die Leute so schnell wie möglich ihre Sachen abzuladen, ohne große Schwierigkeiten wegen der Wohnung zu machen, was sonst immer der Fall wäre. Ich hatte die Wohnung nach dem Abzuge der Familie Thomas reinigen und heizen lassen, für Milch, Kartoffeln und Schnitten gesorgt, und harrte so recht befriedigt, vom besten Willen beseelt, der Ankunft der Wagen. Da schwankten auch die »zwei tüchtigen Fuhren«, die Nerlich angekündigt hatte, zum Hoftor herein. Ich saß am Fenster und sah mit Befriedigung, daß sie vollgeladen waren. Sogar ein Sofa besaß die Familie, es war quer über die Leitern gestellt, und Mutter Nerlich saß mit einigen ihrer Küken darauf. Man freut sich ja, wenn die Leute zu etwas kommen, und hält sie dann für sparsam und ordentlich. Bald war alles abgeladen, mein Mann hatte recht gehabt, »nur schnell herein«, hieß es bei der Kälte. Plötzlich schien da drüben irgend etwas nicht in Ordnung, die Leute standen ratlos herum und gestikulierten eifrig. Es stellte sich dann heraus, daß ein Kind fehlte, es mußte vom Wagen gerutscht sein. Aber schon wurde es von Dorfleuten gebracht, die es unverletzt aufgehoben hatten. Bald darauf meldete Emma, das Stubenmädchen: »S'ist eine von den neuen Leuten unten, sie wissen nicht, wo sie mit den Hühnern hinsollen.« Ich begab mich nach unten und setzte der schluchzenden Kleinen auseinander, daß unsere Leute keine Hühner halten dürften und daß dies dem Vater gesagt worden wäre. Erhöhtes Schluchzen. Die guten Hühner, die schon legten! In die Stube könnte Mutter sie doch nicht nehmen.

Ich hatte mir's inzwischen überlegt. Da war der Ziegenstall, in welchem unseres Jungen Böcke bis vor kurzem gehaust hatten, der stand leer; ich wollte ihn mir als Brutstall einrichten. Der wurde nun den fremden Hühnern vorläufig angewiesen. Ich sagte andern Tages aber der Frau Nerlich, daß wir keine Ausnahme machen könnten, und daß sie die Hühner abschaffen müsse. Unglaubliche Hindernisse stellten sich dem entgegen, aber endlich wurde ein Ende gemacht. Ich kam so im Februar mal über den Hof gegangen und sah mit Verwunderung zwei kleine Nerliche aus einem Strohbündel vor meinem Hühnerstall sitzend, gespannt in den Stall hineinlugend. Ich fragte, was sie hier wollten. »Ünse Henne le't drinne!« »Was soll das heißen?« »Nu ja, unsere graue Henne ist neigegangen, wir warten auf das Ei.« Ich ging in den Stall, gefolgt von den zwei Gören. Da saß eine grauschipprige Henne auf einem Nest und schien legen zu wollen. Damals hatte man einen möglichst bunten Hühnerhof und ich könnte wirklich nicht beschwören, ob das meine oder Nerlichs Henne war, hielt es aber doch für besser, dieser Gütergemeinschaft ein Ende zu machen und kaufte der Nerlichen die Hühner ab. Ich hatte es nicht tun wollen, weil die Leute so leicht denken, man bereichert sich auf ihre Kosten. Die Sache war also abgetan. Aber das andere.

Mein Mann war so viel zu Fuß und zu Pferde draußen, daß ich öfters die Überwachung der Ställe übernehmen mußte, wie oft riefen mich jetzt die lauten Klagerufe der Kühe in den Stall, sie mußten über die Zeit warten, und dann schimpfte Nerlich, daß er nicht fertig würde und keine richtige Ruhezeit hätte. Ich kam bald dahinter, daß er nebenbei Pantoffelmacher war und deshalb große Freundschaft mit dem Stellmacher hatte. Auch die Melkerei verursachte häufigen Ärger, Frau Nerlich liebte es schnell fertig zu werden, und häufig traten dicke Striche oder ganz geschwollene Euter zutage. Eines solchen wegen ließen wir den Tierarzt holen. Er verordnete eine Einreibung und kaum war er fort, so begann Nerlich seinen ätzenden Spott über ihn auszugießen. Dabei sagte er unter anderem: »Weil sie jetzt so 'nen lateinischen Namen haben, Viehsekus (er verwechselte das mit Physikus) oder wie, da sein die Tierärzte stulz, aber unsereiner weiß besser Bescheid. Ich wär' abends auf den Hof gegangen, wenn die Pflüge reingekommen sind. Wenn man sich da die Erde vom Schaar an die Hosen streicht und man geht dann die Kuh melken, und streicht ihr die Erde von den Hosen aufs Euter, da ist's glei gut!« Auch andere Krankheiten der Kühe wollte er auf seine Art kurieren, brauchte dazu allerlei Sachen, Töpfe, die niemand hinterher mehr berühren durfte, (Nerlichs kochten dann wohl ihr Essen darin), Stoff, der verbrannt werden sollte, das Pulver heilte dann verschiedene Gebreste usw. Ich reagierte natürlich nicht aus solchen Unsinn, hörte nur immer, daß Nerlich unheilvolle Prophezeiungen dieserhalb über unsern Viehstand aussprach. Und schlecht genug war der Zustand von Kühen und Kälbern in diesem Nerlich-Jahre, das uns recht lang wurde. Zufällig kam ich mal hinter seine Methode. Die stärksten Kühe wurden zum Futterholen angespannt, und ich hörte, wie er die »Perle« strafend anredete: »Wart ok, Du ales Vieh, hinte kriegst de kei Futter, was hast de mich so geärgert.« Ich ging nach dem Einlegen in den Stall, richtig die »Perle« mühte sich vergebens, hier und da etwas Futter von den Nachbarinnen zu erlangen, ihr Platz war leer. Als ich Nerlich fragte, wie das zuginge, meinte er schmunzelnd: »Je das is ane gutte Fressern, die is immer glei fertig und dann geht se zu den andern – wilste wul.« Dabei gab er der Hungernden eins auf den Kopf. »Legt mal der »Perle« gleich ein,« sagte ich ruhig, »und ein anderes Mal laßt das sein mit dem Futterentziehen.« Er sah mich tückisch an, schwieg aber still und tat, wie ihm geheißen.

Als das Grünfutter recht reichlich vorhanden war und auch genug angefahren, hörte ich trotzdem die Kühe abends brüllen. Ich ging hinüber, sie standen vor den leeren Krippen. Was war das nun wieder? Nerlich antwortete auf meine Frage: »Mögen se brüllen, daß ihnen die Zunge aus dem Halse hängt. Sie jagen sich bloß die Fliegen mit dem Klee, und unsereins muß sich schinden, bis man ihn runtergehauen hat. Wenn dann der Herr kommt und den Klee auf dem Dünger liegen sieht, krieg ich's.« Ich stand dann natürlich dabei, bis die Kühe versorgt waren, aber es kochte in mir, und wenn nicht die Ernte nahe gewesen wäre, so hätte ich meinen Mann gebeten, den Nerlich gleich an die Luft zu setzen. Man konnte sich bei diesen Leuten nicht vom Hofe rühren, und das Bild des Thomas stieg immer leuchtender und reiner vor unserm geistigen Auge aus, und schließlich war unsere Geduld zu Ende und Nerlich flog hinaus.

Mein Mann sprach später mal den Prinzipal, der den Nerlich drei Jahre gehabt hatte. »Ja,« sagte der, auf meines Mannes Frage, wie er mit dem Kerl so lange ausgekommen wäre, ziemlich verlegen, »ja, meine Leute haben sich vor dem Kerl geradezu gefürchtet, sie meinten, er könne hexen und würde das ganze Vieh verhexen, wenn man ihm kündigte. So schlimm hat er es übrigens bei mir nicht getrieben.« Als mir mein Mann das sagte, entgegnete ich ruhig: »Manches entgeht Manchem, weil Mancher Manches nicht sieht.« Übrigens erfuhren wir auch nach und nach, wie Nerlichs zu den meisten Sachen ihrer Einrichtung gekommen waren. Er heilte mit seinem Hokuspokus das kranke Vieh im ganzen Dorfe, wahrscheinlich benützte er dazu auch die vom Tierarzt verschriebenen Medikamente, die bei uns oft ein überraschend schnelles Ende genommen hatten. Und so mag er manchmal wirklich geholfen haben. Dafür ließ er sich aber nicht bar bezahlen, so schlau war er, sondern er äußerte nur beiläufig einen Wunsch. So kamen denn, je nach dem Wert seiner Leistung, große und kleine »Geschenke« ins Haus, wir haben ihn nicht fortgelobt, sondern alle seine Talente gewissenhaft aufgezählt, als wir nach ihm gefragt wurden, verhext hat er deshalb unser Vieh nicht, es gedieh vielmehr in der Hand seines Nachfolgers bestens, aber noch oft wurde sein Name im Kuhstall laut. Gab eine Kuh nicht richtig die Milch, so hieß es: »Die is schon bei Nerlichs Zeiten verturben gewest«; wollte ein Stück Jungvieh durchaus nicht gedeihen, so sagte sicher die fütternde Magd: »Das hat der alte Nerlich abgesetzt, da is kein Gedeih dabei.«

Es dauerte lange, ehe das Stallpersonal den »neuen Kuhmann« der Vergessenheit überließ.


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