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27.
Emil Borkhausen macht sich nützlich

Während Enno Kluge und Frau Häberle sich zu einer Lebensgemeinschaft vereinten, die so schnell wieder zerbrach, hatte Kommissar Escherich schwere Zeiten hinter sich. Er hatte es verschmäht, seinem Vorgesetzten Prall zu verheimlichen, daß Enno Kluge seinen Beschattern so schnell wieder entronnen und, ohne eine Spur zu hinterlassen, im Meer der Großstadt untergetaucht war.

Kommissar Escherich hatte ergeben all die Beschimpfungen auf sich herabhageln lassen, die infolge dieses Geständnisses fällig waren: er war ein Idiot, er war ein Nichtskönner, man würde ihn einlochen, diese Schlafmütze, die es in fast einem Jahr nicht mal fertiggebracht hatte, einen blöden Postkartenschreiber zu ermitteln!

Und hatte er mal eine Spur, so ließ er den Kerl wieder laufen. Trottel, der er war! Eigentlich hatte Kommissar Escherich Beihilfe zum Hochverrat geleistet, und danach würde man auch mit ihm verfahren, wenn er nicht binnen heute und einer Woche diesen Enno Kluge dem Obergruppenführer Prall vorführte.

Ja, Kommissar Escherich hatte diese Beschimpfungen ergeben angehört. Aber sie hatten eine seltsame Wirkung auf ihn: trotzdem er genau wußte, daß dieser Enno Kluge nicht das geringste mit den Postkarten zu tun hatte, daß er ihm nicht einen Schritt weiter auf dem Wege zur Feststellung des wirklichen Täters helfen konnte, trotzdem konzentrierte sich plötzlich das Interesse des Kommissars fast nur auf die Feststellung des kleinen, bedeutungslosen Enno Kluge. Es war auch wirklich zu ärgerlich, daß diese Wanze, mit der er seinen Vorgesetzten so schön hatte hinhalten wollen, ihm durch die Finger geschlüpft war. In dieser Woche war der Klabautermann besonders fleißig gewesen: drei Karten von ihm landeten auf dem Schreibtisch des Kommissars. Aber zum erstenmal, seit er diese Sache bearbeitete, interessierten Escherich die Karten und der Schreiber überhaupt nicht. Er vergaß sogar, auf seinem Stadtplan von Berlin die Fundstelle mit Fähnchen zu markieren.

Nein, erst wollte er diesen Enno Kluge wiederhaben, und Kommissar Escherich machte wirklich ungewöhnliche Anstrengungen, den Mann zu kriegen. Er fuhr sogar ins Ruppinsche, zu Eva Kluge, für alle Eventualitäten mit einem Haftbefehl gegen sie und gegen ihn ausgerüstet. Aber er sah doch bald, daß diese Frau wirklich nicht das geringste mehr mit dem Manne zu tun hatte und daß sie sehr wenig von seinem Leben im letzten Jahre wußte.

Was sie wußte, erzählte sie dem Kommissar, nicht besonders bereitwillig und nicht grade widerspenstig, sondern völlig gleichgültig. Dieser Frau war es ersichtlich ganz gleichgültig, was mit dem Mann wurde, was er getan hatte oder nicht getan hatte. Der Kommissar erfuhr von ihr nur die Namen von zwei oder drei Lokalen, in denen Enno Kluge früher verkehrt hatte, er hörte von seiner Wettleidenschaft und erfuhr auch die Adresse einer gewissen Tutti Hebekreuz, von der mal ein Brief in die Wohnung gekommen war. In diesem Brief war Enno Kluge beschuldigt worden, der Hebekreuz Geld und Lebensmittelkarten gestohlen zu haben. Nein, Frau Kluge hatte dem Mann, als sie ihn das letzte Mal sah, weder den Brief ausgehändigt noch zu ihm davon gesprochen. Nur die Adresse hatte sie zufällig behalten, als Briefträgerin hatte sie für Adressen ein besonders gutes Gedächtnis.

Mit diesem Wissen ausgerüstet, war Kommissar Escherich nach Berlin zurückgekehrt. Getreu seinem Grundsatz, Fragen zu stellen, aber keine zu beantworten, kein Wissen weiterzugeben, hatte er sich gehütet, der Frau Kluge eine Andeutung von dem Verfahren zu machen, das gegen sie in Berlin lief. Viel brachte er also nicht mit nach Hause, aber es war doch ein Anfang gemacht, die Spur einer Spur gewissermaßen – und er konnte dem Prall doch zeigen, daß er etwas tat, nicht nur wartete. Darauf kam es den Herren oben allein an, daß etwas getan wurde, mochte es auch das Falsche sein, wie ja der ganze Fall Kluge falsch war. Aber Warten vertrugen die Herren nicht.

Die Erkundigungen bei der Hebekreuz verliefen erfolglos. Sie hatte den Kluge in einem Café kennengelernt, sie kannte auch seine Arbeitsstelle. Er hatte zweimal einige Wochen bei ihr logiert, jawohl, das war richtig, sie hatte ihm wegen Geld und Lebensmittelkarten geschrieben. Aber das hatte er bei seinem zweiten Besuch aufgeklärt, die hatte ein anderer Untermieter geklaut, nicht der Enno.

Dann war er wieder abgehauen, ohne ihr was zu sagen, wohl zu irgendeinem Weib, das war so Ennos Art. Nein, sie hatte natürlich nie etwas mit ihm gehabt. Nein, sie hatte keine Ahnung, wohin er gezogen war. Aber hier in dieser Gegend war er bestimmt nicht, sonst hätte sie längst mal von ihm gehört.

In den beiden Kneipen war er bekannt unter dem Namen Enno, jawohl. Er hatte sich lange nicht sehen lassen, nein, aber er kam immer mal wieder. Jawohl, Herr Kommissar, wir lassen uns nichts merken. Wir sind solide Kneipiers, bei uns verkehren nur anständige Leute, die Interesse für den edlen Rennsport haben. Wir werden Ihnen sofort einen Wink geben, wenn er wieder auftaucht. Heil Hitler, Herr Kommissar!

Kommissar Escherich setzte zehn Leute an, die bei allen Buchmachern und Kneipiers im Norden und Osten Berlins Nachfrage nach Enno Kluge halten sollten. Und während Escherich das Ergebnis dieser Aktion abwartete, geschah ihm das zweite Merkwürdige: plötzlich schien es ihm nicht mehr ganz ausgeschlossen, daß dieser Enno Kluge doch etwas mit den Karten zu tun hatte. Zu merkwürdige Zusammenhänge geisterten um diesen Burschen: die beim Arzt gefundene Karte, und dann die Ehefrau, erst Nazistin, und plötzlich dieser Antrag, aus der Partei austreten zu dürfen, vermutlich, weil der Sohn in der SS etwas getan hatte, was der Mutter nicht gefiel. Vielleicht war der Enno Kluge viel geriebener, als der Kommissar gedacht hatte, vielleicht hatte er auch andern Dreck am Stecken als diese Karte, aber Dreck hatte er zu verscharren, das schien fast sicher.

Dies bestätigte auch der Assistent Schröder, mit dem der Kommissar zur Auffrischung seines Gedächtnisses den ganzen Fall noch einmal langsam durchsprach. Auch der Assistent Schröder hatte das Gefühl gehabt, mit dem Kluge stimmte was nicht, er verbarg etwas. Nun, man würde ja sehen, in dieser Sache würde bald etwas erfolgen. Der Kommissar hatte das im Gefühl, und in solchen Dingen täuschte ihn sein Gefühl nur selten.

Und dieses Mal täuschte es ihn wirklich nicht. Es geschah in diesen Tagen der Bedrohung und des Ärgers, daß dem Kommissar gemeldet wurde, ein gewisser Borkhausen bitte, ihn sprechen zu dürfen.

Borkhausen? fragte sich Kommissar Escherich. Borkhausen? Was soll denn das für ein Borkhausen sein? Ach so, ich weiß schon, dieser kleine Spitzel, der für acht Groschen seine Mutter verraten würde.

Und laut: »Soll reinkommen!« Als der Borkhausen aber eintrat, sagte er zu ihm: »Wenn Sie mir nur was über die Persickes erzählen wollen, können Sie gleich wieder kehrtmachen!«

Der Borkhausen sah den Kommissar fest an und schwieg. Er tat so, als ob er doch beabsichtigte, über die Persickes zu reden.

»Na also!« sagte der Kommissar. »Warum machen Sie nicht kehrt, Borkhausen?«

»Der Persicke hat doch den Radio von der Rosenthal, Herr Kommissar«, sagte er vorwurfsvoll. »Ich weiß es jetzt genau, ich habe ...«

»Die Rosenthal?« fragte Escherich. »Das ist doch die olle Jüdsche, die in der Jablonskistraße aus dem Fenster gesprungen ist?«

»Das ist sie!« bestätigte Borkhausen. »Und den Radio hat er ihr einfach geklaut, das heißt, da war sie schon tot, aber aus der Wohnung ...«

»Nun will ich Ihnen mal was sagen, Borkhausen«, erklärte Escherich. »Ich habe mich mit dem Kommissar Rusch über den Fall besprochen. Wenn Sie damit nicht aufhören, gegen die Persickes zu stänkern, so fahren wir hier mit Ihnen Schlitten. Wir wollen von dieser Geschichte kein Wort mehr hören – und von Ihnen schon gar nicht! Sie sind der allerletzte, der in dieser Sache rumstochern dürfte. Ja, Sie, Borkhausen!«

»Aber er hatte den Radio doch geklaut ...« fing Borkhausen mit jener sturen Hartnäckigkeit wieder an, die nur blinder Haß verleiht. »Wo ich es ihm doch direkt beweisen kann ...«

»Jetzt nur noch raus, Borkhausen, oder ich lasse Sie abführen, hier bei uns in den Keller!«

»Dann gehe ich aufs Präsidium am Alex!« erklärte Borkhausen tiefgekränkt. »Was Recht ist, muß Recht bleiben, und geklaut ist geklaut ...«

Aber Escherich war etwas anderes eingefallen, nämlich ein Fall Klabautermann, der fast ständig seine Gedanken beschäftigte. Er hörte gar nicht mehr auf den Idioten. »Sagen Sie mal, Borkhausen«, sagte er. »Sie kennen doch auch einen Haufen Leute und gehen viel in die Kneipen? Kennen Sie vielleicht einen gewissen Enno Kluge?«

Borkhausen, der ein Geschäft witterte, sagte noch verdrossen: »Einen gewissen Enno kenne ich. Ob er weiter Kluge heißt, soviel ist mir nicht bekannt. Ich hab eigentlich immer gedacht, Enno wäre sein Nachname.«

»Kleiner, schmächtiger Mann, blaß, leise und schüchtern?«

»Das könnte auf meinen stimmen, Herr Kommissar.«

»Heller Paletot, großkarierte braune Sportmütze?«

»So kenne ich ihn.«

»Hat ewig Weibergeschichten?«

»Von Weibergeschichten ist mir bei meinem nichts bekannt. Wo ich den gesehen habe, da verkehren keine Weiber.«

»Kleiner Pferdewetter ...«

»Stimmt, Herr Kommissar.«

»Lokale: ›Ferner liefen‹ und ›Vor dem Start?‹«

»Derselbe, Herr Kommissar. Ihr Enno Kluge, das ist mein Enno!«

»Den müssen Sie mir finden, Borkhausen! Hängen Sie den ganzen blöden Persicke-Rummel an den Nagel, der trägt Ihnen bloß noch KZ ein! Kriegen Sie mir lieber raus, wo der Enno Kluge steckt!«

»Aber das ist doch kein Fisch für Sie, Herr Kommissar!« rief Borkhausen abwehrend. »Das ist doch ein ganz kleiner Pinkel! Ein reiner Nebbich ist das! Was wollen Sie denn mit solchem Idioten, Herr Kommissar?«

»Das lassen Sie nur meine Sache sein, Borkhausen! Wenn ich durch Sie den Enno Kluge kriege, sollen Sie fünfhundert Mark verdient haben!«

»Fünfhundert Mark, Herr Kommissar? Fünfhundert Mark sind zehn von meinen Ennos noch nicht wert! Da muß ein Irrtum vorliegen.«

»Vielleicht liegt da sogar wirklich ein großer Irrtum vor, aber das geht Sie nichts an, Borkhausen. Sie kriegen Ihre fünfhundert Eier – so und so!«

»Na denn! Wenn Sie's sagen, Herr Kommissar, dann will ich mal sehen, daß ich den Enno fasse. Aber ich zeige Ihnen den Mann bloß, ich bringe ihn nicht her. Mit so einem rede ich ja gar nicht ...«

»Was habt ihr beide denn miteinander gehabt? Sonst bist du doch nicht so empfindlich, Borkhausen! Sicher habt ihr irgendeinen Mist zusammen vergraben. Aber ich will nicht in eure zarten Geheimnisse dringen, schwimm ab, Borkhausen, und stell mir den Kluge!«

»Ich möchte noch um einen kleinen Vorschuß gebeten haben, Herr Kommissar. Nein, um keinen Vorschuß«, verbesserte er sich, »sondern um Geld für meine Spesen.«

»Was hast du denn für Spesen, Borkhausen? Das würde mich doch interessieren.«

»Ich muß mit der Bahn fahren, in allen möglichen Kneipen muß ich rumstehen, hier eine Molle, da eine Runde ausgeben, das läuft ins Geld, Herr Kommissar! Aber, ich denke, fünfzig Mark werden genügen.«

»Ja, wenn der großmächtige Borkhausen ausgeht, da warten alle schon, daß er was ausgibt! Na, ich will dir zehn Mark geben, und nun hau wirklich ab. Glaubst du, ich habe nichts anderes zu tun, als mit dir rumzuquatschen?«

Borkhausen war tatsächlich der Ansicht, daß so ein Kommissar nichts anderes zu tun hatte, als den Leuten die Würmer aus der Nase zu ziehen und andere für sich arbeiten zu lassen. Aber er hütete sich wohl, das auszusprechen. Er ging nun wirklich zur Tür, wobei er sagte: »Aber wenn ich Ihnen den Kluge schaffe, müssen Sie mir auch bei den Persickes helfen. Die Brüder haben mich zu sehr in Rage gebracht ...«

Mit einem Satz war Escherich hinter ihm drein, packte ihn an der Schulter und hielt ihm die Faust unter die Nase.

»Siehst du die?« schrie er wütend. »Willste mal riechen an der Knospe, du dämlicher Hund? Noch ein Wort von den Persickes, und ich schicke dich in den Bunker, und wenn auch alle Enno Kluges von der Welt frei rumlaufen!«

Und er gab dem Überraschten einen Stoß mit dem Knie in den Hintern, daß er wie eine Kanonenkugel in den Gang schoß. Er war aber grade auf eine SS-Ordonnanz abgeschossen, die ihm einen weiteren kräftigen Tritt versetzte ...

Der Lärm, den diese zwei Abschüsse verursachten, hatte zwei SS-Posten am Treppenpodest aufmerken lassen. Sie nahmen den noch taumelnden Borkhausen in Empfang und warfen ihn die Treppe hinab, genau wie einen Kartoffelsack, drunter und drüber, ganz egal, wie's grade kam.

Und als Borkhausen unten ächzend und ein wenig blutend liegenblieb, aber nur wenig, noch ganz betäubt von dem Sturz, faßte ihn der nächste Posten beim Kragen, schrie: »Willst du Schwein uns hier den schönen Fußboden vollsauen?«, schleppte ihn zum Ausgang und warf ihn auf die Straße.

Der Kommissar Escherich hatte den Anfang dieses Sturzes, bis die Treppe ihn seinen Blicken entzog, mit Behagen angesehen.

Die Vorübergehenden auf der Prinz-Albrecht-Straße vermieden es ängstlich, den im Dreck liegenden Unglücklichen zu betrachten, denn sie wußten es ja, aus welchem gefährlichen Hause er hinausgeworfen war. Es war vielleicht schon ein Verbrechen, solchen Verunglückten mitleidig anzusehen, helfen durfte man ihm schon gar nicht. Der Posten aber, der mit schweren Schritten jetzt wieder am Ausgang auftauchte, sagte: »Wenn du Schwein in drei Minuten noch unsere Fassade schändest, denn mache ich dir Beine, und das nicht zu knapp!«

Das half. Borkhausen raffte sich auf und taumelte mit schweren, schmerzenden Gliedern nach Hause. Innerlich aber brannte er mal wieder vor hilflosem Haß und Zorn, und dieser Haß brannte ihn stärker, als seine Verletzungen weh taten. Er war fest entschlossen, für diesen Schurken von Kommissar keine Hand zu rühren, der sollte sich seinen Enno Kluge allein suchen!

Aber am nächsten Tage, als der Zorn etwas gelinder geworden war und die Stimme der Vernunft wieder zu sprechen anfing, sagte er sich, daß er erstens vom Kommissar Escherich zehn Mark bekommen hatte, und für die mußte er arbeiten, sonst bekam er unweigerlich eine Betrugsanzeige. Und zweitens war es überhaupt nicht gut, es mit so hohen Herren ganz zu verderben. Die hatten nun mal die Macht, und wer klein war, der mußte sich fügen. Das mit dem Rausschmiß gestern hatte sich schließlich von selbst ergeben. Wäre er nicht gegen die Ordonnanz geprallt, wäre es ganz gelinde abgegangen. Sie sahen es wohl als einen Witz an, und wenn Borkhausen gesehen hätte, daß man einen andern so behandelte, hätte er auch herzlich gelacht, zum Beispiel über einen gleicherweise abgefeuerten Enno Kluge.

Ja, das war der dritte Grund, warum Borkhausen den Auftrag doch lieber ausführte: er konnte damit dem Enno Kluge eins auswischen, der ihm durch seine blöde Sauferei das ganze schöne Geschäft vermasselt hatte.

So begab sich Borkhausen, wenn auch mit schmerzenden Knochen, so doch guten Willens voll, in jene beiden Lokale, die auch der Kommissar Escherich aufgesucht hatte, und in einige weitere noch. Er fragte nicht nach Enno bei den Wirten, er stand nur da und lümmelte sich, er trank langsam, über eine Stunde, an einer Molle, redete auch ein bißchen von Pferden, über die er durch das ewige Zuhören sogar etwas wußte (war aber gänzlich von jeder Wettleidenschaft frei) – und ging dann in das nächste Lokal, um es dort genauso zu machen. Er hatte Geduld, der Borkhausen, er konnte es ganze Tage so treiben, ihm kam es nicht darauf an.

Aber er brauchte gar nicht viel Geduld zu haben, denn schon am zweiten Tag sah er den Enno im Lokal »Ferner liefen«. Er erlebte den Adebar-Triumph des Schmächtigen und empfand einen heftigen Neid wegen des Massels, den solch ein Idiot entwickelte. Außerdem wunderte ihn der Fünfzigmarkschein, den Kluge dem Buchmacher gegeben hatte. Durch Arbeit war der nicht erworben, das roch Borkhausen sofort. Der mußte sich ganz hübsch gebettet haben, der kleine Schleicher, der!

Es ist ganz selbstverständlich, daß die Herren Borkhausen und Kluge einander nicht kannten, sie sahen sich nicht einmal.

Nicht ganz so selbstverständlich ist es, daß der Kneipier den Kommissar Escherich nicht anrief, trotz seines festen Versprechens. Aber das war ja nun so, daß man die Gestapo fürchtete und in ständiger Angst vor ihr lebte; aber etwas anderes war es, ihr Handlangerdienste zu tun. Nein, so weit ging es auf der andern Seite auch nicht, daß Enno Kluge gewarnt wurde, aber jedenfalls wurde er nicht verraten.

Übrigens vergaß der Kommissar Escherich nicht diesen unterlassenen Anruf. Er gab einer bestimmten Abteilung darüber Nachricht, worauf dort über den Kneipier eine Kartothekkarte angelegt wurde, auf der das Wort »Unzuverlässig« stand. Eines Tages, früher oder später, würde es der Kneipier schon zu spüren bekommen, was das hieß, bei der Gestapo für unzuverlässig zu gelten.

Von den beiden Herren verließ Borkhausen zuerst das Lokal. Er ging aber nicht weit, sondern baute sich hinter einer Litfaßsäule auf, wo er in heiterer Ruhe den Abgang des Kleinen erwartete. Borkhausen war ein Beschatter, der sein Opfer so leicht nicht aus dem Auge verlor, und dieses Opfer schon gar nicht. Er brachte es sogar fertig, sich auf der U-Bahn in den gleichen Wagen mit ihm zu quetschen, und obwohl Borkhausen lang war, sah ihn Enno Kluge nicht.

Enno Kluge dachte nur an seinen Triumph mit Adebar, an das Geld, das endlich wieder einmal reichlich in seiner Tasche knisterte, und dann dachte er an Hete, bei der er es doch sehr gut hatte. Mit Liebe und Rührung dachte er an die gute, ältliche Zerfließende, aber er dachte nicht daran, daß er sie vor ein paar Stunden belogen und bestohlen hatte.

Freilich, als er dann vor dem Laden ankam und sah, der Rolladen war hochgezogen, und sie wirkte schon wieder im Geschäft, und sie hatte ihm sein Weglaufen bestimmt übelgenommen, da sank seine gute Stimmung wieder. Aber mit dem Fatalismus, mit dem sich Leute seines Schlages auch in das Widrigste fügen, betrat er den Laden und ging seiner Abreibung entgegen. Daß er aber, mit solchen Gedanken beschäftigt, nicht grade sehr genau darauf achtete, wer ihm auf den Fersen saß, das kann niemanden wundernehmen.

Der Borkhausen hatte den Kluge im Laden verschwinden sehen. Er stand etwas entfernt in einem Torweg, denn er nahm an, Kluge wolle dort etwas kaufen und werde gleich wieder herauskommen. Aber die Kunden gingen und kamen, gingen und kamen, und Borkhausen wurde schon ganz nervös. Wenn er Kluges Herauskommen übersehen hatte – er hatte die fünfhundert Eier schon ganz sicher in seiner Tasche gefühlt, diesen Abend noch.

Nun ging laut der Rolladen herunter, und jetzt war es sicher: der Enno hatte sich irgendwie verdrückt. Vielleicht hatte er doch Witterung von seinem Beschatter gehabt, war unter irgendeinem Vorwand durch den Laden in das Haus gegangen und durch die Haustür wieder heraus. Borkhausen verfluchte sich ob seiner Dummheit, nicht auch die Haustür im Auge behalten zu haben. Immer hatte er nur auf die Ladentür geglotzt, Kamel, das er war!

Nun, es gab ja die Möglichkeit, Enno morgen oder übermorgen wieder in dem Lokal zu treffen. Jetzt, wo er durch Adebar so einen Reibach gemacht hatte, würde sein Wettfimmel ihm schon keine Ruhe lassen. Er würde jeden Tag kommen und solange wetten, bis das Geld alle war. Ein Außenseiter wie Adebar lief nicht alle Wochen, und wenn er lief, hatte man nicht auf ihn gesetzt. Der Enno würde sein Geld schon rasch loswerden.

Der Borkhausen schob auf seinem Heimweg noch nahe an dem kleinen Tierladen vorbei. Da sah er plötzlich durch die Schaufensterscheibe (nur die Ladentür war durch den Rolladen versperrt), daß ein einsames Licht im Laden brannte, und wie er nun die Nase an der Scheibe platt drückte und über die Aquarien durch die Vogelkäfige linste, da sah er, daß noch zwei Gestalten im Laden wirkten: ein aufgegangener Pudding von einer Alten im gefährlichsten Alter, wie er gleich richtig schätzte, und dazu sein Freund Enno. Enno in Hemdsärmeln und einer blauen Schürze, der fleißig Futternäpfe füllte, Wasser eingoß, einen Scotch putzte.

Was für einen Dusel solch ein Idiot wie der Enno doch hatte! Was die Weiber an dem nur sahen? Er, der Borkhausen, saß fest mit der Otti und fünf Blagen, und so ein oller Knacker, der kam daher und setzte sich gleich in eine ganze Tierhandlung, komplett mit Frau, Fischen und Vögeln.

Verächtlich spuckte Borkhausen aus. Was für eine saublöde Welt das war, die dem Borkhausen alles Gute vorenthielt, um es einem solchen Idioten in den Schoß zu werfen!

Aber je länger Borkhausen guckte, um so klarer wurde ihm, daß um das Paar da drinnen kein Liebeszauber blühte. Sondern sie redeten kaum miteinander, sie sahen sich fast nie an, und es war sehr möglich, daß der kleine Enno Kluge nichts darstellte als einen Arbeiter, der die Frau da drinnen beim Aufräumen des Ladens unterstützte. Dann mußte er in absehbarer Zeit aus dem Haus herauskommen.

Borkhausen zog sich also von neuem auf seinen Beobachtungsposten im Torweg zurück. Da der Rolladen geschlossen war, würde Kluge aus der Haustür kommen, und so behielt Borkhausen die im Auge. Aber das Licht im Laden war erloschen, und Kluge war noch immer nicht gekommen. Da entschloß sich Borkhausen, viel zu wagen. Auf die Gefahr hin, den Enno im Treppenhaus zu treffen, schlich er sich in das Haus.

Borkhausen notierte zuerst den Namen »H. Häberle« in seinem Hirn und schlich dann auf den Hof hinaus. Und siehe, er hatte Glück, sie brannten schon Licht, obwohl es kaum dämmerig geworden war, und an einem schiefhängenden Store vorbeiblickend konnte Borkhausen die Stube bestens übersehen. Was er da aber sah, das überraschte ihn derart, daß er fast einen Schreck bekam.

Denn da kniete sein Freund Enno auf der Erde, kniend rutschte er hinter der dicken Frau her, die mit ängstlich angezogenen Röcken Schritt für Schritt vor ihm zurückwich. Ennochen aber hatte die Ärmchen erhoben, er schien zu weinen und Klagelaute auszustoßen.

Ihr lieben Leute! dachte Borkhausen und trat auf seinem Beobachtungsposten vor Entzücken von einem Bein auf das andere, ihr lieben Leute, wenn ihr euch so Appetit auf die Nacht macht, dann proste Mahlzeit, dann seid ihr ja verdammt ulkige Kruken! Da will ich gerne hier die halbe Nacht stehen und euch zukieken.

Aber da schlug die Tür hinter der Alten zu, und der Enno stand an der Tür, bewegte die Klinke auf und ab und schien weiter zu flennen und zu beschwören.

Vielleicht war's nicht nur so 'ne kleine Vorfeier für die Nacht, dachte Borkhausen. Vielleicht haben sie sich gestritten, oder Enno hat was von ihr haben wollen, was sie ihm nicht gibt, oder sie will überhaupt von dem verliebten alten Gockel nichts wissen ... Was geht es mich an? Jedenfalls bleibt er hier zur Nacht, wozu wäre ihm sonst auf dem Sofa ein so schönes weißes Bettchen zurechtgemacht?

Der Enno Kluge stand grade vor dem Bettchen. Borkhausen konnte das Gesicht seines ehemaligen Kumpels ganz deutlich sehen. Es war zum Verwundern, wie es jetzt ausschaute. Eben noch Weinen und Wehklagen, und nun grinste der Mann, sah zur Tür, grinste wieder ...

Der hat der Alten also nur ein Theater vorgespielt. Na, denn also, mein Junge, viel Glück! Ich fürchte nur, der Escherich spuckt dir in deine Suppe!

Der Kluge hatte sich eine Zigarette angesteckt. Nun ging er direkt auf das Fenster zu, durch das Borkhausen spähte. Der fuhr erschrocken zur Seite – das Verdunklungsrouleau sauste herunter, und Borkhausen konnte ruhig seinen Beobachtungsposten für diese Nacht aufgeben. Große Aufregungen waren nicht mehr zu erwarten, wenigstens würde er davon nichts mehr zu sehen bekommen. Der Enno aber war ihm für diese Nacht sicher ...

Eigentlich war mit dem Kommissar Escherich vereinbart worden, daß Borkhausen ihn sofort nach der Entdeckung Enno Kluges anrufen sollte, einerlei ob Tag oder Nacht. Aber wie Borkhausen da in der Nacht immer weiter vom Königstor fortging, wurde ihm stets zweifelhafter, ob ein sofortiger Anruf wirklich das Richtige war, das für Borkhausens Nutzen. Ihm war eingefallen, daß es in dieser Sache doch zwei Parteien gab, daß er also eigentlich von beiden Nutzen ziehen konnte.

Das Geld von Escherich war ihm sicher, warum sollte er nicht versuchen, auch aus Enno Kluge ein bißchen Geld zu machen? Da hatte dieser Bursche einen Fünfzigmarkschein in der Hand gehabt, den er durch den Sieg Adebars auf über zweihundert Mark vermehrt hatte – nun, warum sollte nicht er, Borkhausen, auch dieses Geld haben? Dem Escherich geschah kein Schaden dadurch, der bekam seinen Enno trotzdem, und Enno geschah auch kein Schade, denn die auf der Gestapo nahmen ihm doch das Geld ab. Also?

Und dann war da diese dicke Frau, hinter der Enno so komisch auf den Knien gerutscht war. Die hatte sicher Geld, vielleicht sogar eine ganze Menge. Das Geschäft sah gut aus, hatte noch viel Ware, und an Kunden schien es ihr auch nicht zu fehlen. Nein, diese Flennerei und Rutscherei Kluges sah nicht grade danach aus, daß die beiden schon in allen Dingen einig waren, das nicht, zugegeben, aber wer liefert denn grade einen Liebhaber, und sei es auch ein abgewiesener, der Gestapo aus? Die Tatsache, daß die Alte den Enno trotz der Abweisung noch bei sich duldete, daß sie ihm ein Nachtlager auf dem Sofa bereitet hatte, bewies, daß ihr noch was an Enno lag. Und lag ihr noch was an dem alten Graukopf, so würde sie auch zahlen, vielleicht nicht viel, aber doch etwas. Und dieses Etwas wollte Borkhausen sich keinesfalls entgehen lassen.

Wenn Borkhausen so weit mit seinen Gedanken gekommen war – und er kam auf diesem Heimweg und in der Nacht neben seiner Otti liegend noch mehrfach so weit –, so faßte ihn immer ein leichter Schreck, denn dann fiel ihm ein, daß er ein ziemlich gefährliches Spiel vorhatte. Dieser Escherich war bestimmt kein Mann, der Eigenmächtigkeiten duldete, alle diese Herren bei der Gestapo waren nicht so, und es war die einfachste Sache von der Welt für ihn, einen Mann ins KZ zu schicken. Vor dem KZ aber hatte Borkhausen eine gewaltige Angst.

Immerhin war er so weit von all den Verbrechergedanken und ihrer Moral angesteckt, daß er sich sagte, ein Ding, das zu drehen war, müsse auch gedreht werden, das gehörte sich nun einmal so. Und dieses Ding ließ sich unzweifelhaft drehen. Borkhausen würde die ganze Sache erst noch einmal beschlafen, und wenn es dann Morgen war, würde er wissen, ob er gleich zu Escherich ging oder erst bei Kluge vorschaute. Jetzt wollte er schlafen ...

Aber er schlief nicht ein, sondern überlegte, daß einer in dieser Sache zu wenig war. Er, Borkhausen, mußte ein wenig Beweglichkeit haben. Er mußte zum Beispiel rasch zu Escherich, und solange war der Enno Kluge ohne Bewachung. Oder wenn er die Dicke in die Zange nahm, lief unterdes der Enno womöglich fort. Nein, einer war zu wenig. Aber es gab keinen zweiten, dem er vertrauen konnte, und außerdem würde dieser zweite seinen Anteil an dem Geschäft verlangen. Und für Teilen war Borkhausen gar nicht.

Schließlich fiel Borkhausen ein, daß unter seinen fünf Gören doch auch ein Sohn von dreizehn Jahren war, unter Umständen sogar sein Sohn. Er hatte immer das Gefühl gehabt, daß dieser Bengel mit dem piekfeinen Namen Kuno-Dieter vielleicht doch von ihm sein könne, trotzdem die Otti stets behauptet hatte, er sei von einem Grafen, einem Großgrundbesitzer aus Pommern. Aber Otti war immer eine Angeberin gewesen, wie schon der Vorname des Jungen – nach seinem angeblichen Vater – bewies.

Mit einem schweren Seufzer entschloß Borkhausen sich, den Jungen als Reserveaufpasser mitzunehmen. Das würde nicht mehr als ein bißchen Krach mit der Otti und ein paar Mark für den Jungen kosten. Dann fingen Borkhausens Gedanken von neuem an, über alledem zu kreisen, wurden langsam undeutlicher, und schließlich war er doch eingeschlafen.


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