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Schwere Augenblicke warteten noch auf Viola, bevor er seinen Vorsatz ausführen konnte. Sein Entschuß war unerschütterlich, aber unter welchem Vorwande konnte er sich entfernen, ohne seine Frau zu beunruhigen? Seit sie auf dieser Tanya wohnten, war Susi immer in der größten Unruhe, wenn sich ihr Mann auch nur auf einige Stunden entfernte, und diese in ihrer Lage so natürliche Aengstlichkeit war seit dem Tode ihrer Kinder noch größer geworden. Außer ihrem Manne hatte sie nichts auf der Welt, und schwebte dieser nicht in unausgesetzter Gefahr, erkannt zu werden, wenn er unter Menschen ging? Hundertmal wollte Viola seiner Frau Kunde geben, daß er noch diese Nacht auf einige Tage fort müsse, und hundertmal verschob er es. Einmal schien es ihm, als ob Susi heiterer sei als gewöhnlich, und in einem solchen Augenblicke wollte er ihre Heiterkeit nicht stören; ein anderes Mal schien ihm der Ausdruck ihres Gesichts trauriger als sonst, und da schien ihm der Augenblick zu einer solchen Mittheilung nicht günstig, und ich weiß nicht, wie er seinen Vorsatz ausgeführt hätte, wenn Susi nicht seine Befangenheit und die geringen Reiseanstalten, die er traf, bemerkt und ihn deshalb befragt hätte. Er antwortete, daß während ihrer Abwesenheit der Befehl vom Ispán gekommen sei, aus dem benachbarten Comitate für den Herrn Vieh zu holen; Susi erbleichte, aber was konnte sie thun? Den Befehl mußte Viola vollziehen, den Grund, warum er die Tanya ungern verließ, konnte er Niemandem mittheilen, und die arme Frau mußte ihr Schicksal noch segnen, als ihr Mann tröstend sagte, daß der Ort, wohin er zu gehen habe, vom Taksonyer Comitate noch weiter entfernt sei, als ihr gegenwärtiger Wohnort. »Dort habe ich noch weniger zu besorgen, daß mich Jemand erkennt,« so sprach Viola öfter, und Susi, um ihres Mannes Lage nicht zu erschweren, stellte sich wenigstens so, als ob sie sich ganz beruhigt fühlte.
Viola, der wohl wußte, was ihn erwartete, und dem, so oft er seine Frau ansah, der Schmerz in den Sinn kam, den die Unglückliche empfinden würde, wenn sie die Wahrheit erführe, vermochte doch kaum trotz aller Charakterstärke seine Thränen zurückzuhalten, aber er bezwang sich, und als er am Abende Susi zum letzten Male an die Brust drückte und zu Pferd saß, bemerkte Niemand den unendlichen Schmerz, der seine Brust durchwühlte. Susi selbst ahnte nicht, daß sie zum letzten Male mit ihm gesprochen, als sie von seinen Lippen zum letzten Male »Gott sei mit Dir« hörte. Viola war Leiden längst gewöhnt; wie die finsteren Wogen des Meeres bedeckte der immer ernste Ausdruck seines Gesichtes den Schmerz, der in seiner Brust tobte; aber als er, auf seinem guten Rosse schnell dem Wald zueilend, so weit gelangt war, daß er von der Nachschauenden nicht mehr bemerkt werden konnte, brach der lange niedergekämpfte Schmerz aus und bittere Thränen stürzten ihm aus den Augen.
Es war schon Abend, als Viola die Tanya verließ; gegen Untergang verbreiteten die Strahlen der schon lange zur Rüste gegangenen Sonne nur mehr schwaches Licht, und der halbgefüllte Mond, der zwischen leichten Wolken am Himmel schwebte, ergoß sein Silberlicht bereits in vollem Glanze, und in der milden Beleuchtung ruhte Alles in feierlicher Stille. Die Schönheit der Natur vermag zwar nicht, großes Leid vergessen zu machen, aber sie nimmt die Bitterkeit desselben hinweg; statt der Leidenschaftlichkeit des Kummers, die wir unter Menschen oder in unserem Zimmer verschlossen fühlen, überschleicht die Seele stille Traurigkeit, es scheint, als ob die Natur unser Weh mitfühle, als ob jeder Stern mitleidsvoll auf uns herabblicke, und auf den großen Horizont umherschauend, fühlen wir ganz, wie klein wir sind, und unser Unglück scheint uns kleiner, wenn wir bedenken, wie wenig und wie vergänglich unser Leben ist. In der Ruhe, die Viola umgab, fühlte er sich auch selbst ruhiger. Er mäßigte den schnellen Lauf seines Rosses zum Schritt, er trocknete seine Thränen und blickte zu den Sternen auf, die von Himmelshöhen ihren Hoffnungsstrahl auf jeden Leidenden herabsenden.
Als er auf den Hügel gekommen war, von welchem aus er vor wenigen Monaten seine neue Tanya zum ersten Male gesehen hatte, blieb er einen Augenblick stehen und schaute zurück. Im unsichern Lichte des Mondes sah er in der Ferne nur einen weißen Punkt und unfern davon ein kleines Hirtenfeuer – und in den Sinn kamen ihm alle die Hoffnungen, mit denen er den Ort betreten, das Bittere, das er seither erlebt, die Kinder, die er dort am Hügelrande begraben, und endlich die unglückliche Frau, die jetzt der härteste Schlag des Lebens erwartete, und wieder rollten Thränen aus seinen Augen; aber nach diesen leidenschaftlichen Ausbrüchen des Schmerzes gewann Viola seine ganze Stärke wieder. »Wer kann dafür?« so sprach er, und mit einem schweren Seufzer setzte er seinen Weg fort, »seinem Schicksale kann Niemand entgehen, und ich bin zum Unglück geboren.«
Viola war entschlossen, nach Tiszarét zu gehen und sich Akos Réty zu übergeben, oder wenn er diesen nicht fände, wenigstens die alte Lipták zu seiner Frau zu schicken. Indem der Ort von der Tanya, wo er seine Frau gelassen, gute zwanzig Meilen entfernt war, und Viola, um von Niemand, besonders im Taksonyer Comitate, gesehen zu werden, alle betretenen Pfade vermied und meist nur des Nachts ritt, hatte er auf der langen Reise Zeit genug, über seine Lage nachzudenken. Seine Gedanken waren meist mit Susi beschäftigt. »Die Arme,« so sprach er oft zu sich selbst, »wenn ich nur nicht um sie besorgt sein müßte; wenn sie hört, daß ich mich dem Comitate übergeben habe, wird sie verzweifeln. Aber was konnte ich thun? Am Ende hätten sie doch erfahren, wo ich bin, und so gut mich der alte János aufgefunden hat, konnte dies ein Anderer auch, und dann stünde es mit mir noch schlimmer. Wenn ich mich aber jetzt selbst ausliefere, können sie mir wenigstens Tengelyi's Schriften nicht wegnehmen. Ich helfe ihm, und wer weiß, ob ich nicht am Ende begnadigt werde, wie János gesagt hat!«
Und dieser Gedanke war dem Unglücklichen zu nicht geringem Troste – wenn ein Mann je dem Tode ruhig entgegensah, so war es Viola, aber der Tod durch Henkershand erfüllt den Muthigsten mit Schaudern, und Viola – Susi's gedenkend – wollte lieber Alles erdulden, als das Eine, was dieses geliebte Wesen nicht überleben würde. »Mögen sie mich auf zehn Jahre einsperren,« so dachte er, »mögen sie mich martern, mögen sie mit mir thun, was sie wollen, das wird Susi bei Kraft erhalten, daß ich lebe und daß sie mir nützlich sein kann, und auch ich werde meine Pein geduldiger ertragen, wenn ich sie zuweilen sehen kann, und endlich hört doch Alles auf, und wie der alte János gesagt hat, kann ich meine Tage noch als ehrlicher Mann beschließen.« So ist die menschliche Natur; wenn wir in einer Lage sind, die keine frohe Aussicht mehr darbietet, hält der Hoffnungsanker an kleineren Uebeln fest, aber ohne Hoffnung vermögen wir nicht einen Tag zu bleiben.
Je mehr Viola über seine Lage nachdachte, um so ruhiger fühlte er sich; außer dem zweifachen Morde, zu dessen Entschuldigung er so viel Gründe vorbringen konnte, hatte er kein solches Verbrechen begangen, das eine große Strafe nach sich ziehen müßte, und daß er die Todesangst schon überstanden und sich jetzt selbst dem Gerichte überlieferte, mußte ihn von der Todesstrafe befreien. Und durfte er nicht auf Akos Réty zählen, und durch ihn auch auf die Theilnahme so vieler redlicher Männer, wenn er Tengelyi aus seiner gegenwärtigen unglücklichen Lage befreite? Als er in der dritten Nacht von Tiszarét nur mehr einige Meilen entfernt war, bestand seine größte Besorgniß darin, in die Hände von Nyúzó's Panduren zu fallen, bevor er sich und die Schriften Akos Réty oder Vándory ausliefern konnte. Viola war mit dem Grunde der Wichtigkeit dieser Schriften unbekannt, aber nachdem man ihm bei seiner letzten Gefangennehmung diese Schriften weggenommen und Nyúzó sie verleugnet hatte, mußte er fürchten, daß der Oberstuhlrichter, dessen Charakter er aus Erfahrung kannte, die Schriften, wenn sie jetzt in seine Hände kämen, vernichten würde, und er nahm sich vor, sich eher bis auf den letzten Tropfen Blut zu vertheidigen, als Tengelyi's Schriften anderen als ganz verläßlichen Händen zu übergeben.
Der Morgen graute schon, als er zum Szent-Vilmoser Walde gelangte. Sein Pferd, von dem er die ganze Nacht nicht abgesessen, war ermüdet; von dem Orte, wo er stand, hatte er noch zwei gute Stunden nach Tiszarét; ihn dauerte das gute Roß, das ihm so viele Dienste geleistet, er sah auch die Gefahr ein, die daraus entspringen konnte, wenn er, am hellen Tage dem Dorfe nahend und bevor er noch seinen Vorsatz auszuführen vermochte, erkannt und mit Gewalt zum Stuhlrichter geschleppt würde; aber der dichteste Theil des Waldes war eben diesen Winter gefällt worden, unter den Bäumen, besonders jetzt, wo die Zweige noch kein Laub getrieben hatten, war kein Versteck zu finden, und so schien es ihm doch räthlicher, den Weg fortzusetzen. Auf der großen Ebene – so dachte er – sehe ich Alles schon von weitem und kann ausweichen, wenn es Noth thut, »und Du, mein guter Holló Holló, Rappe, ein gewöhnlicher Pferdename in Ungarn.,« so sprach er und klopfte den Nacken des getreuen Rosses, »heute mußt Du noch Deinen Dienst thun, ich werde dafür sorgen, daß Du in gute Hände geräthst; vielleicht nimmt Dich der junge Herr Akos in seinen Stall und braucht Dich zum Hasenhetzen, das Laufen hast Du ja lernen können, sie haben Dich ja oft gejagt; ich werde nicht mehr auf Dir sitzen.« Und Viola, in tiefe Gedanken versunken, setzte seinen Weg fort, und als ob es den Kummer seines Herrn theilte, senkte das Pferd das Haupt und ging langsam unter den Bäumen weiter, zwischen denen es so oft eilend hingeflohen war.
Hufschlag erweckte ihn aus seinen trüben Gedanken; er schaute hin, und auf der andern Seite der kleinen waldumgrenzen Wiese, über die er eben ritt, gewahrte er drei Panduren, die, sobald sie ihn erblickten, ihre Pferde gegen ihn richteten. Ausweichen oder sich verbergen, war unmöglich, er spornte also das Roß und suchte in der Schnelligkeit sein Heil. »Stehe!« schrien seine Verfolger, »oder Du bist ein Kind des Todes!« und sie ihm nach; aber Holló war bei aller seiner Müdigkeit durch Pandurenrosse nicht so leicht einzuholen, und die paar Schüsse, die hinter Viola fielen, vermehrten nur des Rosses Schnelligkeit. Viola sprengte gerade gegen Tiszarét zu, die Panduren, die ihn nicht aus dem Auge verloren, jagten in einer gewissen Entfernung nach.
Akos war eben in Tiszarét. Der Vicegespan ging, seit seine Frau gestorben war, nicht mehr gern auf dies Gut, und hatte den Betrieb der Wirthschaft dem Sohne übertragen, der auch jetzt wegen der Frühlingsackerung mehrere Tage hier zubrachte, und weil auch ihm die Erinnerung an die Ereignisse der letzteren Zeit peinlich war, nicht im Schlosse, sondern bei dem alten Vándory wohnte. An dem Morgen, von welchem wir jetzt reden, war Vándory seiner Gewohnheit nach früh aufgestanden, und als er einen ganz wolkenlosen Himmel sah, konnte er der Sehnsucht nicht widerstehen, wieder einmal den Türkenhügel zu besuchen und von dort den Sonnenaufgang zu betrachten. Er hatte auch Akos aufgeweckt und ihn vermocht, mitzugehen, und so nahm der Prediger den Weg zu jenem Hügel, auf dem wir ihn am Anfange unserer Erzählung mit Tengelyi gefunden haben.
Es giebt wenig Menschen auf der Welt, die nicht viel verlieren, wenn man sie aus ihrem guten Schlafe erweckt, und Akos begleitete nicht in der besten Laune den alten Freund, der während des Gehens unausgesetzt von der Schönheit der aufgehenden Sonne sprach und im Vorgenusse des entzückenden Schauspiels schwelgte, das er auf dem Türkenhügel hoffte. Zur Schande des einen meiner Helden muß ich gestehen, daß der Sonnenaufgang selbst, obschon er die Gegend nie mit prächtigeren Farben erfüllt hatte, ihn nicht ganz zu überzeugen vermochte, daß es deshalb der Mühe werth gewesen sei, ihn aus seinen süßen Träumen zu erwecken. Um so mehr nahm ein anderer Gegenstand seine Aufmerksamkeit in Anspruch.
Seit dem letzten Herbste, wo Akos nach dem Hasenhetzen mit Tengelyi und Vándory auf dem Türkenhügel zusammengetroffen war, hatte er sich nicht hier befunden, und es ist natürlich, daß auf dem Platze ihm alle die Ereignisse in den Sinn kamen, die sich um den Hügel zugetragen, und daß er, des Sonnenaufganges beinahe vergessend, Vándory daran erinnerte. »So lebhaft erinnere ich mich daran, als ob es heute wäre,« sprach er, und wendete sich mit einem Seufzer zum Prediger; »wo wir jetzt stehen, stand damals der arme Tengelyi mit Dir, unten am Hügel unsere Pferde, vor Euch Kálman und ich, und dort rechts der verdammte Nyúzó. Mir ist, als ob ich ihn noch fluchen hörte, als er, nach dem Szent-Vilmoser Wald hinschauend, gewahrte, daß seine Panduren Jemand bringen, und ich nicht glauben wollte, daß er Viola habe fangen lassen.«
Bei diesen Worten wendete sich Akos unwillkürlich gegen den Szent-Vilmoser Wald, und sein gutes Auge entdeckte die Reiter, die eben jetzt zwischen den Bäumen auf die Ebene herausbrachen. »Was ist das?« so sprach er zu Vándory, und lenkte seine Aufmerksamkeit auch dorthin, »die reiten ungeheuer schnell, Einer voraus, Drei nach, als ob Jemand verfolgt würde.«
»Gott bewahre,« sprach Vándory seufzend, »es ist genug, daß ich so etwas von diesem Platze schon einmal sehen mußte.«
»Und es ist doch so,« sprach Akos, der seine Augen nicht einen Augenblick von den Reitern abwendete, »der voraus wird verfolgt, er jagt durch Wiesen und Felder.«
»Gott sei dem Armen gnädig,« sprach Vándory und blickte zum Himmel auf.
»Wenn er ein Räuber ist, so kann er nicht mehr entkommen,« sprach Akos, »sie jagen ihn gerade gegen das Dorf zu, und auch sein Roß wird schon matt; die Verfolger sind ihm bedeutend näher, als sie früher waren.«
»Vielleicht ist es kein Räuber,« sprach Vándory, der ebenfalls die Bewegungen der Reiter mit der größten Aufmerksamkeit verfolgte.
»Er ist es gewiß, oder wenigstens Einer, den sie dafür halten,« sprach er nach kurzer Pause, »ich nehme schon die Gewehre der Panduren aus, das Pferd des Armen ist ganz ermattet – einer der Verfolger ist ihm ganz nahe – jetzt ist der nächste an ihm sammt dem Rosse gestürzt, er ist wieder auf ein paar Minuten geborgen. Wenn ich ihm nur ein frisches Pferd geben könnte.«
Viola's Lage – denn die Leser können sich denken, daß er es war, den Akos vom Türkenhügel sah – war dadurch, daß der nächste seiner Verfolger sammt dem Rosse gestürzt war, in diesem Augenblicke etwas günstiger. Als der zweite Pandur zu dem gestürzten Kameraden kam, der sammt dem Rosse in dem Graben eines Ackerfeldes lag, hielt er sein Roß an und stieg ab, um ihm zu helfen; der dritte Pandur war so weit zurückgeblieben, daß Viola, der jetzt nichts Anderes wünschte, als das Dorf vor den Panduren zu erreichen und die Schriften verläßlichen Händen übergeben zu können, sich schon am Ziele dachte. »Nur jetzt verlaß mich nicht, mein guter Holló,« so sprach er, als er das mühsam hineilende Pferd spornte, » Hajrá Holló!« Hajrá – ein ermunternder Aufruf an die Pferde. Aber Alles hat Grenzen, zuletzt verliert das beste Pferd die Kraft, und Viola fühlte, daß ihn das seine kaum mehr zu tragen vermöge. Das arme Thier war die ganze letzte Nacht gegangen, jetzt war es eine halbe Stunde über neu geackerte Felder und Gräben hingeeilt, die Kraft ging ihm aus, und statt zu galopiren, ging es nur mehr im Trab, und Viola, der einerseits sich schon nahe am Türkenhügel, und also beinahe am Ziele, anderseits aber die Verfolger näher und näher kommen sah, ermunterte sein Roß durch Zuruf und Spornen vergebens zum schnelleren Laufe. Das schaumübergossene Roß zitterte, von den schwarzen Mähnen strömte der Schweiß in dichten Güssen, die Schritte wankten, aber die Verzweiflung erstickte jedes andere Gefühl, und er stieß ihm die Sporen noch einmal in die Flanken. Im Schmerz wagte das Pferd wieder einen Satz und rannte. Aber der Feind war an seinen Hufen. – »Stehe!« rief eine wilde Stimme hinter Viola's Rücken, und der Verfolgte sah mit Entsetzen den Panduren nur um ein paar Schritte hinter sich. Keine andere Rettung sehend, riß er die Pistole aus der Halfter und kehrte sie gegen den Verfolger, um ihn zurückzuschrecken, aber der Pandur, der sein Schießgewehr ebenfalls in den Händen hatte, hatte die Bewegung seines Feindes bemerkt und brannte die Pistole unter ungeheuren Flüchen auf Viola ab.
Die Feinde waren sich in diesem Augenblick so nahe, daß der Schuß kaum fehlgehen konnte, und Viola sank mit einem Schrei auf den Nacken seines Rosses. Das Roß, vom nahen Schusse erschreckt, that noch ein paar Sprünge und stürzte sammt dem sterbenden Reiter zu Boden.
Dies Alles geschah so nahe beim Türkenhügel, daß Akos, der hinabgelaufen war, sobald er den Schuß gehört und dessen Folgen gesehen hatte, noch zur rechten Zeit kam, um den Panduren, der vom Rosse abgesprungen war und mit geschwungenem Fokos zum Gefallenen hineilte, zuerst durch Anruf, dann aber durch sein persönliches Einschreiten von jeder ferneren Grausamkeit zurückzuhalten.
»Unterstehe Dich nicht, den Unglücklichen zu mißhandeln, Du niederträchtiger Kerl!« schrie Akos heftig und trachtete dabei, Viola von der Wucht seines Rosses zu befreien, »siehst Du denn nicht, daß er sich nicht mehr widersetzen kann?«
»Unglücklicher!« brummte der Pandur, in dem die Leser, trotz des Pandurenkleides, das er seit einiger Zeit trug, den einstigen Räuber Czifra erkannt haben würden, der es aber nicht wagte, dem Befehle des Sohnes seines Vicegespans zuwider zu handeln, »ein sauberer Unglücklicher! Sehen Sie denn nicht, gnädiger Herr, daß es Viola ist? Die fünfhundert Gulden, die Dem versprochen sind, der ihn todt oder lebend dem Comitat überliefert, sind jetzt mein. Ich hoffe, daß er stirbt, bevor meine Kameraden kommen, sonst verlangen auch die einen Theil des Geldes.«
Akos hörte den unmenschlichen Wunsch des Panduren nicht, aber alle Kräfte anstrengend, gelang es ihm, mit Czifra's und Vándory's Hilfe, der auch hinzugekommen war, den Unglücklichen hervorzuziehen; er war bewegungslos unter dem Rosse gelegen.
»Er ist todt,« sprach Akos, indem er den blutenden Körper auf den Rasen hinstreckte und an dem bleichen Angesicht Viola erkannte. »Er ist todt, und mit ihm unsere Hoffnung, daß Tengelyi's Unschuld je an den Tag kommt.«
»Er ist noch nicht todt,« erwiderte Vándory, der indessen neben Viola niedergekniet war und seine Wunde untersuchte. »Die Wunde auf der linken Seite der Brust ist tief, aufkommen kann er nicht, aber ein paar Stunden kann er noch leben, vielleicht wird er noch sprechen können. Setzt Euch geschwind auf,« so sprach er zum Panduren, »reitet geschwind in das Dorf, ruft Leute, damit ich den armen Menschen in mein Haus tragen lassen könne.«
»Ich gehe gewiß nicht,« sprach der Angeredete, »da wär' ich ja ein Narr; das Comitat hat Dem, der Viola lebend oder todt einliefert, fünfhundert Gulden versprochen; wenn ich weggehe, so kommen meine Kameraden her und sprechen das Geld für sich an, und die gnädigen Herren haben doch gesehen, daß ich ihn erschossen habe.«
»Wenn Du nicht auf der Stelle gehst, so schieße ich Dich mit dieser Pistole vor den Kopf, Du Hund!« schrie Akos und hob die Pistole auf, die neben Viola's Roß lag. »Dein Blutgeld zahl' ich Dir, wenn es Dir Niemand Anderer giebt.«
Diese letzte Versicherung, in Verbindung mit der Pistole, vermochten Czifra zur Eile, und Akos blieb mit Vándory allein bei Viola, der noch immer bewußtlos am Boden lag. Einer der Panduren – denn während Czifra ins Dorf ritt, waren seine Kameraden auch auf dem Schauplatz angekommen – holte Wasser; aber weder dies, noch Akos und Vándory's tröstende Worte vermochten den Unglücklichen aus seiner Betäubung zu wecken.
Eine halbe Stunde war vergangen, schon kamen Leute aus dem Dorfe, als Viola die Augen aufschlug, um sich blickte und einige Lebenszeichen gab.
»Kennst Du mich nicht?« sprach Akos, beugte sich zu ihm herab und nahm ihn bei der Hand, »sieh' mich an, Viola!«
»Ich kenne Sie,« sprach Viola mit matter Stimme, »gut, daß Sie hier sind, ich wollte ja zu Ihnen, gnädiger Herr.« Viola griff an die Brust, als ob er etwas suche. »Knöpfen Sie mein Kleid auf,« sprach er, nachdem er sich überzeugt, daß er es nicht im Stande sei, »und nehmen Sie die Schriften heraus; es sind Herrn Tengelyi's Schriften, die der Jude mit Macskaházy gestohlen, und ich bin gekommen, um sie zurückzustellen. Sie sind blutig,« setzte er hinzu, als er sie in Akos' Händen sah, »neuerdings blutig, jetzt thut das nichts, es ist ja nur mein Blut. Herr Tengelyi war mein Wohlthäter, ich habe mich dankbar bewiesen; sagen Sie ihm, daß ich ihm die Hand küssen lasse, und er soll nicht denken, daß Viola ein so schlechter Mensch ist, der seinem Wohlthäter hätte Schaden bringen wollen.«
Während Viola dies sprach, kamen mehr und mehr Menschen aus dem Dorfe, die den Sterbenden umstanden.
»Freund,« sprach Vándory tief ergriffen, »vielleicht weißt Du gar nicht, in welchem entsetzlichen Verdachte Tengelyi dieser Schriften wegen ist?«
»Ich weiß es,« unterbrach ihn Viola, »ich habe es von János gehört, und darum habe ich mich dem Comitate selbst überliefern wollen, um ihn von diesem Verdachte zu befreien. – Hört Ihr es, Männer?« so sprach er mit stärkerer, aber von Zeit zu Zeit unterbrochener Stimme, »wer da sagt, daß Herr Tengelyi Macskaházy umgebracht habe, der lügt; der Mörder bin ich. Nur die Schriften wollte ich ihm wegnehmen, die er und der Jude Herrn Tengelyi gestohlen haben, aber er drohte mir mit der Pistole, da erschlug ich ihn. So sei Gott meiner Seele gnädig, wie Tengelyi an dieser That ganz unschuldig ist.«
Viola schwieg ermüdet. Das Volk, von seinen Worten tief ergriffen, umstand ihn lautlos, in vielen Augen glänzten Thränen. »Du Armer,« sprach ein alter Bauer, »warum mußte Dich ein solches Schicksal treffen? Wir waren Nachbarn, und ich glaubte, Du würdest mir die Augen zudrücken, wenn ich sterbe, wie ich es Deinem Vater gethan.«
»Alter,« sprach Viola, und heftete seine Augen auf den Sprechenden, »wenn Ihr an meinem Hause vorübergeht, und es steht leer, oder andere Menschen wohnen darin, so denkt zuweilen auch an Viola; Gott sieht meine Seele, ich bin nicht schuld daran, daß ich Das geworden bin, was ich in der letzten Zeit war; Gott vergebe Denen, die daran schuld sind.«
In diesem Augenblicke kam die alte Lipták. Als der Ruf zu ihr gedrungen war, eilte sie hieher, und jetzt drängte sie sich durch die Menge durch, und als sie ihren Verwandten blutig auf der Erde und das Volk um ihn sah, rief sie mit Thränen in den Augen: »Was steht Ihr hier müßig, und warum tragt Ihr Viola nicht in das Dorf, wo man ihn ordentlich pflegen kann?«
»Laßt das, liebe Muhme,« sprach Viola, der immer schwerer und schwerer athmete. »Mich pflegt kein Mensch mehr, mit mir ist es aus, und ich darf nicht darüber klagen; ich habe Blut vergossen und büße dafür mit meinem Blute, das ist Gottes Befehl. Laßt mich hier sterben unter Gottes freiem Himmel, in den warmen Sonnenstrahlen.«
Viola's Stimme wurde schwach. Auf seinen Wink kniete die Lipták zu ihm, um seine Worte zu vernehmen. »Geht zu meiner Susi, liebe Muhme,« so sprach er kaum mehr verständlich, »sagt ihr, sie soll mir verzeihen, daß ich, als ich jetzt von ihr fortging, sie hintergangen habe; ich konnte nicht anders; meinen Wohlthäter durfte ich nicht in seiner Noth verlassen, und wenn ich ihr gesagt hätte, wohin ich gehe –« da wurden seine Worte unverständlich, noch einmal öffnete er das Auge, das er aus Mattigkeit früher geschlossen, noch einmal blickte er umher, noch einmal sprach er den Namen seiner Frau aus, und der Seufzer, mit dem er »Susi« gehaucht, war sein letzter.
»Gott sei jedem Sünder barmherzig,« sprach ein alter Bauer unter den Umstehenden, »auf seiner Seele lasten viele Sünden.«
»Er hat viel gelitten,« sprach Vándory bewegt, »er ruhe in Frieden nach diesem schweren Leben.«
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Die Erzählung Dessen, was sich nach Viola's Tode zugetragen, könnten mir meine verehrten Leser erlassen, die, wenn sie das Buch bis hierher nicht weggeworfen haben, die nächste Zukunft der handelnden Personen gewiß eben so gut kennen als ich. Ich sage die nächste Zukunft, denn obschon es gewiß ist, daß Akos mit Vilma und Kálman mit Etelka möglichst glückliche Paare geworden sind, so würde doch Niemand für die Zukunft gutstehen können, obschon ich in beiden Fällen, wenn ich nach zwanzig Jahren nach Tiszarét oder Kislak komme, wo sich die Neuvermählten niedergelassen, eben so zufriedene Gesichter zu finden hoffe, wie damals, als die glücklichen jungen Männer ihre Geliebten zuerst in die Wohnung ihrer Väter einführten.
Der Vicegespan kommt selten nach Tiszarét; was sich dort Alles zugetragen, wirkt in der Erinnerung unangenehm auf ihn ein, um so heimischer fühlt er sich in Porvár. Unter dem Vorwande der Kränklichkeit hat er sein Amt niedergelegt, wie auch seinem Streben nach dem Kammerherrnschlüssel und dem Rathstitel entsagt, und seither kann man wenige zufriedenere Menschen sehen. Viele vermutheten, er werde sich in Pest niederlassen, aber sie irrten sich. Durch sein Vermögen und seine früheren Verdienste als Vicegespan war er in Porvár der Erste, seine Ansichten sind wie vordem immer die der Majorität, und dadurch erreicht er, daß ihn die Majorität immer bewundert – und was braucht man in einem constitutionellen Lande mehr, um sich glücklich zu fühlen?
Der alte Kislaki sehnte sich nach diesem Ruhme nicht, ja, ich kann sogar versichern, daß er nach dem ersten Falle, wo er als Präses des Standrechtes aufgetreten, auch diesem Titel allsobald entsagt hat; aber sein geliebter Kálman ist glücklich, und das ist dem achtbaren alten Manne und seiner Schwiegertochter genug. Wenn Etelka mit ihrem Manne zuweilen weniger zufrieden ist, weil Kálman das Hasenhetzen übermäßig liebt, so tröstet er die Schwiegertochter damit, daß der Wein von 1811 auch einst ein Heuriger war, und daß sich auch der Sohn noch ausgähren wird.
Der alte Tengelyi war Anfangs traurig. Ein Unglück wie das, welches ihn getroffen, kann das heiterste Gemüth erbittern, und der Notär hat immer zu den ernsten Charakteren gehört. Die Bitten seiner Frau konnten ihn nie vermögen, im Schlosse zu wohnen. »In einem niedern Hause war ich geboren,« so sprach er immer, »so will ich auch sterben.« Aber das Glück, das er um sich sah, die vielen Wohlthaten, die er mit Hilfe seines Schwiegersohnes den Bewohnern von Tiszarét, deren Notär er so lange gewesen, erweisen konnte, heiterten ihn am Ende doch auf; er gründete eine Kleinkinderbewahranstalt und veranlaßte Fruchtvorrathskammern; er ließ Obstbäume vor den Häusern und an den Straßen pflanzen, und die unausgesetzte Thätigkeit, in der seine Zeit verfloß, erheiterte seine alten Tage, zum offenkundigen Beweise, daß der Mensch – wie die Maschine, die verrostet, wenn sie nicht gebraucht wird, und um so heller glänzt, je mehr sie gearbeitet hat – wenn er sein ganzes Leben über gearbeitet, seinen Ruhm im Alter nicht verliert.
Die besten Freunde der Häuser von Kislak und Tiszarét waren Völgyesy und Vándory. Der Erstere entwöhnte sich in diesen freundlichen Kreisen seiner menschenscheuen Lebensweise; er lernte einsehen, daß es eine eben so große Albernheit ist, sich aller Gesellschaft zu entziehen, um jenen Menschen auszuweichen, die albern genug sind, den Menschen nach seinem Aeußern zu beurtheilen; denn wenn in der menschlichen Gesellschaft die Narren und Bösewichter in noch so großer Majorität wären, so verdienen es doch die wenigen ehrlichen und vernünftigen Menschen, die wir finden können, daß wir, dem Taucher gleich, der die Perle sucht, uns in die schmutzigen Wellen der Gesellschaft stürzen. Und Vándory – er lebte unter Glücklichen in einem Kreise, der gleichsam der lebendige Beweis seines Optimismus war – wie wäre er nicht glücklich gewesen! Daß er im Besitze der Papiere, aus denen er seine Abstammung beweisen konnte, weder seinen Namen noch seine Stellung veränderte, versteht sich von selbst. Mehr Lebensgenuß, mehr wirkliches Glück konnte er auf der Welt nicht finden, als in seinem kleinen Predigerhause, wo Jeden das Herz hintrieb, der Hilfe brauchte. Die Liebe, die sein reines Herz erfüllte, verlor nichts von ihrer Wärme, das Vertrauen auf Gottes Vorsehung und zur bessern Natur der Menschen wankte nie in ihm, die Seele dieses Menschen war wie der Busch, von dem wir in der heiligen Schrift lesen: die Flamme in seinem Herzen leuchtete und wärmte, aber verzehrte den Altar nicht, denn es war keine irdische Flamme.
Den alten János hatte Akos zum Wirthschaftsbeamten ernannt, aber von seinem Husarenkleide trennte er sich deshalb nicht; das erste Jahr war er nicht ganz zufrieden, als aber im zweiten Jahre dem Hause ein Sohn geboren wurde, fühlte sich der alte Husar ganz glücklich und kann die Zeit kaum erwarten, in der er seine vielfachen siegreichen Kämpfe der zweiten Generation der Réty's wird erzählen können.
Einige meiner Leser werden gewiß auch zu wissen wünschen, was mit Nyúzó geschehen ist. Damit das gesetzliche Zeugniß, welches, vom Beginn dieses Buches angefangen, nirgends gemangelt hat, auch am Ende nicht vermißt werde, erzähle ich es, obschon das Schicksal des Oberstuhlrichters nicht so romantisch ist, als ich es wünsche. Wir urtheilen über die Menschen, wie über die Zeit; der Landwirth lobt, der zum Spaziergange gerüstete junge Herr schmäht den regnerischen Sonntag; selbst der Hagel und die anhaltende Dürre finden Lobpreiser unter den Fruchthändlern, und so giebt es keinen Menschen, der nicht manchmal für einen recht braven und ordentlichen Mann gehalten würde, wenn er gerade Jemandem durch seine Schlechtigkeit geholfen hat; es ist also nicht zu wundern, daß auch Nyúzó Freunde hatte, aber zu seinem Unglück nach dem Tode der Vicegespanin nicht so viele, als ihm in seiner Stellung nöthig waren. Der Oberstuhlrichter hatte sein ganzes Leben nach Grundsätzen eingerichtet. Nach seinen Begriffen war das tägliche Brot Das, was die Weisen unter dem Nothwendigen verstehen – dazu ein schönes Hausbesitzthum u. s. w. war Das, was man nützlich nennt; guter Ruf, allgemeine Achtung gehörten nach seinen Begriffen zu dem Ueberflüssigen, zum Luxus, wonach ein vernünftiger Mensch nur dann strebt, wenn er die beiden ersten Dinge im Ueberflusse hat. Die zweckmäßige Anwendung dieses Grundsatzes brachte aber Nyúzó in Verlegenheit. Gewisse öffentliche Arbeiten, die zur Verschönerung von Garacs verwendet wurden, und ähnliche Dinge, von denen ich nicht ausführlicher reden will, wurden dem verdienstreichen Beamten dermaßen übel gedeutet, daß er sammt seinen Geschwornen seines Amtes entsetzt wurde, was der Garacser Gegend zu nicht geringem Nachtheil gereichte, indem der dritte Theil der Bedachung des stuhlrichterlichen Hauses seither auf Ziegel wartet, und auch, so viel ich weiß, die Umzäunung noch nicht fertig geworden ist.
Nachdem ich von den Herren gesprochen, und dadurch einem meiner Recensenten, der mich beschuldigte, daß ich in meinem Werke den untern Volksclassen den ersten Platz einräume, Zeichen meiner Besserung gegeben habe, frage ich, ob die Leser nicht wissen wollen, was mit Susi geschehen?
Ihr Schicksal ist kurz und einfach. Als sie durch die alte Lipták ihres Mannes Tod erfuhr, fiel sie ihr bewußtlos in die Arme und kam längere Zeit nicht zu sich. Als die Besinnung wiederkehrte, ging sie zum Grabe ihrer Kinder, und niedersinkend an den Grabhügeln, die jetzt zum ersten Male grünten, nahm sie von ihren Lieben Abschied und zog mit der Alten nach Tiszarét. Sie bat, dort wohnen zu dürfen, wo sie mit ihrem Manne gelebt, und nachdem es Akos mit Hilfe der alten Lipták gerade so hatte herrichten lassen, wie es einst gewesen, zog sie ein. Von Allem abgeschieden, verlebte sie ihre Tage einsam, die alte Lipták selbst sah sie nur selten, von den übrigen Dorfbewohnern sah sie Niemand bei Tag. Nur Abends – so bemerkten die Nachbarn – öffnete sich ihre Thür, und da ging die arme Frau zum Türkenhügel und verweilte dort bis zur Morgenröthe.
Akos und seine junge Frau lustwandelten eines Sommerabends gegen den Türkenhügel zu, da hörten sie eine Frauenstimme das alte Volkslied singen:
»In dieser schönen Sommernacht
Sicher der Stern am Himmel wacht;
Dort, wo der Stern hoch oben strahlt,
Ist ja wohl auch mein Aufenthalt.«
Vilma ahnte die Sängerin.
Am andern Morgen früh, als mehrere Bauern mit den Sensen zur Arbeit gingen, fanden sie in der Nähe des Türkenhügels, gerade an dem Platz, wo ein paar Monate früher Viola gestorben, eine Frau im Grase liegen – sie wollten sie erwecken, aber sie erwachte nicht mehr.
Ich bin an das Ende meiner Erzählung gelangt – Gott sei mit Euch, meine Leser! Wenn es unter Euch Solche giebt, die an der Alltäglichkeit dieser Erzählung Anstoß nehmen, und es ohne Hehl aussprechen, daß sie, wenn sie nur wollten, viel schönere Dinge erzählen könnten, als die sie gelesen; wenn es solche Leser giebt: so mögen sie überzeugt sein, daß ich nicht Außerordentliches, sondern die Wahrheit sagen wollte. Wenn Andere die Offenheit rügen, mit der ich die Schattenseiten unserer heimischen Zustände besprochen habe, so mögen diese glauben, daß ich zu ihrer und meiner angenehmen Selbsttäuschung lieber die Glanzseiten aufgesucht haben würde, wenn ich nicht überzeugt wäre, daß es von uns abhängt, das Mangelhafte zu ändern. Wenn Ihr das Bild, das ich hingestellt, unwahr findet, so überzeugt mich, daß alles Das, wovon ich geredet habe, wenn auch nicht in dem engen Kreise eines Comitats, in unserm gesammten Vaterlande nicht geschehen könne, nicht wirklich geschehe, und ich werde auch dafür sorgen, so wie es mein heißester Wunsch ist, daß dieser Roman baldmöglichst unwahrscheinlich werde. Ich wollte nicht unterhalten, sondern nützen, und wenn mein Bestreben nicht erfolglos war, so wünsche ich für meine Mühe keinen andern Lohn.
Und jetzt Gott mit dir auch, du meines Vaterlandes große Ebene, wo ich in jüngern Jahren an den Ufern der blonden Theiß viele frohe und traurige Tage verlebt, und wohin, während ich dieses Werk schrieb, meine Phantasie so oft zurückgekehrt ist! Schön ist die Bergreise, schön der Donau weithin ausgedehnter Spiegel, die ich von meiner hohen Wohnung überschaue Der Verfasser wohnte den Sommer über im Gebirge auf dem sogenannten Schwabenberge bei Ofen; die Aussicht aus der Villa, die er bewohnte, ist reizend., aber Niemand rede gegen dich, du Schmuck Ungarns – grüne Fläche! Endlos wie das Meer dehnst du dich vor unsern Blicken aus, und deine Größe hat keine sichtbare Grenze, nur das blaue Himmelsgewölbe umschließt dich; dich umgiebt keine dunkle Bergkette, und die aufgehende Sonne setzt keinen schneebedeckten Gipfeln goldene Kronen auf; dein hohes Gras verwelkt ungemäht, stumm eilen die Flüsse weiter zwischen den Ufern voll Röhrig; unerwarteten Anblick wechselnder Berggruppen, unerwartete Windungen der Thäler, den Zauber lebensvoller blühender Gewächse hat die Natur dir versagt; und wenn der Wanderer über deine gleichförmige Fläche hingewandelt ist, so wird er in seinem Gedächtnisse keine einzelne Schönheit finden, die ihn an dich erinnert: – aber ist er nicht oft ergriffen stehen geblieben, deine Größe bewundernd, wenn die Sonne ruhig über dir aufgeht und ihr goldenes Licht über deine ganze Fläche ohne Hinderniß ergießt, oder wenn in des Mittags glühender Hitze die Morgana auf deiner schattenlosen Fläche hinspiegelt, als ob die dürstende Erde von jenem Meere träumte, das sie einst bedeckte; oder wenn sich die dunkle Ruhe der Nacht über die unermeßliche Ebene ausbreitet, und während oben die Sterne, unten hier und dort Hirtenfeuer leuchten und tiefe, lautlose Stille herrscht, so daß der Wanderer den Abendhauch in den hohen Gräsern hören konnte – war in solchen Augenblicken seine Brust nicht von einer unnennbaren Empfindung ergriffen? Eine Empfindung, die ihm bei den Wundern der hohen Alpen nicht geworden, und die vielleicht trüber, aber großartiger ist, wie du großartiger bist als alle Bergesgipfel, du meines Vaterlandes unbegrenzte Ebene, du Ebenbürtige des endlosen Meeres, grün und grenzenlos, wie jenes, wo das Herz freier schlägt und das Auge keine Schranken findet.
Du bist des Ungars Bild, du große Ebene! hoffnungsgrün, aber einsam, stehest du erschaffen, um durch reiche Fruchtbarkeit Segen um dich auszuströmen; aber noch stehst du unfruchtbar. Die Kräfte, welche dir Gott anerschaffen, schlummern noch, und die Jahrtausende, die über dich hingegangen sind, haben dich noch nicht in deinem Ruhme gesehen; aber die Kraft, wenn auch verborgen, lebt noch in dir, das Unkraut selbst, das so reichlich wuchernd wächst, verkündet deine Fruchtbarkeit, und das Herz sagt es mir, die Zeit naht, wo du blühen wirst. Blühe du, schöne Ebene, und blühe das Volk, welches seit tausend Jahren deine Fläche bewohnt. Glücklich, wer diesen Tag erlebt! Glücklich Derjenige, der sich wenigstens mit dem Bewußtsein trösten kann, daß er mit allen Kräften gerungen, diese schönere Zeit vorzubereiten.
Ende.
Druck von E. Jasper in Wien.