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III.

Obschon Tengelyi den Verdacht nicht ahnte, der sich gegen ihn erhob, so brachte er die Nacht doch in quälenden Sorgen zu. Spät nach Hause zurückgekehrt, warf er sich ermattet auf das Bett, aber sein aufgeregter Zustand gestattete ihm nicht, Ruhe zu finden. Die Ueberzeugung, daß der unglückliche Fiscal durch Viola umgebracht worden, das Bewußtsein, daß er, der des Räubers Anwesenheit wußte, statt das Verbrechen zu hindern, was in seiner Macht gewesen, am Ufer der Theiß das Vollziehen desselben erwartet habe, dessen Nutzen ihn einzig und allein traf, erfüllte seine Seele mit Entsetzen. Ihm schien es, als sei er ein Spießgeselle des Verbrechers, ihm schien es, als ob er, der bis jetzt jede seiner Pflichten mit übertriebener Strenge erfüllt, jetzt plötzlich der Achtung der Menschen unwürdig geworden sei. Mit der beginnenden Morgenröthe ging er zu Vándory, um sich in diesem neuen Unglück Rath von ihm zu erbitten.

Vándory, der Winter und Sommer um 4 Uhr Morgens aufstand, war schon auf, und als sein Freund die Thür öffnete, blickte er vom Buche auf und erstaunte nicht wenig, als er Tengelyi sah, den er selten so früh und nie mit so veränderten Gesichtszügen gesehen.

Tengelyi erzählte kurz das Geschehene.

»Es ist entsetzlich!« seufzte Vándory schaudernd, »inmitten seiner Sünden, ohne daß ihm ein Augenblick gegönnt war, seine Verbrechen zu bereuen.«

»Ja wohl!« sprach der Andere verzweifelnd, »und lastet die Verantwortung nicht ganz auf mir, der ich, ahnend, daß meine Schriften bei Macskaházy seien, wohl hätte denken können, daß Viola ihrer nur durch eine Gewaltthat habhaft werden könne, und der ich, statt ihn daran zu hindern, dem Rufe des Räubers gefolgt bin, um seine blutige Beute von ihm zu übernehmen?«

»Viola's That ist gräßlich!« fiel ihm hier der Prediger in's Wort, »ich begreife das Entsetzen, welches Dein Herz bei dem Gedanken überfällt, daß der Unglückliche es wahrscheinlich nur begangen hat, um Deine Schriften zurückzubekommen; aber hast Du das gewußt, und wie wäre es in Deiner Macht gestanden, Viola von seiner That zurückzuhalten?«

»Wenn ich meine Pflicht erfüllte,« antwortete der Notär ernst, »die mir gebot, die Einfangung des Räubers zu veranstalten, sobald ich von seinem Hiersein Kunde erhielt.«

»Seine Gefangennehmung,« sprach Vándory, der bei dem Gedanken gleichfalls erschrak, »die Gefangennehmung eines solchen Menschen, der sich Dir vertraut, und unter solchen Umständen, wo nicht mehr davon die Rede ist, daß er seinem Richter, sondern seinem Henker übergeben werde? – Wie kannst Du so reden?«

»Allerdings war die Pflicht schwer, deren Erfüllung meine bürgerliche Stellung erheischte,« sprach Tengelyi traurig, »aber war es deswegen weniger meine Pflicht? Wenn jeder Bürger, so oft Das, was das allgemeine Wohl von ihm fordert, mit seinen edleren Gefühlen in Widerspruch kommt, sich seiner Pflicht entbunden glaubt, löst sich da nicht jede Ordnung? – Wen wirst Du als Hehler bestrafen, wenn Erbarmen hinreichende Entschuldigung ist, daß der Verbrecher dem strafenden Arme der Gerechtigkeit entzogen werde?«

Vándory brachte dagegen vor, daß, wenn dieser Vernunftschluß auf jeden Fall auch stände, man doch Niemand verpflichten könne, dort, wo von Todesstrafe die Rede ist, zum Tode seines Mitmenschen hilfreiche Hand zu bieten; daß er seinerseits entschlossen wäre, sich lieber den strengsten Strafen auszusetzen, als je eine solche Pflicht zu erfüllen; daß in Tengelyi's Lage jeder ehrliebende Mann dasselbe gethan haben würde; mit einem Worte, er brachte Alles vor, was seinen Freund hätte trösten können. Tengelyi aber antwortete auf Alles nur, daß er das Ganze aus einem andern Gesichtspunkte betrachte, und daß Jene, die über ihn richten werden, mit ihm einer Ansicht sein werden.

Vándory, der wohl einsah, wie schädlich es auf seinen Freund rückwirken könne, wenn der Brief bekannt würde, den er von Viola erhalten, bot Alles auf, ihn von der Anzeige des Vorfalles zurückzuhalten, woraus kein Nutzen, wohl aber für ihn der größte Nachtheil entstehen müßte, nachdem seine zahlreichen Feinde, die ihn schon darum verdächtigen, weil er Viola's Frau in sein Haus aufgenommen, diese Nachricht ohne Zweifel zu neuer Verleumdung benützen werden. Aber Tengelyi war in dieser Beziehung unbeweglich. Er sprach: »Nur durch Offenheit können wir uns gegen die Lüge verwahren. Wer die Wahrheit verbergen will, wird früher oder später dahin geführt, sie zu entstellen, und Du weißt, dazu bin ich nicht geboren, auch wenn ich es thun wollte; und im gegenwärtigen Falle bin ich nicht einmal hierzu berechtigt, weil ein schwerer Verdacht der Ermordung Macskaházy's auf einem Menschen liegt und möglicherweise meine Aussage ihn davon befreien kann.« Alles, was Vándory von seinem Freunde erlangen konnte, war, daß er mit seiner Aussage bis zu Réty's Rückkunft warten und sie vor ihm ablegen werde.

»Du hast Recht,« sprach Tengelyi bitter, »wer weiß, wenn ich das Ganze erzähle, ob Nyúzó oder Dein Vicegespan, den Du, wie ich glaube, mit Unrecht für besser hältst als den Andern, mich nicht in Eisen in's Comitatshaus schicken. Es ist wahr, daß sie in meiner Lage eben so handeln, obschon aus andern Gründen; von Réty wenigstens weiß die ganze Welt, daß er Räubern Lebensmittel reichen läßt, nur damit sie seine Heerde verschonen; aber sie sind Edelleute, bei einem Bauer, wie ich, ist das was Anderes!«

»Wie kannst Du so was denken?« sprach der Andere beruhigend.

»Und warum nicht?« erwiderte Tengelyi, bitter lächelnd, »ich habe oft gelesen, daß im 17. Jahrhundert an mehreren Höfen neben dem zu erziehenden Kronprinzen ein armes Kind gehalten wurde, welches, so oft der Prinz seine Lection nicht gelernt, oder irgend eine Schelmerei ausgeübt, tüchtig durchgeprügelt wurde, damit der Prinz an diesem Beispiele sähe, was er verdient hätte; es scheint, daß sich diese Gewohnheit bei uns erhalten hat; die sogenannten Glieder unserer Krone werden nicht gestraft, aber damit das Beispiel nicht fehle, werden die Uebrigen um so strenger gezüchtigt! Was das anbelangt, wirst Du zwischen Réty und Nyúzó keinen großen Unterschied finden.«

»Glaube mir, Freund,« sprach der Prediger, und schüttelte das Haupt, »Du bist gegen Réty ungerecht; ich begreife, daß Du, der Du einst mit ihm in so inniger Verbindung standest, jetzt, nachdem Ihr aufgehört habt, Freunde zu sein, gegen ihn strenger bist, als Andere. Aber ich kenne ihn besser, er ist in seinem Innersten nicht so verderbt, wie Du denkst; sein Fehler ist Schwäche, die ihn hindert, dem Willen seiner Frau zu widerstehen.«

»Ja wohl, Schwäche,« sprach Tengelyi, »nenne es so, wenn es Dich freut; aber wenn Schwäche Entschuldigung ist für jede Niedrigkeit, warum bist Du strenger gegen Nyúzó oder Andere? Wer seinen Freund in der Noth verläßt, ja dessen Noth zu seiner eigenen Erhöhung benützt: wer seine Grundsätze hundertmal verleugnet; wer seine Ueberzeugung wie ein Segel benützt, um sie bald rechts, bald links zu richten, und so mit jedem Winde dem gewünschten Ziel entgegenzusegeln, verdient der Deine Verachtung nicht? Und wenn Du ihn halb gerechtfertigt siehst, wenn er zu seiner Entschuldigung vorbringt, daß ihn Schwäche zu dieser Handlungsweise bestimmt, mit welchem Rechte wendest Du Dich von einem Verbrecher ab, dessen That Dir Schauder erregt? Er hat es ja auch nur aus Schwäche begangen; die Leidenschaft, die ihn zu dem Verbrechen vermocht, war stärker, als daß er ihr hätte widerstehen können. Verachte Nyúzó nicht, weil er die Gerechtigkeit verkauft; der Arme kann nichts dafür! Es ist nichts als Schwäche, er kann dem Gelde nicht widerstehen! Du hast keine Ursache, den Lügner zu verabscheuen, auch ihn reißt nur die Einbildungskraft hin, oder er lebt unter Verhältnissen, unter denen er nicht Kraft genug fühlt, die Wahrheit zu sagen. Wenn Du die Schwäche Entschuldigung nennst, so hört der Unterschied zwischen Guten und Bösen auf. Es giebt kein Verbrechen, bei dem Du gegen den Thäter zu etwas Anderem berechtigt wärest, als zum Mitleid, denn die Ursache des Verbrechens ist keine andere, als daß sein Interesse oder seine Leidenschaft ihn zu seinem Unglück in eine schlechte Richtung gebracht hat.«

»Das sei fern von mir,« sprach Vándory ruhig, »ich weiß sehr gut, daß Tugend nichts Anderes ist, als die Kraft, mit der wir an unsern Grundsätzen festhalten, und ich will Réty wegen Dessen, was er gethan, nicht rechtfertigen; ich behaupte nur, daß, so wenig sich auch seine Schwäche entschuldigen läßt, es doch eine gewisse Grenze giebt, über welche sich die Schwäche nicht ausdehnen wird, und daß weder der Einfluß seiner Frau, noch sonst irgend etwas ihn zu Dem vermögen wird, was Du von ihm behauptest. Von Nyúzó habe ich diese Ueberzeugung nicht.«

»Und hierin irrst Du,« sprach der Notär lebhaft. »Réty ist wie Nyúzó, und der ist wie die Uebrigen; wenn Du durch das ganze Comitat gehst, findest Du nicht Drei, die sich gegenüber einem Menschen, der sich nicht durch ein Adelsprivilegium schützen kann, zur geringsten Schonung verpflichtet fühlen; und dies erfüllt mein Herz mit unaussprechlichem Kummer, wenn mir einfällt, daß mein Sohn wahrscheinlich in die Reihe der Nichtadeligen gehören wird.«

Vándory wollte sprechen, aber Tengelyi fuhr leidenschaftlich fort: »Ich weiß, was Du sagen willst, wir sind reich an freidenkenden Menschen, nicht nur im ganzen Vaterland, auch hier im Comitate hörst Du die schönsten Reden von Freiheit, Gleichheit, von den Rechten des Volkes, und was weiß ich Alles! – In der gebildeten Welt wird keine schöne Phrase gesprochen, die wir nicht übertragen, die wir nicht mit lauter Stimme verkünden; – aber betrachte nur den Sinn dieser Worte, und wenn Du Dich nicht vorsätzlich täuschen willst, was findest Du dann? Freiheit und Gleichheit? Richtig, jene Freiheit, mit der der Edelmann seine und des Volkes Angelegenheiten vertritt, ohne daß außer Gott Jemand von ihm Rechenschaft fordern könnte. Und jene Gleichheit, in Folge deren der allerletzte Cortes auf den Bauer mit eben der Verachtung herabschaut, wie irgend ein Bannerherr! Rechte des Volkes? Allerdings – aber jenes Volkes, von dem Verböczy Verböczy, Verfasser des Tripartitums, welches er im Anfang des 16. Jahrh. schrieb und welches in Ungarn Gesetzeskraft hat. spricht, und worunter der Adel verstanden wird. Weiter erstreckt sich die Großherzigkeit dieser freisinnigen Herren nicht. Der ungarische Bauer stimmt nicht bei Restaurationen, ruft kein Éljen! bringt keine Fackelmusik – warum soll man sein Wohlwollen suchen?!«

»Du bist gereizt,« sprach Vándory, »sonst würdest Du nicht in solcher Allgemeinheit sprechen; wenn Du gerecht bist, so mußt Du gestehen, daß es Einzelne giebt, auf die Deine Beschuldigung nicht paßt.«

»Einzelne?« unterbrach ihn Tengelyi, »wahr ist es, daß meine Worte auf Einzelne nicht passen, es giebt Leute, die sich mit Abscheu von der sie umlärmenden Menge abwenden; aber daß es in unserem Vaterlande ein paar Hundert oder höchstens tausend Menschen giebt, die so gesinnt sind, wie wir, deren Seele leidet wie die unsere, wenn sie die riesige Lüge sehen, in der wir leben, kann uns das trösten? Wird mein Sohn deshalb weniger der bürgerlichen Rechte verlustig werden, wird er weniger verachtet, weniger mit Füßen getreten werden?«

»Dein Sohn wird nicht mit Füßen getreten werden,« sprach Vándory ruhig; »wie traurig auch die Lage ist, in welcher sich die nichtadeligen Bewohner unseres Landes jetzt befinden, sie kann nicht länger bestehen; und wer weiß, ob nicht Zeiten kommen werden, in welchen Dein Sohn sein Schicksal segnen wird, das ihn seines Adels beraubt und in die Reihe des Volkes zurückgestoßen hat, wenn er mit Allen auf jene Seite tritt, die er jetzt ausnahmsweise in Anspruch nahm, und die er dann als Recht verlangen kann. Ich gebe zu, daß Jene, die jetzt die Grundsätze der Freiheit am lautesten verkünden, es nicht ernstlich meinen; aber überzeugt das Wort, das sie sprechen, trotzdem nicht Tausende, und wenn der Stein auch ohne ihren Willen oder sogar gegen ihren Willen in Bewegung geräth, wird er deshalb nicht dennoch dorthin rollen, wohin seine natürliche Schwere ihn zieht, Alles mit sich fortreißend, was ihm widerstehen möchte? Ja, mein Freund,« setzte er hinzu, und faßte begeistert Tengelyi's Hände, »schönere Tage brechen an, alle Classen der Nation erwartet eine schönere Zukunft, und obgleich meine Haare schon grau sind, so hoffe ich doch, jene Zeit zu erleben, wo unser gegenwärtiger Zustand wie ein schwerer Traum verschwinden und selbst Jenen unglaublich erscheinen wird, die ihr ganzes Leben in demselben zugebracht haben.«

Tengelyi wollte eben antworten, als die Thür aufging und die alte Lipták in das Zimmer stürzte: »Um Gotteswillen, kommen der Herr Notär gleich nach Hause,« sprach die Frau athemlos.

»Was ist geschehen?« fragten Vándory und Tengelyi beinahe zugleich, erschreckt über die Art, wie die Alte gesprochen, und die in Beiden die Ueberzeugung erweckte, daß sich im Hause des Notärs irgend ein Unglück zugetragen habe.

»Der Oberstuhlrichter und der Geschworne,« antwortete sie im frühern Tone.

»Gute Frau, was ist Ihr denn geschehen?« sprach Vándory verwundert, »was ist darin so Außerordentliches, daß der Oberstuhlrichter in das Haus meines Freundes kommt? Kommt er nicht wohl zwanzigmal des Jahres in Geschäften dahin?«

»Aber wissen Sie, warum er kommt?« erwiderte die Alte, »der Oberstuhlrichter sagt, daß der Herr Notär den Fiscal, jenen verwünschten Macskaházy, umgebracht habe, und er ist jetzt dort mit dem Geschwornen und dem Haiduken und verhört jeden Menschen einzeln.«

Tengelyi war die Schläge des Schicksals gewöhnt; er hatte die Ungerechtigkeit der Menschen so oft erfahren, daß er, wie er oft zu sagen pflegte, von ihnen nichts Böses erfahren konnte, worüber er sich zu wundern vermöchte, aber die Nachricht, welche die alte Lipták brachte, traf ihn doch unvorbereitet. »Das ist zuviel!« sprach er, und seine Stimme bebte, »ich war auf Alles gefaßt, aber daß man mich eines Verbrechens beschuldigen würde, daß ich mich jemals vor einem Richter werde vertheidigen müssen, daß ich einen Mord nicht begangen habe, das hätte ich nicht geglaubt!«

»Unmöglich!« rief Vándory aus, der eben so bewegt wie sein Freund Hut und Stock ergriff, um Tengelyi zu begleiten, »hier ist ein unglückliches Mißverständniß, welches Sie, gute Frau, irreführt.«

»Das habe ich Anfangs auch geglaubt,« sprach die alte Lipták betrübt, »als der Oberstuhlrichter der Frau Notärin sagte, daß auf Herrn Tengelyi ein schwerer Verdacht laste, und daß er gekommen sei, ihn zu verhören; ich glaubte, daß der Verdammte nur scherze, aber als sie die Dienstmagd hereinriefen, und den Knecht, und die Nachbarn, und Einen nach dem Andern befragten, und der Geschworne jeden Buchstaben aufschrieb, sah ich wohl, daß sich der Bösewicht so stellte, als ob er die entsetzliche That glaube. Als er die Frau Notärin verhören wollte, antwortete sie, daß sie eine adelige Frau und auf nichts zu antworten schuldig sei, als worauf sie antworten wolle; hierauf aber hat der Oberstuhlrichter erwidert, daß der Herr Notär kein Edelmann mehr sei, und wenn sie nicht antworten wolle, werde er sie schon zu zwingen wissen. Wie ich das hörte, bin ich gleich hierher um den Herrn Notär gelaufen, damit doch Jemand im Hause sei, der die Rechtssachen versteht.«

»Du siehst, daß Alles in Ordnung ist,« sprach Tengelyi bitter zu seinem Freunde; »warum hätten sie sich auch so abgemüht, mich meines Adels zu berauben, wenn es nicht ihr Zweck war, mich um so besser verfolgen zu können?«

»Aber –« begann Vándory.

»Nur fort, fort,« unterbrach ihn die Lipták, »als ich vom Hause fortging, war eben der Vicegespan hingekommen –«

»Komm!« sprach Tengelyi zum Prediger mit noch mehr Bitterkeit, »Du hörst ja, daß wir nichts zu fürchten haben; unser Freund Réty, auf dessen Unterstützung wir rechnen können, ist ja dort.« Und die Männer gingen zu dem Hause des Notärs, die alte Lipták folgte ihnen.

Im Hause des Notärs hatte sich die Angelegenheit indessen für Tengelyi immer schlechter herausgestellt. Elisabeth hielt fest an ihrer Adelsfreiheit und war nicht zu vermögen, auf die Fragen des Oberstuhlrichters zu antworten; aber alle Aussagen der übrigen Verhörten sprachen gegen den Notär. Die Nachbarn bezeugten den Streit, in Folge dessen Macskaházy gestern mit dem Stocke aus dem Hause getrieben worden war; der Eine erinnerte sich bestimmt auf Tengelyi's Worte, die er über Macskaházy gesagt, daß nämlich dieser Mensch noch durch seine Hände sterben würde; die Dienstmagd hatte ihren Herrn gegen eilf Uhr aus dem Hause gehen sehen, was sonst seine Gewohnheit nie war; den vorgewiesenen Stock erkannte das ganze Haus als das Eigenthum des Notärs. Alles war in solcher Uebereinstimmung, daß der Vicegespan, der bei dem größten Theil des Verhöres zugegen war, Nyúzó zwar zur größtmöglichsten Schonung ermahnte, aber, obschon in seinem Innersten von Tengelyi's Unschuld überzeugt, doch nicht leugnen konnte, daß die äußern Anzeichen alle gegen ihn sprächen.

Als Tengelyi mit Vándory in das Zimmer trat, wendeten sich Aller Blicke auf ihn, und Nyúzó ausgenommen, war Niemand, der die schmerzhafte Leidenschaftlichkeit, mit der ihm Elisabeth um den Hals fiel, gleichgiltig angeschaut hätte.

»Beruhige Dich!« sprach Tengelyi gefaßt, »die Verfolgungen der Menschen erfahren wir heute nicht zum ersten Male, und bei einem guten Gewissen werden wir mit Gottes Hilfe auch jetzt nicht durch unsere Feinde erdrückt werden.«

Die Würde in Tengelyi's Benehmen wirkte auf Niemand so als auf den Vicegespan, der sich seinem einstmaligen Freunde näherte und ihm mit bewegter Stimme versicherte, daß er sich irre, wenn er die Anwesenheit des Oberstuhlrichters einer Verfolgung zuschreibe. »Das Zusammentreffen sonderbarer Umstände,« sprach er weiter, »kann den ehrlichsten Menschen in die Nothwendigkeit bringen, daß er durch die Aufklärung derselben sich rechtfertigen muß, und ich bin überzeugt, daß im gegenwärtigen Falle dies Herrn Tengelyi nicht schwer fallen wird.«

»Ich danke für die gute Meinung, welche der Herr Vicegespan äußert,« sprach Tengelyi trocken, »und ich bin überzeugt, daß wenn es von Ihnen abgehangen wäre, man auch mir gegenüber jenes Verfahren beobachtet hätte, welches in ähnlichen Fällen jeder im guten Ruf stehende Mensch mit Recht verlangen kann. Es sei mir aber erlaubt, den Herrn Oberstuhlrichter zu fragen, welches also die Umstände und Verhältnisse sind, in Folge deren der Verdacht gegen mich entstanden ist, daß ich Macskaházy umgebracht habe; denn ich höre, daß man mich dessen beschuldigt.«

»Wir werden Herrn Tengelyi gleich damit dienen,« erwiderte der Oberstuhlrichter, der jetzt, wie in jedem amtlichen Verfahren, seinen Geschwornen mitverstehend, in der vielfachen Zahl sprach.

Nyúzó zählte einzeln alle den Lesern schon bekannten Umstände auf, durch welche Tengelyi in Verdacht gerathen war, wobei der Geschworne bei jedem einzelnen Punkte mit dem Kopfe nickte, als ob er wenigstens durch Zeichen an dem Ruhme der bisher so geschickt geführten Untersuchung theilnehmen wollte. »Nachdem nun Macskaházy's Mörder nicht bekannt ist,« so schloß er seinen Vortrag, »nachdem kein Raub begangen worden, nachdem man Niemand weiß, in dessen Interesse der Tod dieses Mannes gelegen wäre; Herrn Tengelyi's Haß hinwieder weltbekannt ist, zu dessen allerneuestem Beweis wir nur die gestrigen Ausbrüche des Herrn Notärs anführen, wobei er, wie dies mehrere Zeugen aussagen, bestimmt geäußert hat, daß der jetzt Ermordete noch durch die Hände des Notärs sterben würde – nachdem es bekannt ist, daß er auf den Ermordeten den ungerechten Verdacht geworfen, als ob einige Schriften des Notärs von ihm, dem Ermordeten nämlich, geraubt worden seien, und so der Mord wirklich in seinem Interesse liegen konnte: finden wir hinlängliche Ursachen des schwersten Verdachtes gegen Herrn Tengelyi, um so mehr, nachdem der Mord gegen halb zwölf Uhr in der Nacht begangen worden und nach der Aussage eines Zeugen der Herr Notär sein Haus dieselbe Nacht gegen eilf Uhr wider seine Gewohnheit verlassen, und der Kutscher, und der Fährmann, und noch Einige, die den Räuber verfolgt, um Mitternacht zu diesem Hause gekommen sind, und Herrn Tengelyi ebenfalls gegen seine Gewohnheit noch wach, angekleidet, und zwar in ganz mit Koth befleckten Kleidern gefunden haben, besonders nachdem nicht nur die am Schauplatz der Ermordung gefundenen Schriften, sondern auch der Stock, welchen der den Räuber verfolgende Fährmann auf dem Wege, der vom Ufer der Theiß zu Herrn Tengelyi's Wohnung führt, gefunden, zu des Herrn Notärs wirklichem Eigenthum gehörten – was sagen der Herr Notär zu allem diesem?«

Dieser lange Vortrag, der, wie die Leser sehen, ganz im Style der ungarischen Rechtsurtheile gesprochen war, d. h. wo die möglichst meisten Gegenstände mit der Benützung der möglichst wenigsten Punkte vorgetragen wurden, erregte, Nyúzó ausgenommen, bei Niemand so viel Bewunderung, als bei seinem treuen Geschwornen; aber diese Art von Zusammenstellung so vieler Anzeichen wirkte auch auf Andere, und Tengelyi, der ihr ganzes Gewicht fühlte und hierbei die Schwierigkeit seiner Rechtfertigung sah, konnte seine Ueberraschung nicht verbergen. Er schwieg einen Augenblick.

»Belieben Sie, sich nicht zu verwirren, Herr Tengelyi,« sprach Nyúzó mit Hohn, »belieben Sie nur die reine Wahrheit zu sagen. Der Herr Notär sehen, daß wir mit aller möglichen Höflichkeit fragen.«

»Antworte ihm kein Wort!« fiel Elisabeth leidenschaftlich ein, »Gott sei Dank, noch hat Niemand bewiesen, daß wir nicht vom Adel sind, kein Mensch kann Dich zur Antwort zwingen.«

»Ich will und werde reden,« sprach Tengelyi, der seine Ruhe wieder gewonnen hatte, »es giebt keinen Menschen auf der Welt, den ich nicht für würdig achten würde, ihn mit der Sachlage bekannt zu machen, wenn ich wüßte, daß er einen solchen Verdacht gegen mich hegt.«

»Sie sehen, Frau Tengelyi, daß Ihr Mann uns einer Antwort werth achtet,« sprach der Oberstuhlrichter, immer höhnend, denn seitdem der Vicegespan zum schonenden Verfahren ermahnt hatte, konnte er seinem Haß nur auf diese Weise Luft machen, »er möge reden, ich wette, daß Alles in's Reine kommt, sobald er spricht; ich habe ohnedies, was den Adel belangt, schon früher gesagt, daß, wo für den Adel keine Schrift redet, wir als gute Calviner auf die bloße Tradition nicht viel geben.«

Das Blut stieg Tengelyi in's Gesicht, er sprach: »Wenn Herr Nyúzó glaubt, daß er durch höhnende Worte das Ansehen seiner amtlichen Stellung vermehrt, wird der Herr Vicegespan vielleicht so gütig sein, ihn von seinem Irrthum zu überzeugen; was die Sache selbst anbelangt,« so fuhr er, sich selbst Gewalt anthuend, fort, »leugne ich nicht, daß auf den ersten Blick viele Umstände gegen mich sind; übrigens glaube ich, daß die Darstellung der Wirklichkeit auch den Herrn Oberstuhlrichter überzeugen wird, daß er im Irrthum ist.«

Hierauf erzählte er umständlich das Vorgefallene. Der Verdacht, den er über Macskaházy der geraubten Schriften wegen ausgesprochen, war nach Dem, was bei dem Standrechte zu Kislak vorgefallen, von seiner Seite ganz natürlich; daß der Verdacht nicht ungegründet, bewies nichts so klar, als daß man in des Fiscals Zimmer solche Schriften gefunden, in deren Besitz Macskaházy nur dadurch hatte gelangen können, daß er am Raube Theil gehabt. Um aufzuklären, warum er sein Haus gegen seine Gewohnheit so spät verlassen, und wie es geschehen, daß er vom Fährmann und vom Kutscher mit kothbefleckten Kleidern gefunden worden, erzählte der Notär den Inhalt des Briefes, den er von Viola auf so geheimnißvolle Weise bekommen.

»Und wie kommt es,« sprach Nyúzó, der die ganze Zeit über in zweifelndem Lächeln gesessen, »daß Herr Tengelyi Viola's Aufforderung allsobald Folge leistete, daß er spät bei Nacht, und ganz allein, und ohne Waffe, wie er sagt, an einen einsamen Ort gegangen ist, um mit dem größten Räuber des Landes zusammenzutreffen, vor dem sich Andere auch in Begleitung fürchten?«

»Ich habe in meinem ganzen Leben Viola kein Leid gethan,« erwiderte Tengelyi, »und darum habe ich mich vor ihm nicht gefürchtet, um so mehr, als ich aus seinen Zeilen ersah, daß er sich mir gegenüber zur Dankbarkeit verpflichtet fühlte; was war auch übrigens zu thun? Ich wußte keinen andern Weg, in den Besitz der mir entwendeten Schriften zu kommen; ich habe also den angenommen, der mir dargeboten wurde.«

»Wir bitten aber.« sprach wieder Nyúzó, »ob wir den Brief nicht sehen können, von dem die Rede ist; es ist interessant, wenn auch nur darum, damit wir mit der Handschrift des berühmten Räubers bekannt werden.«

»So wie der Schreiber gebeten, habe ich das Briefchen allsogleich verbrannt,« erwiderte Tengelyi.

»Das ist sehr schade,« sprach Nyúzó, »besonders wenn Herr Tengelyi für dieses außerordentliche und wunderbare Märchen, ich will sagen zum Beweise seiner Erzählung, nicht zwei untadelhafte, unparteiische Zeugen hat, denen er Viola's Brief gezeigt.«

»Ich habe das Ganze meinem Freunde Vándory nur heute früh mitgetheilt.«

»Ich verstehe, heute früh,« fuhr der Andere fort, »als ich schon im Dorfe war und die Untersuchung bereits angefangen hatte. Haben Herr Tengelyi sonst nichts mehr zu sagen?«

Tengelyi erwiderte, daß er Alles gesagt, was zur Sache gehöre.

»Aus Dem, was wir gehört,« sprach der Oberstuhlrichter zu seinem Geschwornen, »ist wenigstens nach Herrn Tengelyi's eigenem Geständniß gewiß, daß er die Absicht des Mörders gewußt hat.«

Tengelyi bemerkte, daß er, so viel er sich erinnere, dies mit keinem Worte gesagt habe.

»Ich glaube, hier ist jedes Leugnen überflüssig geworden,« sprach der Oberstuhlrichter scharf betonend, »der Herr Notär gesteht, daß er die Schriften in Macskaházy's Besitz vermuthete; wenn dies nun so ist und wir Viola's Zeilen in Betracht nehmen – wenn sie doch wirklich geschrieben worden sind – wie haben Sie nur einen Augenblick etwas Anderes denken können, als daß der Räuber nur durch eine Gewaltthat in den Besitz dieser Schriften kommen wird? Ja noch mehr,« fuhr der Oberstuhlrichter nach kurzem Schweigen fort, indem er seine Augen auf den Notär heftete, »aus Ihrem eigenen Geständnisse erhellt es beinahe bis zur Gewißheit, daß Sie den zu begehenden Mord nicht nur voraus gewußt, sondern daran auch als Anreizer theilgenommen haben, nachdem Viola weder den Werth dieser Schriften kennen, noch sich der Gefahr aussetzen konnte, die mit dem Wiederverschaffen der Schriften verbunden war, wenn ihn ein Anderer nicht dazu aufgemuntert hätte. Daß aber dieser Andere Niemand sein konnte, als der Herr Notär, ist klar, nachdem das Zurückgewinnen dieser Schriften in keines Andern Interesse liegen konnte.«

Tengelyi wollte antworten. Nyúzó fuhr fort:

»Und wer thut dies, wer begeht dieses entsetzliche Verbrechen? Ein Notär, ein Mann, dessen Pflicht es ist, die Verbrecher zu verfolgen, und der das Vertrauen, welches ihm das Comitat und seine gnädige Grundherrschaft schenkt, dazu benützt, sein Haus zum Schlupfwinkel der Verbrecher zu machen. Das ist ein zu wichtiger Fall, als daß wir darüber urtheilen könnten,« so sprach er zum Geschwornen gewendet weiter, »wir müssen den Angeklagten in's Comitatshaus schicken, und zwar unter gutem Gewahrsam, damit nicht Viola und dessen Spießgesellen, die, wie es klar ist, mit ihm in enger Verbindung stehen, ihn den Händen der Gerechtigkeit auf irgend eine Weise entreißen.«

Der Vicegespan, der an der Entwicklung dieser Sache lebhaften Antheil nahm, machte Nyúzó aufmerksam, daß hierzu keine Nothwendigkeit vorhanden sei, nachdem er, wenn es so gewünscht werden sollte, sehr gern selbst Bürgschaft leiste; aber Nyúzó, der, um des Vicegespans Wünschen nachzukommen, sich bis jetzt aller jener Rohheit enthalten hatte, die er sonst in ähnlichen Fällen zu entwickeln pflegte, hielt es nicht für nothwendig, seinem Vorgesetzten auch in diesem Punkte nachzugeben, und er erklärte feierlich, daß er, auf dem die Verantwortlichkeit in diesem Falle ganz allein liege, in ähnlichen Fällen nie Bürgschaft annehmen werde, und auch dann nicht annehmen würde, wenn Tengelyi's Adel nie in Zweifel gezogen worden wäre, nachdem bei der Einbringung von Spießgesellen anerkannter Räuber auch das Adelsprivilegium nicht berücksichtigt wird.

»Wie unterstehen Sie sich, mich den Spießgesellen von Räubern zu nennen?« schrie Tengelyi, der die Mäßigung, zu der er sich bis jetzt gezwungen, nicht mehr länger behaupten konnte, »Sie – von dem das ganze Comitat weiß, daß er sein Amt zu wiederholten Malen zu Hehlerei mißbraucht hat?«

Wir müssen gestehen, daß der Notär kaum etwas hätte sagen können, was den verdienstreichen Oberstuhlrichter, besonders in Gegenwart des Vicegespans und so vieler Menschen, härter hätte berühren können, da im Comitat allerdings mehrere Fälle erzählt wurden, bei welchen das gestohlene Vieh durch die Eigenthümer, wie behauptet, in Nyúzó's Stall gefunden worden war. Darüber verwunderten sich die Menschen natürlicherweise dergestalt, daß sie im ersten Augenblick nicht wußten, was sie sagen sollten, und deshalb schwiegen; und wenn sie später mit irgend einem Zeugen zurückkehrten, fanden sie das Vieh niemals mehr dort. – Aber die augenblickliche Verwirrung, in die der Stuhlrichter gebracht worden war, diente nur dazu, seine bis jetzt unterdrückte Wuth zum Ausbruche zu bringen und die Schonung bei Seite zu setzen, die er bisher bewiesen. »Wie ich mich unterstehe, Ihn so zu nennen?!« schrie der erzürnte Beamte, »wie ich mich unterstehe, Ihn so zu nennen, ich, der Oberstuhlrichter des hochlöblichen Comitats; wenn ich nicht für den Herrn Vicegespan Rücksicht gehabt hätte, so würde ich Ihn schon lange in Eisen haben schlagen lassen, nachdem es eine weltbekannte Sache ist, daß damals, als wir Viola vor der Restauration hier im Dorfe suchten, der Räuber die ganze Zeit über in diesem Hause versteckt war, und daß, als ich mit allen meinen Wachen eintreten wollte, die Frau Notärin noch unverschämt genug war, mir zu opponiren.«

»Wer wagt es, mit dieser Verleumdung gegen mein Haus aufzutreten?« fragte der Notär immer heftiger, »Viola in meinem Hause?! – ich habe seine Frau und seine Kinder aufgenommen, weil sie in Noth waren, den Räuber habe ich nie gesehen – sprich Du, Elisabeth,« so sprach er zu seiner Frau, »war Viola jemals in unserem Hause?«

Elisabeth, die so wenig als Tengelyi davon Kenntniß hatte, daß Viola mit Vilma's Zustimmung durch die Lipták im Hause versteckt gewesen war, betheuerte mit einem Eide, daß der Verfolgte, seitdem er sich bösem Leben hingegeben, nie in ihrem Hause gewesen, worauf der Oberstuhlrichter hohnlächelnd die alte Lipták vorrufen ließ, die Das nicht mehr zurücknehmen konnte, was sie vor dem Standrecht ausgesagt und beschworen hatte. »Es ist wahr, gnädiger Herr,« sprach die Frau seufzend, »daß Viola, während er im Dorfe verfolgt wurde, die ganze Zeit über hier im Hause war; ich habe ihn selbst in die Kammer hinter die Fässer versteckt, aber weder der Herr Notär, noch die gnädige Frau wußten davon etwas; ja selbst vor Gericht habe ich schon ausgesagt, ich hätte mich dergestalt gefürchtet, daß ich ihnen nicht einmal Das erzählt habe, um was mich Viola gebeten, daß ich ihnen sagen solle, nämlich, daß der Herr Notär auf seine Schriften Acht haben solle; und der Himmel weiß, wie viel Unglück nicht verhütet worden wäre, wenn ich es gesagt hätte.«

»Wer es glaubt, wird selig,« erwiderte der Oberstuhlrichter, »wie hättest Du den Räuber in die Kammer des Hauses führen können, ohne daß es irgend Jemand gewußt hätte?«

»Wer hat denn gesagt, daß es Niemand gewußt hat?« antwortete die Lipták, »ich habe nur gesagt, daß es der Herr Notär nicht gewußt hat und auch die Frau nicht, die damals schon schlafen gegangen war. Als der arme Viola in das Haus kam, war nur Fräulein Vilma und ich noch wach; wir saßen bei Susi's Bett, als wir den Lärm auf der Gasse hörten; ich ging in den Garten hinaus und fand dort Viola; das Haus war von allen Seiten umringt und nirgends ein Ausweg; ich wußte, daß er gehenkt würde, wenn man ihn fänge, und daher bat ich Vilma, den Armen hereinführen zu dürfen. Das Himmelskind hatte Erbarmen über sein Unglück, und sie erlaubte es. Das ist das Ganze, ich soll nicht selig werden, wenn außer uns Beiden Jemand wußte, daß Der, den sie suchten, hier sei. Wenn wir gefehlt, daß wir Viola versteckt haben, so machen Sie meinetwegen mit mir, was Sie wollen. Ich bin ohnedies alt genug, und Niemand ist strafbar als ich.«

»Sei ohne Sorgen, alte Hexe, das wirst Du schon büßen!« sprach der Oberstuhlrichter zornig, »jetzt müssen wir noch das Fräulein befragen; es scheint, als ob das ganze Haus einverstanden wäre,« und zu Elisabeth gewendet sprach er: »Rufen Sie Ihre Tochter herein, wir müssen sie auch befragen.«

»Was, meine Tochter?!« sprach Elisabeth leidenschaftlich, »daraus wird nichts! meine Tochter ist die Braut des Akos Réty, wer ist so kühn, die zu beleidigen? Meine Vilma vor solchen Menschen! verhört wie eine Verbrecherin,« und die gute Frau hätte wahrscheinlich noch mehr gesprochen, wenn Tengelyi sie nicht gebeten hätte, die Tochter zu holen.

»Aber hast Du es bedacht, lieber János?« fragte Elisabeth erstaunt.

»Ich sage Dir, gehe in Dein Zimmer und rufe Deine Tochter,« antwortete Tengelyi ernst, »ich bin überzeugt, daß die alte Lipták lügt; meine Tochter hat mir nie etwas verschwiegen.«

Elisabeth ging hinaus und kehrte bald mit ihrer Tochter zurück. Die Macht der Schönheit ist unwiderstehlich, und Nyúzó selbst verlor trotz seiner angebornen Rohheit seine Dreistigkeit, als er das Mädchen sah, die, von ihrer Mutter geführt, vor ihm erschien; und als er den sanften Ausdruck des bleichen Gesichtes sah, sprach er mit unerwarteter Höflichkeit, daß die Aufhellung gewisser Umstände es nothwendig mache, daß er einige Fragen an sie richte, d. h. wenn es ihr in diesem Augenblicke nicht ungelegen sei, denn in diesem Falle würde er die Fragen auf eine andere Zeit verschieben.

»Das wird nicht nöthig sein,« sprach Tengelyi trocken. »Sprich frei,« sagte er zu Vilma, »ist es wahr, daß Viola in unserem Hause versteckt war, während er im Dorfe gesucht wurde?«

»Vater,« sprach Vilma, und das bleiche Angesicht röthete sich plötzlich.

»Fürchte nichts, meine Liebe,« fuhr Jener ermunternd fort, »Du warst mein gutes, liebes Mädchen immer, Du hast Deinen Eltern nie etwas verheimlicht; sage ohne Rückhalt, ist es wahr, daß Viola in unserem Hause gewesen und daß Du hierzu Erlaubniß gegeben hast?«

Vilma schwieg und zitterte am ganzen Körper, und Nyúzó bedauerte das Mädchen, als er die Wirkung dieser Frage sah.

»Ich sage Dir, fürchte Dich nicht, meine Vilma,« sprach Tengelyi weiter, »ich weiß es, das Ganze ist nur eine Verleumdung; ich weiß, daß Du nicht im Stande gewesen wärest, so etwas ohne meine Erlaubniß zu thun, oder wenigstens ohne mich später davon zu unterrichten. Sieh diese Frau hier« – er wies auf die alte Lipták – »von der ich Anderes erwartet und verdient habe – will sich durch die Lüge rechtfertigen, daß sie Viola mit Deiner Erlaubniß hier im Hause versteckt habe.«

Der Gedanke, daß das offene Geständniß der Wahrheit zur Rechtfertigung der Alten nothwendig sei, überwand in Vilma's Herzen die kindliche Furcht, die sie bis jetzt abgehalten hatte, den ganzen Verlauf zu erzählen. Das arme Mädchen erhob die thränenschweren Augen zu ihrem Vater und erklärte, daß die alte Frau die Wahrheit geredet habe. »Verzeihe mir, mein lieber Vater,« setzte sie mit bittender Stimme hinzu, »ich bin die einzige Ursache des Unglücks; ich selbst habe der Lipták gesagt, daß sie Viola in unserem Hause verstecken soll, wenn es möglich ist; ich selbst habe sie gebeten, daß sie nur Dir nichts sagen soll, denn ich habe gewußt, daß Du in diesem Falle zürnen würdest, weil man Viola einen Verbrecher nennt, obgleich es natürlich ist, daß ich Alles that, um einen Unglücklichen vom Tode zu retten.«

»Wer es glaubt, wird selig,« brummte Nyúzó zwischen den Zähnen; Keniházy seufzte einige Male tief, und Réty bemerkte, daß er in der ganzen Aussage keine Unwahrscheinlichkeit sehe.

Tengelyi hatte die ganze Zeit über die Augen gegen den Himmel geheftet und geschwiegen, aber man sah es ihm an, daß seine Seele einer jener Schmerzen durchzuckte, für die uns in der Sprache das Wort, in den Augen Thränen fehlen. Vilma heftete in stummer Verzweiflung ihre Augen auf den Vater, und nur Vándory unterbrach die feierliche Stille, indem er sich dem Freunde nahte, ihn bei der Hand ergriff und ihn bat, er möge sich nicht durch den Schmerz überwältigen lassen.

»Fürchte nichts,« sprach Tengelyi mit trübem Ernst, »wenn es mit mir dahin kommen mußte, daß ich von meiner eigenen Tochter nur dann die Wahrheit höre, wenn ich sie vor dem Richter frage, so giebt es nichts mehr auf der Welt, worüber ich mich verwundern könnte. Aber lassen wir das!« so fuhr er mit einem Seufzer fort und wendete sich zum Oberstuhlrichter und dem Geschwornen, »enden wir diesen schmerzlichen Auftritt; die Herren wissen, was sie durch ihre Untersuchung zu erfahren wünschten. Sie wissen, daß die Anzeichen alle gegen mich sind; es ist keine Ursache, Sie länger zu belästigen. Geben Sie mir zwei Stunden, daß ich meine Angelegenheiten ordnen und von meiner Familie Abschied nehmen kann; lassen Sie mein Haus indessen meinetwegen bewachen, und lassen Sie mich dann nach Porvár führen.«

»Wenn Herr Tengelyi zu seiner Rechtfertigung weiter nichts zu sagen hat,« sprach Nyúzó aufstehend, »so können wir allerdings enden; die Sache ist klar. In zwei Stunden wird der Wagen bereit sein, nehmen Sie mit, was Sie brauchen, und ich sage voraus, es wird gut sein, wenn Sie sich auf längeres Verweilen einrichten.«

»Wir gehen mit ihm,« sprach Elisabeth in Thränen ausbrechend, »ich werde meinen Mann in seiner letzten Noth nicht verlassen.«

»Meine liebe Elisabeth,« sprach der Notär gerührt, »bleibe Du hier beim Hause. Nachdem eine so schwere Anklage gegen mich erhoben wird, muß ich mich auf meine Vertheidigung vorbereiten, und da ist es am besten, wenn Ihr mich eine Weile mir selbst überlasset.«

Elisabeth brach in noch heißere Thränen aus, und nachdem Nyúzó bemerkt hatte, daß er ohnedies nicht wisse, inwiefern es sich mit den Gefängnißeinrichtungen vertragen könne, daß der Gefangene mit seiner Familie sich bespreche, verließ er mit dem Geschwornen das Zimmer; und ich meinerseits glaube, daß er so, wie er unter diesen Verhältnissen der Familie des Notärs nichts Angenehmeres erweisen konnte, auch für sich nichts Zweckmäßigeres hätte thun können, denn er hatte kaum das Haus verlassen, als Akos in der höchsten Aufregung in das Zimmer trat.

Akos hatte, als er am vorigen Abend mit Vándory von seiner Braut nach Hause zurückgekehrt war, die halbe Nacht in seinem Zimmer auf- und abgehend in süßen Vorstellungen künftigen Glückes zugebracht. Als er sich endlich mit wonnigen Gedanken ermüdet zu Bette legte, versank er in so süßen und tiefen Schlaf, daß er, obschon sein Zimmer das zweite von Vándory's Zimmer war, dennoch weder Tengelyi's Kommen noch jenes der alten Lipták gehört hatte, und erst, als ihn der alte János weckte, erfuhr er sowohl den Mord als auch die Schritte des Oberstuhlrichters gegen Tengelyi. Ich werde die Gefühle nicht schildern, die das Herz des jungen Mannes erfüllten, als er diese Nachrichten vernahm und im Hause des Notärs die Geliebte bleich neben der weinenden Mutter sah. »Um Gotteswillen, was ist geschehen?« sprach er eintretend.

»Mein lieber Akos,« sprach Elisabeth weinend, und nahm ihn bei der Hand, »wir sind verloren, unser Name ist beschimpft, mein Mann wird des Mordes beschuldigt und in das Comitatshaus geführt!« Thränen erstickten ihre Stimme.

»Und ich habe meinen Vater in's Verderben gestürzt!« rief Vilma verzweifelnd. »Akos! wenn Sie mich je geliebt, retten Sie ihn!« und das unglückliche Mädchen stürzte ohnmächtig in seine Arme.

Akos und Elisabeth brachten das Mädchen in das Nebenzimmer; schweigend sah ihnen der Notär nach, und Thränen schimmerten in seinem Auge, als er leise zu Vándory sprach: »Wenn ich fortgehe, sei Du der Vater dieser Armen.«

Réty hatte während des ganzen Vorfalles tief ergriffen geschwiegen, denn die kalte Förmlichkeit, mit der Tengelyi sein Einschreiten zurückwies, so oft er für ihn sprach, hielt ihn ab, seine Theilnahme auszusprechen; jetzt aber überwand er sich, trat zu dem Notär und Vándory, und bat mit bewegter Stimme, Tengelyi möge überzeugt sein, daß er, was auch immer zwischen ihnen vorgefallen sei, alles Mögliche aufbieten werde, seinen einstmaligen Freund aus seiner traurigen Lage zu befreien.

»Ich danke für die warme Theilnahme, die mir der Herr Vicegespan jetzt beweisen,« sprach Tengelyi kalt, indem er sich zu dem Sprechenden wendete. »Ich gestehe, daß ich gar nicht bemerkt habe, daß wir noch das Glück haben; ich glaubte, daß Sie sich mit dem Oberstuhlrichter entfernt haben, nachdem die Angelegenheit, die Ihr Interesse erregt, beendet ist. Der Herr Vicegespan sehen ja, daß Alles in Ordnung ist; das Verbrechen, so scheint es, lastet ganz auf mir.«

»Tengelyi,« sprach Réty tief ergriffen, »seien Sie nicht ungerecht gegen mich; mich hat nichts Anderes in dieses Haus geführt, als der Wunsch, durch meine Gegenwart Ihnen wenn möglich zu nützen, und Nyúzó zu jener Schonung zu bewegen, welche die Pflichterfüllung in solchen Fällen immer erheischt.«

»Wenn dies Ihr Zweck war,« sprach Tengelyi bitter, »so wäre es einfacher gewesen, bei der Restauration Ihren Einfluß nicht dazu zu benützen, einen solchen Stuhlrichter wählen zu lassen, den nur die Gegenwart seiner Vorgesetzten abhalten kann, sein Amt nicht zu mißbrauchen.«

»Ich will hierüber nicht mit Ihnen streiten,« antwortete der Vicegespan etwas verwirrt, »ich will Sie nur Dessen versichern, daß ich, wie belastend auch die Umstände sind, die gegen Sie sprechen, doch von Ihrer Unschuld überzeugt bin; auf mich können Sie rechnen.«

»Gnädiger Herr,« sprach Tengelyi ernst, »es gab eine Zeit, in der ich mich mit dieser Art von Rechnung beschäftigte; meine Freunde waren so gütig, mich zu überzeugen, daß jenes endlose und grenzenlose Gefühl, welches wir Freundschaft nennen, etwas viel zu Hohes ist, als daß wir auf Erden darauf rechnen könnten. – In kurzer Zeit werde ich vielleicht vor meinen Richtern erscheinen, und wenn der gnädige Herr sich Stärke genug zutraut, die Freundschaft zu vergessen, die Sie mir bis jetzt bewiesen haben, so werde ich Sie mit Freuden unter denselben sehen. Verzeihen Sie, wenn ich mich jetzt entferne, ich darf nur zwei Stunden in meinem Hause verweilen, und die will ich mit meiner Familie zubringen.« Er verneigte sich tief und entfernte sich mit Vándory in das Nebenzimmer.

Réty sah ihm lange nach und verließ endlich tief aufseufzend das Haus.


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