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Jede Trennung erfüllt unsere Brust mit schmerzlichen Empfindungen – die Bande, die das Leben knüpft, sind so schwach, und in wenig Tagen kann so viel geschehen, daß der Glücklichste, indem er von seinen Lieben Abschied nimmt, sein Herz gepreßt fühlt und sich kaum die innere Befangenheit verbergen kann, wenn er fortgehend den Freunden zum letzten Male die Hand drückt. Aber was ist dieses Gefühl gegen jenes, wenn wir den Kreis unserer Lieben in einem der traurigsten Momente unseres Lebens zu verlassen gezwungen sind! – Das Herz, welches Vergangenheit und Zukunft nur in der Beleuchtung der Gegenwart schaut, gewahrt in solchen Augenblicken nur Gefahr und Unglück, und kann sich von dem Gedanken nicht trennen, daß der Kreis, aus welchem der Scheidende, wenn auch nur auf ein paar Tage, hinaustritt, bei seiner Rückkunft nicht mehr so bestehen werde, wie er ihn jetzt verläßt. Es ist natürlich, daß Tengelyi in seiner gefährlichen Lage dies doppelt fühlte, und es war seine ganze Geistesstärke nöthig, um seine jammernde Familie durch tröstende Worte aufrecht zu erhalten, da er selbst nichts sah, woran er den Hoffnungsanker hätte knüpfen können! Besonders erfüllte die Untröstlichkeit seiner Tochter seine Brust mit noch nie gefühltem Weh.
»Weine nicht, mein liebes Mädchen!« sprach er zu Vilma gewendet, deren todtbleiches Angesicht einen größeren Schmerz verkündete, als Thränen auszusprechen vermögen; »sieh', Dein Vater ist unschuldig, das weißt Du; in wenig Tagen wird die wahre Sachlage anerkannt sein, dann kehre ich zu Euch zurück, und Du wirst wieder mein schönes, frohes Mädchen sein; nicht wahr?«
»O mein Vater!« sprach Vilma, und ihre Stimme bebte, »Du im Kerker unter jenen bösen Menschen, wenn auch nur auf einen Tag, auf eine Stunde – und wenn ich bedenke, daß ich an Alledem schuld bin.«
»Du, meine Tochter?« fragte Tengelyi erstaunt, »wie kannst Du Dich so martern? Glaubst Du vielleicht, daß Dein Geständniß, daß Viola wirklich in meinem Hause versteckt gewesen, meine Lage erschweren könne?«
»Vater«, sprach das Mädchen traurig, »sprich nicht so freundlich mit mir, ich verdiene diese Liebe nicht; werden diese bösen Menschen nicht behaupten, daß Du gewußt hast, daß Viola bei uns versteckt gewesen, und es jetzt nur verheimlichen willst? Und wenn auch dies nicht wäre, ist nicht all' dieses Unglück blos darum über uns gekommen, weil wir Susi und ihre Kinder in unser Haus ausgenommen haben? und das habe ich gethan.«
»Und eben weil dies die Ursache Eures Unglückes ist,« sprach Vándory dazwischen, »wird Gott Euch in Euren Nöthen nicht verlassen. Die Wege der göttlichen Vorsehung sind wunderbar; eine gute That hat noch keinen Menschen zum gänzlichen Untergange geführt.«
Tengelyi seufzte bei diesen Worten tief auf, aber Vilma fühlte sich ruhiger, und selbst Elisabeth schluchzte leiser, als sie durch Vándory daran gemahnt wurde, daß vielleicht eben diese ungerechte Beschuldigung der Weg sein dürfte, der zur Beschämung ihrer Feinde führe, und auf welchem sie vielleicht auch zu den geraubten Schriften gelangen könnten.
Tengelyi selbst tröstete seine Frau damit, daß seine Einkerkerung jedenfalls von kurzer Dauer sein werde, und da Vándory zurückbleibe, würden sie auch bis dahin nicht ohne theilnehmende, rathgebende Freunde sein.
Elisabeth flehte abermals, ihm mit Vilma nach Porvár folgen zu dürfen; aber der Notär fühlte, daß seine ganze männliche Stärke in dem Augenblick zusammenbrechen werde, in welchem er die Schwelle des Gefängnisses zu überschreiten haben würde, wenn er dann Weib und Kind in ihrem Schmerze neben sich sehen müßte; durch Vándory unterstützt, vermochte er seine Frau wenigstens jetzt, in den ersten Augenblicken von ihrem Vorsatze abzustehen. »Wenn, was ich nicht besorge,« so sprach er weiter, »meine Gefangenschaft länger dauern sollte, könnt Ihr später nachkommen; aber die ersten Tage muß ich mich ausschließlich mit meiner jetzigen Stellung beschäftigen. Völgyesy ist, so weit ich ihn kenne, ein rechtschaffener Mann, und wird meine Verteidigung gewiß gern übernehmen, und Akos wird schon Mittel und Wege finden, mir häufig Nachrichten von Euch zukommen zu lassen. Aber wo ist Akos?«
Elisabeth antwortete, daß er sich entfernt habe, als der Vicegespan fortgegangen, wahrscheinlich um mit ihm zu sprechen, und nach wenig Minuten, während welchen Tengelyi die wenigen mitzunehmenden Habseligkeiten ordnete, trat Akos selbst ein. Sein Gesicht glühte, an den Augen sah man, daß er geweint.
»Du hast mit Deinem Vater geredet?« rief Elisabeth schnell.
»Ich habe gesprochen,« antwortete er mit bebender Stimme.
»Und was sagt er?« fragten Elisabeth und Vándory beinahe zugleich.
»Die schönsten, die auferbaulichsten Dinge, dessen könnt Ihr gewiß sein,« erwiderte Akos bitter, »er hat geweint, hat wirklich geweint, ist mir um den Hals gefallen, hat mich seinen lieben Sohn genannt; er hat gesagt, daß er von Tengelyi's Unschuld überzeugt sei, daß sein Herz blute, wenn er daran denke, daß ein so rechtschaffener Mann, der einst sein Freund war, in eine so unglückliche Lage gekommen sei, und was weiß ich noch Alles! Er hat Alles gesagt, was Jeden auf der Welt überzeugen müßte, daß Tengelyi unschuldig ist, und daß jeder rechtschaffene Mann verpflichtet sei, seine Partei zu ergreifen; aber das Ende dieser schönen Rede war doch, daß er meine Bitte nicht erfüllen könne. Nachdem Nyúzó seine Bürgschaft nicht habe annehmen wollen, vermöge er ihn nicht dazu zu zwingen – mit einem Worte, er könne nichts thun. Hat er denn nicht gesagt, daß sein Herz blutet, was können wir mehr von ihm verlangen?«
»Das hätte ich voraus sagen können,« sprach Tengelyi ruhig.
»Nein, Freund,« fuhr Akos leidenschaftlich fort, »das hättest Du nicht voraussagen können! Wenn ein Engel vom Himmel herabkäme und mir voraus sagte, daß mein Vater auf meine Bitten so antworten würde, ich hätte ihm nicht geglaubt. Ihr wißt nicht, wie ich ihn gebeten habe. Ich habe geweint wie ein Kind, bin ihm zu Füßen gesunken, ich rief das Andenken meiner Mutter auf; ich sagte ihm, wenn er mich je geliebt, wenn er sich nicht für immer von mir losreißen wolle, wenn ich das Schicksal nicht verfluchen solle, welches mir ihn zum Vater gegeben, möge er mir nur diese Eine Bitte erfüllen – und er hat es nicht gethan.«
Vándory, dem die Art weh that, mit der Akos von seinem Vater sprach, sagte: »Und wer weiß, ob er nicht Recht hatte, als er antwortete, daß er Deine Bitte nicht erfüllen könne.«
Akos erwiderte noch bitterer: »Also glaubst Du, daß Nyúzó sich unterstanden hätte, den Wünschen meines Vaters zu widerstehen, wenn mein Vater wirklich für Tengelyi gut stehen wollte, oder um was ich ihn später bat, wenn er ihn in irgend einem Zimmer unseres Hauses hätte wollen bewachen lassen, bis diese unglückliche Geschichte sich aufklärt? Aber was würde Seine Excellenz der Obergespan hierzu sagen? Und nähmen es die hochlöblichen Stände nicht übel, wenn er sich Tengelyi's annähme, den Viele im Comitate hassen? Dies hat meinen Vater jetzt wie immer abgehalten, seiner Ueberzeugung zu folgen; dies hat ihn vermocht, seinen Sohn zurückzustoßen.«
Ergriffen sprach Vándory: »Urtheile nicht so streng über Deinen Vater; wer weiß, wie schwer es ihm geworden, Dir Deine Bitte abzuschlagen.«
»Lassen wir das!« unterbrach ihn Akos. »Als ich das Haus verließ, bestellte Nyúzó schon die Wagen; wir haben wenig Zeit übrig, verbittern wir sie nicht durch eine Erörterung, die zu nichts führt. Wenn Du es erlaubst,« so sprach er zu Tengelyi, »will ich mit Dir nach Porvár gehen.«
Der Notär wiederholte, was er schon seiner Familie gesagt, und bat Akos nur, ihm während der Gefangenschaft von Elisabeth und Vilma so viel möglich Nachricht zu geben. Lächelnd setzte er hinzu: »Es ist nicht nöthig, sie Deinem Schutze zu empfehlen.«
»Wenn ich zu diesem Schutze nur noch mehr Recht hätte!« fiel Akos lebhaft ein, »wenn ich Vilma meine Frau nennen könnte! Was der Vater nicht für das Glück seines Sohnes gethan, würde er vielleicht seines Namens wegen thun.«
»Ich verstehe Dich,« sprach Tengelyi ruhig, »aber Gott sei Dank, ich bedarf keines Schutzes, um meine Unschuld zu beweisen. Ich kann meiner Tochter nichts hinterlassen als meinen ehrlichen Namen; aber bis dieser nicht hergestellt ist, werde ich Eure Vermählung nicht zugeben.«
Akos wollte antworten, aber das Gerassel des Wagens, der vor dem Hause still hielt, gab den Gedanken eine andere Richtung.
Schnell, um durch die Thränen der Seinen nicht erweicht zu werden, umarmte Tengelyi Weib und Kind, raffte die Bunda auf und warf sich in die Kutsche, die Réty um ihn geschickt, zu Nyúzó's nicht geringem Aerger, der den Notär durchaus auf einem Bauernwagen und in Ketten nach Porvár führen lassen wollte.
Der Geschworne setzte sich neben Tengelyi; neben dem Kutscher und rückwärts am Wagen nahm überall ein Haiduk Platz, und der unglückliche Notär dankte dem Himmel, als der Wagen endlich in Bewegung kam und ihm den Anblick seiner verzweifelnden Familie entzog. Was immer ihn dort erwartete, wohin er ging, so kann es doch für den besseren Menschen nichts Peinlicheres geben, als wenn er Die in Schmerzen sehen muß, die er liebt.
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Lassen wir jetzt Vilma mit der Mutter und Akos, denen sich später Etelka anschloß, und folgen wir dem Notär in das Comitatshaus.
Als Lord Byron auch in Venedig auf der sogenannten Seufzerbrücke stand, flößte der Gedanke, daß er zu beiden Seiten Palast und Kerker sah, dem großen Dichter jene schöne Betrachtung ein:
I stood in Venice on the bridge of sighs,
A palace and a prison on each side.
Der Dogenpalast in Venedig ist, wie bekannt, berühmt durch seine glänzenden Gemächer und entsetzlichen Gefängnisse, die oben unter dem Bleidache und in der Tiefe unter dem Canale alle Pracht, die wir im Palaste sehen, gleichsam mit Schmerzen einfassen; das getreue Bild so manches Staates, wo Jene, die über oder unter der glücklichen Mittellinie stehen, von dem Glücke, welches die Verfassung gewährt, ausgeschlossen sind; wo wir unaussprechliches Leiden sehen, wohin wir immer unsere Augen wenden, während ein paar hundert Thoren oder Verführer über die Aufrechthaltung der Freiheit berathschlagen. Venedig ist ohne Zweifel schön, der Dogenpalast ist schön, auch Byrons Zeilen sind schön; sie kommen dem Reisenden unwillkürlich in den Sinn, wenn er in seiner Gondel unter der traurigen Brücke dahinfährt, über welche der Gefangene Venedigs vor seinen Richter oder zum Tode geführt wurde. Aber wenn Byron ein Ungar gewesen wäre – und es ist sehr zu bedauern, daß er es nicht war, schon darum, weil wir an seinem Beispiele hätten sehen können, ob unsere ungarischen Afterheiligen, die in der Verehrung gewisser Dinge eben so intolerant sind, wie die Bischöfe der englischen Hofkirche, den großen Dichter, der ihnen ohne Zweifel starke Wahrheiten gesagt haben würde, nicht eben so verfolgt hätten, wie er in seinem Vaterland verfolgt worden – ich sage also, wenn Byron ein Ungar gewesen wäre, hätte er, auf der Seufzerbrücke stehend, für das » nil admirari« des Horaz einen weit erhabeneren Standpunkt eingenommen; denn als einfacher Engländer konnte es ihm allerdings auffallen, daß er Palast und Gefängniß nebeneinander sah, während es hingegen bei uns Ungarn jedem Kinde bekannt ist, daß der Kerker gar nirgends anders sein könne, als im Comitats-Palast, oder wenigstens unter demselben, was ohne Zweifel schon darum der zweckmäßigste Ort ist, weil jeder Vorübergehende daran gemahnt wird, daß der Staat, der bei uns im Comitatshause personificirt ist, auf der strengsten Gerechtigkeitsverwaltung beruht. Weil überdies unsere Comitatshäuser keinen großen Keller bedürfen, denn wenn die hochlöblichen Stände sich in übergroßer Zahl versammeln, pflegen sie schon in vorhinein dafür zu sorgen, daß sie während ihrer Berathungen nicht durch Durst geplagt werden, konnte für die Gefangenen außer den Kellern kaum ein anderer zu nichts verwendbarer Ort gefunden werden.
Es giebt Menschen – denn was fiele diesem zweibeinigen unbefiederten Thier, wie Plato den Menschen definirte, nicht ein, besonders seit er dem Mangel seiner Natur durch die Federn der guten Gans nachhilft und sich auf ihnen erhebt? – die da sagen, daß diese unsere Kerker schlecht sind; warmblütige Schwärmer, barmherzige Brüder, politische Dichter, deren schwacher Kopf nicht begreift, daß unter allen Dingen die Kerker unsere Aufmerksamkeit vielleicht am allerwenigsten erheischen, und die, wenn sie sich freuen, daß Pest und Ofen durch eine Kettenbrücke verbunden werden, deshalb doch nicht für nöthig erachten, daß unsere Gefangenen, und darunter vielleicht viele unschuldige, mit dreißig- oder noch mehrpfündigen Ketten herumspazieren. Aber Dank sei es unserem Geschick! – Die vernünftige Mehrzahl horcht den Worten dieser Mondsüchtigen nicht, und unsere Gesetzgebung hat es wenigstens noch nicht für nöthig erachtet, zur Veränderung dieses Zustandes irgend etwas zu verfügen. Wozu auch? Unser Einkerkerungssystem hat sich ja ganz aus dem Genius der Nation und dem Geiste unserer Verfassung entwickelt; wer würde es wagen, diese Einrichtung mit ungeweihten Händen anzurühren? Würde es dann nicht geschehen, daß wir vielleicht das Ausland nachahmen? Und wäre es nicht ewig schade, wenn wir unsere Originalität verlören, besonders in diesem Falle, wo es im neunzehnten Jahrhundert kein originelleres Volk giebt? Und wenn wir die Dinge nicht, wie unnütze Gelehrte, mit haarspaltendem Geiste betrachten, sondern als wirkliche Staatsmänner erwägen, so kann nicht geleugnet werden, daß wir in dieser Beziehung vom Auslande kaum etwas Gutes lernen könnten, was in unseren Kerkern wenigstens in einem gewissen Maße nicht schon vorhanden wäre.
Der Hauptvorzug des Isolirungs-Systemes besteht – wie die Vertheidiger desselben behaupten – nicht sowohl darin, daß der Verbrecher von jeder Gesellschaft ausgeschlossen ist, als vielmehr darin, daß er mit guten Menschen in Berührung kommt und während der Strafzeit solche Dinge lernt, die ihm in seinem späteren Leben nützlich sein können. Aber wer sieht denn nicht ein, daß eben unser Kerker-System jenes ist, bei welchem dieser Zweck am vollständigsten erreicht wird? Wer kann das Isolirungs-System des Auslandes, wo der Gefangene die Woche hindurch ein- oder zweimal von seinem Geistlichen besucht wird und nur ein paar Stunden in der Gesellschaft eines honneten Menschen zubringt, mit unsern viel vollkommeneren Kerkern vergleichen, wo der ehrliche Mensch, von dem wir eine wohlthätige Wirkung auf den Verbrecher erwarten, nicht nur zum Besuche kommt, sondern, damit seine Belehrung um so wirksamer sei, als Beklagter oder Zeuge mit dem Verbrecher zusammengesperrt wird? Es ist überflüssig, von Unterricht zu reden; der aus dem Genfer Gefängnisse Entlassene kann von jenem Spinnen oder Weben, welches er während der Gefangenschaft gelernt, nicht so viel Nutzen ziehen, als unsere Gefangenen von Dem, was sie während der zwei oder drei Jahre gelernt haben, die sie im Comitatshause zubringen.
Eben so erscheint die Sache, wenn wir unser Kerker-System mit jenem des Stillschweigens vergleichen, denn wenn ich auch jene tief eingreifende Bemerkung übergehe, die gegen das Schweig-System aus dem Gesichtspunkte vorgebracht wird, daß es mit der menschlichen Natur im Widerspruche steht, so ist denn doch klar, daß sich mit der menschlichen Natur nichts besser verträgt, als wenn der Mensch jahrelang in einen Kerker gesperrt, alle Vierteljahr mit einem Haslinger tüchtig durchgeklopft wird und an seinen Füßen dreißig Pfund Eisen trägt. Was ist der Zweck, welchen das Schweig-System durch so viele und so schwere Mittel zu erreichen wünscht? Nichts Anderes, als daß der Gefangene an Ordnung gewöhnt werde und die Arbeitslosigkeit scheuen lerne. Dies sind wenigstens nach Lukas die Hauptvorzüge dieses Systems; und finden sich diese Vorzüge nicht auch bei uns? Allerdings ist die Ordnung in unseren Kerkern nicht so pedantisch, wie bei anderen, minder geistesfeurigen Nationen, und unsere Gefangenen würden es vielleicht nicht bedauern, wenn zum Beispiele bei dem Mittagsessen mehr Ordnung bestände; aber wird dies nicht reichlich ersetzt, wenn uns einfällt, daß der Gefangene, wenn auch nicht auf den Stunden-, doch auf den Vierteljahres-Wechsel nirgends so kräftig erinnert wird, als bei uns: daß ihm nirgends die Kostbarkeit der Zeit so eingeprägt wird, als bei uns, nachdem er erfährt, daß ihm drei Monate jedesmal 25 Prügel eintragen? Hierdurch wird zugleich der möglichst philanthropische Zweck erreicht, denn die vierteljährige Durchprügelung bewirkt, daß der Gefangene, anstatt die Zeit unermeßlich lang zu finden, sich vielmehr über die Kürze der Frist beschwert, die zwischen dem vierteljährigen Empfang verfließt.
Die Arbeitsscheu wird bei uns nach Hahnemanns System durch Faullenzen geheilt, und es ist zu verwundern, daß dieses Mittel nicht immer so günstig wirkt, als wir wünschen; dies ist aber bestimmt nicht Jenen zuzuschreiben, die schon a priori gar nichts Anderes glauben können, als daß Derjenige, den sie zum Faullenzen gezwungen haben, seine Freiheit vor Allem zur Arbeit benützen wird, so wie sie selbst, die in ihren Schuljahren zum Lernen gezwungen worden waren, ihre Freiheit dazu benützen, kein Buch mehr anzurühren.
Und nun frage ich: Wie kann einem vernünftigen Menschen der Gedanke kommen, daß unser Kerker-System geändert werden müsse? Zugegeben, daß dies möglich sei, obschon Jeder auf den ersten Blick sehen muß, daß die durchaus ungarische Institution der Küchen-Gefangenen Küchengefangene heißen solche Arrestanten, die – obwohl in Ketten – im Comitatshause frei herumgehen und von einzelnen Comitatsbeamten zum Holztragen und zu verschiedenen häuslichen Diensten verwendet werden. sich weder mit dem Isolirungs-, noch mit dem Schweig-System verträgt; und ich sehe nicht ein, wenn dies abgestellt werden sollte, wie der hieraus in der Küche des Vicegespans, besonders beim Drehen des Gefrornen Gefrornes, in einem Theile Deutschlands Eis genannt., entstehende Abgang ersetzt werden könnte?
Und nun frage ich: Warum sollen wir diese Ordnung ändern, in welcher die meisten Vollkommenheiten zu finden, die einzig ist auf dieser großen Welt; nach welcher die Gefangenen aus den Kerkern nicht nur gebessert, sondern, wo es weibliche Arrestanten giebt, sehr oft als ganz unschuldige Wesen herauskommen, an denen außer der Erbsünde nicht die leiseste Spur eines Verbrechens gefunden werden kann? Philanthropie, nichts als unnütze Philanthropie, und auch als solche die möglichst unzweckmäßige, nachdem Jeder weiß, daß die Hauptaufgabe der Philanthropie in der Abschaffung der Todesstrafe liegt, und es klar ist, daß diese nirgends leichter zu bewerkstelligen ist, als in einem Lande, wo die Einrichtung der Kerker den Henker überflüssig macht.
Dies Alles war den hochlöblichen Ständen des Taksonyer Comitats bekannt, und sie hatten sich bisher aller unnützen Neuerungen zu enthalten gewußt. Man kann nicht leugnen, daß sich auch hier in neuerer Zeit Dinge zugetragen, welche dieses aus dem Genius unserer Nation entstandene Strafsystem mit einiger Gefahr bedrohten. Nicht lange vorher war ein junger Gerichtstafelbeisitzer durch das Comitat gereist, blos um die Gefängnisse zu sehen, und obschon der Castellan an diesem Tage jedem Gefangenen ein halbes Seitel Branntwein hatte verabreichen lassen, und obgleich ihnen streng befohlen war, daß Alle Karten spielen sollten, nur um den Fremden zu überzeugen, wie gut das Taksonyer Comitat mit den Gefangenen verfährt, lärmte doch der Reisende in unerklärbarer Verblendung gewaltig gegen die Gefangenpflege des Herrn Karvay. Dem alten Bestande drohte noch mehr Gefahr, als in eben dem Winter, der auf den erwähnten Besuch folgte, in dem Kerker eines benachbarten Comitats die Füße von fünf bis sechs Gefangenen erfroren; und obschon das Comitat mit aller möglichen Sorgfalt verfuhr, und sämmtliche Füße mit einer Holzsäge absägen ließ, und obgleich die Kranken, an denen dieses chirurgische Meisterstück ausgeführt wurde, bis auf einen Alle gestorben waren, und obgleich diesem Aehnliches sich schon öfter ereignet hatte, ohne besondere Aufmerksamkeit zu erregen: war doch plötzlich im ganzen Lande ein ungeheures Geschrei gegen die Unmenschlichkeit der hochlöblichen Stände jenes Comitates entstanden, als ob sie die Schuld trügen, daß der erwähnte Winter so ungewöhnlich streng gewesen, und als ob nicht eben damals, als in dem unteren Kerker die Füße erfroren, oben, wo in einem Zimmer achtzig Gefangene beisammensaßen, sich jeder über zu große Hitze beklagt hätte, zum sonnenklaren Beweise, daß dergleichen böswillige Menschen mit den entgegengesetztesten Klagen gegen ihre Vorgesetzten auftreten. Aber der fremde Gerichtstafelbeisitzer, der im Casino von Porvár über die Verbesserung der Gefängnisse eine schöne Rede gehalten hatte, war weiter gereist, und Jenen gegenüber, die sich um die erfrornen Füße erkundigten, wußte das erwähnte Comitat seine Autonomie aufrecht zu erhalten; der Lärm verhallte nach und nach; die bei dieser Gelegenheit erlassenen höheren Befehle wurden in das Archiv gebracht, und Herr Karvay blieb bei seiner alten rein ungarischen Einrichtung, deren Zweckmäßigkeit auch dies bewies, daß sich in keinem Erziehungsinstitute – und in gewisser Beziehung kann man Gefängnisse Erziehungsinstitute nennen – die Zahl der Zöglinge von Jahr zu Jahr so vermehrte, als in jenem, welches der Aufsicht des hochverdienten Castellans anvertraut war.
Meine Leser wissen, daß die Comitatshäuser nicht blos zu Berathschlagungen benützt werden; diese Gebäude, die, wenn sie auch nicht der Adel gebaut hat, doch ausschließlich vom Adel benützt werden – die Kerker abgerechnet, wo der Adel nur den größeren Theil derselben einnimmt – haben außer der Verhandlung der öffentlichen Angelegenheiten noch viele andere ohne Vergleich angenehmere Zwecke.
Der große Saal zum Beispiel, an dessen grünem Tisch des Morgens die schönsten begeisterten Reden erklangen, oder mit gehörigem Ernst, den wie bekannt nichts so sehr erhöht, als das Tabakrauchen, Todesurtheile gefällt wurden, ist ohne Zweifel der schicklichste Platz für das große Gastmahl, welches der Vicegespan veranstaltet. Der Mangel an Maß oder Ordnung, der am Morgen in der Verhandlung zu verspüren war, wird Abends durch den Ball ausgeglichen, wo sich hundert Paare nach dem Klange von Geige und Baßgeige im Gleichmaß des Tanzes bewegen. Unter diesen Nebenzwecken des Comitatshauses ist einer der wichtigsten, daß man sich dort zusammenfindet; und ob auch jetzt beinahe in jedem Hauptorte der Comitate Casino's entstanden sind, und die Gerichtstafelbeisitzer zur Conversation auch andere Orte finden könnten, bleibt doch der gesuchteste Vereinigungsort das Comitatshaus, welches durch lange Gewohnheit lieb geworden ist, und man würde kaum ein Notariat oder ein Fiscalamt betreten können, ohne die Arbeitenden von zahlreicher Gesellschaft umgeben zu finden, die zur Beförderung der Arbeit plaudernd und rauchend auf- und abgeht. Der ungarische Adel hat viel an sich, was an die römische Geschichte erinnert. Wenn wir betrachten, daß wir nichts zu den öffentlichen Lasten beitragen, so denken wir unwillkürlich an jene Gänse, die – wie bekannt – im Capitol nur darum genährt wurden, damit sie, wenn dem Vaterland Gefahr drohte, durch ihr Schnattern Aufmerksamkeit erregten; derlei ist auch die uns beinahe angeborene Neigung, den größten Theil der Zeit im Comitatshause zuzubringen. Der Römer fühlte sich nur auf dem Forum wohl – der Gerichtstafelbeisitzer kennt keinen angenehmeren Ort, als das Comitatshaus; dort ist sein Leben, dort arbeitet er; er speist nirgends mit so viel Appetit als an jenem Tisch, an dem er hauptsächlich berathschlagt hatte, er spielt nirgends lieber Karten, als im Fiscal- oder Perceptoramte. – Dies war auch im Taksonyer Comitat gebräuchlich. Nachdem nun Nyúzó, sobald Tengelyi's Verhör beendet war und er die Vicegespanin von dem Ergebniß desselben verständigt hatte, allsogleich nach Porvár gefahren war, wo sich seine Erzählung mit Blitzesschnelle verbreitete, können sich unsere Leser nicht verwundern, wenn sie, als Tengelyi mit dem Geschwornen in das Comitatshaus gelangte, im Zimmer des Oberfiscals eine zahlreiche Gesellschaft finden, welche die Ankunft des einst so stolzen, jetzt dem Kerker verfallenen Dorfnotärs erwartete. In der Nähe des Hausherrn besprachen sich der einstweilige Comitats-Perceptor Sáskay mit dem Gerichtstafelbeisitzer Zátonyi über das Verderbniß der Welt; neben dem Kamin erklärte Bántorny James einigen Vicenotären und dem Obernotär, der ihm nicht entkommen konnte, weil er ebenfalls eingeschlossen war, das Verfahren der englischen Jury, seinen Vortrag durch sehr bedeutende und daher schon so oft erzählte Beispiele erläuternd, während ein pensionirter Rittmeister, der zu Porvár lebte, auch den gegenwärtigen Fall dem jetzigen milden Criminalverfahren beimaß, und einige ältliche Gerichtstafelbeisitzer durch Kopfnicken, schwere Seufzer und einzelne Ausrufungen, wie z. B.: »wirklich wahr! schon seit zwei Jahren ist Niemand hingerichtet worden! am Ende bringen sie noch Alle um!« den Redner zu noch größerem Feuer entflammten. Völgyesy selbst, obwohl er dergleichen Gesellschaften nicht liebte, war heute zugegen und hatte seine Ueberzeugung zum großen Scandal der Uebrigen, besonders aber Nyúzó's, dahin ausgesprochen, daß er Tengelyi für vollkommen unschuldig halte. Von den bedeutenden Personen Porvárs fehlte nur der zum zweiten Vicegespan erwählte Krivér, was wir aber nur natürlich finden können, wenn wir wissen, daß er durch Nyúzó verständigt worden, die Vicegespanin wünsche, daß der Gefangene auf das allerstrengste behandelt werde, während der Vicegespan dagegen die größte Schonung empfohlen habe. Nachdem nun der hochverdiente Beamte sich nicht fähig fühlte, so entgegengesetzte Anforderungen zu befriedigen, hielt er es für das Zweckmäßigste, sein Recht, Einleitungen zu treffen, Anderen zu überlassen.
Keniházy's Eintreten, und die Nachricht, daß er mit dem Gefangenen glücklich eingetroffen, schnitt alle einzelnen Gespräche ab und lenkte die Aufmerksamkeit auf den Geschwornen, und ich kann versichern, daß Bándi's Auftreten, trotz seinen sonstigen Verdiensten, nie eine ähnliche Wirkung hervorgebracht hatte, selbst damals nicht, als er den mit weißem Lammfell ausgeschlagenen Pelz, mit dem er jetzt im Zimmer stand, zum ersten Male angezogen hatte. Es giebt ein römisches Sprüchwort, welches beiläufig sagt, daß Derjenige gut gelebt hat, dem es gelungen ist, sich der Aufmerksamkeit der Welt zu entziehen, und ich meinerseits bezweifle die Wahrheit dieses Satzes nicht; es liegt in unserer Natur, daß wir uns an den Beifall, der uns auf dem Welttheater wird, eben so leicht gewöhnen, als es uns schwer wird, das Bewerfen mit Eiern und faulen Aepfeln zu vertragen, was ebenfalls mit dem Handwerk verbunden ist; und ich glaube, Wenige haben sich ausgezeichnet, ohne am Ende ihrer Laufbahn wenigstens sich selbst zu gestehen, daß es besser gewesen wäre, verborgen zu bleiben. Aber trotz der Neigung unserer Nation zum Classischen scheint es doch, daß das alte Sprüchwort nicht viel überzeugende Kraft besitze, und es ist kaum Einer zu finden, der, wenn er sich ausgezeichnet sieht, die Sache für so unendlich unangenehm hielte, und der, wenn ihn die Welt für einen Zentner hält, und er sich dabei so leicht fühlt, als ob er nicht ein halbes Pfund wäge, nicht mit jener Selbstzufriedenheit um sich blicken würde, mit der jetzt Keniházy umherschaute.
»Der Weg war wirklich schlecht,« so sprach er und legte die Stirn in Falten, um seinem Antlitz einen feierlichen Ausdruck zu geben, »ich hätte nicht geglaubt, daß wir so viele Anstände haben werden.«
»Also hat es Anstände gegeben?« fiel Nyúzó schnell ein, »ich habe es gleich gedacht. Du kamst viel später, als ich Dich erwartet, ich wußte es, daß Dich etwas aufgehalten hat.«
»Aufgehalten?« erwiderte der Erste, »und wie! wenn die zwei Haiduken nicht bei mir sind, weiß ich gar nicht, was geschieht.«
»Was Geier!« sprach der Oberstuhlrichter erstaunt. »Hat sich der Notär vielleicht widersetzt? oder hat man seine Befreiung versucht?«
»Das gerade nicht,« antwortete der Geschworne, der, als er das Interesse sah, welches die Fragen erregten, sehr bedauerte, verneinend antworten zu müssen, »aber wir sind eingeschlafen. Eine der Brücken wird jetzt ausgebessert – wir mußten vom Damm herunter, die Kalesche versank bis an die Achse im Koth, und wenn, wie gesagt, die zwei Haiduken nicht bei mir sind, und ich und der Notär selbst nicht an dem Wagen schieben, so hätten wir bis morgen dort bleiben müssen, und dann hätten die Räuber, wie ich meine, die Befreiung des Gefangenen versuchen können. – Aber wenn sie es gewagt hätten,« so fuhr er fort, und ballte die Faust mit Heldenausdruck, »so hätten sie schon erfahren, mit wem sie es zu thun haben.«
Die Erklärung, warum er später eingetroffen, war viel zu natürlich, als daß sie die Herren hätte befriedigen können; indessen blieb immer das Hauptinteresse in Tengelyi's Person concentrirt, und drei oder vier Stimmen fragten auf einmal: »Wie hat sich der Notär unterwegs betragen? – was hat er geredet? – wie hat er sich geberdet?«
»Er hat gar nichts gethan,« antwortete der Befragte, »nachdem der Herr Vicegespan mir sehr auf das Herz gebunden hat, daß ich dem Gefangenen die größte Schonung erweisen solle.«
Der Oberfiscal, auf den diese Worte einen größeren Eindruck bewirkten, als auf die Uebrigen, rief aus: »Was! dies hätte der Vicegespan wirklich befohlen?«
»Und wie!« antwortete der Befragte, »ich habe ihn noch nie so entschieden reden gehört, wie jetzt, als er mir sagte, daß er von Herrn Tengelyi's Unschuld – Herr hat er gesagt, ich weiß es, als ob er's jetzt sagte – also, daß er von Tengelyi's Unschuld überzeugt ist, und daß wir Alles vermeiden sollen, was seine ohnedies unangenehme Lage noch erschweren könnte.«
»Wunderbar,« sprach Sáskay und schüttelte das Haupt.
»Mir war es auch so,« sprach der Geschworne, »aber weil es der Herr Vicegespan wünschte, und weil er noch hinzusetzte, daß ich ihn durch nichts mehr beleidigen könne, als wenn ich dies sein Begehren nicht erfülle –«
»Diese Mahnung des Herrn Vicegespans finde ich sehr natürlich,« fiel Nyúzó ein, der die Wirkung sah, welche diese Worte des Geschwornen besonders auf den Oberfiscal hervorbrachten, und seinen Bándi dafür im Innern verwünschte, »was sollte der Arme thun? – Sein Sohn ist in die Notärstochter vernarrt; wenn er jetzt, nachdem Tengelyi in Verlegenheit gerathen ist, nichts dergleichen thut, als wollte er sich seiner annehmen, kann Akos in seiner Leidenschaftlichkeit weiß Gott was unternehmen. Aber ich kenne seine Gesinnungen besser, die gnädige Frau hat noch, bevor ich fort bin, mich ausdrücklich gebeten, daß ich bei der Entdeckung des Verbrechens, durch welches sie ihres treuesten Dieners beraubt worden, mit der größtmöglichsten Strenge verfahren soll, und wir wissen, daß der Vicegespan mit seiner Frau immer derselben Meinung ist.«
»Ich weiß also nicht, ob ich nicht gefehlt habe,« sprach der Geschworne, und kratzte sich den Kopf, »aber nachdem mir der Herr Vicegespan dies gesagt hatte, hab' ich ihn wirklich nicht einmal binden lassen und bin mit aller Art mit ihm umgegangen; ich wollte auch Allerlei sprechen, aber er hat mir kaum geantwortet.«
»Das schlechte Gewissen,« sprach Sáskay seufzend.
»Dafür halte ich es auch,« fuhr der Erste fort, »er hat ja nicht einmal rauchen wollen, und ich hab' es ihm doch dreimal angetragen.«
»Das hätten der Herr Geschworne auch unterlassen können,« sprach Zátonyi ernst. »Gefangenen gegenüber muß man seine Autorität immer aufrecht erhalten, muß man immer mit einer gewissen Gravität auftreten, sonst halten sie sich für Unsersgleichen.«
»Mach' Dir keine Sorgen!« sprach Nyúzó wohlgemuth, als er seinen Geschwornen über die Ermahnung betroffen sah; »Du, Bándi, warst immer ein galanter Kerl; laß den Gefangenen heraufbringen, damit wir ihn übergeben. Sei unbesorgt, hier werden sie schon mit der gehörigen Gravität mit ihm umgehen.«
Der Geschworne ging hinaus, und wenige Minuten darauf trat Tengelyi in Begleitung des Castellans und zweier Haiduken ein. Völgyesy folgte ihm; er hatte das Zimmer verlassen, sobald er von Tengelyi's Ankunft gehört, und sich mit ihm besprochen. Das Benehmen des Notärs war ernst und männlich wie immer, gleich fern von Hochmuth und Unterthänigkeit, und die Ruhe, mit welcher er vor Jenen erschien, von denen sein Los größtentheils abhing, blieb nicht ohne Wirkung auf die Anwesenden, Zátonyi und Nyúzó ausgenommen.
»Schau nur, wie verdammt hochmüthig er ist,« sprach der Oberstuhlrichter leise zum Oberfiscal, »aber wir werden ihm schon die Hörner brechen.«
»Wenn ihn nur der Vicegespan nicht unter seinen Schutz genommen hätte!« seufzte Jener.
Die Uebergabe und Uebernahme des Gefangenen war bald geschehen, und Tengelyi erwartete schweigend den Augenblick, in welchem er als Gefangener in den Kerker geführt werden würde, als Karvay sich mit der Frage an den Oberstuhlrichter wendete, welche Gattung Ketten er dem Gefangenen anschlagen lassen solle.
Diese Frage war von Seite Karvay's sehr natürlich, nicht nur, weil er aus Erfahrung wußte, daß es im Leben Verhältnisse giebt, in denen wir eine außerordentliche Neigung zum Davonlaufen spüren, sondern auch weil im Taksonyer Comitat zwischen Eisen und Eisen ein großer Unterschied bestand, wie in so manchen andern Comitaten, und weil es in Bezug auf den Gefangenen nicht gleichgiltig war, ob man ihm ein paar Pfund Gewicht, oder Ketten von einem halben Centner Schwere an die Füße schlägt; Ketten von solcher Stärke, daß sie nicht nur den Entfliehungsversuchen der Gefangenen, sondern auch jenen höheren Befehlen, die sie abschafften, widerstanden. Allerdings hatte bis jetzt Karvay das Gewohnheitsrecht, jene Eisen anschlagen lassen, die ihm gut dünkten, und er hatte dieses Recht den Haiduken überlassen; aber im gegenwärtigen Falle, in welchem der Vicegespan, wie er eben vom Geschwornen gehört, die größte Schonung erheischte, schien es ihm räthlich, die Verantwortlichkeit auf einen Andern zu wälzen.
So natürlich auch diese Frage war, verwirrte sie doch den Oberfiscal sichtlich, und er bemerkte: er glaube, daß man mit dem Eisenanlegen die Rückkunft des zweiten Vicegespans erwarten müsse.
»Weshalb?« sprach Nyúzó ungeduldig, »der Gefangene wird dem Oberfiscal übertragen, und ich sehe keinen Grund, warum man mit der Entscheidung warten soll; laß ihm was immer für ein Eisen anschlagen, eines von den acht- oder zehnpfündigen, und damit Punktum.«
Bevor noch der Oberfiscal antworten konnte, trat Völgyesy mit der Meinung hervor, daß das Eisenanlegen nur eine unnütze Quälerei sei, insofern sie nicht nöthig ist, das Entfliehen zu hindern.
»Es scheint,« sprach Zátonyi übellaunig, »daß jeder Verbrecher in Herrn Völgyesy einen Vertheidiger findet.«
»Nicht jeder Verbrecher,« antwortete Jener ernst, »aber ich rechne es mir zur Ehre, Jenen zu vertheidigen, der eines Verbrechens ohne Grund beschuldigt wird und von dessen Unschuld ich überzeugt bin, und darum habe ich Herrn Tengelyi selbst gebeten, seine Angelegenheit mir zu vertrauen.«
»Also haben wir die Ehre, im Herrn Vicefiscal den Advocaten Tengelyi's zu sehen?« sprach Nyúzó und blickte mit verächtlichem Lächeln auf Völgyesy.
» Desperatarum causarum advocatus,« lächelte Zátonyi. »Wäre nur dieser Viola nicht entflohen, so hätten wir schon den Nutzen der Vertheidigung gesehen.«
»Welchen Nutzen, welchen Gewinn meine Verteidigung bringt, hängt nicht von mir ab,« sprach Völgyesy, und blickte mit Verachtung auf die Redenden, »ich erkläre nur, daß ich meiner Pflicht gemäß Alles aufbieten werde, um meinen Schutzbefohlenen vor unnützen Leiden zu schützen, und ich bin überzeugt, daß ich hierin auf unsern verehrten Vicegespan rechnen kann.«
Diese letzten Worte verfehlten ihre Wirkung bei dem Oberfiscal nicht; nachdem er Tengelyi mit den Haiduken hinausgesendet, berieth er sich leise mit den Anwesenden, und das Resultat war, Tengelyi bis auf weiteres ohne Eisen einzuschließen.
Karvay und Nyúzó vernahmen diesen Beschluß nicht mit Freuden, und der Erste bemerkte, daß es eine schauderhafte Ungerechtigkeit sei, nachdem die ganze Verantwortlichkeit auf ihm liege, nicht zuzugeben, daß er gegen Tengelyi's Entweichen jene Maßregeln ergreife, ohne welche man keines Gefangenen sicher ist; aber der Wille des Vicegespans, besonders ein paar Wochen nach der Wahl, wiegt mehr, als daß ein Castellan mit den gewichtigsten Gründen dagegen aufkommen könnte, und Karvay gewann durch seinen Widerspruch nichts Anderes, als daß er durch Sáskay erinnert wurde: daß es viel leichter sei, einen Gefangenen im Kerker zu halten, als gewisse Leute auf dem Schlachtfelde; und unter dem allgemeinen Gelächter konnte er nicht einmal seine witzige Antwort vernehmbar machen: wie im Comitatshause Alles doppelte Wachsamkeit erheische, nachdem es bekannt ist, daß gewisse Cassen, obschon sie keine Füße hatten und in Eisen lagen, dennoch unter den Händen gewisser Männer verschwunden sind.
Der Castellan blickte verachtend um sich, zuckte die Achseln, und als die allgemeine Heiterkeit sich beschwichtigt hatte und selbst der pensionirte Rittmeister etwas mäßiger lachte, trat er mit der Verwahrung auf, daß man wenigstens ihn nicht beschuldigen dürfe, daß er dem Befehl des Herrn Vicegespans, Tengelyi mit der größten Schonung zu behandeln, nicht nachkommen könne, denn nachdem der Gefangene nicht in Eisen gelegt werde, sei es natürlich, daß er ihn in den stärksten unteren Kerker einsperren müsse.
Meine Leser können weder diese Worte verstehen, noch vermögen sie das Entsetzen zu begreifen, welches sich auf Völgyesy's Angesicht zeigte, wenn ich sie nicht kurz mit den Kerkern des Taksonyer Comitats bekannt mache. Niemand möge glauben, daß ich, indem ich dieses schreibe, vielleicht jenes Comitat im Auge habe, in welchem er lebt oder dient – ich beschreibe nur die Kerker von Taksony; meine Schuld ist es nicht, wenn die Kerker mehrerer Comitate bis auf diesen Augenblick diesen Kerkern ähnlich sind. Vor Zeiten hat man die Gefangenen unter der Erde eingesperrt, und es giebt auch nichts Zweckmäßigeres. War der Kettentragende unschuldig, so gaben seine Leiden kein Aergerniß; war er schuldig, so konnte seine Bestrafung kein besseres Beispiel darbieten, als wenn er heimlich eingefangen, bei geschlossenen Thüren ohne Zeugen verurtheilt, in einen unterirdischen Kerker geworfen wurde und Niemand wußte, wohin er gerathen sei. Jene, die nach der heiligen Schrift nicht den Tod des Sünders begehrten, sondern daß er lebe und sich bessere, konnten sich damit trösten, daß in den Kellern der Wein besser wird und daß es keinen Grund giebt, warum dies nicht auch mit den Menschen geschehen sollte, da sie oft eben durch den Wein zum Bösen verleitet werden; die weniger gefühlvoll dachten, konnten ohne Selbsttäuschung sagen, daß sie, nachdem die Hölle, wie allgemein bekannt, unten liegt, den Gefangenen den Weg dahin menschenfreundlich abgekürzt haben. Wie einer meiner geistreichen Freunde vor Kurzem bemerkte, gehört unsere Verfassung zu den Verfassungen des Mittelalters, und er hat Recht! Unser verdorbenes prosaisches Jahrhundert verdient gar nicht, daß dessen Söhne eine solche Verfassung besitzen, so schön und romantisch ist sie! Der Zustand unserer Landwirthschaft, und die Gesetze, welche ihn herbeigeführt; unsere Verbindungsmittel zu Wasser und zu Land; unsere Schuleinrichtungen; jene Freiheit, die wir als Edelleute genießen und die durch eine gleiche Freiheit der übrigen Landesbewohner nicht in Schranken gehalten wird; unsere Civil- und Criminal-Gesetze – kann es etwas Poetischeres geben?! Wahrhaftig, es bedürfte nur eines Walter Scott, und unser Vaterland würde in der Romantik Schottland in den Hintergrund drängen, ohne daß der Dichter genöthigt wäre, mit der Handlung um ein paar hundert Jahre zurückzugehen. Wir selbst haben Herren gekannt, die in Rücksicht der Unbarmherzigkeit, mit der sie ihre Unterthanen behandelten, sich mit was immer für einem Baron des Mittelalters hätten messen können. Im Mittelalter wurde das Blutgericht Einzelnen verliehen, bei uns ist das noch gebräuchlich; statt der romantischen Folterkammer des Mittelalters haben wir in unserem deres Deres – sprich deresch – die Bank, auf welcher die Delinquenten geprügelt werden. ein sehr schönes Surrogat gefunden. Unser Vaterland also besitzt, wie ich bereits gesagt, eine mittelalterliche Verfassung; das Ganze ist, damit ich mich eines neuen Vergleiches bediene, ein herrliches, ganz im gothischen Style aufgebautes Gebäude! – Wahr ist es, daß einzelne Theile an die sogenannte Perrückenzeit mahnen, aber das ist beinahe bei jedem gothischen Gebäude der Fall; auch muß man gestehen, daß das Gebäude hie und da den Einsturz droht, so daß es nur durch Stützen aufrecht erhalten wird, und daß man sich deshalb im Gebäude zuweilen gar nicht bewegen kann – aber am Ende aller Enden ist es doch gothisch, und das ist die Hauptsache, nicht nur für den Romanschreiber, der sich nirgends heimisch fühlt als unter spitzen Thürmen, sondern auch zur Beschwichtigung Jener, die nicht begreifen können, warum die Gefangenen an vielen Orten noch unter der Erde verwahrt werden, nachdem es doch weltbekannt ist, daß bei einem gothischen Gebäude, wie unsere Verfassung, der Gefangene gar nicht anders gehalten werden kann.
Obschon das Taksonyer Comitat in allen höheren politischen und geistigen Fragen unbezweifelt der Partei des Fortschrittes angehörte, hielt es doch materielle Gegenstände, besonders wenn sie Geld kosteten, keiner Aufmerksamkeit werth, und so blieben auch die Gefängnisse unter der Erde, die im vorigen Jahrhundert mit dem Comitatshause zugleich erbaut worden waren, ganz unverändert.
Von meinen Lesern haben gewiß mehrere einen Kerker nur auf dem Theater gesehen; diese bitte ich nun, sich nicht ein hohes, großes Gewölbe vorzustellen, wo im Halbdunkel außer dem einzigen Gefangenen, der mit großen Schritten auf- und niedergeht, nur ein Bett, ein Krug Wasser und ein Stück Brot zu sehen. Der Kerker von Porvár ist nicht halb so schrecklich; die Thür geht auf den Hof; wenn sie geöffnet wird, sehen wir vor uns zwölf Stufen; sind wir diese hinabgeschritten, so gelangen wir auf einen Gang; wenn wir der Länge nach hinunterschauen, sehen wir zwanzig eiserne Gitter, deren jegliches einen Kerker verschließt. Dies ist das Ganze. Nirgend ein schauererregendes hohes Gewölbe, dessen Schlußstein das Auge im Halbdunkel kaum zu gewahren vermag; die Kerker von Porvár sind schön niedrig, ein etwas größerer Mann kann die Decke nicht nur sehen, sondern auch mit der Hand erreichen; nirgends ein Wasserkrug, sondern insofern die Gefangenen Geld haben, der Wein-Kulacs Kulacs – sprich: kulatsch – die ungarische hölzerne Feldflasche. und ganze Flaschen voll Branntwein, kein einsames Auf- und Abwandeln – dies wäre wegen der Zahl der Eingesperrten nicht leicht möglich, nachdem in jedem drei Klafter langen und anderthalb Klafter breiten Kerker acht bis zwölf Individuen zu finden sind – sondern die allerunterhaltendste Gesellschaft, Tabakrauchen, Faullenzen, mächtiges Fluchen und Gesang, mit einem Worte Alles, was ein Ungar nur begehren kann. Meine Leser ersehen hieraus, daß die unteren Kerker von Porvár wenigstens für Jene, für die sie erbaut wurden, bei weitem nicht so schauererregend waren, als Manche behaupteten; aber Zeugen und Beklagte, die an das Kerkerleben nicht gewöhnt, für die geselligen Freuden desselben unempfänglich waren und doch Monate lang eingesperrt blieben, pflegten dennoch über ihr Los zu klagen; nicht als ob sie vernünftigerweise zu befürchten hätten, daß sie der Kerkermeister würde verdürsten lassen, da bei den Fenstern gegen die Gasse an Regentagen immer hinreichendes Wasser in ihr Gefängniß zufloß, welches dann am Boden desselben blieb – aber zumeist klagten sie wegen der Luft – ich rede hier immer nur von solchen Leuten, die noch nicht daran gewöhnt waren – denn diese schien schlecht und war vielleicht die Ursache, daß der Scorbut in diesen Kerkern nie endete und der sogenannte Kerkertyphus Jahre lang herrschte.
Dermaßen ungesunde Kerker sind ohne Frage sehr unangenehm, besonders da es in Folge unserer Vorurtheile zur Gewohnheit geworden ist, jeden Kranken mit Medicinen zu versehen, und die Apotheke so grenzenlos viel kostet; ich glaube aber doch nicht, daß dieser Grund die hochlöblichen Stände des Taksonyer Comitats zur Erbauung neuer Gefängnisse bewogen haben würde, nachdem die General-Congregation, als sie die Apotheker-Rechnung zu hoch fand, trotz dem Widerspruche des Comitats-Physikus den Beschluß faßte, daß gewisse theure Medicamente den Gefangenen nicht verabreicht werden sollen. Später aber wurde beschlossen, für die Gefangenen die Homöopathie anzuwenden, wodurch die Ausgaben auf eine sehr bescheidene Summe herabgebracht wurden, dergestalt, daß die Erbauung neuer Gefängnisse gewiß nicht durch niedrige Geldrücksicht in Antrag gebracht werden konnte. Es giebt aber eine gewisse Zahl, über welche hinaus in einen Kerker von bestimmter Größe selbst die allmächtigen Stände von Taksony Niemand mehr einschließen können, und nur diesem Umstande war es zuzuschreiben, daß das Comitat, obschon es die Hälfte seiner Gefangenen gegen Bürgschaft immer auf freiem Fuß ließ, doch zu einem Neubau gezwungen war. – Die neuen Gefängnisse waren, wie es sich für unser aufgeklärtes Jahrhundert schickt, nicht mehr unter der Erde, sondern ein Stockwerk hoch, und bestanden aus acht mittelmäßigen und einem größeren Zimmer; in den ersteren waren an fünfundzwanzig bis vierzig, in dem letzten an fünfzig bis achtzig Gefangene eingeschlossen. Der Gesundheitszustand der Gefangenen war in diesen neuen sogenannten oberen Kerkern nicht besser als in den schon beschriebenen Kellern, wodurch einige ältere Gerichtstafelbeisitzer vollständig überzeugt wurden, daß die häufigen Krankheitsfälle nicht dem schlechten Zustande der Kerker zuzuschreiben seien, nachdem die neuen nach einem ganz anderen Systeme gebauten Kerker dasselbe Resultat liefern.
Dies war der Zustand der Kerker, in welchen das Taksonyer Comitat fünfhundert Gefangene festhielt, und die Leser können sich nicht mehr wundern, wenn Völgyesy bei dem Gedanken schauderte, daß Tengelyi in der Gesellschaft von Verbrechern in welchem immer derselben eingeschlossen werden sollte. Im ersten Stockwerk des Comitatshauses befanden sich aber noch vier kleinere Zimmer, die zur Verwahrung solcher Gefangener bestimmt waren, die entweder wegen ihrer bürgerlichen Stellung oder aus anderen Rücksichten nicht in die allgemeinen Gefängnisse gesperrt werden sollten, und der junge Fiscal forderte, daß sein Client wenigstens so lange, als der Proceß dauerte, in eines dieser Gemächer gebracht werde.
»Warum nicht gar!« sprach Zátonyi lachend, »ein einzelner Kerker für einen Dorfnotär! Hat die Welt so was gehört?«
» I say,« sprach Bántorny James dazwischen, »Herr Völgyesy hat Recht, jeder Gefangene muß einzeln eingesperrt werden solitary confinement; nur ein Bett ist darin, ein hölzerner Stuhl und ein Tisch, bei dem er arbeiten kann, die heilige Schrift, oder wenn er katholisch ist, meinetwegen auch ein Crucifix; es giebt nichts Besseres, ich habe es selbst in England gesehen. Hat Niemand den zweiten Report gelesen, Second Report on prison discipline?«
»Ich bitte Sie, lassen Sie uns mit diesen englischen Narrheiten in Ruh'!« fiel ihm Zátonyi ungeduldig in's Wort, »wir leben, Gott sei Dank, in Ungarn.«
»Aber ich bitte, I say,« sprach der Erstere wieder, »es giebt ja keine strengere Strafe als das solitary confinement; die Einrichtung von Auburni, die ich in Bridewell gesehen habe, ist nichts dagegen.«
»Versteht sich! am Ende müßten wir unseren Gefangenen noch Zucker und Kaffee verabreichen,« entgegnete Zátonyi lachend, »und Reis, wie neulich Einer von Amerika erzählt hat, wo dies auch zur Kerkereinrichtung gehört. Aber sagen Sie mir nur, wie kann jeder Gefangene in ein eigenes Gefängniß gesperrt werden, da wir fünfhundert Gefangene und nur dreiunddreißig Behältnisse haben? Wir haben ja keinen Platz.«
»Keinen Platz?« sprach jetzt der pensionirte Rittmeister mit seinem gewöhnlichen leidenschaftlichen Tone, »und warum haben wir keinen Platz? Weil man, statt die Leute aufzuhenken, wie sonst, sie mit ungeheuren Kosten auf drei, vier Jahre hier einsperrt – dies ist die Ursache! Ich stehe gut dafür, es wäre Platz, wenn es von mir abhinge. Fünfzig Prügel, oder der Galgen! Das Uebrige ist lauter Eselei!«
»Ich hätte gar nichts dagegen, daß Tengelyi einzeln eingeschlossen werde,« sprach der Oberfiscal, auf den, wie es schien, die Nachricht sehr gewirkt hatte, daß der Vicegespan die größtmöglichste Schonung Tengelyi's empfohlen habe, »aber wir haben wahrhaftig keinen Platz! die vier kleineren Gefängnisse, die wir zum isolirten Einschließen benützen, sind besetzt.«
»Also wir haben doch vier Gefängnisse für einzelne Gefangene,« fiel Herr James lebhaft ein, »was habe ich gesagt? Wir kommen am Ende doch dorthin, wo England ist. Das solitary confinement ist für vier Gefangene eingeführt, mit der Zeit wird es sich auch auf die übrigen ausdehnen; wie O'Connel nehme ich auch das Kleinste als Vorausbezahlung an.«
»Du hast Recht,« sprach der Oberfiscal, der schon befürchtete, daß er die Beschreibung des Gefängnisses von Millbanko zum hundertsten Male werde hören müssen, »aber was können wir dafür, daß in vier Zimmern, einzeln eingeschlossen, nur vier Personen Platz haben, und daß diese vier Zimmer schon besetzt sind?«
»Besetzt, und durch wen?« fragte James, den, wie er immer sagte, nichts mehr interessirte als die Gefängnisse, beinahe so wie Jeden von uns Das interessirt, was nach dem Tode geschehen wird, ohne den Wunsch zu haben, eine Selbsterfahrung zu machen.
Karvay glaubte sich zur Antwort aufgerufen, da die Frage seinen Geschäftskreis berührte, er sprach: »Im ersten halten wir den Baron. Der arme Herr sitzt schon im dritten Jahre, und er ist doch gewiß und wahrhaftig unschuldig.«
» Indeed? unschuldig?« fragte James.
»Allerdings,« antwortete seufzend der Castellan, der unter allen seinen Gefangenen für diesen allein vielleicht Mitleid fühlte, »der Baron war ein heftiger Mann, und da ist es freilich geschehen, daß er einen oder den andern Bauern von seinem Hausgesinde hat prügeln lassen, oder auch selbst geprügelt hat; wer kann dafür? mit den Bauern kann man nicht anders umgehen! andere rechtschaffene Leute thun das auch, und Niemand spricht davon. Er war unglücklich! es mögen wohl schon dreißig Jahre her sein, daß er einen seiner Bedienten dermaßen auf den Kopf schlug, daß er plötzlich starb; man hatte damals gleich einen Proceß angefangen; während des Processes, der indessen still verfloß, und den man schon anfing zu vergessen, wurde der Baron unglücklicherweise in eine neue Geschichte verwickelt. Er hält viel auf seinen Garten und die Bauern stahlen immer Obst und Blumen, so daß er endlich in seinem Zorne schwur, daß er dem Ersten, den er erwische, vierzig Stockstreiche geben lasse. Zu seinem Unglück wurde am nächsten Morgen ein junger Bursch gefangen, der sich eben Kirschen vom Baume holte. Der Baron wollte sein Wort halten – und wer kann dafür? – der Bursch war nur zehn Jahre alt – er hielt es nicht aus und starb. Hierüber entstand ein ungeheurer Lärm – ein neuer Proceß! und das hochlöbliche Comitat konnte nicht anders, als den Baron zu sechs Monat Arrest zu verurtheilen; das Septemvirat Septemvirat – das höchste Gericht in Ungarn. dehnte die Strafe auf vier Jahre aus, und er ist schon siebzigjährig! Es ist wirklich eine ungeheure Grausamkeit, einen solchen Mann auf vier Jahre zu verurtheilen.«
» Yes, yes! ich erinnere mich,« sprach James, »als ich aus England zurückkehrte, hörte ich davon reden, aber ich glaubte, der Baron sei schon längst wieder frei; ich sah ihn ja neulich auf seinem Gute!«
»Wenn wir ihn nicht manchmal hinauslassen,« sprach der Oberfiscal, »geht seine ganze Wirthschaft zu Grunde.«
»Im zweiten Zimmer,« fuhr der Castellan fort, »ist der Fiscal eingesperrt, der, wie der gnädige Herr weiß, wegen falscher Wechsel eingezogen ist. Im dritten sitzt ein Ingenieur, der wegen Banknotenmachen eingesperrt ist.«
»Und was haben Sie bemerkt?« fragte James mit der größten Theilnahme, »nicht wahr, das solitary confinement, das einsame Einschließen, wirkt wunderbar wohlthätig auf die Gefangenen?«
»Es wirkt wirklich wunderbar,« antwortete der Befragte mit vollem Ernst, »seitdem der Baron bei uns ist, wird er immer fetter; er hat auch keine andere Klage, als daß er – so wie er sagt – im Tarok niemals so viel verloren hat, als seitdem er jeden Abend mit Sáskay spielt, und daß er seit einiger Zeit keinen Wein nach seinem Geschmack bekommt; es ist ihm jeder zu schwach.«
»Wein und Karten gehören nicht zum solitary confinement,« bemerkte James, »aber auch in England lassen sie schon von der übergroßen Strenge nach. Und was machen denn die andern Zwei?«
»Der Fiscal, der wegen falscher Wechsel eingesperrt ist, giebt Solchen, die Geld suchen oder Geld ausleihen wollen, gute Rathschläge; der Banknotenmacher aber schreibt und zeichnet in einem fort Der gnädige Herr hat vielleicht das Quodlibet gesehen, welches er neulich gemacht hat: in der Mitte ist das Porträt des Vicegespans, rund herum verschiedene Schriften, auch zwei oder drei Fünfer und Zehner, und so vollständig nachgeahmt, daß sie Niemand hätte erkennen können.«
»Das ist gut!« sprach James, und nickte zustimmend mit dem Haupte, »Arbeit ist die Seele der prison discipline, nur dies kann den Verbrecher bessern.«
Völgyesy, der während des ganzen Gespräches seine Ungeduld kaum hatte verbergen können, sprach endlich: »Eine von den vier Zellen ist aber leer, warum kann man Tengelyi nicht in diese einsperren?«
»Unmöglich,« antwortete der Castellan trocken. »Das hochlöbliche Comitat hat beschlossen, daß eines dieser Zimmer immer leer sein muß, für unvorhergesehene Fälle.«
»Und ist dies kein unvorhergesehener Fall?« fragte Völgyesy.
»Unvorhergesehen oder nicht,« antwortete der Castellan, strich sich den Schnurrbart und sah mit Grenadier-Majestät aus den kleinen Fiscal herab, »das hochlöbliche Comitat hat befohlen, daß dieses Zimmer leer bleiben soll, und ich halte mich an den Befehl; übrigens könnte der Notär auf keinen Fall in dieses Zimmer gesperrt werden, denn die gnädige Frau Vicegespanin benützt dieses Zimmer seit drei Jahren zu ihrer Speisekammer, und der Schlüssel ist bei ihr.«
Die Leser sehen, daß Völgyesy gegen diesen Grund nicht siegen konnte. Der Oberfiscal selbst meinte, daß die Schonung, welche der Vicegespan in Bezug auf den Gefangenen empfohlen hatte, sich nicht so weit erstrecken könne, daß man deshalb die Vorrathskammer seiner Frau ausräumen müßte, deswegen widersprach er entschieden seinem jungen Collegen, der wahrlich einen ungewöhnlichen Mangel an Tact verrieth, als er seine Sache noch weiter verfocht, obschon er jetzt von der Sachlage unterrichtet war.
Als Völgyesy sah, daß er auf diese Weise nicht durchdringen könne, sprach er: »Wenn die Speisekammer der Frau Vicegespanin wirklich nicht zu dem Zwecke verwendet werden kann, zu welchem sie erbaut worden ist, so ist ja doch kein Hinderniß vorhanden, warum nicht von den drei Gefangenen, die ohnedies schon abgeurtheilt sind, zwei in eine Kammer gesperrt werden, und wir Tengelyi in die dergestalt leergewordene Kammer einschließen können.«
»Das ginge uns noch ab!« schrie Karvay, »der Baron würde mich schön anschauen, wenn ich ihm noch Jemand in sein Zimmer brächte, und besonders wenn er erführe, daß es wegen eines Dorfnotärs geschieht.«
Völgyesy sprach noch mehrere Male; eindringlich mahnte er die Anwesenden an die Schrecklichkeit der Lage, wenn ein ehrlicher Mann wie Tengelyi plötzlich mit Verbrechern zusammen eingesperrt werde, aber Nyúzó endete die lange Verhandlung; er warf einen Blick auf Völgyesy, in welchem Verachtung mit unterdrücktem Zorn gepaart war, und bemerkte, daß er keine Lust habe, über eine solche Kinderei Tage lang zu streiten, daß Herr Völgyesy seinen Notär im Processe vertheidigen möge, wie er wolle, daß er aber gut thun würde, nicht zu vergessen, daß ein honorärer Vicefiscal dem Comitate nichts zu befehlen habe.
»Laß es gut sein, Bruder,« sprach ein Gerichtstafelbeisitzer, als Völgyesy antworten wollte, »wenn Du uns aufbringst, so lassen wir Deinen Notär noch in Eisen legen.« Und der junge Fiscal hielt es für gerathener, die Gefühle, die seine Brust bedrängten, nicht laut werden zu lassen.
»Auf jeden Fall,« sprach jetzt der Oberfiscal zu Karvay, »muß er in ein Gefängniß gebracht werden, wo Wenige sind.«
»Ich geb' ihn auf Numero zwanzig,« antwortete Karvay, »dort sind in Allem nur Fünf. Der alte Hehler, der jetzt sein zwölftes Jahr absitzt, ein Mörder, ein Roßdieb, und zwei Kinder wegen Brandstiftung.«
»Gut,« sprach zustimmend der Oberfiscal, »dort hat er am besten Platz. Wenn Tengelyi etwas braucht, so muß ihm Alles verabreicht werden, was nur möglich; der Herr Vicegespan will, daß wir mit der größten Schonung verfahren.«
Mit gepreßtem Herzen folgte Völgyesy dem Castellan auf den Gang, wo Tengelyi, auf einer Bank sitzend, ruhig das Ende der seinetwegen gehaltenen Berathung erwartete.
»Ich wundere mich, daß man mir nicht wenigstens einen halben Centner schwere Eisen anschlagen läßt,« sprach der Notär, als er den Beschluß vernommen und mit Völgyesy und dem Kerkermeister die Stufen hinabstieg. »Ich bin in ihrer Gewalt, und Sie können überzeugt sein, daß sie es mich werden fühlen lassen.«
Der Fiscal entgegnete, daß dieses unmenschliche Verfahren höchstens bis zum nächsten Morgen dauern könne, daß er selbst zum Vicegespan fahren werde, denn da derselbe die größte Schonung empfohlen, könne es unmöglich sein Wille sein, daß Tengelyi mit den größten Verbrechern zusammengesperrt werde.
Bitter erwiderte Tengelyi: »Es ist schade, sich zu bemühen; zuerst weil Ihre Schritte erfolglos sein werden, zweitens weil ich in einer Lage bin, in der ein Leiden mehr gleichgiltig ist. Sie halten es für ein großes Unglück, daß ich in einen Kerker mit Verbrechern eingeschlossen werde? Erleben Sie mein Alter, so werden Sie sehen, daß hierin der Unterschied zwischen Kerker und Leben nicht so groß ist, als er Ihnen jetzt scheint.« Der Notar duldete es nicht, daß ihn Völgyesy weiter als bis zur Thür des Gefängnisses begleite; er drückte dem jungen Freunde die Hand, sah sich noch einmal unter Gottes freiem Himmel um, und schritt dann mit dem Kerkermeister und einem Haiduken die Stufen hinab.
Völgyesy blieb, in tiefe Gedanken versunken, lange vor dem Gefängnisse stehen; das Zuschlagen der schweren Thür mahnte ihn an das Gehen; mit langsamen Schritten entfernte er sich. Als er das Comitatshaus verließ, begegnete ihm Kálman Kislaki. Er kam eben von Tiszarét, um, wie er sagte, sich nach Tengelyi zu erkundigen, nachdem Akos selbst seine Braut in dem betrübten Zustande, in den sie die letzten Ereignisse versetzt hatten, nicht verlassen wollte. Die Leser können sich die Gefühle denken, mit denen er Tengelyi's Geschick vernahm. Er eilte zurück in den Gasthof, wo er sein Roß gelassen; ohne das arme Thier rasten zu lassen, saß er wieder auf und ritt nach Tiszarét, denn nach Völgyesy's Ueberzeugung mußte der Vicegespan, sobald er Tengelyi's Lage erfuhr, dieses unwürdige Verfahren allsobald abstellen.