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VII.

Ich bin zu jenem Zeitpunkt gelangt, an welchem ich meine bisherige Erzählungsweise aufgeben und den Faden der Erzählung unterbrechen darf; durch die drei Wintermonate überlasse ich die Personen, die ich bisher vorgeführt habe, sich selbst, und führe sie den Lesern erst nach dem Verlauf dieser traurigen Zeit wieder vor. Es gehört unter die schönsten Vorrechte des Roman- und Geschichtsschreibers, daß er, über uninteressante Zeitabschnitte hinweggleitend, nur dies sich zur Aufgabe stellt, was ihm das Schönste oder Bedeutendste dünkt. Warum sollte ich mich dieses Vorrechtes nicht bedienen, das wir im Leben oft so schwer entbehren? Wenn der Landmann im Frühjahr sein Feld bearbeitet und gesäet hat, wie wohl thäte es ihm da, die Zeit bis zur Ernte zu verschlafen; und wenn wir den Roman unseres Lebens geschlossen haben – denn jedes Leben hat einen Roman, und der ausgetrocknetste Hofrath hatte Tage, an denen die wenige ihm innewohnende Flüssigkeit in Thränenform aus seinen Augen perlte – wie gut wäre es da, zu schlafen nach dem kurzen Traum, der oft zur langweiligsten Wirklichkeit führt! Das Schicksal aber hat dem Menschen dieses Glück versagt, und nur der Roman- und Geschichtsschreiber hat dieses Recht für seine Gestalten ausnahmsweise aufrecht erhalten.

Der Roman- und der Geschichtsschreiber! – Wie konnte ich es wagen, die heitere Kunst und die strenge Wissenschaft nebeneinander zu stellen? – Aber ist dies wirklich so gewagt? Sind Jene, die wirkliche Begebenheiten, oder wenigstens solche, die man dafür hält, erzählen, um aus denselben meist falsche Moralsätze abzuleiten, etwa besser als die Anderen, die, um einer bestimmten moralischen Wahrheit Eingang zu verschaffen, in ihrer Phantasie ein Ereigniß erfinden, welches eben so wahrscheinlich und oft eben so wahr ist, als die, welche wir von den Geschichtsschreibern lernen? Jene, die, indem sie den Geist ihrer Mitmenschen schildern, das wahre Bild der Eigenschaften ihrer Zeit zeichnen und die Kettenspuren nachweisen, die Jahrhunderte aufgedrückt, mahnen sie den Menschen weniger, als die Geschichtsschreiber, die aus den Archiven die wirklichen Ketten vorweisen, die ihre Altvordern getragen? Warnen nicht Beide, daß wir uns vor Sclaverei bewahren mögen? Das Aufsuchen der Wahrheit ist der Zweck des Romanschreibers und des Geschichtsforschers, und wenn sich der Erstere zur Beglaubigung seiner Worte auf die menschliche Natur beruft, so darf er nicht erröthen vor dem Gelehrten, der jede Thatsache aus zehn Urkunden beweist. – Der Geschichtsschreiber beschäftigt sich mit der Darstellung großer Ereignisse – der Romanschreiber wählt seine Gestalten oft aus dem bescheideneren Kreise des täglichen Lebens; aber ist denn der Unterschied wirklich so groß? Die Ereignisse, die wir groß nennen, sind sie nicht blos durch ihre Zeit und ihre Verhältnisse bedeutend geworden? Die Geschichte ist ein großes Mikroskop, wohin Du es wendest, siehst Du nur Riesen, aber dadurch wird die Person, die Du bewunderst, nicht größer, und die gepriesene Erscheinung ist oft nichts als das Spiegelbild Desjenigen, der jahrelang unbemerkt neben Dir stand. Nicht der Schauplatz unserer Handlungen, nicht der Lärm des Auftretens, nicht der Titel, den er trägt, macht des Menschen Werth aus; das Einzige, woran Du wahrhaft große Herzen aus dem gemeinen Haufen, der das Große nachahmen will, herausfinden kannst, ist die große Liebe, die sie für einen Gegenstand durchglüht, und das Schicksal wählt die Marionetten, durch die sie die Ansichten der verschiedenen Zeitalter durchspielen läßt, nicht immer aus jenen.

Aber ich schweife wieder ab, und – wie so viele redliche Menschen auf der Welt – spreche ich von meiner Pflicht, statt sie zu erfüllen und meinen Roman fortzusetzen. Vielleicht sind aber drei Monate zu einer solchen Betrachtung nicht zu viel, und wenn die Leser erwägen, daß ich sie mit der Schilderung eines ganzen langweiligen Winters verschone, so werden sie mir mein Selbstlob als Romanschreiber nicht verargen; besonders wenn sie erwägen, wie viel sich im Hauptorte des Taksonyer Comitats einen ganzen Carneval hindurch hat zutragen mögen, was mich zur Beschreibung verlocken konnte und mir die beste Gelegenheit geboten hätte, den gegen mich gerichteten Vorwurf – daß mein Roman sich nur in niederen Verhältnissen bewege und daß ich die Apotheose der Leiden des Bauernstandes schreibe – zu widerlegen.

Es ist bekannt, daß der ungarische Adel, der mit den übrigen Ständen Alles brüderlich theilt, mit den Bauern – wie Kastor und Pollux – dergestalt sich eingerichtet hat, daß im Frühjahr, Sommer und Herbst die Bauern, im Winter hingegen der Edelmann sich abmühe, und zwar nicht nur bei Tag, sondern ganze Nächte durch, wobei er es sich zum Ziel gesteckt, daß der Csárdás Csárdás – sprich Tschárdásch, Nationaltanz., dessen Erhaltung nach Jedermanns Ansicht im höchsten Interesse der Nation liegt, zu immer größerer Vollkommenheit ausgebildet werde. Es hängt nur von mir ab, wenn ich die Geschichte dieser drei Monate erzähle, Bälle zu beschreiben, bei deren Schilderung meinen schönen Leserinnen das Herz pochen, ihre verehrten Mütter aber, die sie gewöhnlich zu jenen Tanzunterhaltungen führen, ihren ganzen Körper in Transpiration fühlen würden; Bälle sage ich, solche, die zur Unterstützung der Armen gegeben wurden, und wo nach Abzug aller Kosten 32 fl. 12 kr. reiner Ertrag übrig blieb; einen, der für die Kleinkinderbewahranstalt gegeben wurde, aus welchem das Institut zwar keinen materiellen Nutzen, aber um so mehr moralischen Gewinn hatte, denn das Kind einer Grundfrau war, während die Mutter zum Nutzen und Frommen fremder Kinder tanzte, daheim an der häutigen Bräune gestorben, und hatte so die ganze Welt überzeugt, daß man auf die kleinen Kinder Acht haben müsse; Bälle, sage ich, die in den Sälen des adeligen Casino's gegeben wurden, an denen im Geiste unseres aufgeklärten Jahrhunderts der gesammte Adel theilnahm, obgleich das adelige Casino von den bürgerlichen Einladenden die Erwiderung dieser Höflichkeit nie begehrte. – Ich könnte von Gastmahlen reden, bei denen, wenn das Sprüchwort: in vino veritas, wahr ist: Jeder, der Toaste hörte und verstand – wozu das Leeren von wenigstens vier Gläsern Wein nöthig war – überzeugt werden konnte, daß unser Vaterland nicht nur an guten Weinen, sondern auch an großen Männern reich ist, und ich könnte meine Leser dabei in eine dermaßen gute Gesellschaft einführen, daß unter den Besoffenen der an Rang Niedrigste ein Geschworner war. Spielgesellschaften könnte ich ihnen zeigen, wo sich jene Franzosen, die gegen die gesetzliche Abstellung der öffentlichen Spielhäuser in Frankreich geeifert, überzeugen könnten, wie zwecklos ihre Bestrebungen gewesen, nachdem das Spiel durch das Gesetz verboten sein, und man sich doch im Kaffeehause beim Pharaotisch sehr gut unterhalten kann, besonders wenn einer der Vicegespänne Bank giebt, denn – mit Erlaubniß meines Recensenten mich wieder lateinischer Worte bedienend – » praesente medico nihil nocet,« das heißt, wenn Derjenige zugegen ist, der die Gesetze aufrecht erhalten soll, kann die Uebertretung derselben natürlich Niemandem schaden. Ich könnte von vielen schönen Abendunterhaltungen sprechen, ritterlicher Liebe, sogar von Heiraten einiger Wohlgebornen, und Jene, die es lieber sehen würden, wenn sich mein Roman in höheren Regionen bewegte, würden mit Entzücken den dritten Band lesen, aber wer kann dafür! nicht Jeder besitzt den feinen Takt, der zur Beschreibung solcher Scenen nöthig ist, und ich habe mich so viel und so lange mit den armen Personen meines Romanes beschäftigt, daß ich dadurch beinahe selbst verbauert bin.

Niemand schätzt die große Welt so wie ich. Es gab eine Zeit, wo ich sie liebte, und dieses Gefühl endete – wie die Liebe oft – damit, daß ich den Gegenstand meiner einstmaligen Neigung aus purer Verachtung vermeide, so viel ich nur kann; ich weiß auch, daß ein Stubenmädchen kein Roman interessirt, dessen Held nicht wenigstens ein Graf ist, und Bediente klatschen im Theater nicht, wenn sie um ihr Geld nicht wenigstens einen Fürsten sterben sehen; aber wer kann dafür! ich gehöre unter die Sonderlinge, die mehr Interesse für die kleine Welt fühlen, die Gott erschaffen, als für die große Welt; die den Sonnenaufgang für schöner halten, als wenn sie von der Gasse aus in den Sälen irgend eines großen Herrn das Anzünden der Kerzen erspähen können, und ich war schon so unglücklich, mit mehr bedeutenden Charakteren in leinenen Gewändern als in Modekleidern zusammenzutreffen. Das Schreiben eines Musterromanes, in welchem jede marquante Person sechzehn Ahnen aufweist – ihr Stammbaum wird in einer langen Vorrede mitgetheilt – und in welchem der einzige gute Mensch, der ein Bauer scheint, am Ende des Romans sein Kleid aufreißt und einen Stern vorweist, woran allsobald Jedermann erkennt, daß er ein Herzog ist, überlasse ich geschickteren Händen; dieser mein Nachfolger wird in den höheren Kreisen von Porvár viele Gestalten finden, mit denen ich meine Leser nicht bekannt mache, und die er sehr gut benützen kann.

Dort erscheint vor Allen der Gerichtstafelbeisitzer Csatlósy durch seinen Patriotismus bekannt, nicht nur in Taksony, sondern auch in den benachbarten Comitaten. Wenn Du Dich um seine Lieblingsgerichte erkundigst, so kann sich nichts mit der Kocsonya messen. Beethovens Tonwerke konnten seinem Ohr die Musik des Zigeuners Bándi nie ersetzen; ausländische Fabrikate kauft er nie – ausgenommen, wenn sie wohlfeiler sind als die ungarischen – und wie liebt er erst sein Vaterland?! Wenn Du eine Weile mit ihm umgehst, werden Vaterland, Freiheit, und alle die glänzenden Worte, bei denen sonst Dein Herz hoch aufschlug, Dir so gewöhnlich, daß sie nicht mehr Wirkung hervorbringen, als wenn Dir Jemand »guten Morgen« oder: »unterthäniger Diener!« sagt. Es ist seine Liebe keine alltägliche, die dem geliebten Gegenstande durch Zudringlichkeit lästig wird, sondern ein außerordentliches Gefühl, wie es Schiller in seinem »Ritter Toggenburg« beschrieben, wo der Ritter dort sitzt vor dem Kloster und hinaufschaut zu der Geliebten, und immer schaut bis zu seiner letzten Stunde, und nie etwas thut, aber grenzenlos liebt. Schiller singt auch von einem anderen Ritter, dessen Geliebte ihren Handschuh unter wilde Thiere warf und ihren Anbeter aufforderte, ihn zurückzubringen. Der Ritter that es, verließ aber die Geliebte. Wenn Csatlósy's einzige Geliebte – das Vaterland – etwas Aehnliches von ihm begehrte, so würde er sich ganz anders benehmen; er würde den Handschuh liegen lassen, aber seine Geliebte nicht aufgeben, diese Liebe ist ihm zur zweiten Natur geworden. Jedermann weiß, daß der Beständigkeit unserer Gefühle nichts so gefährlich ist, als wenn uns die Geliebte viel Geld kostet; regelmäßiges Zahlen tödtet unsere schönsten Empfindungen; dies weiß Csatlósy, und darum hütet er sich, zu dem geliebten Vaterlande in ein solches Verhältniß zu gerathen; höchstens manchmal ein kleines Geschenk oder ein großes Versprechen – dies schadet der Liebe nicht, und dazu ist er auch bereit. Csatlósy ist Mitglied, ja Ausschußmitglied beinahe aller Vereine, eines jener Mitglieder, die nie in den Ausschußsitzungen erscheinen und ihre jährlichen Beiträge nicht bezahlen, aber in jedem Namensverzeichnisse zu lesen sind, und so den zahlreichen Nichttheilnehmern als Muster dienen können; mit einem Worte: Csatlósy ist einer der verehrungswerthesten Menschen, ein wahrhaft volksthümlicher Charakter, obwohl nicht so selten, als man bei so vielen Verdiensten meinen sollte.

Palaczkay, einst Oberstuhlrichter, ist auch eine interessante Person. Wenn wir das Gesetz Solons angenommen hätten, welches jeden Athenienser mit Strafe bedrohte, der sich nicht irgend einer Partei anschloß, so würde Palaczkay ohne Zweifel Belohnung verdienen, nachdem er immer nicht nur einer, sondern allen Parteien angehörte. Niemand wußte besser als er, daß es zum Laufen nöthig sei, einmal mit dem rechten, das andere Mal mit dem linken Fuß auszuschreiten; Niemand war mehr überzeugt, daß die Natur, indem sie uns mit zwei Ohren, und zwar an den entgegengesetzten Theilen des Kopfes, beschenkte und uns zwischen diesen beiden Ohren nur einen Mund verliehen hat, uns habe aufmerksam machen wollen, daß wir rechts und links auf Alles aufhorchen sollen, was Andere um uns sprechen, aber daß wir mit unserer Rede immer zwischen beiden Meinungen bleiben sollen. Mit einem Worte: Palaczkay war einer der vernünftigsten Männer auf der Welt.

Eine nicht geringe Rolle spielt auch Johann Talléros, der Millionär von Porvár, der wenigstens zweimalhunderttausend Gulden besitzt, und der in Porvár die Aristokratie der Neuzeit, das ist die Geldaristokratie, repräsentirt. Wir pflegen diese Gattung Aristokratie eben so zu verspotten, wie wir die alte verehren. Ich sehe nicht ein, warum? Der Ursprung der alten Aristokratie ist dunkel, und manche große Familie kann kaum bestimmen, von wem sie herstammt; ist das nicht bei der neuen Aristokratie auch so, bei der kein Mensch weiß, wo der Vater oder Großvater den ersten Gulden erworben hat, auf den das ungeheure Vermögen aufgethürmt wurde? Der Erste eines großen Geschlechtes, der sich auszeichnete, war oft ein berühmter Räuber, der, wie unsere Vorfahren, so lange sie Deutschland ausplünderten, mit seinem mächtigen, schadenbringenden Arme ganze Gegenden in Schreck versetzte; der Capitalist stammt häufig von einem berühmten Wucherer oder Betrüger, ja sogar – es giebt dafür Beispiele – von einem Diebe ab. Die Thaten der großen Familien sind meistens mit den Geschicken ihres Vaterlandes und oft mit den Weltereignissen verbunden; und ist es mit den Geldaristokraten nicht auch so, die ihr ganzes Vermögen bei den fünf- oder dreiprocentigen Staatspapieren erworben haben? Große Geschlechter tragen Trauer, wenn ein Herrscher stirbt; aber hat man je bei irgend eines Königs Tod eine solche Trauer gesehen, wie jene der europäischen Capitalisten war, als sich das Gerücht verbreitete, Louis Philipp sei gestorben? Die Sprößlinge großer Geschlechter sind oft an der Physiognomie zu erkennen, aber haben die Geldaristokraten nicht auch charakteristische Züge? bei jenen finden wir besondere Neigungen und Eigenheiten – bei diesen auch; jene verachten zuweilen den Nichtadeligen – diese Den, der kein Geld hat, immer. Mit einem Worte, die Aehnlichkeit ist vollständig, und es ist nur Beweis von Verstand, wenn in Porvár der Repräsentant der neuen Aristokratie nach dem Obergespan am meisten verehrt wurde.

Ich könnte noch sehr Viele erwähnen; Herrn Zászlósy, der, seit die lateinische Sprache aus der Mode gekommen ist, trauert, weil er – wie er sagt – somit ganz nutzlos in die Schule gegangen ist. Einen Gerichtstafelbeisitzer vom Land, der nie Romane geschrieben, sondern geackert, gesäet, Branntwein gebrannt und Schweine gemästet hat, und also ein vollständig zur Politik ausgebildeter Mann war, nachdem zu glauben ist, daß ein Mann, der sein ganzes Leben über der Wirtschaft obgelegen, auch gelernt haben werde, wie auch aus der Politik Gewinn zu ziehen sei – wenigstens für ihn selbst. Den Oberingenieur des Comitats, der im Tarok von Niemand übertroffen wurde, und einen Gelehrten, der mit einem solchen Gesicht herumstieg, als ob er etwas wäre, und weil er für nichts Anderes gehalten werden konnte, zuletzt zum Rufe ungeheuren Wissens gelangte – aber wie gesagt, dies Alles muß ich Anderen überlassen, und muß zur Familie Tengelyi zurückkehren, die – wie es die Leser wohl selbst denken mögen – in Porvár ganz zurückgezogen lebte.

Wenige Tage nach der Einkerkerung ihres Mannes erschien Frau Elisabeth in Porvár und bezog ein kleines Haus. Die arme Frau vermochte ihren Schmerz kaum zu tragen. Elisabeth war stolz auf ihren Mann. Allerdings hatte die Frau eines Dorfnotärs gewöhnlich vielleicht wenig Ursache zum Stolz, aber die Achtung, in welcher ihr Mann trotz seines geringen Amtes stand, die Freundschaft Vándory's und einst selbst jene des Vicegespans, das allgemeine Zutrauen, welches ihm beinahe die ganze Welt bezeugte, berechtigten sie vielleicht, ihr Haupt höher zu tragen als die Frauen anderer Notäre. Wohin sie kam, hörte sie das Lob ihres Mannes – im ganzen Comitat giebt es keinen ehrlicheren Mann als Tengelyi – dies war die allgemeine Meinung, und Elisabeth klangen diese Worte süßer, als wenn man sie gnädige Frau genannt hätte. Und jetzt war ihr Mann im Kerker, eines niedrigen Verbrechens angeklagt, Gefahren ausgesetzt, an die sie nur mit Schaudern zu denken vermochte. Elisabeth hatte eine starke Frauenseele, Tengelyi fand in dem Mühsal seines Lebens an ihr immer eine verläßliche Stütze, auf deren Festigkeit er sich verlassen konnte, aber was jetzt geschehen, war mehr, als die arme Frau ertragen konnte. In ihrem Schmerz ging sie wie verwirrt umher, die Sorgen des kleinen Haushaltes beschäftigten sie nicht, die Tochter selbst vermochte sie nicht aufzurichten, und die sie früher gekannt, flüsterten sich theilnehmend zu, daß Elisabeth ihren Jammer nicht überleben werde.

Ganz anders wirkte das Geschehene auf Vilma. In ihren glücklicheren Tagen war sie wie die Blume, die jeder Hauch bewegt, und der die Natur als Schutz gegen das Zertretenwerden nur die Macht der Schönheit gegeben. Niemand hätte in diesem sanften Geschöpfe, welches alle liebenswürdigen Eigenschaften der Schwäche besaß, Festigkeit und Seelenstärke gesucht; das Unglück des Vaters, die Verzweiflung, in der sie die Mutter sah, gab ihr Kraft, Das zu werden, was ihre Eltern bedurften – ihre Trösterin. Vilma war von der Unschuld ihres Vaters überzeugt und hoffte vertrauungsvoll, daß die Wahrheit bald an's Tageslicht kommen werde; aber die Lage, in der sie den verehrten Vater sah, schmerzte sie tief, und um so mehr, weil sie glaubte, daß sie eine der Ursachen seines Leidens sei. Wenn die Mutter des Nachts schlief, bat sie Gott stundenlang auf den Knien, daß er sich der unschuldigen Eltern erbarmen möge – das Gesicht in das Kissen gedrückt, weinte sie oft bis an den Morgen. Wenn aber die Mutter erwachte, hatte Vilma schon ihre Thränen getrocknet und schien ruhig; ihre erkünstelte Fassung beschwichtigte manchmal selbst die Mutter, und die das Mädchen früher gekannt, besonders aber die Zeugen ihres leidenschaftlichen Schmerzes im ersten Augenblick, als das Unglück über ihren Vater hereinbrach, konnten sich die Veränderung kaum erklären, die mit ihr vorgegangen, seit sie nach Porvár gekommen war. Wenige wissen es, daß die Schwäche, deren Ursprung im Herzen liegt, zur Stärke wird, sobald wir nicht mit den Wünschen unserer Theuren, sondern mit großen Geschicken zu ringen haben. Der Selbstsüchtige, der im gewöhnlichen Leben, wenn es sein Interesse oder seine Laune mit sich bringt, den Wünschen seiner Nächsten unerschütterlich widersteht, giebt wie ein Schwächling nach, wenn seinem Willen eine größere Kraft entgegentritt; wessen Herz die Liebe begeistert, über den haben die Schläge der Außenwelt keine Macht. Vilma's Herz stählte jene Liebe, die bei der Frau die Kraft des Mannes vertritt, und die Alles zu thun fähig ist, weil sie bereit ist, Alles zu tragen; und auf daß sie nicht ermatte, gab ihr der Himmel in Akos' Liebe solchen Trost, der allein mehr Glückseligkeit bot, als ihr alle Leiden der Welt nehmen konnten; das arme Mädchen machte sich zuweilen selbst Vorwürfe, daß sie bei dem Jammer ihrer Familie sich so glücklich fühlte.

Wenn je ein junger Mensch, so verdiente Akos eine solche Liebe.

Es giebt eine Zeit in unserem Leben, in der Jeder, des ungewissen Träumens überdrüssig, sich ein bestimmtes Ziel sucht; dies ist einer der unangenehmsten Momente des Lebens; aber wie der jugendliche Körper im Frühlingsfieber, so wächst und entwickelt sich die Seele in dieser Krankheit, während welcher sie Alles, was sie um sich sieht, mit Ekel betrachtet. Akos war über diese Zeit hinaus. Hätte er in anderen Verhältnissen gelebt, hätte ihn nicht Alles, was er in des Vaters Nähe sah, von der Bahn zurückgeschreckt, auf welcher jener wandelte, oder hätte er Vilma nicht gekannt, so würde ein junger Mann mit so viel Geistesfähigkeiten, wie er, vielleicht das öffentliche Leben erwählt haben. Welcher junge Mensch weiß denn, daß jene Ideen, für die er mit der ganzen Stärke seiner Seele glüht, zu schön sind, als daß er hoffen könnte, daß sie in's Leben treten würden, und daß jene Ideen, für deren Verwirklichung er thätig sein kann, der Begeisterung nicht werth sind? Akos hätte in anderer Lage seine Thätigkeit wahrscheinlich der Politik zugewendet, und hätte, wie so viele schöne Talente unseres Vaterlandes, sich sein ganzes Leben über damit abgemüht, Das, was in seinen Ideen höher war, zu jener Mittelmäßigkeit herabzustimmen, um mit der Mehrzahl stehen zu können, oder die hohen Gefühle, die Gott in seine Kraft gelegt, in tönende Worte zu verwandeln und mit vollen Händen unter die Menschen zu werfen, bis er seinen Schatz vergeudet; aber nach den Erfahrungen in seines Vaters Leben konnte Akos hierzu keine Lust haben. Der junge Mann war öfter mit dem großen Haufen in Berührung gekommen, und was er bei solchen Gelegenheiten sah, benahm ihm die Lust, sich um dessen Gunst zu bemühen. Die Menge lieben oder hassen, achten oder was immer für ein menschliches Gefühl für sie hegen, ist reine Thorheit – so dachte er oft – dieser seelenlose Menschenhaufe, der bei jedem Ruf wie ein Echo antwortet, wenn man nur stark genug und von jenem Platz schreit, dem er zu antworten pflegt, verdient weder Haß noch Liebe. Wie die Sandsäule, die der Sturm in der Wüste aufhebt und welche die Caravane bedeckt, wie die Lawine, die vom Bergesgipfel in das Thal stürzt und Wald und Dorf mit sich fortreißt: so sind die Bewegungen der Menge ein Phänomen, dessen Wirksamkeit glänzend, groß, schauderhaft sein kann, aber dessen willenlose Macht schätzen eben so thöricht ist, als dessen Verachtung zu heucheln; das Vernünftigste ist, mit ihm nicht in Berührung zu kommen. Akos meinte, daß, wer sich zum Lebensziel die Begleitung eines geliebten Wesens erkoren, sich etwas Erreichbares und nicht minder Schönes gewählt habe, als Jener, der sich um den Lorber abmüht, und besonders seit er Vilma leiden sah, weihte er ihr ausschließlich sein Leben.

Der Vicegespan selbst war den Wünschen seines Sohnes nicht mehr entgegen und dem vollkommenen Glücke des jungen Mannes stand nur jene Besorgniß im Wege, die sein Herz über Tengelyi's noch immer schwankendes Los empfand.

Kálman theilte diese Besorgnisse seines Freundes, aber dennoch fühlte sich wohl kaum ein Mensch so glücklich wie er in dieser ganzen Zeit.

Durch die letzten Ereignisse hatte Etelka den Charakter des jungen Mannes von seiner besseren Seite kennen gelernt; der Feuereifer, mit dem er redete, so oft er Jemanden ungerecht bedrängt sah, die männliche Entschlossenheit, die er jedesmal bewies, so oft seine Hilfe angesprochen wurde, machten Etelka seine Fehler vergessen, oder überzeugten sie vielmehr, daß, nachdem auf der Welt nichts vollkommen sein kann, es doch besser sei, sich an einen Menschen anzuschließen, dessen Verwirrungen aus dem Kopf, als an einen solchen, dessen Fehler aus dem Herzen entspringen. Allerdings war Kálman in seinen fröhlichen Stunden auch jetzt lärmender, als es die Schicklichkeit erheischte, und trotz aller Liebe zu Etelka vermochte er sich nicht so weit zu überwinden, um nicht oft vom Hasenhetzen zu reden, ja so lange es die Zeit erlaubte, mit eigenen Händen in der Gegend von Porvár zu jagen. Es ist umsonst, der ungarische Edelmann ist ein geborner Soldat, und da weder Türke noch Tartare aus dem Vaterlande zu vertreiben sind, so ist es natürlich, daß er zur Uebung Hasen jagt, und es zeigt von Takt, daß er sich einen solchen Feind wählt, der, wie es sich für den Feind einer kriegerischen Nation schickt, allsobald die Flucht ergreift. Aber trotz all' dieser Fehler war Etelka längst entschlossen, und die ganze Welt betrachtete sie als Kálmans Braut, obschon ihre Stiefmutter hundertmal sagte, daß sie zu dieser Heirat ihre Zustimmung nicht geben werde.

Was Tengelyi während der Gefangenschaft erduldet und erfahren, blieb auf ihn nicht ohne Rückwirkung, nur daß, wie immer bei festen Charakteren, die Einwirkung ihn nicht änderte, sondern seine früheren Tugenden und Fehler nur bestärkte. Die Leser kennen Tengelyi. Er war eine jener Individualitäten, die das Geschick mit großen Eigenschaften ausgerüstet, aber in einen kleinen Wirkungskreis gestellt hat. Wie an einer Eiche, die, von dichtem Wald umgeben, nicht frei wachsen konnte, die knotigen, verbogenen Zweige Beweise des Ringens sind, aus dem beengten Raume herauszubrechen, so entdecken wir bei jenen Männern oft nur an ihren Ecken, daß sie in einen größeren Kreis gehören, als der ist, in welchem wir sie finden, und Niemand auf der Welt verdient unser Mitleid mehr, als solche Menschen. Das Leben ist eine große Tretmühle; wenn wir nicht untergehen wollen, müssen wir vorwärts, und dieser Drang, sich zu erheben, der das Ganze in Bewegung erhält, ist auch zum Glücke des Einzelnen nöthig, aber nur insofern, als er sich nicht über die nächstliegenden Schritte erstreckt. Wie in den Wissenschaften, so ist es auch im Leben das Schwerste, aber auch das Nothwendigste, die Grenzen festzustecken, innerhalb welcher wir unsere Thätigkeit ausüben wollen, und wer dies nicht thut, der wird durch seine überspannten Pläne immer unglücklich. Das Schicksal ist oft ungerecht gegen uns und erfüllt unsere bescheidensten Wünsche nicht, und wenn wir selbst unbillig in unseren Ansprüchen sind, was können wir anders erwarten, als daß die überschönen Hoffnungen unserer Jugend sich rächen werden? Was können wir anders erwarten, als daß wir es auch an uns erfahren, wie dem Menschen der Verlust, den er erlitten, nicht so viel Schmerz bereitet, als das Nichterreichen Dessen, was er gewollt? Tengelyi fühlte dies Alles und hatte sich oft vorgenommen, alle höheren Wünsche aufzugeben, die er als in seiner Lage unerfüllbar erkannte, und seine Thätigkeit blos auf seinen Wirkungskreis zu beschränken. »Die Umgestaltung des Vaterlandes ist keine Aufgabe für den Notär von Tiszarét,« so sprach er seufzend, »warum soll ich mir Feinde machen, wenn alle meine Bestrebungen zu keinem Resultate führen? Auch die Perle erhält erst dann ihren ganzen Werth, wenn sie durchbohrt und den übrigen angereiht wird; der Mensch ist dann am nützlichsten, wenn er aus seiner natürlichen Lage nicht heraustritt.« Aber diese Gedanken ruhiger Augenblicke hielten bei dem Notär nur so lange an, bis er von einer Unterdrückung oder Ungerechtigkeit hörte und sich dadurch zu neuem erfolglosem Kampfe aufgerufen fühlte. Er gehörte zu jenen nicht praktischen Menschen, die nicht einsehen wollen, daß Derjenige, der in unserem gebildeten Jahrhunderte die anerkannten Vorschriften der Moral immer befolgen will, und dabei vergißt, daß jedes Moralgebot eine Unzahl brüderlich anbefohlener Ausnahmen hat, weit sicherer auf den Richtplatz als in das Himmelreich gelangt – daher kämpfen auch diese Menschen unausgesetzt mit endlosen Hindernissen.

Besonders jetzt, nachdem durch das neue Unglück sein Herz verbittert war, wurde Tengelyi noch unbeugsamer.

Völgyesy's Rath, Vándory's und Akos' Bitten vermochten ihn nicht, mit Réty nur zu sprechen. Er wies unwillig jedes Hilfsmittel zurück, welches Beschuldigte zu ihrer Rechtfertigung zu gebrauchen pflegen, wenn es mit seinen Begriffen von Rechtlichkeit nicht übereinstimmte, obschon Völgyesy ihn aufmerksam machte, daß er hierdurch jede Vertheidigung selbst erschwere.

»Ich bin unschuldig,« pflegte er bei solchen Gelegenheiten zu sagen, »und das wird an den Tag kommen, jetzt oder später; wenn ich schon beweisen muß, daß ich kein Verbrecher bin, so werde ich es doch nicht durch solche Mittel und Wege thun, durch welche ich mich selbst erniedrigen würde.«

In einer ähnlichen Unterredung finden wir den Notär mit seinem jungen Advocaten auch jetzt.

Sobald der Vicegespan nach Porvár gekommen war, hatte er Tengelyi aus dem untern Kerker in jenes Zimmer bringen lassen, welches, wie wir wissen, Frau von Réty zu ihrer Vorrathskammer benützt hatte. So weit es der Raum gestattete, wurden dem Gefangenen alle jene bescheidenen Bequemlichkeiten geboten, die er in seinem eigenen Hause gewöhnt war, wodurch seine Lage um so erträglicher wurde, da man den Besuchen seiner Familie keine Hindernisse in den Weg legte. Das Zimmerfenster ging auf den Hof und Tengelyi betrachtete durch das Eisengitter die heitere Märzsonne, vor deren Strahlen die letzten Schneespuren auf den Dächern langsam zerflossen. Völgyesy ging in der größten Bewegung auf und nieder.

»Aber erwägen Sie, verehrter Freund,« sprach er endlich und blieb ebenfalls am Fenster stehen, »ob irgend eine Demüthigung damit verbunden ist, wenn Sie mit Réty ein paar freundliche Worte sprechen, oder den Obergespan, der sich in Allem so freundschaftlich gezeigt hat, durch ein paar einfache Zeilen bitten, die Entscheidung Ihres Processes zu verschieben.«

»Und ich sage, daß eine Demüthigung darin liegt,« antwortete der Notär ungeduldig, »ich werde bei Niemand betteln, ich werde Niemand um Gnade bitten, ich bin unschuldig, sie mögen mich verurtheilen, das ist ihre Sache.«

»Aber es ist ja nicht nöthig, daß Sie um Gnade bitten,« sprach der Fiscal seufzend, »ich wünsche ja nur, daß Sie sich freundschaftlich benehmen, daß Sie Jene nicht zurückstoßen, die Ihnen Theilnahme bezeigen, wie das neulich mit Krivér und dem Obernotär geschehen ist, die Sie sich wieder zu Feinden gemacht haben.«

»Und was bewirkt diese Theilnahme?« erwiderte der Notär im früheren Tone; »glauben sie an meine Unschuld? Gott bewahre; wenn sich der Obergespan über mich nicht wohlwollend äußert, so habe ich keine größeren Feinde; und mit diesen soll ich umgehen? Als Adam im Paradiese allein war, lebte er unter wilden Thieren; in unserer Zeit haben dies auch Manche versucht, aber die Erfahrung hat bewiesen, daß ein solcher Umgang nicht ungestraft bleibt, sie beißen und stoßen alle, am besten ist es, ihnen fern zu bleiben.«

»Lieber Herr Tengelyi,« sprach Jener wieder, mit beinahe flehender Stimme, »bedenken Sie die Größe der Beschuldigung und ihre Folgen!«

»Sie werden mich aufhenken, sie werden mich köpfen, nicht wahr?« sprach der Notär bitter, der im Streit, besonders seitdem er der Freiheit beraubt war, mehr seiner Leidenschaft als seiner Einsicht folgte, »sie mögen es thun, mein Blut komme über ihr Haupt; ich werde nicht der einzige Unschuldige sein, den sie umgebracht haben. Und am Ende so oder so, sterben muß ich, und nach kurzer Zeit bin ich von den Menschen vergessen. Der Fluß Lethe, der nach den Alten das Reich der Todten von dem der Lebenden trennte, vertilgt das Gedächtniß nicht nur bei Jenen, die hinüberschiffen, sondern auch bei Denen, die auf dem diesseitigen Ufer bleiben.«

»Und Ihre Familie?« rief Völgyesy schmerzlich, »Freund, denken Sie an Ihre Familie.«

Ueber Tengelyi's Angesicht zuckte unaussprechlicher Schmerz; er bedeckte mit den Händen die Augen und schwieg eine Weile, endlich sprach er mit bewegter, bebender Stimme: »Was wollen Sie, daß ich thue? Soll ich Nyúzó kniend um sein Wohlwollen bitten? Soll ich zu Bestechungen meine Zuflucht nehmen? Soll ich mit Geld falschschwörende Zeugen erkaufen? Oder soll ich zu ähnlichen Mitteln greifen, die ich verabscheue? Es ist mir kein Geheimniß, daß diese Rechtshilfsmittel kräftiger sind als jene, die wir in der Schule gelernt. In unserem Vaterlande wird die Ungerechtigkeit homöopathisch geheilt; wer einer Niederträchtigkeit beschuldigt wird, kann sich manchmal nur dadurch helfen, daß er eine Niederträchtigkeit begeht; unsere Richter hier in Porvár wollen ihre orientalische Abkunft darthun, nach welcher sich Niemand den Vorgesetzten ohne Geschenk nahen darf; ich weiß dies Alles – aber können Sie von mir verlangen, daß ich in meinen alten Tagen mein Leben mit Handlungen beschmutze, die ich verachte?«

»Sie sind gereizt, lieber Freund,« sprach Völgyesy und faßte den Notär freundschaftlich bei der Hand.

»Aufgereizt?« erwiderte Jener bitter, »denken Sie sich in meine Lage, und sagen Sie, ob ich ruhig bleiben kann? Mit großen Hoffnungen trat ich in das Leben; es war eine Narrheit, aber wer kann dafür! Jeder Mensch, dem Gott eine Seele gegeben, kommt so an, bevor er seine Erfahrungen von seinen Hoffnungen abgezogen hat. Auch ich mußte meinen Hoffnungen entsagen; ich überzeugte mich, daß Sisyphus, der nach den Alten einen Felsblock aufwälzt, der von einer gewissen Höhe immer wieder zurückfällt, seine Arbeit eher zu Stande bringt, als Jene, die das immer wieder zurücksinkende Volk aus seiner Niedrigkeit emporzuheben trachten; daß selbst das Faß der Danaïden sich eher füllt, als das Maß der Ungerechtigkeit auf Erden, und ich wählte mir einen kleinen Wirkungskreis. Ohne Ruhm und Namen wollte ich durch die Welt gehen, unausgesetzt in meinem kleinen Wirkungskreise arbeiten, aber nur auf ihn meine Thätigkeit beschränken. Wie vieler Menschen Leben gleicht der Uhr, deren sämmtliche Räder immer in Bewegung sind, deren Pendel immer an derselben Stelle auf- und niederwandelt und keinen andern Zweck hat, als daß der Zeiger zur letzten Stunde gelange; so wollte auch ich leben – mein einziger Wunsch war das Glück meiner Familie, und höchstens daß ich Jenen, die mir am nächsten standen, zuweilen Gutes thun könne – und sieh'! selbst dies habe ich nicht erreichen können. Meine Elisabeth bringt mein Unglück in's Grab; meine Tochter verbirgt mir umsonst ihre Trauer, ich weiß zu gut, daß ihr ganzes Leben getrübt ist durch Das, was sie um mich leidet. Mein Sohn wird vielleicht mit einem befleckten Namen in die Welt treten, und zum Schlusse begehrt man noch von mir, daß ich meine Ueberzeugung aufgeben solle? Mein Freund, das ist mehr, als daß es ein Mann ruhig ertragen könnte.«

Ergriffen antwortete Völgyesy: »Mein Freund, Niemand wird leugnen, daß noch nie ein ehrlicher Mann ohne seine Schuld in eine traurigere Lage gerathen ist, als Sie, aber ich sage nur, daß nicht die geringste Demüthigung darin liegt, wenn Sie den Obergespan und Réty ersuchen, die Entscheidung Ihres Processes zu verschieben, und daß es auch sonst nichts giebt, was Sie von diesem Schritte abhalten könnte.«

Tengelyi schüttelte das Haupt und erwiderte: »Wenn ich die Verzögerung des Urtheilsspruches erflehe, was ist dies Anderes, als das offene Geständniß, daß ich der Gerechtigkeit meiner Sache nicht vertraue?«

»Sagen Sie vielmehr,« fiel ihm Völgyesy ein, »es ist der Beweis, daß die nothwendigen Umstände und Beweise im Proceß noch nicht hinreichend aufgeklärt und beleuchtet sind. Wir selbst müssen uns gestehen, daß, so wie die Sache liegt, alle Inzichten gegen uns sind. Die öffentliche Meinung erklärt sich für Sie, Ihr Charakter ist dermaßen anerkannt, daß der größere Theil an Ihrer Unschuld nicht zweifelt, obschon wir außer unserer einfachen Erzählung der Umstände keine Gegenbeweise vorbringen können. Wenn wir ein Geschwornengericht hätten, so würde ich den Proceß noch heute dem Urtheilsspruche unterbreiten; aber Richter dürfen nur nach Dem urtheilen, was im Proceß angeführt ist, und so können wir nur einen ungünstigen Spruch erwarten. Wer weiß, welche aufklärenden Umstände die Zeit herbeiführen wird. Vielleicht wird der Jude, der jetzt am Typhus zum Tode erkrankt ist, genesen, und würde durch Versprechungen zu bewegen sein, die Wahrheit zu gestehen; vielleicht gelingt es uns, Viola's Spur zu finden, und dann fällt die ganze Anklage in sich selbst zusammen, vielleicht –«

Hier wurde der Fiscal durch den alten János unterbrochen, der, ohne daß man sein Kommen beobachtet hatte, in das Zimmer getreten war und Völgyesy's letzte Rede gehört hatte. Denn auf des Sohnes Bitten hatte der Vicegespan erlaubt, daß János die geringen Dienste verrichte, deren Tengelyi im Gefängnisse bedurfte; und der alte Husar kam auch zehnmal des Tages, und wenn er nichts Anderes zu besorgen hatte und den Notär allein traf, suchte er ihn durch ein paar tröstende Worte zu erheitern.

Es gab Momente, wo die zu große Dienstbeflissenheit Tengelyi lästig war, aber selbst dann ließ ihm die Gutherzigkeit des alten Husaren, die sich in jedem Worte kundgab, die Langweiligkeit seiner Reden vergeben, und Tengelyi sagte öfter, daß er kein edleres Herz kenne, als das, welches unter der Livrée des alten Husaren schlug.

»Ich bitte, gnädiger Herr,« sprach der alte Husar, und näherte sich dem Tische, an welchem Tengelyi und Völgyesy sich besprachen, »wäre es wirklich wahr, daß der gestrenge Herr von der Anklage frei wird, wenn wir Viola's Spur auffinden?«

»Das unterliegt keiner Frage,« sprach Völgyesy, »wenn wir nur Viola in unseren Händen haben, und er, wie wir es nach seinen anderen Handlungen hoffen können, gesteht, daß er Macskaházy umgebracht habe, so ist unser Proceß gewonnen.«

Nachdenklich sagte der Husar: »Da müßte man also Viola aufsuchen?«

Seufzend erwiderte Völgyesy: »Seit Herr Tengelyi hier ist, bemühen wir uns darum. Wir haben jedem Stuhlrichter deshalb Befehle gegeben, wir haben an alle Comitate geschrieben, aber fruchtlos! Niemand kann seine Spur auffinden.«

»Na, das ist kein Wunder, wenn sie seine Spur nicht finden können,« antwortete der Husar und schüttelte das Haupt, »wer wird Sperlinge mit Trommeln fangen? Viola wird der Narr nicht sein, sich vor einem Stuhlrichter zu stellen.«

»Aber was sollen wir thun? Wißt Ihr eine andere Art?« fragte Völgyesy.

»Wohl weiß ich eine,« antwortete János, »und es giebt auch keine andere Art in der Welt; wenn Jemand auf die Spur von gestohlenem Gut oder eines Räubers gelangen will, so kann er sie nur wieder bei einem Räuber finden. Viola muß man bei seinen Bekannten suchen, die wissen gewiß, wo er ist.«

»Wir haben die alte Lipták gefragt, wir haben den Zigeuner Peti gefragt,« erwiderte Völgyesy.

»Na, was den Zigeuner anbelangt,« fiel ihm der Husar in's Wort, »so möchte ich wetten, daß der alte Fuchs uns heute hinführen könnte, wenn er wollte; aber wer weiß, ob er nicht selbst an dem Tode des Fiscals Antheil hatte? Und dann war er immer ein guter Freund Viola's; er denkt wohl, daß der gestrenge Herr viele Gönner hat und ihm nicht viel geschehen wird, daß aber Viola gehenkt wird, wenn er in die Hände des Comitats fällt.«

»Was das anbelangt,« sprach Völgyesy, »weiß Peti aus des Vicegespans eigenem Munde, daß Viola nicht mehr vor das Standrecht gestellt wird; wenn er aber vor den gewöhnlichen Richter gestellt wird, so hat er die Todesstrafe nicht zu besorgen, weil er außer Macskaházy's Ermordung kein anderes größeres Verbrechen begangen, und vorzüglich, weil er die Todesangst schon einmal überstanden hat.«

»Der Herr Vicegespan verspricht, aber Peti traut nicht,« sprach der Husar. »Wenn vom Galgen die Rede ist, wird Niemand seinen besten Freund der Behörde überliefern, wenn auch das ganze Comitat gutsteht, daß ihm nichts geschieht; aber es sind Andere –«

»Aber wer?« fragte Völgyesy.

»Nu! gnädiger Herr,« erwiderte der Andere, »welcher immer von den Räubern, die hier gefangen sitzen; die ehrlichen Leute kennen sich untereinander nicht, aber die Räuber! Das ist Alles eine Compagnie. Da ist zum Beispiel der Küchenarrestant des Herrn Oberfiscals, Csavargós Gazsi; lassen Sie den frei, nur auf zwei, drei Wochen, ich gehe selbst in Bauerntracht mit ihm; ich stehe gut, daß ich ihn nicht entwischen lasse, und wenn wir den Viola nicht bringen, so mag mir meinetwegen Niemand mehr glauben, wenn ich erzähle, wie wir den Ferko Ferko – so nennen die ungarischen Soldaten die Franzosen. bei Aspern geschlagen haben.«

Völgyesy, der als Comitatsfiscal den engen Verband kannte, in welchem, als Folge unserer Kerkereinrichtung, die Gefangenen mit ihren freien Kameraden stehen, und der zur Folge hat, daß ein Theil der Verbrechen in den Kerkern ausgebrütet wird und Niemand gestohlenes Gut wiedererlangt, wenn er sich deshalb nicht bei den Gefangenen erkundigt; Völgyesy, sage ich, fand den Rath des alten Husaren so gut, daß er es nun auf sich nahm, die Entlassung des Küchenarrestanten noch am selben Tage zu erwirken, damit Beide am nächsten Morgen fort könnten.

»Besser wird es sein, noch heut' Nacht,« sprach János nach kurzem Nachdenken, »wenn einer von den Räubern oder Haiduken mich mit Csavargós fortziehen sieht, so wissen es morgen alle Räuber im ganzen Comitat, sie halten ihn für einen Spion, und wir finden Viola nimmermehr.«

Völgyesy sah dies ein.

»Und dann bitt' ich unterthänig um Vergebung,« fuhr der Husar etwas verwirrt fort, »nicht als ob ich dem gestrengen Herrn nicht gern helfen möchte, Gott sieht meine Seele! Ich thäte Alles, um ihn aus diesem verdammten Gefängniß zu befreien; aber der arme Viola ist auch ein Mensch, und seine Frau ist gar ein seelengutes Geschöpf, und seine Kinder sind so schön, und haben mich Bácsi Bácsi – eigentlich älterer Bruder, wird aber oft von Kindern und jüngern Leuten gegen ältere gebraucht, die sie lieben. genannt, und haben so meinen Schnurrbart gezerrt – sehen Sie, gnädiger Herr, dazu möchte ich die Hand nicht bieten, daß man ihren Vater aufhenkt. Was immer für eine Strafe meinetwegen, aber der Tod, gnädiger Herr, das ist eine curiose Sache!«

Völgyesy wiederholte das schon Gesagte, und der Husar sah ein, daß es damit seine Richtigkeit habe.

»Na, wenn es so ist, gnädiger Herr,« sprach er, und strich sich den Schnurrbart, »und warum sollte es nicht so sein, besonders wenn es Euch der Herr Vicegespan versprechen wird – es steht ja bei den gnädigen Herren, wer aufgehenkt werden soll – so möge ich kein ehrlicher Mann sein, wenn ich Viola nicht mit mir bringe. Für den Armen ist es auch besser, wenn er seine Strafe übersteht; und daß sein Weib und seine Kinder nicht darben, dafür wird schon mein Herr sorgen. Na, lassen Sie nur Gazsi mit mir hinaus, und Sie werden bald vom alten János hören. Ich bin in meinem Leben mit curiosen Commando's ausgerückt, und bin immer mit Ehren nach Hause gekommen. Man muß nicht gleich der Welt Lebewohl sagen.« Und mit Dem ging der alte Husar fort.

Völgyesy und Tengelyi besprachen sich noch eine Weile über den wahrscheinlichen Erfolg dieses Schrittes, zu welchem der Erstere viel, der Letztere wenig Vertrauen hatte; zuletzt verließ der Fiscal mit einem Händedruck seinen Freund, um mit dem Vicegespan wegen der Freilassung des Küchenarrestanten Rücksprache zu nehmen. Tengelyi überdachte die staunenswerthen Verwicklungen des menschlichen Lebens. Wer steht so hoch, daß er voraussagen könnte: Dieser Mensch, den ich verachte, wird auf mein Schicksal nie Einfluß haben! Wie die größten Ereignisse manchmal die Folgen der kleinsten Umstände sind, so steht ein Leben, das in den bescheidensten Kreisen verflossen ist, zuweilen mit den größten Weltbegebenheiten im Zusammenhange, und es ist möglich, ja es ist gewiß, daß es unzählige Fälle giebt, wo Dieser oder Jener nicht Schneider geworden wäre, wenn Napoleon nicht nach St. Helena hätte wandern müssen. – Wer kennt den Zusammenhang, in welchem das Leben der einzelnen Menschen steht, da des Guten und Bösen, der Hoch- und der Niederstehenden Schicksal durch Wechselwirkung bedingt ist? Nur dies Eine ist gewiß, daß es keinen noch so fernen Klang giebt, der sich nicht der Harmonie unseres Lebens anschließen oder sie stören könnte – und warum sind wir also stolz?


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