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V.

Die Sonne war noch nicht untergegangen, als Tengelyi seinen Kerker betrat. Er hatte von Völgyesy Abschied genommen, und bevor er die unglückliche Schwelle überschritt, hatte er sich noch einmal umgesehen und die letzten Strahlen der untergehenden Sonne betrachtet, die eben jetzt durch den herbstlichen Nebel seit Tagen zum ersten Male durchdrangen und die Rauchfänge des Comitatshauses mit Glanz übergossen, und sein Herz war beengt durch den Gedanken, daß diese schönen Gottesgaben, die freie Luft und die erheiternden Sonnenstrahlen, die jeder Bettler genießt, ihm fortan entzogen seien. Unten im Kerker war es schon finster. Außer dem schmutzigen Glase der kleinen Fenster, die, hier und da mit Papier verklebt, schon selbst hinreichend gewesen wären, das Licht auszuschließen, sperrten starke eiserne Gitter und Drahtgeflechte, die wir an vielen Kerkerfenstern sehen, das Licht dergestalt ab, daß man selbst um Mittag sich höchstens im Halbdunkel befand; wer aber gegen Abend, wie jetzt, vom lichten Hofe eintrat, wähnte sich in vollständiger Finsterniß, bis das Auge sich an das Dunkel gewöhnte. Diese Finsterniß, besonders aber die feuchte, übelriechende Luft, die der Eintretende schon auf der vierten Stufe fühlte, wirkten so niederschlagend auf Tengelyi, daß er die aufmunternden Worte des Gefängnißwärters, der in jedem wohlhabenden Gefangenen eine Erwerbsquelle sah, und daher auch gegen ihn alle bei solcher Gelegenheit üblichen Höflichkeitsbezeigungen verschwendete, gänzlich überhörte. Nachdem der verdienstreiche Beamte, der übrigens den Corporaltitel führte, dem Gefangenen in der Kammer den bestmöglichen Platz bereitet, das Gepäck dort niedergelegt und die übrigen aus ihren Plätzen verdrängten Gefangenen fluchend ermahnt hatte, daß sie ihrem Mitgefangenen auf keine Weise ungelegen fallen sollen, fragte er Tengelyi noch einmal, ob er nichts für die Nacht bedürfe. Tengelyi antwortete, daß er höchstens noch einen Strohsack oder eine Matratze wünsche.

»Werd' es besorgen,« sprach der Andere; »natürlich muß ich dies von Jemand zu leihen nehmen, und ich weiß nicht, was der täglich dafür begehren wird, aber wenn Sie es zahlen, wird es gewiß besorgt.«

Der Notär erklärte sich hierzu bereit.

»So ist es schon gut,« fuhr der Andere fort, »wer Geld hat, bekommt bei uns Alles: Wein, Branntwein, Fleisch, was er will; nur Geld muß da sein. Es wäre nicht übel,« setzte er leise hinzu, »wenn Sie Diesen hier Wein oder Branntwein bringen ließen: so oft ein neuer Gefangener kommt, pflegen sie immer den 'Aldomás 'Aldomás – gewöhnlicher Trunk nach einem abgeschlossenen Handel, ist aber auch bei andern erfreulichen Gelegenheiten gebräuchlich. zu trinken, und Diese sind heute sehr übel gelaunt, weil sie ihre Plätze haben räumen müssen; es wäre gut, ihnen etwas zu Gefallen zu thun, sonst können Sie tausend Unannehmlichkeiten haben.«

Tengelyi sagte, wenn es ihm gut dünke, möge er bringen, was er wolle, nur damit ihn die Mitgefangenen in Ruhe lassen.

Versteht sich gegen gehörige Bezahlung. Tengelyi fragte, wie viel nöthig sei, und gab ihm das Geld auf der Stelle.

»Hört Ihr,« sprach jetzt der Gefangenwärter, »dieser Herr ist ein braver, rechtschaffener Mann; heute beim Lampenanzünden läßt er Euch Wein und Branntwein bringen; trinkt da seine Gesundheit, aber Niemand soll ihn belästigen.« Und während im Finstern mehrere Stimmen ihre Freude lärmend ausdrückten, schloß der Gefängnißwärter die Thür ab und entfernte sich. Tengelyi setzte sich auf sein Gepäck, stützte sein Haupt auf die Hand und versank in tiefe Gedanken.

Wenn es je einen Menschen gegeben, der seines festen Charakters wegen den Namen Mann noch verdient hat, so war es Tengelyi. Verlassen von seinem Freunde, ohne Beschützer, gleichsam verfolgt vom Schicksal, hatte er bis jetzt mit seinem Geschick männlich gerungen, und wenn auch oft ohne scheinbare Hoffnung, hatte er doch nie das Vertrauen auf sich selbst verloren; jetzt erst fühlte er seine Seele zum ersten Male wanken. Seine Lage war zu schrecklich, als daß er sie ganz überschauend Trost hätte finden können. Bis jetzt war ihm in jedem Drangsal wenigstens die Freiheit und sein ehrlicher Name geblieben, jetzt war ihm beides geraubt. Jeder bessere Mensch mußte sich mit Schaudern abwenden von ihm, dem mit Verbrechern Eingeschlossenen, und er hatte kein Mittel, seine Unschuld zu beweisen. Als er alle Umstände der Ermordung Macskaházy's überdachte, war es ihm klar, daß, wenn Viola nicht in die Hände der Gerechtigkeit falle und seine That nicht gestehe – und beides war nicht wahrscheinlich – der Verdacht des Verbrechens auf ihm haften bleibe, und daß ihm nur schmählicher Tod oder lebenslängliche Gefangenschaft bevorstehe; und was würde dann aus seinen Kindern, denen er als Erbe nur einen allgemein gehaßten Namen lassen konnte?

Aus diesen düsteren Gedanken erweckte ihn eine Rede, die von der anderen Seite des Kerkers an ihn gerichtet wurde.

»Nicht traurig sein, Landsmann,« sprach eine heisere schwache Stimme, »in diesem verfluchten Keller ist es kalt genug, wer traurig ist, wird krank.«

Tengelyi konnte in der Dunkelheit den Sprechenden nicht sehen, aber der gebrochene Klang, das schwere Athmen und das Hüsteln während des Sprechens überzeugte ihn, daß der Redende sehr alt sein müsse.

»Was nützt denn das ewige Schweigen?« sprach der Erstere, als er bemerkte, daß der neue Ankömmling nicht antworten wolle, »wenn die Menschen zusammen wohnen, müssen sie miteinander bekannt werden; wir leben hier miteinander kein so schlechtes Leben, wie Viele glauben, nicht wahr, meine Kinder?«

»Ja wohl!« antwortete jetzt eine Männer- und eine Kinderstimme zugleich.

»Wahrhaftig nicht so schlecht!« sprach der Erstere mit heiserem Lachen, »nur daß sie meinen kleinen Imre Imre – Emrich. da alle Vierteljahr mit Ruthen streichen und den Pista Pista – Stephan., wenn sein Urtheil nach Wien spaziert ist, köpfen werden. Das ist eine kleine Fatalität.«

»Warum sprecht Ihr von so was?« sprach jetzt die Männerstimme mit bemerkbarem Zittern.

»Sei nicht besorgt,« sprach wieder der Erste, »vielleicht wirst Du begnadigt. Du warst erst zwanzig Jahre alt, als Du das slowakische Kind umgebracht hast; die Eselei war ohnedies groß genug, daß Du Dir keinen Andern ausgesucht hast, als diesen miserablen Oelverkäufer. Nur fünfzehn Groschen hast Du bei ihm gefunden; ich war schon zweimal zum Tode verurtheilt, und deshalb bin ich doch hier. Und wenn sie Dich köpfen, so denke, daß sie auch Deinen guten Vater aufgehenkt haben, und am Ende stirbst Du vielleicht doch noch später als ich. Wenn der Mensch dreiundneunzig Jahre ist –«

»Dreiundneunzig Jahre!« seufzte Tengelyi unwillkürlich auf. Das Gespräch hatte ihn mit Schauder erfüllt.

»Dreiundneunzig Jahre,« fuhr der Andere hüstelnd fort, »nicht wahr, das ist viel? Und davon habe ich vierundfünfzig Jahre im Kerker zugebracht, und ich bin noch da – und wenn mir Gott das Leben schenkt, so werde ich am St. Stephanstag wieder frei.«

»Vierundfünfzig Jahre?« fragte der Notär erstaunt.

»Nicht wahr, es ist eher zu viel als zu wenig?« erwiderte der Erste, »wegen Pferdediebstahl war ich auch eingesperrt; wegen anderen Viehdiebstahls, ich weiß nicht, wie oft; dann war ich auch in einen Mord verwickelt; zweimal haben sie mich eingesperrt wegen Brandstiftung, aber da war ich unschuldig, und jetzt haben sie mir aufgebürdet, daß ich bei dem Raube in Pást, wo drei Menschen umgebracht wurden, der Rädelsführer gewesen sein soll. Na,« setzte er lachend hinzu, »auf St. Stephan werd' ich frei; es kann doch sein, daß die gnädigen Herren Recht gehabt haben, als sie mir das aufbürdeten.«

»Vater, Ihr seid ein probirter Mann,« sprach die Kinderstimme, »erzählt uns doch die Geschichte, wie der Jude umgebracht worden.«

»Richtig, ich werde Dir erzählen,« sprach der Alte, »hörst Du nicht, wie ich huste? Bitte den Pista, daß er Dir erzähle, wie er den Slowaken umgebracht.«

»Der kann nicht so geschmeidig erzählen, wie Ihr, alter Vater,« antwortete der Knabe, »wenn Ihr erzählt, bekommt der Mensch ordentlich Lust dazu.«

»Na, sei unbesorgt, Du wirst auch Deinen Theil daran haben,« sprach der Alte lachend und hüstelnd zugleich, »ich soll nie aus dem Kerker kommen, wenn Du nicht Jemand umbringst, noch bevor Dir der Bart wächst.«

»Ich schlage wahrhaftig wen immer todt!« rief das Kind, sich brüstend, »sie sollen mich nur einmal freilassen!«

»Das traust Du Dich nicht,« sprach der Alte neckend.

»Ich traue mich nicht?« sprach der gereizte Knabe, »Ihr werdet es schon sehen! Als sie mich hierher einsperrten, war ich ein furchtsamer Maulaffe; wenn ich ein Messer sah, lief ich davon; aber seitdem Ihr, alter Vater, so viele schöne Geschichten erzählt habt, bin ich ganz umgewandelt; selbst in der Nacht träume ich von dem alten Juden, den sie im Wald an dem Baume erhenkt haben. Wenn ich nur wieder eine Hacke in der Hand habe, Holz hacke ich gewiß nicht mehr damit.«

»Schon gut, mein Sohn,« sprach der Alte, »aus Dir wird ein tüchtiger Kerl – aber was macht Dein Kamerad?«

»Er schläft wieder,« antwortete der Knabe.

»Schon wieder!« rief der Alte zornig, »beutle ihm den Schopf, aber stark, daß er erwacht, und dann gieb ihm eine Ohrfeige. Abscheulicher Bube, es wird nichts aus ihm.«

Der Schmerzensausruf, den Tengelyi jetzt hörte, und die flehende Stimme, mit der ein anderer Knabe um Schonung flehte, bewiesen, daß der Befehl des alten Verbrechers vollzogen sei. Obschon sich nun der Notär vorgenommen hatte, mit den Mitgefangenen in keine Berührung zu kommen, machte ihn doch der Jammerruf des Knaben seinen Vorsatz vergessen; er ging zu jener Seite des Kerkers hin, von wo die Stimme ertönt war, und fragte aufgebracht: »Warum laßt Ihr den armen Knaben nicht schlafen?«

»Laßt meine Kinder in Ruhe,« sprach der alte Räuber lachend, »sie müssen sich manchmal zerzausen, das gehört zur Erziehung. Ich habe genug mit ihnen zu thun. Aus meinem Imre kann etwas werden, der kann mir zur Ehre gereichen, aber aus dem schläfrigen Rangen wird nichts. Und ich plage mich doch schon ein ganzes Jahr mit diesen Kindern.«

»Ihr würdet auch besser thun,« sprach Tengelyi ernst, »wenn Ihr an Eure Sterbestunde dächtet, als daß Ihr in Eurem Alter die armen Kinder verderbt.«

»Ich verderbe sie nicht,« erwiderte der Alte hustend, »ich mache Männer aus ihnen; sie müssen sich beim hochlöblichen Comitat bedanken, daß man sie zu mir gesperrt hat, hier können sie doch etwas lernen.«

In diesem Augenblick wurde die große Thür des Gefängnisses aufgeschlossen und hierdurch das Gespräch unterbrochen. Eine Lampe wurde gebracht und an jenem Ende des Ganges aufgestellt, wo Tengelyi's Kerker war, so daß sie die Umgebung des Notärs beleuchtete.

Er schauderte, als er den Ort sah, wohin er durch sein unglückliches Los und die Bosheit seiner Feinde gerathen war. Nicht die braunen Flecken, die an der Wand des kleinen Gefängnisses ihm in die Augen fielen, während an andern Orten die glänzenden Tropfen der sickernden Feuchtigkeit sichtbar wurden; nicht die Vernachlässigung des Ortes, wo außer halbverfaultem Stroh und einem zerbrochenen Kruge nichts zu sehen war, was der Mensch bedarf; nicht der ekelerregende Schmutz, der ihn allwärts umgab, erfüllte ihn mit Schaudern – alles dieses sind nur materielle Leiden – alle Entbehrungen, die größten körperlichen Leiden, selbst die Gefahr des Todes, der ihm an diesem ungesunden Orte vielleicht bevorstand, vermochten seine durch so viele Leiden gestählte Seele nicht zu erschrecken: als er aber die starken Eisengitter sah, deren Stäbe dicke Schatten auf die Wand warfen, als er Kettengeklirr um sich hörte und ihm seine Gefangenschaft und das verächtliche Verbrechen, dessen er beschuldigt war, in den Sinn kamen; als er um sich blickend Diejenigen sah, mit denen er eingeschlossen war, hob sich seine männliche Brust unter schweren Seufzern.

Eine Ecke des Gefängnisses hatte der alte Gefangene inne, mit welchem Tengelyi eben geredet. Dort saß er auf seinem Strohlager zusammengekauert, den Rücken an die Wand gelehnt, das Haupt dergestalt gesenkt, daß man seine Gesichtszüge kaum zu erkennen vermochte. Nur wenn er während des Redens aufblickte und die blitzenden Augen auf Jemanden heftete, war das Antlitz zu sehen, auf welches die Verbrechen von bald hundert Jahren ihren Stempel gedrückt hatten. Es war eines jener Gesichter, die, einmal gesehen, nicht mehr vergessen werden, und der Gefangenwärter selbst, trotz seiner Gefühllosigkeit, nahte diesem Gefangenen, der, wie er sagte, eher einem Gespenst als einem lebenden Menschen glich, nur mit einer gewissen Scheu. Der weiße Bart, der die untere Hälfte des Gesichts beinahe ganz bedeckte, die wenigen vom Scheitel herabhängenden Silberhaare, die eingefallenen Augen und Schläfe, Alles bewies, daß er jenes Alter erreicht hatte, welches Wenige erleben und bei dessen Anblick uns Verehrung oder wenigstens Mitleid ergreift. Nicht so bei diesem Menschen. Der Blick seiner Augen, die, als ob sie den ganzen Körper überlebt hätten, unter den langen Augenbrauen in jugendlichem Feuer leuchteten, gab dem ganzen Angesicht einen unbeschreiblich ängstigenden Ausdruck; sie bewiesen, daß diesem Patriarchen des Gefängnisses zum Vollbringen des Verbrechens, wenn auch die Kraft, doch gewiß nicht der Wille fehlte, und wenn er Dir die ausgedorrten, zitternden Hände entgegenstreckte, fühltest Du statt des Erbarmens vielmehr Beruhigung, daß diese Hand nicht mehr im Stande war, ein Mordgewehr zu fassen. Die schwache Stimme, die von ihm nur zur Erzählung seiner Verbrechen oder zum Fluchen benützt wurde, erfüllte Deine Seele mit Abscheu, und wie unglücklich auch die Lage war, in der Du ihn sahst, so konntest Du doch nicht wünschen, daß die Leiden dieses Bedauernswerthen, zu dessen Herzen die Reue nie den Zutritt gefunden, anders als durch den Tod geendet würden.

Zu den Füßen des Alten hockte ebenfalls auf der Erde, den Kopf in die Hand gestützt, ein Knabe; nach seinen schwachen Gliedmaßen und der dünnen Stimme zu urtheilen, war er kaum vierzehnjährig, das Antlitz frühzeitig gealtert. Auf den bleichen Wangen suchtest Du vergebens das milde Lächeln der Jugend, die kindliche Stirn war gefurcht, und statt fröhlich zu blicken, schauten die Augen in stumpfer Gedankenlosigkeit umher, ausgenommen, wenn der neben ihm sitzende Alte ihn bei seinem Namen anrief, oder wenn die zitternden Hände seine Haare strichen, da beseelte Empfindung sein Gesicht, und es schien, als ob das Kind, durch einen innern Instinct zum Lieben gezwungen, den ganzen Schatz seiner Gefühle diesem einen nichtswürdigen Geschöpfe schenken wolle. Der andere Knabe, dessen Weheruf Tengelyi zum Reden vermocht hatte, stand, seit die Lampe gebracht worden war, stumm an dem Eisengitter und heftete seine Blicke auf die brennende Lampe. Wenn die Flamme manchmal heller aufflackerte, glänzte das Gesicht des Kindes in unbeschreiblicher Freude, es schlug die Hände zusammen und lachte vergnügt; wenn die Lampe schwächer brannte, sagte er traurig, daß sie gewiß schlecht gerichtet sei und wieder verlöschen werde, wie jüngst. »Wenn ich nur hinaus könnte!« so seufzte er, »wenn nur ich sie anzünden dürfte, ich würde den Docht schön hoch herausziehen, Oel daraufgießen, sie würde schön brennen mit rother, gelber, blauer Flamme, noch schöner, als jetzt. Ei, wie jetzt die Flamme emporströmt. Wachse, kleine Flamme, hinaus bis zum Hausgiebel, über die ganze Stadt leuchtend und warm – – O schaut nur, wie schön!« Und der arme Knabe drückte das glühende Gesicht an die eisernen Gitter, »O, wenn ich nur näher gehen, sie nur anrühren könnte!«

»Warum nicht gar,« sprach der junge Mörder, der in der andern Ecke des Gefängnisses auf seiner Bunda lag, »damit Du wieder das ganze Gefängniß anzündest; scheere Dich weg vom Eisengitter, Bursche, sonst schleppe ich Dich bei den Haaren fort.«

»Du hast Recht, Pista, wenn Du ihn beutelst,« sprach der Alte hüstelnd, »auch neulich wären wir beinahe im Rauche erstickt; Du siehst, das Kind ist ganz außer sich, es hört und sieht nicht.«

Der junge Gefangene war schon aufgestanden und griff bereits nach dem Knaben, als ihn Tengelyi zurückhielt und fragte, wie es möglich gewesen, daß dieser Knabe selbst im Kerker etwas angezündet.

»Ja, ein solches Kind habe ich noch nicht gesehen,« antwortete Jener, »stundenlang bat er mich, ich möchte ihm meinen Stahl und Stein geben; wenn er es in Händen hatte, mußte ich es mit Gewalt zurücknehmen, er hätte bis zum Morgen Feuer geschlagen, und so oft er die Funken sah, lachte und schrie er wie ein Narr. Einmal hatte er mir ein Stück Schwamm gestohlen, hat ihn angezündet und dem Alten in das Stroh gesteckt; er wäre beinahe verbrannt.«

»So schlag' ihn doch einmal in das Genick, Pista,« sprach der Alte, bei dem die Erinnerung an diese Gefahr den Haß, den er gegen den Knaben hatte, wieder erweckte, und Tengelyi hätte den Unglücklichen wohl nicht vor Schlägen retten können, wenn nicht eben der Gefangenwärter mit dem Kulacs und einer Halbflasche Branntwein an das Gitter getreten wäre und den Gedanken des Alten, Pista's und des kleinen Imre eine andere Richtung gegeben hätte.

»Bringe den Branntwein her, Imre,« so redete der Alte, »und Du, Pista, nimm den Kulacs und laß den nichtsnutzigen Buben, wenn es Der verlangt, der den Branntwein hat bringen lassen; meinetwegen mag er die Flamme bis morgen anschauen – gieb nur auf Deinen Schwamm Acht. Und trinken Eure Gestrengen nicht?« so redete er zu Tengelyi, den er, seit die Lampe leuchtete, mit großer Aufmerksamkeit betrachtete. Und als Tengelyi antwortete, daß er nichts trinken wolle, war der alte Bewohner des Gefängnisses noch mehr erstaunt, als über dessen honnetes Aussehen und die in den Kerkern ungewöhnliche Reinlichkeit.

»Mir kann es recht sein,« sprach er endlich, als sein wiederholtes Nöthigen, wodurch er Tengelyi in ein Gespräch verwickeln wollte, ohne Erfolg blieb; »er hat den Branntwein bezahlt, lassen wir ihn jetzt in Ruhe.« Leise fuhr er fort: »Morgen könnt Ihr ihn wieder quälen, bis er neuerdings Branntwein holen läßt, so können wir einen ganzen Keller aus ihm machen; es scheint, er hat Geld. Trinke, mein Imre, halte Dich nur an den Branntwein; ach! jetzt schaust Du schon über quer, thut nichts, auch das mußt Du gewöhnen, deswegen wirst Du doch ein ganzer Kerl.«

Dieser Berechnung des Alten hatte es Tengelyi zu danken, daß er jetzt in Ruhe gelassen wurde, und während seine jüngeren Mitgefangenen, vom starken Getränke berauscht, ihre Freude durch immer lauteres Geschrei kundgaben, und ihr alter Meister endlich einschlief, konnte er sich seinen Gedanken frei überlassen. Es giebt Menschen, die sich mit den öffentlichen Angelegenheiten nicht beschäftigen können, ohne daß ihnen in einer halben Stunde zehnmal ihre persönlichen Interessen in den Sinn kommen – brave, verständige Männer, die wie die Logarithmenrechner sich mit großen Zahlen nur darum befassen, damit sie die kleinere Summe, die sie angeht, schneller in's Reine bringen können. Es giebt aber auch solche, bei denen entgegengesetzt jeder Gedanke über ihre persönliche Lage zu allgemeinen, Alles betreffenden Gedanken hinüberführt, und zu diesen gehörte Tengelyi. Die unglückliche Lage, in der er sich befand, die Gefahren, die ihn umgaben, brachten ihn auf den Gedanken, wie viele den seinen ähnliche Leiden von den hundert Wänden der Gefängnisse unseres Vaterlandes bedeckt werden, und der Notär vergaß seine Persönlichkeit, als er seine Gedanken auf den Zustand richtete, in welchem sich die strafende Gerechtigkeit in unserem Vaterlande beinahe durchgehends befindet.

Und wenn es einen Gegenstand giebt, der des Mannes Herz mit Entsetzen erfüllen kann, so ist es dieser. Es ist nicht nöthig, daß wir unsere Gefängnisse als empfindsame Philanthropen betrachten, ich weiß ja, daß seit einiger Zeit die Philanthropie zu Hohn und Gespött geworden ist, weil man unter dem Golde hier und da falsches Erz gefunden, und weil es Menschen gegeben hat, die Schwäche, oder, weil sie nicht von wahrer Menschenliebe durchdrungen waren, Nachäffung dieses Gefühls zu Uebertreibungen verleitet hat. Es verwahrt sich in unsern Tagen Jeder gegen die Benennung Philanthrop, aber wenn wir als kalte Rechner nur einen Blick auf unsere Kerker werfen, frage ich: Können wir, die wir uns mit Fortschritt brüsten, in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts nur diesen Zustand dulden?

Nachdem es so Viele giebt, die selbst bei langem Nachdenken nicht einsehen können, daß die Aufrechthaltung des gesetzlichen Zustandes nöthig ist, sind in unserer Verfassung strenge Strafen nöthig; dies gebe ich zu. Aber ist es deshalb nöthig, daß der Gefangene in der Finsterniß seines Kerkers außer seiner Strafe noch tausend Leiden ausgesetzt sei, die weder er noch sein Richter, noch Jene ahnen, denen seine Strafe zum warnenden Beispiel dienen sollte? Ist es nöthig, daß das Los des Gefangenen mehr vom Kerker, in den er geführt wird, und von der Laune des Haiduken abhänge, als von seinem Richter? Daß wir in unseren Congregationen über die Abschaffung der Todesstrafe Reden halten, eine schöner als die andere, und daß unter dem Sitzungssaal die Gefangenen als Opfer ansteckender Krankheiten fallen?

Unsere Gesetze mögen meinetwegen streng, ja selbst grausam sein; rufen wir Drako's Gesetzgebung wieder in's Leben, die jedes Verbrechen mit dem Tode bestrafte; der einzige Vertheidiger unserer öffentlichen Sicherheit sei der Henker, der Grundpfeiler unserer Verfassung sei der Galgen – wir werden vor solchen Gesetzen schaudern, aber die Unbarmherzigkeit wird nur scheinbar größer sein. In unseren Tagen werden die Gefangenen nicht mehr durch das Henkerschwert hingerichtet, wer aber die Schwellen unserer Kerker überschreitet, ist zu moralischem Tode verurtheilt, und das Hochgericht, auf welchem er sein Leben in einigen Minuten verlöre, hat er oft nur mit langem Jammer vertauscht, der ihn auf schmerzvollerem Pfade in das Grab führt. Und wie viele Unschuldige bewohnten und bewohnen unsere Kerker, blos weil sie wie Tengelyi eines Verbrechens bezichtigt sind; wie Viele, deren Vergehen die Folge des Zufalls oder augenblicklicher Leidenschaften waren! Wenn ich nicht einen Roman schriebe, oder wenn ich nicht befürchten müßte, daß Jene, die da glauben, die Kunst sei erniedrigt, wenn sie zu einem edlen Zweck gebraucht wird, und die Darstellung sei fremdartig, wenn man die Wahrheit sagt – daß Jene, sage ich, mich wieder beschuldigen, daß ich stets Seitenhiebe versetze – so würde ich Thatsachen mittheilen können, bei denen der Leser schaudern müßte; Fälle, wo vollkommen Unschuldige, keines Verbrechens Bezichtigte, die nur als Zeugen oder aus Irrthum in das Comitatshaus gebracht wurden, Jahre hindurch mit Ketten belastet in den Kerkern gehalten und alle Vierteljahre mit Stockstreichen heimgesucht worden waren. Aber diese Fälle sind ja nicht so selten, daß sie als etwas Außerordentliches Interesse erregen könnten – und wenn ich dieses Alles auch erzählte, so würde ich in den alten Fehler verfallen, auf den mich einer meiner Recensenten aufmerksam gemacht hat Das Original erschien heftweise; es war schon wiederholt besprochen worden, als der Verfasser die vorliegenden Zeilen schrieb., nämlich daß ich das Niedere in der Glorie des Märtyrerthums erscheinen lasse (das heißt Jene, die weder hochgeborne noch gnädige Herren genannt werden, denn an solchen ist meines Wissens dergleichen nie geschehen) – am besten ist es wohl, wenn ich von unseren Gefängnissen nicht mehr rede, nachdem derselbe Beurtheiler mich auch erinnert hat, daß ich es motiviren soll, wenn ich etwas Ungewöhnliches in meinen Roman aufnehme, und ich für die Aufrechthaltung unseres Strafverfahrens, so ungewöhnlich es auch ist, kein Motiv finden kann, wenn es nicht das Eine ist, daß unser Strafverfahren sich nach dem Beispiel mancher Aerzte richtet; und wie diese bei den Kranken, zu welchen sie gerufen werden, die Krankheit, die sie heilen sollten, künstlich aufrecht erhalten, damit der Kranke ihre Hilfe nie entbehren könne, so ist auch unser Strafverfahren, damit es nicht außer Uebung gerathe, vor Allem darauf bedacht, Verbrecher zweckmäßig zu erziehen, und hierzu giebt es wahrhaftig keine bessere lancasterische Schule, als unsere Kerker. Ich bitte die Leser, das Gesagte nicht als eine vollständige Abschweifung zu betrachten. Ich bin in der glücklichen Lage, daß meine Ideen und jene meines Helden übereinstimmen, und in dem oben Gesagten sind nur jene Gedanken enthalten, welche in Tengelyi's Seele in dem Momente aufstiegen, zu welchem wir jetzt gelangt sind.

Die betrunkenen Mitgefangenen waren in Schlaf versunken, als Tengelyi durch das abermalige Aufsperren der Kerkerthür aus seinen Betrachtungen geweckt ward; ein Gefangener trat ein, legte neben Tengelyi eine Matratze, eine Decke und einen Polster nieder, und führte sich zugleich als Csavargós Gaszi Gaszi – Caspar, Csavargós heißt der Herumschweifende. auf, Bewohner dieses Gefängnisses, jetzt aber des Oberfiscals Küchenarrestant. Dann zog er zwischen den Polstern noch einen kleinen Korb hervor, in welchem eine Flasche Wein, Brot und Braten, und setzte hinzu, daß dies Alles von Herrn Völgyesy komme, und er möge sich nur heute gedulden, morgen werde er ein eigenes Zimmer bekommen. Frohmüthig setzte er hinzu: »Ich werde Ihnen das Bett so herrichten, daß auch ein König darauf schlafen könnte; dem Herrn Fiscal habe ich auch aufgebettet.«

Tengelyi hatte den ganzen Tag über nichts genossen; trotz seines Kummers griff er also zu und fragte den neuen Ankömmling: »Wollt Ihr nicht auch essen?«

»Ich danke unterthänig,« antwortete Jener, »ich bin schon satt; heute war ein großes Nachtmahl beim Obernotär, ich habe dort auch bedient, ich könnte bis übermorgen hungern.« – Plötzlich hielt er im Aufbetten inne, als er bemerkte, daß Tengelyi den Wein kaum gekostet hatte. »Ich hoffe, der Wein ist gut? Herr Völgyesy hat es mir auf die Seele gebunden, daß ich vom besten bringen solle; ich war selbst im Wirthshause, und wenn ich gehe, pflegt der Wirth nicht zu spaßen; er weiß, wenn er mich einmal betrügt, gehe ich gleich zum Löwen.«

Tengelyi vermochte kaum ein Lächeln zu unterdrücken, als er den Gefangenen hörte. »Ueberwindet Euch,« sprach Tengelyi, und reichte ihm die Flasche hin, »ich trinke ohnedies nicht mehr.«

»Ich danke unterthänig,« erwiderte der Gefangene, indem er die Flasche an die Lippen brachte. »Ah!« fuhr er fort, nachdem er getrunken hatte, »das ist ein Wein! Der Himmel segne Herrn Völgyesy und auch den gestrengen Herrn. Wenn man mir täglich solchen Wein giebt, so gehe ich mein Lebelang nicht weg.«

»Es scheint, daß Ihr mit Eurer Gefangenschaft zufrieden seid?« sprach Tengelyi.

»Mir geht es nicht so schlecht, als ich erwartete, da man mich hereinbrachte,« antwortete Jener heiter; »ein Dienstknecht war ich mein ganzes Leben über, jetzt bin ich Küchenarrestant; der Unterschied ist nicht groß; ja bei schlechtem Wetter, wenn ich im Trockenen in der Küche stehe und mir beifällt, wie man mich ehedem Winter und Sommer zur Arbeit getrieben hat, scheint es fast, als wäre es mir nie besser ergangen. Die Kost ist gut, Kleidung gut, manchmal ein kleines Trinkgeld, die Haiduken lassen mich auch in Ruh' – bei einem solchen Dienst kann ein armer Mensch immer auskommen.«

»Und fällt Euch denn nie die Freiheit ein?« fragte Tengelyi, »wünscht Ihr nie, die Ketten loszuwerden?«

»Die Ketten sind mir manchmal ungelegen,« antwortete Jener ruhig, »besonders wenn ich Czismen Czisma – Stiefel. wechsle, es glaubt Niemand, wie sie mir ungelegen sind, und sie haben mir doch die leichtesten Eisen anschlagen lassen. Aber wer weiß, ob ich, wenn sie mir die Ketten herunternehmen, nicht auf meinen Schultern schwerere Lasten tragen muß, um mein tägliches Brot zu gewinnen – und die Freiheit? Wenn die Zeit sehr schön ist, besonders in einer Sternennacht, denke ich zuweilen, daß es gut sein müßte, jetzt mit den Kameraden herumzureiten, und manchmal möchte ich auch gern zu Hause sein, denn dort in der Schänke hat mir der Wein besser geschmeckt, als hier bei den verdammten Wirthsleuten; aber die Freiheit hat auch ihre schlechten Seiten – der Mensch muß in Dienst gehen.«

Tengelyi seufzte. »Nur nicht traurig sein,« sprach Csavargós, der in diesem Augenblick eher Alles gedacht hätte, als daß der Notär über seine Gesunkenheit seufzte, »morgen kommt der Herr in ein eigenes Zimmer, und dann fehlt Ihnen nichts; wenn Sie Herrn Völgyesy zum Advocaten haben, so werden Sie frei, so gewiß als ich hier bin. In diesem Kellerloch könnte es der Teufel nicht aushalten, es ist nicht ein einziger honneter Mensch in dem Kerker.«

»In den übrigen Gefängnissen mag die Gesellschaft eben auch nicht die beste sein,« sprach Tengelyi dazwischen und streckte sich auf das Bett.

»Aber wohl,« antwortete der Andere, »ich war in einem Arrest, wo es ein wahres Glück war, zu sein; lauter probirte Männer; ich habe nie schönere Geschichten gehört, und kaum hörte der Eine auf, fing schon der Andere an; es war sogar eine Frau unter uns; aber hier müßte der Mensch verzweifeln.«

»Also ist das nicht Euer Gefängniß?« fragte Tengelyi.

»Nein,« antwortete Jener, »gewöhnlich schlafe ich in der Küche des Herrn Fiscals oder auf dem Hof; heute bin ich nur herabgekommen, weil mir Herr Völgyesy aufgetragen hat, Acht zu geben, daß dem gestrengen Herrn nichts Uebles widerfährt.«

»Uebles?«

»Der alte Schurke ist Alles im Stand,« sprach der Küchenarrestant, »das eine Kind hat er ein paarmal schon so gequält, daß es beinahe das Hinfallende bekommen hat.«

Schaudernd fragte der Notär: »Warum läßt man denn also die Kinder bei ihm?«

Der Andere streckte sich auf seine Bunda und antwortete: »Sie sagen, daß so oft ein Mann bei ihm eingesperrt gewesen, derselbe, sobald er frei geworden, sofort ein gleiches Verbrechen begangen habe. Der Pista ist auch nur darum hierher gesperrt worden, weil er, wie der Herr Fiscal sagt, sicher geköpft werden wird. Aber so ein Kind, was kann es denn anstellen, wenn es wieder frei wird?«

»Aber was konnten sie denn begangen haben, daß sie in den Kerker gerathen sind?« fragte der Notär weiter.

»Das ist eine curiose Sache,« antwortete der Befragte und gähnte dabei gewaltig; »in dem Dorfe, aus dem sie sind, entstand ein Feuer nach dem andern, und bei der Untersuchung kam es heraus, daß es lauter Kinder gelegt hatten, so dreizehn-, vierzehnjährige Schößlinge. Herr Völgyesy sagt, es sei eine Krankheit, ich will es auch glauben. Der eine von den Buben hat Feuer gelegt, seitdem er hier ist; aber Krankheit oder nicht, der Stuhlrichter hat die Andern mit Ruthen streichen lassen, und weil zwei elternlos sind, hat er sie hereingeschickt. Wenn sie heranwachsen, werden es schöne Hallunken werden. Gute Nacht.« Und mit dem wickelte er sich in seine Bunda, und kurze Zeit darauf begann er zu schnarchen. Tengelyi blieb noch eine Zeit wach und betrachtete bei dem immer schwächer werdenden Lichte der Lampe seine Schlafgesellen; ermüdet von der früheren schlaflosen Nacht, der Reise und der ungewöhnten Aufregung, schlief er endlich ein. Lassen wir ihn ruhen; der Himmel gebe jedem Leidenden beglückende Träume.


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