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IX.

Nachdem Vándory den Kranken verlassen, war natürlicherweise seine erste Sorge, vollkommen glaubwürdige Zeugen aufzusuchen, die über des Juden Aussage, die er in ihrer Gegenwart wiederholen sollte, Zeugniß ablegen. Er war im Comitatshause; es war eben die Zeit der Frühlings-General-Congregation Die General-Congregationen werden in den meisten Comitaten vierteljährig gehalten und treffen in manchen Comitaten so ziemlich mit den vier Jahreszeiten zusammen., und so wußte er mit Bestimmtheit, daß er, über die große Stiege hinaufgehend, im kleineren oder größeren Saale gewiß einige Herren in Berathung und Sitzung finden werde, von denen er mehrere als Zeugen zu berufen gedachte In den meisten Comitaten pflegen zur Zeit der General-Congregationen eine Menge anderer Sitzungen abgehalten zu werden, theils von der General-Congregation ernannte Deputationen, theils halten die Vereine ihre Sitzungen u. s. w.. Dort eilte er hin.

In jedem Lande finden wir etwas, das unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht, sobald wir die Grenze überschreiten, und was dem ganzen Volksleben den eigenthümlichen Charakter giebt. England hat den Welthandel, in Frankreich wird das ganze Volk von Durst nach Kriegsruhm beseelt, Holland hat seine Canäle, Resultat und zugleich Bild jener stillen Thätigkeit, mit welcher diese Nation ihren Boden dem Meere abgerungen, später geschützt und in einen Garten umgezaubert hat. Deutschland hat Gott mit Philosophen gesegnet, die in jenen Regionen, wohin der menschliche Geist nicht dringen kann, für sich und ihre staunenden Zuhörer Reiche begründet haben. In unserem Vaterlande muß jedem Fremden ohne allen Zweifel die Unzahl unserer Sitzungen auffallen. Handel und Industrie, Wissenschaft und Kunst, Ruhm, ja selbst der Fleiß, sind Dinge, in denen wir anderen Nationen den Vorrang zugestehen müssen; aber in Einem wird das ungarische Volk – ich nehme hier das Volk im Sinne der Verfassung, das heißt nach Verböczy die privilegirten Classen – von Niemand überboten, und das sind unsere Sitzungen. Es giebt kein Volk auf dem Erdenrund, das so viel Sitzungen hielte, als wir.

Es giebt Leute, die da behaupten, daß unsere achthundertjährige Verfassung auch jetzt noch in ihrer ganzen Kraft bestehe. Dies ist meiner Ansicht nach eine riesige Täuschung; unsere goldene Bulle ist in den letzten Jahrhunderten dergestalt geändert worden, daß dem ungarischen Adel statt des Insurgirens Hier ist im Original ein unübersetzbares Wortspiel. Fölkelés (sprich: Fölkelésch) heißt: aufstehen, und auch: sich erheben, empören. In der goldenen Bulle wurde dem ungarischen Adel das Recht zugestanden, sich dem König mit bewaffneter Macht zu widersetzen. Dieses Recht – man hieß es gemeinhin die Andreanische Klausel – wurde auf dem Reichstag 1687 abgeschafft. nur das Niedersitzen und Sitzungenhalten erlaubt ist, und wir können hierbei, wie beinahe durchgehends, sagen: was in unserem Vaterlande einst stand, hat sich Alles niedergesetzt Wieder ein unübersetzbares Wortspiel.. Das ganze Vaterland – um mich eines ganz neuen Vergleiches zu bedienen – ist ein riesiger Schlafsessel, in welchem die jetzigen und die bald zu Tausenden zu ernennenden Táblabiro's sitzen; wer möchte zweifeln, daß auf demselben Wege, auf welchem so viele Einzelne ihre goldene Ader gefunden, zuletzt auch des Landes verborgene Schätze an das Tageslicht kommen? Es scheint, daß bei uns hieran Niemand zweifelt, wenigstens bemerken wir nicht, daß zur Beförderung des allgemeinen Wohles außer den Sitzungen noch andere Mittel gebraucht werden.

Die Ausländer würdigen diese Art unseres Patriotismus wahrscheinlich nicht hinreichend. Sie wissen nicht, was es heißt: an der Angaricalsitzung Angaricalsitzung heißt die Sitzung, welche, wie oben gesagt (siehe S. 261), zu längst bestimmten Zeiten gehalten wird. Das Wort kommt vom lateinischen Angaria. theilnehmen und Vormittag in der General-Congregation sitzen, weil es nothwendig ist, Nachmittag aber bei gemischten Deputationen sitzen, weil es nützlich ist, Abends aber beim Spieltisch sitzen, weil es unterhaltend ist; wenn sie – die Ausländer – dies nur einmal versuchen, so würden sie, ich wette darauf, sich vielleicht verwundern, wie es möglich sei, in Ungarn so viele Menschen zu finden, die das aushalten. Ich kann es durch nichts Anderes erklären, als daß Jene, die unsere Sitzungen am eifrigsten besuchen, zugleich des Sprechens wegen am häufigsten aufstehen und sich so von der lästigen Beschäftigung des Sitzens erholen. Wahrlich! Niemand wird leugnen können, daß die Zahl unserer Sitzungen, statt abzunehmen, tagtäglich zunimmt, und ich kann wirklich nicht begreifen, warum der Verein der ungarischen Aerzte nicht die Preisfrage ausgeschrieben hat: Die Entwicklung der Ursachen, welche die chronische Krankheit der Sitzungen hervorgerufen haben und noch erhalten. Daß diese Frage in ihren Bereich gehört, ist aus den vielen Krankheitssymptomen ersichtlich, die Jeder bemerken konnte, der eine Sitzung gesehen, und die um so bedeutsamer sind, je verschiedener sie sich zeigen. Einige klagen über Hitze; Andere fühlen einen Luftzug und fürchten sich vor Erkältung; der Eine schwitzt, der Andere dürstet, während den Dritten Hühneraugen schmerzen; Viele gähnen – was, wie weltbekannt, das Symptom eines verdorbenen Magens ist – und ein Theil redet irre, wie im Fieber; was könnte ein geschickter Arzt bei dieser Krankheit Alles beobachten, was für ein schönes Buch könnte er über die Ursachen der Sitzungskrankheit schreiben!

Einer meiner Bekannten schreibt die Vermehrung der Sitzungen Dem zu, daß man die lateinische Sprache verbannt hat, wodurch die Zahl der Redner vermehrt worden; und seither giebt es Augenblicke, in denen ich zweifle, daß die Einführung der ungarischen Sprache möglich gewesen.

» Certissime hodie aut cras ista pulchra lingua latina ex toto peribit, retroibimus iterum ad antiquam barbariem Gewiß wird heute oder morgen die schöne lateinische Sprache ganz untergehen und wir werden in die alte Barbarei versinken..« So sprach eine Männerstimme hinter mir, als ich gestern über die Brücke ging, und ich wandte meine Blicke der im Bau begriffenen neuen Brücke zu, an deren zur Hälfte fertigen Pfeilern eben zwei Dampfschiffe vorüberfuhren.

» Per se retroibimus,« sprach der Andere, an den die Worte gerichtet waren, und der, weil ich stehen blieb, mit dem Begleiter an mir vorüberging, » et quando adhuc hoc mihi incidit, quod isti magyari homini auferant totam suam nationalitatem, quasi vero non pertineret ad jura nostra municipalia latine loqui, quando volumus Freilich werden wir zurückgehen, und mir fällt noch ein, daß diese Magyaren einem die ganze Nationalität benehmen, als ob es nicht zu unserem Municipalrechte gehörte, lateinisch reden zu dürfen, wenn wir wollen..« Daß diese Männer Ungarn waren, unterliegt keinem Zweifel; das schöne slavische Latein, das sie sprachen, ihre patriotische Gesinnung, die tüchtige Pfeife in ihren Händen, Alles wies darauf hin, daß diese Männer nur innerhalb der beglückten Grenzen unseres Vaterlandes geboren sein konnten; und mein Herz durchfuhr es wie ein Dolchstich, als ich die traurigen Klagen dieser Patrioten hörte, und ich erwog alle die Unwürdigkeiten, die wir begangen, als wir die lateinische Sprache hinauswarfen und an ihre Stelle die ungarische setzten.

Denn wenn wir, wie billig, zuerst die Einzelnen betrachten, z. B. solche tüchtige Patrioten, wie die waren, die ich auf der Brücke getroffen, so möge sich Jeder in die Lage eines solchen Mannes denken, der, bis er Latein erlernte, hundertmal und tausendmal ein Esel geheißen wurde, knien mußte, beim Schopfe gebeutelt wurde, ja sogar einen Schilling bekam, ob er gleich ein ungarischer Edelmann war (denn wenn die Erziehung nach Einigen ein Theil der Arzneilehre ist, deren Aufgabe darin besteht, die Gebrechen der Seele zu heilen, so fehlen auch Andere nicht, die das Gleichniß weiter ausführen und bei der Erziehung mehr auf chirurgische Operationen als auf innere Mittel halten), so wiederhole ich nach dieser langen Parenthese: Denken wir uns in die Lage eines solchen Menschen, der beim Erlernen der lateinischen Sprache sogar geprügelt worden, der außer dieser Sprache sein ganzes Leben über nichts gelernt hat, der den der lateinischen Sprache Unkundigen für einen Ununterrichteten hält, während die lateinisch Redenden wenigstens für die »pars sanior« gehalten wurden Die ungarischen Gesetze reden von einer » pars sanior«, der verständigere Theil., und dem wir jetzt dieses Alles wegnehmen – den wir aus der heiligen Sprache der Ungarn in die vulgäre übersetzen, dem wir den breiten Schleier des Latinismus, in dem er, wie ein Gespenst majestätisch eingehüllt, unter uns einherschritt, mit unheiligen Händen wegziehen, während das Volk, das nun den gnädigen Herrn in seiner Wirklichkeit sieht, zur Erkenntniß kommt, daß der Mann, vor dem es sich gefürchtet, weil es ihn für einen großen Mann hielt, in der Nähe betrachtet zwar complurium inclitorum Complurium inclitorum ist eine Anspielung auf die lateinischen in Ungarn einst häufigen Adressen: » Complurium inclitorum Comitatuum Tabulae judiciariae Assessor, aber dennoch ein Mensch ist wie andere; und wenn wir uns in die Lage eines solchen Menschen denken, so müssen wir gestehen, daß es kaum Jemand auf der Welt giebt, dem die Gesetzgebung mit einem Male so viel geraubt hätte. Es muß eine große Qual sein, von Niemand auf der Welt verstanden zu werden, wie dies Lord Byron so schön beschrieben hat – aber ich glaube, das ist eine Kleinigkeit im Vergleich mit dem Schmerz, den in unserem Vaterlande so viele Táblabiro's empfanden, als sie bemerkten, daß sie von jemänniglich verstanden wurden. Der Táblabiro zwar konnte den Streich leichter verschmerzen, er konnte sich von den öffentlichen Verhandlungen zurückziehen, und wenn ihn gleich das Beispiel des Cincinnatus wenig zu trösten vermochte, den man, wie bekannt, vom Pfluge zur Dictatur berief, da der Táblabiro entgegengesetzt zum Pfluge zurückgeführt ward und die nun aufhörenden Sedrialdiäten Sedria – Verkürzung von Sedes judiciaria, das Comitatsgericht. einige Seufzer verdienen, so kann sich der Táblabiro doch, wie gesagt, zurückziehen und die Seele mit dem Gedanken erheitern, daß er, wenn die lateinische Sprache wieder eingeführt wird – worüber kein Zweifel – noch Vicegespan werden kann. Aber was soll der Comitatsbeamte thun?!! In der goldenen Zeit der lateinischen Sprache war der Dienst eine Freude. Wenn ein Beschluß nöthig war, blätterte er im Protokolle, er findet hundert ähnliche Fälle, er schreibt andere Namen, ein anderes Datum, und die Arbeit ist fertig; ist ein Urtheil nöthig? vor ihm liegt das ungeheure Wortgeflecht Die lateinischen Sentenzen der ungarischen Gerichte sind wegen der Länge ihrer Perioden berühmt., deren eines das Todesurtheil, das andere die Freisprechung ausdrückt – er schreibt es ab, und das betreffende Individuum leidet, oder geht wieder stehlen nach allen Formen Rechtens. Ist ein Zeugenverhör nöthig? auch dafür giebt es eine Form; nach dem römischen Sprüchwort: Minima non curat Praetor kümmert sich der Beamte nicht um Kleinigkeiten, und wir wissen aus Erfahrung, daß die Verhörten ihre lateinisch niedergeschriebenen Aussagen selten widerrufen. Da fand der Beamte so zu sagen Alles fertig; aber jetzt – muß er nicht Alles neu verfassen? neuerdings urtheilen bei jedem Urtheil? neuerdings nachdenken bei jedem Beschluß? und das Alles um den alten geringen Gehalt? Ist das keine himmelschreiende Ungerechtigkeit?!

Vielleicht sagt Jemand, daß es auch in andern Ländern so geschehen ist – daß die lateinische Sprache einstens überall geherrscht hat – und daß jene Beamten, die z. B. in Frankreich unter Franz I. gelebt, damals, als die lebende Sprache in den Geschäften eingeführt wurde, nicht um ein Haar in einer günstigeren Lage waren, und daß, was die Mühe anbelangt, die auf das Erlernen der lateinischen Sprache verwendet worden war, diese durch die reiche römische Literatur hinreichend belohnt sei. Auf das Erste antwortete ich kurz, daß das Beispiel der Räthe Franz I. nur so viel beweist, wie wenn Jemand bei der Pester Ueberschwemmung die Hauseigenthümer mit Deukalions Ueberschwemmung getröstet hätte – das Zweite ist offenbar ein Sophisma und verdient kaum eine Antwort.

Was, Ihr Unbarmherzigen? Ihr nehmt dem armen Ungar seine Sprache, jene Sprache, in der er seit Jahrhunderten die Vorspann begehrte, in der von der neoacquistischen Commission angefangen bis zur letzten Sedria die Richter urtheilten, in der er vom Tavernicus angefangen bis zum Judlium herab mit seinen Richtern sprach, auf deren Klang die Hajdones die Urtheile vollstreckten, jene Sprache, in der er das Urbarium und das Tractamentum regulamentare gelernt und seine Patvaria geendet hat Commissio neoacquistica – eine Commission, die unter Carl VI. nach der Vertreibung der Türken eingesetzt wurde. Es fanden sich nämlich in den neubefreiten Districten mehrere Ländereien vor, die herrenlos waren; wer nun aus älterer Zeit Ansprüche darauf hatte, mußte sich darüber bei dieser Commission ausweisen. Tavernicus – einer der Großwürdenträger des Reiches, ein Theil der königl. Freistätte steht unter seinem Gerichtsstuhl. Judlium – Verbindung von Judex Nobilium (Stuhlrichter). Hajdones – Haiduken. Tractamentum regulamentare – die Vorschrift Maria Theresia's über die Verpflegung des Militärs. Patvaria heißt die Zeit, die nach beendeten Studien die jungen Leute der Praxis wegen bei den Comitatsbeamten zubringen. Die jungen Leute selbst heißen Patvaristen. Wenn sie von da, ebenfalls der Praxis wegen, zur königlichen Tafel kommen, heißen sie Juraten., und Ihr verweist ihn an Cicero und Tacitus und Seneca, als ob der Letztere » de Consolatione« für Ungarn geschrieben hätte, oder ein Edelmann so heidnisches Zeug verstehen könnte. Ihr Herzlosen! wenn Ihr schon Ursache seid, daß die Zeit vorüber ist, in der das: extra Hungariam non est vita Außer Ungarn ist kein Leben. ein ungarisches Sprüchwort war, wozu der Hohn, mit dem Ihr Eure trostsuchenden Mitbürger an die römischen Classiker verweist? Cicero hat bei all' seinem Consulat vielleicht römisch verstanden, aber lateinisch gewiß nicht, und alle Classiker zusammen wären nicht im Stande gewesen, eine honnete lateinische Replik aufzusetzen. Ich weiß nicht, ob es ein Reich giebt, in welchem der seiner Sprache beraubte Ungar-Lateiner Trost finden könnte, wenn es aber eines giebt, so ist es bestimmt nicht unter den Classikern zu finden, und ich vermöchte nur die Epistolas obscurorum virorum zu empfehlen; beim Lesen derselben würde sie vielleicht ein gewisses heimliches Gefühl, jene bittersüße Empfindung beschleichen, die uns überfällt, wenn wir an ferne Freunde denken.

Wo bin ich?! Ich wollte Vándory in's Comitatshaus begleiten, wo der Ausbund des Comitats wieder Sitzung hielt, und ich bin zu jenen obscuren Männern gerathen, bei denen der berühmte Erasmus einmal so in's Lachen gerieth, daß ihm ein Geschwür in der Brust aufging und der große Gelehrte nach langer Krankheit wieder genas. Diese Seitensprünge, die den Fluß meiner Erzählung jeden Augenblick unterbrechen, sind, wie die Leser wohl selbst einsehen, nur jener übergroßen Gewissenszartheit zuzuschreiben, mit der ich jede einzelne Begebenheit motivire. Wie sollte ich es motiviren, daß wir die Stände von Taksony, die den ganzen Vormittag in der Sitzung zubrachten, Nachmittags wieder bei einer Sitzung finden, wenn ich meinen Lesern nicht von der allgemeinen Sitzungsleidenschaft spreche, die bei uns herrscht? Und diese mußte ich auch wieder motiviren; andere Leute haben es leicht. Der Eine ist ein berühmter Gelehrter, der Andere ein gepriesener Patriot, oder ein großer Mann, oder ein großer Herr. Wenn Du sie fragst, wie sie das geworden, oder was sie für Verdienste haben, so ist Keiner schuldig, zu antworten; es ist so! – Warum? das geht Dich nichts an; nur wir armen Romanschreiber sind in der traurigen Nothwendigkeit, für jede Handlung unserer Personen hinlängliche Gründe anführen zu müssen, als ob es nicht viel natürlicher wäre – nachdem wir wirkliche Lebensbilder geben sollen – daß wenigstens die Hälfte unserer Personen nicht wisse, warum sie Dies oder Jenes thut.

Aber von James Bántorny, den wir, in den Saal eintretend, auf dem Präsidentenstuhl erblicken, kann dies, besonders in diesem Momente, Niemand sagen. Wer sieht nicht ein, daß der von ihm begründete Verein gegen Thierquälerei schon dadurch hinreichend motivirt ist, daß auch in England solche Vereine bestehen? Und wo könnte man in unserem Vaterlande diesem Vereine einen würdigeren Präsidenten finden als Herrn James, der an Pferderennen und Fuchsjagden stets lebhaften Antheil nimmt und hierdurch seine Liebe zu Thieren tatsächlich beurkundet hat? Als James aus England zurückgekehrt war, beschäftigte er sich anfangs mit ganz anderen Gedanken. Wir wissen, welchen Ruhm sich Wilberforce und Andere durch die Vertretung der schwarzen Sclaven erworben haben, deren endliche Freilassung in den englischen Besitzungen von ihnen zuletzt nach langen Kämpfen erlangt wurde: James strebte gleichem Ruhme nach. Freilich sind bei uns ganz schwarze Menschen nicht zu finden – es wäre unbezweifelt weit schöner – aber unsere zahlreichen Zigeuner sind wenigstens braun, und in materieller Beziehung sind sie in einer nicht viel günstigeren Lage, als die Sclaven in den englischen Colonien einst waren, und die von Bántorny beantragte Gesellschaft, die er Gesellschaft zur Beförderung des Wohles der farbigen Bevölkerung Ungarns nannte, hatte wenigstens einen Titel, der selbst in's Englische übersetzt gut klingen würde. Es würde auch an Theilnahme nicht gefehlt haben. Die Herren Táblabiro's hatten bis jetzt von der Sclavenemancipation nur aus kleinen Zeitungsartikeln oberflächliche Kenntnisse, wie aber Bántorny die englische Organisation der Sclavenemancipation im Comitat erklärte und die Herren Táblabiro's hörten, daß die stufenweise Emancipation damit beginnt, daß der Sclave durch zehn Jahre als sogenannter Lehrling wöchentlich vier Tage arbeiten muß, äußerten sie besondere Theilnahme für diese Gattung Philanthropie, und stellten es weit über unser Urbarium, in welchem auf die Belehrung der nicht hausbesitzenden Dorfbewohner keineswegs so gedacht worden. Aber wer sollte es glauben, die Zigeuner bezeugten keine Lust, ihr Los auf diese Weise verbessern zu lassen, und nachdem diese Art Erziehung durch einige Menschenfreunde im Comitat an mehreren Zigeunern versucht worden war, und diese der viertägigen Wochenarbeit entflohen waren, sah Bántorny ein, daß unser Vaterland für die Wirksamkeit einer solchen Gesellschaft noch nicht reif sei und daß er seine Thätigkeit einem anderen Felde zuwenden müsse.

Die Abstellung der Thierquälerei war die Aufgabe, die er sich stellte, und im ersten Augenblick scheint es, daß er nicht besser hätte wählen können. Zuerst kann schon Niemand leugnen, daß dieses sein Bestreben rein englisch war; dann war es wahrscheinlich, daß bei diesem Antrag wenigstens Jene nicht widersprechen würden, deren Lage der Verein zu erleichtern strebte. Auch schien der Antrag in der Natur der Dinge zu liegen, nachdem es bekannt ist, daß Gott die Thiere um ein paar Tage früher erschaffen hat, als die Menschen, und wenn wir diese Reihenfolge nicht verwirren wollen, so ist es nicht möglich, die Menschen eher als die Thiere gegen Quälerei zu schützen. Endlich war zu glauben, daß der Verein nicht in Parteien verfallen werde, da blos von Thieren die Rede war. Man glaubt es aber kaum, mit wie mancherlei Schwierigkeiten Herr James auch hierin zu ringen hatte. Zuerst gab es Theilnahmslose, und jene noch Zahlreicheren, die theilnahmslos wurden, sobald sie hörten, daß jeder Theilnehmer in die Vereinscasse einen Gulden Metallmünze zahlen müsse. Vándory selbst, auf dessen Beitritt James bei der bekannten Philanthropie des Predigers mit Gewißheit rechnete, war ungewöhnlich kalt und begann, so oft die Thierquälerei auf's Tapet kam, Spitäler, Kleinkinderbewahranstalten und derlei Dinge zu erwähnen, die mit dem fraglichen Gegenstande in keinem Zusammenhange waren; als ob nicht Alles seine Zeit hätte, und als ob man von Schulen, Abstellung, der Stockstreiche, Abschaffung der Todesstrafe nicht später reden könnte, wie dies aus dem Beispiele Englands am besten erhellt, wo die Abstellung der Thierquälerei sich mit der siebenschwänzigen Katze auf den Schiffen sehr gut verträgt. Außer den Gleichgiltigen traten aber gegen den Verein auch Andere auf, die wie Kassandra in die Tiefe der Dinge schauten, und wie sie bei dem ersten Casino den Jacobiner-Club schon gebildet sahen, auf die Gefahren aufmerksam machten, die aus der Abstellung der Thierquälerei entspringen müssen; denn es sei klar, daß die Menschen, die jetzt nur von Thieren reden, hierbei nicht werden stehen bleiben wollen, sondern ihre Thätigkeit sehr leicht auf Gegenstände ausdehnen können, die unserer Verfassung gefährlich werden dürften. Wieder Andere sahen den 9. Titel des ersten Buches In Verböczy's Tripartitum, welches in Ungarn Gesetzeskraft besitzt, enthält der 9. Titel des ersten Buches die adeligen Privilegien. verletzt, wenn die Vorrechte, die der ungarische Edelmann besitzt, auch auf das Zugvieh ausgedehnt würden, und am Ende der ungarische Grundherr, ein wirkliches Glied der heiligen Krone Die ungarischen Edelleute heißen Glieder der heiligen Krone., zu solcher Knechtschaft geräth, daß er nicht einmal sein eigenes Roß nach Herzenslust prügeln darf. Um Jedermann zu beruhigen, faßte Herr James den Entschluß, das Beispiel jenes Comitats zu befolgen, welches die wechselseitige Feuerversicherung eingeführt, aber zugleich beschlossen hatte, daß die Edelleute sich den Statuten nicht zu unterwerfen brauchen; er nahm also den Satz in die Statuten auf, daß der Verein die Thierquälerei nur bei den nichtadeligen Bewohnern des Comitats hindern werde. Aber da entstanden neue Schwierigkeiten; man warf die Frage auf: ob es als Thierquälerei betrachtet werden könne, wenn ein Bauer bei der Vorspannleistung gezwungen ist, wegen des schlechten Weges sein Pferd zu prügeln? Es ist nur dem außergewöhnlichen Takt des Herrn James zu danken, daß der Verein sich nicht bei dieser kitzlichen Frage auflöste. Es wurde nämlich in den Statuten ausgesprochen, daß es nicht als Thierquälerei betrachtet werden könne, wenn ein Edelmann ein Zug- oder sonstiges Vieh prügelt, oder selbes auf sein Geheiß geschlagen wird; wenn ein Bauer sein Pferd bei Vorspannleistungen oder Herrschaftsarbeit schlägt, wenn Postpferde geschlagen werden; auch die auf den Hauptstraßen des Comitats von Ende September bis Anfangs April auszutheilenden Peitschenhiebe wurden von der Kategorie der Thierquälerei ausgenommen, da ohne dieses energische Mittel in den erwähnten Monaten auf den erwähnten Straßen nicht fortzukommen sei. Durch diese Ausnahmen brachte James die stärksten Gegner des Vereins zum Verstummen.

Herr James hatte sich viel abgemüht; zwei Pferde seines prächtigen braunen Postzuges waren umgestanden, aber so viel und so lange fuhr er im Comitat herum, bis die bedeutendsten Edelleute dem Vereine beitraten; die Gesellschaft war endlich gebildet, und der Gründer derselben wurde einstimmig zum Präsidenten gewählt. Der Verein hatte trotz dem Allen noch immer Feinde – Vándory zum Beispiel – der sonst leicht in's Feuer gerieth, wenn es sich um Linderung von Leiden handelte, und zu dessen vielen Lieblingsideen die Abstellung der Thierquälerei wirklich gehörte, bei deren Verwirklichung er schon das Paradies auf Erden sah. Vándory also konnte nicht begreifen, wie Diejenigen, die so viel Antheil an den Thieren nahmen, gleichgiltig bleiben könnten, wenn es sich um die Beförderung von Menschenwohl handelte; ihm schien es ein Aergerniß, daß man oben in den Comitatssälen darüber berathschlagte, wie die Leiden der Pferde und des Hornviehes zu erleichtern seien, während unten in dem Comitatskerker die Gefangenen wegen schlechter Pflege haufenweise starben. Diejenigen Mitglieder, die ihren jährlich zu entrichtenden Gulden schon erlegt hatten – sie waren glücklicherweise nicht zahlreich, denn die Porvárer, als Mitglieder aller Gesellschaften im ganzen Lande, förderten den Ruhm des Vaterlandes mehr durch Unterschriften als durch baares Geld – konnten nicht begreifen, wie es geschehe, daß von dem Gelde, das sie zum Besten der Thiere zusammengelegt, bisher außer dem Secretär noch Niemand etwas erhalten habe; aber trotz all' der Feindseligkeit und Verdächtigung bestand die Gesellschaft, und dies ist ohne Zweifel die Hauptsache.

» Leben ist der Hauptzweck unseres Lebens,« so spricht, ich weiß in der Geschwindigkeit nicht, welcher Schriftsteller, und es fällt mir auch nicht bei, in welchem seiner berühmten Werke. Wenn die Leser nicht glauben wollen, daß diese Worte ein Deutscher geschrieben, so belieben sie dieselben mir zuzuschreiben – diese Idee wird nicht der schlechteste Indigena Indigena heißt der Fremde, der durch ein Gesetz nationalisirt wird. unter den vielen sein, die wir schon aufgenommen und deren französisches, englisches oder deutsches Aeußere wir durch einen kleinen Schnurrbart, den wir ihnen aufgedreht, glücklich magyarisirt haben. Was hier vom menschlichen Leben gesagt wird, gilt von vielen Dingen in der Welt, sie bestehen, um zu bestehen, dies ist ihr Hauptzweck; das Kind bedarf eines Spieles, der Mann einer Beschäftigung, um sich nicht zu langweilen, und ein großer Theil der Dinge, die wir mit ernstem Antlitz und manchmal im Schweiße unseres Angesichts betreiben, hat keinen anderen Nutzen. – Ich nehme natürlicherweise die Amtsbeschäftigungen aus, die mit Gehalt verbunden sind, nachdem hier der Nutzen schon im Gehalt liegt. – Die Porvárer Gesellschaft gegen Thierquälerei hielt Sitzungen, hatte einen Präsidenten und Ausschußmitglieder, und besoldete sogar einen Secretär und Cassier; was brauchte es mehr? Unter solchen Umständen bedurfte es von Seite James' keines übertriebenen Optimismus, um die Ausbreitung der von ihm gegründeten Gesellschaft zu hoffen. Der Ungar hat eine besondere Neigung zum Nachahmen. Was er im Auslande sieht, besonders was ihm unter den fremden Gebräuchen auffällt, wird allsobald daheim versucht; unser berühmtester Gelehrter sieht vielleicht deshalb in allen Völkern der weiten Welt Magyaren, weil wir auf dem großen Erdenrunde kaum etwas auffinden können, was nicht Dieser oder Jener bei uns einzuführen getrachtet hat. Wenn die Wettrennen und Fuchsjagden aus England zu uns gebracht werden konnten, warum nicht auch der Verein gegen Thierquälerei? Gegen diesen Vernunftschluß des Herrn James könnte ich höchstens einwenden, daß er in der logischen Folgenreihe gefehlt habe, die, so viel ich begreife, jetzt die Hahnenkämpfe getroffen hätte. – Dies ist übrigens nur meine Privatansicht, und wenn Herr James die schnellen Fortschritte seines ersten Vereins erwägt, so wird er diesen Mangel vielleicht ersetzen, wegen dem wir uns nicht zu Englands blühendem Zustand emporzuschwingen vermochten. Daß der Verein gegen Thierquälerei blühte und schon zu bedeutenden Resultaten geführt hatte, bewies das Protokoll des Vereins. In dem Berichte, den der Secretär in der gegenwärtigen Sitzung erstattete, wurden häufige Fälle angeführt, die jeden Unbefangenen überzeugen mußten, daß der Geist des Vereins sich im Taksonyer Comitat sehr verbreitet habe. Es sei mir erlaubt, einige anzuführen.

Es mögen nicht ganz zwei Monate sein, daß der Kutscher des Oberfiscals auf der Hauptstraße von Porvár einem Frachtwagen begegnete; der Kutscher bemerkte, daß der Fuhrmann beim Ausweichen seine Pferde stark peitschte. Der Kutscher mahnte seinen unbarmherzigen Collegen ab, allein der Koth war groß, und statt der freundlichen Ermahnung Gehör zu geben, hieb der Andere auf seine armen Rosse nur noch stärker zu. Der Kutscher verwies dies dem verstockten Thierquäler mit lauter Stimme, aber statt aller Antwort flucht der Fuhrmann nur und schlägt die Pferde noch stärker. Der menschenfreundliche Kutscher des Oberfiscals springt hierauf ab, und, weil schöne Worte nichts fruchteten, läuft er dem Fuhrmann nach, holt ihn ein – was um so leichter war, weil sein Wagen eben stecken blieb – reißt ihn beim Fuß vom Wagen herab und bläut ihn dergestalt durch, daß er sich kaum wieder aufzusetzen vermochte.

Beschluß. Die Gesellschaft ersieht hieraus mit Vergnügen, daß in Bezug auf Thierquälerei sich auch bei den unteren Volksclassen aufgeklärte Ansichten zu verbreiten anfangen; sie hält daher diese Handlung des menschenfreundlichen Kutschers besonderer Würdigung werth, und wird den Namen desselben, der Peter Katona heißt, in ihrem Protokolle lobend erwähnen.

N. N., einer der Táblabiro's, fuhr am letzten Februar von seinem Dorfe nach Porvár; auf halbem Wege bemerkte er, daß die Pferde im tiefen Koth ermatten; damit die armen Thiere nicht Schaden leiden, läßt er sie allsobald ausspannen und durch den Kutscher aus dem nächsten Dorf acht Vorspannpferde kommen und setzt mit ihnen seinen Weg fort.

Beschluß. N. N. hat hierdurch einen neuen Beweis seiner geläuterten Gefühle gegeben, die längst an ihm gewürdigt worden sind, und in Folge dieses seines Verdienstes wird er zum Ehrenmitgliede des Vereins ernannt, worüber ihm der Präsident das Diplom auszufertigen hat.

Ich will die Leser nicht durch weitere Protokollauszüge ermüden; es genüge, zu sagen, daß die öffentliche Meinung, die, wie in manchem Comitate, auch in Taksony durch zwei bis drei Männer gebildet wurde, sich vollständig für den Verein erklärte, und mögen immer einige Feinde der öffentlichen Meinung sie einen unnützen Wind nennen Unübersetzbares Wortspiel., so wissen wir doch, daß die Mehrzahl der Menschen den Mantel nach dem Winde dreht und vor demselben oft den Hut abzieht, nur damit er ihnen nicht weggeweht werde.

Als Vándory in den Saal trat – denn er nahm seinen Weg gerade hierher, wo er am leichtesten taugliche Zeugen finden konnte – waren eben sehr interessante Verhandlungen in Bezug auf einen Esel im Gange, den sein Eigenthümer geprügelt hatte. Der Verein hatte sich gleich bei der Gründung in drei große Parteien gespalten. Die eine Partei – die äußerste Linke – wollte die wohlthätigen Wirkungen des Vereins auf alle Thiere ausdehnen, die zweite Partei, die aus den verknöcherten Conservativen des Vereins bestand, wollte die Wirksamkeit desselben auf die Pferde beschränken, während die dritte Partei, wie Ancillon, an der Vereinigung dieser entgegengesetzten Ansichten arbeitete. Die mit Ueberlegung fortschreitenden So werden die Conservativen auch bezeichnet. Mitglieder des Vereins nahmen die Esel in Schutz und wollten sie in die privilegirte Stellung der Pferde erheben. Diese Partei hatte bereits in der letzten Vereinssitzung einen großen Sieg erfochten, denn sie hatte es durchgesetzt, daß die Maulthiere – leider gab es im Taksonyer Comitat keine Maulthiere – künftighin als Pferde zu betrachten seien; von da war zur Emancipation der Esel nur ein Schritt, und die Leser können sich das Feuer denken, mit dem die Partei den gegenwärtigen, sie so nahe angehenden Fall behandelte.

Aber wie glänzend auch die bei dieser Gelegenheit gehaltenen Reden waren, vollständige Muster der ungarischen Beredtsamkeit, nach deren Grundregeln bei dem trockensten politischen Gegenstand eben so viel poetische Worte nöthig sind, als in Liebesscenen die Titulaturen: Verehrte gnädige Frau und Euer Hochwohlgeboren; mit wie viel Blumen auch die Ohren der in Schutz genommenen Esel durch ihre Redner umwunden wurden, während die Gegner von den ausgezeichneten Verdiensten der Pferde um das Vaterland sprachen, und besonders darauf aufmerksam machten, was es für eine Ungerechtigkeit wäre, wenn solche Thiere ihre privilegirte Stellung verlören, auf denen unsere Väter Hunnia's Boden erreichten und alle Schlachten durchgekämpft haben, so daß beinahe die Hälfte des alten Kriegsruhmes ihnen gebührt, und wir kaum zu sagen vermögen, was aus dem ungarischen Adel geworden wäre, wenn er nichts zum Aufsitzen gefunden: so schien es doch, als ob Vándory dies Alles seiner Aufmerksamkeit nicht würdige. Nachdem er zuerst mit Völgyesy, der, ohne theilzunehmen, bei der Berathung zugegen war, sich kurze Zeit leise besprochen, und dann Ludwig Bántorny – der seines Bruders wegen nicht von der Sitzung ausbleiben konnte – bei Seite gerufen und auch mit ihm in einer Fensterbrüstung einige Worte geflüstert hatte, verließen die drei Männer in größter Eile den Saal.

Aber je gleichgiltiger Vándory gegen die Berathung war, um so mehr Aufmerksamkeit erregte sein Erscheinen, und besonders, daß er sich mit Völgyesy und Bántorny so schnell entfernte, und daß die Beiden durch das Mitgetheilte dergestalt überrascht und ergriffen schienen, daß der Letztere nicht einmal den Schluß der schönsten Rede seines eigenen Bruders abwartete und Völgyesy sogar seine Handschuhe auf dem Tische vergaß. Ein Theil zerbrach sich den Kopf, warum Vándory gekommen? Der andere Theil beschäftigte sich mehr damit, warum er sich entfernt, und besonders, warum er zwei Männer mit abberufen habe? Noch Andere aber konnten es nicht begreifen, warum er gerade Völgyesy und Bántorny sich ausgesucht, da er außer diesen Beiden noch viele Andere hätte wählen können. Ein ganzes Geschwader Hypothesen wurde aufgestellt, unter denen zuletzt zwei als die wahrscheinlichsten anerkannt wurden: die eine, daß Völgyesy und Bántorny zu einem gewissen, damals sehr kranken Fiscal gerufen worden seien, der bis jetzt nicht bewogen werden konnte, ein Testament zu machen, und den Vándory vielleicht dazu beredet; die andere: daß sie bei irgend einer Vermählung Zeugen sein sollen. Das Interesse, mit dem Jeder die Verhandlungen verfolgt hatte, war verloren, und nachdem Herr James eine Weile Alles aufgeboten, um die Anwesenden von der grenzenlosen Wortanhäufung zum Gegenstande selbst zurückzubringen, sah er sich, unfähig, das Hin- und Hergehen und das vielfache Flüstern zu ertragen, endlich genöthigt, die Sitzung aufzuheben, wodurch die Anerkennung der gerechten Ansprüche der Esel auf einen Tag später verschoben und die Philanthropie, oder vielmehr was man Philanthropie nennt, eines schönen Sieges verlustig wurde.

Niemand kann es Herrn James übelnehmen, daß er sich über diese Wendung der Dinge grämte und auf Vándory zürnte, daß er gekommen, auf Völgyesy und den Bruder aber, weil sie die Sitzung verlassen. Ich kenne Wenige, die die öffentliche Aufmerksamkeit gern mit Andern theilen, und wer im Präsidialstuhl die schönste Rede spricht und dabei die Zuhörer flüstern und hin- und hergehen sieht, wie Herr James, der hat die Erlaubniß, nach der Sitzung etwas übellaunig zu sein; aber im Comitatshause war noch Jemand, auf den Vándory's Betragen noch viel unangenehmer wirkte, und dieser Jemand war Frau von Réty.

Die Vicegespanin saß eben arbeitend am Fenster ihres Schlafzimmers, das die Aussicht in den Hof hatte, als sie Vándory aus der Kammer des Juden treten und der Stiege des Comitatshauses zueilen sah. Es fiel ihr auf, aber sie fand nichts Beängstigendes darin. Seit sie vernommen, daß der Jude außer sich und zur Genesung keine Hoffnung sei, hatte sie sich nicht weiter um ihn erkundigt und glaubte halb und halb, daß er bereits gestorben sei; jetzt, da sie Vándory aus dem Gefängnisse des Unglücklichen herauskommen sah, überzeugte sie sich, daß diese ihre Erwartung sie getäuscht habe. »Was liegt mir daran, ob er lebt oder todt ist,« so sprach sie zu sich selbst, »der Jude ist außer sich; dieser warmblütige Prediger hat ihm wahrscheinlich wieder etwas vorgeplappert, wovon er nichts verstanden hat, und zufrieden, daß er seinen Spruch an Mann gebracht hat, geht er jetzt hinauf zu Tengelyi, um in demselben Tone weiter zu reden.« Und die Vicegespanin arbeitete weiter und dachte an des Predigers nutzlose Bemühungen mit all' der Verachtung, die die sogenannten praktischen Menschen gegen alle Jene empfinden, die für ihre Bemühungen keinen nach Gulden und Groschen berechenbaren Gewinn ernten. Als sie aber nach kurzer Zeit wieder Schritte auf dem Hofe hörte und hinabblickend Vándory ersah, der in Völgyesy's und Bántorny's Begleitung der Kammer des Juden zuging und mit seinen Begleitern hinter der kleinen Thür verschwand, aus welcher dann allsobald die von Vándory bestellte Wärterin heraustrat, wurde die Vicegespanin von unaussprechlicher Unruhe ergriffen.

»Was kann das sein?« so dachte sie, »der Jude war außer sich; zu seiner Genesung ist keine Hoffnung; was wollen die in seinem Zimmer? es ist sonderbar, höchst sonderbar. Völgyesy ist Tengelyi's Advocat, und Vándory – und wenn der Jude besser wäre, und – das muß ich wissen,« sprach sie weiter, »ich kann diese Ungewißheit nicht ertragen; das Weib, das den Juden gepflegt, steht dort vor der Thür, sie muß Alles wissen.«

Die Vicegespanin schickte ihr Stubenmädchen hinab, und bald darauf trat das alte Weib mit nicht geringen Bücklingen ein. Die Arme war ganz verwirrt vor Erstaunen, daß sie zur gnädigen Frau Vicegespanin berufen ward.

So viel es ihr möglich, unterdrückte die Vicegespanin ihre Aufregung, und nachdem sie der sich noch immer verwundernden Frau erzählt, wie lange sie den Juden kenne, der ihrem Hause immer ergeben gewesen und den sie auch jetzt für unschuldig halte, und daß sie eben deshalb an seinem Lose viel Antheil nehme, und nachdem sie das Weib wegen der bisherigen Pflege des Juden gelobt, stellte sie mit pochendem Herzen die Frage: wie sich der Kranke jetzt befinde, und ob sie nicht wisse, warum Herr Vándory mit noch zwei Herren jetzt eben in das Gefängniß gekommen seien?

Die Antworten der Frau, in demüthigem Tone vorgebracht, waren nicht von der Art, daß sie die Vicegespanin hätten beruhigen können, ja, was sie erfuhr, erfüllte ihre Seele mit der größten Angst. Der Jude war sich also ganz gegenwärtig; warum sehnte er sich so sehr nach Vándory? was kann das Geheimniß sein, das er mittheilen muß, um ruhig sterben zu können? so hatte das alte Weib erzählt. Warum wurde sie gerade heute hinaus geschickt, während der Prediger mit dem Kranken länger als eine Stunde gesprochen? und warum sind jetzt Ludwig Bántorny und Völgyesy zu dem Kranken berufen, wenn nicht, um als Zeugen des abgelegten oder noch abzulegenden Geständnisses zu dienen?

Nachdem die Vicegespanin dem hinreichend langen Vortrag des alten Weibes aufmerksam zugehört, fragte sie mit zitternder Stimme: »Und habt Ihr nicht gehört, was der Jude mit Herrn Vándory gesprochen hat?«

»Der geistliche Herr hat mich hinausgeschickt,« erwiderte die Alte ruhig, »und es war wirklich keine Ursache dazu, ich war nie redselig, und in meinem Alter hätte man mir vielleicht auch vertrauen können; aber der geistliche Herr hat mich hinausgeschickt, und so weiß ich nichts, aber ich glaube, daß er seine Verbrechen gestanden haben wird.«

»Woher vermuthet Ihr das?« fragte die Vicegespanin, deren ungewöhnte Aufregung jetzt die Aufmerksamkeit der alten Frau in Anspruch nahm.

»Ich habe wirklich nicht gehorcht,« sprach die Alte, »und wenn ich es auch gewollt hätte, so ist mein Gehör zu schwach, als daß ich durch eine verschlossene Thür etwas verstehen könnte; aber ich vermuthe nur, daß sie davon gesprochen haben. Nie habe ich an dem geistlichen Herrn so ein betroffenes Gesicht gesehen, als wie er vom Juden heraus kam; Gott weiß, was er für schreckliche Dinge von ihm gehört haben mag! Wie ich in das Zimmer zurückkehrte, schien der Jude einige Minuten ruhig, aber ich saß kaum bei ihm, so wurde er neuerdings unruhig. »»Wenn sie wollen, daß ich etwas gestehe,«« so sprach er einige Male zu mir, »»warum kommen sie nicht?«« Ich sagte ihm, daß der geistliche Herr eben erst weggegangen sei, und er möchte nur ruhig bleiben. Aber er warf sich immer hin und her, und seufzte; ich versichere Euer Gnaden, es war entsetzlich anzusehen, wie ihn das Gewissen marterte, und er hatte auch keine Ruhe, bis nicht der geistliche Herr mit noch zwei anderen Herren kam. Da fragte er nur: ob er sein Geständniß ablegen könne? und als er hörte: Ja! war er gleich ruhig. Aber gnädige Frau,« so unterbrach sich die Rednerin selbst, als sie die Vicegespanin plötzlich erbleichen sah, »vielleicht wird Euer Gnaden übel?«

Frau von Réty nahm alle Kraft zusammen und sprach möglichst ruhig: »Nein, gute Frau! geht zu Eurem Kranken, die Herren werden wahrscheinlich bald herauskommen.«

»Sehr wohl, gnädige Frau!« sprach Jene, »der Arme lebt ohnedies nicht bis morgen Früh, vielleicht bedarf er meiner noch diese Nacht. Wenn nur am Ende die Wahrheit herauskommt; nicht wahr, Euer Gnaden, das ist die Hauptsache?«

»Schon gut, schon gut,« sprach Frau von Réty mit erstickter Stimme, »die Wahrheit wird schon herauskommen.« Das alte Weib küßte ihr die Hand und entfernte sich, Frau von Réty aber schloß die Thür ab und warf sich in stummer Verzweiflung auf das Canapé.

Der Jude hatte Alles gestanden, darüber konnte sie nicht mehr in Zweifel sein; von Vándory und Völgyesy, ihren Feinden, durfte sie keine Schonung erwarten; und durfte sie überhaupt hoffen, daß Tengelyi's vertrauteste Freunde um was immer für einen Preis irgend etwas von Dem verschweigen würden, was der Jude ausgesagt, wenn es Tengelyi zum Vortheil gereichte? Und sie, von Allen gehaßt, konnte so furchtbaren Anklagen gegenüber nicht einmal auf die Unterstützung ihres Mannes rechnen.

»Was soll ich thun?« so sprach sie zu sich selbst und schauderte über die Lage, in der sie sich befand. »Giebt es denn keine Rettung?« Sie sprang vom Canapé auf und ging in tiefen Gedanken lange auf und nieder. »Nein, es giebt keine!« sprach sie endlich stehen bleibend, »Tengelyi's Fall hat zu viel Lärm gemacht, als daß man die Sache jetzt ohne Urtheil ausgleichen könnte; und wenn auch dies nicht wäre, wem soll ich mich in dieser schrecklichen Lage vertrauen? Von wem soll ich Rath begehren? Auf wessen Beistand kann ich zählen? Mein Mann?« unbeschreibliche Bitterkeit sprach sich in ihrem Gesichte aus. »Vor ihm soll ich mich demüthigen? ihn um Beistand bitten? und wozu? hat er mich je geliebt? haßt er mich nicht jetzt, so weit seine schwache Seele dieser Empfindung fähig ist? bin ich nicht überzeugt, daß er mich in demselben Augenblicke verläßt, in dem er mich in Gefahr sieht? Ja, er wird der eifrigste meiner Verfolger werden, damit die gegen mich erhobenen Anklagen nicht auch auf ihn ausgedehnt werden! Nein, lieber Alles, als mich vor diesem Menschen beugen! Aber was soll ich thun?« Sie ging wieder auf und ab, ihre Unruhe, das Schütteln des Kopfes bewies, daß sie noch keinen Entschluß gefaßt. Endlich, als ob ein Gedanke ihr Gehirn durchblitzt hätte, blieb sie stehen und heftete die Augen auf ihren Schreibtisch, der in einer Ecke stand. »Nein, nein!« rief sie schaudernd, »das ist nicht nöthig, das kann nicht sein!« Und, als ob sie ihren Gedanken entlaufen wollte, ging sie noch schneller hin und wieder. Mit magnetischer Gewalt zog der Schreibtisch ihre Blicke an, es schien, als vermöge sie sich nicht von ihrem entsetzlichen Gedanken zu befreien, und wohin sie sich auch wandte, hefteten sich die Augen unwillkürlich an den Schreibtisch. »Ich werde wahnsinnig,« sprach sie endlich, indem sie in der Mitte des Zimmers stehen blieb und sich die Augen mit den Händen bedeckte. »Seit dieser schreckliche Gedanke in mir erwacht ist, kann ich mich nicht von ihm befreien. Gott! mein Gott! steh' mir bei!«

Sie stand eine Weile bewegungslos, das Herz schlug, die Brust war gepreßt, als sollte sie zerspringen, sie konnte nicht weinen. »Aber warum wäre denn der Gedanke so schrecklich?« spann sie ihre Ideen mit einiger Ruhe weiter, nachdem der Anfall von Verzweiflung vorüber war: »Sterben – warum schaudert mein Herz bei diesem Gedanken? – der Tod nimmt uns nur, was wir auf dieser Erde besitzen – und besitze ich etwas, dessen Verlust ich bedauern müßte? Ich habe keine Kinder, habe mir auch nie welche gewünscht; wenn ich Kinder hätte, so würde ich mich vielleicht an die Erde gebunden fühlen – meinen Mann verabscheue ich; die Stellung, nach der ich mich gesehnt, konnte ich nicht erlangen – und jetzt wartet Schmach und Strafe meiner; es wäre Thorheit, länger zu schwanken.«

Sie ging zum Schreibtische, zog eine Lade heraus und nahm ein ziemlich großes Fläschchen hervor, das zur Hälfte mit einem weißen, dem Zucker ähnlichen Pulver gefüllt war. »So,« sprach sie halblaut, indem sie das Fläschchen mit zitternder Hand vor sich hinstellte, »mit diesem Arsenik kann ich das halbe Comitat in die andere Welt schicken; so lange dies in meiner Hand ist, wird Niemand ein Strafurtheil über mich fällen.« Eine Weile versank sie in tiefes Nachdenken. Dies werden wahrscheinlich auch meine Leser und meine Recensenten noch lieber thun, die es unwahrscheinlich nennen werden, daß Frau von Réty Gift findet, sobald sie es braucht. Aber eine derlei Rüge wäre höchst ungerecht. Weder darin, daß in Réty's Haus, wie in so vielen Herrschaftshäusern, Ratten hausten, noch darin, daß die Vicegespanin sie ausrotten wollte und hiezu die gewöhnlichen Mittel anwandte, ist irgend eine Unwahrscheinlichkeit. Daß Frau von Réty das Arsenik, das wir in hundert Häusern finden, immer in ihrem Zimmer und unter Schloß hielt, ist eine nicht gewöhnliche Sorgfalt, aber eine Sorgfalt, die von einer so klugen Hausfrau, wie sie, zu erwarten stand. Wer aber vielleicht die Masse des Giftes für unwahrscheinlich hält, spricht als reiner Theoretiker von der Sache, da, wie Jedermann aus Erfahrung weiß, das Arsenik nur in der Apotheke schwer zu erlangen ist, während es bei den Kaufleuten pfundweise für Jedermann zum Kauf bereit liegt; ich selbst traf einst einen Anstreicherjungen, der ein Pfund Arsenik, in blaues Papier gewickelt, frei über die Gasse zu seinem Meister trug. Wer hieran zweifelt, möge sich nur näher erkundigen; es würde gar nicht schaden, wenn es Jene thäten, denen es obliegt, die medicinische Polizei aufrecht zu erhalten.

»Aber sie sagen, durch Gift sterben, sei schmerzhaft,« so sprach Frau von Réty, nachdem sie das Fläschchen lange nachdenkend betrachtet hatte; »ich habe von Menschen gehört, die stundenlang unendliche Schmerzen ausgestanden und erst nach schaudervollen Leiden, in denen sie sich selbst verflucht, gestorben sind; und wenn nun dies auch mein Los wäre? wenn ich stundenlang zwischen Leben und Tod liegen müßte, wenn ich fühlen müßte, wie das Gift meine Eingeweide zerstört und jedes Glied meines Leibes sich gegen die Vernichtung sträubt, und bei dieser langen Pein, bei diesen grenzenlosen Schmerzen – kein theilnehmendes Wesen, Niemand, der mit liebender Hand den Todesschweiß von der kalten Stirn abtrocknet? Dies Alles einsam dulden, oder umgeben von Menschen, von denen jedes Wort, jeder Blick daran mahnt, daß sie nicht das Ende meiner Leiden, sondern das Ende meines Lebens erwarten!« Sie schauderte zusammen – und wie unwillkürlich schob sie das Fläschchen von sich weg.

Ihr Wille war gebrochen, sie war unschlüssig; einen andern Ausweg sah sie nicht, und gegen diesen sträubte sich ihre ganze Natur. Da stand sie in stummer Verzweiflung, vor ihr das Gift, auf das sich ihr Auge immer und immer unwillkürlich heftete; sie langte manchmal darnach hin und wendete sich wieder mit Entsetzen ab. »Ich werde viel nehmen, Alles,« sprach sie wieder zu sich, und die Finger umschlossen das Fläschchen krampfhaft; »so werde ich wenigstens nicht leiden, eine Minute – und Alles ist vorüber. – Aber sterben, jetzt sterben! und ich könnte noch zwanzig Jahre leben!« Sie ließ das Fläschchen wieder los, warf sich auf einen Stuhl und verhüllte sich das Antlitz mit den Händen.

»Wenn mich aber das alte Weib belogen hätte?« so rief sie plötzlich aus, wie überrascht durch den tröstenden Gedanken, der jetzt zum ersten Male in ihr aufstieg. »Wenn es nicht wahr ist, was sie von des Juden Geständniß gesagt hat? Oder wenn der Jude Vándory eines Geständnisses wegen zu sich rufen ließ, konnte er nicht ganz andere Dinge aussagen? Was für einen Grund hätte er haben können, mich zu verrathen, da ich immer seine Wohlthäterin war?«

Diese Gedanken beruhigten sie einen Augenblick. Sie legte das Gift in die Lade zurück, schloß den Schreibtisch zu, und war ordentlich verwundert, wie sie sich durch ihre Furcht zu so verzweifelten Gedanken habe hinreißen lassen. Aber diese Ruhe konnte nicht lange dauern, sie war eine viel zu verständige Frau, als daß sie nach der Freude, mit der sie diese einzige tröstende Möglichkeit einen Augenblick erfüllt hatte, bei reiferer Ueberlegung nicht eingesehen hätte, daß ihre ganze Hoffnung nur auf einer Möglichkeit beruhe, auf einer Möglichkeit, aber auf keiner Wahrscheinlichkeit – und sie sank in ihre früheren Qualen zurück.

»Ich muß mir Gewißheit verschaffen,« sprach sie endlich; »der Jude lebt wahrscheinlich noch, und ist vielleicht bei Sinnen; von ihm kann ich am besten erfahren, was er gestanden hat; wenn ihn Vándory zum Geständniß vermocht hat, so kann ich ihn vielleicht dazu bringen, daß er die Aussage zurücknimmt.« Sie hüllte sich in einen Mantel, verließ das Zimmer und eilte gerade zu dem Gefängnisse des Juden.

Es war schon Abend; Niemand bemerkte die Vicegespanin, als sie den finstern Hof des Comitatshauses durchschritt. Seit durch die Krankheit des Juden jede Besorgniß verschwunden war, daß er entfliehen werde, war er beinahe nie mehr eingeschlossen, und Frau von Réty stand in der Kammer, ohne daß sie irgend Jemand gesehen hätte. Das alte Weib, die Pflegerin des Kranken, war nicht wenig verwundert, als sie bei dem sparsamen Lichte der Lampe die gnädige Frau erkannte, die allsobald fragte: »Wie befindet sich der Kranke?«

»Ruhiger, viel ruhiger,« antwortete die Alte, und erhob sich von ihrem Sessel; »als die Herren fortgegangen waren, sagte er, daß er sich viel besser befinde, seit er Alles gesagt, was ihm auf dem Herzen gelegen. Seither schlummert er fast immer. Der arme Mensch, und wenn er erst wüßte, daß Eure Gnaden sich nach ihm erkundigen, ja selbst hier sind.«

»Geht hinaus,« sprach Frau von Réty mit zitternder Stimme, »und wartet auf mich im Hofe; saget aber Niemandem, versteht Ihr, Niemandem, daß ich hier bin. Ich muß mit dem Unglücklichen sprechen, bevor er stirbt. Ihr wißt,« setzte sie hinzu, als sie die Verwunderung der Alten bemerkte, »daß Macskaházy, den dieser Jude umgebracht hat, unser getreuester Diener war, darüber muß ich mit ihm sprechen. Wenn er wirklich in sich gegangen ist, so wird er vielleicht auch auf meine Fragen antworten.«

»Daß er in sich gegangen ist,« antwortete die Pflegerin, die noch immer wegzugehen zögerte, »ist gewiß. Der geistliche Herr hat ihn ganz bekehrt; aber es wäre doch vielleicht besser, wenn ich hier bliebe; der Kranke ist meine Stimme schon gewöhnt, mir würde er gewiß eher antworten. Und dann könnte es auch geschehen, daß er in seine gräßlichen Phantasien verfiele, und dann ist er ganz rasend, und Euer Gnaden –«

»Geht hinaus, sag' ich,« unterbrach Frau von Réty die Redende, »und wartet im Hofe auf mich; aber wie gesagt, untersteht Euch nicht, irgend Jemandem zu erzählen, daß ich hier war.«

Diese Worte waren in einem solchen Tone gesprochen, daß die Frau bei all' ihrer Neugierde sich nicht getraute, im Zimmer zu bleiben. Verdrießlich nahm sie ihre Bunda und ging zur Thür hinaus, und murmelte dabei Einiges über den Hochmuth der Herrschaften, die zur Krankenpflege wohl arme Leute rufen, aber wenn man von dem Kranken etwas erfahren könnte, die Pflegerin hinausschicken und allein mit ihm reden.

Frau von Réty ging hierauf ebenfalls zur Thür, um sich zu überzeugen, daß das alte Weib nicht horche, dann näherte sie sich dem Bette des Kranken und redete den Juden an.

Der Kranke antwortete nicht; ungleiches Athmen, schwere Seufzer, die von Zeit zu Zeit die Brust hoben, um den Mund und durch den Körper zuweilen jenes sonderbare Zucken, das wir bei Sterbenden bemerken, bewiesen hinlänglich, daß seine Stunden gezählt waren. Mit pochendem Herzen stand sie am Bette und betrachtete das vertrocknete Angesicht, das der Tod schon zu entstellen begann; aber der Kranke hatte die Augen geschlossen und antwortete nicht. Er war unruhig wie Jemand, der etwas sucht, er griff unsicher auf der Decke herum, doch schien er dabei zu schlummern.

Die Vicegespanin überzeugte sich, daß sie keine Zeit verlieren dürfe, wenn sie noch mit dem Juden sprechen wolle; als er daher auf ihr zweites Ansprechen keine Antwort gab, schüttelte sie ihn ein wenig.

Der Jude öffnete die Augen, sah sich um, wie er aber nur eine Frau sah, die er wahrscheinlich für seine Pflegerin hielt, wendete er sich wieder der Mauer zu.

»Also kennst Du mich nicht?« sprach die Vicegespanin mit bebender Stimme, »wende Dich nicht weg, sieh' mich an, ich bin es.«

»Laßt mir Ruhe,« sprach der Jude leise, beinahe unverständlich, »ich habe gesagt, was ich weiß, ich habe Alles gestanden; was wollt Ihr noch?«

»Also kennst Du mich nicht?« sprach sie beinahe flehend, »schau mich an; ich bin es, die Vicegespanin.«

»Die Vicegespanin?!« sprach der Jude verwundert und heftete die glanzlosen Augen auf die Erscheinung.

»Wer käme denn sonst zu Dir?« sprach sie einschmeichelnd, »wer sorgt für Dich? wem liegt Dein Wohlsein am Herzen?«

»Fort von mir, entsetzliches Weib!« unterbrach sie der Kranke, »laß mich wenigstens in Ruhe sterben. Warum kommst Du? Du siehst, ich habe keine Kraft, zu stehlen oder zu morden.«

»Du bist außer Dir,« sprach sie leise, »wie kannst Du so reden? Wenn es Jemand hörte!«

»Da liegt mir gar nichts daran,« erwiderte der Jude ruhiger, »ich fürchte mich vor Niemand mehr.«

»Laß Dich nicht betrügen,« sprach sie wieder leise, »nicht wahr, sie sagen Dir, daß Du hoffnungslos bist? Schau, das sagen sie nur, um Dich zum Geständnisse zu bringen; ich aber weiß es vom Arzte selbst, daß Du außer aller Gefahr bist, Du bist nur noch schwach, aber auch dies wird bald vergehen. Gieb nur jetzt auf Dich Acht. Auch heute war, wie ich höre, Vándory mit noch zwei Herren bei Dir.«

Hier wurde sie durch das Gelächter, oder vielmehr Röcheln unterbrochen, in welches der Halbtodte ausbrach, als er die Vicegespanin so reden hörte. Mit den ausgezehrten Fingern faßte er krampfhaft ihre Hände und sprach mit dumpfer Stimme: »Deshalb also kommst Du? Nicht wahr, Du willst wissen, was ich von den Verbrechen gestanden, die wir zusammen begangen haben? Du kannst ruhig sein. Alles habe ich gestanden, verstehst Du, Alles; von dem Augenblicke an, als Macskaházy mit mir zum ersten Male wegen des Schriftenraubes sprach, bis zu dem Abend, an dem Du, eben dieser Schriften halber, mit Macskaházy in Streit geriethest und mich rufen ließest, um in Deine Fenster ein paar neue Scheiben einschneiden zu lassen; und da sprachst Du, während der Arbeit: wenn Jemand Macskaházy umbrächte –«

»Schweige, Ungeheuer!« unterbrach sie den Sprechenden, und strebte vergebens, ihre Hand aus den pressenden Fingern des Juden zu befreien.

»Ungeheuer! Nicht wahr, Ungeheuer!« sprach der Jude wieder, und die dumpfe Stimme, mit der er die Worte mühsam herausstieß, durchschauderte sie, »wie aber werden die Menschen jene Personen nennen, die mich zu den Thaten verleiteten, wegen derer sich Alle mit Entsetzen von mir abwenden?«

»Niederträchtiger Jude!« rief Frau von Réty, »wer glaubt Dir, wenn Du mich anklagst?«

»Sie werden mir glauben,« antwortete der Jude, »was ich sage, hat auch Viola gesagt; Niemand wird daran zweifeln.«

»Du mußt Deine Aussage zurücknehmen,« sprach sie mit schwankender Stimme, »ich werde neue Zeugen bringen, und vor denen kannst Du aussagen, daß man Dich durch Versprechungen dahin gebracht hat, gegen mich falsch auszusagen, aber daß Alles, was Du gesagt hast, eine schändliche Erdichtung gewesen; nicht wahr?«

»Ich nehme von meinem Geständnisse nicht ein Wort zurück,« antwortete der Kranke, »nicht ein Wort.«

»Jude,« sprach sie leidenschaftlich, »wenn Du es nicht thust –«

»Drohe anderen Leuten,« unterbrach sie der Jude, »auf mich wirken Deine Versprechungen und Drohungen nicht mehr; morgen bin ich dort, wo auch der Jude von den Mächtigen der Erde nichts mehr zu fürchten hat. Aber Du,« setzte er mit letzter Kraft hinzu, »die Du mich zu allem Bösen verführt und mich verlassen hast, als ich Deinetwegen litt, Du wirst vor den Richter gestellt werden – kommst in den Kerker wie ich – wirst auf dem Richtplatz stehen. Ich habe es in meiner Krankheit geträumt – in der Mitte Du und ich, und der Henker neben uns mit dem großen blanken Schwert. Auch Czifra war dort, und Macskaházy, und rundherum viel Volk, und wir setzten uns auf den Stuhl –« hier wurde die gebrochene Stimme unverständlich, er sprach weiter, aber außer sich, und aus dem Zucken der kalten Hand, mit der er sie noch immer festhielt, merkte sie, daß seine letzte Stunde erschienen sei.

Endlich befreite sie mit nicht geringer Mühe ihren Arm aus der Hand des Sterbenden und stürzte aus der Kammer; als die alte Frau in die Kammer zurückkehrte, fand sie den Kranken bewußtlos und in den letzten Zügen.

Ich werde nicht beschreiben, was in der Brust der Vicegespanin in diesem Augenblick vorging. Es giebt in der materiellen und in der Welt der Empfindungen entsetzliche Dinge, für deren Darstellung man keinen Pinsel hat, und was diese Frau damals litt, war von solcher Art. Auf der Treppe begegnete sie dem Stubenmädchen; sie bestellte Licht und ein Glas Wasser, und das Mädchen entsetzte sich, als sie ihre Gebieterin sah. Ihr Gesicht war todtenbleich, der ganze Körper zitterte, die Blicke schossen wild und irr umher.

»Sind Eure Gnaden krank?« so sprach Julchen, als sie die Kerzen auf den Tisch stellte, »soll ich nicht den Comitatsphysikus holen? Er ist im Hause.«

»Nein, schweig'! Was geht es Dich an?« sprach Frau von Réty und warf dem Mädchen einen blitzenden Blick zu, »stelle das Wasser hierher, zu mir, und packe Dich.«

Das Mädchen ging. Die Vicegespanin schloß das Zimmer zu und war allein.

Die Theilnahme der Menschen vermögen wir zurückzuweisen, aber ihre Neugierde gewiß nicht, und wer da glaubt, daß ein Stubenmädchen nicht Alles aufbieten wird, hinter das Geheimniß zu kommen, sobald man sagt, daß sie die Sache nichts angehe, der irrt nach meiner vollkommenen Ueberzeugung im höchsten Grade. Im vorliegenden Falle war es wenigstens so. Und Julchen, sobald sie auf die erwähnte Art von ihrer Frau fortgeschickt worden war und sich in ihrem Zimmer allein sah, kannte keine wichtigere Obliegenheit, als an der Thür, die sie von der Gebieterin trennte, jede ihrer Bewegungen zu behorchen.

Was Julchen hörte, vermehrte nur ihre Neugierde. Frau von Réty ging auf und ab. Sie setzte sich an den Tisch und schrieb. Sie stand wieder auf, und es schien, als ob sie die Papiere zerreiße. Dann ging sie wieder auf und nieder. Sie öffnete einen Kasten. Wieder setzte sie sich zum Schreibtisch, und Julchen vernahm deutlich ihre schweren Seufzer. Später däuchte es dem Mädchen, als rühre die Frau etwas im Glase um.

»Sie ist krank,« dachte sie bei sich selbst, »und nimmt gewiß ihre Tropfen ein; es wäre doch gut, wenn ich Jemand riefe.«

Das Stubenmädchen legte das Ohr wieder an die Thür und hörte ein Klirren, wie wenn Jemand ein Glas stark niederstellt; weil sie hieraus auf den üblen Humor der gnädigen Frau schloß, änderte sie ihren Vorsatz und hielt es für zweckmäßiger, Niemand zu rufen; es schien, als lege sich die Vicegespanin auf das Canapé, und klagendes Gestöhn wurde hörbar.

Dies hören und die Ursache nicht wissen, war mehr, als man von der Vernunft eines Stubenmädchens verlangen konnte, und nachdem Julchen wiederholt an die Thür geklopft und auf ihre Fragen keine Antwort erhalten hatte, vergaß sie das strenge Verbot der gnädigen Frau, ihre Heftigkeit, kurz Alles, und lief geradezu zum Vicegespan.

Wenige Minuten, bevor sich dieses begab, war Vándory zum Vicegespan gekommen. Vándory war ungewöhnlich aufgeregt und fragte ihn, ob er seine Frau nicht gesehen?

Réty antwortete, daß er den ganzen Tag über seine Frau nicht gesehen habe, und fragte, warum er – Vándory – so aufgeregt sei. Dieser erwiderte, daß eben jetzt, als er bei Tengelyi gewesen, die alte Pflegerin des Juden gemeldet habe, daß der Unglückliche gestorben und daß die Vicegespanin gerade vor seinem Tode bei ihm gewesen sei und längere Zeit mit ihm gesprochen habe. »Freund,« setzte er hinzu, »Deine Frau ist leidenschaftlich, sie hat erfahren, daß der Unglückliche, der jetzt nicht mehr ist, vor mir und Mehreren Manches ausgesagt hat; sie kennt den Inhalt der Aussagen nicht und glaubt sich vielleicht compromittirt. Wer weiß, wessen sie vielleicht in der Verzweiflung fähig ist; ich bitte Dich, geh' zu ihr und beruhige sie. In der Aussage des Juden ist nichts, was Deine Frau gefährden könnte; ich gebe mein Ehrenwort darauf, die Aussage des Unglücklichen belastet nur Macskaházy.«

Bei diesen Worten wurde der Prediger durch das hereinstürzende Julchen unterbrochen, die Alles erzählte, was sie durch die Thür erhorcht hatte.

»Schnell zu ihr,« rief Vándory, »vielleicht kommen wir noch zurecht.« Und in der nächsten Minute waren die beiden Männer an der Thür der Vicegespanin.

Die Thür war verschlossen. Drinnen hörte man ächzen.

»Aufbrechen,« schrie Vándory, und wie er und Réty sich mit vereinter Kraft auf die Thür stürzten, wich das schwache Schloß.

Der Zweck ihres Kommens war nicht mehr erreichbar. Das Glas auf dem Tische, der kleine Rest des Trankes im Glase, daneben das Fläschchen mit Arsenik, ließen über das Geschehene keinen Zweifel übrig. An Hilfe war nicht zu denken.

Als Réty in's Zimmer trat, lebte die Unglückliche noch, sie starrte ihn an, es schien, als wolle sie sprechen; als aber Réty neben ihr niederkniete und ihre Hand ergriff, waren die krampfhaft verschlungenen Finger schon kalt, ein schwerer Seufzer hob noch ihre Brust, und die Augen, noch immer fest auf Réty geheftet, verloren ihren Glanz. Sie war nicht mehr.


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