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VI.

Es giebt im Menschenleben Augenblicke, wo Der, welcher sich als Zweck seiner Mühen den Erwerb großen Reichthums, Macht oder persönliche Auszeichnung vorgesteckt hat, die Fruchtlosigkeit seiner Bemühungen tief fühlt. Der breite Weg, auf welchem so Viele, den äußeren Gaben des Glückes nachjagend, ihre Befriedigung suchen, mag glatt und angenehm sein, aber es kommt der Augenblick nach, wo der Wandelnde nach vieler Anstrengung bemerkt, daß er noch weit vom Ziel ist. Die Menge, die sich neben ihm drängt, hindert ihn bei jedem Schritt, und wie er sich nun mitten in dem Gewühle dennoch allein fühlt, gelangt er endlich zur traurigen Ueberzeugung, daß die Zufriedenheit, die er gesucht, nicht auf dieser Bahn liege. Wer, von der Menge getrennt, auf einsamen Pfaden in die Höhe strebt, nicht damit der Haufe seine höhere Stellung bewundere, sondern um sich selbst gehoben zu fühlen; nicht um gesehen zu werden, sondern um für seinen Blick einen höheren Gesichtskreis zu erlangen; nicht um aus der Höhe zu herrschen, sondern weil er nach Freiheit strebt: ein Solcher, wenn er auf dem von Wenigen betretenen Pfad seine Kräfte sinken fühlt, wird nie mit so viel Bitterkeit auf die Vergangenheit zurückschauen, wie jetzt der Vicegespan, der, in seinem Zimmer auf- und abgehend und seine jetzige Lage überdenkend, zu der Ueberzeugung kam, daß die Richtung seines ganzen Lebens verfehlt war.

Von Natur aus war er nicht gefühllos; in jungen Jahren gab es Niemand, der ein größeres Bedürfniß gehabt, sich an Andere anzuschließen, von Vielen geliebt zu werden. Das Schicksal hatte ihn weder mit außerordentlichen noch mit ganz gewöhnlichen, mittelmäßigen Geistesfähigkeiten ausgerüstet, mit schönem Vermögen und jenen äußerlichen Vorzügen beschenkt, die zu unserem Glücke wirksamer sind als innere Vorzüge, und so konnte der junge Réty sich leicht glücklich nennen. Es schien in seinen persönlichen Eigenschaften und in seinen Verhältnissen nichts zu fehlen, um glücklich zu bleiben, und wenn er seiner Natur gefolgt wäre und sich nicht über den Kreis, der ihm angewiesen war, erhoben hätte, so würden wir jetzt in ihm wahrscheinlich einen jener glücklichen Menschen sehen, denen der Himmel beinahe jeden Wunsch erfüllt hat. Aber in Réty's Charakter war etwas, wodurch alle Hoffnungen vernichtet wurden, und dieses Eine war: Schwäche, und was immer in ihrem Gefolge geht, wenn sie nicht aus Verstandesmangel entspringt: Eitelkeit, und diese erlaubten ihm nicht, ruhig zu genießen, was ihm das Geschick zugewendet. Herausgerissen aus seiner natürlichen Lage, wurde sein Leben durch diese Schwächen zu einer langen Reihe von Täuschung und Bitterkeiten. So wie die Anhänglichkeit an die Schulkameraden und die ersten Jugendfreunde nicht die reine Folge der Empfindung war, sondern ihren Ursprung darin hatte, daß Réty immer Jemanden bedurfte, um sich auf ihn zu stützen und von ihm jedes seiner Worte gepriesen oder wenigstens bestätigt zu hören, so konnten, als er von der Universität zurückkam und in das praktische Leben eintrat, die Ansichten seiner Eltern und ihre Rathschläge auf den jungen Mann nicht ohne Einfluß bleiben; und obschon er die hochstrebenden Pläne seines Vaters anfangs weniger theilte als ihnen nachgab, bedurfte es doch nur kurzer Zeit, um der zur Eitelkeit geneigten Brust die Aussicht liebgewinnen zu machen, die ihm täglich vor die Augen gestellt wurde, und er selbst begann nur zu bald nach jenen Auszeichnungen zu streben, die er anfangs nur darum nicht zurückgewiesen, weil er den Wünschen seines Vaters nicht zu widerstehen vermocht hatte.

Meine Leser wissen, wie Réty schon bei seinem ersten Auftreten mit seinem Jugendfreunde Tengelyi in Conflict gerathen war. Der junge Mann fühlte das Unedle der That, er unternahm Alles, den Vater von seinem Vorsatze abzubringen, er sagte hundertmal, daß er sich selbst verachten müßte, wenn er eines solchen Verfahrens gegen seinen Freund fähig sein sollte; als ihm aber der Vater sagte, daß er seines Lebens schönste Hoffnung vernichte, wenn er seinen Wunsch nicht erfülle, als die Mutter flehte, und als die Männer sagten, daß im Comitat noch nie ein so junger, die Weiber, daß noch nie ein so eleganter Stuhlrichter gewesen sei, Alle aber einstimmig erklärten, daß Tengelyi dieses Amt ohnedies nicht erlangen werde, konnte Réty nicht mehr widerstehen, und alle schöneren Vorsätze, alle edleren Gefühle, die sich in seinem Innern gegen seine Handlungsweise auflehnten, bewirkten nichts Anderes, als daß er seinen Fehler einsah und deshalb seinen Freund mied, um vor ihm nicht beschämt dazustehen.

Durch diesen Schritt in das öffentliche Leben hineingerissen, gewöhnt an den Ruhm und die häufigen Auszeichnungen, die wir in dem kleinen Kreise des Comitatslebens finden, und wodurch die Eitelkeit mehr geweckt als befriedigt wird, und die meiner Ansicht nach eine Hauptursache sind, daß dieser Fehler in unserer Nation so verbreitet ist, entfaltete sich Réty's angeborne Neigung mehr und mehr – und als er seines Vaters Platz einnahm und als erster Vicegespan des Taksonyer Comitats sich von Huldigungen umringt sah, schien ihm die Stellung, in der er sich befand, so angenehm, daß er sie gegen nichts auf der Welt vertauscht haben würde.

Es gab Menschen, die ihm Mangel an Grundsätzen vorwarfen, und die da glaubten, daß die Zurückhaltung, mit der er sich über jeden Gegenstand äußerte, das Resultat eines tiefen, auf Beförderung berechneten Planes sei; aber sie irrten sich. Der Vicegespan war mit seiner Lage zufrieden und wünschte nichts Anderes, als im Taksonyer Comitat der Erste zu sein, der, den sie am meisten lieben und preisen, und seine Zurückhaltung hatte nur darin ihren Grund, daß er Niemand beleidigen und sich dadurch eines Lobpreisers berauben wollte. Seine Eitelkeit war in ihren Ansprüchen bescheiden; er gehörte zu jenen Menschen, die zu ihrer Befriedigung keines großartigen Ruhmes oder Wirkungskreises bedürfen, die sich freuen, wenn sie langsam von Stufe zu Stufe gelangen, wenn sie nur solche Menschen um sich sehen, von denen sie bewundert werden; und weil diese Ansprüche im Taksonyer Comitat vollkommen befriedigt wurden, begehrte der Vicegespan gar nichts Anderes, denn es kam ihm nicht in den Sinn, daß es dem Manne die größtmöglichste Schande bringe, von jeder Partei geliebt zu werden. Diese Zufriedenheit konnte aber nur so lange bestehen, als sich Niemand in seiner Nähe befand, der sie gestört hätte, und der eitle Mann konnte sich der gegenwärtigen Auszeichnung nur so lange erfreuen, als nicht irgend Jemand neue Wünsche in ihm weckte. Der Tod seiner ersten Frau und seine zweite Ehe boten hierzu Gelegenheit.

Réty hatte das Glück gehabt, bei seiner ersten Ehe nur seinem Herzen folgen zu dürfen, denn bei dieser Gelegenheit standen ihm die Ansichten seiner Eltern nicht entgegen. Als er die zweite Frau wählte, horchte er nur auf die Einflüsterungen der Eitelkeit, und er heiratete eine Frau, die, zwar ohne Vermögen, aber einem hohen Hause entsprossen, theils ihrer Schönheit, theils ihres Geistes wegen von Allen gepriesen wurde. Der Gedanke, daß ihn Viele beneiden, daß sich beinahe Jeder verwunderte, daß er, ein Witwer, das schönste Mädchen der Umgegend heimführe, war seinem Herzen süßer als jedes andere Glück, und er diente ihm selbst dann noch zum Troste, als er in der Folge einsah, daß seine neue Frau außer der Schönheit und dem Geist noch andere Eigenschaften besitze. Diese Frau – sie ist den Lesern schon bekannt – fühlte sich in der Stellung, die sie als erste Vicegespanin des Taksonyer Comitats einnahm, durchaus nicht befriedigt. Aus einem glänzenden aber verarmten Hause, aus welchem Einzelne in höheren Aemtern standen, wurde die Vicegespanin eben dadurch immer gemahnt, in welcher bescheidenen Stellung sie sich befinde; sie sah aber hierin eher die Mittel, ihren Mann höher emporzubringen. Und eben die Möglichkeit, höher hinaufzukommen, machte der stolzen Frau ihre Lage unerträglich, und von dem Augenblicke an, als sie das Haus ihres Gemahls betreten, war ihr einziger Zweck, Réty's Eitelkeit zu jenem Hochaufstreben anzufachen, welches sie empfand.

Einem solchen Einflusse gegenüber konnte der Vicegespan seine Zufriedenheit nicht behaupten. Wenn er sich bisher gefreut, daß er im Comitat der Erste war, so wurde er jetzt täglich daran erinnert, wie geringfügig dies sei, und wie wenig würdig, als Lebensziel betrachtet zu werden. Die lauten Ausbrüche der allgemeinen Liebe, des allgemeinen Zutrauens, die, wie das Fluchen, nirgends so häufig sind, als in unserem Vaterlande, verloren bei Réty allen Werth seit er täglich daran gemahnt wurde, daß er dies mehr seinem Weibe als seinem Verdienste verdanke. Die in seinem Amte nöthige Herablassung wurde immer unerträglicher durch den Hohn, mit welchem seine Frau ihn wegen dieser Herabwürdigung – wie sie es in ihrem Hochmuth nannte – zu verfolgen pflegte; mit einem Worte, der Vicegespan, der das Glück seines Lebens darin gesucht hatte, daß Jedermann mit ihm zufrieden sei und daß er allgemein gepriesen werde, fand jetzt in seiner Frau nur Unzufriedenheit, Spott über seine Amtsstellung, Verachtung aller der Zwecke, für die er sich abgemüht, und er fühlte sich gleichsam vor sich selbst beschämt, in seinen eigenen Augen erniedrigt.

Man täuscht sich, wenn man glaubt, daß ein Mensch, der sich in der Jugend schwach gezeigt, später als Mann einen festeren Charakter erlangen werde. Im Gegentheil! Wie ein Mensch, der von einer steilen Höhe herabsteigt, unwillkürlich in das Laufen geräth, je weiter er kommt, so kann der Mensch im Beginne seiner Laufbahn, wenn die junge Seele noch begeisterungsvoll ist, leichter widerstehen, als später, wenn er schon in eine bestimmte Richtung hineingerissen ist; und Réty wurde – wenn auch nicht durch heiße Liebe, die er für seine Frau nie gefühlt – sondern durch die unausgesetzte Einwirkung der geistreichen und stets nach einem Ziele ringenden Frau bald dahin gebracht, aus der Lage, in der er sich bisher glücklich gefühlt, höher hinauf zu streben.

Von da an wurde Réty's Leben unglücklich. Der Eitle ist nicht geschaffen, sich ein entferntes oder hohes Ziel zu stecken; die Eitelkeit verlangt unausgesetzte Befriedigung, sie verlangt für jedes Wort Beifall, für jede That Lob; der Eitle braucht jeden Augenblick Beifall, und höhere Ziele zu erstreben ist nur Jenen möglich, die alles dies entbehren können; Réty wußte, daß man einen gewissen Weg wählen müsse, wenn man emporkommen wolle: als er aber dies that, sah er plötzlich statt der allgemeinen Zufriedenheit, die ihm bisher zu Theil geworden, Feinde sich erheben, ihre Angriffe, ihre wegwerfenden Urtheile machten ihn unglücklich. Wenn er seiner Natur nachgab, seines Zieles vergaß und zu seiner früheren Art zurückkehrte, die Wohlgewogenheit aller Parteien suchte, so wurde ihm der Beifall, den er kurze Zeit erntete, durch die Unzufriedenheit seiner Gemahlin verbittert. In allen Handlungen des Vicegespans war Schwanken und Unsicherheit, und Niemand fühlte das Schwankende dieser Stellung mehr als er selbst.

Je unangenehmer aber seine Stellung wurde und je stärker er es ahnte, daß zwischen ihm und der Partei, die er seinen neuen Zwecken geopfert, eine wirkliche Aussöhnung nicht mehr statthaben könne, um so mehr wuchs die Macht, welche seine Frau über ihn ausübte. Er hatte so viel geopfert, um sie zufrieden zu stellen, er mußte wenigstens trachten, diesen Zweck vollkommen zu erreichen; überdies wechselt ein eitler Mensch die Gegenstände seiner Eitelkeit leicht, und wenn er sich auf der einen Seite in seinen Hoffnungen getäuscht sieht, so nehmen seine Wünsche eine andere, oft entgegengesetzte Richtung – und Réty, überzeugt, daß die Popularität, die er einst besessen, nicht mehr zurückzugewinnen sei, theilte jetzt ganz die Wünsche seiner Frau und befolgte blindlings ihre Rathschläge.

Den Lesern ist es bekannt, welchen Antheil Frau von Réty an dem Raube der Schriften Tengelyi's genommen hatte. Nachdem durch Viola's Aussage, die, wie leicht begreiflich, kein Geheimniß blieb, das Ganze Gegenstand allgemeinen Gespräches geworden war, war unter Denen, die der Aussage des Räubers Glauben schenkten, Keiner, der nicht zugleich geglaubt hätte, daß der Vicegespan an dem Ganzen Theil gehabt habe – dies dachte besonders Akos, der in Folge seines Charakters einen gewissen Grad von Schwäche nicht begreifen konnte. Dies Urtheil aber war ungerecht. Réty kannte die Pläne seiner Frau vor ihrer Ausführung nicht, ja vielmehr, obschon er die Wichtigkeit der Schriften, welche er in Vándory's und Tengelyi's Händen wußte, wohl einsah, war er dennoch trotz all' seiner Fehler viel zu ehrlich, und wenn auch dies nicht, doch viel zu schwach, als daß er seine Zustimmung je hätte geben mögen, wenn er das Verbrechen voraus gewußt hätte, das seine Frau im Schilde führte. Nachdem aber die Sache geschehen war und die Frau ihn von Viola's Geständniß unterrichtet hatte, entstand die Frage: was nun zu thun? Mit Entsetzen fragte er die Frau, ob der Räuber die Wahrheit gesagt? »Und wenn Alles, was der Räuber ausgesagt, wahr wäre,« erwiderte die Frau, »wenn ich Das gethan habe, dessen ich beschuldigt werde, habe ich es nicht gethan zum Besten Deiner Familie, zu dem Glanze Deines Namens, zur Beförderung Deiner Interessen? Wirst Du gegen mich auftreten? Wirst Du Deine Frau wie einen Delinquenten vor den Richter stellen? Wirst Du den Namen, den Du trägst, selbst in den Koth treten? Du ruinirst Dich und wirst doch Niemand von Deiner Unschuld überzeugen. Die ganze Welt beschuldigt jetzt schon Dich mehr als mich; wenn Du gegen mich auftrittst, so würde man es nicht als Beweis Deiner Unschuld, sondern als eine neue Niederträchtigkeit betrachten. Du hast nur einen Weg vor Dir, den einzigen, durch den Du Deine Ehre retten kannst, und dieser ist, Deinen ganzen Einfluß aufzubieten, um dieses unglückselige Ereigniß zu bemänteln.«

Réty hatte sich noch nie so unglücklich gefühlt, als in diesem Augenblick; seine Seele war durch den Gedanken erschüttert, daß er gleichsam unwillkürlich der Spießgeselle von Verbrechern geworden; er sah die Schwierigkeiten und Verwickelungen voraus, in die er durch die Bemäntelung dieser Angelegenheiten gerathen würde; er ahnte, daß der Friede seines Lebens verloren und daß er wie ein Verbrecher jeden Augenblick vor der Enthüllung des Geheimnisses zittern müsse – und doch, was konnte er thun? Seine Frau hatte die Sachlage richtig aufgefaßt: er mußte entweder als Rächer des Verbrechens, oder wenn er es bemäntelte, als Theilnehmer desselben handeln, einen Mittelweg gab es nicht. Es ist natürlich, daß Réty in Folge seines Charakters das Letztere wählte. Der Einfluß, den seine Frau seit Jahren über ihn ausgeübt, der Gedanke, daß die Verheimlichung der That möglich, und daß er, wenn dies gelänge, seinen ehrlichen Namen und seine Stelle behaupte, daß im entgegengesetzten Falle, wenn er zur Aufhellung des Ganzen hilfreiche Hand biete, die geheimsten Verhältnisse seines Hauses zum Gegenstand des allgemeinen Gesprächs werden, und er selbst, wenn auch nicht durch den Richter, so doch durch die öffentliche Meinung verdammt werde, ließen ihm kaum eine Wahl, und der Vicegespan sah sich gezwungen, einen Weg einzuschlagen, den er nicht nur nicht guthieß, sondern vor dem sein ganzes Wesen schauderte.

Durch Macskaházy's Ermordung wurde seine Lage noch schwieriger. In Macskaházy's Zimmer hatten sich einzelne Schriften gefunden, die Tengelyi's Eigenthum waren. So lange Tengelyi für den Mörder galt, ließ sich das Dortsein der Schriften dadurch erklären, daß der Notär sie dort verloren, als er das Verbrechen verübte; wenn er aber freigesprochen wird, muß es dann nicht durch jene Schriften noch wahrscheinlicher werden, daß der Vicegespan an dem Raube der Papiere Tengelyi's Theil gehabt habe? Wird nicht Tengelyi selbst diesen Umstand als Beweis anführen? »Einen Mann auf das Blutgerüst bringen, von dessen Unschuld ich überzeugt bin, der einst mein Freund war, dessen Tochter die Gattin meines Sohnes wird, oder mich selbst ewiger Schande, ja sogar strenger Strafe aussetzen, dies ist die Wahl, die mir übrig bleibt,« so sprach Réty zu sich selbst, und sein Herz litt unendliche Pein.

Wie schwache Menschen gewöhnlich, liebte Réty das Wesen, aus dessen Gewalt er sich nicht zu befreien vermochte, das ist seine Frau, durchaus nicht; die Kälte gegen sie wurde Haß. Verlassen von seinen Freunden, verachtet und vielleicht gehaßt von seinen eigenen Kindern, der öffentlichen Achtung verlustig, der er sein ganzes Leben über nachgestrebt, Gefahr und Schmach ausgesetzt – dies war die Lage, in der er sich sah; und Réty haßte seine Frau um so mehr, je weniger er sich die Schwäche vergeben konnte, mit der er ihre Rathschläge bisher befolgt hatte.

Die Vicegespanin kannte ihren Mann viel zu gut, als daß ihr die Veränderung hätte entgehen können, die in ihm vorgegangen war. Die stolze Frau aber erwiderte die sichtbare Kälte mit jener Verachtung, die Menschen starken, wenn auch bösen Willens gegen Solche zu empfinden pflegen, die sie als Werkzeuge gebraucht, und in der Ueberzeugung, daß ihres Mannes Schicksal vom Erfolg ihrer Pläne unzertrennlich sei, war sein Zorn ihr gleichgiltig.

Die Unruhe des Vicegespans, hinreichend erklärlich durch seine Lage, schien aber diesmal nicht wenig durch einen Brief vermehrt, der auf seinem Tische lag, und den er, im Zimmer auf- und abgehend und manchmal bei dem Schreibtisch stehen bleibend, zeitweise in die Hand nahm und sichtbar in der größten Aufregung stellenweise wieder las.

Die Handschrift des Briefes war die Vándory's, und nachdem die Romanleser zu meinem Glück jenes Recht besitzen, welches die englische Regierung zu ihrem großen Ruhme so schön vertheidigt hat, nämlich daß sie jedes Menschen allergeheimste Briefe frei lesen dürfe, halte ich es für das Zweckmäßigste, wenn ich den Brief, der Réty in solche Unruhe versetzte, in seiner ganzen Ausdehnung hier mittheile. Der Brief lautete so:

 

»Mein lieber Bruder!

»Du weißt, daß ich diese Benennung nicht zu mißbrauchen pflege; sie war mir einst werth, aber ich habe aufgehört, sie zu gebrauchen, seit ich mich überzeugt, daß sie Dir schaden könnte. Ich bin Dein Bruder, habe aber nie andere Rechte angesprochen, als jene, die ich auf Dein Herz hatte, und auch jetzt erinnere ich Dich an das Verhältniß, in welchem ich zu Dir stehe, nur, damit meine Stimme Dich zurückrufe von dem Pfade, auf welchem Du wandelst.

»Du stehst an einem Abgrund, mein Samuel! Sieh' Dich vor! noch ein Schritt, und das Böse, was Du gethan, läßt sich vielleicht nicht mehr gut machen. Deine jetzt gefährdete Ehre ist dann verloren; Thaten werden Deine Seele belasten, die durch spätere Reue nicht mehr aufgehoben werden können. O geh' in Dich, mein Bruder! und erwäge, ob äußere Ehre und irdischer Besitz, denen Du schon so Vieles geopfert, es werth sind, daß Du ihretwegen den Frieden Deiner Seele für alle Zeiten opferst.

»Es gab eine Zeit, in der Du Tengelyi Deinen Freund nanntest; aber lassen wir dies! Du hast für nöthig gefunden, diese Bande zu zerreißen, und obschon die Freundschaft eines rechtschaffenen Mannes eine wenigstens eben so große Gunst des Himmels ist, als wenn wir die Liebe eines großen Mannes gewinnen können, hast Du doch diese Wohlthat von Dir gestoßen, und ich überlasse es Deinem Herzen, Klage dagegen zu führen. Aber wenn Tengelyi Dein Freund nie gewesen, wenn Du ihn für Deinen Feind hältst, spricht Dein Herz nicht, wenn Du seine gegenwärtige Lage betrachtest? Du bist von seiner Unschuld überzeugt, Du kennst die Verhältnisse, deren Opfer er ist, Du kennst die Urheber seines Unglücks, Du kennst jene Niedrigen, die ihn anklagen, um ihr Verbrechen zu verhüllen; vermagst Du es zu dulden, daß der ehrlichste Mann auf der Welt durch seine Feinde dergestalt zu Boden gedrückt werde? daß die beste, die liebenswürdigste Familie so viel leide, wo Du helfen kannst, wo die Rettung so vieler Menschen blos von Dir abhängt? Ich habe nicht geglaubt, daß ich gezwungen sein würde, Dich in einem ähnlichen Falle um Das zu bitten, was Deine strengste Pflicht erheischt; ich war überzeugt, daß Du, sobald Du weißt, daß Du selbst großenteils die Ursache von Tengelyi's Leiden bist, Alles aufbieten wirst, was zur Ausgleichung der Folgen Deiner Handlungen nöthig ist. Es scheint, daß ich mich getäuscht habe; ja die Bitten Deines eigenen Sohnes haben Dich nicht vermocht, die Leiden dieses unglücklichen, durch Dich zu Grunde gerichteten Geschlechtes auch nur zu lindern. Es thut mir in der Seele weh, aber ich muß Dich an das oft gegebene Versprechen mahnen, daß Du mir keine gerechte Bitte abschlagen wirst; ich muß Dir jene Verpflichtungen in's Gedächtniß zurückrufen, die Du nach Deinem eigenen, unzählige Male wiederholten Geständnisse mir schuldest.

»Ja, mein Samuel, wenn Du auf die Vergangenheit zurückschautest, würde Dein Herz gestehen, daß ich stets brüderlich gegen Dich gehandelt habe, daß ich für Dein Wohl von jenen Dingen, die wenigstens nach dem Urtheile der Menschen Werth haben, so viel geopfert habe, daß ich dafür von Dir Dank erwarten kann.

»Ich war noch ein Kind, als meine Mutter starb, aber ich war schon so weit entwickelt, daß ich die Veränderung bemerken konnte, die sich in meinem Lose ergab, besonders als unser Vater zum zweiten Male heiratete. Wie Deine Mutter das Haus betrat, verschwanden meine heiteren Tage. Bevor sie ein Kind hatte, haßte sie mich, denn ich mahnte sie an Das, wonach sie sich am meisten sehnte; später aber, als Du zur Welt kamst, fürchtete sie, daß ich das Erbe des Vaters mit Dir theilen werde. Die ganze Welt bedauerte meine Lage, und es gab Leute, die mich mit Haß gegen Dich erfüllen wollten; aber ich liebte Dich trotz dem Allen heiß; mir schien, daß alles Leid, welches ich in dem Vaterhause seit Deiner Geburt erduldete, nichts sei gegen die Freude, die ich empfand, wenn ich Dich in meine Arme schließen konnte, wenn Du mich Bruder nanntest, wenn ich Dich einzelne Worte oder irgend ein Spiel zu lehren vermochte. Ich dachte, die Stiefmutter verfolgt mich, der Vater schätzt mich nicht, man schmäht und quält mich, aber am Ende habe ich einen Bruder, und wenn der aufwächst, werden wir zusammen glücklich sein. Meine Kindheit war dergestalt unglücklich, daß ich mit meinen Hoffnungen immer in die fernste Zukunft schweifen mußte, und je älter ich wurde, um so unerträglicher schien mir meine Lage. Als Du siebenjährig warst, gab man Dir einen Erzieher und ich wurde auch von Dir getrennt. Der Vater concentrirte seine ganze Liebe in Dir und wurde gegen mich täglich kälter; der Haß Deiner Mutter wuchs, selbst die Diener zogen sich von mir zurück, es schien, ich sei der Gegenstand des allgemeinen Hasses, der allgemeinen Verachtung. Dies vermochte ich nicht länger zu ertragen. Im sechzehnten Lebensjahre hofft Jeder mehr vom Leben und setzt mehr Vertrauen in sich, als daß er vor kühnen Entwürfen erschrecken müsse. Die Bande, die Jeden von uns später so unwiderstehlich an unseren Wirkungskreis ketten, sind damals noch schwach, und der Jüngling ahnet noch nicht, daß er, eine andere Bahn betretend, seine Qualen gewöhnlich nur mit neuen vertauscht. Die Freuden, die er durchlebt, sind unersetzlich. Nach langem innerem Kampfe verließ ich das väterliche Haus und suchte im Auslande Ruhe und Freiheit. Viele Jahre sind seither vergangen, aber wenn ich in meinem Zimmer umherblicke, welches damals der Vater bewohnte, und wenn ich des Augenblickes gedenke, in welchem ich seine Hand zum letzten Male an meine Lippen preßte, fühlt meine Seele noch immer Reue. – Wenn er ein liebendes Wort gesprochen, wenn er meine Unruhe bemerkt, wenn er die Thränen gesehen, die mir unaufhaltsam über die Wangen flossen, wenn er, statt wie gewöhnlich den Weinenden ungeduldig fortzuschicken, mich nur einfach um die Ursache meines Kummers gefragt hätte, so würde ich nie die Kraft gehabt haben, meinen Entschluß auszuführen. Ich liebte meinen Vater noch in jenem Augenblick; ein mildes Wort aus seinem Munde, und wie viele Selbstvorwürfe waren mir, wie viel Kummer meinem Vater erspart.

»Mein Vater liebte mich, wie Du oft sagtest, und ich habe ihn verlassen. O, Samuel, dies thut meiner Seele weh! Und ob ich gleich noch ein halbes Kind war, so schmerzte es mich doch, als ich das väterliche Haus verließ. Aber in den Tagen der Jugend, wo wir die Gefühle unseres Herzens nicht verbergen können, ahnen wir nicht, daß die Liebe, die Andere für uns fühlen, unter dem Mantel der Kälte verdeckt sein könne! Und ich schied mit der Ueberzeugung, daß mich Niemand vermissen, Niemand zurückwünschen werde, Dich vielleicht ausgenommen, der Du in Deinen Kinderspielen die Lücke, die meine Entfernung herbeiführen mußte, fühlen, und die Entfernung vergessend, wie Du oft wirklich gethan, Deinen Bruder zurückwünschen würdest.

»Ein naher Verwandter meiner Mutter, der mir mit besonderer Liebe zugethan war, und der, als er die Art sah, mit der ich behandelt wurde, mich zu dem Schritt am meisten ermunterte, bot mir auch hierzu hilfreiche Hand. Er verschaffte mir die nöthigen Schriften, um unter dem Namen, den ich noch führe, in das Ausland gehen zu können; ihm verdanke ich es, daß ich in den ersten Jahren meiner Entfernung keine Noth litt, obschon ich unser Haus beinahe ohne Geld verlassen hatte. Nach drei Jahren starb mein Oheim, und zwar so schnell und unerwartet, daß er von meiner Existenz Niemand unterrichten, zu meiner Unterstützung keine Anstalten treffen konnte, und so war ich in Göttingen, wo ich eben meine Universitätsjahre antrat, plötzlich auf meine eigenen Kräfte angewiesen. Niemand fühlte die Schmerzen der Heimatlosigkeit tiefer als ich. Ich gehöre zu Jenen, denen es Bedürfniß ist, mit Menschen umzugehen, ich schließe mich leicht an, und was mich später die Erfahrung gelehrt, ahnte ich schon halb als Kind, daß es nämlich kaum einen Menschen giebt, an dem man nicht bei näherer Bekanntschaft viel Liebenswürdiges finden könnte; und so war ich auch im Auslande nicht ohne Freunde. Aber der Gedanke, daß alle diese Bande, die mein Herz an andere Menschen knüpften, zuletzt, wenn ich in mein Vaterland zurückkehrte, wieder zerreißen werden, daß Alle, die ich je lieben gelernt hatte, später ihre Kräfte nicht in demselben Kreise mit mir üben werden, daß ich in kein dauerhaftes Verhältniß treten könne, verbitterte meine Freuden. Ich glich einem Menschen, der nicht an die Unsterblichkeit glaubt, der sich vor dem Tode fürchtet, weil dieser seinem Wahne nach Alles endet, und sich deshalb der Liebe nicht freuen kann, die bei ihm auf den engen Kreis dieses Lebens beschränkt ist. Wenn meine Gefährten von ihrem Vaterlande sprachen, konnte ich ihre Begeisterung nicht theilen; wenn ich sah, daß auch Jene, die sich fern standen, wenigstens in der Vergangenheit und Zukunft ihres Vaterlandes einen gemeinschaftlichen Erinnerungs- und Hoffnungsschatz besitzen, an welchem nur ich, der Landflüchtige, nicht theilnehmen konnte, erwachte in meiner Seele unendliche Sehnsucht nach der Heimat. – Aber ich hatte kein Vertrauen zu der Liebe meines Vaters, ich hatte nicht die Hoffnung, daß er mir meinen unüberlegten Schritt vergeben werde, und ich verschloß meine Sehnsucht in mir. Daß ich nach meines Vaters Tode von Niemand unterstützt wurde, vermochte meinen Entschluß nicht zu ändern; ich hatte wenig Bedürfnisse, und für diese reichte meine Arbeit hin; ja wie bei jedem Jüngling in ähnlicher Lage, erfüllte mich der Gedanke, daß ich Alles mir selbst zu verdanken habe, mit einer Selbstzufriedenheit, die ich gegen nichts hätte vertauschen mögen. – Mehr als zehn Jahre verlebte ich so. Die heimatlichen Erinnerungen traten mehr und mehr in den Hintergrund und wurden minder schmerzlich; selbst unsere Sprache, in der ich mich selten üben konnte, wurde mir ungewöhnt, und als ich die akademischen Grade nahm, begann ich mich in meinem neuen Vaterlande heimisch zu fühlen, und ob ich gleich die Hoffnung nicht ganz aufgegeben hatte, einst in mein Vaterland zurückzukehren, erwartete ich doch wenigstens ruhig den Augenblick hierzu. Da vernahm ich, daß Du die Universität zu Heidelberg bezogen habest; im Namensverzeichnisse der dortigen Studenten las ich Dich: es konnte auch einen anderen Samuel Réty auf der Welt geben, aber das Herz sagte mir, daß ich meinen Bruder finden würde. Ich gab meine Privatstunden, von denen ich in Göttingen lebte, auf, zerriß alle meine Verbindungen, und kam zu Dir, um Dir durch mein Wissen und meine Lebenserfahrung zu nützen.

»Ich schreibe dies Alles nicht als Vorwurf. Ich glaube, die Sorgfalt, mit der ich Dir auf der Universität beigestanden, war nicht ganz erfolglos – Deine Liebe that mir in dem fernen Lande wohl – aber ich weiß, daß in meiner Lage jeder Andere auch so gehandelt hätte, und wenn übrigens Verdienst dabei war, so wurde es reichlich durch die Wonne vergütet, die ich in Deinem Umgange genoß. In der Muttersprache konnte ich wieder von den glücklichen Erinnerungen meiner Jugend sprechen; mein Bruder antwortete auf meine Fragen, und nach Jahren erwachte die Ueberzeugung wieder in mir, daß ich nicht ganz einsam in der Welt stehe. Nein, mein Samuel, ich will Dir keine Vorwürfe machen, ich will Dich nur an die glücklichen Tage erinnern, die wir zusammen verlebt – an jene Tage, wo zwischen uns kein Geheimniß war, wo es eben so unwahrscheinlich war, daß ich von Dir etwas begehren würde, was Dir zu erfüllen unangenehm wäre, als daß Du es mir abschlagen könnest.

»Niemand ahnte das Verhältniß, in welchem wir zu einander standen; ja Viele wunderten sich, daß wir bei der Verschiedenheit unseres Alters Freunde sein könnten; Tengelyi selbst, vor dem wir kein anderes Geheimniß hatten, kam nie auf die Vermuthung, daß wir Brüder seien. Nur unter uns hatten wir es abgemacht, daß wir, wenn Du Deine Universitätsjahre vollendet, zusammen in das Vaterhaus zurückkehren, und daß wir Beide Verzeihung für den unüberlegten Schritt erbitten wollten, durch welchen ich die alten Tage des Vaters getrübt.

»Der Himmel hatte es anders beschlossen. Du hast den Engel gekannt, dessen Liebe mich alle anderen Bande vergessen ließ und mich zu dem Entschlusse bestimmte, Deutschland zu meinem Vaterlande zu wählen. – Meine Handlung war ohne Zweifel nicht gut; wie gering auch die Kraft sei, die der Mensch in sich fühlt, so ist es ihm doch nicht erlaubt, sein Vaterland zu verlassen! Dies ist der Kreis, in welchen uns Gott stellt, und Der sündigt, der das Tagwerk verläßt, welches ihm Gott auferlegt hat, und seine vielleicht nur hier nützlichen Kräfte auf einen anderen Boden überträgt. Ueberdies wußte ich durch Dich, daß mein Vater, über meinen Verlust in Trauer versunken, sich oft nach dem Sohne sehnte; aber nur einmal liebte ich in meinem Leben, und als ich wählen mußte zwischen meiner Liebe und meinen Pflichten, fühlte ich in mir nicht Kraft genug, die Liebe aufzuopfern. Ich kannte den Stolz meines Vaters und wußte, daß er statt Freude nur neue Schmerzen empfinden würde, wenn ich ihm das Mädchen, das ich gewählt, als meine Frau brächte; der Gedanke, daß sein Sohn die Tochter eines Handwerkers zur Frau genommen, wäre in seinen Augen ein größeres Unglück gewesen, als daß es durch die Freude über den wiedergekehrten Sohn hatte vergütet werden können. Und Du selbst hieltest es für gerathener, das kleine Amt, das mir geboten wurde, anzunehmen und unter meinem falschen Namen noch eine Weile im Auslande zu bleiben.

»Gedenkst Du noch unseres Abschiedes, Samuel? Der Gedanke, daß wir uns lange Zeit über nicht sehen werden, erfüllte unsere Herzen mit Traurigkeit und die Augen mit Thränen, als wir uns zum letzten Male die Hand reichten; und dennoch waren wir glücklich. Du sahst Dich an der Schwelle eines thätigen Lebens, in welchem Du die Gedanken Deiner Jugend zu verwirklichen hegtest; ich sah mit bescheideneren Aussichten in die Zukunft, trug aber die ganze Glückseligkeit der erwiderten Liebe in meinem Herzen. Dieser glücklichste Abschnitt meines Lebens währte nur kurz, wie Du weißt.

Wenige Monate nach Deiner Abreise starb meine Frau, und von der vielen Liebe, von der ich mich umschlungen gesehen, war nur die Erinnerung geblieben. Du, vor dem ich meine Klagen am besten hätte aussprechen können, warst fern; Tengelyi, der nach Dir meinem Herzen am nächsten stand, war schon vor Dir abgereist. Es gab Zeiten, in denen der Genuß, den Wissenschaften bieten, oder die Freuden, die ich im Umgange mit Bekannten genoß, meine Seele beruhigten; aber das Herz gewöhnt sich leicht an das Glück, und jetzt, nachdem ich die Glückseligkeit der Liebe kennen gelernt hatte und derselben plötzlich beraubt worden war, ergriff meine Seele unbeschreibliche Trauer, unwiderstehliches Sehnen. Ich beschloß, nach Hause zu kehren, und machte mich auf den Weg, ohne Dich von meinem Vorsatze zu unterrichten.

»Ich wollte meinen Vater und seine häuslichen Verhältnisse sehen, bevor ich mich als seinen Sohn zu erkennen gäbe. Was ich im Hause fand, als ich, von Niemand außer Dir gekannt, die Schwelle zum ersten Male betrat, überzeugte mich, es sei besser, wenn ich mich nicht nenne, so lange der Vater lebte. Wenn ich mit meinem Namen und meinen Ansprüchen aufträte, würde der Haß Deiner Mutter gegen mich wahrscheinlich wieder neu erwachen, und der wiedergefundene verlorne Sohn hätte nur die Ruhe der letzten Tage des Vaters gestört. Wir beschlossen, zu schweigen, und nachdem ich auf Deine Verwendung Prediger in diesem Orte wurde und mich hier niederließ, hörte jeder Grund auf, eine Veränderung in meiner Lage zu wünschen. Wie ein Familienglied lebte ich in unserem Hause; der Vater, den vielleicht der Naturtrieb leitete, liebte mich außerordentlich, und obgleich unerkannt, konnte ich meine Tage dazu verwenden, seine letzte Lebenszeit zu erheitern.

»Endlich starb Deine Mutter, der Vater folgte ihr bald: der Schmerz über ihren Verlust hatte seine geringen Kräfte bald aufgezehrt. Als seine letzte Stunde nahte, sank ich an seinem Bette nieder, gab mich zu erkennen und bat um seine Vergebung. In seinen Augen schimmerten Thränen; mit den letzten Kräften preßte er mich an die Brust, nannte mich Sohn und segnete mich. Du warst im Zimmer, der Vater rief auch Dich an's Bett, nahm uns Beide bei der Hand und bat uns, einträchtig zu sein und einander niemals zu verlassen.

»Nach dem Tode des Vaters stand mir nichts im Wege, meinen falschen Namen abzulegen und vor der Welt als Dein Bruder aufzutreten. Aber während der Zeit, die ich mit Euch zugebracht, hatte ich Vielerlei erfahren, was mich von diesem sonst so natürlichen Schritte zurückhielt. Unser Vater war nicht sparsam und hatte sein Vermögen mit Schulden belastet; Du und Deine Frau hattet, noch während der Vater lebte, mehr ausgegeben, als daß Du nicht ebenfalls in Schulden hättest sein sollen. Wenn ich nun als Dein Bruder aufgetreten wäre und die Hälfte des väterlichen Erbes angesprochen hätte, so hätte ich Dich in eine Lage versetzt, in welcher Du nach der gewohnten Weise nicht weiter leben konntest. Unter meinem Namen auftreten und mein Erbe nicht verlangen, war nicht ausführbar; nicht nur weil Du durch eine solche Entsagung für die Zukunft nicht hinreichend gesichert warst, sondern auch weil ich nicht wollte, daß Du mir vor der Welt dergestalt verpflichtet erscheinen solltest. Ueberdies hatte ich, während ich als Prediger im Dorfe lebte, meinen neuen Beruf liebgewonnen, und ich fühlte, daß ich unter meinem Familiennamen diesen Beruf nicht fortsetzen könne, ohne für einen Sonderling zu gelten. Schon der Lärm, welcher entstehen mußte, wenn Balthasar Réty plötzlich wieder auftauchte, der Gedanke, daß ich der Gegenstand aller Gespräche sein würde, hielt mich zurück, und zwei Tage nach des Vaters Tode bat ich Dich selbst, daß Du von unserem wirklichen Verhältniß mit Niemandem sprechen mögest; mit Dir leben, Dich brüderlich lieben, konnte ich so auch, und weiter bedurfte ich nichts.

»Damals sprachst Du von Großherzigkeit; was ich gethan, war es vielleicht nicht. Ich gestehe, daß es, bevor ich mich zu diesem Schritte entschloß, Momente gab, wo mir Das, was ich thun wollte, als Opfer erschien; es giebt keinen Menschen, der sich nicht zuweilen nach Besitz gesehnt hätte, und so lange es Menschen geben wird, deren Leiden wir durch unser Vermögen mildern können, giebt es keine Ursache, sich dieses Wunsches zu schämen. Als ich aber meine ganze Lage überdachte, fand ich die Gründe zahlreicher dafür, daß ich in meiner Lage bleibe, und so wie mich mein Schritt niemals gereut hat, hat mich der Entschluß auch damals kein Opfer gekostet. Gegen Noth war ich gesichert, und Du hast mir aus eigenem Antrieb versprochen, daß ich nie von Dir etwas begehren könne, was Du mir abschlagen würdest; so bedurfte ich keines eigenen Vermögens, wenn ich zuweilen Jemandem helfen wollte.

»Ja, mein Samuel, das hast Du mir versprochen, und die Zeit ist gekommen, Dich an Dein Versprechen zu mahnen.

»Nach den Begriffen der Welt habe ich Dir viel geopfert: einen Namen, auf welchen Du selbst stolz bist, ein schönes Vermögen, eine bürgerliche Stellung, die man beneidenswerth nennen kann. Wie weit auch der Wunsch nach Auszeichnung von meiner Seele entfernt liegt, fühlte ich doch zu wiederholten Malen in meinem Leben, daß ich meinen Mitmenschen weit mehr hätte nützen können, wenn ich dem Rechte meiner Geburt nicht entsagt hätte. O Bruder, wecke in mir nicht die Ueberzeugung, daß ich Alles für einen Unwürdigen gethan, daß ich nur darum Allem entsagt habe, damit es zu schlechten Zwecken benützt werde!

»Tengelyi's Los hängt von Dir ab, Du kannst ihn retten und ihm die angetastete Ehre wieder schaffen; ich brauche Dir nicht die Art und Weise hierzu anzudeuten, aber wenn Du mich je geliebt, wenn die letzte Bitte des sterbenden Vaters Dir heilig ist, wenn Du nicht willst, daß ich den Augenblick verfluche, in welchem ich mich durch meine Liebe zu Dir verleiten ließ, meine Interessen den Deinen unterzuordnen, so beschwöre ich Dich, bei dem Glücke Deiner Kinder, bei Deiner eigenen Seelenruhe, thue Das, was Pflicht und Gewissen von Dir erheischen, was von Dir Jener verlangt, der Dir sein Leben eben so gern geopfert hätte und noch opfern würde, wenn es Dein Wohl erfordert, wie er sein Vermögen freudig für Dich hingegeben hat.

»Dein Bruder Balthasar.«

 

Der Vicegespan las eben wieder die letzten Zeilen dieses Briefes, hatte sich eben auf einen Stuhl geworfen und starrte, in traurige Gedanken versunken, die brennende Kerze an, als plötzlich sein Bruder vor ihm stand.

Als Kálman von Porvár zurückgekehrt war, hatte er sich zuerst zu Vándory begeben und ihm Tengelyi's Lage geschildert, und der Prediger eilte allsobald zum Vicegespan, um des Freundes wegen mit ihm zu sprechen.

Vándory's Eintreten überraschte den Vicegespan; er war nicht vorbereitet, jetzt mit dem Bruder zu sprechen, und sichtlich verwirrt streckte er ihm die Hand entgegen. Der Prediger berührte sie nicht und auf dem gewöhnlich sanften Gesichte lag feierlicher Ernst.

»Balthasar,« sprach nach einer kurzen Pause, während er die Augen auf den Prediger heftete, der betrübte Vicegespan, »Du ergreifst die Hand nicht, die ich Dir liebend entgegenstreckte?«

»Samuel,« entgegnete Jener ernst, »wenn sich die Herzen getrennt haben, warum sollen sich die Hände ineinanderschlagen? So werden die sich Trennenden nicht zusammengehalten.«

Der Vicegespan sank auf seinen Stuhl zurück und rief schmerzlich: »Also stoßest auch Du mich zurück?! O, Balthasar, auch Du brichst den Stab über mich, Du, der Du gegen Jedermann so erbarmend und liebend bist?«

Vándory war tief ergriffen durch den Schmerz, den er in des Bruders Zügen las; er antwortete: »Ich habe den Stab über Niemand gebrochen, und Du kannst glauben, daß ich nicht zu Dir gekommen wäre, wenn ich nicht die Ueberzeugung hätte, daß Dein gutes Gemüth, welches Dir Gott anerschaffen, siegen werde über die sündhaften Leidenschaften, denen Du Dich preisgegeben hast. Aber Du darfst nicht zaudern; wenn Du nicht zurückkehrst, wird das Uebel, das Du angestiftet, leicht unheilbar, Tengelyi im Kerker –«

Es ist selten ein Mensch, der, wenn er einen Anderen verletzt hat, besonders wenn er das Uebel nicht mehr gut machen kann, nicht zuweilen eine Art Haß fühlen sollte. Das Gefühl seiner sündhaften That ist so peinigend, daß er, um sich davon zu befreien, zu Allem greift, und lieber ungerecht gegen die ganze Welt wird, als daß er sich die peinigende Wahrheit gestehen wollte. Wir dürfen uns also nicht wundern, wenn in diesem Augenblicke Tengelyi's Name dieselbe Empfindung erweckte, und nur daran denkend, was er wegen des Notärs Alles gelitten, unterbrach er Vándory heftig: »Nenne ihn nicht; wollte Gott, ich hätte seinen Namen nie gehört!«

»So weit also bist Du gekommen,« seufzte Vándory, »daß Du, statt Deine Handlung zu bereuen, mit Haß von dem Menschen sprichst, den Du um Vergebung bitten solltest?!«

»Um Vergebung bitten? Ihn?« rief Réty, und sein Angesicht flammte, »wer Anderes hat den Frieden meines Lebens untergraben, als er? Wem dank' ich es, daß mein einziger Sohn mein Haus in Zorn verlassen und das Schicksal verflucht hat, weil es ihm mich zum Vater gegeben? Wer raubt mir in Dir das letzte Herz, das ich besaß? Zeige mir eines meiner Leiden, das ich nicht durch ihn oder seinetwegen erdulde, und kniend will ich ihm Abbitte thun.«

»Und wer ist die Ursache von dem Allen?« fragte Vándory ruhig.

Der Vicegespan schwieg.

»Wer ist die Ursache,« sprach Vándory ernst weiter, »daß die sanften Bande, die einst das Leben um Euch Beide geschlungen, zerrissen? Wer hat den Anderen verfolgt?« Der Vicegespan wollte reden, aber Vándory fuhr fort: »Tengelyi ist im Kerker, mit den größten Verbrechern zusammengesperrt, und Du, der Vicegespan des Comitats, benützest Deine von Gott gegebene Macht nur dazu, ihn, der einst Dein Freund war, und den Du jetzt hassest, weil Du all' das Böse, was Du ihm zugefügt hast, nicht vergessen kannst, noch mehr zu quälen. Wer hat hier Ursache zur Klage?«

»Ich bin nicht die Ursache von Tengelyi's Leiden,« sprach der Vicegespan ungeduldig, »ich bin von seiner Unschuld überzeugt; aber den Arm der Gerechtigkeit kann ich nicht aufhalten, selbst wenn er fehlschlägt.«

»Samuel,« sprach der Prediger betrübt, »diese Entschuldigung mag vor Menschen gelten, aber wirst Du mit ihr auch vor Gott bestehen, wenn er von Dir über Tengelyi's Leiden Rechenschaft begehren wird?«

»Ich habe Alles gethan, was ich thun konnte,« antwortete Réty immer ungeduldiger, »ich habe meine Bürgschaft angetragen, ich habe Nyúzó gebeten, habe den Geschwornen aufgetragen, daß sie Tengelyi, so lange seine Gefangenschaft dauert, mit der größtmöglichsten Schonung behandeln; mehr kann vernünftiger Weise Niemand von mir begehren.«

»Auch ich, Dein Bruder, kann nicht mehr von Dir begehren?« sprach Vándory und heftete die Augen auf ihn, »ich, der für Dich Alles geopfert hat, was Anderen auf der Welt wichtig erscheint, dem Du selbst gesagt hast, daß Du ihm zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet bist?«

Sichtlich verwirrt schaute Réty umher.

»Fürchte nichts!« sprach der Prediger, und vielleicht seit Jahren zum ersten Male zuckte Hohnlächeln um seine Lippen, »es ist Niemand im Zimmer, der meine Worte hören könnte, vor dem Du Dich schämen müßtest, wenn ich Dich daran erinnere, daß Dein Bruder zu Dir spricht.«

Réty wollte reden, Vándory aber sprach weiter: »Ja, allerdings Dein Bruder. Die Schriften, durch die ich meine Geburt beweisen könnte, sind verloren, und der weltliche Richter würde mich vielleicht abweisen, wenn ich jetzt plötzlich Namen und Vermögen ansprechen wollte. Du weißt aber, daß ich die Wahrheit rede, und wirst nicht leugnen, daß ich brüderlich mit Dir umgegangen bin.«

Réty stammelte etwas von Dankbarkeit.

»Das ist Deine Dankbarkeit,« fragte Vándory bitter, »dies ist jene Liebe, durch die ich mich reich fühlte, als ich allem Anderen entsagte? Dies ist die Erfüllung jenes von mir nicht begehrten, aber von Dir hundertmal geleisteten Versprechens, daß Du mir nie, was ich von Dir begehre, wenn es nur menschlich möglich ist, abschlagen wirst?«

Réty begann zu sprechen, Vándory unterbrach ihn.

»Ich habe Deinen Worten getraut, um so fester getraut, je mehr ich überzeugt war, daß ich von Dir nie etwas begehren würde, was Dir ein großes Opfer kostete. Wir waren Beide in diesem Verhältnisse glücklich, und als ich sah, welchen Einfluß ich in meiner Stellung auf das Wohlsein des Landmannes ausüben konnte, dankte ich meinem Gott oft, daß ich mich nicht von dieser Bahn habe ablocken lassen. Selbst das Verhältniß, in dem wir einst mit Tengelyi waren, stellte sich wieder her; der ausgezeichnete Mann vergab Dir Alles, was er durch Dich gelitten; mit der ganzen Freundschaft seiner starken Seele schloß er sich Dir wieder an, und es schien, daß die Liebe zwischen Dir und ihm, die auf der Universität sprüchwörtlich war, in Euern Kindern fortleben werde – und wer ist Ursache, daß diese glücklichen Tage verschwanden?«

Réty wollte abermals reden.

»Ich will Niemand anklagen,« sprach Balthasar weiter, »ich will Dich nur fragen, wenn Du jene Zeit mit Deinem späteren Leben vergleichst, wo Deine Seele von dem Wunsch nach Größe hingerissen wurde und Du Dein Herz Deinen Plänen aufopfertest, wann Du glücklicher warst? – Du seufzest,« setzte er nach kurzem Schweigen hinzu, währenddessen er, gleichsam eine Antwort erwartend, die Blicke auf ihn heftete; »o, mein Samuel, warum hast Du mir damals nicht geglaubt, warum hast Du Deiner inneren Stimme nicht gefolgt, die sich gegen Deine Handlungen erhob? Ich rede nicht von der Herzlosigkeit, mit der Du Tengelyi behandelt hast. Akos liebte Vilma; Du wußtest, es sei meines Lebens höchster Wunsch, daß diese beiden jungen Wesen, die ich erzogen und von denen ich wußte, daß sie sich wechselseitig beglücken würden, nicht von einander getrennt werden; aber Dein Hochmuth ertrug es nicht, daß Dein Sohn die Tochter eines Notärs zum Altar führe, und Tengelyi, den Du das ganze Leben über Freund nanntest, wurde mit Beschämung aus dem Hause gewiesen.«

»Ich kannte den Vorsatz meiner Frau nicht,« fiel Réty hier ein, »sonst hätte ich es gewiß nicht zugegeben, daß sie so mit Tengelyi verfahre.«

»Es mag sein,« redete Balthasar weiter, und seine Rede wurde immer wärmer, beinahe leidenschaftlich, »ich will nicht darüber mit Dir streiten, wie sich diese Behauptung mit Deinen späteren Handlungen vereinigen läßt. So verkehrt auch die Ansicht ist, hat doch nach den Begriffen der Welt der Vater das Recht, über die Zukunft der Kinder zu entscheiden, und ich werde Dir keine Vorwürfe machen, wenn Du auch dieses Recht mißbraucht hast. Aber der Raub meiner Schriften –«

Krampfhaft erfaßte Réty die Hand des Bruders, sein Angesicht glühte: »Also auch Du?!« rief er schmerzlich aus, »also auch Du hältst mich einer solchen Niederträchtigkeit fähig?!«

»Gott sieht meine Seele,« sprach der Andere, und sein Auge war zum Himmel gekehrt, »als der erste Raubversuch in meinem Hause geschah, war dieser Gedanke weit von mir entfernt. Aus eigenem Antrieb hatte ich allen Ansprüchen entsagt, zu denen ich durch meine Geburt berechtigt war. Wie hätte mir einfallen können, daß es in dem Interesse irgend eines Menschen liege, mich jener Schriften zu berauben, durch die ich meine Rechte hätte beweisen können? Die Briefe, die ich einst von Dir oder von meiner Frau erhalten hatte, für wen konnten sie Werth haben, außer für mich selbst? Daß ich keinen Verdacht gegen Euch hatte, konntest Du schon daraus ersehen, daß ich Dir und Deiner Frau erzählt habe, daß ich Tengelyi meine Schriften zur Verwahrung vertrauen wolle. Aber nachdem der Raub in Tengelyi's Hause sich zugetragen hatte, nachdem Viola in seinem Verhör geradezu Macskaházy und Deine Frau bezeichnete, nachdem ich erwog, daß Tengelyi's Schriften für Niemand Anderen so viel Werth haben können, um ein solches Verbrechen zu begehen, und Deine Briefe, die ich in Händen hatte, wenn Du meinem Worte nicht Vertrauen schenktest, hinreichend gewesen wären, meine Abkunft zu beweisen –«

Vándory hielt inne, bevor er den Schluß, den er hieraus folgerte, aussprach; Réty bedeckte sein Gesicht mit den Händen.

»Ich bin von Natur nicht argwöhnisch,« sprach der Prediger, als er den Schmerz sah, den seine Worte dem Bruder verursachten, »es ist der größte Kummer meines Lebens, daß ich selbst nur eine Minute so von Dir denken mußte. Erkläre mir das entsetzliche Zusammentreffen dieser Umstände, und ich werde meinem Gott danken, wenn ich Dich um meines ungerechten Verdachtes willen auf den Knien um Vergebung bitten kann.«

Réty stand auf und ging in der größten Aufregung ein paar Mal im Zimmer auf und nieder. Er stand an einem jener Momente, wo das Herz, unfähig, seine Last zu tragen, seine geheimsten Empfindungen kundgiebt. – Wenn er vor seinem Richter gestanden wäre, wenn ihm sein Geständniß das Leben gekostet hätte, würde der unglückliche Mann doch Alles gesagt haben; Alles schien ihm erträglicher, als mit Niemand über seine Lage reden zu können. Und nun erzählte er, welchen Antheil die Frau an dem Raube der Schriften gehabt, und daß er Alles erst nach der vollbrachten That erfahren, und leidenschaftlich fuhr er fort: »Und nun verachte mich, mein Bruder, entziehe mir Deine Liebe für immer, deren ich nicht mehr würdig bin, aber ich konnte nicht anders handeln! Mein unglückliches Schicksal wollte, daß ich dieses Ungeheuer zum Weibe nehme. Ihre Familienverhältnisse, ihre Schönheit, ihre Lobpreiser, die sie das erste Mädchen der Gegend nannten, verblendeten mich. Ich wußte, daß auf ihren Entschluß, mich zu heiraten, mein Vermögen nicht geringen Einfluß hatte; bevor ich sie also zum Altar führte, erwähnte ich meines Bruders nie; nachdem wir vermählt waren, nahm ich es mir von Tag zu Tag vor, sie in das Geheimniß einzuweihen, von Tag zu Tag erwartete ich eine günstige Gelegenheit, verschob es aber immer wieder, ich fand nie Muth genug, es zu thun; so geschah es, daß meine Frau von diesem Verhältniß nichts erfuhr, bis ich endlich nach meiner Ueberzeugung die Mittheilung nicht länger aufschieben konnte. Das unglückselige Weib, die ihrem Hochmuth Alles aufzuopfern fähig ist, bemerkte die Liebe meines Sohnes zu Vilma; sie forderte von mir, daß ich Tengelyi, oder vielmehr seiner Tochter, das Haus verbiete. Ich gestehe, daß es mir lieber gewesen wäre, wenn mein Sohn anders gewählt hätte, aber theils Deinetwegen, dem ich so viel Dank schulde und den ich nicht verletzen wollte, theils weil ich die Sinnesänderung meines Sohnes von seiner eigenen Einsicht erwartete, widersetzte ich mich immer dem Willen meiner Frau. Sie, um – wie sie sagte – meine Schwäche zu ersetzen, that denn selbst, wozu sie mich nicht bewegen konnte. Mit unaussprechlicher Besorgniß erfüllte mich nun der Gedanke, daß Du, wenn Du Deinen besten Freund durch mich beleidigt siehst, mir also zürnen würdest, um selbst das Opfer zu bereuen, das Du mir gebracht und das ich Dir jetzt mit Undank lohnte. Ich sprach mich in Vorwürfen gegen meine Frau aus, und als sie mich verhöhnte, daß ich mich vor einem armen Prediger und einem Dorfnotär fürchte, erzählte ich ihr das Verhältniß zwischen Dir und mir, und daß es nur von Dir abhänge, Dich in den Besitz der Hälfte meiner Güter zu setzen, wenn Du hiezu die Schriften benützen wolltest, die Du hast, und die größtentheils von meiner eigenen Hand geschrieben sind. Das unglückselige Weib hatte kein Vertrauen zu Deiner Großherzigkeit, und mit Hilfe jenes Nichtswürdigen, der jetzt vor dem Richterstuhle Gottes Rechenschaft von seinen Sünden giebt, wollte sie sich durch ein Verbrechen gegen Deine Ansprüche sicherstellen. Sage selbst, konnte ich mir vorstellen, konnte ich mir nur träumen lassen, daß es diese Folgen haben würde, als ich meiner Frau das Verhältniß zwischen uns Beiden mittheilte?«

»Mein armer Samuel!« seufzte Vándory.

»O, mein Bruder,« sprach der Erste wieder und schaute gegen Himmel, »Niemand ahnt das Weh, das in meinem Busen wühlt! Meine Kinder wenden sich mit Verachtung von mir ab, mein guter Name ist verloren; Du selbst siehst in mir den Spießgesellen von Verbrechern.«

Vándory wollte reden.

»Sprich nicht, tröste mich nicht,« fuhr Jener fort, »den Spießgesellen von Verbrechern! Und bin ich nicht durch meine Stellung gezwungen, alle meine Kräfte zur Vermittlung dieser Niederträchtigkeit aufzubieten?«

»Gewiß sind die Bande heilig, mit denen Du an Deine Frau geknüpft bist,« sprach der Prediger nach kurzem Nachdenken; »Du kannst sie nicht in ihrer Noth verlassen, Du mußt sie vielmehr, wie tief sie auch gesunken sein möge, vertheidigen, so weit es Dein Gewissen erlaubt; Du darfst, ja Du mußt Dich opfern, wenn es ihr Wohl erheischt: aber wo ein Menschenleben in Frage steht und die Straflosigkeit Deiner sündhaften Frau nur dadurch zu erlangen ist, wenn Du den Unschuldigen preisgiebst, da ist Dein Thun sündhaft.«

»Ich verstehe Dich,« erwiderte der Andere, »und glaube mir, daß ich keinen Augenblick zögern würde, wenn ich, meine Frau opfernd, Tengelyi retten könnte. Ich habe dieses Weib kennen und hassen gelernt. Aber wenn ich meine Frau vor den Richter stelle, wenn ich den Namen meiner Kinder beflecke, hilft es was? Je gewisser es wird, daß Tengelyi's Schriften durch unseren Fiscal auf den Befehl meiner Frau geraubt wurden, um so wahrscheinlicher wird es, daß er den Mord, dessen er beschuldigt wird, auch wirklich begangen habe.«

Vándory erkannte die Richtigkeit dieser Ansicht und überzeugte sich selbst, daß der Vicegespan zu Tengelyi's Befreiung vor der Hand nichts beitragen könne. Er bat ihn also nur, den Notär während der Gefangenschaft vor jeder unnützen Quälerei zu beschützen.

Mit Erstaunen vernahm Réty die Art, mit der seine Befehle in Bezug auf Tengelyi vollzogen worden waren, und versprach, daß er am nächsten Morgen selbst nach Porvár gehen und den unglücklichen Gefangenen mit allen Bequemlichkeiten versehen werde.

»So, mein Samuel,« sprach Vándory ergriffen, »thue Alles, wodurch Du das Los des armen János erleichtern kannst – das Uebrige vertraue dem lieben Gott.«

Réty seufzte.

»Gieb Deine Hoffnungen nicht auf,« fuhr der Andere ermunternd fort, »Du wirst sehen, es wird noch Alles gut.«

»Bruder,« sprach Réty traurig, »wen sein eigenes Herz anklagt, der hat keine Hoffnungen!«

Der Ton, in dem diese Worte gesprochen wurden, wirkte tief auf Vándory. Er war gekommen, um seinem Bruder Vorwürfe zu machen, aber sobald er seinen Schmerz sah, war der Vorwurf vergessen, und der seelengute Prediger fühlte sich jetzt nur zum Tröster berufen. Er zählte alle Möglichkeiten auf, durch welche Tengelyi aus seiner traurigen Lage befreit werden konnte, er mahnte den Bruder an jenen wohlthätigen Einfluß, den er als Vicegespan auf das Los des Beklagten nehmen könne; er sprach von jenen glücklicheren Tagen, die bestimmt kommen würden, wenn Akos und Vilma durch ihre glückliche Liebe die einstmaligen Freunde aufs neue unauflöslich verbinden würden.

Wie die Furcht, so ist auch die Hoffnung ansteckend, und Réty konnte der Zuversicht nicht widerstehen, mit der Balthasar von der Zukunft sprach, und wurde zuletzt selbst ruhiger.

»Mein Balthasar,« so sprach er endlich, »wie glücklich bist Du, dessen Brust so viel Hoffnung nährt, daß der Schatz, den Du in Dir trägst, auch Jenen zu Theil wird, die Dir nahen.«

»Glücklich? – Ja Samuel, ich bin es,« erwiderte Jener und faßte des Bruders Hand, »aber glaube mir, Ihr werdet es auch werden. Du nanntest mich oft einen Optimisten; Du wirst sehen, daß meine Lebensansicht nicht nur die beglückendste, sondern auch die richtigste ist. Wessen Glaube nicht in leeren Worten besteht, der zweifelt nicht an Gottes Güte. Ich meinerseits will eher glauben, daß die Sonne nicht mehr aufgeht, als daß Gott die Menschen nicht zum Glücke erschaffen hat. Du wolltest auf einem anderen Wege glücklich werden als auf dem, zu dem Du bestimmt warst, und da ist es nicht zu wundern, daß Du unglücklich wurdest. Der Bergmann, der im Schoße der Erde Schätze sucht und als Zweck seiner Arbeit Gegenstände bezeichnet, die ihm das Schicksal verborgen hat, arbeitet in ewiger Finsterniß; aber auf des Berges Gipfel leuchtet und wärmt die Sonne eben so wie damals, als er sich in die Grube hinabließ; er komme nur zurück aus den nächtlichen Gängen, und er würde die schöne Welt mit ihren Freuden in eben dem Reiz finden, wie er sie verlassen.

»Aber Bruder,« setzte er hinzu, »Gott sei mit Dir, Mitternacht ist vorüber, ich muß nach Hause. Morgen früh geh' ich mit Dir nach Porvár, bis dahin mögen gute Träume Deine Seele trösten.«

Réty drückte den Scheidenden an seine Brust, und als sie sich nach langer Umarmung losließen, glänzten Thränen in den Augen der beiden Brüder.


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