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Um zu verstehen, was sich nach Macskaházy's Ermordung zutrug, ist es nöthig, den Leser noch einmal an jenen Abend zu erinnern, an welchem wir den unglücklichen Fiscal zum letzten Male in Tengelyi's Hause gesehen. Die Familie des Notars, zu der jetzt auch Akos gehörte, und Vándory, der seit Jahren beinahe jeden Abend in diesem Hause zubrachte, saßen im freundschaftlichen Gespräche in Elisabeths Zimmer, während Tengelyi im andern Briefe schrieb. Der Notär war entschlossen, zur Aufrechthaltung seiner Rechte Alles zu versuchen, und in der Hoffnung, daß dort, wo sein Vater gelebt, vielleicht für seinen Adel Beweise zu finden wären, beschloß er, jene Bekannten seines Vaters, die noch am Leben waren, brieflich aufzufordern, daß sie ihm in seiner traurigen Lage zur Vertheidigung seiner Rechte hilfreiche Hand bieten möchten.
Während des Schreibens wurde die Aufmerksamkeit des Notärs durch ein leises Klopfen am Fenster erregt; er blickte auf, weil er aber nichts sah, setzte er seine Beschäftigung fort – nachdem jedoch dieses Geräusch sich noch zweimal wiederholte, öffnete er das Fenster und sah hinaus. Da er wieder nichts sah, rief der Notär ungeduldig hinaus: »Wer stört mich denn?« und wollte das Fenster schon wieder schließen, als ein kleines Briefchen in das Zimmer flog und Schritte gehört wurden, mit denen Jemand neben der Wand ungesehen und schweigend sich in die Dunkelheit verlor.
»Was kann das sein?« sprach der Notär, schloß das Fenster, hob den Brief vom Boden auf und ging zu seinem Tisch; »es wird doch kein Drohbrief sein; seit ich hier wohne, geschah dergleichen nicht, und weder ich noch die Gemeinde haben dazu Ursache gegeben.«
Der Notär untersuchte zuerst das Aeußere des Briefes; er war auf grobem Papier geschrieben, wie man aus seinem zusammengeknitterten Zustande vermuthen konnte, auf einem solchen, welches schon mancherlei Dienste geleistet; statt des Siegels war ein Kreuzer gebraucht, die Aufschrift war an Herrn Tengelyi, Notär. Nachdem Tengelyi den Brief erbrochen, las er mit nicht geringer Ueberraschung Folgendes:
»Ich bin Ihnen ewige Dankbarkeit schuldig – die Menschen sagen, daß ich die Schriften in Ihrem Hause geraubt habe, es ist aber eine schändliche Niederträchtigkeit, so etwas zu sagen. Der Räuber war der jüdische Glaser, den der Fiscal des Vicegespans hierzu vermocht hat, ich habe sie nur dem Juden weggenommen, aber es ist zu lang, dies Alles zu erzählen. Kommen Sie heute Nacht zur großen Linde, die gleich neben der Fähre steht, aber nicht eher als um eilf Uhr. Bis um Mitternacht stelle ich die Schriften in Ihre Hände zurück, und sollte es auch mein Leben kosten. Sie haben ja in Ihrem eigenen Hause mein Weib und meine Kinder aufgenommen. Um Gotteswillen, kommen Sie gewiß, fürchten Sie sich nicht vor mir, ob ich gleich ein Räuber bin, so würde ich mein Leben hergeben für Sie und Ihre Familie, und wenn Sie heute nicht kommen, weiß ich nicht, wem ich die Schriften geben soll; ich muß noch heute Nacht über die Theiß, und wage es nicht, in das Dorf zu kommen; dann bitte ich Sie noch unterthänig, sprechen Sie mit Niemand von der ganzen Sache und kommen Sie allein; das Comitat hat einen Preis auf meinen Kopf gesetzt, wenn man erfährt, daß ich hier erscheine, so bin ich ein Kind des Todes. Ich gebe mich ganz in Ihre Hände!
Viola.«
Diese Zeilen, deren Durchlesung wegen der ungeübten Hand des Schreibers und der an manchen Orten sonderbaren Orthographie mit einiger Schwierigkeit verbunden war, brachten den Notär in eine nicht geringe Verlegenheit. Was sollte er thun? Wenn er der Andeutung des Räubers nicht folgt, sind die Schriften wahrscheinlich für immer verloren. Wenn Viola das Comitat verläßt, so wird er sich wohl hüten, zurückzukommen, und wird die Schriften wegwerfen, nur damit sie nicht als Beweise von Schuld gegen ihn dienen mögen; und hinwieder, wenn er hingeht, wenn er, einer von Denen, die vorzugsweise das Gesetz aufrecht erhalten sollen, heimlich mit einem Räuber zusammenkommt, ohne darüber eine Anzeige zu machen, oder auf seine Gefangennehmung bedacht zu sein, welch' ein Licht würde das auf ihn werfen, wenn man es erführe, da seine Feinde ihn schon deshalb des Einverständnisses mit Verbrechern beschuldigten, weil er Viola's Weib und Kinder in sein Haus aufgenommen? Einem Andern wäre vielleicht eingefallen, die Amtspflicht mit den eigenen Interessen dadurch zu vereinigen, daß er, anstatt allein auf den bestimmten Platz zu gehen, mehrere Menschen mit sich nähme, den Räuber einfangen ließe und zugleich die bei ihm vorfindlichen Schriften sich zueignete; dieser Gedanke aber vertrug sich mit Tengelyi's Gesinnung nicht; er war dessen unfähig, wenn man ihm auch dafür die ganze Welt versprochen hätte. Für ihn gab es nur die erwähnten zwei Möglichkeiten, und da in ihm das Pflichtgefühl und das Vaterland gleich stark redeten, so ging er in der größten Aufregung im Zimmer auf und nieder, bald entschlossen, dem Rufe des Räubers zu folgen, bald wieder, es nicht zu thun; und als endlich Elisabeth in's Zimmer trat und ihn zum Nachtmahle rief, konnten sie und die Uebrigen sich nicht genug wundern, wie zerstreut und unruhig er war; beides fiel sogar den Dienstleuten und der alten Lipták auf; von dem Briefchen wußte Niemand, der Notär hatte es verbrannt, damit es nicht in andere Hände komme. Wenn auch Elisabeth oder sonst Jemand im Nebenzimmer gehört hätte, daß an Tengelyi's Fenster geklopft und das Fenster geöffnet wurde, so hätte es keinen Verdacht erregt, denn die Kleinrichter kamen wohl zehnmal des Tages und fragten sich, ohne in das Haus zu treten, beim Fenster um Dies und Jenes an; derlei war etwas ganz Gewöhnliches und erregte keine Aufmerksamkeit. Tengelyi's ungewöhnlicher Zustand wurde einzig und allein dem verdrießlichen Auftritte mit Macskaházy zugeschrieben.
Nach dem Nachtmahle gingen Vándory und Akos fort, Tengelyi wünschte der Frau und der Tochter gute Nacht und schloß sich in sein Zimmer ein, unter dem Vorwande, daß er noch zu schreiben habe; noch einmal überdachte er seine Lage und entschloß sich, den Räuber aufzusuchen. »Viola's Hiersein kann ich auf keinen Fall anzeigen,« so dachte er bei sich selbst, »eine solche Niedrigkeit kann Niemand von mir begehren! Und wie könnte ich meine Amtspflicht dadurch verletzen, wenn ich meinen Kindern zulieb alles Mögliche unternehme, mir meine Rechte wieder zu sichern?! – Sind meine Schriften bei ihm, um so besser, sind sie es nicht, so bin ich doch von dem Vorwurfe frei, etwas vernachlässigt zu haben, wodurch ich zu meinem Eigenthume hätte gelangen können. Daß dieser mein Schritt je bekannt werden sollte, ist nicht wahrscheinlich, und was soll ich am Ende fürchten, wenn mein Gewissen mich freispricht?«
Es war schon nahe an eilf Uhr, als der Notär mit diesem Gedanken das Haus leise verließ, durch den Garten in das Freie gelangte und den Weg nach der Theiß einschlug. Es war eine regnerische Novembernacht, kein Stern am Himmel sichtbar, und solche Finsterniß lag auf der Gegend, daß die ganze Aufmerksamkeit und Ortskenntniß des Notärs nöthig war, um nicht auf dem schmalen Pfade, der zwischen den Gärten auf die Weide führte, in tiefen Koth oder in den Graben zu fallen. Im Dorfe schlief Alles schon längst, und ohne Jemandem zu begegnen, gelangte Tengelyi an den Ort, den ihm Viola bezeichnet hatte.
Im Sommer war dieser Ort einer der angenehmsten, den man um Tiszarét finden konnte. Unter dem weithin ausgedehnten Schatten der riesigen Linde war ein kleiner Wiesenplan, dessen Gras, vor den Sonnenstrahlen geschützt, immer schön grünte, wenn die Julihitze alles Andere ausgebrannt hatte; von drei Seiten war der Ort durch dichtes Gebüsch und einige niedrige Bäume umgeben, auf der einzigen freien Seite sah man den ruhigen Spiegel der Theiß, zu der sich einzelne Zweige des hohen Baumes ausstreckten. Tengelyi hatte unter diesem Baume mit seinem Freunde viele Stunden zugebracht, der bei solchen Gelegenheiten zu wiederholten Malen gesagt hatte, daß man längs des langen Laufes der Theiß doch keinen schönern Platz finden könne, und daß wenn auch der Türkenhügel nicht wäre, dieser Baum allein Tiszarét zu einem angenehmen Wohnorte machen würde. Jetzt schien der Platz traurig und verlassen; den kleinen Wiesenplan unter dem Baume bedeckten trockene Blätter, durch die blätterlosen Zweige sauste der Nachtwind, die aufgeregten Wellen der Theiß schlugen an das finstere Gestade.
In die Bunda gewickelt, ging der Notär unmuthig auf und ab; von Zeit zu Zeit stand er still, wenn in den Gebüschen Geräusch vernehmbar war. Sobald er sich überzeugte, daß Niemand nahe, setzte er das unangenehme Auf- und Niederwandeln fort, oder wendete den Blick auf die Hütte des Fährmannes, die beiläufig 200 Schritte entfernt lag und durch deren Thür das noch in der Küche lodernde Feuer einen kleinen Lichtschein verbreitete.
Beinahe eine halbe Stunde war so vergangen, und Tengelyi fing bereits an zu glauben, daß Viola seinen Vorsatz entweder bereut oder nicht hatte ausführen können, als das Geschrei Jener zu ihm drang, die nach Macskaházy's Ermordung den Räuber verfolgt hatten.
Als Tengelyi rufen hörte: »Räuber! Mörder!« als das Geschrei nahte, war er überzeugt, daß Viola erkannt worden und verfolgt werde. Damit er nun an dem verdächtigen Orte nicht gefunden werde, eilte er schnellen Schrittes wieder dem Dorfe zu.
Wenige Minuten, nachdem Tengelyi den Ort verlassen hatte, stürzte Viola, einen Bund Schriften in der Hand, aus dem Gebüsche hervor; der Räuber blieb einen Augenblick stehen und spähte umher; als er sich überzeugt, daß der Notär nicht mehr zugegen, und er im Rücken schon nahe bei sich das Geschrei der Verfolger hörte, warf er sich in einen kleinen Nachen am Ufer, stieß ihn mit starkem Arm vom Ufer ab und ruderte kräftig.
»Hier ist er! Hier muß er sein!« schrie der Kutscher, dessen Laterne zwar erloschen war, der aber den Räuber bis hierher nicht aus den Augen verloren hatte. Seine Gefährten, die seine Ueberzeugung theilten, suchten den Verbrecher mit unendlichem Geschrei in dem Gebüsche, so daß die Ruderschläge des sich mehr und mehr Entfernenden nicht gehört wurden. Auf den großen Lärm trat der Fährmann mit seinen beiden Söhnen aus der Hütte und eilte zu dem Baume.
»Was giebt es, Ferkó?« schrie der Fährmann, als er bei dem Lichte eines brennenden Spanes, den er in der Hand trug, den Herrschaftskutscher erkannte, »haben sie Deine Rosse gestohlen?«
»Nein, nein,« erwiderte Jener und zündete seine Laterne wieder an, »unser Fiscal ist umgebracht worden; wir haben den Räuber bis hierher verfolgt, und hier im Gesträuche ist er verschwunden; ich habe ihn eben noch gesehen, er muß hier sein! Helft mir ihn suchen!«
»Was zum Geier!« rief der Fährmann erstaunt aus, »der Fiscal ist umgebracht?! – Na, es ist nicht viel schade um ihn; aber wenn Ihr den Räuber sucht und ihn wirklich bis hierher verfolgt habt, so ist er gewiß nicht mehr hier. Gerade jetzt, kurz bevor Ihr gekommen seid, habe ich gehört, wie Jemand mit raschen Schritten gegen das Dorf zu gegangen ist. Nicht wahr, Andres, Du hast es auch gehört?«
»Das ist er, gewiß wird er es sein, geschwind ihm nach!« schrie der Kutscher, ohne die Antwort des Jungen abzuwarten, und der Fährmann und die Uebrigen eilten dem Dorfe zu, auf demselben Wege, auf welchem Tengelyi eben nach Hause schritt.
»Man sieht es ja, daß er hier gegangen ist,« sprach der Fährmann, als er im tiefen Koth den jüngern Verfolgern mühsam nacheilte und ihre Aufmerksamkeit auf den Weg selbst lenkte. – »Schaut nur, man sieht ja noch seine Fußtritte, das sind lauter frische Spuren, man sieht ja das Wasser noch, was bei jedem seiner Tritte ausgespritzt ist.«
»Und was ist das?« sprach der Kutscher, indem er sich bückte und etwas vom Boden aufhob, »ein Stock, und zwar ein Herrenstock mit einem messingenen Csákány Csákány – der ungarische Streithammer, ein Hammer von Messing, Eisen oder Stahl, am Ende eines Stockes befestigt.; den hat er vielleicht jetzt gestohlen und verloren – nur nach, wie es der Fußpfad zeigt, er hat sich gewiß in den Gärten verborgen.« Und der ganze Haufe ging dem Kutscher nach, der mit der Laterne immer die Spuren verfolgte; so gelangten sie an die Umzäunung des Gartens bei dem Hause des Notärs.
»Der Teufel!« sprach der Kutscher, der in den Garten trat, ein paar Schritte weiter ging und plötzlich mit der Laterne stehen blieb, »hier sieht man keine Spur mehr.«
Die Uebrigen nahmen ihm die Laterne aus der Hand und untersuchten den Weg; die frische Spur, die sie früher geleitet, war verschwunden. »Augenscheinlich sieht man keine Spur mehr,« sprach der Fährmann, »die Erde wird ihn ja nicht verschlungen haben, dort bei der Gartenthür habe ich die Spuren noch gesehen.«
»Vielleicht hat er sich hinter dem Zaun versteckt,« sprach der Kutscher nach kurzem Nachdenken, »bleibt Ihr indessen da, ich klettere hinüber und schaue mich um, vielleicht finden wir ihn hier.«
»Laß das sein, Du kriegst noch eins über den Kopf,« sprach der Fährmann und hielt Ferkó zurück, der schon halb hinaufgeklettert war und dem noch Einer folgen wollte; »was geht es denn uns an, daß der Fiscal erschlagen ist, ich wollte, daß ihn der Teufel schon voriges Jahr geholt hätte, ich müßte jetzt nicht jährlich 150 Gulden zahlen.« Aber der Kutscher, den sicher nicht die Liebe zu Macskaházy dazu bestimmte, hörte nicht auf diesen klugen Rath, ging mit der größten Aufmerksamkeit längs des Zaunes hin und kehrte mit der Ueberzeugung zurück, daß die Spur des Verbrechers verschwunden sei. Er wollte schon wieder zurück, als der eine Sohn des Fährmanns, der indessen bei der Thür gestanden, bemerkte, daß auf dem Pfade des Gartens, der zum Hause führte, ebenfalls Fußtritte sichtbar seien. Der Kutscher lief mit der Laterne hin, die Uebrigen hatten indessen die Thür versucht, sie offen gefunden, sie waren eingetreten, und Alle sahen deutlich die Spuren, die sie bis jetzt verfolgt und die gerade zum Hause führten.
»Er ist im Hause des Notärs, vielleicht ist er dort unter dem Schoppen,« sprach der Kutscher, der wie jeder Mensch, der sich um etwas stark abgemüht, wenn es ihm auch vollkommen gleichgiltig ist, jetzt lieber Alles gewagt hätte, damit nicht seine ganze Mühe zunichte werde; »geh'n wir hinein, dort finden wir ihn.«
»Wo denkst Du denn hin?« sprach der Fährmann, und hielt ihn zurück, »im Hause des Notärs wirst Du doch den Mörder nicht suchen?«
»Und warum nicht?« antwortete Jener; »weißt Du nicht, daß bei diesem Hause schon öfter Räuber gewesen? Auch unsern jungen Herrn haben sie hier angeschossen.«
»Aber Du vergissest, daß Herrn Tengelyi's Haus eine adelige Curia ist,« sprach der Fährmann.
»Was liegt denn mir daran!« sprach der Andere, »als wir Viola suchten, haben wir das ganze Haus durchstöbert, und der Stuhlrichter hat uns selbst geführt.«
»Ja wohl, aber das waren Herren,« sprach der Fährmann wieder, »uns wirft man schmählich hinaus.«
»Das werden wir schon sehen! Ich bin der Livréekutscher der gnädigen Frau, und ich möchte den Notär sehen, der mich aus seinem Hause hinauswirft!« Und Ferkó ließ sich nicht länger aufhalten, und mit jenen zwei Gefährten, die mit ihm aus dem Schlosse gekommen waren, ging er gerade in den Hof; der Fährmann aber blieb mit seinen beiden Söhnen etwas zurück und murmelte zwischen den Zähnen, wie es gar nicht schaden würde, wenn dieses hochmüthige Hausgesinde einmal gut durchgeprügelt werden sollte.
Aber wie groß auch die Entschlossenheit des Kutschers war, blieb er doch verblüfft stehen, als Tengelyi, der eben nach Hause gekommen war und sich noch nicht entkleidet hatte, auf den Lärm plötzlich in den Hof trat und mit lauter Stimme fragte: »Was wollt Ihr hier?« Ferkó stand im ersten Augenblick stumm, und nur, als er sich gesammelt hatte, erzählte er, daß Macskaházy ermordet worden, und daß sie, die Spuren des Räubers verfolgend, bis hierher gekommen seien.
Ich werde das Gefühl nicht schildern, welches in diesem Augenblicke die Brust des Notärs erfüllte; er dachte an Viola's Brief und konnte nicht zweifeln, daß der Fiscal durch diesen Unglücklichen ermordet worden sei, wahrscheinlich, um ihn der Schriften zu berauben – und Tengelyi schauderte bei dem Gedanken, daß er, obgleich unwissend, die Ursache des Mordes gewesen. Der Kutscher und seine Gefährten bemerkten trotz ihrer Rohheit die Wirkung, welche diese Nachricht auf Tengelyi hervorbrachte, und erstaunt blickten sie sich an, während der Notär, in dessen Hand die Kerze zitterte, nach und nach Gewalt über sich bekam und einzelne Fragen über die Art und Zeit des begangenen Mordes an sie richtete.
»Wir haben ihn verfolgt,« sprach der Kutscher in großer Verwirrung, während er bald auf Tengelyi's bis zum Knöchel kothige Stiefel, bald auf seine Gefährten sah, »bis zum Ufer der Theiß ist er vor mir gelaufen; ich sah ihn deutlich, von dort an verfolgten wir seine Spur.«
»Das heißt, ich bitte unterthänig,« sprach der Fährmann, »daß wir Spuren nachgegangen sind, das ist so wahr, als daß ich hier bin: aber ob es des Räubers Fußtritte gewesen, das weiß ich wirklich nicht – und ich habe auch den Uebrigen gesagt, daß wir nicht eintreten sollen, daß dieses Haus eine Curia ist, aber –«
»Ihr seid ein Narr,« sprach Tengelyi in höchster Aufregung »wenn Ihr glaubt, daß der Mörder in meinem Hause ist: durchsucht Alles und laßt keinen Winkel undurchstöbert.«
Auf diesen Lärm standen nach und nach auch die übrigen Hausbewohner auf. Elisabeth und Vilma kleideten sich eilig an, und Tengelyi mit einer Laterne voraus, führte sie ins Zimmer, er führte sie auf den Boden und in den Stall, bis sich Alle überzeugt hatten, daß kein Fremder im Hause verborgen sei. Indessen war der Dorfrichter zu Tengelyi gekommen und rief ihn in das Schloß, und der Notär ging mit den Uebrigen fort.
Der Kutscher, der mit dem Fährmann etwas zurückblieb, sprach zu ihm: »Hast Du gesehen, wie der Notär zitterte, als ich sagte, daß der Fiscal ermordet sei?«
»Wie sollte ich es nicht gesehen haben,« antwortete Jener, »ich habe ja Augen.«
»Und seine Stiefel waren bis an die Knöchel kothig,« fuhr der Erste fort
»In diesem Wetter ist das kein Wunder,« antwortete der Fährmann und wunderte sich über Ferkó's sonderbare Rede.
»Bei Gott, wenn ich den Notär nicht seit zehn Jahren kennte, würde ich –«
»Ihr werdet doch nicht glauben, daß er den Fiscal umgebracht hat?« fiel ihm der Andere in's Wort und blieb stehen.
»Da wir keinen Andern im Hause gefunden haben, so würde ich es wirklich glauben,« sprach der Kutscher leise zu seinem Gefährten.
»Habt Ihr den Verstand verloren?« fragte der Fährmann, und Beide gingen in ihre Gedanken versunken wortlos neben einander dem Schlosse zu.