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II.

Wenn die Menschen mit Allem, was sie besitzen, so großherzig umgingen, wie mit ihren Gedanken, so wäre es ein wahres Glück, zu leben! Bei unserem Besitz freuen wir uns am meisten darüber, daß wir die Andern davon ausschließen, aber seine Gedanken theilt Jeder gern mit, und wenn ihm etwas einfällt, so ruht er nicht, bis er diese neueste Frucht seines Geistes dem Nachbar mitgetheilt hat. Wenn etwas geschieht oder auch nur gesagt wird, so entsteht unter den Menschen ein endloser Gedankenaustausch; er ist der gerechteste Tausch auf der Welt, wo selten etwas Anderes gegeben und empfangen wird, als Veraltetes. Wir glauben, daß die Glückseligkeit, die unser im Himmel wartet, größtentheils im Gesange der Engel und Seligen besteht. Auf Erden sind natürlicherweise die Freuden der Menschen um eine Stufe niedriger und bestehen ohne Zweifel darin, daß wir reden können – und wie die Biene aus jeder Blume Honig, so vermögen wir aus dem unangenehmsten Gegenstande alle Süßigkeit eines langen Gespräches herauszuziehen, und zwar nicht nur jene seltenen Auserwählten, denen der Himmel eigene Gedanken gegeben hat, sondern wir Alle, denn die Ideen scheinen sich wie das Geld durch Circulation zu vermehren, und der Beutel klingt mehr, wenn er nicht vollgestopft ist. Wie das Gold, welches Krösus einst dem griechischen Weisen gezeigt hatte, nicht verloren gegangen ist, sondern, zu Ducaten umgeprägt, vielleicht in dem Augenblick, in dem ich dieses schreibe, von einem Capitalisten mit freudeklopfendem Herzen überzählt wird, so ist es auch mit unseren Gedanken. Der Gedanke, der vor einigen tausend Jahren in einem Menschen entstanden, ist seither von Millionen benützt worden, Tausende hielten sich durch ihn reich, Tausende prahlen mit seinem Besitz, denn der Gedanke ist wie das Geld Eigenthum Desjenigen, der ihn benützt. Wer große Summen klingen läßt, wird für reich gehalten, wenn auch jedes einzelne Stück schon in tausend Händen war. Es giebt noch eine Aehnlichkeit zwischen dem Geld und der Rede, und warum soll ich sie nicht aussprechen, da ich zufällig auf diesen Gegenstand gekommen bin? – Gleichwie in jenen Ländern, wo Gold und Silber in der Erde gefunden wird, selten viel edles Metall in Circulation ist, und wir in unserm gesegneten Vaterlande mit Papier zahlen, während England und Frankreich unsere Ducaten wägen, so ist es auch mit den Gedanken. – Wer Gedanken brauchen will, sucht sie nicht mühsam, sondern häuft auf, was Andere im Schweiß ihres Angesichtes an das Tageslicht gebracht haben; denn bei Geld ist die Aufgabe nur, daß wir etwas zum Ausgeben, und bei den Gedanken nur, daß wir etwas zum Reden haben; hierin besteht ihr ganzer Werth. Ob die Gedanken neu, ob die Stoffe des Gesprächs angenehm sind, ist gleichgiltig; das Reden an sich selbst ist angenehm.

Bei dieser Eigenschaft des menschlichen Geschlechts können sich die Leser nicht verwundern, wenn sie die Bewohner des Schlosses von Tiszarét nach Macskaházy's Ermordung nicht so niedergeschlagen finden, als sie im ersten Augenblick vermuthen sollten. Das Entsetzen über des Fiscals plötzlichen Tod hatte sich gelegt und blieb jetzt nur als der bestmögliche Stoff von Gesprächen, an denen das ganze Haus, in der Küche um den Herd versammelt, wo der Koch ein großes Feuer aufgethürmt hatte, lebhaft theilnahm. Obschon ein Theil der Hausleute gleich nach dem Verbrechen beinahe zugleich in Macskaházy's Zimmer gestürzt war, fand sich doch Keiner unter ihnen, der nicht etwas Besonderes zu sagen gehabt hätte, und bis zum Morgen, so lange blieb die Gesellschaft zusammen, wurde das Ereigniß beinahe so verschiedenartig ausgelegt, wie Hannibals Uebergang über die Alpen. Jeder stellte eine eigene Hypothese auf und strengte alle seine Kräfte an, sie zu beweisen.

Die größte Verschiedenheit herrschte aber in der Erklärung über die letzten Worte des Sterbenden. Diese Verschiedenheit hatte sich nach und nach im Gespräche herangebildet. Die Köchin, vom Beschließer und von allen Andern unterstützt, betheuerte mit einem Schwur, daß Macskaházy, als er befragt wurde, wer ihn umgebracht habe, auf diese Frage geradezu Tengelyi genannt habe. Der Koch, dem es gegenüber einer solchen Lüge unmöglich war, rein bei der Wahrheit zu bleiben, und der, wie viele ehrliche Männer im Streite zu thun pflegen, es für nothwendig hielt, noch etwas mehr zu sagen als die Wahrheit, rief gleichfalls Gott und alle Heiligen zu Zeugen an, daß der Fiscal mit Herrn Tengelyi nur zu sprechen gewünscht, was eine Küchenmagd, ein Bedienter und ein Extramädchen bestätigten. Auf Tengelyi, der noch dieselbe Nacht in das Schloß gekommen war, und das Zimmer, in welchem das Verbrechen begangen worden war, durch die Richter versiegeln ließ, hatte es sichtlich gewirkt, daß des Sterbenden letztes Wort sein Name gewesen, und man kann sich vorstellen, daß dies die Lebhaftigkeit des Gesprächs nur erhöhte. Am Morgen kam endlich der Oberstuhlrichter, auf den sich die ganze Nacht hindurch der Koch und die Köchin gleichmäßig berufen hatten.

»Unser Fiscal ist umgebracht worden,« sprach der Koch, während er Nyúzó aus dem Wagen half.

»Der arme gnädige Herr,« fiel die Köchin ein, »und sein letztes Wort –«

Da berichtete der Koch mit großer Freude, daß der Mörder gefangen sei.

»Und ich habe ihn gefangen,« sprach der Haiduk.

»Ja, und im Ofenloch haben sie ihn gefangen,« ergänzte das Extramädchen.

»Man hat ihn nicht gefangen,« rief die Köchin mit hellerer Stimme.

»Es ist der jüdische Glaser, den der gnädige Herr kennt,« sprach der Koch dazwischen, der als die vornehmste Person sich besonders berufen fühlte, dem Oberstuhlrichter die nöthigen Aufklärungen zu geben.

»Aber er ist entflohen,« sprach der Kutscher Ferkó, der sich ebenfalls hervordrängte, »wir haben ihn bis zur Theiß verfolgt, dort –«

»Er ist im Keller,« sprach der Hausknecht, »ich habe ihm Hände und Füße so gebunden, daß –«

»Ja, gnädiger Herr,« fuhr der Kutscher weiter fort, »er ist so gelaufen, daß wir ihn nicht einholen konnten. Als er zu den Gebüschen kam –«

»Die Thür ist nach Vorschrift versiegelt, den Juden habe ich einsperren lassen,« sprach der Koch mit Würde.

»Der war sein Lebtag über kein Jude,« fiel ihm die Köchin in's Wort.

»Wohl war es der Jude!« schrien der Koch, das Extramädchen und die Küchenmagd zugleich.

»Und wenn es der Jude war,« schrie die Köchin, »warum hat der Fiscal seinen Kopf so geschüttelt?!« und die Köchin begann ihr Haupt ungeheuer zu schütteln, und die Andern schwuren: es war der Jude, er war es nicht; kurz, es war ein fürchterlicher Lärm.

»Seid Ihr Alle toll geworden?« donnerte endlich der Stuhlrichter dazwischen, und seine mächtige Stimme beherrschte den Lärm; »der Mensch kann seine eigenen Worte nicht hören in diesem Geplapper.«

Alle schwiegen, nur die Köchin schüttelte noch ihr Haupt und flüsterte dem Geschwornen in das Ohr, der ihr näher stand und an dem sie einen geduldigeren Zuhörer hoffte, daß der Herr Fiscal, als man ihn umgebracht und er den Juden gesehen, es eben so gemacht habe.

»Lieber Herr Koch,« sprach endlich Nyúzó mit sanfterer Stimme, »können wir kein Frühstück bekommen? Es ist uns sehr kalt.« Der Angeredete bat hierauf die gestrengen Herren, sie möchten sich indessen in sein wohlgeheiztes Zimmer verfügen.

Kurze Zeit darauf brachte er den zum Frühstück nothwendigen Sliwowitza und Brot, bis der Kaffee, oder was den Herren sonst beliebte, fertig sein würde.

Hierdurch kam der Koch in den ausschließlichen Besitz des Oberstuhlrichters, und während die Köchin unmuthig und jammernd, daß man sie nicht einmal angehört, in ihr Zimmer ging und die Kaffeebereitung dem Extramädchen überließ, wurde der Oberstuhlrichter vom Koch über die Ereignisse ganz so verständigt, wie sie sich derselbe vorstellte. Seiner Ansicht nach war Macskaházy ohne alle Frage vom Juden ermordet worden, der sich allsobald nach der That, als er Menschen nahen hörte, in das Ofenloch geflüchtet, bevor er etwas hatte rauben können; im Ofenloch sei er durch den Haiduken gefangen worden. »Wenn man von derlei nur einen kleinen Begriff hat,« so fuhr der Koch fort, »ist es offenbar, daß es gar kein Anderer sein konnte; jeder Mörder, den man bei der That erwischt, versteckt sich hinter ein Faß, hinter Bretter oder in ein Ofenloch; solche Geschichten habe ich schon hundertmal gelesen, aber diese Köchin versteht nichts, und dann disputirt sie doch.«

»Sie haben ganz Recht,« sprach Nyúzó, als er sein zweites Glas geleert und in Gedanken versunken sich zum dritten Male eingeschänkt hatte, »die Sache ist klar, man braucht sie eigentlich gar nicht zu untersuchen.«

»Habe ich es nicht gleich gesagt?« sprach der Geschworne, mit großer Selbstzufriedenheit mit dem Kopfe nickend.

»Was hast Du gleich gesagt?« fragte der Oberstuhlrichter, der sich nur Dessen erinnerte, daß er den Geschwornen kaum aufzuwecken vermocht hatte.

»Ich habe gesagt,« antwortete der Andere selbstzufrieden, »daß diesen Mord gewiß irgend ein so niederträchtiger Bösewicht begangen hat.«

»Richtig, das hast Du gesagt,« sprach der Oberstuhlrichter, »ich hätte nicht geglaubt, daß dieser Jude so was unternimmt – der arme Macskaházy, er war ein sehr guter Mensch.«

»Und wie hat er noch neulich tarokirt,« sprach Keniházy gerührt, »zweimal hat er den Juden gezogen, mit fünf Tarok hat er Zátonyi's Ultimo abgefangen, und jetzt dieser Jude!«

»Aber der Jude leugnet Alles,« sprach der Koch, als er eben den Kaffee hereintrug; »wenn es dem Herrn Oberstuhlrichter nicht gelingt –«

»Nicht gelingen?« fragte Nyúzó und warf einen strafenden Blick auf den Koch, der so etwas nur zu denken wagte; »ein miserabler Jude – und nicht gelingen! – Zwanzig Jahre diene ich dem Comitate, und habe bis jetzt Alles herausgebracht, was ich gewollt.«

»Das weiß die ganze Welt,« sprach der Koch entschuldigend, »Alle beneiden uns um unsern Herrn Oberstuhlrichter; aber diese Juden sind manchmal sehr halsstarrig.«

»Wenn er nicht reden will,« sprach Nyúzó, indem er die eben geleerte Kaffeetasse zurückschob, »so wird er schreien.«

»Vor ihm Paul, hinter ihm der Haiduk,« sprach der Geschworne mit selbstzufriedenem Lächeln, »ich beim Tisch mit Tinte und Papier, na, Sie werden etwas sehen, Herr Koch, was Sie noch nicht gesehen haben; wen wir in der Mitte haben, der leugnet nicht lange, dafür stehe ich gut.«

Das Frühstück war beendet; Keniházy verwunderte sich, wie bei solchen Gelegenheiten immer, über die Thorheit der Menschen, die Kaffee trinken, da man doch in Ungarn den besten Wein und Branntwein bekommt. – Was würde der verdienstvolle Geschworne sagen, wenn er erführe, daß man jetzt als Ersatz für den Thee Weinrebenblüthen vorgeschlagen hat, wodurch der Wein verzehrt wird, noch bevor er Most geworden. – Mit einem Glas Sliwowitza schwemmte der Geschworne die Erinnerung an den Kaffee hinab. Nyúzó zündete die Pfeife an, die er während des Frühstücks weggelegt, ging im Zimmer ein paar Mal auf und ab, indem er seine Stimme probirte, und bedeutete endlich dem Koch, daß der Gefangene heraufgebracht werden könne und daß der Haiduk bereit sein solle. Der Koch, der seine Neugierde ohnedies kaum zu bezwingen vermochte, entfernte sich auf der Stelle. Keniházy war sehr vergnügt, denn er hatte ein paar Bogen Küchenpapier gefunden, worauf er das Verhör zu schreiben gedachte. Hierbei ersparte er das Papier, welches er vom Comitat zur Verwahrung hatte. Er richtete sich ein paar Federn zurecht.

Die Leser kennen bereits die Art, wie Nyúzó mit den verdächtigen Personen umzugehen pflegte; sie können also nicht erwarten, daß ich das Verhör des jüdischen Glasers des Langen und Breiten erzähle. Es giebt Menschen, die da glauben, daß wir mit den Einzelnen immer nach ihrem Charakter umgehen müssen, aber dieser scheinbar allgemeine Satz wird gewöhnlich nur solchen Personen gegenüber angewendet, bei denen wir unser Benehmen leicht später bereuen können; das Benehmen mit Untergeordneten behandeln wir gewöhnlich wie das Bett des Prokrustes, welches bekanntlich Jedem passend ist. Wenn das Individuum, das ihm in die Hände fällt, nicht hineinpaßt, desto besser für ihn, er wird es ziehen, strecken, brechen, bis es Platz hat; ob es dem Individuum gefällt, fragt er gar nicht. Nyúzó gehörte unter diese Mehrzahl. Der Oberstuhlrichter gehörte unter jene Menschen, denen die Natur, wie es scheint, zur Pflicht gemacht hat, sich immer mit Dem in Parallele zu setzen, mit dem sie sprechen; wenn Jener sein Haupt erhebt und sich gerade aufrichtet, neigen sie sich in demselben Verhältniß; wenn sich der Andere neigt, werfen sie den Kopf zurück und stehen so in rückgebogener Würde vor ihm. Dergleichen Erscheinungen, die ich am besten durch geometrische Figuren zu erklären glaube, sind in unserem Vaterlande nicht selten, und meine Leser finden vielleicht unter ihren Bekannten auch einige, auf die meine Bezeichnung paßt. Ich meinerseits, ich gestehe es mit Schmerz, habe Viele gefunden, deren Art, mit den Menschen umzugehen, nur dann gutgeheißen werden könnte, wenn wir als Vergütung für den Hochmuth gegen die Niedern jene Hundekriecherei annehmen, die sie Höhergestellten erweisen. Wenn wir das Zuviel der Ehrenbezeigung bei den Einen, das Zuwenig bei den Andern zusammenrechnen und die ganze Masse unter die Einzelnen, mit denen sie umgehen, austheilen, so würde sich vielleicht herausstellen, daß Jedem das Seinige zu Theil geworden. Der jüdische Glaser konnte von Nyúzó keine andere Behandlung erwarten, als jene war, die Peti der Zigeuner auf dem Türkenhügel hatte erdulden müssen; ja sein Los war noch härter, weil Niemand seine Partei nahm, und sowohl Keniházy als der Koch, der den Juden haßte, unterließen nichts, um den Oberstuhlrichter gegen den unglücklichen Beklagten noch mehr in Harnisch zu bringen. Aber obgleich jede Frage so gestellt wurde, daß sie die Antwort schon gleichsam in sich selbst enthielt, leugnete der Jude doch standhaft den Mord.

Nyúzó theilte die Vorurtheile gegen die Juden in ihrer ganzen Ausdehnung nicht; auf keinen Fall erhob sich sein Haß zu der Höhe wie beim Koch, der nach der Natur der Dinge keine Sympathie für ein Volk empfinden konnte, welches Plunzen und Würste verschmäht, von Schinken sich mit Abscheu abwendet und von einer Kocsonya nichts hören will; ja es gab sogar Menschen, die dem Oberstuhlrichter vorwarfen, daß er bei einzelnen Mitgliedern des auserwählten Volkes Gottes Parteilichkeit gezeigt habe; man behauptet, daß es vor seinem Richterstuhle beinahe eben so schwer sei, gegen einen Juden einen Proceß zu gewinnen, als im – ich habe vergessen, in was für einem Comitate. Aber Alles hat seine Grenzen, und wenn der Oberstuhlrichter auch einen Theil des jüdischen Volkes – den reichern nämlich – aus dem aufgeklärteren Gesichtspunkte unsers Zeitalters betrachtete, so waren doch seine Fortschritte zu besonnen, als daß er dieselben Grundsätze auch bei einem jüdischen Glaser hätte anwenden wollen, der sein ganzes zerbrechliches Besitzthum auf dem Rücken trug, und außer dem Demant, mit dem er die Tafeln schnitt, keinen Edelstein besaß. Die Emancipation, man kann es nicht leugnen, macht in unserm Vaterlande Fortschritte; die Juden, die sich stark mit Medicin beschäftigen, haben zur Verbesserung ihrer politischen Stellung die Grundsätze der Homöopathie angewendet, das heißt, weil sie sich nicht gerade emancipiren können, haben sie durch verschiedene Schuldbriefe und Contracte die Christen mancipirt, was, wie wohl bekannt, zu demselben Resultate führt. Das Judenthum in unserm Vaterlande gleicht in diesem Augenblick einem Berge, dessen unterer Theil in einem tiefen Dunkel liegt, dessen vergoldeter Gipfel aber schon im hellen Lichte glänzt, und wenn der Glaser zu dieser Classe seines Volkes gehörte, so wäre seine Stellung vielleicht eine andere; so aber, nachdem er von Niemandem Wolle oder Knoppern kaufen kann und nicht einmal am Tabakhandel theilnimmt, konnte er auf Begünstigung keinen Anspruch machen, und ihm gegenüber vergaß der Richter gewiß nicht, daß seine Voreltern unsern Erlöser gekreuzigt haben.

Der Oberstuhlrichter hatte bei dem Inquisiten alle möglichen Mittel versucht, ihn zum Geständniß zu bringen, das Hinzuziehen des Keniházy mit eingerechnet, zu demselben Zwecke war der Haiduk mit seinem Stock heraufberufen worden. In der größten Aufregung ging er im Zimmer auf und nieder und schrie: »Ich lasse Dich in ein Wolfsloch stecken, ich laß Dich erschlagen,« und stieß den Unglücklichen abermals in die Brust, der mit zitternder flehender Stimme neuerdings seine Unschuld betheuerte.

»Unschuld!« lachte der Oberstuhlrichter, »sieht die Unschuld so aus?« Keniházy und der Koch blickten hinüber auf den Juden und lachten, während aus dem einzigen Auge des Glasers schwere Thränen über sein Gesicht herabrollten. Man muß gestehen, daß in des Juden Aeußerem nichts war, was ihn berechtigt hätte, von wem immer für das Bild der Unschuld gehalten zu werden. Die rothen Haare, im Keller die ganze Nacht hindurch feucht geworden, hingen noch tiefer als gewöhnlich auf die Stirn herab; Kleid und Bart waren noch schmutziger, die häßlichen Gesichtszüge verwildert. Furcht und Schmerz, den ihm die gebundenen Hände und die Stöße und Schläge des Oberstuhlrichters und der Haiduken verursachten – einen Verbrecher hätte man nicht anders malen können; aber der Jude behauptete noch immer, er sei unschuldig. »Aber ich bitte den gnädigen Herrn Oberstuhlrichter,« so flehte er, »und den gnädigen Herrn Geschwornen und auch den Herrn Koch, der mich schon lange kennt.«

»Ja, daß Du ein niederträchtiger Hallunke bist,« sprach der Letztere, »der mich immer betrogen hat, so oft ich etwas arbeiten ließ.«

»Aber ich bitte unterthänig, ich habe gewiß Niemand betrogen,« seufzte der Andere, »die Fenstertafeln im Castell sind groß und das Glas ist sehr theuer, und ich –«

»Redest Du schon wieder von etwas Anderem, Du Galgenschwengel?« schrie der Oberstuhlrichter, »ich frage Dich noch einmal, zum letzten Male, wenn Du nicht gestehst, so wirst Du sehen, was Dir geschieht. Warum hast Du den Fiscal umgebracht?«

»Ich habe ihn nicht umgebracht,« antwortete weinend der Gefragte, »warum hätte ich ihn denn umgebracht? Herr Macskaházy war mein guter gnädiger Herr, wenn er am Leben wäre, so würde man mit mir nicht so umgehen.«

»Freilich, wenn Du ihn nicht umgebracht hättest,« fiel ihm der Oberstuhlrichter in's Wort.

»Ich habe ihn nicht umgebracht,« fuhr der Andere schluchzend fort; »als der Herr Koch mich zu Herrn Macskaházy geführt und ihn gefragt hatte, ob ich ihn umgebracht habe, konnte der Herr Fiscal nicht mehr reden; aber er schüttelte immer das Haupt, sagen Sie selbst, Herr Koch,« so sprach er, indem er sich zum Koch wendete.

»Das ist wahr,« sprach Jener, »wie ich diesen schlechten Kerl zum Bette geführt und den Herrn Fiscal gefragt habe, ob dieser ihn umgebracht, hat er den Kopf geschüttelt; aber wer weiß, was er darunter verstanden hat; vielleicht war er schon außer sich.«

»Er war nicht außer sich,« sprach der Jude mit flehender Stimme; »wie wäre er außer sich gewesen, nachdem der Herr Koch ihn zweimal gefragt, und der gute, arme Herr Fiscal immer den Kopf geschüttelt hat!«

Da sprach Keniházy: »Das wird wahrscheinlich Das sein, wovon die Köchin immer geredet hat, als wir ankamen.«

»Ja, die Köchin,« fuhr der Gefangene fort, »und das ganze Haus war zugegen, und hat gesehen, daß der Herr Fiscal den Kopf geschüttelt hat, der gute Herr; als ich in das Zimmer trat, hat er gar nichts Anderes gethan, sondern immer nur den Kopf geschüttelt.«

»Es soll Jemand die Köchin rufen,« sprach Nyúzó, der sich jetzt eben auch des sonderbaren Betragens dieser Frau und ihres ewigen Geschreies erinnerte.

»Es ist schade, wenn der Herr Oberstuhlrichter sich mit ihr abmüht,« sprach der Koch, »sie schwätzt wie eine Hökerin, und am Ende ist es doch außer aller Frage, daß Niemand Anderer den Herrn Fiscal umgebracht hat, als dieser Jude.«

»Das weiß ich auch,« sprach Nyúzó mit Würde, »aber bei jedem Verhöre muß man die Formen beobachten,« und somit sandte er den Haiduken um die Köchin.

Katharina, oder wie sie gewöhnlich genannt wurde, Frau Kata – denn, wie sie selbst öfters richtig bemerkte, giebt einer armen Witwe Niemand, was ihr gebührt, und selbst ihr Name wird verkürzt, als ob sie nur eine Küchenmagd wäre – hatte, während ihr natürlicher Feind, der Koch, beim Verhör zugegen war, mit ihren Parteimännern, das ist mit dem Beschließer und dem Hausknecht, unausgesetzt von der Dummheit des Oberstuhlrichters geredet, der vernünftige Leute gar nicht frage. »Der Koch wird ihn gewiß irreführen, es giebt keinen falschern Menschen auf der Welt, auch bei der gnädigen Frau veranlaßte er alle Verdrießlichkeiten; und jetzt wird er Alles auf den Juden schieben, und der Jude ist doch so unschuldig, wie ein neugebornes Kind; als man ihn zu Macskaházy's Bette führte« u. s. w.

Als der Haiduk mit dem Befehle des Oberstuhlrichters eintrat, daß die junge Frau vor ihm als Zeuge erscheinen solle, verwandelten sich die Klagen in das Lob des Oberstuhlrichters, der nun auf einmal ein feiner Mensch wurde. Vor einem kleinen Stückchen Spiegel, das am Küchenfenster hing, richtete Kata ihre Haube zurecht, und nachdem sie zu den Anwesenden gesagt, daß die Wahrheit jetzt gewiß herauskommen werde, folgte sie dem Ruf und trat mit vielen Complimenten vor die Untersuchenden.

Kata war noch nie vor Gericht erschienen; im ersten Augenblick stutzte sie, als man sie um ihren Namen und Beschäftigung befragte, welches, wie sie meinte, der ganzen Welt bekannt sein müßte, besonders aber, als sie um ihr Alter befragt ward. – Das Hohnlächeln auf des Koches Lippen, als sie sich kaum hörbar zu 42 Jahren bekannte, und noch mehr, daß der Oberstuhlrichter gleich nach diesen vorläufigen Fragen sie erinnerte, daß sie ihre Aussage werde beschwören müssen, und daß sie Strafe zu erwarten habe, wenn sie von der Wahrheit abweiche, erweckten in ihr den Gedanken, daß das Ganze nur eine Kabale des Koches sei, der ihr Verdruß bereiten wolle. Um daher diesem auszuweichen, bemerkte sie gleich nach der Ermahnung des Oberstuhlrichters, daß sie ihren Taufschein nicht gesehen habe, daß sie also über ihr Alter nichts Bestimmtes sagen könnte, daß sie aber nach ihrer eigenen Ueberzeugung sich um Vieles jünger halte. Der Koch und der Geschworne lachten laut auf, und Nyúzó bemerkte lächelnd, daß sie nur im Uebrigen die Wahrheit sagen möge, ihr Alter hätte sie auch auf 24 Jahre angeben können. Ohne Zweifel bedauerte die Köchin, dies so spät erfahren zu haben, benützte aber diese Gelegenheit zur Bemerkung, daß sie gewöhnt sei, sich immer für älter auszugeben.

Die nachfolgenden Fragen: Ob sie Herrn Macskaházy gekannt? Ob sie den Juden schon in ihrem Leben gesehen? Was sie von ihm wisse? u. s. w. entschädigten die Köchin reichlich für jenen unangenehmen Eindruck, den ihr der erste Augenblick des Verhörs verschafft hatte. Sie war eine von Jenen, die das ihnen von Gott verliehene Pfund der Beredtsamkeit nicht vergraben. Frau Kata sprach aus eigenem Antrieb vom Morgen bis zum Abend – wer könnte also jetzt von ihr kurze Antworten erwarten, nachdem ihr vielleicht zum ersten Male im Leben das Reden zur Pflicht gemacht wurde, und der Oberstuhlrichter sie ausdrücklich ermahnte, in ihrem Vortrage nichts zu vergessen. Frau Kata erzählte Alles: wo sie zuvor gedient, wie sie in's Haus gekommen, was seither geschehen, wie sie sich zuerst mit dem Koch gezankt, wie sie dieser anwesende Jude um 1 fl. 24 kr. betrogen, als er ihr vom letzten Debrecziner Markt 12 Ellen blauen Kattun gebracht; im strengsten Sinne des Wortes ließ die gute Frau nichts unerwähnt. Wenn sie ein Mitglied unserer gelehrten Gesellschaft wäre – worauf sie allerdings Ansprüche machen konnte, wenn hierzu Jeder berechtigt ist, der die Sprache cultivirt – so könnte man aus diesem einzigen Verhör ihre Parentation schreiben.

Nyúzó ging unmuthig im Zimmer auf und ab, der Geschworne, der in sich nicht den Beruf fühlte, ein ganzes Buch zu schreiben, legte die Feder bei Seite; der Koch blickte schmunzelnd bald auf den Einen, bald auf den Andern, als ob er sagen wollte: »Hatte ich nicht Recht, als ich Euch warnte, die Frau zu verhören?«

Der Oberstuhlrichter konnte seine Ungeduld nicht mehr bezähmen, er fuhr endlich heraus: »Aber was will die Frau am Ende mit allem diesen, hält Sie mich für Ihren Beichtvater oder Narren, daß Sie Ihr ganzes Leben vom Anfange an bis jetzt erzählt?«

»Ich bitte unterthänig,« sprach die Köchin erstaunt, daß diese Dinge irgend Jemand nicht interessiren könnten, »aber der gnädige Herr haben ja gesagt, daß ich nichts auslassen soll, und daß ich Alles, was ich sage, auch werde beschwören müssen, weil das Leben eines Menschen davon abhängt –«

»Daß Sie nichts auslassen soll, was zur Sache gehört,« unterbrach Nyúzó die Sprechende, »das waren meine Worte.«

»Richtig,« fuhr die Andere fort, »aber wenn Sie mich um meinen Namen und Stand fragen, und ich antwortete, daß ich Witwe bin, so muß ich auch meinen Mann erwähnen, und wie lange wir zusammen gelebt haben, und ich bitte unterthänig, auch Das, daß wir gut zusammen gelebt haben, und wann er gestorben ist, und an welcher Krankheit, und –«

»Schon gut, schon gut,« unterbrach sie der Oberstuhlrichter, während er im Herzen ihre Beredtsamkeit verwünschte; »aber sagen Sie uns jetzt, und wenn es sein kann, kurz und blos auf diese Frage antwortend: Ist es wahr, daß, wie der Koch diesen verfluchten Juden zum Sterbenden geführt hat, Macskaházy den Kopf geschüttelt habe?«

»Freilich ist es wahr,« antwortete die Befragte und warf einen herausfordernden Blick auf den Koch, »freilich hat er den Kopf geschüttelt, und wenn der gnädige Herr erst gesehen hätte, wie er den Kopf geschüttelt hat! Seit ich am Sterbebette meines Mannes gestanden bin – der arme Mann, Gott gebe ihm die ewige Ruhe, er war Koch –«

»Wir wissen es schon,« fiel ihr der Stuhlrichter ungeduldig in's Wort, »und er ist an der Wassersucht gestorben; aber sagen Sie uns, junge Frau, jetzt nur das Einzige, ist es wahr, daß mein armer verstorbener Freund, als der Herr Koch dieselbe Frage zum zweiten Male an ihn richtete, abermals den Kopf geschüttelt habe?«

»Ja wohl, und die gnädigen Herren können sich's gar nicht denken, wie er den Kopf geschüttelt hat; wie ich sage, gerade so, wie mein verstorbener Mann, Gott gebe ihm die ewige Ruhe! Die letzten vierzehn Tage war ich auf die Nacht immer bei ihm –«

»Wer weiß, ob er nicht schon außer sich war,« sprach der Koch dazwischen.

»Wer? Mein Mann außer sich?« sprach Frau Kata, »mein Mann war sich gegenwärtig bis zum letzten Augenblick, er konnte nicht mehr sprechen, der arme Mann, es verstand ihn auch Niemand außer mir, aber was er nur wollte –«

»Wer spricht denn von Ihrem Manne?« fiel ihr Nyúzó in's Wort, »Gott gebe ihm die ewige Ruhe, er mag auch auf dieser Welt viel Verdruß gehabt haben; die Frage ist nur: War Macskaházy außer sich, als er befragt wurde und das Haupt schüttelte?«

»Außer sich?« fragte die Köchin, »ich bitte um Vergebung – das kann aber nur ein solcher Narr sagen,« der Blick, den sie hierbei auf den Koch warf, ließ keinen Zweifel übrig, wen sie meine, »der den Menschen nicht versteht, wenn er nicht spricht. Wenn meinem Manne das Wasser in die Brust getreten war und er nicht reden konnte, habe ich ihn doch bis zum letzten Augenblick verstanden. Er hat so betrübte süße Blicke auf mich geworfen, als ob er wie sonst sagen wollte: »»Meine süße Taube, ich danke Dir.«« Aber um auf den Fiscal zurückzukommen,« setzte sie hinzu, als sie des Oberstuhlrichters Ungeduld bemerkte, »wie hatte der Arme außer sich sein können, da er noch geredet, als man ihn fragte?«

»Er hat geredet? Und was?« fragte der Oberstuhlrichter neugierig.

»Viel hat er freilich nicht gesagt, das ist wahr,« erwiderte die Frau, »aber deutlich; wir Alle, die wir zugegen waren, haben es gehört. Als ihn der Koch fragte, wer ihn umgebracht, antwortete er: »»Tengelyi,«« und darauf fing er an zu röcheln.«

»Tengelyi?!« riefen der Oberstuhlrichter und der Geschworne zugleich und hoch erstaunt, »das ist sonderbar!«

»Warum hören denn die gnädigen Herren so ein unnützes Geschwätz an?« sprach der Koch ungeduldig, »um nur reden zu können, würde diese Frau ihren eigenen Vater unter den Galgen bringen.«

»Unnützes Geschwätz ist Das, was ich sage?!« schrie die Köchin. »Und wenn Der, der mich befragt, der Herr Oberstuhlrichter selber ist? Und warum schreibt der Herr Geschworne auf, was ich sage? Wenn ich dem Herrn Oberstuhlrichter lästig bin, so habe ich meinetwegen nichts gesehen und nichts gehört; wenn man mich nicht befragt hätte, so hätte ich bestimmt mit Niemandem darüber geredet.«

Der Oberstuhlrichter konnte kaum zu Wort kommen, um den Koch zu ermahnen, daß er den Zeugen nicht verwirren solle, und neuerdings befragte er Frau Kata, ob sie sich klar erinnere, daß Macskaházy vor seinem Ende wirklich Tengelyi genannt habe.

»Wie sollte ich mich nicht erinnern?« fuhr jene in der zeitweilig unterbrochenen Rede fort, »der arme Herr Fiscal hat ja so klar gesprochen, wie wir jetzt reden. »»Tengelyi«« hat er gesagt, das ganze Haus war zugegen, Alle haben es gehört.«

»Das leugnet auch Niemand,« sprach der Koch dazwischen, der trotz aller Mahnung nicht schweigen konnte; »die Frage ist nur: Wann hat er Herrn Tengelyi genannt? Warum hat er ihn genannt? Und ich sage –«

»Damals hat er ihn genannt, als man den Juden zu seinem Bette gebracht und ihn gefragt hat, ob dieser ihn ermordet habe?« unterbrach ihn die Köchin, die immer mehr in Feuer gerieth, je mehr die Frage auf den alten Streit zurückführte; »zuerst hat er den Kopf geschüttelt, hierauf hat er Tengelyi genannt, hierauf –«

»Nein, so war es nicht!« unterbrach der Koch die Redende mit gleichfalls lauterer Stimme, »zuerst hat er Tengelyi genannt und später das Haupt geschüttelt.«

»Und ich sage, daß er zuerst den Kopf geschüttelt und dann Tengelyi genannt hat!« schrie die Andere. »Alle werden dies sagen.«

»Und ich sage das Entgegengesetzte!« schrie der Koch noch lauter, »und wer nicht so redet, der lügt, wenn er auch hundertmal darauf schwört.«

»Ich berufe das ganze Haus als Zeugen,« sprach zum Oberstuhlrichter gewendet die Köchin mit flammendem Gesichte.

»Und ich berufe gleichfalls das ganze Haus als Zeugen,« antwortete der Koch.

Der Stuhlrichter sprach endlich: »Um die Sache in's Reine zu bringen, wird kaum etwas Anderes übrig bleiben, als weiteres Zeugenverhör.«

Während der Haiduk hinaufgesendet wurde, um jene Hausleute herbeizurufen, die bei Macskaházy's Tod zugegen waren, stritten der Koch und die Köchin miteinander fort, und Nyúzó erinnerte Keniházy, besonders anzumerken, daß nach der Aussage der Köchin Macskaházy, als er vor seinem Ende über seinen Mörder befragt wurde, Tengelyi genannt habe.

Wenn der Oberstuhlrichter die übrigen Zeugen, die der Haiduk alle in der Küche versammelt fand, und die jetzt mit ihm in das Zimmer traten, hatte berufen lassen, um den in Frage schwebenden Punkt in's Reine zu bringen, so ist Niemand in seiner Hoffnung so getäuscht worden, als er. Allerdings standen jetzt statt zwei Zeugen sechs um ihn, aber nicht einmal jenes erbärmliche Kriterium der Wahrheit, welches wir in der Majorität suchen, bot ihm hier Hilfe, denn der Beschließer und der Hausknecht hielten es auch jetzt mit der Köchin, die Küchenmagd und das Extramädchen aber waren auf der Seite des Kochs, und so standen sich die Parteien mit ganz gleicher Stimmenzahl gegenüber.

Der Oberstuhlrichter hatte dem Lärm eine Weile ruhig zugehört, endlich zuckte er die Achseln und sprach: »Es ist ganz gleichgiltig, ob er den Kopf früher oder später geschüttelt hat, uns geht das nichts an; die Hauptsache ist, daß er, als er befragt wurde, wer ihn umgebracht habe, deutlich den Notär genannt hat, und darin stimmen Alle überein. Ich hoffe, Du hast das protokollirt,« sprach er zu Keniházy gewendet, der fortschreibend mit dem Kopfe bejahend nickte. Die Streitenden sahen sich erstaunt an; die Köchin, die nicht die Absicht hatte, gegen Tengelyi Verdacht zu erwecken, und die ohne Nebengedanken einzig ihre Behauptung beweisen wollte, daß der Fiscal zuerst den Kopf geschüttelt und später erst Tengelyi genannt habe, erschrak jetzt über die Worte des Oberstuhlrichters und verstummte; nur der Koch hatte noch so viel kaltes Blut, um Nyúzó zu bemerken, daß er dieser Behauptung nie beigepflichtet habe, und auch jetzt aussage, daß der Sterbende zwar Tengelyi genannt habe, aber nicht damals, als man ihn seines Mörders wegen befragte. Alle nickten bejahend mit ihren Häuptern, besonders die Köchin, die, als sie die Folgen ihrer Worte sah, beinahe in Thränen ausbrach und sprach, daß sie eine arme Witwe sei, und daß der Herr Koch die Sache gewiß besser verstehe; daß sie übrigens, als sie die blutige Brust des Fiscals gesehen, so erschrocken sei, daß sie gar nicht gewußt, was um sie herum vorgehe. Den unglücklichen Zeugen, der sich jetzt auf alle Weise bemühte, seine frühere Aussage zurückzunehmen, brachte aber der Oberstuhlrichter durch die Bemerkung zum Schweigen: »Was gesagt ist, ist gesagt, und der Geschworne hat es aufgeschrieben.« Er setzte noch hinzu: »Wenn der Zeuge Das widerruft oder erläutert, was in seiner Aussage gegen Tengelyi Verdacht erwecken könne, so würde er schon sehen, was ihm dafür widerfährt, daß derselbe es gewagt, vor Gericht zu lügen.« Die hierdurch erschreckte Frau zog sich bis zum Ofen zurück und erleichterte ihre Brust nur durch tiefe Seufzer, aus Furcht, wieder etwas zu reden, was sie hinterdrein zu bereuen haben würde.

Der Koch, der einer der größten Verehrer Tengelyi's war, wurde durch Nyúzó's letzte Worte sichtlich ergriffen, und trotz all' dem Respect, den er vor einem Stuhlrichter hatte, sprach er: »Ich weiß nicht, was für eine Ursache zum Verdacht gegen den Notär der Herr Oberstuhlrichter in alledem finden können, was Sie bis jetzt gehört haben?«

»Welchen Grund?« sprach der Oberstuhlrichter, indem er einen verächtlichen Blick auf den Koch warf, »das wird auf keinen Fall der Herr Koch entscheiden; übrigens glaube ich, daß einiger Grund vorhanden ist, nachdem diese Frau und noch zwei Zeugen geradezu aussagen, daß Macskaházy sterbend – und die Aussage, die man sterbend macht, wiegt so viel, als ob sie mit hundert Eiden bekräftigt wäre – Tengelyi seinen Mörder genannt habe.«

»Das habe ich nie gesagt,« seufzte die Köchin, indem sie wieder hinter'm Ofen hervorkam, »ich habe nur gesagt, daß der Fiscal zuerst den Kopf geschüttelt und nachdem geredet hat; es wäre mir nie in den Sinn gekommen, daß hierdurch Herr Tengelyi in Verdacht gerathen könnte.«

»Das ist am Ende sicher,« sprach der Koch ziemlich trocken – denn er als Edelmann nahm die Art übel, mit der Nyúzó mit ihm gesprochen hatte – »Verdacht kann Jeder haben, den es freut; und auch Das ist gewiß, daß man mich nicht fragen wird; aber ich denke, daß dort, wo von Mord die Rede ist, man gegen einen Menschen, wie Herr Tengelyi, nicht gleich nach jeder närrischen Rede Verdacht hegen darf.«

»Aber hat der Herr Koch nicht selbst gesagt,« sprach der Oberstuhlrichter scharf betonend, »daß Macskaházy den Notär genannt habe?«

»Und dies ist vollkommen wahr,« erwiderte der Andere, »ist aber gar nicht zu verwundern, denn Herr Macskaházy war sein ganzes Leben über mit Herrn Tengelyi in vielerlei Berührungen; Viele glauben, daß er mit dem Notär nicht so umgegangen ist, als er hätte sollen; sie haben noch gestern scharf miteinander gestritten; wer weiß, ob der Fiscal dies nicht im letzten Augenblick bereut hat.«

»So, so, also gestern Abend haben sie noch scharf miteinander gestritten? – Schreib' das auf, Bándi!« so sprach der Oberstuhlrichter zu seinem Geschwornen; »es ist ganz richtig so, die Beiden waren ihr ganzes Leben über in tödtlicher Feindschaft miteinander; der Herr Koch sagt also, daß sie gestern Abend noch einen starken Zank zusammen gehabt haben?«

Der Koch konnte dies nicht leugnen, die Andern bestätigten es ebenfalls, und die Köchin, die glaubte, daß sie dadurch Tengelyi helfen könnte, erzählte den Vorfall zwischen Macskaházy und dem Notär mit allen jenen Vergrößerungen, mit denen er im Dorf erzählt wurde.

»Sonderbar, sehr sonderbar!« sprach Nyúzó, indem er sich zu seinem Geschwornen wandte, »der Notär zankt sich mit Macskaházy und scheidet von ihm unter fürchterlichen Drohungen. Wie die Köchin sagt, hat der Notär geschworen, daß mein armer Freund durch seine Hand stirbt, und in der gleich darauffolgenden Nacht wird dieser in seinem Zimmer ermordet gefunden. Ich hoffe, Du hast das herausgehoben, Bándi,« sprach er zu dem Geschwornen und zwang sein Gesicht zu dem Ausdruck tiefen Nachdenkens, damit nicht die Freude sichtbar werde, die er darüber empfand, daß er nun Tengelyi in einen verdrießlichen Handel verwickeln könne.

Der Koch wollte reden, als er aber sah, daß Nyúzó gar nicht auf ihn achte, bemerkte er nur halblaut dem Geschwornen, daß, wenn nicht der Jude, sondern Jemand Anderer den Fiscal umgebracht habe, man nicht absehen könne, was der Jude im Ofenloch gewollt habe; worauf der Oberstuhlrichter, statt zu antworten, die Frage an den Juden richtete: »Wer hat Dich zu dieser verbrecherischen Handlung aufgereizt, wer hat Dir Rath gegeben, wer hat Dir geholfen? Denn daß Niemand dies Verbrechen begangen hat, als Du, niederträchtiger Hund,« so fuhr er grimmig fort, »darüber ist kein Zweifel. Gestehe aufrichtig, Du siehst, daß wir Deinem Spießgesellen schon auf der Spur sind; wenn Du ihn ohne Zögern nennst, so kannst Du Dir vielleicht noch helfen, wenn Du aber noch einen Augenblick schweigst –« Der Oberstuhlrichter sprach nicht weiter, aber auf seiner rechten Hand, deren innere Fläche eben dem Juden zugekehrt war, konnte der Glaser auch ohne Chiromantie seine Zukunft so klar sehen, daß er aus natürlichem Instinct die Achseln in die Höhe zog, um die eine Wange zu verstecken. Und ohne Zweifel wäre in Erfüllung gegangen, was alle Anwesenden voraussahen, wenn nicht in demselben Augenblick Wagengerassel den Oberstuhlrichter an das Fenster gelockt hätte.

Der Vicegespan, der, wie wir wissen, den vergangenen Tag auf eines seiner nahegelegenen Güter gefahren war, kehrte mit Frau und Tochter nach Tiszarét zurück, sobald ihm die Kunde des in seinem Hause vollbrachten Mordes zugekommen war, und beinahe gleichzeitig mit ihm traf auch Serer ein, um den noch in der Nacht, der Leichenbeschau wegen, ein Wagen geschickt worden war. Etelka ausgenommen, begaben sich die Andern allsobald in das Zimmer, wo die Zeugen verhört wurden; diese eilten zum Empfang des Herrn und der Frau vom Hause, und so blieb der Gefangene einige Minuten unangefochten.

Der Vicegespan und vorzüglich seine Frau waren tief ergriffen.

»Es ist entsetzlich,« sprach Réty, nachdem der Stuhlrichter ihm den Verlauf umständlich erzählt hatte, »ein solcher Mord, und in meinem Hause, und unter so vielen Leuten; es ist eine unerhörte Kühnheit. Meine arme Frau ist ganz vernichtet; als ob sie eine Ahnung gehabt hätte, daß ein Unglück geschehen wird, war sie gestern schon so aufgeregt, wie ich sie noch nie gesehen.«

»Sage so etwas nicht,« sprach Frau von Réty ungeduldig, und um ihre Lippen war ein sonderbares Beben sichtbar, »man wird mich am Ende für eine Mondsüchtige halten, die Alles voraus weiß. Ich habe mich unwohl gefühlt, wie auch heute, das ist Alles.«

Der Oberstuhlrichter und der Geschworne drückten ihr Bedauern aus. Serer griff alsbald nach dem Puls, die Vicegespanin warf einen Blick auf den Juden, dessen Gesicht einen sonderbaren Ausdruck annahm, der beinahe wie Hohn aussah; aber da ihn Niemand einiger Aufmerksamkeit würdigte, wurde es auch von Niemandem gewahrt.

Der Vicegespan bemerkte: »Das Verbrechen hat nur Jemand begehen können, der im Hause gut bekannt ist; das Auffallendste ist, daß, wie ich höre, nichts geraubt worden ist.«

»Das wissen wir noch nicht,« erwiderte Nyúzó. »Die Hausleute sagen, daß sie die Uhr und Brieftasche des Ermordeten in seinem Zimmer gefunden haben, eine nähere Untersuchung haben wir nicht vorgenommen; denn nachdem Macskaházy des Herrn Vicegespans Fiscal war, so meinten wir, daß sich vielleicht unter seinen Sachen auch Schriften vorfinden könnten, die Ihre Familie betreffen; wir haben also auch die Thür, die von dem Richter versiegelt worden, bis zu Ihrer Ankunft, oder bis Sie deshalb verfügen, versiegelt gelassen.«

»Daran haben Sie wohlgethan,« fiel die Vicegespanin lebhaft ein, »in Macskaházy's Händen waren verschiedene Proceßschriften, die nur mich betreffen; ich werde selbst hinaufgehen.«

»Gnädige Frau,« rief Serer aus und schlug die Hände zusammen, »in Ihrem kränklichen Zustand! wo denken Eure Gnaden hin?«

»Das ist meine Sache,« antwortete die Vicegespanin trocken.

»Es wäre wirklich besser, wenn Eure Gnaden nicht hinaufgingen,« bemerkte jetzt der Koch mit aller Unterthänigkeit, »die Leiche liegt auch noch oben, und –«

»Die Leiche?« sprach Frau von Réty, ohne ihren Schauder bekämpfen zu können; »man muß sie hinaus schaffen,« setzte sie hinzu, indem sie sich Gewalt anthat, »dann werde ich hinaufgehen; ich weiß am besten, wo er die Schriften aufzubewahren pflegte, und ich kann nicht ruhig sein, bis ich mich nicht überzeugt habe, daß nichts verloren gegangen ist.«

Um den Wunsch der Vicegespanin zu erfüllen, entfernte sich Serer mit dem Geschwornen und den Dienstleuten. Frau von Réty ging in der größten Aufregung im Zimmer auf und nieder.

Der Vicegespan war in tiefe Gedanken versunken, als Nyúzó, der neben ihm stand, zu ihm sprach: »Den Verbrecher haben wir wenigstens, Gott sei Dank, in unsern Händen.« Auf den Gefangenen weisend, fuhr er fort: »Diesen Juden haben sie gleich nach der That aus dem Ofenloch herausgezogen.«

»Der Glaser Jancsi?« rief die Vicegespanin aus und blieb plötzlich stehen, »das ist unmöglich! – ich weiß, daß Macskaházy ihm stets wohlwollte, und –«

»Mein Schatz,« sprach Réty, »das beweist gar nichts; leider giebt es sehr viele Beispiele, daß dergleichen niedrige Menschen ihre Verbrechen an ihren größten Wohlthätern verübt haben.«

»Um so mehr,« fiel hier der Oberstuhlrichter ein, »nachdem es außer allem Zweifel steht, daß der Jude in dem vorliegenden Fall nur das Werkzeug einer fremden Rache war.«

In diesem Augenblicke erbleichte die Vicegespanin dergestalt, daß ihr Mann und Nyúzó Beide zugleich sie fragten, ob sie sich unwohl fühle? Sie aber stellte nur die Frage, ob der Jude sein Verbrechen bekannt?

Der Oberstuhlrichter erwiderte: »Was man so streng genommen ein Geständniß nennen könnte – nein! der Jude hat noch nichts gestanden; aber das ist meine geringste Sorge, ich bringe es heraus, wenn er noch so hartköpfig wäre, und die Inzichten sind von der Art, daß über den Thäter kein Zweifel mehr sein kann.« Und mit vieler Selbstzufriedenheit erzählte Nyúzó Alles, was seiner Ansicht nach Tengelyi belastete.

Man kann sich die Wirkung kaum vorstellen, die des Oberstuhlrichters Worte auf den Vicegespan und seine Frau hervorbrachten; er schüttelte das Haupt und sprach, daß man von Tengelyi so etwas gar nicht denken könne; sie schien ganz beruhigt und bemerkte blos, daß, nachdem zwischen Macskaházy und dem Notär tödtliche Feindschaft bestanden habe, Niemand wissen könne, wozu unter diesen Verhältnissen ein so leidenschaftlicher Mann, wie Tengelyi, habe hingerissen werden können.

»Wir werden es schon herausbringen,« sprach Nyúzó selbstzufrieden; »ich werde es aus dem Juden herauspressen, wenn er auch ein noch einmal so schlechter Kerl wäre, als er wirklich ist.«

Der Jude heftete die Augen auf die Vicegespanin und sprach: »Wenn man so mit mir umgeht, so werde ich wirklich Alles gestehen.«

»Umgeht? Du wirst schon sehen, wie man mit Dir umgeht,« sprach Nyúzó zornig, »wenn Du nicht freiwillig sprichst, so werden wir Dich schon mit dem Haidukenstock bekannt machen.«

»Die gnädige Frau,« so sprach der Jude im flehenden Tone, »kennt mich schon lange, ich habe mich immer rechtschaffen aufgeführt, aber der Herr Oberstuhlrichter martert mich so, daß ich zuletzt lieber Alles auf mich nehme. Von rückwärts schlägt mich der Haiduk, vorn stößt mich der Herr Oberstuhlrichter in die Brust und rauft mir den Bart; ehe ich länger so Vieles leide, verwickle ich lieber wen immer in die Geschichte.«

Die Vicegespanin rief den Oberstuhlrichter an's Fenster und sagte ihm leise, daß sie den Juden für unschuldig halte, und daß sie meine, es wäre besser, gegen ihn keine gewaltsamen Mittel zu brauchen. Nyúzó schwur auf seine Seele, daß der Jude lüge und daß er mit ihm so sanft umgegangen sei als möglich; in seinem Innersten aber konnte er sich nicht sattsam über den besondern Geist der Réty'schen Familie verwundern. »Der Junge,« so dachte er bei sich, »beschützt die Zigeuner, die Alten protegiren die Juden; wenn das so fortgeht, wird die Gerechtigkeitspflege unmöglich werden.«

Indessen war die Leiche bei Seite geschafft worden; der Oberstuhlrichter begleitete den Vicegespan und seine Frau in das Zimmer des Fiscals.

Als Frau von Réty in das Zimmer trat, wo Alles, das Bett ausgenommen, welches man zugedeckt hatte, im alten Zustande geblieben war, konnte sie ihre Bewegung nicht verbergen. Der große Blutfleck, der auf einer Seite des Zimmers sichtbar war, nahe dabei das noch blutige Messer, welches von den Hausleuten auf denselben Platz zurückgelegt worden war, wo sie es beim ersten Eintreten gefunden, auf dem Fußboden zerstreute Schriften – Alles mahnte an die gräßliche That, deren Zeuge dieses Zimmer gewesen, und als die Vicegespanin ihre Blicke über diese Gegenstände hatte hinstreifen lassen, blieb sie entsetzt neben der Thür stehen. Ihr Mann und Nyúzó bemerkten dies und baten sie, lieber zurückzutreten, sie aber antwortete: »Es ist nur weibliche Schwäche, sonst nichts; seid unbesorgt, es wird schon vergehen. Wer kann dafür, Macskaházy war uns treu ergeben, ich kann mich nicht an den Gedanken gewöhnen, daß wir ihn auf diese schreckliche Weise verlieren mußten.« Und sie drückte ihre Bewegung nieder und suchte zuerst in der Schublade, nachher in den übrigen Kästen des Fiscals jene Schriften, um die sie so viel gewagt, ohne in ihren Besitz gelangen zu können, und von denen sie auch nur jetzt die wenigen Briefe fand, die, wie die Leser sich erinnern werden, Macskaházy vor seiner Ermordung bei Seite gelegt hatte.

Die Vicegespanin wußte sehr gut, daß diese wenigen Briefe nur ein kleiner Theil der Vándory'schen Schriften sein könnten; mit der größten Ungeduld durchstöberte sie Alles vergebens, und sie fing schon an zu glauben, daß Macskaházy die übrigen Schriften verbrannt und nur diese wenigen Briefe aufbewahrt habe, die – so wie sie aus dem flüchtigen Durchsehen des einen entnahm – allerdings hinreichend waren, die verlangten Wechsel von ihr zu erpressen – als das Gespräch ihres Mannes und Nyúzó's, die indessen alles Andere im Zimmer durchsucht hatten, ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich zog.

»Wie ich sage,« sprach Nyúzó, »die blutigen Schriften, die wir auf dem Fußboden gefunden, gehen alle Tengelyi an; die zwei Briefe dort auf dem Tisch sind überschrieben, der eine an den gnädigen Herrn, der andere an den gestrengen, ritterlichen Herrn Johann Tengelyi u. s. w., und hier finde ich zu meinen Füßen gerade jetzt eine halb blutige Rechnung, die ganz eigenhändig vom Notär geschrieben ist: »Bücher für Vilma 8 fl.,« setzte er lachend hinzu, »Elisabeth für Kleider 10 fl. – den Arbeitern u. s. w. Belieben Sie selbst zu lesen.«

»Die Sache ist unleugbar,« sprach Réty, als er die Schrift, aus welcher Nyúzó vorgelesen, in die Hand nahm, »dies ist Tengelyi's Schrift; aber wie kam sie hierher?«

»Was mich anbelangt,« sprach Nyúzó seufzend, »nach Dem, was ich beim Zeugenverhör vernommen, könnte ich es vielleicht sagen.«

»Unmöglich – ganz und gar unmöglich,« sprach Réty, der bei seinen Fehlern ein viel zu ehrlicher Mann war, als daß er ein solches Verbrechen vom Notär hätte glauben können. »Der Herr Oberstuhlrichter spricht nicht im Ernst; Sie wissen, daß ich Tengelyi nicht liebe – ich habe auch keine Ursache dazu – aber unter allen Menschen, die ich kenne, wäre er gewiß der letzte, von dem ich so etwas voraussetzen könnte; ich kann das Ganze nicht begreifen.«

Frau von Réty, die mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zugehört hatte, begriff den Zusammenhang sehr gut; nachdem sie wußte, daß die aus Tengelyi's Haus geraubten Schriften sich bei Macskaházy befunden, schien es ihr ganz natürlich, daß einzelne an den Notär gerichtete Briefe, oder andere Schriften, die Tengelyi für bedeutender hielt, hier vorgefunden worden; sie konnte nicht begreifen, wie es geschehen konnte, daß in Macskaházy's Zimmer einzelne Briefe Tengelyi's zerstreut herumlagen, wenn Macskaházy, wie sie schon zu glauben geneigt war, außer den jetzt von ihr gefundenen Briefen alle anderen Schriften verbrannt habe. Zudem waren die Tengelyi'schen Schriften, die man jetzt gefunden, von der Art, daß sie Niemand interessiren konnten, als den Notär selbst, und ihre Seele durchblitzte der Gedanke, ob die Schriften nicht dennoch wirklich geraubt seien, entweder durch Tengelyi selbst oder durch Jemand Anderen, den er hierzu angestiftet. In diesen Gedanken wurde die Vicegespanin noch bestärkt, als sie hörte, daß man bei dem Juden wohl Nachschlüssel, aber nichts Geraubtes und nicht die geringste Spur von Blut gefunden habe. Man findet selten Jemand, der im Bösen von einem Anderen Das nicht glauben möchte, wozu er sich entschlossen fühlt, und so hielt die Vicegespanin Tengelyi einer solchen That nicht ganz unfähig, und argumentirte weiter so: wenn die Schriften entweder durch den Notär oder durch einen Andern, den er gedungen, geraubt worden sind, so ist die sicherste Art, dieselben unschädlich zu machen, wenn der Verdacht gegen den Notär mehr und mehr verstärkt wird. Tengelyi hat selbst behauptet, daß seine Schriften durch Macskaházy entwendet worden sind; wenn er sie auch jetzt wieder in Händen hat, kann er sie doch nicht benützen, so lange der Mordverdacht gegen ihn besteht, denn wenn er sie vorzeigt, so wird der Verdacht beinahe bis zur Gewißheit gesteigert.

Nach diesen Gedanken, die in einem Augenblick ihr Haupt durchströmten, war ihr ferneres Betragen entschieden, und indem sie eines der blutigen, auf dem Tisch liegenden Papiere aufgehoben, betrachtet und gesagt hatte, daß dies ohne Zweifel Tengelyi's Schrift sei, sprach sie ihre Ueberzeugung dahin aus, daß die Sache auf jeden Fall streng untersucht werden müsse, wenn es auch nur darum wäre, weil Jemand Anderer des Mordes beschuldigt werde und sie nach ihrer Ueberzeugung den Juden für unschuldig halte. »Es kann sein,« setzte sie hinzu, »daß der Nichtswürdige im Hause stehlen wollte, wenn aber an ihm keine Blutspuren sichtbar waren, so ist es unmöglich, daß er den Mord begangen habe; das ganze Zimmer ist ja lauter Blut.«

»Untersuchen? – ja!« sprach Réty, der bei dem Gedanken, daß sein einstmaliger bester Jugendfreund eines solchen Verbrechens beschuldigt ward, so erschüttert war, daß er sogar jene Nachgiebigkeit vergaß, die er sonst gegen seine Frau bewies, »wir werden es untersuchen, ich selbst werde es untersuchen, damit diese unwürdige Verleumdung, die gegen Tengelyi vorgebracht wird, noch heute zunichte werde.«

»Ich bewundere diese ungewöhnliche Exaltation,« sprach Frau von Réty leise, aber bitter, als sie mit ihrem Mann die Stufen hinab wieder in das Zimmer des Koches ging, »bisher lag es nicht in Deiner Gewohnheit, dergestalt für Tengelyi Partei zu nehmen.«

»Dergestalt Partei nehmen,« antwortete der Vicegespan ebenfalls leise, aber sehr aufgeregt, »ich glaube, wir haben diesen Menschen mehr verfolgt, als wir vor Gott verantworten können – diesen Menschen, der einst mein Freund war, der jahrelang in meinem Hause gelebt hat, und der Alles in Allem genommen nichts gegen uns gethan hat, was wir ihm nicht reichlich vergolten haben; und der wird jetzt eines Verbrechens verdächtigt, auf dem der Tod steht – das ist mehr, als ich ruhig zu ertragen im Stande bin.«

Die Vicegespanin sah ein, daß bei dem Gemüthszustande ihres Mannes hierüber weiter nicht zu sprechen sei; sie bemerkte nur, daß hier von Verleumdung nicht die Rede sein könne, und daß auch sie ihrerseits nichts Anderes wünsche, als daß die Anzeichen gegen Tengelyi sich anders auslegen lassen möchten. Sie waren in das Zimmer des Kochs gekommen und der Vicegespan antwortete blos, daß dieser Wunsch gewiß in Erfüllung gehen werde.

Serer und der Geschworne waren von der Leichenbeschau schon zurückgekehrt, gingen im Zimmer auf und ab und sprachen von der Größe der Wunde, die der Chirurgus, weil er gehört, daß der Mord durch einen armen Juden begangen worden, natürlich als absolut tödtlich darstellte: wie in anderen Fällen, wo der Beschuldigte mächtig war, von ihm unleugbar bezeugt wurde, daß der Erschlagene nicht an der Wunde, sondern an einem im selben Augenblick erfolgten Schlagfluß, oder an irgend einem andern innern Gebrechen gestorben sei. Der Gefangene und der Haiduk standen neben ihm auf dem alten Fleck, und der Erstere warf scheue Blicke umher und erwartete in höchster Spannung den Augenblick, in welchem sein Verhör fortgesetzt werden würde.

Der Vicegespan ließ die Hausleute noch einmal vorrufen, und nachdem er sie auf die Folgen ihrer Aussage aufmerksam machte, befragte er sie noch einmal über die Umstände bei Mackaházy's Tod. Die Köchin brach in Jammer aus, konnte aber nicht leugnen, daß es ihr so geschienen, als ob der Herr Fiscal Tengelyi genannt habe, als der Koch ihn um seinen Mörder befragte, daß sie sich aber gewiß getäuscht haben müsse, denn sie sei ein dummes Weib, die Alles nur halb verstehe. Gleichmäßig sprachen der Beschließer und der Hausknecht, und obgleich die Uebrigen bei ihrer entgegengesetzten Aussage ebenfalls verharrten, so leugnete doch Niemand, daß der Sterbende, als ihm der Jude vorgeführt wurde, den Kopf geschüttelt und die ganze Zeit über außer Tengelyi's Namen nichts gesprochen habe. Auch stimmten Alle darin überein, daß der Fiscal am Abend vor der Ermordung mit dem Notär scharf aneinander gekommen und von diesem mit dem Stocke aus dem Hause getrieben worden sei.

»Aber der Jude muß Alles wissen,« sprach der Vicegespan, der in tiefe Gedanken versunken im Zimmer eine Weile auf- und abgegangen war, »im Ofenloch hat man ihn gefunden, das kann er nicht leugnen; wenn er auch keinen Theil am Morde genommen hat, so mußte er doch Alles hören. Nichtswürdiger!« sprach er zu Jenem gewendet, »was hast Du in Deinem Verstecke gesucht?«

»Du bist stehlen gekommen, nicht wahr?« sprach Frau von Réty in sichtlicher Bewegung dazwischen, »leugne, wenn Du es wagst, nachdem man die falschen Schlüssel bei Dir gefunden!«

Der Jude hatte schon bemerkt, daß der Verdacht nicht einzig und allein auf ihm, sondern auch auf Tengelyi laste, er faßte die Worte der Vicegespanin gehörig auf, stürzte auf die Knie und gestand, daß er allerdings habe stehlen wollen. »Das gnädige Fräulein hat viele Kostbarkeiten,« sprach er flehend, »neulich habe ich sie gesehen, als ich die Fenster reparirte; ich bin ein armer unglücklicher Mann und dachte bei mir, wenn ich mir die verschaffen kann, so ist mir für immer geholfen; das gnädige Fräulein war nicht zu Hause. Ich bitte, meine gnädigen Herren, haben Sie nur jetzt mit mir Erbarmen, ich will es nie mehr thun, ich will ein ehrlicher Mann werden.«

»Possen!« unterbrach ihn mit Hohngelächter der Oberstuhlrichter, »jetzt wäre es ihm freilich recht, wenn man ihn nur für einen Dieb hielte, denn wenn der Mord auf ihn kommt, so wird er gehenkt; aber so viel ist doch gewiß, daß er auch am Morde Theil gehabt hat.«

»Aber ich bitte,« flehte der Jude noch immer kniend, »wie hätte denn ich am Morde Theil gehabt? Der Herr Fiscal hat ja wohl zehnmal mit dem Kopfe gedeutet daß ich ihn nicht umgebracht habe; und wie hätte ein so schwacher Mensch wie ich einen so starken Herrn wie Macskaházy umbringen können?«

»Jude,« sprach Nyúzó, »suche eine andere Entschuldigung. Von Macskaházy's Stärke höre ich jetzt zum ersten Male in meinem Leben reden.«

»Ja wohl, ich bitte unterthänig,« fuhr der Gefangene immer bittend fort »aber wenn man Jemand umbringen will, so geht man doch nicht ohne Waffen hin, wie man mich gefunden hat?«

»Wir haben ein großes Küchenmesser im Ofen gefunden,« fiel ihm der Koch in's Wort.

»Ich habe wirklich nicht gewußt, daß es dort ist,« seufzte der Gefangene, »vielleicht gehört es zum Hause und Jemand hat es dort vergessen.«

»Versteht sich, daß es zum Hause gehört,« fiel der Koch wieder ein, »vorgestern hast Du es in der Küche gestohlen.«

»Aber ich bitte unterthänig,« fuhr der Jude in seiner Rechtfertigung fort, »war das Messer, was Sie im Ofen gefunden haben, blutig? Und wenn ich den Herrn Fiscal mit dem Messer umgebracht hätte, wäre ich nicht auch blutig gewesen?«

Hier bemerkte der Beschließer, daß die Juden große Meister seien. »Vor ein paar Tagen war einer im Hause,« sprach er, »der Jeden seinen Namen auf Papier schreiben ließ, und man hatte sich kaum umgedreht, so war die Schrift verschwunden. Wer weiß, ob der Glaser nicht diese Kunst von ihm gelernt, um so mehr, da es weltbekannt ist, daß Niemand Blutflecken leichter auswäscht, als Diebe.«

Dieser Vernunftgrund brachte außer bei dem Geschwornen und der Köchin keine große Wirkung hervor, und der Vicegespan gab selbst zu, daß nach der Masse von Blut, die Macskaházy verloren, es sich kaum begreifen lasse, wie sein Mörder ohne Blutspuren hätte bleiben können. »Aber,« setzte er hinzu, indem er sich zum Juden wandte, »wenn Du ihn auch nicht umgebracht hast, so kannst Du doch nicht leugnen, daß Du im Ofenloch warst! Du hast Alles gehört, Du mußt den Mörder kennen!«

»Freilich habe ich es gehört,« sprach der Jude seufzend, »Alles habe ich gehört, vom Anfang bis an's Ende, mich schaudert noch, wenn ich daran denke! Zehnmal habe ich dem armen Herrn zu Hilfe eilen wollen, aber ich habe mich gefürchtet, und dann habe ich bedacht, daß es auf mich kommt, wenn ein Unglück geschieht und man mich dabei findet.«

»Und was hast Du gehört?« fiel die Vicegespanin lebhaft ein, »Du kannst am besten sagen, ob es wirklich Tengelyi war, wie es der Oberstuhlrichter zu vermuthen scheint,« setzte sie hinzu, gleichsam ihre Rede verbessernd, als sie den Blick bemerkte, den ihr Mann bei dieser Frage auf sie warf.

Der Vicegespan wendete sich ebenfalls zum Juden und sprach: »Wenn Du etwa glaubst, daß Du Dir hilfst, wenn Du einen ehrlichen Mann in die Sache mit verwickelst, so irrst Du Dich sehr; Du magst sagen, was Du willst, der Hauptverdacht lastet immer auf Dir.«

Der Jude war zu klug, als daß er unter diesen Umständen geradezu angeklagt hätte; er sagte also nur, daß der Mörder mit verstellter Stimme gesprochen und gewisse Schriften zurückbegehrt habe; furchtsam setzte er hinzu: »Ich habe auch Herrn Tengelyi ein paar Mal nennen gehört, aber wie ich sage, den Mörder habe ich nicht erkannt. Jene, die ihn verfolgt haben, werden es vielleicht besser sagen können.«

Der Kutscher Ferkó, der bis jetzt bei dem Verhöre nur als Zuhörer zugegen war, wurde nun vom Vicegespan aufgefordert, was er wisse, umständlich zu erzählen. In nicht geringer Verlegenheit kratzte er sich den Kopf. Es giebt Menschen, die Alles, was nicht zu ihrer Pflicht gehört, mit grenzenlosem Eifer vollziehen. Zu diesen gehörte auch Ferkó. Als im Hause Lärm entstanden, war er der Erste, der seine Rosse bei offener Thür sich selbst überließ, und mit einem Knecht, der eben bei ihm war, den Räuber verfolgte. Daß der Stall, in welchem er eine Kerze brennen ließ, mittlerweile zehnmal hätte in Brand gerathen können, kümmerte ihn gar nicht; als aber seine Verfolgung zu einem ganz andern Resultate führte, als er erwartet hatte, und er, statt den Räuber zu fangen, von Spur zu Spur bis in Tengelyi's Haus kam und endlich den Notär selbst sah, verschwand der Eifer gänzlich, den der Kutscher während der Verfolgung gezeigt hatte, und es entstand in ihm nur der Gedanke, ob es für ihn nicht besser gewesen, wenn er gar nichts gesehen hätte? Daß er in seinem Innersten Verdacht gegen den Notär hegte, kann Niemand wundern; aber sei es Furcht, die in einem Lande, wie das unsere, wo die persönliche Sicherheit des Niedrigerstehenden durch das Gesetz nicht vollständig gesichert ist, den Armen abhält, gegen einen Mächtigern aufzutreten; sei es, daß er Macskaházy's Tod für kein so großes Unglück hielt, wegen dessen es der Mühe werth gewesen wäre, den Notär in Verlegenheit zu bringen, dem er ohnedies Dank schuldete: Ferkó hatte sich entschlossen, daß er nichts sagen würde, wodurch der Notar in Verdacht gerathen könnte, und da dieser sein Entschluß von seinem besten Freunde, dem Zigeuner Peti nämlich, gutgeheißen worden war, erzählte er das Ganze nur so, als ob er den Räuber bis an das Ufer der Theiß verfolgt, dort seine Spuren verloren hätte, und dann mit seinen Gefährten zum Notär gegangen wäre, um ihm das Ganze zu berichten.

Ohne Zweifel würde diese Erzählung Allen genügt haben, wenn nicht der Knecht, der eben auch zugegen war – und der mit Ferkó übereingekommen war, ganz so zu reden wie er, nur um sich durch eine besondere Aussage auszuzeichnen – von dem Stocke gesprochen hätte, den sie auf dem Felde gefunden, und der noch beim Fährmann war. Als nun der Fährmann gerufen wurde, kamen nacheinander alle Tengelyi belastenden Umstände heraus, und das Ganze schien um so verdächtiger, je mehr sich die Befragten, der Fährmann nicht weniger als Ferkó, bemühten, den Verdacht vom Notär abzuwenden.

»Wo ist denn aber der Stock, von dem Ihr redet?« sprach Nyúzó, in dessen Zügen sich die größte Zufriedenheit über den Verlauf der Untersuchung abspiegelte.

»Ich bitte unterthänig,« antwortete der Fährmann, »wir haben den Stock auf der Mitte der Straße gefunden, als wir von der Theiß nach Herrn Tengelyi's Haus gingen; Alle sahen es, er lag auf der Straße.«

»Aber wo ist er?« fragte Nyúzó abermals scharf.

»Ich bitte unterthänig,« antwortete der Andere, »ich habe ihn draußen in der Küche gelassen; mit einem Stock kann ich doch vor Euer Gnaden nicht erscheinen.«

»Bringt ihn auf der Stelle herein,« befahl der Oberstuhlrichter, und der Fährmann ging hinaus und kam nach ein paar Minuten zurück und brachte einen schwarzen Stock, dessen Knopf ein Fokos von Messing war. Wenn ein Zauberer mit seinem Stabe in der Gesellschaft erschienen wäre, so würde er kaum eine größere Wirkung hervorgebracht haben, als der Fährmann, der jetzt den Stock dem Oberstuhlrichter übergab. Mit triumphirendem Gesichte übergab Nyúzó den Stock dem Vicegespan, der die Hände zusammenschlug und in Erstaunen versunken war – Frau von Réty wechselte leise ein paar Worte mit dem Geschwornen, und der Koch rief beinahe unwillkürlich aus: »Dies ist Herrn Tengelyi's Stock!« Der Fährmann und die übrigen Anwesenden verwunderten sich im Stillen.

»Ihr werdet beeidet werden,« sprach Nyúzó zum Fährmann und zum Kutscher, »daß dieser Stock derselbe ist, der gestern gefunden worden.«

Der Fährmann, der in seinem Innern sich selbst schon hundertmal verflucht hatte, daß er den Stock nicht in die Theiß geworfen, bemerkte in tiefer Unterthänigkeit, daß der Stock zwar allerdings derselbe sei, den sie gefunden, daß aber weder er noch sein Gefährte gesagt haben, daß der Mörder diesen Stock verloren habe, denn nachdem sie den Fokos in der Nähe von Tengelyi's Garten gefunden, sei es wahrscheinlich, daß ihn der Notar denselben Tag verloren habe. Nyúzó erinnerte hierauf den Sprechenden: er möge seine Beredtsamkeit für die Zeit aufbewahren, wenn er befragt werden würde. Hierauf wurden alle Anwesenden entlassen, mit dem Bedeuten, das Haus bei großer Strafe nicht zu verlassen.

Die Hausleute gingen traurig nach einander fort, der Gefangene wurde abgeführt, und im Zimmer blieben nur Réty, seine Frau, der Oberstuhlrichter und der Geschworne.

Der Stuhlrichter wendete sich zu Réty: »Was habe ich gesagt, ich glaube die Sache ist klar.«

»Es kann kein Zweifel sein,« sprach Frau von Réty und hob den Fokos neuerdings vom Tische auf, »ich habe ihn hundertmal in Tengelyi's Händen gesehen, in dem Messing sind sogar die Anfangsbuchstaben seines Namens eingegraben T. J. Es ist entsetzlich.«

»Ich weiß nicht,« sprach Réty mit großer Bewegung, »die Anzeichen sind alle gegen Tengelyi, aber in meinem Innern sagt etwas, daß es unmöglich ist.«

»Aber ich bitte Sie, Herr Vicegespan,« sprach Nyúzó und zählte die Verdachtsgründe an den Fingern her: »Tengelyi geräth gestern mit Macskaházy in Streit und schwört Rache; in der Nacht wird Macskaházy umgebracht; als man den Sterbenden fragt, wer ihn umgebracht, nennt er Tengelyi. Der Jude, von dem ich jetzt selbst glaube, daß er nur gekommen sei, um zu stehlen, hört, daß der Mörder von Macskaházy Tengelyi's geraubte Schriften fordert; der Kutscher verfolgt den Mörder gleich auf der That, verliert seine Spur auf einen Augenblick an den Ufern der Theiß, und wie er mit dem Fährmann weiter sucht, kommt er von Tritt zu Tritt bis zum Zimmer des Notärs, den sie um Mitternacht noch angezogen, ganz kothig und in der größten Aufregung finden. In Macskaházy's Zimmer finden wir an Tengelyi lautende Briefe und andere ihn betreffende Schriften ganz blutig – und jetzt dieser Stock. Waren jemals so viele Anzeichen vereinigt?«

»Das gebe ich zu,« erwiderte der Vicegespan, und schüttelte bedenklich das Haupt, »aber bei mir beweist das Alles nichts, gegenüber von Tengelyi's Charakter, den ich seit 30 Jahren kenne.«

»Das ist stark,« sprach Frau von Réty mit scharfer Stimme, »mir scheint, Du bist wieder des Notärs innigster Freund geworden.«

»Sein Freund bin ich nicht geworden,« sprach der Vicegespan ernst, »aber so etwas werde ich nie von ihm glauben.«

»Ich werde mit weitern Beweisen dienen,« sprach Nyúzó, »ich gehe gleich in sein Haus und werde ihn und die Hausleute verhören.«

»Aber haben Sie, Herr Oberstuhlrichter, überlegt, daß –« sprach der Vicegespan, aber seine Frau unterbrach ihn mit der Bemerkung, daß Nyúzó Recht habe, denn sonst könnten die Spuren des Verbrechens vernichtet werden.

»Aber Tengelyi ist ein Edelmann,« sprach Réty abermals.

»Er sagt, daß er ein Edelmann sei,« ergänzte die Vicegespanin, »und in der Congregation ist entschieden worden, daß man ihn als einen Nichtadeligen behandeln wird, bis er seinen Adel beweist. Gehen Sie nur gleich in sein Haus,« setzte sie zu Nyúzó gewendet hinzu, »wenn Sie ihn hierher führen ließen, würde das ganze Dorf zusammenlaufen, und wer weiß, vielleicht ist der Notär doch unschuldig, ich möchte ihn nicht beschämen.«

Nyúzó und der Geschworne küßten ihr die Hand und entfernten sich, im Zimmer blieb nur der Vicegespan und seine Frau.

»Und glaubst Du wirklich,« sprach der Erstere ernst, indem er sie bei der Hand nahm, »daß Tengelyi einer solchen That fähig sei?«

»Und warum nicht?« fragte die Frau und heftete ihre Augen auf Réty.

»Aber Tengelyi's ganzes bisheriges Leben, sein Charakter, den Du so gut kennst, wie ich.«

»Ich weiß von Tengelyi nur Eines,« sprach die Vicegespanin schneidend, »daß er mein Feind ist, und glaube nicht, daß ich dies je vergessen werde!« Mit diesen Worten entfernte sie sich.

Rétys Herz erfüllte sich mit Entsetzen, als er jetzt die Seele dieser Frau in ihrer Nacktheit sah; es fiel ihm ein – und es lag wie ein Fels auf seinem Herzen – daß er bisher sein ganzes Leben nach dem Wunsche dieses herzlosen Geschöpfes eingerichtet, welches selbst in diesem Augenblicke nicht zu verzeihen im Stande war. – »Und wenn Tengelyi die entsetzliche That doch begangen hätte?« so dachte er, »was hat ihn dazu gebracht, was hat ihn dazu beinahe genöthigt, als jene Verfolgungen, die ich in verächtlicher Schwäche erlaubt habe? – Und warum? O, wenn die Vergangenheit in unserer Macht wäre, oder wenn ich je hätte denken können, daß Alles so enden wird. – Jetzt aber werde ich es wenigstens nicht dulden, daß dieses Weib ihre Verfolgungen fortsetze. – Nyúzó hat längst bemerkt, daß er sich meiner Frau gefällig bezeigt, wenn er Tengelyi angreift; er wird gegen den Unglücklichen die ganze Strenge seines Amtes aufbieten, diesmal aber werde ich ihn schützen!« Und mit diesem Entschlusse eilte der Vicegespan alsbald zu dem Hause des Notärs.


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