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Sechsunddreissigstes Kapitel.

Angelsachsen. Aldhelm.

Nicht aber bloss aus zweiter Hand, durch die Iren, empfingen die Angelsachsen die aus dem heidnischen Alterthum und der christlichen Vorzeit überlieferte Bildung. Wie es doch vornehmlich die italische Mission Gregors gewesen 623 war, die sie christianisirte, so blieb auch die innigste Beziehung zu dem Papstthum und Italien bestehen: Bischöfe und Aebte erhielten sie von dort, worunter gerade die gelehrtesten Männer, auch Nicht-Italiener, selbst aus dem Oriente, waren, die den grössten Eifer hatten, so wissbegierigen Schülern ihre Kenntnisse mitzutheilen; geradezu epochemachend Selbst Paulus Diaconus erwähnt sie in seiner Hist. Langob. l. V, cap. 30. wirkte in dieser Beziehung die Sendung des zum Erzbischof von Canterbury geweihten tarsischen Mönches Theodor und seines Begleiters Hadrian Ende der sechziger Jahre des siebenten Jahrhunderts, die, im Besitze der griechischen wie der lateinischen Sprache, viele Schüler, auch in beiden Sprachen, heranbildeten. Andererseits zog wieder Italien, diese Heimath ihres Glaubens und Wissens, die Gebildeten oder Frommen der Angelsachsen mächtig an und führte gar manchen von ihnen über die Alpen, von denen die meisten doch mit Kenntnissen und Büchern bereichert heimkehrten. So wurde gleichsam die antik-christliche Bildung Italiens, die in diesem Lande selbst, wie auf einem ausgesogenen, noch nicht wieder gedüngten Boden unfruchtbar blieb, auf den frischen germanischen Stamm gepfropft, um neue Blüthen und Früchte zu treiben.

Dieser Entwickelungsgang der angelsächsischen Bildung, den weiter im Detail zu betrachten wir noch Gelegenheit finden, tritt uns schon in dem Leben des ersten in der christlich-lateinischen Literatur bedeutenden Mannes dieser Nation, Aldhelm S. Aldhelmi episc. Schireburnensis opera quae exstant omnia e codd. mss. emendavit, nonnulla nunc primum edid. Giles. Oxford 1844. (Prolegg.) – – Wright, Biographia britannica literaria. Anglo-saxon period. London 1842, p. 209 ff. und 44 ff. – Hahn, Bonifaz und Lul, ihre angelsächs. Correspondenten etc. Leipzig 1883. (S. 1–50). – Manitius, Zu Aldhelm und Baeda. Wien 1886 (Aus den Sitzungsber. der phil.-hist. Cl. der Wiener Akad. Bd. CXII)., entgegen. Er war in Wessex um die Mitte Diese Annahme scheint sich mir mit den verschiedenen sich widersprechenden Daten seines Lebens am ehesten zu vereinen; wenn man mit Giles 639 als Geburtsjahr ansetzt, so bleibt unerklärlich, wie Aldhelm selbst in einem Briefe Hadrian den Lehrer seiner › rudis infantia‹ nennen konnte, denn dies › infans‹ wäre 31 Jahre alt gewesen; das Jahr 656, das Wright annimmt, ist dagegen im Hinblick auf andere Daten zu weit gegriffen: so scheint mir das Richtige in der Mitte zu liegen. des siebenten Jahrhunderts geboren, nahe verwandt mit dem Königshause. 624 In der Schule jenes Abtes Hadrian in Kent erwarb er sich die festen Grundlagen einer für jene Zeit seltenen gelehrten Bildung, und namentlich die von dem spätern Mittelalter so bewunderte Kenntniss der griechischen Sprache. In seine Heimath zurückgekehrt, begab er sich in das noch nicht lange von einem Schotten gegründete Kloster Malmesbury, wo er bei diesem seine Studien mit Eifer fortsetzte; er wurde selbst Mönch dort, und später zum Abt gewählt. Als solcher unternahm er auf die Einladung des Papstes Sergius um das Jahr 690 eine Romfahrt. Welches Ansehen Aldhelm schon genoss, zeigt auch die hervorragende Rolle, die er auf einer Synode einige Jahre später in seinem Vaterlande spielte. So nimmt es nicht Wunder, dass, als 705 das Bisthum von Wessex in zwei getheilt wurde, das eine, das von Sherborne (später nach Salisbury übertragen) ihm zufiel. Nur vier Jahre aber bekleidete er diese Würde; er starb 709 und wurde in Malmesbury begraben, dessen Abt er geblieben und wo die Hauptstätte seiner Wirksamkeit gewesen war, die nicht zum geringsten sicher im Unterricht bestand: hatte doch das Kloster selbst sich aus der Schule eines Eremiten entwickelt. Dort verbreitete Aldhelm die Kenntnisse weiter, die er Hadrian verdankte, Malmesbury aber blieb von da an einer der vornehmsten Sitze gelehrter Bildung in England bis in das spätere Mittelalter.

Dass das Lehren Aldhelms innerer Lebensberuf war, bezeugen auch seine Werke, selbst die, welche nicht der Wissenschaft dienen. Es sind ihrer indessen überhaupt, zumal der erhaltenen Doch ist unter den verloren gegangenen nicht mit Manitius S. 6 ein Werk in 6 Büchern (!) De nomine anzunehmen auf Grund einer von ihm missverstandenen Stelle der Epist. ad Acircium, wo offenbar das 6. Buch des Priscian gemeint ist., nicht viele. Aber ein paar fanden, namentlich in seinem Vaterlande, eine ausserordentliche Verbreitung und gehörten bei den Angelsachsen zu den beliebtesten Büchern bis zu der normännischen Eroberung. Das eine davon ist die Prosaschrift: De laudibus virginitatis sive de virginitate sanctorum . Ueber die Quellen s. Manitius, S. 71 ff.; er weist da namentlich Benutzung von Rufins Hist. eccl. und der Vitae patrum nach. Sie ist an eine Aebtissin Hildelitha und die Nonnen ihres Klosters gerichtet, die im Eingang namentlich aufgeführt werden. Aldhelm dankt damit für Schreiben, die er von ihnen 625 empfangen. Er preist zunächst ihre Tugenden, um daran Lehren und Beispiele zu knüpfen, und durch diese zugleich die Jungfräulichkeit selbst zu verherrlichen. Dies ist der Gang der Schrift. Um auf das Einzelne einzugehen, so vergleicht im Beginn der Verfasser jene Nonnen in einer oft ganz poetischen Prosa, die, möchte man sagen, in allen Farben kokettirend schillert, bald als geistige Ringkämpfer, Gymnosophisten, wie er sie nennt, mit denen der olympischen Spiele, in deren Schilderung er hier dann seine Gelehrsamkeit glänzen lässt, bald mit den fleissigen Bienen, insofern sie von allen Seiten Kenntnisse sich sammelten. Und hier (c. 4) sehen wir recht, wie die zu dem begabten germanischen Volke eben frisch verpflanzten Studien auch schon in den Nonnenklöstern gepflegt wurden: sie erstreckten sich auch dort nicht bloss auf die Bibel und ihre Erklärung, sondern auch auf ›die alten Fabeln der Historiographen und die Reihe der Chronographen‹ – also alte und mittelalterliche Historiographie, auf die Grammatik, die Orthographie und die Metrik, dank offenbar wohl nicht wenig dem Einfluss des Aldhelm selbst. Aber nicht nur im Fleiss, auch im Gehorsam und der Keuschheit gleichen diese Nonnen den Bienen. Wie der Honig alle Süssigkeiten noch übertrifft, so die Jungfräulichkeit alle Tugenden – wenn auch nicht die Ehe darum verachtet werden soll: sie ist nur ein niedrigerer Grad. Aber die Jungfräulichkeit darf deshalb nicht zur hochmüthigen Ueberhebung führen. Der Hochmuth ist das schlimmste der acht Hauptlaster, mit denen die Asketen zu kämpfen haben: indem der Verfasser dieser hier kurz gedenkt, verweist er zu weiterer Belehrung auf das Werk Cassians und die Moralia Gregors. Die Jungfräulichkeit allein thut es also nicht, sie bedarf der Unterstützung der andern Tugenden. Nachdem dann der Autor noch einmal zu ihrem Preise zurückgekehrt ist, um namentlich durch eine Reihe von Vergleichungen zu zeigen, wie sich dieselbe über die beiden niedrigern Stufen, der Ehe, der Keuschheit, als dritte erhebt, will er sich nunmehr bemühen, wie er sagt, ›die purpurnen Blumen der Schamhaftigkeit von der Wiese der heiligen Bücher pflückend, den schönsten Kranz der Jungfräulichkeit mit Christi Hülfe zu winden‹.

So folgt dann von hier ab (c. 20) eine Reihe von Asketen als ›Exempel‹, die meist nur kurz charakterisirt werden; aus dem Alten Testament: Elias, Elisaeus, Jeremias, Daniel, die 626 drei Männer im Ofen; aus dem neuen Bunde nur eine Auswahl, da hier die Beispiele unzählige wären, nämlich: Johann der Täufer, Johann der Evangelist, Didymus (Thomas), Paulus, Lucas, Clemens von Rom, Papst Sylvester, von welchem ausnahmsweise vielerlei erzählt wird, so seine Besiegung des die Pest aushauchenden Drachen in Rom, seine Heilung des Constantin vom Aussatz, seine Disputation mit zwölf Magistern der Juden, seine Erscheinung im Traume jenes Imperators, dem er den Bau von Constantinopel vorschreibt (c. 25); ferner Ambrosius (wo seines Biographen Paulin gedacht wird), Martin von Tours, Gregor von Nazianz, Basilius, die ersten Einsiedler Antonius und Paulus, Hilarion, Benedict, Malchus, Narcissus, Athanasius und sein Lehrer Alexander, Babylas, Cosmas und Damianus, die Märtyrer Chrysanthus und Julianus, der letztere aus den Zeiten Diocletians, der Mönch der nitrischen Wüste Amos, und Apollonius aus Aegypten zur Zeit Julians: bei den letzten, weniger bekannten, verweilt Aldhelm länger. Darauf werden von c. 40 an die folgenden Frauen vorgeführt: Maria, Caecilia, Agatha, Lucia, Justina, Eugenia, Agnes, Thecla und Eulalia, Scholastica, Christina und Dorothea, Constantina, des Kaisers Constantin Tochter, Eustochium und Demetrias, die drei Schwestern Chionia, Irene und Agape, Märtyrerinnen unter Diocletian, denen der lüsterne Richter vergeblich nachstellt, um statt ihrer Küchenutensilien zu küssen und zu umarmen (c. 50), zwei andere Märtyrerinnen unter Valerian, auch Schwestern, Rufina und Secunda, endlich noch Anatholia und Victoria, die unter Decius litten, von welchen die letztere einen Pest-Drachen verjagt. – Der Verfasser weist dann noch auf ein paar bekannte Beispiele der ›Keuschheit‹ im alten Bunde hin, wie Joseph (c. 53 ff.), um schliesslich noch die Nonnen unter Berufung auf Gregor und Cyprian vor aller Pracht und Gefallsucht in Kleidung und Putz zu warnen, wie sie sich häufig bei Klosterfrauen, ja selbst bei Geistlichen fänden: und hier (c. 58) entwirft Aldhelm ein merkwürdiges Bild der excentrischen Moden seiner Zeit. Indem er für diese Strafpredigt aber um Verzeihung bittet, weil sie sich gegen keine bestimmte Person richte, scheint es doch, dass auch seine Nonnen sie wohl etwas verdienten. – Am Ende (c. 60) verheisst der Verfasser, wenn dies Werk ihren Beifall finde, die Jungfräulichkeit auch in Hexametern zu besingen.

627 Dies Versprechen hat er in der That denn auch gehalten in einem Gedicht De laudibus virginum von 2905 Hexametern, wovon mit Unrecht die letzten 459 als ein besonderes Werk unter dem Titel De octo principalibus vitiis in den Handschriften und Ausgaben abgezweigt sind. Dem Gedicht geht eine Praefatio an eine Aebtissin Maxima voraus von 38 Hexametern, welche ein Acrostichon und Telestichon zugleich sind, von den Buchstaben des ersten Verses gebildet; derselbe aber besagt, dass das Gedicht die ›keuschen Tironen‹ besingen soll. Abgesehen indess vom Eingang, worin zu diesem Zweck Gott, an der Stelle der castalischen Nymphen, um Beistand angefleht und von dem Metrum selbst ein genaues Bild gegeben wird, ist die Dichtung bloss eine mehr oder weniger getreue Bearbeitung des eben betrachteten Prosawerkes: nur werden einzelne Partien kürzer, andere ausführlicher behandelt, manches weggelassen, anderes hinzugefügt. Auch hier bilden das Gros des Buches, wie es hier der Dichter selbst ja im Vorwort als das eigentliche Thema bezeichnet, die Beispiele der Jungfräulichkeit, es sind mit geringen Abweichungen So fehlen in dem Gedicht Thomas und Malchus, während dagegen der ägyptische Einsiedler Johannes vor Benedict, und nach dem letztern das Märtyrerpaar Gervasius und Protasius eingefügt sind. Auch in der Erzählung von den frommen Helden finden sich hier und da einmal kleine Zusätze und Weglassungen, unter den erstern sei erwähnt bei Papst Sylvester die Sage von dem Magier Zambrus, einem der 12 Magister. Bei Elias ist Enoch erwähnt, der mit ihm ›die Banner des Donnerers gegen den Antichrist schwingt‹. dieselben, und in gleicher Weise vorgeführt: es wird auch geradezu auf die Prosa einmal verwiesen. In Betreff der Namen der drei Schwestern, an deren Stelle der Richter die Töpfe liebkost; es heisst da: Quarum per prosam descripsi nomina dudum. Ed. Giles, p. 195 unten. – Diesem Haupttheil geht einerseits voraus die Betrachtung der drei Grade des Menschengeschlechts, der Verheiratheten, der Keuschen und der Jungfräulichen, wie in der Prosa; andererseits aber folgt ihm hier der Kampf mit den acht Hauptlastern, welcher dort schon im Anschluss an jene Betrachtung und nur kurz berührt wird. Bei der Ausführung dieses Theiles schwebt dem Dichter die Psychomachie des Prudentius vor, an welche einzelne Stellen direct erinnern Was auch schon in der Prosa der Fall ist, s. l. l. p. 13.: er lässt die einzelnen Laster wie Heerführer 628 auftreten, welche die Virginitas bekämpft, aber das Bild wird nicht weiter ausgeführt, oder nur festgehalten. Im übrigen folgt Aldhelm hier, wie schon oben gesagt, Cassian. Zum Schluss fleht er die heiligen Asketen, die Schutzpatrone der Jungfräulichkeit, um ihre Fürsprache im Himmel an und um Vertheidigung gegen böswillige Kritiker seiner Verse, die die Schriften der Autoren wie der Bock die Reben abnagen! Und doch getröstet er sich, dass nur der Furchtsame die Pfeile ihrer Reden zu scheuen habe, der sich das Haupt nicht mit dem Helme des Metrums, den Rücken nicht mit dem Panzer der Prosa zu schützen verstehe. Also damals schon auch eine literarische Kritik! Endlich bittet Aldhelm die ›Leser der Prosa und des Metrums‹, ›das Werk‹ gütig aufzunehmen, und in ihr Gebet ihn selbst einzuschliessen. Dieser Schluss zeigt noch viel mehr als der Eingang des Abschnitts: › De octo pr. vit.‹, dass letzterer durchaus zu dem Gedichte › De laud. virg.‹ als integrirender Theil gehört, das ohne ihn auch gar keinen Schluss haben würde. Ganz offenbar ergibt es sich schon aus den die Schlusspartie einleitenden, die ganze Dichtung recapitulirenden Versen:
        Cum sit digestus sanctorum sexus uterque,
        Alta supernorum qui scandunt arva polorum,
        Octonusque simul peccati calculus atri
        Expositus gracili verborum clave patenter – –

Zugleich ersehen wir ans dem oben von uns zuletzt Bemerkten, dass die Dichtung mit dem Prosawerk als ein › opus‹ von dem Verfasser betrachtet wurde, das, wie er dort noch hinzufügt, eben aus zwei › libelli‹ besteht ( quod geminum constat discretis forte libellis).

Das andere Werk Aldhelms, das von besonderer Wirkung, namentlich auf seine Landsleute war, ist seine Räthselsammlung. Diese aber gab er in der Enveloppe, so möchte man am bezeichnendsten sagen, einer gelehrten Prosaschrift heraus, zu der sie nur in einer formellen Beziehung steht. Er sandte nämlich die Räthsel als ›kleine metrische Geschenke‹ an seinen geistlichen Sohn und Schüler ›Acircius, den Herrscher des nördlichen Reiches‹, wie die Aufschrift der Epistula besagt, womit niemand anders als König Alfred von Northumberland gemeint ist. Von dieser Epistula ad Acircium bildet die Räthselsammlung nur den Kern. Nach einer Praefatiuncula (aber von zwölf langen Seiten), welche eine Betrachtung der mystischen Bedeutung der Siebenzahl enthält, wird zunächst als Einleitung zu den Räthseln von Aldhelm auf seine Vorgänger, den ›Poet 629 Symphosius‹ und den Philosophen Aristoteles hingewiesen, denen er die Anregung zu dem Werke verdanke, dies kurz charakterisirt, die Personification lebloser Dinge – indem die zu errathenden selbst sich schildern – auch durch die Bibel gerechtfertigt, und die mannichfaltige Bildung des Hexameters erklärt und durch Beispiele aus den alten wie den christlichen Dichtern sehr ausführlich erwiesen – wobei der Autor der klareren Erörterung wegen Videor itaque hoc planius et apertius posse patefacere, si per interrogationem et responsionem pauxillulum reciprocis vicibus stylus varietur. Ed. l. p. 233. nach dem Vorbild Augustins und Isidors Von denen er die betreffenden Werke anführt, an ihrer Spitze die Soliloquien Augustins. Vgl. oben S. 241 und S. 595. – Auf die Form des Dialogs mussten ihn aber auch die alten Grammatiker, insonderheit der von ihm benutzte Audax führen. Ueber diesen und andre grammatische Quellen, aus denen Aldhelm hier schöpfte, s. Manitius S. 57 ff. zur Form des Dialogs zwischen Lehrer und Schüler übergeht. Erst nach dieser Einleitung folgt die Räthselsammlung, an deren verheissene Mittheilung der Schüler erinnert. Nach ihrer Beendigung wird aber die metrische Conversation wieder aufgenommen, indem alle einzelnen Versfüsse jetzt durchgegangen werden, woran sich noch ein paar Worte über den Accent reihen. Zum Schluss fordert Aldhelm den König auf, mit ebenso vielem Fleiss diese Metrik durchzustudiren, als er selbst sie ausgearbeitet mitten zwischen so vielen andern weltlichen und geistlichen Geschäften, der erste von germanischem Stamme auf diesem Gebiete. Er stellt Alfred das Beispiel des Theodosius vor Augen, welcher Weltherrscher 18 Bände des Priscian eigenhändig abgeschrieben.

Und in der That war diese Einführung in die lateinische Metrik, welche auf die Werke der alten Grammatiker sich gründete, eine für jene Zeit sehr verdienstliche, zumal sie in einer so leicht verständlichen Form geboten ward; und die Fülle von Citaten, wovon die aus christlichen Dichtern entlehnten doch allein auf Rechnung Aldhelms kommen, zeigt recht den Reichthum der literarischen Hülfsmittel und den Umfang der Lectüre unsers Autors. Was nun aber die Räthselsammlung anbetrifft, den Aenigmatum liber , so ist sie eine sehr umfängliche; sie enthält 19 Tetrasticha, 15 Pentasticha, 13 Hexasticha, 19 Heptasticha, 10 Octosticha, 11 Enneasticha, 630 4 Decasticha, 4 Hendecasticha, und je 1 Dodecastichon, Triscaidecastichon, Pentecaidecastichon, Heccaidecastichon und Polystichon, also im Ganzen 100 Räthsel, soviel als bei Symphosius S. die Sammlung desselben bei Riese, Anthol. lat. I, p. 187 ff. Man hat sie bekanntlich mit Unrecht dem Lactanz beilegen wollen.. Ein Prolog von 36 Hexametern, worin der Beistand Gottes zu dem Unternehmen angerufen wird (in einer Form, die an den Prolog von Persius erinnert), geht voraus; dieser Prolog, Acrostichon und Telestichon zugleich, enthält auch den Namen des Verfassers. Der Art des Inhalts und der Form nach schliessen Aldhelms Räthsel an die des Symphosius sich an. S. meinen Aufsatz: Die Räthselpoesie der Angelsachsen, insbesondere die Aenigmata des Tatwine und Eusebius, in den Sitzungsber. der k. sächs. Gesellsch. der Wiss. Bd. 29. (1877), S. 20 ff. Auch hier sind die Gegenstände vornehmlich aus dem Naturreich, namentlich dem Thierreich, genommen, aber auch Werkzeuge, Instrumente und Utensilien, sowie Witterungserscheinungen. Dazu kommen aber als neu die Kategorien der Gestirne und der Elemente und einzelne Abstracta. Auch in Aldhelms Räthseln, wie in denen des Symphosius, schildern sich, wie schon angedeutet, die Gegenstände personificirt in der Regel selbst. Die Lösung ist aber bei Aldhelm öfters noch leichter, weil die Beschreibung eine längere ist, die Räthsel des Symphosius sind ja sämmtlich in Tristichen. Die kürzere Fassung entspricht, zumal bei solcher Einfachheit der Gegenstände, dieser Dichtungsart an und für sich besser, und Symphosius bewegt sich in ihr mit mehr Gewandtheit als Aldhelm. Hiermit hängt ein Unterschied in der Darstellungsweise beider Autoren zusammen, der wie einer des Romanen und Germanen aussieht: Symphosius scherzt verstandesmässig witzig, Aldhelm trägt ernsthaft mit poetischem Schwung, zuweilen selbst im pathetischen Ton vor. Indessen finden sich auch bei letzterem manche ganz gelungene Räthsel, sei es dass die Lösung nicht sogleich auf der Hand liegt, was bei der Mehrzahl der Fall ist, so z. B. Tetr. 8, De sale Dies sei als Beispiel gegeben:
        Dudum lympha fui squamoso pisce redundans,
        Sed natura novo fati discrimine cessit,
        Torrida dum calidos patior tormenta per ignes;
        Nunc cineri facies nivibusque simillima fulget.
, Tetr. 19, De perna , oder Hex. 6, sei es dass die 631 Ausführung eine wohl ansprechende ist, z. B. Pent. 3, De ape , Pent. 8, De magnete ferrifero , Pent. 12, De cacabo , Hept. 12, De mola u. s. w. Besonders bemerkenswerth ist noch, dass, in einzelnen wenigstens, der christliche Charakter des Verfassers sich kundgibt So Tetr. 7 De Fato, Pent. 14 De arca libraria, Hept. 15 De malo arbore, 16 De ficulneo, Decast. 3 De Lucifero., was bei Symphosius nicht sich findet, und dass wir in ein paar andern auch solchen den Alten entlehnten Thiersagen begegnen, die in den Bestiarien des Mittelalters auch verwerthet wurden, z. B. Hept. 2, De monocero . Wie bei Symphosius der Phönix (No. 31).

Abgesehen von dem Dialog der metrischen Unterweisung, welcher in einfachem Stile geschrieben ist, ist der Prosaausdruck der Epistula ein gar schwülstiger ganz in der Weise wie die gelehrten Vorreden Fortunats, ähnlich ist auch der Ausdruck in der Prosaschrift De laudibus virginitatis , und am meisten in dem Schluss und dem panegyrischen Eingang derselben, der ein süsslich poetisirendes Kolorit hat. Dagegen ist das Gedicht in einem bessern Stile geschrieben, zumal der Vers trotz einzelner herkömmlicher Fehler oder Freiheiten nicht bloss die metrische Schule, sondern auch eine nicht gewöhnliche Begabung des Autors zeigt; und dies ist hier mehr, als in den Räthseln im allgemeinen der Fall. Ueberall aber, in der Prosa wie in der Poesie Aldhelms, begegnen uns zwei sehr bemerkenswerthe Eigenthümlichkeiten, von denen die eine eine Besonderheit seiner Ausbildung, die andere seiner Nationalität ist, nämlich einerseits die Neigung, griechische Ausdrücke, allerdings in der Regel latinisirt, einzumischen – eine Folge der besondern Bevorzugung der griechischen Sprache von Seiten der Lehrer, des Kleinasiaten Theodorus und des Afrikaners Hadrian, deren Schüler griechisch wie lateinisch sprachen, wie Beda versichert –, andererseits die grosse Liebe zur Alliteration, die in der Poesie zwar häufiger, in der Prosa seltener, immer aber, wo sie eintritt, in der auffallendsten Weise sich kundgibt, so z. B. im Eingang des Gedichtes De laudibus virginum; auch in den Räthseln gar oft, namentlich im ersten und letzten Verse.

Ganz durchgeführt aber findet sich die Alliteration in noch einem merkwürdigen Product der Muse Aldhelms, einem 632 rythmischen Gedichte. Es ist zugleich mit ein paar andern ähnlichen, die zum Theil wohl einem seiner Schüler ›Aedilwaldus‹ – dem spätern König von Mercien, Aethelbald – angehören, am besten edirt mit Briefen von und an Aldhelm von Jaffé, Monumenta Moguntina (3. Bd. seiner Biblioth. rer. germanic.). Berlin 1866, p. 38 ff. Für Aldhelms Autorschaft spricht schon die Unterschrift: Finit carmen Aldhelmi. Manitius S. 10 bestreitet jene, indem er das Gedicht für dasselbe hält, von dem Aedilwald in dem bei Jaffé vorausgehenden Briefe sagt, dass er es Aldhelm gewidmet, dies Gedicht ist aber, wie schon Jaffé richtig bemerkte, unter den folgenden No. IV pag. 45, worin ja Aldhelm genannt wird. (Dass das Gedicht aber nicht zu der Epistula Anonymi ad sororem anonymam, der es in Giles' Ausg. p. 106 folgt, gehört, zeigt der Inhalt des Briefs deutlich.) Manitius traut ausserdem Aldhelm nicht nur solche rythmische Gedichte zu, sondern macht zuerst ebendort (S. 10) auf ein carmen rythmicum (ganz in demselben Versmass) von ihm aufmerksam, das er seiner Prosa De laud. virgin. (ed. l. p. 7) einverleibt hat. In diesem, wahrscheinlich einem Briefe beigelegten Gedichte, wie es sich denn unter Briefen anderer gefunden und selbst die Form einer Epistel hat, schildert Aldhelm einem Freunde, den er besucht hatte, seine Heimfahrt in einer sehr stürmischen Nacht, indem er die Schrecken derselben in einer offenbar humoristisch-parodirenden Weise mit dem Aufwand alles rhetorischen Pompes übertreibt. Die Verse sind Achtsilbler, wie sie auch schon damals genannt wurden So in jenem Schreiben des Aedilwaldus; er sagt dort von einem von ihm selbst verfassten Gedichte: non pedum mensura elucubratum, sed octonis syllabis in uno quolibet vorsu conpositis. Bei Jaffé l. l., p. 37., dieselben, wie wir sie in den rythmischen Hymnen, die auf Grund des ambrosianischen Metrums sich entwickelt, fanden S. oben S. 553; so sagt Aldhelm auch, wenn schon scherzhaft, von diesem Gedicht in demselben: ymnista carmen cecini Z. 3., und es stellen sich auch hier bei Aldhelm unbeabsichtigt nicht selten ganze rein quantitative iambische Dimeter ein. Aber, was höchst beachtenswerth, diese Verse sind in dem 100 Zeilen langen Gedicht schon Reimpaare Sodass nach der Ansicht und Terminologie der angelsächs. Metriker, wie des Beda (s. oben S. 179, Anm. 2 u. vgl. unten S. 649), immer die versiculi eines versus mit einander reimen, wie denn auch in dem Gedicht Aldhelms und den sich in der Handschr. ihm anschliessenden die Reimpaare eine Zeile bilden. – Wie Aldhelm auch in seiner poetischen Prosa den Gleichklang mitunter anwendet, darauf hat schon Zarncke hingewiesen: ›Zwei mittelalterl. Abhandl. über den Bau rythmischer Verse‹ in den Berichten der kön. sächs. Ges. d. Wiss. philol.-histor. Cl. Bd. 23., wenn auch manchmal ein 633 paar desselben Reims auf einander folgen. Der Reim ist dabei ein vollkommener, ja er erstreckt sich schon über zwei und selbst drei Silben. z. B. inormia – informia, atrociter – ferociter. Die Alliteration, die durch das ganze Gedicht durchgeführt ist, erscheint an einzelnen Stellen bis zum Uebermass gehäuft, offenbar einer rhetorischen Wirkung wegen. z. B. Z. 26 ff.:
        turbo terram teretibus
        grassabatur turbinibus
        quae catervatim caelitus
        crebrantur nigris nubibus
        neque caelorum culmina
        carent nocturna nebula.
Das Gedicht ist übrigens, sobald man es aus dem richtigen Gesichtspunkt eines humoristischen Gelegenheitspoems betrachtet, ganz ansprechend, und zeigt zugleich in seiner Form, welches Vergnügen dem Autor solche metrischen Künste machten, in denen er der nationalen angelsächsischen Dichtung, in welcher er sich selbst ja auch versucht haben soll, in einer merkwürdigen Weise sich annähert, wie ich in der Fortsetzung dieses Werkes zeige.

Ausser diesen literargeschichtlich wichtigen Werken Aldhelms besitzen wir noch von ihm einige historisch nicht unbedeutende Briefe und ein Gedicht in Hexametern auf die Einweihung einer Kirche, welche eine Tochter des Königs Centwin, Bugge, erbaut hatte, in welcher ein Altar der Jungfrau und zwölf den Aposteln gewidmet waren; diese Heiligen werden dann in dem Gedichte von Aldhelm in der Kürze charakterisirt und gefeiert – Paulus ist ihnen aber noch zugesellt, dem wahrscheinlich der Altar des Petrus, auf den er in dem Gedichte folgt, mitgeweiht war. Dies Gedicht schliesst sich an ähnliche des Fortunat an. Dass das Gedicht über die Einweihung bei Giles No. VIII und das über die Altäre No. IX ein Ganzes bilden, darüber kann zwar kein Leser derselben den geringsten Zweifel hegen, dennoch hat man sie in den Ausgaben wie in den Literargeschichten getrennt – als wenn weder Herausgeber noch Literarhistoriker sie gelesen hätten, was wohl auch bei den letztern in der That nicht der Fall gewesen ist. – Das Gedicht No. XI bei Giles, welches vollständig zuerst in Hartels Ausg. Cyprians Bd. III, p. 308 ff. edirt worden ist, gehört Aldhelm ganz unzweifelhaft nicht an: auch nicht eine Spur von den metrischen und sprachlichen Eigenthümlichkeiten seiner Werke zeigt es. Endlich gehört Aldhelm noch ein kleines 634 Gedicht von 21 Hexametern an, welches zur Einweihung der von ihm in Malmesbury erbauten prachtvollen, den Apostelfürsten dedicirten Kirche verfasst ist. S. das Gedicht bei Giles No. X p. 129 (der es mit einer falschen Ueberschrift versehen hat), und vgl. Hahn a. a. O. S. 9, Anm. 5 und Manitius S. 6.

 


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