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Auf diese Dichtungen über das alte Testament, die sich in der Behandlungsweise an die Historia evangelica unmittelbar anschliessen, und im allgemeinen auch nur den biblischen Text, wenn auch mit weniger Treue und Stetigkeit, wie dies die relativ geringere Wichtigkeit und Heiligkeit des alten Testamentes dem Christen eher erlaubte, in Hexameter kleiden, folgen in dieser Periode noch andere, welche kleinere Partien schon zum Gegenstand einer viel selbständigern poetischen Bearbeitung im heroischen Versmasse machen. Zunächst, auch gewiss der Zeit nach, die beiden zu einander gehörigen Gedichte De Sodoma und De Iona In: Hartels Ausgabe Cyprians (s. oben S. 56, Anm. 1) Pars III, p. 289 ff. u. 297 ff. – Zu Tertullians Gedichten De Sodoma und De Iona, im Rheinischen Museum, N. F., Bd. XXII, von Lucian Müller., worin die Strafe, die Sodom ereilte und von Ninive, welches Busse that, abgewandt ward, den Gegenstand bildet, indem für das erstere Gedicht (166 Hexameter) c. 19 der Genesis, v. 1–29, für das andere, das, unvollendet erhalten (wie denn noch nicht einmal die Erlösung des Jonas aus dem Walfischbauche erzählt wird), nur 105 Verse umfasst, das Buch Jonas den Stoff lieferte. Die von mir angezeigte gegenseitige Beziehung der beiden Gedichte, welche also gleichsam Pendants von einander bilden, wird im Eingang des zweiten offen dargelegt, weshalb allerdings für dieses der Titel De Ninive , der in einem Codex sich findet, der geeignetere wäre Welcher Ansicht auch Lucian Müller zu sein scheint, der die Beziehung der beiden Gedichte zu einander zuerst richtig erkannte. Ich bin aber damit ebenso wenig, als er, der Meinung, dass der Titel ›De Ninive‹ auch der ursprüngliche sei, weniger aus den von Müller vorgebrachten Gründen, als weil die biblische Stoffquelle für den Titel wohl hier massgebend sein musste.; aus jener Beziehung ergibt sich auch von selbst schon, dass das zweite Gedicht ein blosser Torso ist: gerade die Busse, die Ninive that, und die Verzeihung, die ihm von Gott ward, blieb noch zu erzählen. Dass beide Gedichte, die auch in den Handschriften stets vereinigt erscheinen, einen und 123 denselben Verfasser haben, ist aber um so gewisser, als sie nicht nur in sprachlicher, stilistischer und metrischer Rücksicht sich vollkommen gleichen, sondern auch in der Art und Weise der Behandlung des biblischen Stoffes. Wie frei und selbständig die letztere bereits ist, zeigt allein schon der Umfang der Gedichte im Vergleich zu den benutzten Partien der Bibel; wie denn den Versen 19–97 im Jonasfragment bloss c. I, v. 3–16 des Propheten Jonas entsprechen, also 78 Hexameter auf 13 Bibelverse kommen, und ganz ähnlich ist ja das Zahlenverhältniss in dem andern Werkchen. Die Erweiterung des Stoffes aber geschieht hauptsächlich durch die detaillirte Ausführung von Schilderungen, wie im ersten Gedicht des todten Meeres, im andern des Seesturms, Schilderungen die ebenso lebendig und naturwahr, als poetisch sind. Auch finden sich treffende Bilder und Vergleichungen, und zuweilen eine metaphorische Ausdrucksweise, die fast einen modernen Charakter hat. So heisst es von dem Walfisch (Ion. v. 91): Cumque viro caeli rabiem pelagique voravit; so geistreich: Nec mare vivit ibi, mors est maris ipsa maris pax (Sod. v. 139) von dem todten Meere, in dessen Schilderung im übrigen Solin benutzt ist; vortrefflich ist die Vergleichung Sod. v. 62 ff. Wie der Versbau das Pittoreske der Darstellung oft unterstützt, zeigte schon L. Müller; s. insbesondere Ion. v. 92. So ist die Darstellung der trotz der verderbten Ueberlieferung in Sprache und Versbau, wie Lucian Müller mit Recht sagt, zierlichen Gedichte ebenso originell als anziehend; überall geistvoll, das erste darin im bemerkenswerthen Gegensatz zu der betreffenden Partie der dem Iuvencus beigelegten Genesis, die hier indess schon sehr abbreviirt, und mit der das Gedicht ›Sodoma‹ gar nichts gemein hat. Merkwürdig ist noch in diesem, dass der Dichter den Mythus von Phaëtons Untergang auf den Brand von Sodom und Gomorrha zurückführt, und die Verwandlung von Lots Frau in eine Salzsäule, welcher er noch wunderbare Eigenschaften leiht Das Salzbild besteht noch, versichert der Dichter, und wenn verstümmelt, ergänzt es sich von selbst, ja es soll noch durch die fortdauernden Menses die weibliche Natur zeigen. Sod. v. 121 ff., den antiken Metamorphosen, wie Wahrheit der Fabel, gegenüberstellt, und so seine Dichtung gleichsam als ein christliches Seitenstück zu dem berühmten Werke Ovids erscheinen lässt. So zeigt sich auch hierin die klassische Bildung des Autors wirksam. Eigenthümlich ist aber beiden Gedichten der Zug, welcher zugleich für einen gemeinsamen 124 Verfasser von neuem spricht, die alttestamentliche Erzählung vorbildlich aufzufassen; die Strafe Sodoms und Gomorrhas soll ein Vorzeichen der Höllenstrafe Sod. v. 13 und 163., wie das Schicksal des Jonas von der Auferstehung Christi und der durch sie erhärteten Unsterblichkeit Daher wurde auch das Verschlingen und Ausspeien des Jonas durch den Walfisch auf den Grabstätten der Christen häufig gemalt, wie noch erhaltene Bilder zeigen. Siehe Abbildungen bei Rossi, Roma sotterranea, Tom. II, Tav. XIV. sein – wodurch übrigens zugleich die fragmentarische Natur des zweiten Gedichts vollends bestätigt wird. Siehe die beiden letzten Verse: In signum sed enim Domini quandoque futurus, – Non erat exitio, sed mortis testis abactae. Gerade die Erwähnung der Vorbildlichkeit, die häufig an dem Schlusse sich erst, oder wenigstens noch einmal findet (wie letzteres auch bei dem Gedicht ›De Sodoma‹ der Fall ist), die hier aber offenbar nur den Uebergang zur Erzählung der Befreiung des Jonas machte, scheint einem Schreiber den Anlass gegeben zu haben, das Gedicht hier abzubrechen.
Eine noch viel freiere Behandlung biblischen und alttestamentlichen Stoffes findet sich in dem meist einem Victorinus Dass dieser der bekannte Rhetor Roms gewesen sei, dessen Uebertritt zum Christenthum, im hohen Alter, Augustin Confess. VIII, c. 2 erzählt, lässt sich nicht erweisen, allerdings aber ist es in hohem Grade wahrscheinlich, dass das Gedicht von einem christlichen Rhetor verfasst ist. Siehe über jenen Victorinus Koffmane, De Mario Victorino, philosopho christiano. Breslau (Diss.) 1880. Koffmane spricht ihm auch das Gedicht ab, für dessen Verfasser er mit Beck den Hilarius von Arles erklärt (p. 8) – eine unbegründete Behauptung; in jedem Falle war sein Autor nicht mit dem Dichter des Metrum in Genesim (s. unten Buch 3, Kap. 2) identisch. beigelegten Carmen de fratribus septem Macchabaeis interfectis ab Antiocho Epiphane Sanctae reliquiae duum Victorinorum, Pictavensis unius episcopi martyris, Afri alterius Caii Marii, rhetoris etc. cum notis et praef. A. Ririni. Gotha 1652. – In: Beck, De Orosii fontibus etc. Marburg (Diss.) 1832, p. 37 ff. welches Gedicht durch die verhältnissmässige Reinheit der Sprache und prosodische Correctheit allerdings die Wahrscheinlichkeit, dieser Periode noch anzugehören, für sich hat, indem es im übrigen, namentlich auch bei der vollkommenen Unsicherheit des Verfassers, jedes festern Anhalts zur Zeitbestimmung ermangelt. Das siebente Kapitel des zweiten Buchs der Maccabäer bildet die Stoffquelle, oder man möchte bezeichnender sagen, das Thema für die 393 Hexameter dieses Gedichtes, welches die biblische Erzählung in einem 125 rhetorisch-panegyrischen Stile fast dramatisirt, indem es zu seiner Heldin die Mutter macht, deren lange Reden an die Söhne und den König den grössten Theil des Inhalts bilden. Die Kinder sterben schliesslich zur Ehre der Mutter, die in unnatürlicher Weise den Tyrannen immer zu neuer Wuth aufstachelt, damit nur auch alle sieben für ihre › Gloire‹ geopfert werden.
Hier folgt nicht bloss der Dichter nicht mehr dem Texte der Bibel, sondern er entstellt selbst ihren Inhalt. Es ist die heidnisch-römische Ruhmsucht, in deren Geist er ihn behandelt, indem seine Heldin uns an die Heroinen eines Seneca und der französischen Tragiker, die diesem folgten, auf das lebhafteste erinnert. Dies Moment möchte auch dafür sprechen, das Gedicht in dieses Zeitalter zu verlegen. Schon die Wahl des Gegenstandes zeigt den Geschmack des Rhetor. Die sieben Brüder werden einer nach dem andern hingerichtet, weil sie nicht dem Ritualgesetz der Juden entsagen, und kein Schweinefleisch essen wollen. Das Motiv des Todes konnte also den Christen nicht besonders anziehen – obgleich man allerdings schon frühe in demselben das älteste Martyrium sah So findet es sich auch schon in Hilarius' Schrift gegen Constantius c. 6 angezogen und später, wie man im Verlaufe unserer Geschichte sehen wird, öfters verherrlicht. Der Festtag der Heiligen ist der 1. August. – aber für den Rhetor war die siebenfache Variation eines und desselben Themas verlockend. Die Darstellung ist, dem entsprechend, ein hohles Pathos mit fortwährender Wiederholung derselben Wörter und Phrasen, zwar im allgemeinen im Stil und der Sprache des römischen Epos nach dem Muster Virgils, aber auch mit der trivialsten prosaischen Ausdrucksweise gemischt; von einem Ausdruck wahrer Empfindung nirgends eine Spur. So erscheint kaum noch überhaupt der christliche Genius in diesem Machwerke.
Dasselbe lässt sich von einem andern sagen, welches auch diesem Jahrhundert, und zwar der Mitte desselben angehört, und wegen seiner Verwandtschaft mit den vorstehenden Dichtungen hier von uns betrachtet wird. Es ist der Cento Virgilianus der Proba Probae Cento rec. et commentario crit. instruxit Schenkl, accedunt 3 Centones a poetis christianis compositi. In: Poetae christ. minores. Pars I, p. 511 ff. (Corp. script. eccles. lat. Vol. XVI). Wien 1888. (Prooem.)., in welcher Mosaikarbeit die wichtigsten Begebenheiten des alten Bundes von der Schöpfung bis zur 126 Sündfluth und des neuen bis zur Himmelfahrt durch Virgilsche Hexameter, die der Aeneis, den Georgica und den Eclogen, am meisten der erstern, entlehnt sind, in aller Kürze dargestellt werden. Die Verfasserin war die Gemahlin des Proconsuls Adelphius, Stadtpräfecten im Jahre 351, die, wie sie selbst im Proömium ›bekennt‹, sich früher in der epischen Poesie versucht und den Bürgerkrieg des Constantin mit Magnentius besungen hatte. Cognatasque acies, pollutos caede parentum etc. v. 4 ff. Welcher Bürgerkrieg dies war, wissen wir nur aus der Notiz einer seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts verschwundenen Handschrift. Siehe Schenkl, Prooem. p. 513, Anm. 1. – Irrigerweise hielt man früher eine Enkelin der oben genannten Proba, die Anicia Faltonia Proba, für die Verfasserin des Cento. Siehe die Stammtafel des Geschlechts der Anicier in Seecks Ausgabe des Symmachus. Berlin 1883. Prolegg. p. XCI. Das Werkchen, welches 694 Hexameter zählt Die in den meisten älteren Ausgaben sich findende Eintheilung in einzelne kleinere Abschnitte, deren Ueberschriften den Inhalt anzeigen und das Verständniss allerdings wesentlich erleichtern, rührt nicht von der Verfasserin her; die Abschnitte hängen vielmehr unmittelbar zusammen, je innerhalb der zwei den beiden Testamenten entsprechenden Abtheilungen, welche letztere allerdings von dem Autor selbst unterschieden werden, indem er mit v. 333 von neuem anhebt, um zum neuen Bunde sich wendend, ein ›grösseres Werk‹ zu unternehmen ( maius opus moveo ). Auch der in einzelnen Mss. dem Werkchen vorausgesandte erste Prolog, der eine Widmung an Kaiser Arcadius enthält, ist nicht das Werk der Proba, vielmehr des Schreibers des im Auftrag des Kaisers hergestellten Exemplars., sollte den Vortheil der Virgilschen Form mit dem christlichen Inhalt vereinen. Wenn auch nicht von der Verfasserin für ihre Kinder geschrieben, wie ich auf Grund einer falschen Lesart ( natis für uatis v. 12) früher annehmen musste, wurde der Cento doch als Schulbuch viel benutzt, da er zum Memoriren, in Folge der allgemeinen Anwendung des Virgil beim Unterricht der Grammatik, sich besonders eignen musste. Freilich kommt der letztere sehr dabei zu kurz. Mitunter tritt selbst vollkommene Unklarheit des Sinnes ein; oder seine wahre Bedeutung lässt sich nur von solchen, die schon die Bibel kennen, errathen; liessen doch schon die Eigennamen sich überhaupt nicht wiedergeben. Nicht selten ist der Ausdruck zweideutig und schief, und gerade an den wichtigsten Stellen, sodass da das Verfehlte dieses ganzen Unternehmens, das nicht einmal den praktischen Zweck erfüllt, aus dem es hervorging, recht zu Tage tritt. Man sehe die Empfängniss der Jungfrau v. 340 f. und die Kreuzigung v. 616 ff., wo nicht einmal das ›Kreuz‹ ausgedrückt ist, und wie Christi letzte Worte am Kreuze wiedergegeben sind. Ganz unverständlich bleibt die Darstellung der Flucht nach Aegypten v. 372 ff. Auch ist das Mosaik selbst 127 zuweilen ein recht geflicktes. Z. B. v. 128: Harum unam iuveni | laterum | compagibus artis. Die drei ersten Wörter bilden das erste Stück aus Aen. XI, v. 76; laterum compagibus findet sich Aen. I, v. 122, compagibus artis Aen. I, v. 293. Nach den metrischen Gesetzen der Centonen ist aber als zweites Stück nur laterum anzusehen, während compagibus zum dritten zu rechnen ist; s. über jene Ausons Vorrede zu seinem Cento nuptialis. – S. auch über die Freiheiten, die sich die Verfasserin nahm, Schenkl Prooem. p. 556 ff. Die Aneignung der antiken Kunstform erscheint also in solchen Centonen am rohsten. –
Die poetische Behandlung der Bibel aber, und zwar zunächst in epischer Form, wie sie in der dargelegten Weise mit Iuvencus begann und in mannichfaltiger Gestalt noch während dieser Periode sich fortsetzte, im formellen Anschluss theils an Virgil, theils an Ovid, geht, weiter gepflegt in der lateinischen Poesie der folgenden Jahrhunderte, später auch in die Nationalliteraturen über, wo sie allerdings erst seit dem Beginne des modernen Zeitalters Werke von grösserer, zum Theil selbst grosser literarhistorischer Bedeutung, wie des Dubartas Semaine , Tasso's Sette giornale , Miltons Paradise lost , und den Messias unseres Klopstock aufzuweisen hat. Für unsere Periode aber waren Dichtungen, wie die betrachteten, von nicht geringer kulturgeschichtlicher Wichtigkeit, indem sie durch ihre poetische Form in weitere Kreise sich ausbreitend, und als Unterrichtsmittel in den christlichen Familien angewandt, den Ausgleichungsprocess der antiken und der christlichen Bildung wesentlich fördern mussten.