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Fünfzehntes Kapitel.

Sulpicius Severus.

Sulpicius Severus Sulpicii Severi libri qui supersunt, recens. et commentar. crit. instruxit C. Halm. (Corp. script. eccles. latin. Acad. Vindobon. Vol. I). Wien 1866. – – J. Bernays, Ueber die Chronik des Sulp. Severus. Im Jahresbericht des jüdisch theol. Seminars Fränkelscher Stiftung. Breslau 1861. 4°. – Ampère, Histoire littér. de la France T. I, p. 296 ff. – Harnacks Artikel in der Real-Encycl. f. prot. Theol. 2. Aufl. Bd. 15, S. 62 ff. erscheint in seiner literarischen Production, die freilich eine viel weniger umfangreiche war, origineller und stilistisch viel bedeutender, wie er denn ohne Frage zu den elegantesten Schriftstellern dieses Zeitraums gehört. Wahrscheinlich im Anfange der sechziger Jahre des vierten Jahrhunderts in Aquitanien geboren, aus einem angesehenen Geschlechte, erhielt er dort, wie sein älterer Freund Paulin, eine vortreffliche literarische Ausbildung. Er widmete sich der juristischen Laufbahn mit vielem Erfolg, indem er, ein gesuchter Anwalt, durch seine Beredsamkeit glänzte. Paulini Epp. V, § 5; auch für das nächst Folgende zu vergleichen. Sein Glück vollendete eine reiche Heirath mit einem Mädchen aus einer consularischen Familie. Seine Frau wurde ihm aber früh durch den Tod entrissen. Dies mag ihn für die Askese empfänglich gemacht haben, der bereits sein inniger Freund Paulin sich geweiht, und die in dem heil. Martin damals in Gallien einen so mächtigen Apostel hatte. Das Leben und Wirken dieses bedeutenden Mannes hatte ihn schon begeistert, er gedachte es zu schildern, und so unternahm er zu ihm eine Reise. Der 328 persönliche Einfluss Martins auf Severus war ein ausserordentlicher, er brachte seinen frommen Entschluss vollends zur Reife Vita Martini, c. 25., obgleich sein Vater dagegen war, die vornehme Schwiegermutter aber ganz damit einverstanden. Sever widmete sich nun der mönchischen Lebensweise, und trat danach auch in den priesterlichen Stand ein, in welchem er aber, wie Rufin, nur die Würde eines Presbyter erlangte. Mit dem heil. Martin blieb er in der engsten Verbindung – sein treuster Anhänger –, ein Verhältniss, das sich auch in seinen Werken geltend macht, indem er dort die Anschauungen seines Meisters vertritt. Er scheint bis in das dritte Decennium des fünften Jahrhunderts gelebt zu haben und im Alter noch asketisch strenger geworden zu sein. S. Gennadius l. l. c. 19, am Schluss: Hic in senectute sua a Pelagianis deceptus et agnoscens loquacitatis culpam silentium usque ad mortem tenuit, at peccatum, quod loquendo contraxerat, tacendo penitus emendarat. Wie wenig Gewicht man auch auf das hier Berichtete legen mag, so viel geht meines Erachtens mit Sicherheit daraus hervor, dass Sever zur Zeit des Auftretens des Pelagius noch lebte, und am Abend seines Lebens ein strengerer Asket war, mag auch zwischen diesen beiden Thatsachen gar nicht die Beziehung bestanden haben, auf welche der Bericht des Gennadius sich gründet, der doch nicht ganz aus der Luft gegriffen sein kann.

Die drei Werke, die wir von Severus besitzen Verloren gegangen sind die von Gennadius als ›bekannt‹ ( notae) angeführten vielen › Epistulae ad amorem Dei et contemtum mundi hortatoriae‹, die er an seine Schwester gerichtet. Zwei solcher Episteln finden sich im Anhang der Ausgaben (ed. l. p 219 ff.), die auch Halm für unecht erklärt, Harnack aber nimmt ihre Authenticität in Schutz. – Auch von Rufin erwähnt Gennadius solcher › Epistulae ad timorem Dei hortatoriae‹, die auch an eine Frau gerichtet waren, die uns ebensowenig erhalten sind., fallen auch in den Bereich unserer Geschichte, indem sie interessante Pendants zu denen des Rufin bilden, welche wir eben betrachtet haben. Der Historia ecclesiastica des letztern stehen die zwei Bücher Chronica des erstern gegenüber, die man früher fälschlich Historia sacra zu betiteln pflegte. Sie sind im Anfang des fünften Jahrhunderts verfasst, aber nicht vor 403 herausgegeben worden S. Bernays, S. 3, Anm. 4., daher denn auch von Rufins Werk ganz unabhängig, dessen Vorlage aber auch nicht benutzt worden ist. Die Chronik des Sever enthält, der im Eingang ausgesprochenen Absicht gemäss, einen Abriss der biblischen Geschichte bis auf Christi Geburt, also des Alten Testamentes sowie der christlichen 329 Kirchengeschichte, jedoch mit Uebergehung des in den Evangelien und der Apostelgeschichte Berichteten – um der Würde der dort erzählten Thatsachen nicht durch die knappe Form des Werkes Abbruch zu thun II. c. 27. –, sodass nach Christus, von welchem selbst nur Geburt und Tod mit näherer Zeitbestimmung erwähnt sind, alsbald die Verfolgungen der Kirche unter Nero und den spätern Kaisern erzählt werden, mit Einschaltung der Eroberung Jerusalems; nach dem Siege des Constantin aber und einem eingehenderen Bericht über die Thaten der Helena, und namentlich ihre Kreuzauffindung, werden die inneren Unruhen der Kirche durch die fortwährenden Kämpfe mit der Häresis, zuerst dem Arianismus, dann dem Priscillianismus, der die Zeit und Heimath des Verfassers selbst bewegte und ihn deshalb zu einer verhältnissmässig ausführlicheren Darstellung einladet, erzählt.

Das ganze Werk ist also eine Chronik, d. h. eine chronologische Geschichte der Christen im Umriss, als deren Vorfahren man ja die Juden betrachtete. Vgl. u. a. oben S. 160, Anm. 4. In jenem Zeitalter der Breviarien lag es nahe, dass ein solches Compendium gewünscht wurde, aber dies sollte keineswegs für die Schule bestimmt sein, sondern zur Lectüre, vornehmlich der gebildeten Namenchristen, denen die Bibel, zumal das Alte Testament, noch fremd war, um sie zum Studium der Quellen selbst, aus welchen allein, wie der Verfasser sagt, die Geheimnisse der göttlichen Dinge ganz sich schöpfen liessen, anzuregen. Im Hinblick auf diese Leserklasse namentlich hat auch Severus ›zum Zwecke der Zeitbestimmung und zur Fortführung der geschichtlichen Reihenfolge‹ die weltlichen Historiker als Ergänzung benutzt, um damit jene Leser zu ›überzeugen‹ (von der Wahrheit der biblischen Thatsachen nämlich), die ungelehrten dagegen zu unterrichten. Ceterum illud non pigebit fateri, me, sicubi ratio exegit, ad distinguenda tempora continuandamque seriem usum esse historicis mundualibus atque ex his quae ad supplementum cognitionis deerant, usurpasse, ut et imperitos docerem et litteratos convincerem. I, c. 1. Indem er die Bedeutung der Chronologie vollkommen erkannte, ist er bei ihrer Feststellung mit grossem Fleiss und selbst mit Kritik verfahren Ausser der Chronik des Eusebius hat er manche andere Werke zu Rathe gezogen, selbst orientalische Quellen, wie ein Verzeichniss der Regierungsjahre babylonischer Könige, s. II, c. 5 und vgl. Bernays, S. 46 f., und hat damit einen in dieser Zeit seltenen 330 wissenschaftlichen historischen Sinn bekundet. Jene gebildeten Leser aber, die er vornehmlich im Auge hatte, für den ihnen noch immer fremdartigen, ja theilweise abstossenden Stoff zu gewinnen – man erinnere sich nur, wie selbst den bereits asketischen Hieronymus das Alte Testament in seiner alten lateinischen Uebertragung abstiess S. oben S. 186; und vgl. auch S. 213. –, verwandte er auf den Stil die höchste Sorgfalt, indem er die Kunst desselben einem Sallust dessen Historien damals sehr beliebt waren, einem Tacitus und Velleius, um mich des treffenden Ausdrucks von Bernays zu bedienen, ablauschte A. a. O. S. 30, und vgl. für die Belege auch S. 31, 57 u. s. w.; denn obgleich er selbst wörtliche Entlehnungen nicht scheute, folgt er doch mit solcher Freiheit des Geistes diesen Vorbildern, nie den Gedanken der Phrase opfernd, dass sein Stil überall als ein einheitlicher Ausdruck seiner eigenen Individualität erscheint. Jene Tendenz des Severus, sowie seine grosse stilistische Kunstfertigkeit gibt sich aber, wie Bernays zuerst nachwies, auch recht in der Uebertragung der mosaischen Gesetze, Exodus c. 21 ff. in die römische Rechtssprache kund, wobei unser Verfasser seine juristische Bildung trefflich verwerthete. S. die detaillirte Nachweisung hierfür bei Bernays, a. a. O. S. 31 ff. So erreichte er denn in der That das Ziel, in seiner sehr fliessend und gewandt geschriebenen Darstellung, deren durch manches anziehende Detail und eine gewisse persönliche Parteinahme des Autors So indem er seine und seines Meisters, des heil. Martin, Ansicht über das Verhältniss der Staatsgewalt zu der Kirche in der Erzählung, selbst der biblischen Geschichte, geltend macht, siehe darüber Bernays, S. 15 ff. gehobene Lebendigkeit sehr vortheilhaft von dem dürren farblosen Stil der Breviarien absticht, seinen Stoff, von dem er alles dogmatische möglichst ausschied, der klassischen Bildung zu assimiliren. Und dies gelang ihm in einem Grade, dass das Werk vielmehr einen modernen, als einen mittelalterlichen Eindruck macht. Dem entsprach denn auch sein Schicksal. Gregor von Tours erwähnt es noch, aber weiterhin scheint es so wenig gelesen, dass nur eine Handschrift sich erhalten hat; erst im Zeitalter der Renaissance, und zwar auch verhältnissmässig spät, in der Mitte des 16. Jahrhunderts, wurde es wieder ans Licht gezogen, um dann aber alsbald eine ganze Reihe von Auflagen zu erleben, ja zu einem beliebten Schulbuch selbst bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts zu werden.

331 Von ganz anderm Charakter, als dies Werk sind die beiden übrigen des Severus, die gerade zu den gelesensten Büchern des Mittelalters gehörten, wie die unzähligen noch erhaltenen Handschriften bezeugen, die Vita S. Martini und die Dialogi , welche zugleich samt drei Episteln unseres Autors stofflich unter einander im unmittelbaren Zusammenhang stehen; sie bilden ein interessantes Gegenstück zu den Vitae patrum des Rufin. Die Lebensgeschichte des heil. Martin, des Apostels von Gallien, der zuerst dort auch der Begründer des Mönchthums war, sagte dem asketischen Geiste der rein christlichen Kreise nicht weniger zu, als das ›Leben der Väter‹ Aegyptens, und wie dieses im Abendland, so wurde jene auch im Orient eifrig gelesen, wie sich denn die Vita Martini ungemein rasch weithin verbreitete. Dialog. I, c. 23. Die Stelle ist auch interessant in Betreff der Bücherverbreitung und des Buchhandels. Nach Rom brachte die Vita zuerst Paulin: deinde – so fährt Postumian, der hier erzählt, fort – cum tota certatim urbe raperetur, exultantes librarios vidi, quod nihil ab his quaestiosius haberetur, siquidem nihil illo promptius, nihil carius venderetur. Dies nimmt uns aber um so weniger Wunder, da das Büchlein des Severus einen grossentheils an sich interessanten Inhalt in einer anmuthig erzählenden Form bietet. Hier ist der Held der Lebensgeschichte ein wirklich bedeutender Mann, der durch seine Persönlichkeit Begeisterung zu erwecken verdiente: ein starker Charakter, muthig und unabhängig, der auch dem Mächtigsten gegenüber seiner Ueberzeugung treu blieb, und doch voll christlicher Milde und Humanität, sodass er selbst für den Teufel um Erbarmen gebetet hätte, wenn dieser der Reue und Besserung fähig gewesen. S. Vita Mart. c. 22. In Pannonien geboren, wuchs er, der Sohn eines Kriegstribunen, im Lager auf; von Kindheit an zum väterlichen Berufe bestimmt, zu dem er jedoch keine Neigung hatte. So trat er mit fünfzehn Jahren in den Kriegsdienst; unter Julian aber, in Gallien, gelang es ihm sich davon frei zu machen, um dem Dienste Gottes, wohin schon frühe sein Sinn gerichtet war, sich zu weihen. Er begab sich zu dem heil. Hilarius und übernahm die Stelle eines Exorcista. Eine Reise zu seinen Eltern führte ihn nach Italien, wo er sich dann auch eine Zeitlang, während des Hilarius Verbannung, aufhielt, 332 und hier schon seine mönchische Lebensweise begann. Zugleich mit seinem Meister nach Gallien zurückgekehrt, machte er sich dort durch eine Wunderkur, indem er einen Scheintodten ins Leben rief, allgemein bekannt. Andere dergleichen folgten. Es überrascht hiernach nicht, dass nach Erledigung des Bischofssitzes von Tours das Volk diesen frommen, wunderthätigen, leutseligen Mönch, dessen Herz gern jedem geholfen hätte, zu seinem Bischof verlangte, während die hohe Geistlichkeit wegen seines unaristokratischen Wesens und Aussehens dem widerstrebte Nonnulli ex episcopis – – impie repugnabant, dicentes scilicet, contemptibilem esse personam, indignum esse episcopatu hominem vultu despicabilem, veste sordidum, crine deformem. Vita Mart. c. 9 und vgl. dazu c. 27, 3.; doch das Volk setzte seinen Willen durch. Martin blieb aber auch als Bischof Mönch, indem er zwei Meilen von Tours, an einem abgeschiedenen Ort, ein Kloster gründete, das er zu seiner Residenz machte. Sever erzählt dann mit manchen anziehenden Einzelheiten wie Martin das Landvolk bekehrte, Thaten gleich unserm Bonifacius vollbrachte, und überall, wo er heidnische Tempel zerstörte, christliche Kirchen und Klöster erbaute. Seine Wunderkuren, sein Umgang mit Engeln, seine Kämpfe mit dem Teufel, der ihm bald in der Gestalt von Christus, wie dies auch von ägyptischen Mönchen erzählt wird, bald in der römischer Gottheiten, des Mercur, der Venus oder Minerva, erscheint, füllen den Rest des Buches, an dessen Schluss der Verfasser seiner persönlichen Beziehung zu dem Heiligen gedenkt und eine kurze Charakteristik desselben gibt.

Auch in diesem Werk verleugnet Sever im Stil, dem es selbst nicht an recht profanen Reminiscenzen fehlt So heisst es c. 26 von den Tugenden des Heiligen: non si ipse, ut aiunt, ab inferis Homerus emergeret, posset exponere., trotz all der literarischen Koketterie, womit er ihn in dem an seinen Bruder gerichteten Vorwort entschuldigt, keineswegs seine klassische Bildung: und je mehr diese hervortritt, um so schärfer nur zeigt sich hier der grosse Unterschied dieses christlichen Heroenthums von dem heidnischen, sowie der beiderseitigen Biographen, welchen Sever im Eingang bezeichnend hervorhebt. Und wenn ein so gebildeter Mann, und der in seiner Chronik doch wahrhaft historischen Sinn bewies, unter öfterer Betheurung, nur die Wahrheit zu sagen – denn es gab auch 333 damals, wie wir erfahren, Zweifler genug Ja, wie Postumian in dem 1. Dialog. (c. 26) sagt, beschuldigte man Severus geradezu, manches in der Vita erlogen zu haben ( te in illo libro plura mentitum). Folgender merkwürdiger Trumpf wird aber hierauf gesetzt: Non est hominis vox ista, sed diaboli, nec Martino in hac parte detrahitur, sed fides Evangelica derogatur. Nam cum Dominus ipse testatus sit istiusmodi opera, quae Martinus implevit, ab omnibus fidelibus esse facienda, qui Martinum non credit ista fecisse, non credit Christum ista dixisse. – ohne Prüfung Mirakel berichtet, und selbst solche, die nach seiner eigenen Erzählung sich als natürliche Thatsachen alsbald uns enthüllen Dahin gehört ein grosser Theil der Wunderkuren des Heiligen, der, wie leicht zu erkennen, manche medicinische Kenntnisse sich erworben hatte, wie er denn namentlich ein geschickter Augenarzt gewesen zu sein scheint (man sehe die Heilung Paulins c. 19, wobei Martin sich eines Pinsels bedient). Dass Martin auf die Gnade Gottes die Heilungen schob, und nur im Vertrauen auf den göttlichen Beistand ans Werk ging, versteht sich: that dies doch selbst noch ein Jung-Stilling; das Wort: ›der Glaube macht stark‹ erfüllte sich an ihnen. – Vgl. übrigens hier Dial. I, c. 3., so sieht man von neuem recht, welche Gewalt in Folge der Askese die Phantasie damals über die Geister gewann, durch die eine neue, christliche Sagenwelt geschaffen wurde, welche bei den romanisirten Nationen die heimische verdrängte oder mit sich verschmolz. – Dies Buch des Sever wurde noch zu Lebzeiten Martins und vor der Chronik S. das Vorwort der Vita: et si quid ex his studiis olim (vor der Bekehrung) fortasse libassem, totum id desuetudine tanti temporis perdidissem. geschrieben, aber erst nach seinem Tode (400) dem grossen Publikum übergeben. Eine Ergänzung desselben bilden zunächst drei Briefe, wovon der zweite und dritte auf den Tod des Heiligen sich beziehen; in dem letztern, der an Severs Schwiegermutter gerichtet ist, wird eine ausführliche Erzählung von demselben gegeben.

Ein grösseres Supplement zu der Vita lieferte Severus aber später Dass auch die erste Epistel früher als die Dialoge verfasst ist, zeigt ihre Anführung in dem ersten derselben, I b, c. 9. in zwei Dialogen In den Drucken hat man den ersten Dialog in zwei zerlegt, nicht bloss gegen die besten Handschriften, sondern auch gegen Gennadius' ausdrückliche Angabe; Halm hat in der Zählung der Kapitel diese Eintheilung beibehalten, ich unterscheide daher die beiden Abtheilungen des ersten Dialogs durch I a und I b., von welchen der zweite aber, wie ich weiter unten zeigen werde, einige Zeit nach dem ersten 334 publicirt sein muss. Auch in diesem Werk gibt sich wie in der Vita das ästhetische Streben kund, durch die Form zu fesseln: wie Severus dort, um Langweiligkeit ( fastidium ) zu vermeiden nicht alle Wunderkuren des Heiligen erzählt S. Vita c. 19 am Schluss., so hat er hier aus demselben Grunde die Form des Dialogs gewählt. So sagt er Dial. II, c. 5. Aber indem er hier zugleich nachholt, was er in der Vita absichtlich übergangen, verfällt er eben deshalb hier trotz der Form in den Fehler, den er vermeiden wollte. Dieser Tadel trifft indess keineswegs das ganze Buch, am wenigsten die erste Hälfte des ersten Dialogs, die sich gar nicht mit dem heiligen Martin beschäftigt, woher sich denn die frühere Zertheilung dieses Dialogs in zwei erklärt. Der Eingang des Buchs erzählt nämlich, wie Sever in der Gesellschaft eines andern Mönchs, eines Schülers des heiligen Martin, eines Kelten, der deshalb Gallus genannt wird, sich befindet, als er durch den unerwarteten Besuch eines Freundes, Postumianus, der nach dreijähriger Abwesenheit aus dem Orient zurückkehrt, überrascht wird. Dieser erzählt nun die Geschichte seiner Reise, namentlich von dem Einsiedler- und Klosterleben Aegyptens, sodass wir hier eine andere, mit den Vitae patrum gleichzeitige und von diesem Buch ganz unabhängige Darstellung jenes Anachoretenthums und Mönchthums erhalten, die, eine sehr lebendige und anschauliche, die Frische mündlicher Ueberlieferung zeigt. Nachdem Postumian seinen Reisebericht, unterbrochen nur durch wenige Zwischenreden, worin der Gallier zur Zielscheibe frostiger Spässe über seinen gesunden Appetit gemacht wird, beendet hat, fordert er Severus auf, als Erwiederung vom heiligen Martin zu erzählen, er solle ergänzen, was er in seiner Vita übergangen habe c. 23, 7. Hier werden die Dialoge als Supplement der Vita direct bezeichnet., worum er ihn im Namen seiner Leser im Orient bittet. Severus erklärt hierauf, dass freilich, woran er im Stillen schon bei Postumians Erzählung gedacht, alles was die Heiligen der Wüste einzeln grosses und wunderbares vollbracht hätten, durch die Thaten dieses einen Mannes leicht aufgewogen würde, dessen Ruhm ein ganz anderer sei: hätte doch Postumian von keinem von jenen erzählt, dass er einen Todten erweckt habe; und wenn einer derselben glaubte, von Engeln besucht zu werden, 335 so erfreute sich Martin ihrer täglichen Unterhaltung. So heisst es auch in Dial. II, c. 2: Nova Postumianus expectat nuntiaturus Orienti, ne se in comparatione Martini praeterat Occidenti. – Hier kann man recht sehen, wie die ehrgeizige Eifersucht der Mönche, ihre Heiligen über die anderer Klöster zu erheben, auch ein Motiv von Uebertreibungen, ja von Lügen, in den Erzählungen ihrer Thaten wurde. Sever lehnt es indessen ab, selbst die gewünschte Ergänzung zu geben, vielleicht weil er die Verantwortung für manche der folgenden Mirakelgeschichten nicht übernehmen mochte, und zwar namentlich auch wohl aus ästhetischer Rücksicht nicht, da so manches läppische mit darunter läuft: er fordert vielmehr dazu den Kelten auf, der als unmittelbarer Schüler des Heiligen noch mehr wissen werde. Dieser willigt denn auch nach einigem Sträuben (c. 27) ein. Hier findet sich die bekannte in linguistischer Beziehung so interessante Stelle, worin der Gallier seine Scheu ausspricht, unter Aquitaniern lateinisch zu reden.

Mit dem Beginne seiner Erzählung vom heiligen Martin hebt dann die zweite Abtheilung des ersten Dialogs an, welche man mit Unrecht früher als einen besonderen, den zweiten Dialog betrachtet hat. Neben manchen, wie schon bemerkt, läppischen Geschichten, die für Wunder zu halten fast nur einem Kelten auch damals möglich war, finden sich doch auch hier wirklich interessante und wichtige Beiträge zur Biographie des Heiligen und zur Kenntniss des damaligen Mönchthums; so über das Verhältniss Martins zu den Herrschern Valentinian und Maximus (I b, c. 5 f.), so über die Beziehungen der Mönche zu den Frauen (I b, c. 8, 11 f.), so Witzworte des Heiligen (I b, c. 16), die auch das volksthümliche Wesen des unstudirten alten Kriegsmanns illustriren. Die Ankunft eines neuen Besuchs, des Presbyters Refrigerius, sowie die späte Tageszeit veranlasst den Kelten, seine Rede abzubrechen. Diese wird dann aber im zweiten Dialog, der auf den folgenden Tag verlegt ist, wieder aufgenommen. Sie mit anzuhören, finden sich noch andere Kleriker ein, welche auf die Nachricht, dass von Martin erzählt werde, zum Theil athemlos hereinstürmen; aber auch eine Menge von Laien bittet um Zulass, der denselben jedoch mit Ausnahme zweier vornehmer Männer, eines Vicarius und eines Consularen, verweigert wird, da sie mehr aus Neugierde, als Religion kämen. Nun fährt der Kelte in demselben Stile als früher fort, nur dass 336 er jetzt für seine Wundergeschichten die Namen von noch lebenden Zeugen aufführt, auf welche die Ungläubigen recurriren könnten. ›Dies verlangte der Unglaube sehr vieler, welche in einigem, was gestern erwähnt wurde, schwanken sollen‹. II, c. 5. Obgleich dies und die daran sich schliessende weitere Expectoration der Autor selbst einschaltet, wie er denn hier auch den Grund berührt, warum er die Form des Dialogs gewählt habe, legt er es doch seltsamer Weise dem Gallus in den Mund. Die Stelle zeigt aber klar, dass der zweite Dialog erst nach dem ersten, nicht mit ihm zugleich publicirt worden ist. Obschon dieser, wenn ich so sagen darf, Bodenrest der Martinschen Mirakel am geschmacklosesten und albernsten ist, so finden sich doch auch hier noch zwei interessante Partien, von denen die eine die Intervention des Heiligen für die verfolgten Priscillianisten bei Maximus behandelt (c. 11 ff.), welche die edle Menschenfreundlichkeit und die strenge Gewissenhaftigkeit Martins in dem schönsten Lichte zeigt Vgl. auch Ampère I, p. 316 ff.; die andere aber die Vermuthung begründet, dass auch damals Narren oft die Wahrheit zu reden pflegten. c. 15 sagt ein besessener Mönch, sich für heiliger als Martin erklärend, zu diesem: Martinum vero et a principio, quod ipse diffiteri non potest, militiae artibus sorduisse, et nunc per inanes superstitiones et fantasmata visionum ridicula prorsus inter deliramenta senuisse. – Man sieht aus dieser Kritik, wie viel der Heilige selbst an den Wundergeschichten, die von ihm erzählt wurden, im Alter Schuld gehabt haben mag. Zugleich wird man hier auch wieder erkennen, wie ungemein lehrreich dies Buch des Severus für die Einsicht in die Entstehungsart der Legenden überhaupt ist. – Zum Schluss fordert Severus den nach dem Morgenland zurückkehrenden Postumianus auf, das was er vernommen – diese Dialoge –, weiter durch die Welt auf seiner Reise zu verbreiten. – Höchst beachtenswerth ist noch, wie in der literarischen Production des Sever, und namentlich in diesen Dialogen der französische Genius sich bereits kundgibt, nicht bloss in ›gewissen Koketterien des Schriftstellers‹, worauf auch zuerst ein Franzose, Ampère, besonders aufmerksam gemacht hat, sondern viel mehr in der eigenthümlichen Begabung anmuthiger Erzählung von Selbsterlebtem, sodass hier schon die Gattung der Memoiren, welche die Franzosen zuerst und so ausserordentlich ausgebildet haben, gleichsam in ihren Anfängen sich erkennen lässt. Ueber die Bedeutung der Dialoge für die Kirchengeschichte siehe Harnack, a. a. O. S. 66. 337

 


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