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Von den historischen Werken dieser Epoche bildet zu den praktisch-theologischen und populär-philosophischen den schicklichsten Uebergang ein Werk, das von apologetisch-polemischem Charakter die damalige Weltlage einer Betrachtung und den sittlichen Stand der Gegenwart des Autors einer Kritik unterzieht. Es ist das Werk De gubernatione Dei – wie es gewöhnlich betitelt wird Dieser Titel ist auch handschriftlich gut bezeugt; vielleicht war mit ihm der von Gennadius gegebene verbunden, wofür manches zu sprechen scheint. – oder De praesenti (Dei) iudicio , wie es Gennadius nennt, von dem Presbyter von Massilien, Salvianus S. S. Presbyterorum Salviani Massiliensis et Vincentii Lirinensis opera Steph. Baluzius ad fid. codd. emendavit notisque illustr. Ed. tertia. Paris 1684. – Salviani presbyteri Massiliensis libri qui supersunt, rec. Halm. Berlin 1877 ( Mon. Germ. hist. Auct. antiquiss. T. I. Pars prior). – Salviani pr. Mass. opera omnia, rec. Pauly. Wien 1883 ( Corp. scr. eccl. lat. Vol. VIII). – – Histoire littéraire de la France. T. II, p. 517 ff. – Zschimmer, Salvianus der Presbyter von Massilia und seine Schriften. Halle 1875. – Hauck, Salvian, in d. Real-Encyclopädie f. Prot. Theol. 2. Aufl. Bd. 13. S. 317–319., der wahrscheinlich aus Belgien stammte Vielleicht aus Trier., und wohl gegen Ende des vierten Jahrhunderts geboren, ein hohes Alter erreichte. Gennadius schliesst seinen ihm gewidmeten Artikel (c. 67) mit dem Satze: Vivit usque hodie in senectute bona. Und Gennadius schrieb, wie wir sahen, um 480. Er verfasste das Werk gegen die Mitte des fünften Jahrhunderts Es ist sicher nach 439 geschrieben, weil der Gefangennahme des Litorius gedacht wird, und vor 451, da Attilas Einbruch in Gallien unerwähnt bleibt. Die Annahme der Hist. litt. l. l. p. 525, dass mit der l. VI, c. 12 erwähnten Eroberung Roms klärlich die durch Geiserich gemeint sei und daher das Werk erst nach 455 geschrieben sei, ist irrig, da im Gegentheil der Zusammenhang nur für die Einnahme durch Alarich spricht, denn Salvian beobachtet an jener Stelle bei der Aufzählung der Unglücksfälle, die das römische Reich getroffen, eine gewisse chronologische Ordnung, und es wird dort des Uebergangs der Vandalen nach Spanien nach der Einnahme von Rom gedacht! Wie kann da die durch Geiserich gemeint sein! – So schrieb ich schon in der ersten Auflage, was ich im Hinblick auf Zschimmer S. 6, Anm. 3, der dort ganz dasselbe sagt, bemerken muss., und richtete es an seinen frühern Schüler, den 460 Bischof Salonius. Es besteht aus acht Büchern, von welchen indess das letzte unvollendet geblieben ist. Salvianus' Absicht in diesem Werke geht aber dahin, die zu widerlegen, welche bei dem Elend, das damals von allen Seiten über das römische Reich hereinbrach, eine Leitung der menschlichen Dinge durch Gott leugneten, ›weil es in dieser Welt den Guten schlecht, den Bösen gut ginge‹. Selbst die alten Philosophen widersprechen dem mit Ausnahme der Epikureer: dies führt im ersten Buch Salvian im Hinblick auf Cicero's Schriften zunächst kurz aus. Aber der Verfasser hat ja nur mit Christen zu thun, wenigstens mit solchen, welche es sein wollen. l. l, c. 1 init., und vgl. l. III, c. 1. Es fragt sich allein, fährt er in seiner Auseinandersetzung fort, ob unter den leidenden Guten wahre oder falsche Christen gemeint sind: im letztern Falle geschieht ihnen recht, im andern aber ist auch kein Grund zur Klage, denn die wahren Christen sind trotz alles äussern Elends dennoch glücklich, sie scheinen es nur nicht den Unwissenden. Sie sind glücklich in ihrem Bewusstsein; und es geht ihnen nur nach Wunsch, wenn sie arm, gering geachtet, schwach sind u. s. w. Gott spart keineswegs alles auf das künftige Gericht auf, wie einer vielleicht denken mag, sondern richtet schon hier, immer, weil er immer regiert: denn Regieren ist selbst ja Richten. Dum enim semper gubernat Deus, semper et iudicat: quia gubernatio ipsa iudicium est. l. l, c. 4. – Gottes Gegenwart, Regierung und Gericht lässt sich durch die Vernunft, Beispiele und Zeugnisse beweisen. l. l., vgl. l. II, c. 1. Die Vernunft sagt uns, dass der Schöpfer auch der Regierer der Welt sein muss. Und wie wäre denn das Gebet gerechtfertigt, wenn Gott sich nicht um die Sterblichen kümmerte! Thut er dies aber, so regiert er auch. Was die Vernunft erklärt, lässt sich aber auch durch Beispiele beweisen (c. 6). Salvian entlehnt solche, welche zeigen, wie Gott richtet und straft, leicht den Büchern Mose, indem das Opfer Kains und die Sündfluth die Reihe eröffnen. Im zweiten Buche werden dann die Zeugnisse für Gottes Gegenwart, Regierung und Gericht in Aussprüchen des Alten wie des Neuen Testaments gegeben.
Mit dem dritten Buche aber geht der Verfasser zu der Widerlegung der Einwände der Gegner über. Warum ist nun, 461 fragen sie, wenn du Recht hast, die Lage der Barbaren viel besser als die unsrige, und unter uns selbst wieder das Loos der Guten härter als das der Bösen? Hierauf, sagt Salvian, könnte ich einfach antworten: ich weiss es nicht, ich kenne ja nicht das Geheimniss und den Rathschluss der Gottheit. Da indessen die Bibel über die Geheimnisse Gottes uns unterrichtet, so will ich nicht schweigen. Und so schreitet er denn zur Beantwortung der ersten Frage, die ihn bis zum Schlusse des Werkes beschäftigt, da die der zweiten ja auch in der That schon früher von ihm erledigt war. Er lässt nun zuerst jene Frage begründen, indem er sagt: viele meinen, die Christen müssten den Lohn ihres Glaubens von Gott empfangen, dass sie, weil sie religiöser als alle Völker seien, auch stärker als sie wären. (Man sieht, die katholischen Romanen betrachteten sich allein als Christen.) Was bedeutet aber der Glaube, für welchen sie diesen Lohn beanspruchen? – fährt Salvian fort. Treu die Gebote Gottes zu halten. Aber wer thut denn das unter euch? Und hiermit geht dann Salvian zu einer Kritik der Moralität seiner Zeit, namentlich eben der romanischen Christen über, indem er ein sehr abschreckendes Bild von derselben entwirft. Nicht einmal den wenigsten Vorschriften Gottes gehorcht man. Alle Laster und Verbrechen werden verübt und nicht etwa bloss von den Servi, sondern ebensowohl von den Ingenui. – Im vierten Buch, wo diese Betrachtung fortgesetzt wird, führt Salvian aus, dass sie wegen ihres Ungehorsams von Gott gezüchtigt werden, und noch immer weniger leiden als sie verdienen: hier wird namentlich die unchristliche Behandlung der Sklaven sowie der Armen durch die Vornehmen und Reichen von ihm beleuchtet. Dann geht er zu einem Vergleich der romanischen Christen mit den Barbaren in Bezug auf die Sittlichkeit über, indem er auf die Frage, warum Gott zulasse, dass jene diesen unterworfen würden, zurückkommt (c. 12). Die Barbaren sind von vornherein schon deshalb besser, weil die Schuld der Romanen wegen ihres höhern Standes grösser ist. Criminosior enim culpa est, ubi honestior status. Salvian unterscheidet dann unter den Barbaren zwei Arten, die häretischen und die heidnischen. Von den letztern, die er zuerst in Betracht zieht, führt er namentlich die Sachsen, Franken, Gepiden und Hunnen auf. Mögen nun 462 auch die Sachsen wild, die Franken treulos, die Gepiden unmenschlich, die Hunnen unzüchtig sein, so ist doch ihre Schuld nicht so gross als die unserige, sagt er, wenn wir dieselben Laster besitzen – und er zeigt, dass dies der Fall ist –, weil jene nicht wissen, wie sie sich vergehen, und das göttliche Gesetz nicht kennen. – Im fünften Buche geht er in seiner Vergleichung auf die häretischen Barbaren über, insbesondere die arianischen Gothen und Vandalen, und beweist zunächst, dass auch diese überhaupt entschuldbarer sind als die katholischen Romanen, obgleich sie die heiligen Schriften haben, weil sie dieselben in einer interpolirten und unvollkommenen Gestalt besitzen, oder wo dies weniger der Fall ist, doch verderbt durch die Tradition ihrer frühern Lehrer, der sie dann statt der Wahrheit des Gesetzes folgen. Sie selber halten sich aber nicht für Ketzer. Salvian zeigt dann die Vorzüge jener Barbaren: wie sie sich unter einander lieben, während die Romanen sich gegenseitig verfolgen (c. 4), wie die Armen und Geringen, die bei diesen unterdrückt werden, bei jenen eine Zuflucht suchen und auch finden. Von dem Druck, der auf den untern Klassen der römischen Bevölkerung damals lastete Dabei kommt der Verfasser auch auf die Bagauden zu reden c. 6., wird hier von neuem ein ergreifendes Bild entworfen, das der Humanität des Autors zur Ehre gereicht. Man sieht da recht, wie sehr die überlebte, in Egoismus verkommende römische Welt der sittlichen Verjüngung durch die Germanen bedurfte.
Das sechste Buch beschäftigt sich hauptsächlich mit der Unsittlichkeit der Schauspiele, die bei den Barbaren sich nicht finden, ja durch sie aus den römischen Städten verschwinden. Der Schmutz der Theater ist ein solcher, dass man sie nicht einmal anklagen kann, ohne die Ehrbarkeit zu verletzen. Er will nur von dem Theater und Circus sprechen, nicht von allen illecebrae; die Stelle ist im Hinblick auf die Geschichte des Schauspiels von Interesse: Et quidem quia longum est nunc de omnibus dicere, amphitheatris scilicet, odiis, lusoriis, pompis, athletis, petaminariis, pantomimis, ceterisque portentis etc. c. 3. Und wie viele tausende von Christen findet man in ihnen täglich! Und solche Schauspiele, Circenses wie Mimen, in denen sogar die alte Superstition fortlebt (s. c. 11), wagt man selbst Christus als Dankopfer darzubringen (c. 4). Hat uns der lange Wohlstand verdorben, so hat uns auch das Unglück nicht gebessert. 463 Im Gegentheil, manche Vornehme geben sich in diesem, wie er selbst in Trier erfahren (c. 13), erst recht allen Schwelgereien hin: war ihnen von ihrem Vermögen wenig geblieben, so doch gar nichts von ihrer Sittlichkeit. So ist es nicht eine Vernachlässigung Gottes, wodurch wir litten, sondern seine Gerechtigkeit, sein Gericht, seine billigste Vergeltung (c. 16). Am Schlusse dieses Buchs vergleicht Salvian wehmüthig die damalige Lage der Römer mit der ihrer Vorfahren. Von dem Frieden und dem alten Wohlstand, ruft er aus, ist uns nichts übrig als allein die Verbrechen, welche den Wohlstand zerstörten. – An diesen Schluss knüpft das siebente Buch an. Man kann nämlich, meint der Verfasser, gegen eine Leitung der menschlichen Dinge durch Gott auch den Einwand erheben, dass die Römer einst als Heiden Sieger und Herrscher waren, als Christen nun Besiegte und Knechte. Diesen Einwand will er in einem spätern Abschnitt des Werkes widerlegen (was aber nicht geschieht und allein schon zeigt, dass das Werk unvollendet geblieben): die Erhebung jener war ebenso gerecht, als die Bestrafung dieser. Wenn nur die Strafe etwas nützte! die Züchtigung heilte! Die ganze römische Welt ist elend und üppig zugleich. Wir scherzen und spielen während der Angst vor Gefangenschaft, und in der Furcht des Todes lachen wir. Salvian nimmt hierauf seine Vergleichung der Romanen mit den Barbaren wieder auf, und zwar jetzt in Betreff der fleischlichen Lust überhaupt (c. 2), um zu zeigen, wie verdorben in dieser Beziehung jene, wie tugendhaft dagegen die Gothen und Vandalen S. in Betreff der Gothen speciell c. 6, der Vandalen c. 21, die selbst gegen die Unzucht bei den Romanen einschritten. sind, und wie diese eben dadurch den Sieg über jene verdienten (c. 7). Aquitanien, Hispanien und Afrika werden deshalb von den romanischen Ländern hauptsächlich in Betracht gezogen, und von den Ausschweifungen dort, namentlich in dem letztgenannten, ein abschreckendes Gemälde ausgeführt. Aber diese arianischen Barbaren zeigen auch mehr Gottvertrauen; in Gottes Hand legen sie den Sieg, während wir in die unserige, oder gar in eine sacrilegische (c. 10), indem hier Salvian auf das Schicksal des von den Gothen gefangengenommenen Feldherrn Litorius hinweist, der den alten Haruspicien vertraut hatte. – In dem achten Buche, das nur fünf Kapitel zählt und offenbar 464 unvollendet ist, wird die Kritik der Unsittlichkeit der Afrikaner fortgesetzt, indem ihnen auch Blasphemien vorgeworfen werden. Die Vornehmen sollen noch immer der Dea caelestis huldigen, das Volk Carthagos die Mönche verspotten.
So ist der Inhalt im allgemeinen und der Gang dieses kulturgeschichtlich bedeutenden Werkes. Der Verfasser erhebt sich, indem er eine Apologie der göttlichen Vorsehung geben will, zu einer damals seltenen Höhe und Freiheit des Standpunkts der Betrachtung, sodass er von der Befangenheit seines Romanismus und Katholicismus schon so weit sich befreit, um die weltgeschichtliche Bedeutung des Germanenthums ahnen zu können. In Vergleich mit der tiefen geheimen Antipathie oder dem offenen Hass gegen das Barbarenthum und den mit ihm verbündeten Arianismus, wie wir solchen bei andern christlichen römischen Schriftstellern jener Zeit begegnen, erscheint die tolerante Objectivität Salvians in um so hellerem Lichte. Seine Darstellung, schon ausgezeichnet durch eine damals so seltene Correctheit und Klarheit des Ausdrucks, wie durch einen leichten ungezwungenen Fluss der Rede, worin das Vorbild des Lactanz schwer zu verkennen ist Vgl. Zschimmer, a. a. O. S. 62, Anm. 1., weiss selbst an manchen Stellen zu ergreifen und zu fesseln, durch die Begeisterung, womit dieser Anwalt Gottes dessen Sache vertheidigt, oder durch eine Lebendigkeit, wie sie nur aus eigener Anschauung erwachsen konnte. Salvian hatte keine geringe Welt- und Menschenkenntniss. Er war weit gereist, er hatte nicht bloss ganz Gallien durchzogen, da seine Heimath hoch im Norden, sein späterer Aufenthalt im äussersten Süden desselben war, er hatte auch in Afrika gelebt, wie Stellen dieses Buchs zeigen. Den Vorzügen des Autors gegenüber fehlt es aber keineswegs auch an Mängeln. Der hauptsächlichste ist seine Weitschweifigkeit, die, viel grösser als die seines Vorbilds, sich nicht selten in wahrhaft ermüdenden Wiederholungen kundgibt, oder zu Abschweifungen führt, die den festen Gang der Darstellung wesentlich beeinträchtigen, sodass es allerdings nicht überall leicht fällt, den leitenden rothen Faden aufzufinden. Dieses Mangels war sich auch unser Autor selbst bewusst, und sucht ihn zu entschuldigen (so VIII, c. 1). Das Thema bot freilich zu einer Schraube ohne Ende das Material dar. Auch ist es mir nicht 465 unwahrscheinlich, dass das Werk allmählich entstanden ist, und auch so edirt wurde So erkläre ich mir, dass Gennadius (c. 67) nur fünf Bücher kennt; es lässt sich ganz wohl denken, dass die ersten fünf zunächst allein in Umlauf kamen., wie es ja auch unvollendet geblieben. Dass auch Salvian hier und da an der Künstelei des Wortspiels Gefallen findet, sei wenigstens hier angemerkt und durch ein Beispiel belegt: video urbem omnium iniquitatum genere ferventem, plenam quidem turbis, sed magis turpitudinibus, plenam divitiis, sed magis vitiis l. VII, c. 16; doch kommt dergleichen selten vor.
Noch ein anderes Werk des Salvian ist uns erhalten, das von ihm früher verfasst Es wird in dem Werk › De gubernatione‹ citirt, l. IV, c. 1., aber pseudonym, unter dem Namen Timotheus Ueber die Wahl dieses Namens gibt er im 9. Briefe (an Salonius) Auskunft: cum legis Timotheum ad ecclesiam scripsisse, hoc intellegere debes, pro honore Dei ad ecclesiam scriptum esse etc., veröffentlicht war. Es sind die vier Bücher Ad ecclesiam , gewiss erst von andern Adversus avaritiam betitelt. So findet sich der Titel allerdings schon bei Gennadius l. l., während Salvian selbst nur von › libelli ad ecclesiam‹ redet, auch da, wo er den Titel erklärt, Ep. IX. (Die besseren Mss. haben auch nur diesen Titel. S. Halms Ausgabe Praef. VI.) Seinen Namen verbarg er, wie er ebenda sagt, aus Bescheidenheit. Es ist das Werk laut dem Eingang in der Form eines Sendschreibens an die katholische Kirche des ganzen Erdkreises verfasst. Die verderblichste aller Pestilenzen, womit der Teufel die Kirche, d. h. hier die christliche Gemeinde, angesteckt, ist die Habsucht, da die meisten nicht bloss bei Lebzeiten ohne Frucht des Erbarmens und der Menschlichkeit das ihnen von Gott zu frommen Werken verliehene Vermögen verwalten, sondern auch ihre Habsucht noch über den Tod hinaus ausdehnen: so beginnt ungefähr Salvian, um seine lange Diatribe hauptsächlich gegen diejenigen zu richten, welche bei ihrem Tode ihr Vermögen nicht der Kirche vermachen, – was, wie aus seiner Darstellung hervorgeht, damals sehr selten der Fall gewesen sein muss. Man muss bei der Beurtheilung dieses Buchs berücksichtigen, dass die ganze öffentliche Armenunterstützung damals in den Händen der Kirche lag; und wie viel gerade in jener Zeit in der Beziehung zu thun nöthig war, lässt das vorhin besprochene Werk Salvians, wie wir auch andeuteten, zur Genüge erkennen. Auch richtet unser Verfasser seine strafende Vermahnung nicht bloss gegen die Laien, sondern nicht 466 minder gegen den Klerus, der auf allen seinen Stufen oft dieselbe Habsucht zeige; selbst Bischöfe, Mönche und Nonnen hinterliessen ihr Erbe eher fernstehenden auswärtigen Verwandten, als dem Kirchenschatz. Natürlich fordert Salvian auch schon Almosenspenden bei Lebzeiten; die dies aber da versäumten, sollten es wenigstens im Tode nachholen. – Erscheinen die Forderungen unseres Verfassers vom Standpunkte jener Zeit ganz anders begründet, als von dem heutigen, und erklärt sich die Uebertreibung, zu verlangen, dass jeder sein ganzes Vermögen, indem er die Kirche zum Erben einsetzt, Gott zurückgeben solle, aus der Askese, der sich Salvian geweiht hatte, und offenbar auch aus dem Gedanken, viel zu fordern, um wenigstens einiges zu erlangen: so war dagegen die Art der Begründung sittlich ebenso verwerflich als gefährlich. Von einer Stelle des Alten Testamentes Daniel c. 4, v. 24. ausgehend stellt Salvian den Satz an die Spitze, dass durch Gaben und Werke der Barmherzigkeit die Sünden abgekauft werden können, freilich nur, wenn dies Opfer mit Zerknirschung und Thränen dargebracht wird; sonst kann es nichts nützen. Offerat ergo vel moriens ad liberandam de perennibus poenis animam suam, quia aliud iam non potest, saltim substantiam suam; sed offerat tamen cum conpunctione, cum lacrimis; offerat cum dolore, cum luctu. Aliter quippe oblata non prosunt: quia non pretio, sed affectu placent. l. I, c. 10. Hiermit war der Erbschleicherei der Kirche für alle Zeiten Thür und Thor geöffnet, und andererseits der Werkheiligkeit eine neue Nahrung gegeben. – Wie nun Salvian nachzuweisen sucht, dass das ganze Vermögen in jedem Falle zu opfern sei, dass auch die Heiligen dasselbe Gott schulden, und wie er gegen die verschiedensten Einwände seine Forderung vertheidigt: dies im einzelnen zu analysiren, hat für uns um so weniger Interesse, als er die besondern Verhältnisse seiner Zeit kaum in Betracht zieht, worin dies Buch gegen das andere weit zurücksteht. Es ist übrigens ebenso gut, aber auch ebenso weitschweifig geschrieben.
Von einem liber epistularum des Salvian, welches Werk Gennadius anführt, haben wir wenigstens noch neun Briefe. Unter ihnen ist, abgesehen von dem letzten, vorhin citirten, worin er über die Bücher Ad ecclesiam seinem Schüler, dem Bischof Salonius Auskunft gibt, der vierte Brief von 467 vorzüglichem Interesse. Er ist an seine Schwiegereltern von ihm gerichtet, zugleich im Namen seiner Frau und seiner kleinen Tochter, von welchen die erstere auch redend eingeführt wird. Salvianus hatte sich, so erfahren wir daraus, in jüngern Jahren verheirathet, und zwar mit der Tochter eines Heiden – dass er das weltliche Leben aus eigener Erfahrung kannte, zeigt auch sein Buch De gubernatione zur Genüge –, aber er hatte sich später zugleich mit seinem Weibe zu einem asketischen Leben verpflichtet, wie einst Paulin und seine Therasia: und das ist gerade der Anlass zu diesem Schreiben. Die Eltern der Frau zürnten ihnen deshalb nämlich und hatten sieben Jahre nichts von sich hören lassen, obgleich sie unterdessen selbst zum Christenthum übergetreten waren; aber es mochte ihnen allerdings noch das Verständniss für eine solche Ehe der Enthaltsamkeit abgehen. Das Schreiben soll nun die Eltern versöhnen und ihre Verzeihung erbitten, so wenig die Schreiber sich auch einer Schuld anklagen könnten. In dem rührendsten und von Seiten der Frau zugleich zärtlichsten Ausdruck verfasst, und dabei in einem einfachen und reinen Stile geschrieben, ist es ein ausgezeichnetes Denkmal christlicher Beredsamkeit, welches von neuem ein Zeugniss von der für jene Zeit nicht geringen formalen Bildung und Begabung Salvians ablegt. Gennadius l. l. erwähnt noch von Werken Salvians, die er gelesen: › De virginitatis bono ad Marcellum presbyterum libri III‹, eine Erklärung des letzten Theils des Prediger Salomonis, Homilien, und in Versen ein Hexaëmeron ( in morem Graecorum a principio Genesis usque ad condicionem hominis composuit versu hexaëmeron librum unum). Ausserdem fügt er noch der Erwähnung der › 5 libri De praesenti iudicio‹ hinzu: et pro eorum (sic) merito satisfactionis – nach anderer Lesart praemio satisfaciendo – ad Salonium episcopum librum unum. Statt › pro eorum‹ ist wohl › peccatorum‹ zu lesen? – Hauck, a. a. O. S. 318, meint, ob nicht etwa zu lesen: pro eorum (sc. librorum) titulo satisfactionis und dann die Ep. IX hier zu verstehen sei? Um eine Entscheidung zu treffen, wäre zunächst eine kritische Ausgabe des Gennadius erforderlich. 468