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Während Minucius Felix also in seinem ›Octavius‹ die Richtung der christlichen lateinischen Literatur vertritt, ja eröffnet, welche von dem Streben, die antike, hellenisch-römische Bildung dem christlichen Genius zu assimiliren, geleitet wird, so erscheint dagegen schon in dem nächstfolgenden Schriftsteller, der in der Jugend noch sein Zeitgenosse war, der entschiedenste und bedeutendste Vertreter einer ganz entgegengesetzten Richtung, in welcher die christlich-lateinische Literatur sich nicht 33 minder bewegt hat, und vor allem gerade in diesem Zeitalter ihrer ersten Entwickelung, ihrer Sturm- und Drangperiode. Diese andere Richtung, beeinflusst von antirömischen, orientalisch-semitischen Kulturelementen, legt auf Formschönheit und Vollendung keinen Werth, und gesteht dieser keine eigenthümliche, selbständige Bedeutung zu, wie ihr denn auch für klassische Schönheit Sinn und Neigung fehlen. Ihre Schriftsteller gehören vorzugsweise Afrika an; das alttestamentlich jüdische Grundelement des Christenthums, der antiken abendländischen Bildung ebenso fremd, als verwandt dem punischen Geiste, macht sich bei ihnen wirkungsvoll geltend, und begründet zuerst einen specifisch christlichen Stil. In einer Zeit der Kämpfe, wo zugleich die Literatur die einzige Waffe des Christenthums war, musste diese Richtung am leichtesten sich entwickeln und am meisten gedeihen, der Gegensatz war da ja die Losung. Der wahre Repräsentant unserer Periode aber – (und zwar ein representative man in dem eminenten Sinne Emerson's) – nicht bloss durch die Menge und Mannichfaltigkeit seiner Schriften, sondern viel mehr noch durch die Eigenthümlichkeit seines Charakters und Genius, ist der an der Spitze jener Richtung steht, Quintus Septimius Florens Tertullianus Quinti Septimii Florentis Tertulliani quae supersunt omnia, ed. Fr. Oehler. 3 Tom. Leipzig 1851 f. (Der 3. Band enthält ältere Abhandlungen über Tertullian). – – Neander, Antignosticus. Geist des Tertullian und Einleitung in dessen Schriften. Berlin 1825. – Schwegler, Der Montanismus und die christl. Kirche des 2. Jahrh. Tübingen 1841. – Uhlhorn, Fundamenta chronologiae Tertullianeae. Göttingen 1852. – Grotemeyer, Ueber Tertullians Leben und Schriften. I. Mit einem Excurs über die Schrift Ad nationes. Kempten 1863. 4°. – Ebert, Tertullians Verhältniss zu M. Felix (s. oben S. 26, Anm. 1). – Hauck, Tertullians Leben u. Schriften. Erlangen 1877. – Bonwetsch, Die Schriften Tertullians nach der Zeit ihrer Abfassung. Bonn 1878. – Hauschild, Die rationale Psychologie und Erkenntnisstheorie Tertullians. Leipzig 1880. – Nöldechen, Tertullian als Mensch und Bürger, in: Sybels Histor. Zeitschr. Bd. 54. (1885).
Tertullian war um das J. 160 Nöldechen versucht dagegen in der Zeitschr. f. wissensch. Theologie Bd. 29, S. 207 ff. das Geburtsjahr Tertullians auf etwa 150 zurück zu setzen. zu Carthago geboren, der Sohn eines Centurio des römischen Proconsul. Die Eltern waren Heiden. Tertullian erhielt offenbar, wovon seine Werke Zeugniss geben, all die gelehrte Bildung, die seine Vaterstadt, ein Hauptsitz der Studien im römischen Reiche damals, darbot. Die griechische Sprache eignete er sich so an, dass er später als 34 Christ mehrere Bücher, die uns leider verloren sind, darin verfasst hat. Mit welchem Erfolg er aber die Schulen der Rhetoren besuchte, zeigt die Art seiner Beredsamkeit nicht selten. Ferner bekunden nicht bloss einzelne seiner Schriften, sondern sein Stil überhaupt in Wörtern und Wendungen, dass er dem Studium der Jurisprudenz speciell sich gewidmet, ohne Frage als seinem Lebensberuf, wie ihn denn auch Eusebius in seiner Kirchengeschichte Eccles. hist. II, c. 2. einen genauen Kenner der römischen Gesetze nennt. Dass er Anwalt war, ist mir sehr wahrscheinlich. Vgl. auch Nöldechen, Tert. S. 250 ff. Noch als junger Mann zum Christenthum übergetreten, das ihm zuerst durch die Standhaftigkeit seiner Märtyrer und die Gewalt der Christen über die Dämonen imponirte, wurde er Presbyter, ohne Zweifel in Carthago. Er entwickelte alsbald im Interesse des neuen Glaubens eine bedeutende schriftstellerische Thätigkeit, die namentlich unter Sever und Caracalla blühte. Hieronymus, De vir. illustr. c. 53. In der Mitte seines Alters aber schloss er sich offen der Secte des Montanisten an, zu deren religiösen Ansichten seine Natur von Anfang an hinneigen musste. Von ihrem Standpunkte sind nicht wenige seiner Schriften verfasst, in denen er zum Theil die katholische Kirche ebenso heftig, als früher das Heidenthum bekämpfte. Er erreichte nach Hieronymus ein hohes Greisenalter; hiernach sollte man erwarten, dass er bis gegen das fünfte Jahrzehnt des dritten Jahrhunderts gelebt hat.
Tertullian ist einer der genialsten, originellsten und fruchtbarsten unter den christlich-lateinischen Autoren. Wir besitzen von ihm nur Prosawerke, aber dieselben sind stellenweise mit einem wahrhaft dichterischen Schwung und Feuer geschrieben. Die Phantasie hat nicht selten an seiner Darstellung den lebhaftesten Antheil. Und im Bündniss mit ihr wirkt oft ein glänzender Witz, das giftigste und sicherste Geschoss seiner Satire. Wie als Schriftsteller, war Tertullian auch als Charakter ein Original, und die letztere Originalität bestimmte ganz wesentlich die andere, denn nie hat ein Autor mehr von Herzen geredet, als er; so subjectiv ist auch überall seine Darstellung. Wenn Schwegler A. a. O. S. 302. unsern Kirchenvater ›ein Gemüth voll wilder Widersprüche, voll ruheloser Thatkraft, eine altrömische imperatorische Natur‹ nennt, so charakterisirt er ihn treffend – 35 aber unvollständig, er vergass eine punische Sinnlichkeit, Erbtheil der Heimath, vielleicht auch der Mutter, welche den römischen Realismus bei ihm ungemein steigerte, und den Hellenismus der römischen Bildung ganz neutralisirte; dazu kam eine orientalische Phantasie, die diesen eminenten Realisten trotz aller seiner Feindschaft gegen die Philosophie zu transcendentaler Speculation sehr geneigt machte. – Ein ununterbrochener Kampf war sein Leben, ein Kampf mit andern, und mit sich selber. Kaum Christ geworden, tritt er nicht bloss mit dem Heidenthum, sondern auch mit der eigenen Vergangenheit, der er doch seine Bildung zum grössten Theile verdankte, in den feindseligsten Gegensatz: er bekämpft jenes mit dem Fanatismus des Convertiten, als wenn er den eigenen, eben ausgezogenen alten Menschen hasste, er verwirft nicht bloss das heidnische Religions- und Staatswesen, sondern auch Philosophie, Literatur und Kunst; dieser Gegensatz wird noch mehr vertieft und geschärft durch seinen Kampf mit der auf den heidnischen Dualismus gegründeten Gnosis, ein Kampf, der seinen Uebertritt zu dem Montanismus vermittelt, dem der Gnosis ganz entgegengesetzten Extrem christlicher Weltanschauung, das ebenso auf jüdischer Grundlage, als das andere auf hellenischer sich entwickelt hatte. So steht Tertullian als Montanist dem Hellenismus nur um so feindseliger gegenüber, während er zugleich in einen neuen Gegensatz und Kampf, nämlich gegen die katholische Kirche selber eintritt, sodass er nun nach zwei Seiten Front machen muss. Und dabei geräth er auch mit seiner eigenen Vergangenheit in einen neuen Zwiespalt: er gerade hatte die Häresis am erfolgreichsten bekämpft, und der allgemeinen Kirche in dem Grundsatz der Tradition eine unbesiegliche Waffe gegen alle Secten gegeben. In dem Montanismus aber kommt die Eigenthümlichkeit seiner Natur erst zur vollen, freilich extremsten Entwickelung. Hier erscheint sein Realismus bis auf die äusserste Spitze getrieben, sodass er nur mit Mühe vom Materialismus noch zu unterscheiden ist, wie in dem Satze: Nihil est incorporale nisi quod non est , denn: omne quod est, corpus est sui generis . De carne Christi c. 11. Und dieser Satz wird von ihm ausdrücklich nicht nur auf die Seele, sondern auch auf Gott selbst ausgedehnt, während der gnostische Doketismus im 36 Gegentheil selbst dem gekreuzigten Christus nur einen Scheinleib zugestehen wollte. Daher die körperliche Auffassung der Fortpflanzung der Seelen durch Setzlinge und die der Erbsünde gleich einer körperlichen Krankheit! – Bei solchem Mangel von Idealismus und den heftigen Trieben einer phantasievollen, leidenschaftlichen, afrikanisch heissblütigen Natur erscheint ihm das Sinnliche aller Idealität entkleidet, und damit schlechthin sündhaft und verwerflich, sodass er als Montanist, zumal im Angesicht des nahen Weltuntergangs, den diese annahmen, nicht bloss die strengste Askese fordert, sondern selbst soweit sich verirrt, das Wesen der Ehe jetzt nur noch in die commixtio carnis zu setzen. Ja, von diesem Standpunkt aus kommt er zu der wunderlichen, aber ihn recht bezeichnenden Ansicht, dass Christus hässlich gewesen sei! l. l. c. 9.
Kein Schriftsteller belegt Buffon's Satz, dass der Stil der Mensch sei, besser als Tertullian. Und darin liegt vor allem der Reiz seines Stils, trotz aller seiner Gebrechen, dass er eine so bedeutende Individualität auf das lebendigste abspiegelt, und um so mehr, als – was specifisch christlich ist im Gegensatz zum Klassisch-antiken – die Form an sich ihm nichts gilt, sondern nur als Ausdruck des Gedankens. Dies hängt zugleich mit seinem Mangel an Idealismus zusammen; es fehlt ihm der Sinn für Kunstschönheit. Daher findet sich keine künstlerische Composition in seinen Werken, auch da nicht, wo man sie erwarten durfte. Selbst die logische Disposition ist nicht selten mangelhaft. Daher fehlt selbst den Werken, worin seine Beredsamkeit am glänzendsten sich zeigt, die Eurythmie des Periodenbaues, die er auch nimmer beabsichtigte. Das Harmonische war seiner Natur fremd; dagegen fesselt der ›Geist der Widersprüche‹ durch den Reichthum von Antithesen, durch alle Mittel des Wortwitzes und Wortspiels, freilich in der Ueberfülle des Esprit nicht selten die Linie des Geschmacks überschreitend, während die leidenschaftliche Heftigkeit seiner Natur, die schnelle Erregbarkeit seiner Gefühle durch energische schlagende Kürze wirkt in einzeln stehenden Wörtern, abgebrochenen Sätzen, gedrängten Participialconstructionen, allerdings nur zu häufig auf Kosten der Klarheit. Die drängende Hast der Production, die oft mehr einer Inspiration als ruhiger Ueberlegung folgt, lässt 37 auch die Verbindung der Sätze vernachlässigen, die dann entweder dem Nachdenken des Lesers ganz überlassen bleibt, oder auch durch eine gleichgültige, mitunter selbst ganz ungeeignete Partikel hergestellt wird. Am eigenthümlichsten aber zeigt sich wohl der Stil Tertullians in der Wahl der Wörter. Hier tritt jene Gleichgültigkeit gegen den Werth und die Bedeutung der Form als solcher, jene Nichtachtung aller conventionellen und ästhetischen Rücksichten der Sprache am deutlichsten hervor, aber auch die ganze Genialität dieses Realisten, der, wo er den Ausdruck wählt, den bezeichnendsten zu ergreifen weiss, und da, wo der reiche Wortschatz, der ihm zu Gebot steht, nicht ausreicht, mit kühner Schöpferkraft ihn zu ergänzen vermag. S. Hauschild, Grundsätze und Mittel der Wortbildung bei Tertullian. Leipzig 1876 (Osterprogramm der Realschule) und 1881.
Bei der Betrachtung seiner Latinität, wie der seiner Nachfolger, hat man sich meist mit der Bezeichnung ›afrikanisch‹ rasch abgefunden: darunter wurde kurzweg alles Abweichende und Auffallende begriffen. Sehr mit Unrecht. Man muss viel mehr ganz verschiedene Momente wohl von einander scheiden; und es wird dann wenig specifisch afrikanisches übrigbleiben. Vor allem, Tertullian nimmt seinen Ausdruck aus dem ganzen Gebiete der Umgangssprache, welches ja das der römischen Volkssprache unmittelbar berührte, sodass es der geniale Autor ein oder das andere mal auch nicht verschmäht, tiefer in dieses hinabzugreifen: da allein aber können sich die eigentlichen Afrikanismen finden, die nur sehr schwer auszuscheiden sein möchten; das was man gewöhnlich so nennt, sind grossentheils Eigenthümlichkeiten der römischen Umgangs- und Volkssprache überhaupt, wie zur Genüge die romanischen Sprachen zeigen, die eben dieselben bewahrten; man würde sonst zu der lächerlich absurden Annahme genöthigt, diese hätten sich, und sämtlich, in Afrika entwickelt! Das Christenthum aber hat an diesem Element seines Stils wenigstens den Antheil, dass es in seinem demokratischen und kosmopolitischen Geiste das Volksmässige und Landschaftliche überhaupt emancipirte. Ferner schöpfte Tertullian auch aus der Sprache der Wissenschaft, der Rechtswissenschaft nämlich und der griechischen Kirchenväter. Auch in stilistischer Beziehung haben beide bei ihm eingewirkt. Endlich aber hat das Christenthum selbst auch direct seinen 38 Ausdruck beeinflusst. Dieser Einfluss zeigt sich namentlich in dem häufigen Gebrauch von Abstracta, an welchen die lateinische Sprache von Haus aus so arm war, in der Eigenthümlichkeit Handlungen, Zustände, oder Eigenschaften, die Prädicat oder Attribut eines Substantiv sind, selbst durch ein Substantiv auszudrücken, statt durch ein Adjectiv oder Verbum Z. B. Quam sapiens argumentatrix sibi videtur ignorantia humana. De spect. c. 2. Tragoediae et comoediae scelerum et libidinum auctrices cruentae et lascivae. Ibid. c. 17. Adeo quid simile philosophus et Christianus, Graeciae discipulus et caeli, famae negotiator et vitae, verborum et factorum operator etc. Apolog. c. 46., überhaupt in der Neigung zu personificiren. Hierbei war die bildliche Ausdrucksweise des Orients, wie sie in dem Alten Testament und unter dessen Einfluss auch in dem Neuen sich findet, massgebend. Dieser biblischen Einwirkung aber kam die reiche lebhafte Phantasie Tertullians und die punische Seite seiner Natur auf halbem Wege entgegen. Gerade hierin erscheint er auch stilistisch am originellsten und sprachlich am schöpferischsten. Das Sinnliche zu idealisiren vermochte er nicht, wohl aber das Ideelle sinnlich real zu vergegenwärtigen.
Die Schriften Tertullians lassen sich in folgende drei Klassen eintheilen, wie dies auch schon von Neander A. a. O. geschehen ist: 1. solche, welche das Verhältniss des Christenthums zum Heidenthum betreffen, und eben aus diesem Verhältniss ihre Motive haben; es sind vornehmlich Schriften apologetischer und polemischer Natur, und mit ihnen begann Tertullian seine literarische Laufbahn; um so mehr stellen wir sie an die Spitze; – 2. solche, welche der christlichen Moral und Kirchenzucht gewidmet sind, also die sittliche und religiöse Ausbildung des christlichen Individuums wie Gemeinwesens zum Zweck haben; – 3. polemisch-dogmatische Schriften, gegen Häretiker, die Juden, und, von seinem montanistischen Standpunkt, gegen die katholische Kirche selber gerichtet. Von diesen drei Klassen gehört die erste durchaus, die zweite grösstentheils, die dritte aber fast gar nicht in den Bereich unserer Betrachtung. In allen Klassen aber sind die rein montanistischen Schriften von den andern zu unterscheiden; sie verdienen an sich auch hier nicht dieselbe Berücksichtigung, sie haben weniger einen universellen Charakter.
39 Unter den Werken der ersten Klasse, die uns von allen am meisten interessiren müssen, ja unter sämtlichen Werken Tertullians, nimmt vom literarischen Standpunkt die erste Stelle sein Apologeticum ein, zugleich eine der frühesten der uns von ihm erhaltenen Schriften. Sie zeigt die geniale Beredsamkeit Tertullians am glänzendsten und am reichsten, freilich auch die Schwächen und Mängel, die er als Schriftsteller hat, im hellsten Lichte, und um so mehr, je eiliger dieses Werk im Sturm der Begeisterung und im Drange der Noth des Augenblicks hingeworfen ist. Das › Apologeticum‹ ist eine an die Statthalter des römischen Reichs (die Praesides ), zunächst natürlich an den Afrika's, gerichtete Vertheidigungsschrift der Christen, die die Stelle der vor Gericht nicht zugelassenen mündlichen Vertheidigung vertreten sollte, in einem Zeitpunkt lebhafter Verfolgung des Christenthums verfasst, im Herbste des J. 197. S. Bonwetsch, a. a. O. S. 13. Diese Flugschrift, denn so kann man sie nennen, wenn sie auch eine in grossem Stile war, zeichnet sich vor allen andern, lateinischen wie griechischen, Apologien durch ihren juridischen und politischen Charakter aus, und darin besteht denn auch nicht bloss wesentlich ihre Originalität, sondern auch ihr national-römisches Gepräge. Nirgends lässt sich verkennen, dass ein Advocat es war, der diese Apologie verfasst hat.
Die Composition der Schrift, über welche in ihr selbst genügende Andeutungen gegeben werden, gliedert sich in drei Haupttheile. S. Ebert, a. a. O. S. 342 ff., wo ich zuerst auf Grund der Andeutungen des Buches selbst seine Disposition gegeben, und sie im einzelnen dargelegt habe. Erstens eine Einleitung ( praefatio, c. 1–6), worin die Abfassung motivirt wird: die Christen, sagt Tertullian, werden auf den blossen Namen Christi hin inquirirt, und schon bei Eingeständniss desselben, ohne weiteres verurtheilt, sodass der Wahrheit, die hier der Verfasser in schöner Personification selbst als den Anwalt des Christenthums einführt, keine öffentliche Vertheidigungsrede gestattet ist; ›deshalb soll sie nun wenigstens auf dem verborgenen Wege der stummen Schriftzeichen zu der Statthalter Ohr gelangen‹. Noch wird hier der Einwand, dass nun einmal solche Gesetze gegen das Christenthum beständen, widerlegt: denn wie viele andere Gesetze seien ja ausser Anwendung gekommen! Den zweiten Haupttheil bildet 40 dann die eigentliche Apologie; er gliedert sich in zwei Unterabtheilungen wieder, von denen die erste nur drei Kapitel (7–9) zählt und die ›geheimen Verbrechen‹ der Christen kurz behandelt. Es sind die schon von Minucius Felix erwähnten. Weit eingehender und ausführlicher aber wird zweitens die Anklage der ›offenbaren‹ untersucht (c. 10–46), nämlich der Nichtverehrung der Götter und der Majestätsbeleidigung, an welche letztere sich die Anklage der Staatsfeindschaft und Benachtheiligung anschliesst. Diese 37 Kapitel, das Gros des Buches, bilden den eigentlichen Kern der Apologie. Indem Tertullian hier den ersten Vorwurf als nichtig abweist (wie Minucius, ›denn die Götter sind keine‹), wirft er ihn zugleich auf die Heiden selbst zurück, da sie dieselben Götter unehrerbietig genug behandeln. Er zeigt dann, was die Christen verehren; es ist nicht, wie die Thorheit und Bosheit der Heiden behauptet, ein Eselskopf, das Kreuz oder die Sonne, sondern der einzige Gott, der Schöpfer der Welt, welchen seine Werke, das Zeugniss der Seele in des Volks Stimme und die heiligen Schriften – das Alte Testament ist hier gemeint – erweisen; woran sich hier noch eine kurze Darlegung des Unterschieds des Christenthums vom Judenthum knüpft. Die heidnische Religion ist dagegen nur Dämonenverehrung. Nach des Minucius Vorgang bestreitet Tertullian dann noch, dass die Römer ihrer Religiosität die Weltherrschaft verdankten (c. 25 f.). – Darauf geht er zu dem crimen laesae majestatis über (c. 28), das man namentlich in der Weigerung der Christen, dem Genius des Kaisers zu opfern, fand. Ein solcher Dämon, meint Tertullian – indem er seine Existenz nicht bestreitet – könne, weil zum Schutze seiner Heiligthümer des Kaisers selber bedürftig, diesem nichts helfen; das Opfer wäre also nutzlos: dagegen beteten die Christen für des Kaisers Wohl, und nützten ihm so, da ihr Gebet allein von Gott erhört werde. Ein solches Gebet sei selbst in ihrem eigenen Interesse, weil an die Erhaltung des römischen Reichs sich die Fortdauer der Welt knüpfe: so wird schon von Tertullian das römische Weltreich als das letzte betrachtet, mit dessen Ende das Ende der Welt zusammenfällt. Est et alia maior necessitas nobis orandi pro imperatoribus, etiam pro omni statu imperii rebusque romanis, qui vim maximam universo orbi imminentem ipsamque clausulam saeculi acerbitates horrendas comminantem romani imperii commeatu scimus retardari. c. 32. Der Kaiser, von dem einzigen Gotte, 41 den die Christen verehren, eingesetzt, gehöre ja ihnen auch mehr als den Heiden. – Tertullian zeigt hierauf, dass die Christen keine publici hostes (c. 36 f.) sind, wenn sie auch keine erlogenen Ehren den Kaisern widmen und deren Feste nicht durch Ausschweifungen feiern. Sie sind keine ›Faction‹, denn nichts liegt ihnen ferner als die Politik. Er gibt dann ein Bild ihres frommen Gemeinlebens. Endlich weist er hier noch die Beschuldigung zurück (c. 42 f.), dass die Christen infructuosi in negotiis wären, im Handel und Wandel nichts zu verdienen gäben, und so das Gemeinwesen benachtheiligten. Nur die ein unsittliches Gewerbe treiben, haben Grund, sich so zu beklagen; aber wie viel nützen andererseits im besondern die Christen schon dadurch, dass sie die Dämonen auszutreiben verstehen! – Der dritte Haupttheil, der mit dem Vorausgehenden nur ganz lose zusammenhängt, bildet gleichsam einen Epilog (c. 46–50), welcher die Ansicht der humanern Heiden widerlegt, dass das Christenthum nur eine Art von Philosophie sei. Hier zeigt sich denn zuerst der Tertullian eigenthümliche Hass gegen die heidnischen Philosophen, der seltsam contrastirt mit der Forderung allgemeiner Religionsfreiheit, der wir hier auch, zuerst in seinen Schriften, begegnen. c. 24.
Wie die ganze Anlage des Werks den juridisch-politischen Charakter desselben offenbart, denn das Schwergewicht ruht durchaus in der Vertheidigung gegen die Anklage der Verletzung der Staatsreligion, der kaiserlichen Majestät und des Gemeinwesens: so auch die Art der Beweisführung sowie der Stil überhaupt. In allen diesen Beziehungen steht das Werk im vollsten Gegensatz zu dem des Minucius, welchem es manches an Gedanken und Material entlehnt hat, zum Theil sogar mit denselben Worten. Dies habe ich in der oben citirten Abhandlung zur Genüge nacbgewiesen. Tertullian, dem es in seinen Schriften nur um die Sache zu thun war, und vor allem in dieser, nahm um so weniger Anstand seinen Vorgängern zu entlehnen, was ihm zweckdienlich schien. Vgl. Ebert, a. a. O. S. 379 u. 381. Ebenso verfuhr er unter Umständen mit seinen eigenen, früher geschriebenen Büchern. Dies ist sogleich der Fall in seinem andern grössern, um dieselbe Zeit verfassten Die wechselseitigen Bezugnahmen in beiden Werken zeigen fast gleichzeitige Abfassung; das Apologeticum halte ich, wie angezeigt, für früher vollendet, vielleicht ist dagegen das Werk › Ad nationes‹, und zwar sein erstes Buch, früher allgemein publicirt worden, während das Apologeticum zunächst nur den Praesides zugestellt ward. Es ist aber auch in Anbetracht der schlechten und unvollständigen Ueberlieferung des Werks › Ad nationes‹ in einer einzigen Handschrift gar nicht unmöglich, dass es vom Autor selbst unvollendet gelassen und überhaupt nicht veröffentlicht worden ist. Vgl. Bonwetsch, a. a. O. S. 20 f. 42 apologetischen Werke, den zwei Büchern Ad nationes oder Ad gentes .
Diese ›an die Heiden‹ überhaupt gerichtete Apologie, die uns aber nur unvollständig erhalten ist, enthält im ersten Buch bloss eine Reproduction eines Theils des ›Apologeticum‹, oft mit ganz denselben Worten, im zweiten dagegen eine Ergänzung zu ihm. Im ersten Buch werden nämlich hauptsächlich die Anklagen der Heiden in Betreff der Sittlichkeit und der Gottesverehrung der Christen abgewiesen und auf sie selber zurückgeworfen, vornehmlich auf Grund der ersten 16 Kapitel des ›Apologeticum‹ (mit Ausnahme jedoch von c. 10 u. 11); nur nebenher wird noch anderer Vorwürfe gedacht (wobei die letzten 10 Kapitel des ›Apologeticum‹ zum Theil benutzt sind), die politischen Anklagen aber werden kaum berührt. Das zweite Buch ist dagegen allein dem Beweise der Nichtigkeit der heidnischen Götter gewidmet, die in den Kapiteln 10 u. 11 des ›Apologeticum‹ bloss vom euhemeristischen Gesichtspunkt kurz dargelegt war Diese nachträgliche Behandlung des Inhalts der beiden Kapitel des ›Apologeticum‹ in dem zweiten Buche des Werks ›Ad nationes‹ (c. 12 u. 13) zeugt auch recht für die spätere Abfassung des letztern; schon an sich, aber sie entspricht auch genau dem Verfahren, das Tertullian andern von ihm benutzten Werken gegenüber einhielt, wie dem ›Octavius‹ und dem Werk des Irenaeus. S. Ebert, a. a. O. S. 353 u. 381.; hier aber betrachtet nun Tertullian ganz ausführlich die Religion der Heiden, und speciell der Römer, das Werk des Varro seiner Untersuchung zu Grunde legend, ähnlich wie dieser, nach der physischen Auffassung der Philosophen, der mythischen der Dichter, und der volksthümlichen. – Da dies Werk Tertullians nur in einer und zwar sehr defecten Handschrift uns erhalten ist, so lässt sich schwer darüber urtheilen. Von dem ›Apologeticum‹ unterscheidet sich die Schrift, so viel sie auch aus ihm wörtlich entlehnt hat, scharf, indem sie an der Stelle des juridisch-politischen Charakters vielmehr eine philosophisch-rhetorische Behandlung zeigt. Ihre Aufgabe war auch eine andere, sie sollte keine gerichtliche Vertheidigung sein, wie denn 43 überhaupt in der Schrift, worauf man mit Recht schon aufmerksam gemacht hat, der defensive Charakter hinter dem offensiven sehr zurücktritt. Nicht nur hat das zweite Buch den letztern allein, sondern er wiegt auch im ersten vor, wie schon der Schluss desselben zeigt, der in dem Satze: ›Nehmt erst den Balken aus euerm Auge, um den Splitter aus fremdem zu ziehn‹, gleichsam das Motto der ganzen Schrift enthält. Die noch grössere Feindseligkeit der Gesinnung gegen das Heidenthum hat in neuerer Zeit selbst die Vermuthung erweckt, dass die Schrift schon den montanistischen Tertullians zuzugesellen sei. So bei Grotemeyer, a. a. O.
Wie die Schrift Ad nationes eine theilweise Ergänzung des ›Apologeticum‹ bietet, so auch eine kleine Abhandlung Tertullians, die einem einzelnen, übrigens aus dem ›Octavius‹ entlehnten, Beweisgrund des ›Apologeticum‹ für den christlichen Monotheismus eine selbständige und ausführlichere Darlegung widmet. Vgl. Apologet. c. 17, Octav. c. 18. – Das Schriftchen nimmt auch an einer Stelle c. 5 direct Bezug auf Apolog. c. 19. Es ist das schöne Schriftchen: De testimonio animae (sechs Kapitel), worin die Seele selber ›vorgeladen‹ wird, Zeugniss abzulegen, und in den ersten vier Kapiteln apostrophirt wird, was einen poetischen Hauch über die ganze Darstellung verbreitet, die ebenso lebendig als geistvoll, auch durch eine gewisse Einfachheit des Stils sich auszeichnet, entsprechend jener Einfalt und Naivetät, die als erste nothwendige Eigenschaft von der Zeugin selber verlangt wird. Denn die Seele soll noch ungebildet sein, um ein unverfälschtes Zeugniss abzulegen. Te simplicem et rudem et impolitam et idioticam compello, qualem habent qui te solam habent – – Imperitia tua mihi opus est, quoniam aliquantulae peritiae tuae nemo credit. C. 1. Dasselbe wird hier aber von ihr nicht allein für den einen Gott (wie im ›Octavius‹), sondern auch für die Existenz der Dämonen (in ihren Verwünschungen) und für die Unsterblichkeit abgegeben. Aus der Seele aber spricht die Stimme der Natur, ihrer Lehrerin, die selbst wieder die Schülerin Gottes ist; und sie spricht für das Christenthum, gegen das Heidenthum. Dies ist aber ein Zeugniss der ganzen Menschheit. Der Gedanke der Einheit derselben wird hier zum Schluss mit nachdrucksvollen, begeisterten Worten hervorgehoben. Non Latinis nec Argivis solis anima de caelo cadit. Omnium gentium unus homo nomen est, una anima, varia vox, unus spiritus, varius sonus, propria cuique genti loquela, sed loquelae materia communis.
44 Um dieselbe Zeit als das ›Apologeticum‹ und unter dem Einfluss derselben Zeitverhältnisse scheint das Schriftchen Ad martyres (nur fünf Kapitel) verfasst, welches in einem sehr schwungvollen, bilderreichen Stile geschrieben ist. Tertullian tröstet darin die im Kerker schmachtenden, von der Todesstrafe bedrohten Christen, indem er sie zugleich warnt vor den Versuchungen des Teufels, dessen Haus ja der Kerker sei. Sie sollten namentlich die Eintracht und den Frieden unter sich selbst bewahren, sie, von denen so manche den Frieden, welchen sie in der Kirche nicht hatten, erflehten – womit Tertullian die Fürbitte der Märtyrer für die Abgefallenen meint. Er vergleicht dann die Welt selbst mit einem Kerker: die Märtyrer hätten also einen Kerker nur verlassen, statt in einen einzutreten; ihr Aufenthalt sei vielmehr bloss ein Ort der Abgeschiedenheit, ein secessus ; der Geist sei frei, umher zu wandeln auf dem Wege, der zu Gott führe. – Und sind nicht die Christen alle im Kriegsdienst Gottes? Der Kerker ist eine Palästra, wo sich diese Athleten des Herrn für ihren guten Ringkampf ausbilden sollen, d. h. für das Tribunal sich bereiten. Das Fleisch ist ja schwach, um so stärker der Geist, das Herbste mit Gleichmuth zu ertragen; wie schon die Heiden aus Ruhmbegier, und selbst aus blosser Lust an dem Waffenwerk zeigten! Wer aber möchte nicht sehr gern für die Wahrheit ebenso viel zahlen, als andere für den Irrthum? – Die Schrift ist um so anziehender, als jene später in der christlichen Gedankenwelt so trivial gewordenen Bilder, die hier ganz im einzelnen ausgemalt sind, noch den Reiz frischer Ursprünglichkeit haben. Die Bilder an sich aber sowie ihre detaillirte Ausführung haben etwas specifisch christliches.
Zwei andere, sehr interessante Schriften dieser Klasse schliessen sich an die im ›Apologeticum‹ gegen das Heidenthum gerichtete Polemik an, obgleich sie nur an die Christen sich wenden. Sie sind auch wohl um dieselbe Zeit als jenes verfasst. Ich meine die miteinander eng verbundenen Werkchen De spectaculis Tertulliani libellus de spectaculis. Ad cod. Agobardinum denuo collatum rec. Klussmann. Leipzig 1877. und De idolatria , von welchen das letztere gleichsam ein Supplement, d. h. eine Fortsetzung oder weitere Ausführung des erstern ist. In ihnen zeigt sich der Antagonismus des Tertullian gegen die heidnische ästhetische Kultur 45 ebenso entschieden, als am Schluss des ›Apologeticum‹ gegen die heidnische Philosophie. Das Buch De spectaculis (30 Kapitel) hat die Tendenz, den Christen, und namentlich auch den Katechumenen, von dem Besuche der Schauspiele, als unverträglich mit dem Christenthume, durchaus abzurathen, indem zuerst die Gründe, womit ihn manche entschuldigen wollten, und die zum Theil die Heiden selbst angegeben hatten, widerlegt, dann die, welche dagegen sprechen, ausgeführt werden. Jene Entschuldiger aber sagten, die Religion sitze ja in dem Herzen, ein so äusserliches Vergnügen der Augen und Ohren könne sie nicht stören; dergleichen zu seiner Zeit zu geniessen, unbeschadet der Ehrfurcht vor Gott, könne diesen nimmer beleidigen. Auch bemerkten sie, dass ja alles Material der Schauspiele, wie Pferde, Löwen, Körperkräfte, eine schöne Stimme, Gaben Gottes und daher gut wären. Dies war, wie sich weiter unten zeigen wird, offenbar gegen die Besorgniss der Christen, dass sie sich durch den Schauspielbesuch der Idolatrie schuldig machen könnten, gerichtet. – Aber das Gold der Götzenbilder selbst ist auch von Gott geschaffen, wendet unter anderm Tertullian ein (c. 2). ›Was ist nicht von Gott, was Gott beleidigt? Aber wenn es ihn beleidigt, hört es auf Gottes zu sein, und wenn es dies aufhörte, beleidigt es.‹ Die Dinge werden eben dem ursprünglichen göttlichen Zwecke durch die Menschen entfremdet. Endlich aber machten auch Christen von sich selbst aus geltend, dass ein solches Verbot sich doch nirgends in den heiligen Schriften fände. Nachdem auch diese Entschuldigung Tertullian abgewiesen, zeigt er nun, aus welchen Gründen die Schauspiele zu fliehen seien. Es ist einmal die Idolatrie, aus welcher die ganze Ausrüstung ( paratura ) der Schauspiele bestehe, und die ja der Ursprung derselben zur Genüge offenbare, wie Tertullian im einzelnen nachweist; dann aber ihre Unsittlichkeit, sie sind eine Art der Wollust ( species voluptatis ): mindestens ist, wie bei den Circusspielen, leidenschaftliche Aufregung und Erschütterung des Gemüths nicht zu vermeiden, durch die der heilige Geist in uns betrübt wird. Indem hier nun Tertullian eine moralische Kritik von allen Arten der Schauspiele gibt, und auch die Tragödie und Komödie kurz berührt, erklärt er sich scharf gegen die weltliche Literatur überhaupt: doctrinam saecularis litteraturae ut stultitiae apud deum deputatam aspernamur c. 18. – 46 wir verachten die weltliche Literatur als eine Thorheit vor Gott – ein Satz, der als Motto für die ganze von Tertullian vertretene literarische Richtung gelten könnte. Gegen das Drama aber schliesst der Realist sein Verdammungsurtheil mit den Worten: Quod in facto reicitur, etiam in dicto non est recipiendum . c. 18. – An der Verwerfung der Schauspiele erkennen selbst die Heiden am meisten die Christen, sagt er. Numquid ergo superest, ut ab ipsis ethnicis responsum flagitemus? Illi nobis iam renuntient, an liceat Christianis spectaculo uti. Atquin hinc vel maxime intellegunt factum Christianum de repudio spectaculorum. c. 24. Hieran kann man recht die Bedeutung der Schauspiele für den Polytheismus in jenen Zeiten erkennen. Die Zeit ihrer eigenen Freuden ist noch nicht gekommen. Und doch, welche Genüsse, sittlicher Art, bietet schon jetzt das Christenthum! Ja selbst, ›wenn das literarische Drama ergötzt, so haben wir Literatur genug, Verse, Sentenzen, Lieder genug, und dabei keine Fabeln, sondern Wahrheit, keine künstlichen Strophen, sondern Einfalt‹. Si scenicae doctrinae delectant, satis nobis litterarum est, satis versuum est, satis sententiarum, satis etiam canticorum, satis vocum, nec fabulae, sed veritates, nec strophae, sed simplicitates. c. 29. ›Strophae‹ ist hier allerdings mit Witz ebenso doppelsinnig gesagt als ›fabulae‹, indem es zugleich ›Ränke‹ bedeuten soll, was die Uebersetzung nicht wiedergeben kann; wäre von Musik statt von Poesie die Rede, könnte man vielleicht mit ›Kunstgriffe‹ sich etwas helfen. Am Schluss aber endlich vertröstet Tertullian den den heidnischen Schauspielen entsagenden Christen auf das nahe bevorstehende gewaltige der Ankunft des Herrn: und hier zeigt sich denn die ganze Leidenschaftlichkeit seiner Natur, der ganze Hass seiner Seele gegen das Heidenthum in dem glänzenden Gemälde, das seine Phantasie im Bunde mit dem Witz von dem Schauspiele des jüngsten Gerichts entwirft. Hier macht ihn der Zorn nicht bloss beredt, sondern zum Dichter. Die Stelle charakterisirt Tertullian zu sehr, um hier nicht einen Auszug zu geben: Quae tunc spectaculi latitudo! quid admirer? quid rideam? ubi gaudeam? ubi exultem, spectans tot ac tantos reges, qui in caelum recepti nuntiabantur, cum ipso Jove et ipsis suis testibus in imis tenebris congemiscentes! Tunc magis tragoedi audiendi, magis scilicet vocales in sua propria calamitate; tunc histriones cognoscendi solutiores multo per ignem; tunc spectandus auriga, in flammea rota totus rubens etc. c. 30.
Die andere Schrift (24 Kapitel), welche auf die eben besprochene selbst Bezug nimmt (in c. 13), betrachtet nun das 47 Verbrechen der Idolatrie, welches eins der Hauptargumente gegen den Besuch der Schauspiele, wie wir sahen, war, im allgemeinen, um auf Grund desselben die Enthaltung von jeglicher Theilnahme und Berührung mit der heidnischen Religion zu fordern, namentlich bei den verschiedenen Gewerben und Aemtern. – Der Eingang des Buches kann recht zeigen, zu welchen Sophismen Tertullian seine das Extreme liebende Strenge und sein leidenschaftlicher Witz verführen: Das Hauptverbrechen des menschlichen Geschlechts, beginnt er, ist die Idolatrie, der ganze Gegenstand des Gerichts. Principale crimen generis humani, summus saeculi reatus, tota causa iudicii idolatria. In ihr sind alle andern Vergehen enthalten. So ist der Götzendiener ein Mörder, denn er ermordet sich selbst; er begeht Nothzucht und Schändung, denn er nothzüchtigt die Wahrheit und schändet sich selbst So lassen sich annäherungsweise die Worte wiedergeben: Proinde adulterium et stuprum in eodem recognoscas: nam qui falsis deis servit, sine dubio adulter est veritatis, quia omne falsum adulterium est. Sic et in stupro mergitur. Quis enim immundis spiritibus cooperator non conspurcatus et constupratus incedit? c. 1.; er ist ein Betrüger, denn er betrügt Gott um das, was er ihm schuldet. – Interessant ist im Folgenden zunächst die Stellung, die ein solcher Wortführer des Christenthums als Tertullian der Kunst und dem kunstmässigen Handwerk gegenüber einnimmt. Da fast die ganze bildende Kunst der Alten eine religiöse oder mythologische Beziehung hatte, so verweist er den christlichen Künstler theils auf das rein Handwerksmässige, das zwar schlechter bezahlt würde, aber häufiger vorkäme, theils auf Arbeiten des Privatluxus, so wenig er auch diesen billigt. Nicht allein das letztere, sondern auch seinen der Kunst überhaupt feindseligen Standpunkt zeigt dabei recht die Art, wie er sich ausdrückt: Tot sunt artium venae quot hominum concupiscentiae. – – Sufficiat ad quaestum artificiorum frequentior omni superstitione luxuria et ambitio (c. 8). Es macht ganz den Eindruck, als wenn er überhaupt keine andern Quellen der Kunst kenne, als die Lüste der Menschen, als wenn nach ihm die Kunst in sich selbst keine Existenzberechtigung trage. Zugleich aber sieht man hier, dass der christliche Kultus damals der Kunst überhaupt noch nicht bedurfte; denn seiner wird hier nicht mit einem Worte gedacht.
48 Auch von besonderm Interesse ist, dass Tertullian die Stellen eines Schullehrers und eines Professor litterarum für unvereinbar mit dem Christenthume erklärt (c. 10), weil nicht zu bezweifeln, dass sie mit vielerlei Idolatrie in Berührung kämen. Sie mussten die Mythologie lehren, und die Feste der Götter beobachten, und letzteres schon ihrer Einkünfte wegen – der Gaben wegen, die sie bei der Gelegenheit erhielten. Christliche Schulen gab es ja nicht. Aber man könnte nun sagen, meint Tertullian, wenn das Lehren der Literatur den Knechten Gottes nicht erlaubt ist, so wird auch das Lernen derselben ihnen nicht gestattet sein. Diesen Schluss verwirft er. Das Leben fordert einmal diese allgemeine Bildung, und ohne die weltlichen Studien sind auch die göttlichen nicht möglich. Die Nothwendigkeit der literarischen Ausbildung lässt sich also nicht bestreiten. Die ratio discendi und docendi ist auch eine verschiedene. Der christliche Schüler wird bei der Unterweisung in der Mythologie so sicher sein, als der, welcher wissend von einem Unkundigen Gift erhält und es nicht trinkt. Er braucht auch nicht die Schulfeste mitzumachen. Noch sei bemerkt, dass Tertullian die Bekleidung eines obrigkeitlichen Amtes für sehr schwer, den Soldatendienst aber für absolut unvereinbar mit dem Christenthume hält, Ansichten, die aber, wie seine Darstellung selber zeigt, auch zu seiner Zeit von vielen Christen nicht getheilt wurden.
Noch gehören zu dieser Klasse vier Schriften Tertullians, die er in der Zeit, wo er sich schon zu den montanistischen Ansichten bekannte, verfasst hat. Zwei unter ihnen haben indess auch ein allgemeineres Interesse und einen grössern literarischen Werth, von welchen die eine im Inhalt an das Buch De idolatria sich anschliesst. Es ist die Schrift De corona (15 Kapitel). Sie hatte eine eigenthümliche Veranlassung: bei Vertheilung eines kaiserlichen Donativum war ein christlicher Soldat mit dem Lorbeerkranz in der Hand, statt auf dem Kopfe, erschienen, aus Furcht, der Idolatrie sich schuldig zu machen, denn den Kopf zu bekränzen hielten die Christen schon frühe für etwas specifisch heidnisches. Der Soldat, darüber befragt, gab sich denn auch ungescheut als Christen zu erkennen. Viele der Christen aber missbilligten dieses Benehmen als eine Provocation des Märtyrerthums. Tertullian vertheidigt nun in dieser Schrift dasselbe, ja feiert es als eine Heldenthat, indem er jenes 49 Verbot der christlichen Sitte als ein heiliges, unverletzbares nachzuweisen sucht. Das Werkchen enthält Stellen schöner Beredsamkeit, aber auch blosser geistreicher Sophistik. – Die andere Schrift ist das kurze, an den Proconsul Afrikas, Scapula, gerichtete apologetische Sendschreiben ( Ad Scapulam , 5 Kapitel), schon nach Severus' Tode verfasst. Es ist eine Verwarnung an den Statthalter, sich durch Verfolgung der Christen nicht die Strafe Gottes zuzuziehen, indem ihm manche Beispiele von dem Gottesgericht, das ihre Feinde traf, vorgehalten werden. Die religiöse Toleranz wird hier wieder mit beredten Worten gefordert. – – humani iuris et naturalis potestatis est unicuique, quod putaverit, colere, nec alii obest aut prodest alterius religio. Sed nec religionis est cogere religionem etc. c. 2. Dieses auch durch manche geschichtliche Notizen werthvolle Schriftchen bezeugt zugleich von neuem, wie Tertullian sich selber auszuschreiben nicht anstand, indem das zweite Kapitel fast ein blosser Auszug aus dem ›Apologeticum‹ ist. – Die beiden andern Schriften, die uns hier weniger interessiren, sind Polemiken vom montanistischen Standpunkt, welche in gewisser Weise an das Buch De corona sich anschliessen, insofern sie das Verdienstliche des Märtyrerthums betreffen, die eine: Scorpiace (Gegengift gegen den Scorpionsstich, 15 Kapitel), gegen die Gnostiker, welche dasselbe ganz leugneten, die andere: De fuga in persecutione (14 Kapitel), gegen die in der Kirche damals herrschende Ansicht, dass es erlaubt sei, sich durch die Flucht dem Märtyrertod zu entziehen.
Von den Schriften der zweiten Klasse, zu deren Betrachtung wir nun schreiten, ist ohne Frage die anziehendste, und die zugleich den universellsten Charakter, sowie die meiste philosophische Haltung hat, das Buch: De patientia (16 Kapitel). Es ist auch für die Charakteristik des Autors von besonderm Werthe. Tertullian und die Geduld – als wenn ein Blinder von den Farben schriebe! Diesen Widerspruch gibt der Verfasser auch selber im Eingang mit liebenswürdiger Offenheit zu, indem er mit den Worten beginnt: ›Ich bekenne bei Gott dem Herrn, dass es von mir ein gar kühnes, wenn nicht selbst unverschämtes Wagniss ist, über die Geduld zu schreiben, die ich so wenig zu üben im Stande bin, insofern es nöthig, auf die Ausübung einer Sache, die man zu beweisen und zu empfehlen unternimmt, sich selbst zu verstehen, und durch die Auctorität des eigenen 50 Beispiels der Ermahnung Halt zu geben; damit nicht die Worte über die mangelnden Thaten erröthen.‹ Aber diese Scham gerade soll ihn lehren, was er andern räth, selbst zu leisten; wozu allerdings bei einem so grossen Gute noch die besondere Gnade Gottes nöthig sei. Unterdessen sei es schon ein Trost von dem zu reden, was man nicht besitze, wie die Kranken von den Gütern der Gesundheit. ›So muss ich elendester, immer krank an dem Fieber der Ungeduld, nach der Gesundheit der Geduld, die ich nicht erlange, seufzen und darum beten und rufen, indem ich bei der Betrachtung meiner Schwäche bedenke, dass nicht leicht einer das Wohlbefinden des Glaubens und die Gesundheit der christlichen Zucht erlangt, wenn er nicht der Geduld sich befleissigt.‹ Daher ehren sie auch die Heiden mit dem Namen der höchsten Tugend: die Philosophen aller Schulen, die sonst auseinander gehen, stimmen darin überein, indem sie gerade von ihr alle Ostentation der Weisheit entlehnen. – Dieser Eingang zeichnet sich durch Frische, Lebendigkeit und persönliche Wärme der Darstellung aus – wie denn überhaupt Tertullian durch seine Eingänge, die häufig recht originell sind, von vornherein zu fesseln versteht; hier ist das geschickt gewählte Bild von dem Kranken von besonderer Wirkung.
Der weitere Gang der Darstellung ist in der Kürze folgender. Das Beispiel Gottes als Vater und als Sohn empfiehlt uns diese Tugend, die recht zu seinem Wesen gehört. Gott müssen wir folgen: so gehorchen wir ihm, indem wir uns jener befleissigen. Gehorsam und Geduld gehören zu einander: wir können nur gehorchen, wenn wir geduldig sind. Hiermit wäre schon genug zur Empfehlung dieser Tugend gesagt, aber Gesprächigkeit bei erbaulichen Dingen ist nie vom Uebel. ›Wenn von einem Gut die Rede ist, verlangt der Gegenstand, auch das Gegentheil zu untersuchen. Was man zu befolgen hat, leuchtet um so mehr ein, wenn man zugleich erörtert, was zu vermeiden. Betrachten wir also die Ungeduld‹ (c. 5). Sie hat ihren Ursprung im Teufel, wie die Geduld in Gott. Ob jener zuerst böse oder ungeduldig war, lässt sich nicht entscheiden. Die Ungeduld ist die Mutter aller Sünden. Das Böse selbst ist nur die impatientia boni (hier wie bei der ganzen Deduction ist wohl zu berücksichtigen, dass der lateinische Ausdruck impatiens eine viel weitere Bedeutung als der deutsche ungeduldig hat). – Die Geduld ist vom Glauben unzertrennlich, 51 indem sie ihm folgt oder vorausgeht. Sie ist eine specifisch christliche Tugend: durch sie wurde das Gesetz erfüllt und erweitert; zur Lehre der Gerechtigkeit hatte die Geduld gefehlt, die noch nicht auf Erden war, weil der Glaube nicht da war. – Nun betrachtet Tertullian (c. 7 ff.) die Hauptursachen der Ungeduld: Vermögensverlust, Beleidigungen, Verlust der Unserigen, Rachsucht, ›ihr höchster Stachel‹, und zeigt, wie ungerechtfertigt diese Motive sind; um wie viel mehr unbedeutendere Anlässe! Der Lohn der Geduld aber ist die Seligkeit. Sie ist auch der Busse behülflich: wird doch die christliche Liebe von ihr erzogen. So erscheint sie mit den drei Cardinaltugenden innig verbunden. ›Es erschöpfen sich Sprachen, Wissenschaften, Prophetien; Glaube, Hoffnung, Liebe bestehen: der Glaube, welchen Christi Geduld einführte, die Hoffnung, welche des Menschen Geduld erwartet, die Liebe, welche unter Gottes Führung die Geduld begleitet‹ (c. 12). Auch der Leib darf dieser Tugend nicht entrathen: denn das Fleisch ist ohne sie schwach. Als Muster der Geduld werden dann Esaias, Stephan und Hiob aufgestellt. Das Ganze schliesst unser Autor (c. 15) mit einem Panegyricus auf die Geduld, worin die personificirende Darstellung, die sich durch das ganze Buch mehr oder weniger geltend macht, ihren Höhepunkt erreicht: denn auch effigies und habitus der Geduld werden beschrieben: ›ihr Gesicht ruhig und sanft, die Stirn rein, in keine Falten der Trauer oder des Zornes zusammengezogen, die Augenbrauen gesenkt in freundlicher Weise, die Augen niedergeschlagen vor Demuth, nicht aus Unglück; der Mund durch Schweigsamkeit geziert; die Farbe die der Sorglosen und Unschuldigen; der Kopf häufig und mit drohendem Lächeln gegen den Teufel bewegt; ihre Brust umgeben von einem schneeweissen Gewand, das sich dem Körper anschmiegt, sodass es nicht herumflattert. Sitzt sie doch auf dem Thron des mildesten und sanftesten Geistes. Denn wo Gott ist, da ist auch seine Pflegetochter, die Geduld.‹ – Dies ist die christliche Geduld, eine andere als die falsche, schimpfliche der Heiden, als die Geduld der Parasiten, der Erbschleicher, der Ehemänner, die nur der dos wegen heirathen.
Diese Analyse, die ich genauer gegeben, um auch auf diesem moralisch-didaktischen Gebiete die Darstellung Tertullians etwas eingehender zu charakterisiren, zeigt zwar auch keine feste logische Ordnung der Schrift, noch weniger eine Kunst 52 der Composition, nur davon abgesehen, dass der Verfasser im Eingang das Interesse lebhaft zu erwecken und am Schluss geschickt zu steigern vermocht hat. Tertullian weiss eben immer zu fesseln: wo er auch den Verstand unbefriedigt lässt, da wirkt er um so mehr durch die Erregung des Gefühls und der Phantasie; und wo man Ordnung in der Disposition vermisst, überrascht er durch Originalität des Gedankens oder Ausdrucks. Schon das warme Hervortreten der Subjectivität des Autors und zwar von Seiten des Gemüths gibt dem Werke, verwandten klassischen gegenüber, einen andern Charakter: die Erörterung des Gegenstandes, fühlt man überall, ist dem Verfasser wahre Herzenssache; diese Tugend, der zu huldigen ihm persönlich so schwer fällt, erscheint ihm nur in um so idealerem Lichte. Die Personificirung der Tugenden und Laster aber, wie sie hier seiner ganzen Ausdrucksweise zu Grunde liegt, wenn sie auch bald mehr, bald weniger rein hervortritt, verleiht seinem Stile ein eigenthümlich christliches poetisches Element. Die Allegorie ist ja eine dem Christenthum durchaus homogene Kunstform. In dem oben mitgetheilten ausgeführten Bilde am Schlusse des Buches aber findet sich eine merkwürdige Mischung klassisch-sinnlicher Objectivität und der entgegengesetzten, dem Christenthum eigenen geistigen Darstellungsweise: ja, die klassische statuenmässige Ruhe wird in dem Bilde selbst ganz zerstört durch die Bewegung des Hauptes.
Die andern Schriften dieser Klasse stehen gegen die eben besprochene in allgemeiner literarischer Rücksicht entschieden zurück; um so kürzer können wir uns über sie fassen.
Die Schrift über das Gebet ( De oratione , 29 Kapitel), in einem einfachen würdigen Ausdruck gehalten, gibt zunächst eine Erklärung des Vaterunser, des Gebetes κατ' ἐξοχήν, in welchem Tertullian ein Breviarium des ganzen Evangelium findet, dann Unterweisungen über die Zeit, den Ort, die Art und Weise des Betens, sowohl über die äussern Gebräuche als die innere Stimmung, und schliesst mit einem Preise der Wirkung des Gebetes, in welchem die Darstellung einen fast poetischen Aufschwung nimmt.
Der christlichen Ehe, insbesondere aber der Frage einer zweiten Heirath, hat Tertullian mehrere Schriften gewidmet; die anziehendste und älteste sind die beiden kleinen Bücher Ad uxorem (jedes von 8 Kapiteln), worin er für den Fall seines 53 Todes seiner Gattin seine Willensmeinung in jener Beziehung zu erkennen gibt. Dieses persönliche Interesse gibt auch dieser Schrift einen besondern Reiz. In dem ersten Buche entscheidet sich Tertullian gegen die Wiederverheirathung, indem er eine volle Enthaltsamkeit in sexueller Beziehung überhaupt für das Ideal erklärt; trotzdem verwirft er nicht schlechthin die zweite Heirath, in Anbetracht der menschlichen Schwachheit; nur verlangt er, und dies wird im zweiten Buche ausgeführt, dass sie mindestens nicht mit einem Heiden stattfinde, indem er alle die Nachtheile und Inconvenienzen einer solchen Mischehe darlegt. Ihr gegenüber entwirft er am Schlusse ein schönes Bild von dem Glück einer wahrhaft christlichen Ehe, wo ›zwei fürwahr in einem Fleische‹ sind, ›keine geistige oder leibliche Trennung‹ sich findet. Ambo fratres, ambo conservi, nulla spiritus carnisve discretio. Atquin vere duo in carne una; ubi caro una, unus et spiritus. c. 9. Vgl. auch De monogamia, c. 9. Viel strenger behandelt er aber die Frage, nachdem er zum Montanismus übergetreten, in den Schriften De exhortatione castitatis (13 Kapitel) und De monogamia (16 Kapitel), die zugleich gegen die Orthodoxen, die Psychici , polemisiren. Hier wird die zweite Ehe durchaus verworfen, und da die erste schon für die Ewigkeit geschlossen, als eine Doppelehe, ein Adulterium hingestellt. In der zweiten Schrift namentlich zeigen sich alle die glänzenden Eigenschaften der Polemik unsers Autors wieder: die Energie des Ausdrucks, die bestechende Deduction, die Schärfe der Ironie. So namentlich c. 16.
Ebenso anziehend in kulturgeschichtlicher Beziehung, als charakteristisch für Tertullian sind die beiden Bücher ›Ueber den Putz der Weiber‹ ( De cultu feminarum , 9 und 13 Kapitel), von welchen das erstere die christlichen Frauen ermahnt, sich kostbarer, ja bloss bunter Kleider und des mannichfaltigen Schmuckes jener Zeit zu enthalten – woraus man beiläufig ersieht, wie viele Wohlhabende und Reiche die christliche Gemeinde, zumal in Afrika, unter ihren Mitgliedern schon zählte –; das andere Buch aber warnt sie vor allen den Schönheitsmitteln, womit auch damals die Modethorheit die Natur zu verbessern bemüht war. Ein eigenthümliches Seitenstück zu diesem Werkchen bildet die sehr schwierige und dunkle, aber äusserst originelle Schrift De pallio (6 Kapitel), die so 54 persönlicher Natur erscheint, dass sie kaum einer der drei Klassen seiner Schriften mit vollem Rechte einzureihen, hier aber wohl am schicklichsten zu erwähnen ist. Tertullian war, weil er das von den griechischen Philosophen getragene Pallium, in das sich aber auch die christlichen Asketen zu kleiden pflegten, statt der Toga angelegt, von seinen Mitbürgern verspottet worden: hier vertheidigt er sich nun, um diesen Spott mit dem bittersten Sarkasmus zu vergelten. Bemerkenswerth ist, wie er gegen Ende des Büchleins das Pallium selbst als seinen eigenen Anwalt auftreten lässt. Der Eingang der Schrift gibt auch ein gutes Beispiel der glänzenden Ironie Tertullians: Principes semper Africae, viri Carthaginienses, vetustate nobiles, novitate felices, gaudeo vos tam prosperos temporum, cum ita vacat ac iuvat, habitus denotare etc.
Die übrigen Schriften dieser Klasse sind von noch geringerm allgemeinen literarischen Interesse, indem sie theils mehr dogmatischer Natur sind, theils vom montanistischen Standpunkt specielle Fragen kirchlicher Disciplin behandeln. So die Schrift über die Taufe ( De baptismo ), durch eine ketzerische Secte, welche die Taufe ganz verwarf, veranlasst, ein Buch, das übrigens manche Stellen schöner Beredsamkeit enthält So c. 2 u. 3.; so die über die Busse ( De poenitentia ), und die diese Schrift vom montanistischen Standpunkt rectificirende De pudicitia , in welcher Tertullian der Kirche das Recht und die Macht, die Todsünden (und darunter namentlich die moechia ) zu vergeben, abspricht; so ferner die beiden montanistischen Schriften De ieiuniis und De virginibus velandis , in deren ersterer er eine strengere Enthaltsamkeit im Essen mit einer alles Mass überschreitenden Polemik gegen die Orthodoxen fordert. Man lese solche Stellen, als: Deus enim tibi venter est, et pulmo templum, et aqualiculus altare, et sacerdos coquus, et sanctus spiritus nidor, et condimenta charismata, etructus prophetia (c. 16); oder: apud te agape in caccabis fervet, fides in culinis calet, spes in ferculis iacet (c. 17). Da zeigt sich Tertullians Realismus auch recht von seiner widerwärtigen Seite.
Die dritte Klasse der Schriften Tertullians, die polemisch-dogmatischen, gehören an sich, wie schon bemerkt, gar nicht in den Kreis unserer Betrachtung; sie können uns nur indirect insoweit interessiren, als sie für die vollständige Kenntniss des persönlichen und literarischen Charakters des Autors von Bedeutung sind. In dieser Beziehung habe ich sie schon, wenn 55 auch nur andeutungsweise, in dem von ihm oben entworfenen Gesamtbild verwerthet. Die meisten und umfangreichsten sind seinem Kampf gegen die Gnosis gewidmet, der, wie wir sahen, für Tertullians innere Entwickelung von grosser Wichtigkeit war. Andere sind merkwürdig, weil sie seinen Montanismus im krassesten Extrem, und zwar im Gegensatz zu der allgemeinen Kirche, offenbaren. Die älteste Schrift dieser Klasse hingegen verdient gerade deshalb hervorgehoben zu werden, weil sie unsern Autor als strengen Orthodoxen zeigt. In diesem Buche: De praescriptione haereticorum , welches gegen die Ketzer überhaupt, insonderheit aber auch schon gegen die Gnostiker gerichtet ist, bekämpft Tertullian die Häresis mit einer der Jurisprudenz entlehnten Waffe. Er spricht nämlich den Ketzern von vornherein alles Recht, sich auf die heilige Schrift zu berufen, ab, da diese einmal in dem Besitze der Kirche sich befinde. Sie sind zu irgend einer Disputation über die Schrift gar nicht zuzulassen, denn als Ketzer sind sie gar keine Christen; sie hätten das erst zu beweisen. Ein solcher allgemeiner ›Einwand‹, der ein Eintreten in den Streit überhaupt verbietet, ist die Praescriptio . Indem Tertullian in diesem Buche als Kriterium der Wahrheit die apostolische Tradition hinstellt, brachte er die eigentliche Grundlage des Katholicismus erst wahrhaft zum Bewusstsein, er derselbe, welcher später als Montanist die Kirche so feindselig bekämpfte. S. über diese Bedeutung des Buches: Baur, Kirchengeschichte der drei ersten Jahrhunderte. 3. Ausgabe. S. 255 ff. Ebenso tritt er hier der Philosophie auf das schroffste entgegen: alle Speculation verwirft er, nach dem Evangelium ist sie nicht mehr nöthig: cum credimus, nihil desideramus ultra credere (c. 7). Die Philosophen sind ihm nur die Patriarchen der Häretiker. Die übrigen Schriften dieser Klasse sind: ›Adversus Marcionem‹ libri V, ›Adversus Talentinianos‹ (beide Werke direct gegen die Gnosis). ›De carne Christi‹ und ›De resurrectione carnis‹ (auch gegen gnostische Lehren, die erstere insonderheit gegen den Doketismus); ›Adversus Hermogenem‹ (gegen die Emanationslehre) und im Anschluss daran: De anima‹; ›Adversus Praxean‹› (gegen den Monarchianismus); ›Adversus Iudaeos‹. –
Schon durch die Zahl und Mannichfaltigkeit seiner Schriften musste der literarische Einfluss Tertullians ein bedeutender werden, zumal in dieser Zeit der Anfänge der christlichen Literatur des Abendlandes, ein doppelt bedeutender aber, indem unser 56 Autor, wie wir zeigten, so recht ein Vertreter der Ecclesia militans war, unmittelbar an dem Vorabend jener Epoche der gefährlichsten und allgemeinsten Verfolgungen des Christenthums, wie sie um die Mitte des dritten Jahrhunderts begannen, einer Zeit zugleich, wo das christliche Gemeinwesen auch in seinem Innern durch ein Nachlassen der sittlichen Strenge und Energie, sowie durch verschiedene sectirerische Bestrebungen mannichfach bedroht war. Wie da Tertullian als Apologet, moralischer Essayist und Polemiker, der nächsten Folgezeit Muster wurde, zeigt sogleich sein erster Nachfolger, der sich ganz als seinen Schüler erweist. Es ist dies Cyprian.