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37. Kapitel

Welche geistige Ueberlegenheit, welche hohe sittliche Anschauung atmet dieser Brief! Mit welcher Zartheit und feinen Ironie sucht der Mann, welcher mich herzlich liebte, mich für das Leben, für die Arbeit und für die Moral wiederzugewinnen.

Ich antwortete mit folgenden wenigen Worten:

»Ich liebe und verehre Sie aus tiefstem Herzensgrunde. Sie sollen Ihren »Moses« haben, ich nehme zur Stunde diese Arbeit in Angriff.«

Ich machte mich sofort mit allem Eifer an die Arbeit; nachdem ich vierzehn Tage in dieser Weise gearbeitet – es war eine rein mechanische Tätigkeit – fühlte ich, wie mein Kopf mir freier, meine Gedanken ruhiger wurden. War ich auf dem Wege, gesund zu werden? Konnte ich vielleicht doch vergessen? Welche Versprechungen machte ich im stillen, was gelobte ich Gott und den Menschen, wenn dieses Wunder an mir geschehen sollte! Als die Umrisse des großen Gesetzgebers sichtbar wurden, als dessen Figur aus dem Marmor plastisch hervortrat und ich meine Arbeit sah, stieß ich einen Jubelruf aus. Ja, ich war gerettet, wenn sich nicht etwas Neues zwischen mich und mein Werk stellen würde.

Ich richtete an Herrn Ritz einen Brief voll Entzücken und Dank. Ich suchte selbst wieder die Menschen auf, denen ich früher aus dem Wege gegangen war. Ich nahm den Verkehr mit meinen jungen Freunden von der Akademie wieder auf und sah viele derselben bei mir zu Tische; ich entschuldigte mich bei ihnen wegen der kurzen Vernachlässigung unserer angeknüpften Beziehungen und gab allerhand Motive hierfür an. Sie glaubten es, oder gaben sich wenigstens den Anschein, es zu glauben.

So vergingen acht Tage.

Eines Morgens erhielt ich folgenden Brief:

»Das Neueste aus Paris: Deine Frau ist zurückgekehrt. Sie muß in Kalifornien neue Goldminen entdeckt haben; anders kann man sich ihren rasch erworbenen Reichtum nicht erklären. Du kennst doch das entzückende Palais, welches Graf Attikoff an dem Cours-la-Reine erbauen ließ? Deine Frau hat es, mit der gesamten Einrichtung, angekauft. Sie hat dafür bar zweieinhalb Millionen Franks an die Erben des Grafen, welcher im verflossenen Monat plötzlich starb, ausbezahlt und es noch am selben Tage bezogen. Sie brauchte allerdings nichts weiter als ihre Koffer mitzubringen. Sie hat die Domestiken des Grafen gefragt, ob sie in ihren Diensten bleiben wollen. Sie waren damit einverstanden bis auf den Kutscher, einen Engländer, welcher erklärte, er fahre »alleinstehende« Damen nicht, deren Verhältnisse er nicht genau kenne. Das ist Tatsache.

Deine Frau hat die schönsten Wagen in ganz Paris. Sie empfängt nur Herren aus der besten Gesellschaftsklasse und nur in beschränkter Anzahl. Sie hat eine Loge in der Italienischen Oper, wo sie bei jeder Vorstellung eine ungeheure Sensation hervorruft. Man muß auch zugestehen, daß sie gegenwärtig schöner als je ist. Sie nennt sich nur Madame Iza. Die »Königin-Mutter« ist stets in ihrer Nähe, gespickt mit Diamanten, wie die Tabatiere eines Diplomaten. Eine Kutsche auf Gummirädern, auf dem Schlage das Wappen derer von Dobronowski, erwartet sie vor dem Theater. Ein gepuderter Lakai in seidenen Strümpfen und in hellgrüner Livree, öffnet den Schlag, und ein Paar feuriger Rosse, im Werte von mindestens 20 000 Franks, mit natürlichen Blumen auf den Stirnriemen, führt sie unter dem Aufsehen des Publikums davon. Von vier bis sechs Uhr fahren sie im offenen à la Daumont bespannten Wagen, mit Spitzreiter in weißem Reitrock mit grünen Aufschlägen im Boulogner Wäldchen spazieren. Was sagst du dazu? Aber immer ohne Herrenbegleitung. Besuche in der Loge, Besuche im Palais, aber die Tugend selbst. Alle alten Freunde sind ausgeschlossen. Was steckt dahinter? Unser Makler Maurice hat unter anderem für sie zirka 500 000 Franks Rente gekauft; sie hat dieselbe an dem Tage, an welchem er ihre Order ausgeführt, um drei Prozent steigen gemacht. Diamanten, Rubinen, Perlen und ähnliche Sachen hat sie wie Kinder Bohnen.

Sie erzählt nun folgende Geschichte von ihrem Reichtum. Sie ist sehr einfach. Sie hat nämlich einige Millionen geerbt; sie gibt nicht die Zahl dieser Millionen an und nennt auch nicht den Namen des edlen Spenders.

Höre nun, was man sich hier erzählt, und was mir auch sehr wahrscheinlich vorkommt. Sie wird ausgehalten. Von wem? Man nennt niemand, am allerwenigsten mit lauter Stimme, aber man flüstert sich zu, daß ein König, wohlverstanden ein ausländischer König, dahinter stecke. Tatsächlich kann auch nur ein König diesen verschwenderischen Luxus bestreiten.

Da hätte sie nun den Thron zufällig gefunden, von welchem die Mama stets geträumt. Aber was für ein König ist das? Das ist die Frage. Man nennt mehrere; aber beweisen kann man gar nichts. Man erzählt sich, daß der König, um den es sich hier handelt, sich beim ersten Anblick in sie sterblich verliebt habe und so lange zurückgewiesen worden sei, bis er sich à la Jupiter in einen Goldregen verwandelt habe. Das ist schließlich für einen König nicht demütigender, als es für einen Gott gewesen. Er ist so stark verliebt in sie, daß er plötzlich sein Königreich verläßt und im strengsten Inkognito nach Paris eilt. Hier bleibt er einen Tag oder eine Nacht und kehrt dann wieder nach Hause zurück, um weiter zu regieren. Mitunter verschwindet sie auf 48 Stunden, ohne daß man weiß, wohin sie sich begeben, da sie ohne jede Begleitung reist.

Die Dienerschaft sagt nichts, wahrscheinlich weil sie nichts weiß; sonst würden die Domestiken schwerlich reinen Mund halten. Sie sind jeder Bestechung unzugänglich, und das will um so mehr bedeuten, als Madame Iza die ganze Stadt in Atem hält und die reichen Pflastertreter alle Mittel anwenden, um hinter das Geheimnis zu kommen. Alles vergeblich.

Ich glaubte, Dich von allem unterrichten zu müssen, damit Du weißt, was Du zu tun hast, falls Du nach Paris zurückzukehren gedenkst. Mir kommt dieser neueste Skandal sehr gelegen. Er führt eine neue, unübersteigbare Scheidewand zwischen Dir und jenem Geschöpfe auf. Bislang hatte ich immer noch Furcht, daß sie Dich wieder in ihre Fesseln schlagen könnte. Heute ist dies nicht mehr möglich; Nachsicht wäre jetzt Mitschuld. Sie hat den guten Geschmack, nur ihren Mädchennamen zu tragen – um so besser. Man wird schließlich vergessen, daß sie die Frau eines anständigen Mannes gewesen; damit kann man sich zufrieden geben.«

Zu meiner großen Verwunderung ließ mich diese Neuigkeit ziemlich kalt. Mein Gegner drang zwar von neuem auf mich ein, aber ich wußte, wie ich ihn zu bekämpfen hatte. Ich legte den Brief auf den Tisch und ging an meine Arbeit, fest entschlossen, an nichts anderes zu denken als daran, daß ich sobald als möglich die Statue vollenden müsse. Ich ruhte mich nur aus, wenn das Werkzeug mir aus den ermüdeten Händen zu fallen drohte; ich schlief nur zwei bis drei Stunden, um mich ein wenig zu stärken.

Acht Tage später erhielt ich folgenden Brief:

»Iza schreibt mir, sie habe mich in geschäftlichen Angelegenheiten dringend zu sprechen, und bitte mich, sie sofort zu besuchen. Ich mache mich soeben auf den Weg. Näheres mit nächster Post.

Konstantin

Die nächste Post brachte mir keinen Brief. Die zweite, dritte, vierte ebenfalls nicht.

Der Kopf von »Moses« war bereits vollständig fertig.

Eines Morgens wurde mir ein Brief, dessen Handschrift ich nicht kannte, übergeben. Er lautete:

»Folgen Sie nur weiter dem Rate Ihres Freundes Konstantin. Aber wissen Sie, daß er der Geliebte Ihrer Frau ist!«

*

Das Maß war voll.

Ich rief meinen Diener herbei und ließ meinen kleinen Koffer mit den zur Reise unbedingt notwendigen Sachen packen. Ich betrachtete noch einmal den Marmor, welcher mir zuzurufen schien: »Geh' und komme wieder; ich erwarte dich«, und machte mich auf den Weg nach Frankreich. Ich wußte nicht, was ich dort wollte; aber ich hatte das Gefühl, daß ich dem bedeutungsvollsten Ereignisse in meinem ganzen Leben gegenüberstände.

Während der ganzen, vier Tage und vier Nächte dauernden Reise sprach ich kein Wort. Auf meine Reisegenossen mußte ich den Eindruck eines Automaten machen. Ich aß und ich schlief just so viel als ich brauchte, um nicht vor Schwäche und Müdigkeit umzusinken.

Ich konnte auch keinen klaren Gedanken fassen. Ich stand unter dem Eindrucke, daß ich an dem, was geschehen werde, nichts ändern könne, daß ich durch den Spruch des Schicksals das tun müsse, was mir bestimmt.


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