Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

29. Kapitel

Wir besitzen alle Kräfte in uns, so hat irgendein Weiser irgendeinmal gesagt, um das Unglück eines anderen zu ertragen. In dieser Kraft und vielleicht auch durch ein gewisses geheimes Vergnügen, welches einem das Trostspenden bereitet, hatte Konstantin die Munterkeit und die gute Laune gefunden, mit welcher er mir in so ausführlicher Weise die Schönheit meiner Frau ironisierte und deren Porträt zeichnete. Es war alles Wort für Wort wahr, aber die Wahrheit ging wie ein glühendes Eisen durch meine Wunde. Diese Kauterisation war sicherlich das beste Mittel gegen den Zustand, in welchem ich mich befand, und gewiß hätte ich an der Stelle meines Kameraden ebenso wie er gehandelt. Aber ich überlasse es Ihnen, sich auszumalen, wie schmerzvoll diese Operation war. Ich weinte nicht, aber es war nur die Kraft meines Willens, die mich aufrecht erhielt, und der geheime Wunsch, daß irgend etwas in meinem Gehirn plötzlich reißen möge, und daß dadurch allen Qualen ein Ende bereitet würde.

Aber man glaubt gar nicht, wie viel das arme Gehirn eines Menschen aushalten kann.

Wir hatten in Gütertrennung gelebt. Mein Notar hatte fürsorglicher Weise auf dieser Bedingung bestanden. Es wäre besser, sagte er, auch für meine Frau, welcher ich auf diese Weise die selbständige Verfügung über jenes famose polnische Vermögen wahre, welches ihr doch zufallen solle. Uebrigens könnte ich ja, wenn ich wollte, Iza als meine Alleinerbin einsetzen. In Wirklichkeit jedoch wollte er nicht, daß ich jemals durch die Gütergemeinschaft der Willkür jenes fremdländischen Mädchens ausgesetzt sei, welches ohne Obdach, ohne Heimat gekommen war und das ihm, dem praktischen, nüchternen Manne nur sehr geringes Vertrauen einflößte. Ich brauchte also mit Iza gar nicht abzurechnen, da sie gar nichts mit in die Ehe gebracht hatte. Ich ließ die Möbel, die sich in ihrem Zimmer befanden, abschätzen, da ich ihr dieselben für das Leben, das sie nun zu beginnen gesonnen war, nicht überlassen wollte. Den entsprechenden Betrag übergab ich Konstantin; sie sollte denselben mit jenen Gegenständen erhalten, um welche zu schicken sie versprochen hatte. Jeder einzelne dieser Gegenstände schloß eine Erinnerung ein und bereitete mir neuen Schmerz. »Das trinkende Mädchen« stand inmitten dieser Trümmer meines zerstörten Glückes, mit jener Teilnahmlosigkeit und Ruhe lächelnd, wie sie allem eigen, was ewig ist. Ich entlohnte und verabschiedete die Dienerschaft, welche insgesamt meine Frau darin unterstützt hatte, mich zu betrügen, von jener Nounon an bis zu dem Kammermädchen. Das ist jene fatale und unausbleibliche Zusammengehörigkeit zwischen der Niedrigkeit der Gesinnung und der Niedrigkeit der Stellung. Ich machte nicht einmal eine Anspielung auf deren Mitschuld.

Als Vorwand für die sofortige Entlassung benutzte ich eine dringende Abreise, und ich machte sogar den Leuten kleine Geschenke. An was alles muß man nicht denken, und was alles muß man nicht ertragen, um fünf Minuten länger im Besitze seiner Ehre und seiner Würde zu verbleiben!

Ich schickte das Kind mit all seinen Sachen zu Madame von Niederfeld, und es ward nun plötzlich ganz einsam um mich herum.

Der Tag ginge zur Neige. Die Dunkelheit sank auf die Wände jenes Zimmers, in welchem ich noch zwei Stunden vorher so glücklich gewesen war.

Mit der Zigarre im Mund brachte Konstantin, wie wenn er im eigenen Hause gewesen wäre, in den Schränken und Kästen alles in Ordnung und fragte mich nur ab und zu:

»Wollen wir das verbrennen, oder heben wir es auf?«

Sobald er mit einem Kasten fertig war, steckte er den Schlüssel in die Tasche.

Plötzlich wurde die Glocke gezogen. Kam vielleicht Iza zurück, um mir noch etwas zu sagen? Ich eilte nach der Tür, um zu öffnen. Es waren Dienstmänner, welche das Gepäck einer Dame abholen wollten, die sie in einem Hause in der Avenue Marbeuf erwartete. Ich übergab ihnen das Gewünschte, und als ich die Koffer hinaustragen sah, da war es mir, als trüge man den Sarg hinaus, welcher mein Lebensglück umschloß.

Inzwischen war es acht Uhr geworden.

»Jetzt wollen wir gehen,« sagte Konstantin, »wir haben hier nichts mehr zu suchen, dein Reisegepäck werde ich schon holen lassen.«

Ohne zu antworten, folgte ich ihm. Ich mußte mich an dem Treppengeländer halten, als wir die Stufen hinunterstiegen. Mein Kopf drehte sich wie im Kreise, meine Füße waren schwer und steif, ich bewegte mich nur mechanisch vorwärts. Wir traten in ein Restaurant ein, mein Begleiter ließ mir vorsetzen und ich aß, ich weiß selbst nicht was; er zwang mich zum Essen in der Hoffnung, daß dadurch meine Gedanken eine andere Richtung nehmen würden und ich vielleicht, wenn auch nur auf kurze Zeit, meinen Schmerz vergessen könnte. Aber ich weigerte mich entschieden, zu trinken. Ich erinnerte mich, wessen ich sodann fähig sei! Der Rausch ist kein Tröster; er schiebt nur den Schmerz hinaus, welcher später schärfer und nachdrücklicher wieder erscheint.

Als wir gespeist, nahm mich Konstantin mit sich und wir gingen über die Boulevards. Ich sah die Leute auf und ab gehen, aber es war mir, als ob ich mit den Menschen nichts mehr gemein hätte. Es schien mir, als bewegte ich mich, zum Schatten meiner selbst geworden, in einem Schattenreiche. Von Zeit zu Zeit durchzuckte mich die Erinnerung an meine Mutter, und die teure Tote schien mir sich zu nähern. Ich machte ein Zeichen, wie um sie zu bitten, sich wieder zu entfernen. Ich wußte, sie komme zu mir, um mit mir zu weinen, aber ich wollte nicht vor allen Leuten in Tränen ausbrechen. Bis auf weiteres mußte ich meine männliche Haltung noch bewahren.

Konstantin bot mir sein Bett an; er wollte sich für diese Nacht mit einem Lager auf dem Sofa begnügen. Er begann nun seinerseits Vorbereitungen für die Reise zu treffen. Ich ging selbstverständlich nicht zu Bette. Unstet lief ich in großen Schritten von einem Zimmer ins andere. Der gute Bursche sah wohl ein, daß ich sobald nicht schlafen würde.

»Wollen wir noch meinen Vater aufsuchen?«

»Heute nicht mehr, morgen.«

Er setzte sich nieder und schrieb.

Der Lärm des Tages verstummte allmählich; in dem Zimmer war nichts mehr zu hören als das einförmige Tick-Tack der Uhr. Minute um Minute verrann, und ich sah mein ganzes Leben an mir vorüberziehen, mit dessen Rest ich nunmehr nichts anzufangen wußte. Ich kann eigentlich gar nicht sagen, daß ich Schmerzen litt. Die Müdigkeit und die Abspannung unterjochten den Geist. Von früher her war ich zudem gewöhnt, um diese Zeit von den Anstrengungen des Tages mich auszuruhen, und die Gewohnheit schien mir zu sagen: »Fassen wir erst neue Kräfte, das übrige wird sich morgen finden.«

Ich streckte mich auf dem Diwan aus; ich zündete eine Zigarre an und zwang mich, unverwandt nach einem Punkte an der Wand zu sehen, um auf diese Weise einzuschlafen. Es gelang mir. Meine Augen schlossen sich, meine Gedanken wurden ruhiger, meine Denkkraft geriet ins Stocken; ich verfiel in einen Zustand der Starrheit, welcher zwar nicht der Schlaf, aber wenigstens die Fühllosigkeit war.

In diesem Zustande verblieb ich bis fünf Uhr morgens. Ich öffnete die Augen in dem Glauben, daß sich alles wie bisher immer befinde, ich machte sogar den Versuch, weiterzuschlafen, aber plötzlich stand die ganze grausame Wahrheit vor meinen Augen. Aus einem Winkel des Zimmers kam sie herangeschlichen, wurde immer deutlicher und deutlicher, setzte sich auf mein Lager und grinste mich an. Wild pochte das Herz in meiner Brust. Ich erinnerte mich an alles, der Schlaf war plötzlich von mir gewichen, ich war wach!

Das Fürchterliche, was sich am vorigen Tage ereignet hatte, stand herzzerfleischend und hirnverwirrend in seiner ganzen Schrecklichkeit wieder vor mir. Mein Kopf glühte, in meinen Adern rollte das Blut wie siedendes Blei. Vergebens rief ich mir ins Gedächtnis, was mir Konstantin gesagt, womit er mich getröstet und womit ich mich einverstanden erklärt hatte. Aber alle diese Gründe wurden weggefegt von dem Sturme, der in mir tobte und dessen Heulen ich leibhaftig zu hören glaubte.

»Was,« so grollte und zürnte es in mir, »es existiert ein Mann, welcher deine Ehre dir geraubt, dein Glück dir gestohlen und deine Zukunft dir zerstört hat, und du läßt diesen Mann unbehelligt und begnügst dich mit der Erklärung, er werde es nicht mehr tun? Die über deine Frau verhängte Strafe, wenn sie auch von einem der wackersten und bravsten Männer dir angeraten wurde, ist nichts weiter als eine Feigheit. Dir genügt sie? Würde Konstantin in einem ähnlichen Falle auch so handeln? Er, der Soldat? Behandelt er dich nicht gewissermaßen wie ein Kind und begnügt er sich nicht mit einer Genugtuung für dich, worüber er in Entrüstung geraten würde? Wenn du seine Schwester verführt hättest, würde er dich nicht getötet haben? Vor allem muß Blut fließen. Was soll denn dieser Serge von dir denken? Er ist dabei zu gut weggekommen. Hast du denn Furcht?«

Jawohl, ich war gestern ein Narr gewesen!

Und ohne Rücksicht auf die frühe Stunde eilte ich nach der Avenue de Pontfievre. Es kostete wenig Mühe, zu erfahren, wo der reiche und vornehme Russe wohne.

Die Glocke schlug acht, als ich bei Serge eintrat. Der Kammerdiener wollte seinen Herrn nicht wecken. Ich bestand darauf und gab vor, daß es sich um ernste Familienangelegenheiten handle. Ich käme eigens aus dem Auslande.

Der Diener hieß mich in einem Zimmer warten, welches mit blauer Seide ausgeschlagen und mit Blumen angefüllt war wie das Boudoir meiner Frau.

Der erste Gegenstand, welcher mir in die Augen fiel, war die zwischen zwei Fenstern ausgestellte Büste aus Terrakotta, welche ich von Iza, als sie vierzehn Jahre gezählt, gemacht hatte, und die ich nach Izas Angaben im Besitze von deren Schwester glaubte. Ich ergriff sofort einen Feuerhaken und zertrümmerte die Büste in tausend Stücke, nachdem ich vorher das Gesicht zerkratzt hatte.

Serge erschien und betrachtete diese seltsame Szene. Ohne Zweifel erkannte er mich sofort. Er begriff auch, was ich tat, und blieb an der Schwelle der Türe stehen. Vielleicht hatte er sogar Furcht, daß ich ihm auf den Leib rücken könnte mit dem Feuerhaken, den ich noch in Händen hielt, und nunmehr wieder dorthin legte, woher ich ihn genommen.

Serge war ein großer, schlanker, junger Mann, mit offenem, freiem Blick, weder schön, noch häßlich, aber in seiner ganzen Erscheinung den Mann von Welt verratend.

Ich nannte mit dumpfer, tonloser Stimme meinen Namen.

»Die zwischen mir und Ihrem Freunde getroffene Abmachung konveniert Ihnen wohl nicht mehr, mein Herr!« sagte er in dem Tone eines Menschen, welcher ebenfalls seine Geduld zu verlieren beginnt.

»So ist es, mein Herr; ich habe meinen Entschluß geändert.«

»Das gibt Ihnen noch nicht das Recht, einen Gegenstand zu zertrümmern, welcher nicht Ihnen gehört.«

»Diese Büste?« schrie ich.

»Diese Büste ist mein Eigentum. Ich habe dafür bezahlt, was sie wert ist, und ich befinde mich hier in meinem Hause. Wollen Sie, mein Herr, mich mit dem Zwecke Ihres Besuches bekannt machen und sich sodann zurückziehen!«

»Ich will Sie töten, mein Herr!«

»Das hätten Sie gleich sagen können, die Sache wäre dann viel einfacher gewesen. Wenn Sie ebensowenig Zeit haben wie ich, so treffen wir uns um elf Uhr im Wäldchen bei St. Germain an dem Terrassengitter. Jeder bringt seine Zeugen mit, Ihre Waffe ist auch die meinige.«

Er klingelte. Während ich nach meinem Hut griff, erschien der Diener.

»Lesen Sie die Stücke dieser Büste auf,« sagte Serge zu diesem, »und werfen Sie dieselben sodann hinaus.«

Mit einer leichten Verneigung gegen mich kehrte er nach seinem Zimmer zurück.


 << zurück weiter >>