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18. Kapitel

Wenn Sie, verehrter Freund, einmal einen freien Tag haben und der Wunsch in Ihnen rege wird, in der Einsamkeit sich zu erholen, so schlagen Sie an einem schönen Maientage den Weg nach Fontainebleau ein. Bei Cesson machen Sie Halt, biegen rechts ab und gehen eine kleine halbe Meile weiter, bis Sie an eine große Kastanienallee kommen.

Oeffnen Sie die Barriere, welche dem Fuhrwerk hier den Weg verschließt und gehen Sie weiter. Niemand wird Sie daran hindern. Sie stehen auf Grund und Boden eines gastfreundlichen Mannes. Gehen Sie die ganze Allee durch, bis Sie weiter an eine etwas abschüssige Stelle gelangen. Da finden Sie einen kleinen Fußpfad, welcher durch Sträucher und Gebüsch halb versteckt ist. Ein stets nur angelehntes niedriges Gitter schließt diesen Weg ab; gleich hinter demselben befindet sich im Schatten alter Eichen das Wohnhaus. Betrachten Sie dasselbe genau und sagen Sie dann: »Hier hat ein Mensch unsagbar glückliche Tage verlebt.«

Die Frau, welche dieses Haus, das, ich weiß nicht warum, leer steht, ist das Weib des Gärtners. Der Mann arbeitet gegenwärtig auf dem benachbarten Schlosse, die Tochter hat inzwischen geheiratet. Sprechen Sie mit der Gärtnersfrau von uns. Sie wird lächeln und Ihnen sagen: »Das war eine reizende Ehe! Wie liebten sich die zwei und wie glücklich waren sie! Wie geht es ihnen denn jetzt?« Dann antworten Sie ihr, daß wir uns noch immer lieben und daß unser Glück von Dauer war. Man soll niemanden den Glauben rauben. Man trägt schon eine Schuld, wenn man nicht mehr glücklich ist, und warum soll man sich darüber bei jenen beklagen, welche unser Glück einst beneideten.

Gehen Sie dann um das Haus herum über einen Rasenplatz, schreiten Sie an den Fliedersträuchern hin, bis Sie an einen See kommen, welcher mit knorrigen Weiden und dichtem Gebüsch umsäumt ist, in welches kleine Lichtungen, fünf bis sechs Meter breit, gehauen sind. Bleiben Sie bei der dritten, von der Villa aus gezählt, stehen.

An einem Maienmorgen gegen zehn Uhr waren wir hier an dieser Stelle, sie und ich. Sie lag hingelehnt auf einer saftigen, niedrigen Weide, den Kopf auf die Hände gestützt. Ich hatte mich auf den Boden gestreckt und bedeckte mit heißen Küssen die kleinen, nackten Füßchen, welche sie aus ihren seidenen, pelzverbrämten Pantöffelchen gezogen und mit denen sie liebkosend mir das Gesicht streichelte. Ihr langes, üppiges blondes Haar fiel aufgelöst über ihren Nacken und umhüllte ihre ganze Gestalt und selbst den Baum, auf welchem sie saß. Ihr ganzer Anzug bestand aus einem Schlafrock von blauem Kaschmir, welchen ich ihr ähnlich demjenigen, den sie am Quai de l'Ecole getragen, hatte machen lassen, und welcher mir in seinem Zuschnitt und Stoff ein Bild der Vergangenheit und Gegenwart vor Augen führte.

In der graziösen Stellung, die sie eingenommen, fielen die breiten Aermel zurück und ließen die weißen Arme sehen, die sich an den Kopf anschmiegten wie zwei alabasterne Henkel an eine glänzende Vase. Ihre blauen Augen suchten den azurnen Himmel, dessen Farbe sie trugen.

Man muß Vergleiche, denen man sonst als Gemeinplätzen aus dem Wege geht, anwenden, um ihre Schönheit zu charakterisieren. Aber man findet keinen andern Ausdruck. Das Gold wogender Weizenfelder, das Weiß schneeiger Gletscher, das Blau duftiger Veilchen, die Eigenschaften der Lilien, Rosen, purpurroter Granaten und Perlen: so waren ihre Haare, ihr Teint, ihre Augen, ihre Wangen, ihre Lippen, ihre Zähne! Was soll ich machen! Es war in der Tat so und alles vom Glanze der Jugend, der Gesundheit und Freude übergossen. Außer dem Marmor, Alabaster und dem reinsten Wachs hätte ich vergeblich einen Stoff gesucht, mit welchem dieser feste, elegante und schmiegsame Körper hätte verglichen werden können, dessen leichte Hülle ihn meinen begehrlichen Augen nur unvollkommen verbarg.

Auf zwei Meilen in der Runde kein lebendes Wesen außer uns! Niemand als wir zwei und das klare tiefe Wasser, welches ruhig seine Wellen zog! Welch herrlicher Morgen! Ein Augustmorgen im Mai! Ja, das geheimnisvolle Rauschen, welches durch die Blätter ging, machte den Eindruck, als ob die Natur sich beeilte, in ihr grünendes Festkleid zu schlüpfen, gleich einem jungen Mädchen, welches zu lange geschlafen und nunmehr den schönsten Schmuck und das herrlichste Gewand anlegt, um zu den, zum Feste versammelten Genossinnen zu kommen.

Die knospenden Blumen strömten schon ihren Duft aus, ein durchsichtiger, bläulicher Nebel hing zwischen Himmel und Erde und zerfloß, allmählich sich in weiter Ferne verlierend.

Es war ein Bild, das alle unsere Sinne gefangen nahm.

»Woran denkst du?« fragte ich sie flüsternd.

»Liebst du mich von ganzem Herzen?« erwiderte sie.

»Wie kannst du fragen!«

»Aber von ganzem Herzen, ganz und allein?«

»Ganz und allein.«

»Dann tue mir den Gefallen und verschaffe mir ein großes Betttuch; bringe mir auch frisch gemolkene Milch in einer silbernen, mit dem Wappen des Fürsten gezierten Schale.«

Ich tat, wie gewünscht. Nach etwa zehn Minuten kehrte ich zurück, das zusammengefaltete Tuch über den Arm und die Schale mit frischgemolkener Milch in der Hand. Iza war nicht auf dem früheren Platze. Ihre Kleider hingen an der Weide.

Ein Schauder durchzuckte meinen Körper. Ich blieb wie angewurzelt stehen: ich wagte keinen Schritt mehr vorzugehen, die Kehle war mit wie zugeschnürt.

Ein lautes Lachen war die Antwort auf mein Entsetzen.

»Du brauchst dich nicht zu beeilen,« rief Iza. »Ich fühle mich hier sehr wohl.«

Die Stimme kam aus dem See. Iza, ganz nackt, schwamm in diesem eiskalten Wasser, sie machte tausend Kunststücke, trat Wasser oder tauchte unter, wobei ihr langes Haar, wie das einer Najade, deren Grazie sie auch zeigte, sie umfloß.

»Du bist nicht bei Sinnen,« rief ich. »Du kannst den Tod davon haben.«

»Hab' keine Angst; ich bin daran gewöhnt.«

»Wenn dich jemand sähe!«

»Na, der würde sich auch nicht unglücklich fühlen! Aber beruhige dich, niemand kann mich sehen. Und schließlich habe ich ja für solche Ueberraschungen mein Haar und die mythologische Ueberlieferung für mich!«

»Ich bitte dich, komm' heraus!«

»Noch einen Moment.«

Und sie tauchte noch einmal unter und schwamm dann an das Ufer. Dann schwang sie sich, an einem hervorstehenden Zweige sich festhaltend, mit einem Satze ans Land. Kopf und Schulter waren bedeckt mit Schlingpflanzen, welche sie ausgerissen und mit welchen sie sich mit jenem angeborenen Geschmacke drapiert hatte, welcher alle ihre koketten Einfälle auszeichnete. Ich hielt ihr das Tuch hin, um es ihr umzulegen.

»Noch nicht,« sagte sie, »erst die Milch.« Dann nahm sie die Schale, und ganz naß und rosig angehaucht, den Kopf leicht vorgeneigt, schlürfte sie in langsamen Zügen die Milch. Dabei sagte sie zu mir: »Das gäbe doch eine Statue. Schau' mal! Ist das nicht schön?«

Sie leerte die Schale bis zur Neige, dann warf sie dieselbe im Bogen auf den Rasen, auf die Gefahr hin, daß sie Beulen erhalte.

»Du hättest sie doch beschädigen können!« sagte ich mit leisem Vorwurfe.

»Was weiter! Sie gehört doch nicht mir!«

Das war das erste Wort, was mich an ihr verdroß. Aus dieser Bemerkung hätte ein aufmerksamer Beobachter auf ihren Charakter geschlossen. Ich habe mich an dieselbe später sehr oft erinnert – – zu spät.

Als ich von Iza alle Schlingpflanzen entfernt hatte, und sie nun in das Laken hüllen wollte, war sie inzwischen bereits ganz trocken geworden, die Wärme ihres Blutes hatte alle Wassertropfen aufgesogen.

»Du wirst so liebenswürdig sein und derartigen Unsinn nicht mehr wiederholen,« sagte ich, indem ich ihr beim Ankleiden behilflich war und mich ängstlich umsah, ob keine neugierigen Lauscher in der Nähe seien.

Sie antwortete:

»Du glaubst gar nicht, wie gesund dies kalte Wasser ist. Seit länger als einer Stunde habe ich mich nach drei Sachen gesehnt: mich ganz auszukleiden, in dem See zu baden und Milch aus einer silbernen Schale zu trinken. Hätte ich dich um Erlaubnis gefragt, so hättest du sie mir sicherlich verweigert. Da habe ich es nun vorgezogen, dich nicht zu fragen.«

Dabei fiel sie mir um den Hals, preßte mich mit aller Gewalt an sich und bot mir ihre roten, von der Milch noch feuchten Lippen zum Kusse.


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