Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Im Herbst erhielt ich einen Brief von der Gräfin, in welchem sie mir ihre bevorstehende Rückkehr nach Paris anzeigte mit dem Bemerken, daß sie entschlossen sei, sich dort dauernd niederzulassen. Sie dankte mir für meine Gastfreundschaft und stellte mir das Geld zurück, das ich ihr geliehen hatte. Alle ihre Prozesse seien erledigt. Sie habe jetzt eine größere Summe erhalten und sie benutze dies, um ihre Tochter niemals zu verlassen, da sie uns nicht mehr zur Last zu fallen brauche. Sie werde nicht mehr bei uns wohnen, sie wolle uns nicht belästigen, aber zum mindesten wolle sie in derselben Stadt leben wie ihr teures Kind. Es werde ihr ein großes Vergnügen bereiten, meiner Mutter bei der Erziehung des Kleinen behilflich sein zu können.
Sie kam auch richtig an und mietete ein kleines Häuschen in der Avenue Marbeuf; wir wohnten in dem großen Hause in der Rue de Merry Nr. 71 und waren also Nachbarn. Iza besuchte fast täglich in Begleitung des Kindes und der Amme ihre Mutter. Mitunter begleitete ich sie oder holte sie ab. Die Gräfin speiste bei uns, so oft es ihr beliebte. An solchen Tagen kam sie mit ihrer Handarbeit, oder sie arbeitete für ihren Enkel. Das war gemütlich, das war sogar patriarchalisch. Sie hatte alle ihre hochfliegenden Pläne aufgegeben, auf alle Ueberspanntheiten verzichtet – sie suchte nicht mehr ihr Alter zu verbergen und zeigte wacker ihre grauen Haare. Sie habe zu leben und könne sogar gut leben, ihre Zukunft wäre gesichert und sie könnte uns nun lieben, ohne in den Verdacht zu geraten, daß sie dies aus Berechnung tue; sie verlange nichts mehr von Gott.
Unsere schönsten Abende nahmen folgenden Verlauf: Ich zeichnete oder modellierte, meine Mutter schläferte ihren Enkel ein, die Gräfin strickte oder erzählte, und Iza machte Musik, sang, lachte und naschte Bonbons.
Meine Mutter jedoch wurde zusehends trauriger. Wiederholt traf ich sie mit vom Weinen geröteten Augen an. Ich fragte sie nach dem Grunde dieser plötzlichen Traurigkeit; sie leugnete dieselbe ab. Das Alter, sagte sie, das unnütze Leben. Sie sei vielleicht zu glücklich. Sie habe stets gearbeitet und tue jetzt nichts. Dies wäre unzweifelhaft der Grund ihrer Traurigkeit.
Meine Beziehungen zu Herrn Ritz hatten sich allmählich gelockert. Ein Leberleiden hatte ihn hypochondrisch gemacht und ihm viel Bewegung verboten, so daß er nur mit seiner Tochter und seinem Schwiegersohne lebte. Er behandelte mich nicht mehr wie sein Kind. Iza setzte diese Veränderung auf Rechnung seiner Eifersucht: der Schüler habe den Meister übertroffen. Es war glaubhaft. Zudem scheine es seiner Tochter nicht viel Vergnügen zu machen, meine Frau zu empfangen. Iza sei viel hübscher und eleganter als Frau von Niederfeld, und habe mehr Bewunderer und Verehrer als diese. Kleinliche Eifersüchteleien der Frauen! Warum sollte dies nicht der Fall sein?
Man hielt sich strikte in den Grenzen der gesellschaftlichen Höflichkeit, machte sich an offiziellen Besuchstagen die unvermeidliche Staatsvisite von 20 Minuten, aber weiter nichts. Die Gründe, welche mir meine Frau angegeben, schienen mir durchschlagend.
Mit Konstantin verhielt sich die Sache anders. Er hatte mehrere Feldzüge in Afrika mitgemacht; er wurde verwundet und blieb schließlich als Adjutant des Marschall-Kriegsministers in Paris. Er führte hier ein lustiges Leben. Seit seiner Rückkehr war er ein häufiger Gast meines Hauses gewesen; aber allmählich wurden seine Besuche immer seltener, schließlich blieb er ganz weg. Wenn ich ihn zufällig traf und ihm meine Verwunderung und mein Bedauern über seine Vernachlässigung unserer Beziehungen aussprach, drückte er mir herzlich die Hand und entschuldigte sich mit leeren Redensarten. Als ich ihm das letzte Mal vor den großen Ereignissen meines Lebens begegnete, sagte er mir, als hätte er eine Ahnung, wie rasch sie eintreten würden:
»Du gehörst, das darfst du mir glauben, zu den Männern, welche ich über alles schätze und liebe. Aber du weißt, man kann nicht immer tun, was man so gerade tun möchte. Wenn du aber eines Tages einen wirklichen und ergebenen Freund brauchst, zähle auf mich. Ich gehöre zu denjenigen, welche man niemals sieht und die man immer findet.«
Ich teilte, aus Gewohnheit und ohne jede Nebengedanken, Iza diese Unterredung mit. Sie hörte dieselbe mit jenem verständnisinnigen Lächeln an, welches zu sagen scheint: »Ich kenne den wahren Grund, so verhält sich die Sache nicht.«
Ich befragte sie.
»Schwöre mir,« sagte sie zu mir, »daß du mit niemand, auch nicht mit deiner Mutter, am allerwenigsten jedoch mit Konstantin davon sprechen wirst, was ich dir mitteilen will!«
»Ich schwöre es dir.«
»Und daß diese Mitteilung nichts in der Art und Weise deines Verkehrs mit ihm ändern wird.«
»Nicht im geringsten.«
»Auf Ehrenwort?«
»Auf Ehrenwort!«
»Nun, denn höre. Konstantin hat mir eifrig den Hof gemacht, und wenn er gegenwärtig nicht mehr kommt, so geschieht dies, weil ich ihn darum gebeten habe. Ich habe dir von der ganzen Affäre nichts gesagt, weil es unnötig ist, den Mann mit solchen Geschichten zu belästigen. Eine Frau, welche sich selbst achtet, weiß sich auch Achtung bei andern zu verschaffen. Heute hat die Sache nichts mehr auf sich und ich kann dir sie ruhig erzählen. Du glaubtest, er sei dein Freund, er sei ein Kavalier. Ich bin anderer Ansicht und halte ihn selbst einer gemeinen Rache für fähig. Hat er niemals über mich mit dir gesprochen?«
»Das nimmt mich Wunder; aber es wird noch kommen! – O, die in ihrer Eitelkeit verletzten Männer! Wir Frauen wissen, was das heißt. Aber ich habe dein Versprechen.«
»Sei ruhig, ich werde mir nichts merken lassen.«
Einen Moment hatte ich jedoch trotzdem gegen meinen alten Freund das Gefühl des Hasses und hätte ich ihn noch am selben Tage getroffen, so wäre es sicherlich zu einem Auftritt gekommen.
Das war das erste Vorzeichen der Dinge, die sich da ereignen sollten, welches ich aber, ohne darauf zu achten, vorübergehen ließ. Erst später sah ich ein, wie töricht und verblendet ich gewesen. Eines andern Tages sagte Iza zu mir:
»Ich muß dir eine Mitteilung machen und dich auch recht um Verzeihung bitten.«
»Weshalb denn?«
»Die Büste, die du von mir, als ich vierzehn Jahre alt war, machtest und die du mir nach Polen nachgeschickt hast ...«
»Nun, was ist damit?«
»Die blieb dort mit mehreren anderen unserer Sachen verpfändet.«
»Ich habe mich doch schon oft erboten, alles auszulösen!«
»Meine Mutter wollte nicht, da wir dir ohnehin schon genug zu Dank verpflichtet waren. Während ihrer letzten Anwesenheit in Polen konnte sie den Mann nicht treffen, welcher uns auf alle diese Sachen Geld geliehen hatte. Er war nämlich verreist. Es ist ein Jude, der mit Kaschmir handelt. Meine Mutter hat den Betrag des Darlehens bei einem unserer Freunde gelassen, und so sind wir, allerdings in der Entfernung, wieder in den Besitz unserer Sachen gelangt. Aber anstatt sie für uns kommen zu lassen, habe ich sie meiner Schwester geschenkt. Habe ich unrecht getan?«
»Du hast ganz recht getan, mein teures Kind!«
»Schließlich ist es ja doch meine Schwester und sie hat uns nach Möglichkeit zur Seite gestanden. Bist du mir böse?«
»Du bist ein Närrchen.«
*
Zwei Monate später an ihrem Geburtstage:
»Weißt du, daß ich, ohne es beabsichtigt zu haben, ein gutes Geschäft mit der Büste, welche ich meiner Schwester geschickt, gemacht habe. Schau mal her!«
Sie öffnete ein Schmuckkästchen, in welchem ein mit Diamanten und Smaragden besetztes Halsband im Werte von 30 bis 40 000 Franks lag.
»Diesen Schmuck hat dir deine Schwester geschickt?«
»Wer denn sonst? Hier ist der Brief dazu. Es ist wirklich reizend.«
»Das Geschenk ist zu wertvoll. Es bringt mich in Verlegenheit.«
»Mach' dir deshalb keine Skrupel. Meine Schwester ist reich und eitel. Als ich noch ein armes Ding war, hat sie mir kaum ein Almosen gegeben. Jetzt, wo ich die Gattin eines berühmten Mannes bin, ist sie stolz auf mich. Es scheint, daß du in Rußland noch berühmter als in Frankreich bist. Uebrigens hat sie sich in der Tat angestrengt. Dieser Schmuck ist im »Englischen Laden« am Newski-Prospekt gekauft.«
Dabei zeigte sie mir die in goldenen Buchstaben auf weißer Seide im Etui aufgedruckte Firma des Juweliers. Darauf las sie mir den in französischer Sprache geschriebenen Brief ihrer Schwester vor, in welchem meiner unter vielen Komplimenten und Schmeicheleien Erwähnung geschah.
»Gut,« sagte die Gräfin, welche bei dem Gespräche anwesend war, »von mir bekommst du passende Ohrringe dazu.«
»Aber Mama, derartige Ohrringe kosten zum mindesten 10-12 000 Franken! Deine ganze Jahresrente!«
»Und das Gut Starkau, das ich zurückbekomme?«
»Wirklich?«
»Jawohl. Auch habe ich dafür schon einen Käufer. All das Geld ist für dich, meine teure Tochter, für euch, meine teuren Kinder. Ob ich es euch in Talern oder Diamanten gebe, ist gleichgültig.«
Ich wollte nicht in der Schuld von Izas Schwester stehen und bot ihr eine Marmorstatue als Gegengeschenk an, welches Iza zu übersenden auf sich nahm.
Einen Monat später hatte Iza die Ohrringe.
Es war sechs Wochen darauf, da kehrte Iza mit ihrer Mutter, der Amme und dem Kinde von dem Spaziergange zurück. Iza sagte zu mir in ganz harmlosem, durchaus unauffälligem Tone:
»Rate mal, wem wir heute begegneten?«
»Das weiß ich nicht.«
»Rate doch!
»Jemand, den ich kenne?«
»Wenigstens dem Namen nach; aber du dürftest diesen Namen wohl nicht vergessen haben.«
Ich nannte mehrere Namen.
»Du wirst es doch niemals erraten!«
Sie machte, wie man im Theaterjargon sagt, eine Kunstpause, um sich zu vergewissern, daß sie mit meinem Vertrauen spielen könne und nichts zu fürchten habe; dann warf sie in dem Tone eines Kindes, welches glücklich ist, daß man das Rätsel nicht erraten hat, den Namen hin:
»Serge!«
Ich wurde bleich, trotzdem ich nicht den geringsten Argwohn hatte! Aber dieser Serge war der einzige Mensch, welcher mich mitunter in Gedanken beunruhigt hatte: wie ein Blitzschlag traf mich dieser Name.
»Hat er dich angesprochen?« fragte ich.
»Jawohl, du hättest sehen sollen, wie er sich benommen hat. Du hättest dich köstlich amüsiert. Ein Mann welcher erklärt, ohne uns nicht leben zu können und lieber in den Tod zu gehen, und dem man dann plötzlich wohl und munter begegnet, das ist ein köstliches Bild. Ich mußte ihm geradezu ins Gesicht lachen. Meiner Treu, um so schlimmer. Er hatte übrigens den guten Geschmack, unserer früheren Beziehungen auch nicht im entferntesten zu erwähnen.«
»Du hast ihn doch nicht etwa eingeladen, uns zu besuchen?«
»Nein, aber er kann kommen oder nicht kommen, das ist mir gleichgültig. Habe ich unrecht getan, daß ich dir von dieser Begegnung Mitteilung machte? Willst du, daß ich Geheimnisse vor dir habe? Du brauchst es nur zu sagen.«
»Im Gegenteil, du hast ganz recht getan. Umarme mich!«
Und sie begann sofort von dem Spaziergange, ihren kleinen Einkäufen, dem Wetter und den Leuten, welche auf den Straßen seien, zu erzählen.