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Ich hütete mich wohlweislich, meiner Mutter oder Herrn Ritz diese Briefe zu zeigen; zudem hatte ich weder mit der einen, noch mit der anderen ernstlich über Iza gesprochen, noch weniger aber von den Plänen, welche ich mit ihr hatte, ihnen Mitteilung gemacht.
Ich war um diese Zeit in einer für einen Künstler in meinem Alter außerordentlich günstigen finanziellen Lage. Ich konnte den Bestellungen nicht einmal genügen. Ich verdiente im Jahre 30-40 000 Franks. Zwei Drittel davon legte ich zurück, und wir lebten immer noch sehr gut, meine Mutter und ich, da wir beide an Arbeit, Sparsamkeit und Einfachheit gewöhnt waren. Zudem strebte ich nach materieller Unabhängigkeit, welche mir gestattete, über mein Herz ganz nach Gutdünken zu verfügen. Ich war kräftig, heiter, unermüdlich und durchaus gesund. Ich hatte ebensowenig Sorge um die Zukunft, wie um die Gegenwart und sehnte mich nur lebhaft danach, eine neue Verpflichtung auf mich zu nehmen. Ich wollte nicht nur, daß ich selbst allein meinen eigenen Kräften alles verdanke, sondern ich hatte auch den Wunsch, das andere, hauptsächlich jedoch das Weib, welches ich liebte, niemand anderem als mir ihre Existenz und ihr Glück zu danken habe. Da die Natur mir Talent, Gesundheit und Glück verliehen hatte, so fühlte ich mich der Allgemeinheit gegenüber als Schuldner, und ich wollte mit jemandem, der weniger glücklich war als ich, teilen. Oft sagte man zu mir: »Warum heiraten Sie denn nicht? Bei Ihren Verhältnissen können Sie eine gute Partie machen. Bei Ihrem Rufe und Talente erreicht man alles. Treten Sie in eine angesehene Familie ein. Soll ich Sie verheiraten?« usw. usw. Ich lehnte ab. Schließlich wollte ich auch nicht bei der Stellung, welche ich mir geschaffen, die Vergangenheit meiner Mutter den Nachforschungen einer fremden Familie unterwerfen, in deren Schoß ich aufgenommen zu werden wünschte. Ich hatte mich auch ganz in meine Idee verliebt:
Ein armes Mädchen, welches meine Mutter geworden, war von einem Mann verführt, verraten und verlassen worden, ein armes Mädchen, welches meine Frau werden sollte, sollte sagen können, daß ein Mann sie ohne Vermögen und ohne Schutz zu sich genommen und aus ihr seine glückliche und geachtete Lebensgefährtin gemacht habe. Das schien mir ein notwendiger Ausgleich in der gesellschaftlichen Harmonie, oder richtiger zugunsten jener Anständigkeit zu sein, welche ich zur Grundlage und zum Leitstern meines Lebens gemacht hatte. Aber die Liebe eines Künstlers – eine einzige Liebe, eine ruhmvolle Liebe – nennen Sie dieses Gefühl, wie Sie wollen: ich liebte Iza.
Sie hatte mich bei ihrem erstmaligen Erscheinen, das mich so überrascht hatte, an sich gefesselt durch ihre Schönheit, welche zu den hervorragendsten und exquisitesten gehörte, durch die Furcht, sie zu verlieren, durch die Eifersucht, durch das Mitleid, durch den plötzlichen Ruf nach Hilfe, welchen sie an mich gerichtet, um sie aus den drohenden Gefahren zu erretten, durch die Sorge um mich und schließlich durch ihr Elend, welches für die gewöhnlichen Menschen ein Grund zur Zurückhaltung geworden war. Fügen Sie hinzu meinen keuschen Lebenswandel, meine Sehnsucht, zu lieben, und von Liebe zu sprechen, meine Liebe zu beweisen einem Wesen, welches dem Alter nach zu mir paßte, und welches einen solchen Reiz auf mich ausübte. Und noch etwas: ein Wesen zu lieben, das man nur als Kind gekannt, und welches zur Jungfrau herangereift, ohne daß man es inzwischen gesehen. Man kann sich zwar dessen Züge, dessen Erscheinung vorstellen, aber man weiß nichts Bestimmtes und wartet mit der ganzen Sehnsucht des liebenden Herzens von Minute zu Minute, daß sie komme; man hofft, daß sie sich nach uns sehnt, wie wir nach ihr; man glaubt, ihren Atem zu fühlen, man glaubt, ihre Schritte zu vernehmen, ihr Herz pochen zu hören: man harrt des Augenblicks, sie in seine Arme zu schließen, für alle Ewigkeit, für das ganze Leben.
Ist nicht aus dieser reinen Anziehungskraft und Zusammengehörigkeit der Seelen die wahre glückliche Liebe überhaupt erstanden?
Ich hatte meiner Mutter meine Pläne mitgeteilt, weniger um sie um Rat zu fragen, als um sie von denselben in Kenntnis zu setzen. Sie war schon längst dahingekommen, daß sie mich in keiner Angelegenheit zu beeinflussen suchte, indem sie mich für tausendmal klüger hielt, als sie jemals zu hoffen gewagt hatte. Was ich tat, war auch gut getan. Sie wußte mir Dank dafür, daß ich niemals nach ihrer Vergangenheit sie gefragt, und zum Dank dafür fühlte sie sich verpflichtet, sich um meine Gegenwart und das, was ich in Zukunft zu tun beabsichtigte, nicht mehr zu bekümmern, als mir angenehm war. Mein Glück, das war alles, was sie erstrebte. Daß mich alle Weiber liebten, schien ihr ganz selbstverständlich; daß ich ein Weib nehme, welches kein Vermögen habe, kam ihr nicht minder natürlich vor.
Andererseits hatte sie stets in solchen bescheidenen Verhältnissen gelebt, daß ihr Gedankenkreis manche Eventualitäten und Zufälligkeiten des Lebens nicht fassen konnte. Sie war, wie im Leben, so auch im Denken einfach. Sie hatte Uebles erleiden müssen, aber niemals dasselbe anderen zugefügt, sie ahnte auch nichts Böses. Sie bereitete das Zimmer für ihre Tochter, wie sie Iza bereits nannte, und erwartete sie mit einer Ungeduld, welche fast der meinigen glich.
Meine Freundschaft und Dankbarkeit für Herrn Ritz war dieselbe geblieben, nur unsere direkten Beziehungen waren etwas seltener geworden. Im übrigen hatte sich nichts geändert, aber das war mehr sein Verdienst als das meinige. Denn stets, so oft ich einen Erfolg erzielt hatte, gab es immer unter meinen Bewunderern einige von jener Gattung, welche den einen nicht loben kann, ohne den anderen herabzusetzen, die bei dieser Gelegenheit seine Werke angriffen. Es stand sehr oft in den Zeitungen, es wäre ein Glück für ihn, daß er einen solchen Schüler ausgebildet habe, da er sonst gar nichts für die Kunst geleistet hätte. Das war unanständig, das war ungerecht; aber er ließ mich den Schmerz, welchen ihm diese Bosheiten bereiteten, nicht merken. Um so zuvorkommender war aber ich ihm gegenüber, als wollte ich dadurch meinen rasch erworbenen Ruf vor ihm entschuldigen; um so unbedeutender stellte ich mich in seiner Gegenwart hin. Ich war manchmal tatsächlich ihm gegenüber in großer Verlegenheit. Ich schuldete ihm alles und ich war unfähig, das zu vergessen; er hatte mir verboten, ihm einen Rat zu geben, oder ein Lob auszusprechen, da ich ihn dadurch beleidigen würde. Er pflegte mich zu besuchen; er sah mich arbeiten, ich zeigte ihm meine Studien und Skizzen, ich fragte ihn um seinen Rat und bat ihn, mir zu helfen. Ich gab mir das Ansehen, als könnte ich mit meiner Arbeit nicht zu Ende kommen, und ersuchte ihn, an meinem Werke mitzuarbeiten. Das war die größte Freude, die ich ihm bereiten konnte. Wenn das Werk nun vollendet war, so nahm ich mir alle Mühe, seine Mitarbeiterschaft bekannt zu machen. Wenn man eine Bewegung, einen Ausdruck oder eine schöne Linie, an welcher er mitgeholfen, lobte, sagte ich in seiner Gegenwart:
»Das ist das Verdienst meines Meisters; an den müssen Sie Ihre Komplimente richten.«
Er drückte mir die Hand; ich fühlte, daß er mich verstanden, und daß er hochherzig genug sei, meine gute Absicht anzuerkennen und dieselbe zu vergeben.
Herr Ritz lebte mit seiner Tochter, seinem Schwiegersohne und deren zwei Kindern zusammen. Inmitten seiner Familie war er wunschlos geworden. Konstantin hatte mit Auszeichnung die Akademie in St. Cyr verlassen und war einer unserer besten Offiziere in Afrika geworden. Ich stand in Korrespondenz mit ihm und stets, wenn er auf Urlaub nach Paris kam, galt sein zweiter Besuch mir.
Bei den Beziehungen zu Herrn Ritz war es also ganz natürlich, daß ich ihm zur selben Zeit wie meiner Mutter von meinen Entschlüssen Mitteilung machte. Ich suchte ihn auf, erzählte ihm meinen kleinen Roman und die Lösung, die er gefunden.
»Teilen Sie mir«, sagte er darauf, »eine Tatsache mit, oder verlangen Sie von mir einen Rat?«
»Es ist eine beschlossene Tatsache.«
»Dann, mein teures Kind,« sagte er, mich umarmend, »empfangen Sie meine herzlichsten Wünsche für Ihre Zukunft und erinnern Sie sich stets daran, daß mein Haus auch das Ihrige ist, ob Sie nun verheiratet oder ledig sind.«
»Wollen Sie mir den Freundschaftsdienst erweisen und mein Trauzeuge sein?«
»Von ganzem Herzen!«
Warum hat er mir damals nicht alles gesagt, was er vorausgeahnt hatte! Aber ich hätte ja ohnehin auf seine Worte nicht gehört.