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Es ist in der Tat merkwürdig, wie der Zufall über meinen zukünftigen Beruf entschieden hat. Einem unserer Kameraden starb sein dressierter Buchfinke, welchen wir alle wegen seiner Pfiffigkeit, fast möchte ich sagen, wegen seiner Intelligenz liebten. Dieser Vogel starb plötzlich, nachdem er noch Tags zuvor munter gesungen, man wußte nicht, woran, vielleicht wie Anacreon an einer Weinbeere, die er zufällig verschluckt. Die Trauer war eine allgemeine, als man den Vogel tot in seinem Käfig fand. Es wurde beschlossen, dem Vogel ein Denkmal zu setzen, und mir wurde dessen Ausführung übertragen. Ein Dominokasten wurde zu einem Sarge adoptiert und im Garten sollte die Begräbnisstelle sein. Ich machte mich an die Arbeit. Ich entwarf mehrere Skizzen, aber keine befriedigte mich. Endlich fand ein Entwurf allgemeine Zustimmung. Es war auch hoch an der Zeit. Eine Gegenströmung machte sich bereits geltend; aus den Lobliedern wurden Spottgedichte, und sogar Karikaturen waren bereits erschienen. Ein simpler Spatz war an des Finken Stelle getreten, und es gab viele, welche den ersteren für viel pfiffiger hielten. Ich sah schon den Augenblick nahen, an welchem der Spender der Dominoschachtel dieselbe zurückverlangen würde, um wieder seine Federn und Schreibutensilien darin aufzubewahren, und wo man den Buchfinken der Katze zum Fressen geben werde. Die Toten haben sehr recht, daß sie sich schleunigst begraben lassen.
Das Denkmal frischte wieder ein wenig die Tugenden des Helden auf, und man wendete sich sodann anderen Begebenheiten zu.
Das Monument war za. 8 Zoll hoch und stellte einen in dorischem Stil gehaltenen runden Säulengang vor. In der Mitte desselben befand sich eine Art Altar, auf welchem eine zerbrochene Uhr mit herabwallender Trauerdekoration stand. Ein lateinischer Vers, dessen ich mich leider nicht mehr entsinne, schmückte die Stirnseite. Der Zufall wollte nun, daß der Eigentümer des Buchfinken Konstantin Ritz war, derselbe, welcher einmal vor der ganzen Klasse sich meiner angenommen hatte. Er erzählte die Geschichte zu Hause seinem Vater, einem seiner Zeit berühmten Bildhauer, welcher dieses merkwürdige Werk kennen lernen wollte. Der Meister fand darin einen natürlichen angeborenen Sinn für die Kunst und wiederholte die Prophezeiung des Töpfers, aber diesmal mit der Autorität eines gefeierten Künstlers. Er ließ mich herbeirufen, machte mir ein Kompliment und fragte mich, welche Laufbahn meinem Geschmacke entspräche und für welche mich meine Familie bestimmt hätte.
Meine Mutter hatte noch keinen bestimmten Entschluß gefaßt; wir hatten kein Vermögen, und ich wollte dereinst arbeiten, um uns zu ernähren. Aber über die Art der Arbeit hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Was wollte ich unternehmen! Wie alle Kinder glaubte ich, es genüge, arbeiten zu wollen, um in reichstem Maße auch Arbeit zu erhalten.
»So sollte es allerdings sein,« sagte Herr Ritz, »aber in Wirklichkeit ist es nicht so. Erbitten Sie sich von Ihrer Mutter die Erlaubnis, den nächsten Sonntag mit meinem Sohne bei uns verbringen zu dürfen. Ich werde euch beide abends wieder hierher zurückbringen.«
Am nächsten Sonntag um neun Uhr waren wir bei Herrn Ritz. Er war seit lange Witwer. Aus seiner Ehe waren ihm zwei Kinder zurückgeblieben, Konstantin und eine Tochter von beiläufig sechzehn Jahren, ein sehr hübsches Mädchen, welches dem Hause wie eine erwachsene Dame vorstand und mich mit großer Zuvorkommenheit und Aufmerksamkeit behandelte. Sie war überaus lustig und wenn sie lachte, konnte ich mein Auge nicht lassen von den wie aus feinstem Elfenbein gemeißelten Zähnen und den Lippen, rot wie frische Kirschen.
Was mich aber am meisten in Erstaunen setzte, war ihre Haartracht, welche mit den durchflochtenen Goldmünzen an diejenige der Frauen in Algier erinnerte, mit deren Typus übrigens Fräulein Ritz einige verwandte Züge aufwies. Diese etwas merkwürdige Frisur, welche bei einem Mädchen aus gutem Hause ganz besonders auffiel und besser für eine Zirkusreiterin gepaßt hätte, verlor jedoch in der Umgebung von tausend Kunstgegenständen aus allen Zeiten und allen Ländern ihren befremdenden Charakter, sie harmonierte sogar mit diesem Museum, zu welchem das Haus umgestaltet war. An unsere bescheidene Wohnung in der Rue de la Grange Batelière erinnerten diese Räume sehr wenig. Ich betrachtete alles mit erstauntem Auge, und Herr Ritz und seine Kinder, seit langem an diesen Reichtum gewohnt, amüsierten sich nicht wenig über meine Bewunderung. Wir gingen endlich ins Atelier – neue Wunderwerke. Ich wagte anfangs angesichts dieser Werke aus Gips, Marmor und Bronze, dieser Statuen in den verschiedensten Stellungen kaum zu atmen; aber allmählich gewöhnte sich mein Auge an den Anblick und ich schaute eines nach dem andern an. Ich begann die Sachen genau ins Auge zu fassen und sie in verschiedene Gruppen einzuteilen. Ich freute mich innerlich über die edlen und ruhigen Figuren, deren schönes Ebenmaß mich entzückte. Herr Ritz behandelte mich wie einen erwachsenen Menschen; er drehte eine um die andere Figur mit dem Modellblock herum, um sie mir von allen Seiten zu zeigen, wie er dies bei einem Kollegen getan hätte. Ich glaubte anfangs, er treibe Scherz mit mir, aber das war nicht der Fall; er wollte mich studieren.
»Welche Figur gefällt Ihnen hier am besten?« fragte er mich schließlich.
»Diese da,« antwortete ich, ohne nachzudenken. Und errötend über meine vorlaute, schnell gegebene Antwort zeigte ich nach einer Bronzefigur.
»Und warum gefällt Ihnen denn diese ganz besonders?«
»Weil ich diese männliche Gestalt schön finde, und weil ich sehe, was der Mann tut.«
»Er ringt.«
»Mit wem?«
»Mit einem anderen Manne.«
»Ja, Sie sehen doch den anderen Mann nicht.«
»Aber ich kann ihn durch diesen erraten.«
»Sie haben sehr gut gewählt, mein Freund. Diese Statue ist die Kopie einer der schönsten Antiken: des Ringers. Und Sie haben recht,« setzte er lächelnd hinzu, »sie ist weit wertvoller als die anderen, welche – von mir sind.«
Ich war tief beschämt. Hatte ich vielleicht eine Dummheit begangen! Im Gegenteil, von diesem Augenblick an hatte ich durch meine glückliche, treffsichere Antwort seine ganze Sympathie gewonnen.
Während wir uns in dieser Weise unterhielten, tollten Konstantin und seine Schwester wie zwei Ausgelassene in dem großen Atelier herum, wo ein Mann zu Pferde leicht hätte Reitübungen veranstalten können. Der Bruder suchte die Schwester zu haschen, welche sich hinter den Statuen versteckte. Endlich hatte er sie erwischt; aber er muß etwas derb zugegriffen haben, denn ich hörte in halb unwilligem Tone das Mädchen rufen: »Du bist zu grob. Ich spiele nicht mehr mit dir!«
Sie brachte ihre Frisur in Ordnung, welche er zerzaust hatte. Man gab mir Bücher, Bilder, aber je länger der Tag wurde, desto mehr langweilte ich mich. Ich wurde tatsächlich traurig. Angesichts dieses Wohlstandes, dieses Luxus und dieser freundlichen, lustigen Leute, welche nicht zu meiner Familie gehörten, umgeben von dieser Eleganz, dachte ich an meine Mutter, welche ich zu Hause bei ihrem einfachen Diner allein wußte, bei welchem ihr meine Gesellschaft sicher fehlte. Herr Ritz war ein guter Menschenkenner, denn er sagte mir: »Also, mein junger Freund, gehen Sie jetzt nach Hause und umarmen Sie Ihre Mutter. Der Diener wird Sie nach Hause bringen und Sie zu der Stunde, welche Sie bestimmen, abholen.«
Ich konnte mich nicht enthalten und fiel Herrn Ritz um den Hals.
»Sie haben ein gutes Herz,« sagte er mit halblauter Stimme, indem er mich an sich zog. »Das ist gut für Sie und auch für Ihre Kunst.«
Dabei warf er einen fast traurigen Blick auf seinen Sohn, welcher soeben damit beschäftigt war, einen Pudel zu dressieren.