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Ich betrat mein Atelier, vor Ungeduld brennend, mein früheres Leben wieder aufzunehmen, welches so jäh unterbrochen worden war. Ich holte meine Werkzeuge, bereitete Ton vor und schlug die Aermel meiner Arbeitsbluse zurück, ganz wie in jenen glücklichen Zeiten, als in den frühen Morgenstunden die Inspiration mich vom Lager trieb, wo die Liebe mich festzuhalten trachtete. Aber die Arbeit ist kein Sklave, der auf den ersten Ruf kommt. Die Inspiration ist keine Dirne, jederzeit bereit, uns zuzulächeln.
Menschen, welche durch ihren Beruf mit fremden Leuten in Berührung kommen müssen, Handwerker oder Geschäftsleute, Aerzte oder Juristen, werden in der Arbeit stets Ableitung von den Schmerzen finden, welche ihr Inneres bedrücken. Im Verkehr mit der Außenwelt wird die innere Stimme ungehört verhallen müssen. Sie verstummt mit der Zeit gänzlich, die Macht der Gewohnheit bewährt sich in diesem Falle glänzend. Anders verhält sich die Sache bei jenen Menschen, welche bei ihrer geistigen Arbeit der Einsamkeit bedürfen und ihre Phantasie anzustrengen genötigt sind. Der Geist befindet sich stets in Aufregung und Spannung, die Einsamkeit und Reflexion sind ihnen Bedürfnis; und die Einsamkeit und die Reflexion sind die hilfsbereitesten Bundesgenossen unseres Gedächtnisses, um uns unsere Leiden wieder in Erinnerung zu bringen.
So leicht ich früher geschaffen hatte, so schwer fiel es mir gegenwärtig. Mein Auge war stumpf, meine Hand schwach geworden. Ich betrachtete den Ton und wußte nicht, was ich damit beginnen sollte; stundenlang saß ich in unheimliche Gedanken versunken vor meinem Modellblock. Wie oft schoß mir die Frage durch den Kopf: »Für wen arbeitest du?« Ich wußte keine Antwort. »Wozu lebst du noch?« fragte mich eine andere Stimme, und ich sehnte mein Ende herbei; ich hatte den Wunsch, das Ende selbst herbeizuführen.
Meine Jünger warteten auf die Meisterwerke, die ich nun schaffen sollte; ich vertröstete sie damit, daß ich erst meine Gedanken vollständig gesammelt haben müßte, bevor ich an die große Arbeit gehe; ich entschädigte sie durch theoretische Abhandlungen über Kunst und Aesthetik, und flüchtete mich in die Museen und Galerien, aber wie gering war die künstlerische Ausbeute, die ich von diesen Besuchen heimtrug! Ich hatte zehnerlei Arbeiten in Angriff genommen, ohne eine zu vollenden. Meine Gedanken weilten an anderen Orten. Dieses elende Weib hatte mir nicht allein meine Ehre und mein Glück geraubt, es hatte auch meine Seele und mein Genie mir gestohlen.
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Konstantin kehrte nicht zurück.
In dem ersten Briefe, den ich von ihm erhielt, sprach er noch von einem baldigen Wiedersehen; aber sodann hatte ihn Paris wieder ganz in seinen Bann genommen. Die Abwesenden haben immer unrecht; um so schlimmer für die Unglücklichen. Das Vae victis! wird in allen Zeiten und bei allen Ständen seine Geltung behalten.
Aber ich wurde durch Konstantin wenigstens von allem, was Iza tat, auf dem Laufenden gehalten. Herr Ritz, welcher nicht wußte, in welcher seelischen Verfassung ich mich befand, hatte in seinen Briefen an seinen Sohn es stets vermieden, dieses Weibes zu erwähnen.
Als Konstantin nach Paris zurückgekehrt war, schrieb er mir alles mit seinem gewöhnlichen Freimut. Er hielt mich für vollständig von dieser Leidenschaft geheilt, und ich hütete mich wohlweislich, ihm die Wahrheit mitzuteilen.
Als Iza von meiner Abreise Kenntnis erhalten, wäre sie wütend gewesen. Sie hätte eine Klage gegen Herrn Ritz angestrengt, welchen sie beschuldigte, ihr Kind ihr widerrechtlich vorzuenthalten. Sie wollte ihren früheren Geliebten, den Rechtsanwalt Dax, mit dem Prozesse betrauen, dieser lehnte jedoch nicht nur mit aller Entschiedenheit diese Ehre ab, sondern er informierte sogar den Gerichtspräsidenten über das Vorleben der Klägerin. Tat er das aus Rache, aus Anstand oder aus Rechtlichkeit? Jedenfalls tat er, was er tun mußte, und das ist mitunter auch schon genug. Sie hatte sodann versucht, mit ihrer Schönheit und ihrem Liebreiz auf die Richter einzuwirken, aber sie ließen sich nicht beeinflussen und erkannten zu recht: Herr Ritz habe das Kind auch weiterhin zu behalten, jedoch stehe es der Mutter zu, dasselbe einmal in der Woche in Gegenwart eines Mitgliedes des Hauses Ritz zu besuchen. Iza sei nun während des ersten Monats regelmäßig gekommen; dann besuchte sie Felix nur zweimal im Monat und schließlich sei sie ganz ausgeblieben.
Sie führe mit ihrer Mutter ein sehr bescheidenes Leben. Sie kleide sich wie ein junges Mädchen und mache auch den Eindruck eines solchen. Niemals habe sie sich so einfach und dezent gegeben wie jetzt. Wohin immer sie mit der Gräfin gehe, würde sie mit »Fräulein« angesprochen. Er, Konstantin, sei ihnen mehrmals nachgegangen, um aufzupassen, aber man könne ihr gar nichts nachsagen.
Der größeren Sicherheit wegen hätte Serge, nachdem er wiederhergestellt, Paris verlassen. Konstantin hätte ihn zwei- bis dreimal getroffen und sie hätten frei von der Leber weg miteinander gesprochen. Serge sei immer noch bis über die Ohren in Iza verliebt und wäre fast noch unglücklicher als ich. Er reise ab, um sein Wort halten zu können. Im übrigen müsse Iza ein hübsches Sümmchen Geld zurückgelegt haben. Er (Serge) habe ihr nebst den reichen Geschenken auch größere Summen Geldes gegeben: 80-100 000 Franks, welche sie in sicheren Papieren angelegt hätte.
Liederlicher Geist und Sinn für Ordnung sind nichts Seltenes bei solchen Weibern.
Unsere Trennung habe großes Aufsehen erregt. Ich war so berühmt und sie war so schön! Die Wahrheit wäre übrigens bald bekannt geworden, trotz der Erzählungen der Gräfin und ihrer Tochter. Alle anständigen Familien hätten die Beziehungen mit ihnen abgebrochen, und sie verkehrten nur in Herrengesellschaft. Bei solchen ehelichen Katastrophen kommen die Männer immer am besten weg und nehmen stets die Partei der Frau, falls sie jung und hübsch ist, und falls sie selbst noch ledig sind. Sobald sie geheiratet haben, kennen sie sie allerdings nicht mehr.
Iza suche nun die Affäre derart darzustellen, daß ich ins Unrecht käme und alle Schuld auf mich fiele. Ich hätte das Haus verlassen und mich mit einer Geliebten nach Italien begeben. Ich hätte zuerst von der Mitgift meiner Frau gelebt, und sodann ihre Ausstattung angegriffen, um sie – einer anderen zu schenken; sie hätte mich verlassen müssen. Ich hätte sie gezwungen, mir als Modell zu dienen, und hätte schließlich sogar verlangt, sie solle auch meinen Gehilfen sitzen. Aber sie hätte sich schließlich nur dazu verstanden, daß ich nach ihr modelliere, ich hätte allen Leuten die nach ihr geformten Statuetten gezeigt und reiche Herren herangezogen, um auf diese Weise mit meiner Kunst ein geheimes und einträgliches Geschäft zu verbinden. »Das trinkende Mädchen« wäre eine durchaus genaue Wiedergabe ihrer Person usw. usw.
So beiläufig lautete der Inhalt von Konstantins Briefen. Ich brauche Ihnen wohl nicht mehr darüber zu schreiben. Sie selbst haben sicherlich in Paris von allen diesen Verdächtigungen, Verleumdungen und Erpressungen Kenntnis erhalten. Man hört diesen Skandal, man glaubt daran, oder auch nicht, und geht zur Tagesordnung über. Paris kann sich nicht lange mit einer Geschichte abgeben.
Im ganzen jedoch blieb mir, Dank dem Duell, von dem man wußte, und den Erklärungen des Herrn Ritz in diesem traurigen Spektakelstück die bei weitem bessere Rolle.