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14. Kapitel

Hier ist die ganze Korrespondenz. Ich habe alle Briefe aufbewahrt und gebe sie wörtlich wieder, nur, daß ich einige stilistische und orthographische Flüchtigkeiten verbessert habe.

»Mein kleiner Freund!

Sie dürfen nicht ungehalten sein, daß ich Ihnen bislang nicht geschrieben habe. Aber wir waren sehr ermüdet von der langen Reise, welche um diese Jahreszeit auch sehr beschwerlich ist. Trotz unseres Wunsches, so rasch als möglich an Ort und Stelle anzukommen, um auf der Reise so viel als möglich zu sparen, waren wir doch gezwungen, einmal in Köln und einmal in Breslau zu übernachten, wo es sich in den Hotels sehr teuer lebt. Wir sind schon lange in Warschau. Ich bin sehr undankbar, werden Sie sagen. Aber jeden Tag wollte ich Ihnen schreiben, Mama ist jedoch krank gewesen, und dann haben wir so viel zu tun.

Ach, lieber Freund, wie sehne ich mich nach Paris und nach den angenehmen Stunden in Ihrem Atelier! Ich denke sehr oft an Sie. Vergessen Sie nicht, daß Sie mein kleiner Mann sind. Ich scherze nicht, mein Herr! Ich werde zurückkommen und dann heiraten wir uns. Mama verbietet mir zwar, davon zu sprechen, weil es sich nicht schickt, wie sie sagt. Aber ich kann es nicht unterlassen, Ihnen zu sagen, daß ich Sie von ganzem Herzen liebe, und daß ich den Wunsch habe, stets in Ihrer Nähe zu sein, oder Sie bei mir zu wissen.

Sind Sie mit der Büste schon fertig? Wann werden Sie mir dieselbe schicken? Ich denke, es wäre besser, wenn Sie die Blumen aus dem Haare nehmen würden. Man sagt nämlich, mein Haar wäre so schön und üppig, daß es keines Schmuckes bedarf. So sagt die Mama. In Wahrheit hat man mir eine neue Frisur gemacht, die mir sehr gut stand, wir waren nämlich auf einem Balle bei einem Kammerherrn des Kaisers, wo ich sehr gefallen habe. Ich habe mich auch sehr gut amüsiert, aber so lustig wie bei Madame Lesperron war es dennoch nicht. Auf Wiedersehen, mein kleiner Freund! Schreiben Sie mir oft und vergessen Sie mich nicht. Mama läßt Sie vielmals grüßen; sie wird Ihnen nächstens selbst schreiben. Ich mache Ihnen mein schönstes Kompliment. Ihre kleine Frau

Iza Dobronowska.

P. S. Wenn die Büste fertig sein wird, so können Sie dieselbe an die Gesandtschaft, und zwar unter der Adresse des Sekretärs schicken. Das ist ein Freund von uns. Und dann kostet es auf diese Weise nichts.«

*

Vier Monate später.

»Sie werden, mein kleiner Freund, schön erstaunt gewesen sein, daß Sie so lange ohne Nachricht von uns geblieben sind, und daß wir uns für die Büste, welche übrigens gut angekommen ist, gar nicht bedankt haben. Ein Kunstkenner hat sie gesehen und gesagt, sie wäre sehr schön. Er hat auch zu Mama gesagt, er wolle sie kaufen, und hat 2000 Franks für sie geboten. Mama hoffte, eine Audienz beim Kaiser zu erhalten, aber er hatte sich nach Odessa begeben, da es, wie es heißt, zum Krieg kommen soll, und unser Kaiser, den Gott erhalten möge, inspiziert nun die Städte im Süden. Und mit euch Franzosen werden wir uns schlagen. Das ist doch reizend. Man spricht in Petersburg von nichts anderem, als davon, mit Frankreich einmal gründlichst abzurechnen, und ich glaube schon, ihr werdet besiegt werden. Unsere Soldaten sind viel schöner und größer als die eurigen. Ich aber denke dabei an meinen kleinen Mann, da Sie mir doch gesagt haben, daß Sie in diesem Jahre stellungspflichtig sind! Da habe ich einen famosen Plan ausgeheckt, um ein Wiedersehen herbeizuführen. Wenn Sie Soldat gewesen wären, so hätten Sie sich schleunigst gefangen nehmen lassen müssen. Man hätte Sie hierher gebracht, und wir hätten uns ganz bequem sehen können. Wir haben auch meine Schwester in Petersburg besucht. Sie wissen doch, wie schön sie ist. Mein Schwager, welcher Adjutant des Kaisers ist, war mit demselben verreist. Meine Schwester hatte uns eine Audienz beim Großfürsten Thronfolger verschafft. Ich wurde sehr hübsch hergerichtet, aber er tat, als ob er mich gar nicht sähe. Es scheint übrigens, wie Madame sagt, daß er ein sehr ernster Mensch ist, der die Frauen nicht liebt. Das verstehe ich nun nicht ganz. Es ist doch immer angenehm, eine schöne Frau zu sehen. Der Großfürst versprach meiner Mutter, sich unserer Sache anzunehmen. Von meiner Schwester habe ich Kleider und ein prachtvolles Armband geschenkt bekommen. Schreiben Sie uns oft; schreiben Sie uns, was Paris macht. Mitunter langweilen wir uns recht herzlich. Auf Wiedersehen, mein kleiner Mann. Es umarmt Sie Ihre kleine Frau

August 18..
Iza

*

»Es ist in der Tat reizend von Ihnen, daß Sie sich meines Geburtstages erinnert und mir in Ihrem Briefe Blumen geschickt haben. Er kam gerade an dem Tage, an welchem ich mein vierzehntes Lebensjahr zurückgelegt hatte. Ich habe viele Geschenke erhalten, aber keines hat mich so gefreut wie Ihr Erinnerungszeichen. Mama ist jetzt bei besserer Laune, da sich unsere Angelegenheiten freundlicher gestalten.

Sie hat nämlich hier einen Offizier getroffen, welcher der Sohn eines unserer Verwandten ist, den ich noch nicht gekannt habe, und welcher großen Einfluß bei dem Vizekönig besitzt. Er ist ein sehr geistvoller Mensch und hat auch sehr schöne Pferde und hat uns versprochen, uns zu unseren Gütern zu verhelfen. Mama sagte mir, er hätte mit ihr von mir gesprochen, als wollte er mich heiraten; aber sie findet ihn nicht reich genug, obzwar er zum mindesten 200 000 Lire Rente besitzt. Das ist allerdings ein hübsches Stück Geld, aber Mama träumt immer von einem Throne, den ich einnehmen werde. – Er hat mir auch einen Ring geschenkt. Es ist ein prachtvoller Türkis, von einer wunderbar schönen blauen Farbe, mit einem Diamant zu jeder Seite. Er ist 500 Franks wert und paßt mir sehr gut. Mama läßt Sie vielmals grüßen. Adieu, mein kleiner Freund.

November 18..
Iza

*

»Ich habe Sie schon seit langer Zeit ohne Brief gelassen, da meine Mama krank gewesen ist und es mit unsern Angelegenheiten von Tag zu Tag schlechter geht. Glücklicherweise waren wir während der Rekonvaleszenz von Mama auf dem Lande – bei der Tante jenes Mannes, von welchem ich Ihnen in meinem letzten Briefe geschrieben habe. Sie war nämlich während des ganzen Sommers abwesend und hatte ihm erlaubt, über das ganze Schloß zu verfügen. Dieses Schloß ist sehr groß und sehr schön, mit Bäumen, welche älter als hundert Jahre sein dürften, und mit vielen Blumen. Das stand nun den ganzen Sommer leer. Man sah dort niemand, nur mitunter kam der junge Mann aus der Stadt, um uns einen Besuch abzustatten, als ob er nicht eigentlich hier zu Hause wäre. Er lehrte mich auch reiten. Das bekommt mir sehr gut; ich hustete auch ein wenig; aber jetzt huste ich nicht mehr, auch bin ich um mindestens zwei Zoll gewachsen. Wenn unsere Angelegenheit nicht eine Wendung zum Besseren nimmt, so werden wir trotz der Kälte auch über den Winter hier bleiben. Aber in den Gängen sind gerade so wie in der Stadt große Kamine, und dann heißt es sparen. Auf Wiedersehen, mein kleiner Freund! Vergessen Sie nicht Ihre

Iza

*

»Sehr geehrter Herr!

Ich muß mich tausendmal entschuldigen, daß ich Ihnen den kleinen Betrag, welchen Sie so liebenswürdig waren, uns zur Verfügung zu stellen, noch nicht zurückgestellt habe. Aus dem Briefwechsel mit Iza, welchen ich ihr gestattet habe, und der die einzige Zerstreuung meines teuren Kindes ist, werden Sie erfahren haben, mit welchen Schwierigkeiten die Aufhebung des Sequesters für uns verbunden ist.

Die arme Kleine hat keine Ahnung von den Anstrengungen, die ich mache, um sie eines Tages reich und glücklich zu wissen, wie ihre Schwester, welche allerdings etwas erkenntlicher sein dürfte. Es ist mir noch nie so schlecht gegangen, als seit unserer Ankunft hier. Ich schäme mich dessen nicht; es gibt Namen, welche durch das Unglück nur noch edler werden, und wir tragen einen solchen Namen. Aber der Himmel fängt bereits an, sich aufzuklären, und ich hoffe, daß in nicht allzu langer Zeit unsere Sorgen ein Ende genommen haben werden. Sobald dies der Fall ist, werde ich Ihnen, verehrtester Herr, von dem ersten Gelde, welches eingeht, die 500 Franks, die Sie mir vorgestreckt, und die uns so gute Dienste geleistet haben, mit tausend Dank zurückerstatten. Empfehlen Sie mich gefälligst Ihrer ausgezeichneten Mutter und empfangen Sie die Versicherung meiner Zuneigung und Dankbarkeit.

Gräfin Dobronowska

»Wir haben hier aus französischen Zeitungen ersehen, daß Sie eine neue Statue vollendet haben, welche neuerdings, wie nicht anders zu erwarten war, großen Beifall gefunden hat. Nehmen Sie die Glückwünsche einer Frau entgegen, welche, wenn sie auch im Norden wohnt, dennoch nicht gänzlich eine Barbarin geworden, und welche so gut wie irgend jemand weiß, was sie von Ihrer glänzenden Begabung zu halten hat. Schreiben Sie von nun ab unter der Adresse: Warschau, Schloßplatz 17, wo wir uns nunmehr definitiv installiert haben.«

*

Ein Jahr ohne Nachricht, sodann:

»Mein kleiner Freund!

Seien Sie recht liebenswürdig und antworten Sie mir postwendend. Fragen Sie Ihre Mutter, was eine vollständige Ausstattung für eine Dame in elegantester Ausführung mit Monogramm und Krone kostet – notabene nur die Leibwäsche, sowie ein Männerhemd und ein Schlafrock. Es ist nämlich hier Brauch, daß die Frau diese beiden Gegenstände in die Ehe mitbringt. Es wird alles sofort bar bezahlt, nötigenfalls die Hälfte im Vorhinein. Antworten Sie sofort. In alter Freundschaft

Iza Dobronowska

»Ich habe, mein Herr, von Ihnen einen so impertinenten Brief, wie Sie mir ihn als Antwort auf den meinigen sandten, in der Tat nicht erwartet. Der Dienst, um welchen ich Sie gebeten, war doch ein ganz einfacher, da Ihre Mutter noch ein Weißwarengeschäft hatte, als wir vor zwei Jahren Paris verließen. Ich wußte nicht, daß sie es inzwischen aufgegeben, und es war ganz natürlich, daß ich unter meinen gegenwärtigen Verhältnissen daran dachte, mich an Sie zu wenden. Arbeit schändet nicht, wenn man deren zum Lebensunterhalte braucht, denn auch ich und meine Mutter haben von unserer Hände Arbeit gelebt. Ich bin aber trotzdem hoch erfreut, zu erfahren, daß Ihre Mutter es nicht mehr nötig hat, und ich empfehle mich Ihnen, mein Herr, auf das höflichste.

Iza Dobronowska

*

Wieder ein Jahr ohne Nachricht. Sodann nimmt Iza die Korrespondenz auf.

»Ich habe großen Kummer. Warum sind Sie die erste Person, an die ich denke und mit der davon zu sprechen es mich drängt? Erinnern Sie sich noch meiner? Sind Sie mir noch böse? Ich frage nicht, ob Sie noch leben. Wenn man so berühmt ist wie Sie, dann kann man nicht sterben, ohne daß es alle Welt weiß; aber sagen Sie nur, ob Sie so glücklich sind, wie ich es wünsche, und ob Sie in irgend einem Winkel Ihres Herzens noch ein Plätzchen haben für Ihre unartige und unglückliche Iza, welche so dringend des Rates und der Freundschaft ihres kleinen, lieben Freundes bedarf.

Schreiben Sie nicht mehr nach dem Schloßplatz; wir wohnen nicht mehr dort. Adressieren Sie Ihre Briefe nach der Piwnastraße, Haus Herthemann, an Frl. Wanda. Ich werde Ihnen demnächst mitteilen, warum die Mama nicht wissen soll, daß ich Ihnen geschrieben habe. Meine Mama ist sehr traurig, und es geht ihr sehr schlecht.

I.«

*

»Wie gut sind Sie, und wie liebe ich Sie, mein teurer, lieber Freund! Ich hatte recht, als ich an Ihrem vortrefflichen Herzen nicht zweifelte. Ich war zu Tränen gerührt, als ich Ihren Brief erhielt. Sie fragen, was geschehen ist. Hören Sie denn! Die Hoffnungen der Mama sind nicht in Erfüllung gegangen, weder für sie noch für mich, und wir haben uns noch niemals in einer so tieftraurigen Lage befunden, als dies jetzt der Fall ist. Sie kennen ja Mama! Sie hat eine sehr lebhafte Phantasie und glaubt an alles, was sie wünscht. Es handelte sich für mich um eine Heirat, welche weder königlich noch fürstlich war, die aber schließlich alle Hoffnungen übertraf, die ich hatte hegen dürfen. Ich opferte mich für sie, da ich den jungen Mann nicht liebte, trotzdem er reich und vornehm war. Aber ich liebte ihn nicht. Er hatte um meine Hand angehalten, und sie war ihm zugesagt worden. Ich weiß nicht, was in seiner Familie vorgegangen ist, aber er ist genötigt worden, sein Wort zurückzunehmen. Meine Mutter hatte inzwischen mir und sich den Kopf verdreht; wir machten unglaubliche Ausgaben, welche durch die Heirat bezahlt werden sollten. Uebrigens hat uns Serge (so heißt er) dazu ermutigt, und Mama glaubte ihn dadurch nur noch fester an uns zu knüpfen. Er wußte ganz gut, wie es um uns stand, und war moralisch verantwortlich für die Auslagen, welche wir machten. Als seine Familie von seiner Absicht und seinen eingegangenen Verpflichtungen Kenntnis erhielt, war Feuer auf dem Dache; da er noch minorenn war und ohne Einwilligung seiner Eltern, welche ihm mit Enterbung drohten, nicht heiraten konnte, wollte er mich nach dem Auslande entführen und mich in England heiraten. Dann hätten wir beide aber nichts gehabt. Sein Vater, welcher großen Einfluß besitzt, wollte uns, Mama und mich, einsperren lassen. Wahrscheinlich hatte ihm der Sohn mit Durchbrennen gedroht.

Wir konnten uns in diesen ungleichen Kampf nicht einlassen. Mama trat zurück unter der Bedingung, daß alle Auslagen, welche wir gemacht, uns zurückerstattet würden. Das ist doch ganz natürlich. Aber wir haben trotzdem Geld zugesetzt, denn meine arme Mama hält keine Ordnung und vergaß, viele Sachen aufzurechnen. Serge mußte sich ins Ausland begeben. Er schreibt mir immer, daß er mich liebe und daß er mich, sobald er mündig ist, heiraten wolle. Ich gebe ihm gar keine Antwort. Die Geschichte hat sehr viel von sich reden gemacht. Mama ist von allen diesen Aufregungen furchtbar mitgenommen, und die ganze Angelegenheit wird für uns um so bedenklicher, als wir uns infolge dessen mit meiner Schwester und dem Schwager überworfen haben, welche nichts mehr von uns wissen wollen.

Unsere Hilfsmittel werden von Tag zu Tag geringer. Wir verkaufen allmählich unsere Schmucksachen, welche mir Serge geschenkt hat, und die er dann nicht mehr zurücknehmen wollte. Ich wüßte nicht, wovon wir ohne dieselben leben sollten, und dabei büßen wir noch so viel ein. Raten Sie mir, mein kleiner Freund! Wie glücklich sind Sie, daß Sie ein Mann sind, daß Sie Talent haben, und daß Sie in einem freien Lande wohnen! In Frankreich hätte mir das nicht passieren können! Glücklicherweise habe ich eine sehr schöne Stimme, welche sich prächtig entwickelt; ich kann schlimmstenfalls Gesangsstunden geben. Das ist allerdings ein hartes Brot, aber was soll man tun! Man muß doch leben. Man hat mir einen Antrag an das Theater in St. Petersburg gemacht, man bietet mir jährlich 4000 Silberrubel, zirka 20 000 Franks, aber Mama will nicht. Sie gibt ihre Heiratsgedanken noch nicht auf, sei es mit Serge, sei es mit einem anderen. Aber ich will mich nach den Erfahrungen, die ich gemacht habe, nicht mehr dazu hergeben. Raten Sie mir! Was Sie mir zu tun raten, soll geschehen. Serge ist in Wien; er schreibt mir, daß er nach Paris gehen will. Wenn er dort ankommt, wird er Sie sicherlich besuchen. Ich habe mit ihm oft von Ihnen gesprochen, so oft, daß er mir verbot, mit Ihnen zu korrespondieren. Er war eifersüchtig auf Sie, und er hatte nicht unrecht. Ich habe Sie stets geliebt und liebe Sie noch immer mehr als ihn.

Hoffentlich sind Sie in Paris und trifft Sie mein Brief dort. Ich erwarte mit Ungeduld den Briefträger.

Auf Wiedersehen, mein bester Freund, und vergessen Sie nicht Ihre einstige kleine Frau

Iza

*

»Was soll ich mir eigentlich vorzuwerfen haben? – Ich habe ja nichts dazu getan, um Serge in mich verliebt zu machen. Mama hat uns übrigens niemals auch nur einen Moment allein gelassen. Er hat mit mir vor ihr vom Heiraten gesprochen, so wie Sie selbst es getan haben; aber Sie, Sie haben nur gescherzt, während er es ernst gemeint hat. Allerdings bin ich inzwischen um zwei Jahre älter geworden, sehe sogar älter aus, und es ist ganz natürlich, daß man sich in mich verliebt, während ich tatsächlich nicht daran denke. Mama ließ diese Liebe bei Serge entstehen und entwickeln, ohne ein Wort zu sagen, und sie sprach mit mir erst dann davon, als er um meine Hand angehalten hatte. Was sollte ich denn machen?

Ich habe kein Vermögen, ich habe nicht einmal etwas, wovon ich leben kann. Wenn meine Mutter stirbt, was soll aus mir werden! Aber ich habe nicht das Recht, an mich allein zu denken, ich muß auch diejenige berücksichtigen, die mich erzogen hat und alle ihre Hoffnungen auf Glück und Reichtum in mich gesetzt hat, und für welche reich sein auch glücklich sein heißt, und welche eines ohne das andere sich nicht vorstellen kann.

Glauben Sie denn, daß das Leben, welches ich seit einigen Jahren zu führen gezwungen bin, meinem Geschmacke entspricht?! Mich immer der Oeffentlichkeit vorführen zu lassen, wie ein Wundertier angegafft zu werden, mir immer sagen zu lassen, ohne daß es eigentlich einen Zweck hat, daß ich schön bin: das ist auf die Dauer wenig unterhaltend. Meine Mutter wünscht es aber, – wie oft gingen wir auf den Ball, ohne etwas gegessen zu haben! Wie oft haben wir die notwendigsten Gegenstände versetzt, damit ich mir eine Balltoilette kaufen könne. Wie viel Schulden, wie viel Unannehmlichkeiten, wie viel Auftritte mit Gläubigern, auf welche meine Schönheit, die mir angeblich zu Millionen verhelfen sollte, gar keinen Eindruck macht! Serge sollte ein immenses Vermögen besitzen; in einer Heirat mit ihm sah ich das Mittel, unseren Sorgen ein Ende zu bereiten. Von wirklicher Liebe konnte bei mir keine Rede sein, aber er war ein braver Bursche und ich war ihm gut. Da meine Mutter mir immer sagte, welche großartige Partie das für mich sei, so fand ich es natürlich, Serge zu heiraten. Meinetwegen habe ich es sicherlich nicht getan. Wenn es sich um mich allein handelte, wollte ich lieber in aller Bescheidenheit einen Mann heiraten, den ich liebe und bei dem ich Zeit meines Lebens bleibe. Ich sehe ganz gut ein, daß die Schönheit nicht alles ist. Es gibt schönere, weit schönere Mädchen als ich es bin, welche zudem auch reich sind. Diese werden wieder von reichen Männern geheiratet und daran tun diese sehr recht. Sie brauchen mir also keinen Vorwurf zu machen, wenn ich Sie um Rat frage.

Vor Eintreffen Ihrer Antwort habe ich in einem Konzert gesungen, welches mein Gesanglehrer veranstaltet hat. Ich habe sehr großen Beifall gefunden. Er hatte versprochen, den Betrag mit mir zu teilen, hat mir aber nur 500 Franks gegeben – es ist wenigstens etwas. Wenn ich sicher wüßte, daß ich für ein jedesmaliges Auftreten 500 Franks erhalte, würde ich jeden Tag singen. Es macht mir gar keine Mühe. Es ist jammerschade, daß Sie mich nicht gehört haben, Sie würden ein aufrichtiges Urteil über meine Fähigkeiten abgeben.

Sie wollen nicht, daß ich zum Theater gehe. Es wäre, sagen Sie, zu gefährlich für mich. Was für Gefahren? Nun denn; finden Sie für mich einen Gatten, welcher eine gute, brave Frau haben will und eine Mitgift nicht in Anspruch nimmt. Das ist nämlich die Hauptsache. Sagen Sie ihm, daß ich ihn lieben will und nur für ihn singen werde. Aber er soll sich beeilen, denn es wird hier immer kälter und man kann in Polen ebensowenig von der Luft leben wie in Frankreich. Wenn Sie recht liebenswürdig sein wollen, so senden Sie mir Ihr Bild. Sie müssen sich inzwischen sehr verändert haben – ich sende Ihnen sodann das meine. Ich habe es zwar nicht für Sie machen lassen, aber ich weiß, daß ich keinen bessern Freund habe als Sie, und deswegen schenke ich es Ihnen. Gelegentlich werde ich es Ihnen senden.

Adieu, mein Herr, ich liebe Sie nicht mehr. Sie sind zu boshaft und glauben zu bald alles Schlechte.

Iza Dobronowska.«

*

»Ich warte gar nicht, mein teuerster Freund, auf Ihre Antwort und rufe Ihnen aus dem tiefsten Herzensgrunde zu: Retten Sie mich, ich beschwöre Sie, lassen Sie mich nicht länger in diesem Zustande, in welchem ich mich gegenwärtig befinde! Was ich Ihnen, falls Sie hier wären, mündlich sagen könnte, das kann ich Ihnen nicht schreiben; nein, niemals! Es ist zu schändlich, und man soll seine Mutter niemals anklagen, was immer sie auch tut. Aber, um des Himmels willen, stehen Sie mir bei, helfen Sie mir. Sie müssen, hören Sie, Sie müssen, und das sobald als möglich, die Mittel finden, daß ich nach Frankreich zurückkehren kann; aber ich will allein kommen. Es ist mir durchaus unmöglich, mit meiner Mutter zusammen zu bleiben. Wenn Sie eine Ahnung hätten, was für Szenen sich zwischen uns abgespielt haben, und aus welchem Grunde!

Verlangen Sie nicht, daß ich Ihnen denselben mitteile; bedenken Sie, was für Schmerz es Ihnen bereiten würde, wenn Sie Ihrer Mutter irgend etwas nachsagen müßten; aber Sie sind ein Mann! Bei allem, was Ihnen heilig ist, suchen und finden Sie ein Mittel, mich nach Paris kommen zu lassen. Könnte ich nicht bei Ihrer Mutter wohnen? Ich würde Gesangsunterricht geben, oder auch Erzieherin werden; ich spreche Englisch, weit besser als Französisch, worin ich nicht ganz fest bin, aber ich will es noch lernen. Ich bin ganz zufrieden, wenn ich nur meinen Lebensbedarf verdiene. Man kann hier von mir sagen, was man will, meinetwegen, daß ich zu einem Geliebten durchgegangen bin, mir ganz egal. Ich habe mein Gewissen und Ihre Achtung für mich!

Wenn ich Geld hätte, würde ich noch diese Nacht abreisen; ich bin ganz wahnsinnig. Eine meiner Freundinnen wird mir ihren Paß leihen; aber das ist auch alles, was sie für mich tun kann, denn sie ist arm wie ich. Um eine Sache bitte ich Sie inständigst; falls Sie mir unter diesen Umständen nicht beistehen wollen, sprechen Sie von diesem Briefe niemals mit meiner Mutter, aber auch nicht mit der Ihrigen, welche mich tadeln würde in der Voraussetzung, daß alle Mütter so sind wie sie. Aber leider ist dem nicht so! Ich habe auch schon daran gedacht, in ein Kloster zu gehen, aber ich fürchte, daß ich nicht den Mut haben würde, dort zu bleiben. Ich traue mir die Kraft und den Willen zu, eine ehrliche Frau zu sein, aber unter Leuten in gesellschaftlicher Freiheit. Wenn es bei Ihrer Mama nicht geht, vielleicht ist die Tochter des Herrn Ritz dazu geneigt! Sie hat schon ein Kind von drei Jahren – soll sie mich doch als Bonne nehmen! Oder noch besser, weiß Madame Lesperron, bei welcher wir uns getroffen haben (wo ist dieser glückliche Abend!), und die doch eine solche Menge Bekanntschaften hat, keine Stelle, oder keinen Mann für mich? Auf Geld darf er allerdings nicht sehen, aber ich bin ein junges, bescheidenes, arbeitsames Mädchen. Ich habe sehr oft tagelang gearbeitet, ohne jemanden etwas davon zu sagen, und das Brot, welches wir mittags aßen, habe ich während der Nacht durch meiner Hände Arbeit verdient. Und schließlich, ein anständiges Mädchen, das fühle ich in dieser Stunde, wo es nur von mir abhinge, reich zu werden, wenn ich aufhören wollte, anständig zu sein, (verstehen Sie? O, wie schändlich, mein Gott!) – also ein Mädchen, wie ich, glaube ich, wiegt doch eine Mitgift bei einem Manne auf, der etwas Herz hat. Machen Sie übrigens aus Iza, was Sie wollen. Ich habe die feste Ueberzeugung, daß ich keinen besseren Freund habe als Sie, und Sie dürfen versichert sein, daß niemand Sie so liebt wie Ihre arme, unglückliche, kleine Frau

Iza Dobronowska.«

*

»Sie sind gütig wie der Himmel selbst! Ich weine vor Freude und Dankbarkeit, während ich diesen letzten Brief schreibe. Ist es wahr, daß Sie mich vom ersten Tage an liebten? Auch ich habe Sie stets geliebt und deshalb stets an Sie gedacht. Jawohl, es gibt eine Bestimmung. Umarmen Sie Ihre Mutter für mich. Ich sende Ihnen die längste Locke meines Haares. Wenigstens haben Sie, wenn ich auf dem Wege zu Ihnen sterbe, ein Andenken an mich und wissen, daß ich sterbend nur an Sie gedacht habe. Von dem Moment an, wo Sie diesen Brief erhalten, verlassen Sie Ihr Atelier nicht und lassen Sie den Schlüssel in der Türe stecken. Sie wird sich plötzlich öffnen, und ich werde da sein! Welches Glück! Ich liebe Sie! Ich liebe Sie! Wie wohl tut es mir, daß ich es Ihnen endlich sagen darf!

Diesmal in Wirklichkeit Deine kleine Frau

Iza

*

Sie war aufrichtig, als sie dies schrieb. Jetzt, zur Stunde, wo ich so viel Anklagen gegen sie zu erheben habe, wo ich alle ihre Verirrungen aufzählen muß, um meine in milderem Lichte erscheinen zu lassen – jetzt schwöre ich noch, sie hat damals nicht gelogen, sie hat mich damals geliebt. Zweifeln Sie nicht daran, mein Freund, und versuchen Sie nicht, bei jemandem Zweifel daran zu erregen. Haben Sie Achtung vor dieser Zeit! Iza hatte nichts vorbedacht, sie unterlag gerade so wie ich dem Schicksal der Vererbung. Sie unterlag demselben doppelt, weil sie von zwei durchaus lasterhaften Menschen abstammte.

Tags darauf, nachdem ich Izas letzten Brief erhalten, kam folgendes Schreiben an mich:

»Sie nehmen mir, mein Herr, mein Kind, mein einziges Kind, für welches ich mich während so vieler Jahre aufgeopfert habe, und welches mir diese Aufopferung so schlecht lohnt! Ich wünsche, daß ihr beide mitsammen glücklich werdet, aber ich glaube nicht daran. Diejenige, welche undankbar ist gegen ihre Mutter, wird auch undankbar sein gegen ihren Gatten. Sie nimmt alle Papiere, welche zur Eheschließung notwendig sind, mit sich; ich habe mich ihr nicht widersetzt, da ich ihr etwas Besseres zu bieten nicht in der Lage bin. Haben Sie keine Angst, Sie werden von mir nichts mehr hören. Ich habe meine Pflicht nach allen meinen Kräften erfüllt. Sie werden eines Tages einsehen, daß ich recht gehabt habe, und Sie werden den Schmerz, den Sie mir zugefügt haben, bedauern.

Ich habe die Ehre, Sie zu grüßen.

Gräfin Dobronowska


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