Hans Dominik
John Workmann wird Millionär
Hans Dominik

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22. Kapitel

Der »Grover Cleveland«, 20 000 Registertonnen, Heimathafen New York, war auf der Rückreise von Valdivia in Südchile nach New York. Vor vier Stunden hatte er den Hafen von Concepcion verlassen und furchte in reinem Nordkurs den Pazifik. Sein nächstes Ziel war das 250 Seemeilen weiter nördlich liegende Valparaiso. In vierzehn Fahrtstunden konnte er es erreichen. Der Kurs des Schiffes lag verhältnismäßig dicht an der Küste. Kaum sechzig Seemeilen trennten es vom Strande. Deutlich hob sich die zackige Kette der Kordilleren über die blaue Kimme im Osten.

Die See ging ruhig. Kaum, daß hier und dort ein leichter Schaumkamm die weite Azurfläche furchte. Der Stille Ozean, der zu manchen Zeiten so wild und furchtbar werden kann, führte an diesem Tage seinen Namen mit Recht. So mochte er wohl auch vor vierhundert Jahren ausgesehen haben, als die spanischen Eroberer zum erstenmal bis zu seinem Gestade vordrangen, und ihm den Namen el Pacifico, den Namen des Friedlichen, gaben.

Der zweite Offizier des »Grover Cleveland«, Mr. Brown, stand auf der Brücke. Richtiger gesagt, er ging, die Hände auf dem Rücken gefaltet, ruhig auf der Brücke hin und her und warf nur ab und zu einen Blick über die weite See. Bei solchem Wetter war der Dienst auf der Brücke für den Wachtoffizier keine Anstrengung, sondern ein Vergnügen. Nur hin und wieder trat er zu dem Mann am Steuer und überzeugte sich, daß der angegebene Kurs richtig gehalten würde. Bei diesem Wetter war es eine reine Formsache, denn das Schiff lag sicher am Ruder und zeigte keinerlei Neigung, vom Kurse abzugieren. Die Stunden der Wache verstrichen einförmig. Unverdrossen mahlten die beiden mächtigen Schiffschrauben sich durch die See und ließen bis zum Horizont hin sichtbar einen breiten Streifen schaumigen Kielwassers hinter dem Schiff zurück.

Ein weißes Pünktchen Backbord voraus fesselte die Aufmerksamkeit von Mr. Brown. Er nahm das scharfe Glas zur Hand und erkannte ein Segel. Ein Boot hier draußen. Vielleicht ein Fischerboot, das weiter hinausgegangen war, als sonst üblich. Vielleicht auch ein Boot, das hier kreuzte, um Passagiere an den »Grover Cleveland« abzugeben. Es kam an den Küsten dieser unruhigen und von politischen Leidenschaften zerrissenen Länder des öfteren vor, daß Personen, die gestern noch das Staatsschiff lenkten, heute in schwankem Boote aufs Meer flohen, um den Nachstellungen ihrer über Nacht zur Macht gelangten Gegner zu entrinnen.

Mr. Brown entsann sich mancher derartiger Vorkommnisse aus seiner langen Seemannszeit. Ärgerlich war es zwar immer, den Dampfer deswegen halten zu lassen. Es gab einen Verlust von einer guten Viertelstunde an der Fahrzeit, der nur schwer wieder eingebracht werden konnte. Aber es machte sich für die Schifffahrtsgesellschaft stets gut bezahlt. Die Herrschaften, die hier so plötzlich außer Landes gingen, hatten ausnahmslos ihr Schäfchen vorher ins Trockene gebracht, waren imstande, teure Staatskabinen zu belegen, und sparten nicht mit dem Gelde. Schon mancher von ihnen hatte, sobald er in New York den Fuß auf den sicheren Boden der Union setzte, für die ganze Schiffsbesatzung eine Summe gestiftet, die für jeden eine doppelte Monatsheuer bedeutete.

Erinnerungen an solche erfreuliche Vorkommnisse gingen Mr. Brown durch den Kopf, während er das Segel beobachtete, das jetzt auch mit bloßem Auge deutlich zu erkennen war. Freilich, nach seinen Informationen herrschte augenblicklich in allen Republiken Südamerikas, von Columbia und Venezuela im Norden bis zum südlichsten Zipfel von Argentinien, vollkommene Ruhe. Aber man konnte niemals wissen. Die politischen Erschütterungen kamen in diesen Ländern ebenso plötzlich und unvorhergesehen wie die Erdbeben.

Jetzt erschien auch der Rumpf des Segelbootes über der Kimme. Mit seinem guten Glas sah Mr. Brown, daß nur zwei Mann in ihm waren. Ein älterer, der am Steuer saß, ein junger, der hin und wieder das Klüversegel bediente. Und jetzt war auch kein Zweifel mehr möglich, daß das Segelboot seinen Kurs direkt auf den Kurs des »Grover Cleveland« setzte. In einer Viertelstunde mußten die beiden Schiffe sich treffen. Mr. Brown hielt es für angebracht, den Kapitän zu benachrichtigen.

Als Mr. Bulwer, der Kapitän des »Grover Cleveland«, auf der Brücke erschien, lag das Segelboot beigedreht dicht vor dem Dampfer, und seine beiden Insassen gaben durch Winken mit Tüchern und andere Zeichen deutlich zu verstehen, daß sie aufgenommen zu werden wünschten. Der Maschinentelegraf klirrte, die Schrauben des »Grover Cleveland« standen still und schlugen dann langsam rückwärts, um die Fahrt des mächtigen Schiffes vollkommen abzustoppen. Mit den Rudern brachten die Insassen des Segelbootes ihr Fahrzeug unmittelbar neben die eiserne Wand des Dampfers. Ein Fallreep fiel nieder, und schnellfüßig sprang John Workmann auf das Deck des Schiffes.

Mr. Bulwer musterte den Ankömmling mit mißtrauischen Blicken. Der sah entschieden nicht wie ein frisch abgesägter Präsident oder Minister aus. Aber vielleicht war das der andere, der da unten noch im Boote saß. Während Mr. Bulwer noch überlegte, drang die Stimme John Workmanns an sein Ohr.

»Ich bitte Sie, Herr Kapitän, unser Boot an Bord hissen zu lassen, uns und unser Boot gegen entsprechende Bezahlung nach New York mitzunehmen.«

Der Junge da war Nordamerikaner. Waschechter Nordamerikaner, das ging aus seiner Sprache unzweideutig hervor. Der Kapitän runzelte die Stirn.

»Sie sind etwas weitgehend in Ihren Wünschen, Sir. Wir halten hier zwar bisweilen, um den einen oder anderen Gentleman mitzunehmen, der besondere Eile hat, außer Landes zu kommen. Uns auch noch mit Segelbooten zu bepacken, ist nicht unsere Sache.«

Die Passagiere des »Grover Cleveland« waren inzwischen durch den Aufenthalt neugierig geworden und bildeten einen immer engeren Kreis um John Workmann und Mr. Bulwer.

»Also sagen Sie Ihrem Partner, daß er sich beeilen soll, wenn er mit will. In einer Minute lasse ich die Maschinen wieder angehen.«

John Workmann antwortete nicht. Er griff nach seiner Brieftasche, holte eine Karte hervor und hielt sie dem Kapitän vor die Augen. Der las, schwieg, nahm die Karte an sich und las zum zweiten Mal.

Es war die Karte des Zeitungsriesen. Eine Karte, die John Workmann als Spezialkorrespondenten des »Herald« legitimierte und alle amerikanischen Bürger und Behörden ersuchte, ihm auf seiner Reise behilflich zu sein. Und wieder zeigte sich die Macht des Zeitungsriesen über Menschen und Dinge. Auch hier, in einer Entfernung von Tausenden von Meilen wirkte ein von ihm geschriebenes Wort wie ein absoluter Befehl. Der Kapitän gab die Karte an John Workmann zurück.

»Wenn Sie es durchaus wollen, will ich Ihr Boot an Bord hissen lassen, obwohl es mir unverständlich ist, was Sie an dem alten Kahn verloren haben. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie das Boot bei der Landung in New York verzollen müssen.«

Bei diesen Worten winkte der Kapitän zwei Matrosen und wollte die Davits eines Rettungsbootes ausschwingen lassen, um das Segelboot damit auf Deck zu heben.

»Halt, Herr Kapitän, so geht es nicht. Unser Boot hat starke Ladung. Gut zwei Tonnen Kiellast. Es würde zwischen den Flaschenzügen der Davits zerbrechen. Es muß mit Seilschlaufen unterfangen und mit der Dampfwinde auf Deck geholt werden.«

Der Kapitän blickte auf die winzige Nußschale dort unten und strich sich mit der Hand über die Stirn.

»Zwei Tonnen, Sir? Was zum Teufel haben Sie denn geladen, was so schwer wiegt. Man sieht ja kaum etwas von der Ladung.«

»Die Ergebnisse einer längeren Forschungsreise, Mr. Captain.«

Währenddessen hatten die Matrosen von der Reling her zwei schwere Seilschlaufen hinabgelassen, die James Webster unter den Rumpf des Segelbootes hinzog, so daß sie es nach der Mitte zu unterfingen.

»All right! Go on!« schrie er nach oben. Die Dampfwinden setzten sich in Bewegung, die Seile knarrten und zogen an. Langsam hob sich der Rumpf des Bootes aus den Fluten und stieg empor, während das Wasser von ihm abtropfte. Zwei Minuten später stand das Segelboot auf dem Deck des Dampfers, die Schrauben begannen wieder ihr unermüdliches Spiel, und der »Grover Cleveland« setzte seinen Weg nach Norden fort. James Webster blieb bei dem Boot. Er legte den Mast nieder und warf ihn kurzerhand über Bord. Er breitete das Segel wie eine Persenning über den Bootskörper, so daß dessen Inhalt allen neugierigen Blicken entzogen war, und dann setzte er sich ruhig daneben auf ein zusammengerolltes Tau und steckte sich eine Pfeife an. Derweil befand sich John Workmann bei Mr. Bulwer in dessen Kabine.

»Vor allen Dingen, Herr Kapitän, handelt es sich für mich darum, die äußerst wertvollen Ergebnisse unserer Forschungsreise sorgfältig und sicher zu verpacken. Ich brauche zu diesem Zweck eine größere Anzahl starker Holzkisten. Sagen wir zehn Kisten von je zwanzig Liter Inhalt. Ich denke, Ihr Zimmermann wird etwas Derartiges schaffen können . . .

Dann, Herr Kapitän, die Kabinenfrage. Ich brauche für mich und meinen Partner eine gemeinsame große Kabine, in der auch die Kisten mit unserer Sammlung Aufstellung finden können.«

Jetzt schien Mr. Bulwer der richtige Moment gekommen zu sein.

»Eine große Kabine, Sir, in der auch die Kisten Platz finden. Da müssen Sie die Staatskabine nehmen. Die allein ist geräumig genug.«

»Well, Mr. Kapitän, nehmen wir die Staatskabine.«

»All right, Mr. Workmann, kostet bis New York zweitausend Dollar.«

John Workmann zog ein Scheckbuch aus der Tasche und schrieb einen Scheck auf die Morganbank in New York aus.

»Please, Mr. Captain.«

Eine Stunde später trugen Matrosen des Schiffes achtzig schwere Wollballen in die Staatskabine. Der Schiffszimmermann aber war eifrig bei der Arbeit, zollstarke Eichenbretter zu zersägen und nach Angaben von John Workmann Kisten zu bauen. Schwere, gut verschraubte und vernagelte Kisten ohne jede Fuge und Ritze. Kiste um Kiste wurde in die Staatskabine geschafft, und in gemeinsamer Arbeit brachten James Webster und John Workmann den Inhalt der Wollballen in den einzelnen Kisten unter. Seit jenen Stunden, in denen sie das aus dem Felsen geschlagene Gold in dem dunklen Gange in die Decken verpackten, hatten sie es nicht mehr zu Gesicht bekommen. Jetzt beim Umpacken bekamen sie den goldenen Schatz im hellen Tageslichte zu sehen und staunten immer wieder über die Größe und den Reichtum dieses Goldfundes.

Kiste um Kiste wurde gefüllt, verschraubt und plombiert. Die Stunden verstrichen darüber, und schon kam die Mole von Valparaiso in Sicht. Der »Grover Cleveland« machte fest und die Gangway wurde vom Land zum Schiff hingeschoben. An der Reling standen James Webster und John Workmann. Standen, um Abschied voneinander zu nehmen. Mr. Bulwer sah es mit Staunen, daß der eine der beiden Insassen seiner Staatskabine an Land ging. Sah es und wartete vergeblich auf dessen Wiederkehr, als die Stunde der Abfahrt herankam.

Er wußte freilich auch nichts von den Verabredungen der beiden, die nach einem gut durchdachten und zielsicheren Plan arbeiteten. Für diesen Tag war es zu spät geworden. Alle Büros und Ämter waren geschlossen. Aber in der frühesten Frühe des kommenden Tages wollte James Webster Goldclaims bei der obersten Bergbehörde des Landes belegen. Er behielt den Abend und die Nacht, um alle Pläne und Eingaben in doppelter Ausführung fertigzumachen. Hatte er die eine Ausfertigung eingereicht, hatte er eine Bescheinigung darüber mit einem Zeitstempel abgestempelt erhalten, hatte er die Duplikate ebenfalls abgestempelt zurückerhalten, dann waren die Ansprüche auf das Bergrecht im Gebiete der genommenen Claims nicht mehr zu bestreiten. Dann mußte ihnen das Recht, alles im Gestein vorhandene Gold innerhalb der Claimgrenzen abzubauen, im Laufe der nächsten Wochen ganz automatisch erteilt werden. Dann konnten auch irgendwelche Machinationen anderer Finanzgruppen daran nichts mehr hindern oder ändern.

In der Nacht verließ der »Grover Cleveland« den Hafen von Valparaiso und dampfte weiter nach Norden hin. Es war die gleiche Strecke, die sie auf der Hinreise mit dem »Abraham Lincoln« befahren hatten. Die Küsten von Chile, Bolivia und Peru. Die gleichen Aufenthalte und Landungen wie damals. Nur daß John Workmann jetzt die Fahrt allein machte.

Es war am Abend des zweiten Tages nach dem Verlassen des Hafens von Valparaiso, als der Steward John Workmann eine Depesche in die Kabine brachte.

»Soeben für Sie eingegangen, Sir.«

Es war ein Funktelegramm aus Valparaiso. Ein kurzer Text, nur für John Workmann verständlich. Eine Nachricht, auf die er seit Stunden wartete. Ihr Inhalt lautete:

»John Workmann an Bord der ›Grover Cleveland‹. All right. Ab hier. Webster.«

John Workmann steckte das Telegramm zu sich und ging auf das Promenadendeck. Nach all den Anstrengungen und Aufregungen der letzten Wochen fühlte er, daß die Dinge jetzt mit Macht vorwärtsgingen. In tiefen Zügen sog er die Seeluft ein und beugte sich über die Reling. Mr. Bulwer kam vorbei und begrüßte ihn.

»Hallo, Sir, Ihr Partner hat Sie verlassen. Jetzt sitzen Sie allein in der großen Kabine.«

John Workmann richtete sich auf und warf einen Blick auf seine Uhr.

»Sie irren sich, Mr. Captain. Ich denke, in spätestens drei Stunden wird mein Partner wieder hier sein.«

Mr. Bulwer lachte laut auf.

»Haha, Sir, da müßte er ja Flügel haben und fliegen können, wenn er das schaffen wollte.«

»Vielleicht, Mr. Captain, hat er wirklich welche«, erwiderte John Workmann ruhig.

Die Stunden verstrichen. Drei Stunden. Da wurde das Knattern von Motoren und das Rauschen von Propellern hörbar. Weit hinten im Süden erklang es zuerst. Kam näher und immer näher. Und dann kreiste das große Flugzeug über dem »Grover Cleveland«; zog seine Kurven um ihn herum.

»Mr. Captain«, sagte John Workmann, »ich bedaure, Ihnen noch einmal Umstände machen zu müssen. Mein Partner ist da, wie Sie sehen. Sie müssen das Schiff noch einmal halten lassen.«

Das Flugzeug wasserte, das Schiff setzte ein Rettungsboot aus, und zehn Minuten später betrat James Webster zum zweitenmal die Planken des »Grover Cleveland«, während das Flugzeug nach Süden zurückeilte. In der Staatskabine saß er neben John Workmann und berichtete, daß die Angelegenheit in Valparaiso in günstigem Sinne geregelt sei. Auf der Kommandobrücke stand Mr. Bulwer neben Mr. Brown und meinte:

»Alle Achtung! Das muß man den Leuten des ›Herald‹ lassen, Spesen scheuen die bei ihren Unternehmungen nicht.«

Auf dem Achterdeck waren indessen Matrosen nach der Anweisung John Workmanns damit beschäftigt, das ausgeleerte Segelboot über Bord zu werfen.


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