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Am nächsten Morgen waren John Workmann und James Webster schon früh auf den Beinen. Ihr Tagesgeschäft begann mit einer Besprechung mit den beiden Bergführern Lopez und Juliano, die Don Antonio, der biedere Wirt, noch am Abend benachrichtigt und in das Gasthaus bestellt hatte. Diese beiden, hohe wetterharte Gestalten, Chilenen mit einem guten Schuß Indianerblut, waren bereit, wieder in die Dienste Websters zu treten. Sie übernahmen es auch, zwanzig gute Maultiere zu kaufen und die nötigen Treiber zu heuern. Dieser Teil des Unternehmens war also schnell geregelt, und auch der Einkauf des nötigen Proviants machte keine Schwierigkeiten.
Um so schwerer war dagegen die Beschaffung des Dynamits, welches Webster für ganz unentbehrlich erklärte. Auch der Staat Chile hat ja ein ziemlich scharfes Sprengstoffgesetz, durch das der unbefugte Besitz von Sprengstoffen und der wilde Handel damit unter strenge Strafe gestellt werden. Fast schien es, als ob die ganze Expedition an dieser Schwierigkeit scheitern sollte. Mr. Webster erklärte es für unbedingt notwendig, wenigstens 100 Kilogramm in Form geeigneter Patronen mitzunehmen. Aber der legale Weg, diese Sprengstoffmenge zu bekommen, erschien ihm vollkommen ungangbar.
»Stellen Sie sich vor, Mr. Workmann, was das zu bedeuten hat«, rief er verzweifelt aus, während er zum hundertsten Mal in seinem Zimmer auf und ab lief. »Wir müßten nach Valparaiso zurück. Zurück nach der Hauptstadt, durch die ich mich so schnell und so unauffällig wie möglich hindurchgedrückt habe, um kein unliebsames Interesse zu erregen. Dort müßte ich, unter Umständen sogar durch Vermittlung unseres Konsuls und des auswärtigen Amtes, die geologische Abteilung im Ministerium des Innern aufsuchen und genau den Zweck angeben, für den ich das Dynamit brauche. Ich wette meinen Kopf gegen einen Centavo, daß zwei Stunden später meine alten Konkurrenten genau von meinen Plänen unterrichtet sind. Ich zweifle gar nicht, daß man mir alles Dynamit der Welt bewilligen wird. Aber man wird die Sache so verzögern, daß die liebe Konkurrenz uns von Anfang an mit einer großen Expedition auf den Fersen sitzt. Der Weg ist also ganz ausgeschlossen.«
John Workmann hatte seinen Partner ruhig zu Ende sprechen lassen. Es leuchtete ihm wohl ein, was der sagte und was er an Gründen vorbrachte. Jetzt nahm er das Wort. »Well, Mr. Webster, wollen Sie mir freundlichst sagen, warum hier dies Sprengstoffgesetz besteht?«
»Es besteht, um Verbrechen und Unglücksfälle zu verhindern, Mr. Workmann. Sie wissen wohl, daß in Chile viel Bergbau getrieben wird. Da sind die ungeheuren Kupferminen in der Gegend von Aconcagua und in Coquimbo. Ferner große Silbergruben im Süden bei Copiapo und Caracoles. Außerdem haben wir mehr im Norden die Hunderte von Quadratmeilen großen Salpeterfelder. An allen diesen Orten wird mit Dynamit gearbeitet. Viele Tausende von Bergleuten arbeiten tagaus, tagein mit Dynamit, haben alle Taschen voll von Patronen.
O verdammt . . . es gibt schon genug von dem Zeug hier im Lande. Wenn man nur wüßte, wie man dazu kommen kann. Wenn man nur . . .«
»Mr. Webster, Sie schweifen ab. Ich wollte gern wissen, warum man hier im Lande das strenge Sprengstoffgesetz hat.«
»Nun, ich sagte es Ihnen bereits, Mr. Workmann. Um Verbrechen und Unglücksfälle zu verhüten. Diese Miner und Bergleute sind natürlich keine Engel. Sie gehen infolge langjähriger Gewohnheit mit dem Zeug um, daß es einem grausen kann. Ich habe selbst gesehen, wie sie in der Salpeterebene eine Dynamitpatrone . . . natürlich eine Patrone ohne Knallkapsel, anzünden, um ihren Kaffee darüber zu wärmen. Ein gottverdammter Leichtsinn . . .«
»Ja, Mr. Webster, wie ist denn das möglich. Dynamit ist doch ein äußerst gefährlicher Sprengstoff.«
»Gewiß, Mr. Workmann. Denn gehen die Patronen einmal los, dann bleibt von dem betreffenden Miner nur noch ein wenig Hackfleisch übrig.«
»Nach dem, was ich über das Dynamit gehört habe, kann ich mir das wohl vorstellen«, sagte John Workmann, »aber wie kommen die Leute darauf, das gefährliche Zeug in die Hosentaschen zu stecken?«
»Darum, Mr. Workmann, weil es in den Hosentaschen gewöhnlich recht warm, auf den Salpeterfeldern dagegen des Nachts reichlich kühl ist. Sie müssen dabei eins bedenken. Eine Dynamitpatrone, das heißt eine gewisse Menge reinen, in eine Pergamenthülse gepreßten Dynamits, ist so lange verhältnismäßig harmlos, solange sie noch nicht mit der Knallkapsel verbunden ist und solange sie nicht friert. Gefrorenes Dynamit ist dagegen eins der heimtückischsten und scheußlichsten Dinge, die es überhaupt gibt. Eine gefrorene Dynamitpatrone geht auch ohne Knallkapsel bei den unpassendsten Gelegenheiten und aus den unscheinbarsten und harmlosesten Ursachen los. Dies Frieren tritt nun aber schon bei fünf Grad Wärme ein. Bei dieser Temperatur gerät das Nitroglyzerin . . . Sie wissen ja, daß Dynamit nichts anderes als eine Mischung von Nitroglyzerin und Kieselgurerde ist . . . bei dieser Temperatur also gerät es in einen kristallinischen Zustand, und nun genügt die geringste Beanspruchung der Patrone, ein kaum merkliches Reiben der Kristalle aneinander, um die Explosion hervorzurufen. Das ist der Grund, warum die Leute die Patronen in die Hosentaschen stecken. Sie wollen eben grundsätzlich ein Gefrieren verhüten.«
»Sie sagten, Mr. Webster, daß die Leute auch Patronen anzünden, um ihren Kaffee daran zu wärmen?«
»Gewiß, Mr. Workmann. Das nichtgefrorene Dynamit ist ein plastischer Körper, der äußerlich gewöhnlichem Glaserkitt gleicht. Will man es zum Explodieren bringen, so muß man es mit einer Zündkapsel verbinden, die etwas Knallquecksilber enthält und ihrerseits wieder mit einer Zündschnur in Verbindung steht. Die Schnur wird angezündet, die Glut läuft an der Schnur bis zur Zündkapsel, diese explodiert, und ihre verhältnismäßig geringfügige Explosion bringt nun die ganze Patrone zum Detonieren.
Nehmen Sie dagegen eine Patrone ohne Sprengkapsel, schneiden die Pergamenthülle oben auf, kneten das Dynamit zu einer Spitze aus und zünden es mit einem Streichholz an, so brennt es im allgemeinen mit einer weißlichen, lebhaft sprühenden Flamme allmählich ab, so ähnlich etwa wie ein Zelluloidstift. Sie sehen also, daß das Dynamit sich sehr verschieden verhalten kann, daß seine Verbrennung und seine Explosion zwei grundverschiedene Vorgänge sind.«
»Wenn das der Fall ist, Mr. Webster, dann ist doch das Verfahren, seinen Kaffee an einer brennenden Patrone zu wärmen, vielleicht ganz zweckmäßig.«
»Oder auch nicht, Mr. Workmann. Manchmal, ja fast immer geht es gut, aber manchmal geht es auch schief. Es sind schon Fälle vorgekommen, daß eine solche abbrennende Patrone plötzlich dabei detonierte. Aber diese Bergleute sind eben an die Gefahr gewöhnt, und Sie wissen ja, daß es keine größere Gefahr gibt, als die Gewöhnung an die Gefahr. Denn es führt naturgemäß immer zum Leichtsinn und zu allerlei Unglück . . . Aber by Jove, Mr. Workmann, so kommen wir nicht von der Stelle. Ich halte Ihnen hier einen Vortrag über das Dynamit und sehe dabei noch keine Möglichkeit, es mir zu verschaffen.«
Mißmutig warf Webster sich in einen Schaukelstuhl, kreuzte die Beine übereinander und begann nachzudenken. Allerlei Pläne tauchten auf und wurden wieder verworfen. Sogar der Gedanke, das Dynamit hier an Ort und Stelle aus seinen Einzelstoffen selbst herzustellen, wurde einen Augenblick erwogen. John Workmann unterbrach ihn.
»Ich meine, Mr. Webster, wenn die Gesetze dieses Landes uns den Besitz und die Hantierung mit Dynamit verbieten, dann müssen wir eben darauf verzichten.«
»So? . . . Sehr gut gesagt, Mr. Workmann. Und was werden Sie tun, wenn Sie in zehn Tagen dort oben in den Bergen in 4000 Meter Höhe vor unserer Schlucht stehen und sie durch große Felsblöcke versperrt finden? Gedenken Sie die mit Daumen und Zeigefinger beiseite zu rücken? . . .«
»Das natürlich nicht, Mr. Webster. Dann müssen wir . . . dann müssen wir . . .«
»Dann müssen wir sprengen, daß die Fetzen fliegen! Und dazu brauchen wir Dynamit. By Jove! Wir brauchen trotz aller Gesetze Dynamit . . . man könnte vielleicht den Alkalden schmieren . . . man könnte . . ., ja, so wird es am Ende gehen.«
»Ich möchte Sie dringend bitten, Mr. Webster, nicht gegen die Gesetze des Landes zu verstoßen. Wir wollen uns das, was wir unbedingt brauchen, auf gesetzlichem Wege verschaffen.«
»Selbstverständlich, Mr. Workmann. Überlassen Sie mir die Sorge für den Sprengstoff. Ich werde das zu regeln wissen. Ich empfehle Ihnen, mit Juliano zur Bahn zu gehen und die Frachtstücke mit den Geräten in Empfang zu nehmen, während ich die nötigen Schritte wegen des Sprengstoffes unternehme.«
John Workmann hatte im Laufe der letzten Wochen ein stets wachsendes Vertrauen zu James Webster gewonnen. Er wußte, daß dieser Mann im Grunde seines Herzens ehrlich und aufrichtig war und über große Erfahrungen verfügte. So war er überzeugt, daß Webster einen Weg finden würde, um sich das unbedingt Nötige auf legale Weise zu verschaffen. Dessen Rat folgend, ging er mit dem einen Führer zur Bahn und fand dort reichliche Beschäftigung für den ganzen Nachmittag. Die Kisten, welche vollständige alpine Ausrüstungen und zahlreiches Werkzeug enthielten, waren aus Valparaiso angekommen. Jetzt handelte es sich darum, sie sofort zu öffnen und ihren Inhalt in kleinere Lasten umzupacken, die von den Maultieren bequem getragen werden konnten. Gleichzeitig war John Workmann dabei gezwungen, mit seinen eben erst erworbenen spanischen Kenntnissen zu wirtschaften, da weder der Bergführer noch die Maultiertreiber ein Wort englisch verstanden. Im Gegenteil, er machte dabei die Entdeckung, daß die Treiber, zum größten Teil Vollblutindianer, noch über ein besonderes Spanisch verfügten, das durch indianische Brocken vielfach bis zur Unkenntlichkeit entstellt war.
Während John Workmann sich hier um die Zusammenstellung der Expedition bekümmerte, saß James Webster mit dem anderen Führer Lopez und mit einer dritten Persönlichkeit in einer Kneipe zusammen, die schon fast Spelunke genannt zu werden verdiente. Dieser dritte aber, der hier als Don Carlo angeredet wurde, war der Angestellte einer in der Nähe gelegenen Kupfermine. Lopez, Sennor Fernando Lopez, Don Fernando hatte diese beiden zusammengebracht, hatte Webster auf dessen dringenden Wunsch Don Carlo zugeführt. Jetzt saßen sie hier und waren fast handelseins.
»Gut, Sennor«, sagte Don Carlo. »Auf die Empfehlung von Don Fernando will ich's riskieren. Sie bekommen 70 Patronen zu 3 Kilo Gewicht, sind 210 Kilo Dynamit. Dazu hundert Sprengkapseln und einen Kilometer Zündschnur. Ich berechne Ihnen das Kilo Dynamit mit 20 Pesos. Macht 4200 Pesos. Die Kapseln und die Zündschnur bekommen Sie als Zugabe.«
»Unmöglich, Don Carlo!«
James Webster war aufgesprungen und gestikulierte mit beiden Armen.
»Ganz unmöglich, Don Carlo! Ich bin ein armer Mann und habe mir das Geld für meine Expedition mühsam zusammenleihen müssen. Ganz unmöglich. 5 Pesos sind das Höchste, was ich für das Kilo ausgehen kann.«
Jetzt war die Reihe an Don Carlo, aufzuspringen und die Jungfrau und alle Heiligen zu beschwören, daß er das Dynamit nicht billiger ablassen könne.
James Webster kannte seine Leute zur Genüge. Er wußte genau, daß dies Dynamit der Bergwerksgesellschaft einfach gestohlen wurde, daß jeder Centavo, den er dafür gab, glatt in die Taschen von Don Carlo fließen würde, abgesehen vielleicht von einer Provision, die Sennor Fernando Lopez für sich in Anspruch nehmen würde. Für sich in Anspruch nehmen würde, obwohl er bereits von James Webster sehr anständig für das Zustandekommen dieses dunklen Geschäftes bezahlt wurde.
Webster war der Meinung, daß die Hälfte der geforderten Summe über und über genug sei, und deshalb bot er nach gutem altem chilenischem Brauch den vierten Teil davon. Mit vielem Geschrei, unter dem Anrufen sehr vieler Heiliger, unter Schwüren und Verwünschungen ging der Handel weiter. Bis nach einer Stunde die Hände der beiden Beteiligten ineinander schlugen, und das Geschäft zum Satze von 10 Pesos für das Kilo Dynamit abgeschlossen war. Immer noch ein schandbar hoher Preis nach der Meinung Websters. Aber er sah keine andere Möglichkeit, den Sprengstoff zu erhalten, den er zur erfolgreichen Durchführung der Expedition für unentbehrlich hielt.
Don Carlo bekam eine Anzahlung von 100 Pesos. Webster selbst wollte mit der Sache weiter nichts zu tun haben. In der kommenden Nacht sollten Don Carlo und Don Fernando mit vier beladenen Maultieren zu ihm kommen. Auf dem Hof des Gasthauses, wo die Maultiere der Karawane untergebracht waren. Da wollte er die Ladung prüfen und den Rest bezahlen. Mit dieser Verabredung trennten sich die drei Partner. Mit dem Erfolge, daß die Compania dedicada a la explotation de los minos de Curico in dieser Nacht um 200 Kilo Dynamit ärmer wurde, daß noch ein Scheck über 2000 Pesos in die etwas schmutzigen Hände von Don Carlo wanderte und daß James Webster am nächsten Morgen zum Aufbruch in die Berge blasen konnte.
John Workmann wollte wissen, wie die Dynamitaffäre verlaufen sei. James Webster trug Bedenken, ihm die volle Wahrheit zu sagen. Mit einigen unbestimmten Andeutungen zog er sich aus der Affäre. Er hätte zwar nicht bekommen, was er haben wollte. Aber doch wenigstens etwas, so daß man sich im schlimmsten Falle helfen könne. John Workmann zog es vor, nicht weiter mit Fragen in seinen Partner zu dringen. Mochte der sehen, wie er sich mit den Bestimmungen und Gesetzen des Landes abfand.