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Eine Stimme drang an John Workmanns Ohr. Die Stimme Websters.
»Hallo, Mr. Workmann . . . get up, Mr. Workmann! Wir haben gut geschlafen. Es ist schon elf Uhr vormittags. Draußen steht die Sonne hoch am Zenith.«
Es dauerte einige Minuten, bis sich John Workmann wieder in die Wirklichkeit zurückfand. War er nicht eben noch mit Charley Beckers zusammengewesen? . . .
Webster schob ihm die Schüssel hin. »Erst frühstücken, Mr. Workmann, und dann kräftig an die Arbeit. Noch einmal eine Schicht von acht Stunden, und wir haben diese Ader herausgehauen.«
Es geschah, wie Webster es wollte. Es gab noch einmal kräftige Arbeit, und John Workmann spürte seine Arme, die es nicht mehr gewohnt waren, so mit dem schweren Hammer zu hantieren. Oft wollten sie ihm am Leibe niedersinken, aber das Beispiel des unermüdlichen Partners gab ihm immer wieder neue Kraft. Er begriff wohl, daß diese Arbeit nur von ihm selbst verrichtet werden konnte. Kein einziger ihrer Begleiter durfte einen Schimmer dieses Goldes erblicken, durfte auch nur ahnen, welchen Reichtum sie hier aus dem Felsen brachen und zu Tale brachten. Nur so durften sie hoffen, wieder lebendig in bewohnte Gegenden zurückzukehren.
Die Stunden verstrichen, die Hämmer dröhnten auf die Meißel, und endlich war das letzte Ende der Ader aus dem Gestein gelöst, waren die letzten gelben Brocken auf die Decke geschichtet.
Tief aufatmend warf Webster den Hammer beiseite, wischte sich den Schweiß aus der Stirn, tat einen langen Zug aus der Matekanne und blickte auf die flimmernde Last, die dort auf der Decke ruhte.
»Ich denke, Mr. Workmann, wir haben rund 2000 Kilo reines Gold aus dem Felsen geschlagen. Fast anderthalb Millionen Dollar. Für jeden von uns fast dreiviertel Millionen, wenn . . . wenn wir mit dem Zeug erst glücklich in Valparaiso . . . oder noch weiter sind.«
John Workmann besah sich seine Hände. Sie zeigten Blasen und Schwielen von der ungewohnten Arbeit. Sein Blick fiel auf den schimmernden Haufen.
»So, Mr. Webster, das hätten wir. Ich denke, das Schwerste ist getan.«
James Webster schüttelte den Kopf.
»Das Schwerste kommt erst noch, Mr. Workmann. 2000 Kilogramm von hier bis zu unseren beiden Maultieren hinschleppen. Ich habe ihnen Futter und Wasser für fünf Tage dagelassen. Jetzt sind wir zwei Tage von ihnen weg. Wir werden uns kräftig dranhalten müssen. Aber ein paar Stunden haben wir wohl noch für etwas anderes Zeit.«
Mit diesen Worten nahm Webster die eine der beiden Lampen und winkte John Workmann, ihm mit der anderen zu folgen. Langsam schritt Webster in dem Gang weiter, der ständig bergan stieg, öfter als einmal blieb er stehen und machte John Workmann auf goldschimmernde Stellen in der Quarzwand aufmerksam. Solch gediegenes Gold, wie sie es in den vergangenen Stunden an der einen Stelle gebrochen hatten, war es freilich nicht. Wohl aber zeigte sich über weite, viele Quadratmeter umfassende Flächen hin das Gestein wie mit Gold durchsprenkelt. Immer wieder beleuchtete Webster solche Stellen mit der Lampe.
»Eine besonders dicke Rosine haben wir uns ja aus dem Kuchen herausgeholt, Mr. Workmann. Aber es bleibt noch über und über genug, um darauf Claims zu nehmen und eine Gesellschaft zu gründen. Die Leute in Südafrika würden staunen, wenn sie diesen Goldquarz zu Gesicht bekämen.«
Während James Webster so sprach, unterließ er es nicht, an einzelnen besonders reichen Stellen mit seinem kleinen Geologenhammer Quarzstücke von etwa Haselnußgröße loszuschlagen und in seine unergründlichen Taschen zu versenken. Eine Stunde verstrich und noch eine, während der Weg ständig bergauf ging. Jetzt schien es John Workmann, als ob ihnen von fern her ein Tageslichtschimmer entgegenkäme. Fragend schaute er Webster an. Der nickte.
Noch einmal ein Weg von etwa 200 Metern, während das Licht immer heller wurde. Jetzt eine kurze, scharfe Biegung des Ganges nach rechts hin.
»Halt, Mr. Workmann! Halt!« Mit festem Griff faßte Webster John Workmann, der weiter vortreten wollte. »Vorsicht, Mr. Workmann, oder alles Gold der Welt kann Ihnen nichts mehr helfen. Es geht hier steil in die Tiefe. Noch einmal, größte Vorsicht, bitte!«
Behutsam schritt Webster weiter, während John Workmann ihm folgte. Aus dem Gange traten sie auf ein winziges Felsenplateau. Unmittelbar vor ihren Füßen ging es vollkommen senkrecht wenigstens 500 Meter in die Tiefe. Dort unten rauschte ein Gebirgsfluß wild über Felsbrocken dahin. Vor ihren Augen aber breitete sich ein wunderbares Panorama aus. Bis in die blaue Ferne waren die Berge nach Westen hin zu verfolgen. James Webster begann zu erklären.
»Wenn wir ein gutes Fernrohr hätten, müßten wir von hier aus das Meer sehen können. Von den Bergen da drüben sind wir gekommen, Mr. Workmann. Sehen Sie dort diese beiden Kuppen, zwischen denen ein Tal liegt. Dort haben wir unsere Leute gelassen. Mit einem guten Fernglas würden wir wahrscheinlich sogar unsere Leute sehen können . . . well, Mr. Workmann, ich habe Sie bis hierher geführt, um Ihnen eine ungefähre Vorstellung von der Größe und Ausdehnung des goldhaltigen Gebietes zu geben, auf das wir Claims nehmen müssen. Eine Länge von zwei Wegstunden oder zehn Kilometern. Nach meiner Meinung ist der Quarz überall dort, wo er mit dem glühenden Basalt in Berührung kam, besonders goldhaltig. Es wird sich sicher lohnen, dafür eine große Gesellschaft ins Leben zu rufen und den Quarz abzubauen. Vernünftiger und sinnvoller wird es bei diesem reichen Gestein sicherlich sein als da drüben in Südafrika.
Aber jetzt wollen wir eine Mahlzeit halten.«
Bei diesen Worten holte Webster wieder Konservenbüchsen und die unvermeidliche Matekanne aus dem Rucksack, und hier im hellen Sonnenschein nahmen die beiden Partner ein frugales Mahl zu sich. Dann wurden die Lampen entzündet, und es ging zurück in das Dunkel des Berges. Nach zweistündigem Marsch waren sie wieder bei ihrem Schatz und nun begann unter der Anleitung Websters ein anderer Teil der Arbeit. John Workmann hatte sich schon während ihres Aufenthaltes bei der Goldader über die Zusammenstellung des Gepäcks gewundert. Webster hatte wollene Decken mitgeschleppt, als ob er eine ganze Kompanie Soldaten damit zudecken wolle. Und außerdem eine Unzahl von Schnüren und Leinen. Jetzt begann John Workmann den Zweck dieser Maßnahme zu begreifen. Decke um Decke breitete Webster auf dem Boden des Ganges aus, zerschnitt sie und legte Goldbrocken auf die einzelnen Stücke, hob die Last an, prüfte ihr Gewicht, legte zu oder nahm wieder fort, bis das Ganze ihm zu stimmen schien, rollte den Wollstoff dann zusammen und verschnürte ihn sorgfältig. Es waren verhältnismäßig kleine Päckchen, die auf diese Weise zustande kamen. Das einzelne war kaum größer als eine mäßige Handtasche, aber jedes dieser Päckchen wog ziemlich genau fünfzig Pfund.
Die Stunden verstrichen bei dieser Arbeit. Noch einmal eine Mahlzeit und ein mehrstündiger erquickender Schlaf. Dann begann der Abtransport des Goldes. Es waren achtzig Ballen zu je fünfzig Pfund. Jeder der beiden Partner nahm auf einmal einen davon als Traglast auf den Rücken. So mußten sie vierzigmal den beschwerlichen Weg machen. Einen Weg, der hin und zurück anderthalb Stunden in Anspruch nahm. Eine reine Marschleistung von sechzig Stunden.
Nach der Anweisung Websters gingen sie ganz systematisch vor. Erst wurde der ganze Schatz aus dem Berggang hinaus bis zum Kamin geschleppt. Dann ließen sie ihn am Seil hinab und folgten selbst. Das war eine ununterbrochene Arbeit von fast zwanzig Stunden. Selbst der jugendliche, kräftige Körper John Workmanns war dem Zusammenbrechen nahe, und immer wieder bewunderte er die Unermüdlichkeit und Rüstigkeit seines Partners. Als aber der ganze Schatz, zwei Tonnen gediegenen Goldes, glücklich auf dem Boden des Kamines lag, da warf sich Webster, wie er ging und stand, auf den nackten Felsen hin und fiel sofort in einen tiefen Schlaf. John Workmann folgte seinem Beispiel, obwohl ihnen jetzt die Decken fehlten. Sie hatten den letzten Fetzen Wolltuch zerschnitten, um ihren Schatz zu bergen, hatten alles Werkzeug im Gange zurückgelassen, waren nur noch mit zwei Konservenbüchsen den Kamin herabgekommen.
James Webster erhob sich als erster nach zweistündigem Schlaf, riß die beiden letzten Dosen auf und teilte sie redlich mit John Workmann.
»So, Mr. Workmann, jetzt erst mal zu unseren beiden Maultieren. Der fünfte Tag ist herangekommen.«
Wieder ging es über das Geröll des Felssturzes. Am Seil ließen sie sich hinab und kamen zu den verlassenen Tieren und ihrem Zelt. Webster warf den Maultieren den letzten Rest des Futters vor, füllte ihnen Wasser in eine Felshöhlung und sorgte, daß ihnen nichts fehlte. Dann folgte nach einer gründlichen Ruhe der letzte Teil des Transportes, der schwerere Teil der Arbeit; denn die Lasten mußten über das schwierige Gelände des Felssturzes geschleppt werden. Noch zweimal ging die Sonne auf und sank wieder hinter den Bergen im Westen. Dann lagen 80 Ballen sorgsam geschichtet unter dem Schutze des Zeltes in der Schlucht.
»So, das wäre geschehen. Jetzt weg mit dem anderen Zeug. Wir brauchen es nicht mehr.«
Mit diesen Worten trug Webster den kleinen Dynamitvorrat hinter einen Felsvorsprung und legte eine Zündschnur an. Kam dann zu John Workmann zurück und zog die Uhr. Folgte dem Gange des Zeigers . . . eine Minute . . . zwei Minuten . . . drei Minuten. Ein bösartiges, belferndes Krachen schoß hinter jener Felsenecke hervor und grollte und rollte durch das enge Tal.
»So, jetzt in den Sattel und zurück zu unseren Leuten!«
James Webster hatte den Tieren alles Gepäck abgenommen, nur zwei Wolldecken und ein wenig Proviant behalten.
»Aber, Mr. Webster! Unser Gold! Wollen wir denn kein Gold mit in das Hauptlager nehmen?«
James Webster lachte.
»Wie denken Sie sich denn den Fortgang der Dinge, Mr. Workmann? Wenn wir jetzt etwa zwei Maultierlasten Gold dorthin mitnehmen, gibt es doch nur zwei Möglichkeiten. Wir lassen sie dort, und die Leute kommen hinter unser Geheimnis. Das ist gleichbedeutend mit dem Verlust dieses Goldes, vielleicht sogar mit dem Verlust des Lebens. Oder aber wir schleppen das Gold wieder hierher zurück. Sie werden einsehen, daß wir es dann schon besser gleich hier lassen, wo es ist.«
Diesen Argumenten konnte sich John Workmann nicht verschließen. Immer wieder traf der erfahrene Prospektor das Richtige und überwand Schwierigkeiten, die John Workmann noch gar nicht richtig erkannt hatte. Immer größer wurde das Vertrauen John Workmanns zu der Tüchtigkeit und Klugheit dieses Gefährten, den ihm ein Zufall erst vor wenigen Wochen in den Weg geführt hatte. Immer fester auch wurde sein Entschluß, die Ausbeutung dieses gewaltigen Fundes nur Hand in Hand mit James Webster bis zum Ende durchzuführen.
John Workmann hatte es früher schon öfter bemerkt, wie die großen Industriekapitäne, wie Ford und Armour, einzelne Leute in ihren Betrieben hatten, denen sie unbedingtes Vertrauen schenkten und die sie gegen alle Angriffe schützten. Jetzt begann er die Gründe dieses Verhaltens zu begreifen. Der einzelne, auch wenn er eine übermenschliche Tüchtigkeit besaß, konnte nicht alles machen. Er brauchte Mitarbeiter, die seinem Werke mit Leib und Seele ergeben waren. Die richtige Auswahl solcher Mitarbeiter trug sicherlich viel zu den Erfolgen jener großen Organisatoren und wirtschaftlichen Führer bei, erklärte die Riesenleistungen eines Bennett, Ford und anderer. Während sie auf den ledigen Maultieren munter zu Tale trabten, faßte John Workmann den Entschluß, die Person James Websters dauernd an sich zu fesseln. Bisher war er ja, John Workmann, nur Mitarbeiter in großen Betrieben gewesen. Nur ein einziges Mal . . . damals in New York, als er den Klub der Zeitungsjungen gründete, war er der allein Bestimmende gewesen, allerdings auf die Mitarbeit anderer angewiesen. Er fühlte, daß er jetzt in eine Epoche seines Lebens trat, wo er es ganz allein sein würde.
Einem Drange folgend, ritt er dicht an Webster heran und drückte ihm impulsiv die Rechte. Verwundert blickte der auf.
»Hallo, Mr. Workmann! Was haben Sie?«
»Ich wollte Ihnen sagen, Mr. Webster, daß wir immer zusammenbleiben wollen, daß wir dieses Geschäft bis zum letzten Ende zusammen machen wollen.«
»Gewiß, Mr. Workmann. Bis wir unseren Schatz in Sicherheit haben. Wir sind noch nicht soweit. Es wird noch manche Schwierigkeiten geben.«
»Nein, Mr. Webster, länger noch wollen wir zusammenbleiben. Wir wollen die Ausbeutung unseres Fundes, die Erwerbung und Ausnutzung der Claims gemeinschaftlich durchführen.«
James Webster blickte John Workmann eine kurze Weile prüfend an. Dann erwiderte er dessen Händedruck kräftig und herzlich.
»Wenn Sie es wollen, Mr. Workmann, wenn Sie es ehrlich und redlich wollen, so bleibe ich auch weiter . . . für immer mit Ihnen zusammen.«