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VII

Drei Monate verbrachte ich im Bett; und diese Krankheit, die für mich wie ein langer Fiebertraum war, wandelte meinen Charakter vollständig um.

Ich wurde empfindlich, nervös: ich fand kein Gefallen mehr daran umherzuschlendern, ich schwatzte nicht mehr mit den Weibern, zankte mich nicht mehr mit meiner Stiefmutter.

Alles war mir zuwider, aber ich kränkte mich für mich allein, ohne mich aussprechen zu können, gleich als wäre ich stumm geworden. Und um dem Schelten der Stiefmutter zu entgehen, flüchtete ich mich zwischen die Felsen in der Nähe und verbarg mich dort wie eine Eidechse.

Aber eines Tages hieß mein Vater die Stiefmutter einen Quersack mit Brot, Käse und Gemüsen füllen, und wir beide, er im Sattel, ich auf der Kruppe, ritten nach Nuoro.

Es war im Oktober und das ganze Tal noch gelb von Stoppelfeldern und welkem Laub, hin und wieder jedoch schon vom zarten Grün des jungen Herbstgrases gefärbt. Und der mit stillen grauen Wölkchen bedeckte lichte Himmel sah aus wie ein Spiegel, in dem sich die Felsen der Landschaft widerspiegelten; am Horizont waren die Farben lebhafter, wie von einem fernen Licht beleuchtet, und der Monte Pizzinnu erhob sich vor dem goldigen Hintergrund des Meeres wie ein von rosigen Schleiern umwalltes ungeheures blaues Felsriff.

Mein Vater erzählte mir von den Geschehnissen zurzeit der Feindschaft im Dorfe; und meine Phantasie flatterte umher wie die Rebhühner zwischen den Oleastern; jeder Stein schien mir eine Erinnerung zu bergen, in jedem Quellenrauschen vernahm ich eine Legende.

So kamen wir nach Nuoro und suchten dort Giuseppe Maria Conzu auf. Und ich blieb fünf Jahre bei dieser Familie in Pension. Das heißt, Pension war nur so eine Redensart; ich bezahlte bloß die Miete für ein Zimmerchen im Erdgeschoß und bereitete mir meine Mahlzeiten selbst, aus den Vorräten, die mein Vater mir alle zwei oder drei Wochen schickte.

Jahre einfachen, doch frohen Daseins! Ich stand beim Morgengrauen auf, sang wie die Vögel, und alles kam mir groß vor, alles schön; ich meinte jetzt in einer geräuschvollen Stadt zu leben, und wenn ich zur Messe ging, erschien mir der Bischof wie Christus selber, und die Lehrer an meiner Schule hielt ich für große, berühmte Männer. Machte ich mit Kameraden einen Ausflug und wir drangen etwa bis Oliena oder Mamojada vor, so war ich überzeugt, die schönsten Gegenden der Welt gesehen und bisher unbekannte Erdstriche erforscht zu haben. Tief ergriffen lasen wir die Gedichte Lorenzo Stecchettis, und die ersten Novellen von Gabriele d'Annunzio offenbarten uns eine zauberhaft schöne und verderbte Welt, ein wonniges, heißes Land voll giftiger Blumen und verbotener Früchte.

Die Ferien verlebte ich immer hier im Dorf, und das Verhältnis zu meiner Stiefmutter gestaltete sich beinahe freundschaftlich. Ich war nicht mehr der frühere ungezogene Junge, sondern ein Studentlein, aus dem etwas werden konnte. Häufig sagte sie mir: »Warum bekümmerst du dich nicht um Columba, unsere Nachbarin? Sie hat Vermögen, und Zio Remundu ist reich. Sie sagen, als er noch Bandit war, hätte er einen Schatz gefunden. Sieh dich jetzt nach ihr um, solange sie noch ein kleines Mädchen ist, sonst wird sie einen andern heiraten. Wenn du dann Notar oder Gemeindeschreiber wirst, könnt ihr eine reiche und angesehene Familie bilden.«

Ich las, wie gesagt, zu jener Zeit Terra Vergine und träumte von großen, klaren Strömen mit schilfumkränzten Inseln und Hängeweiden längs der Ufer, erschaute ein phantastisches südliches Landschaftsbild in rosigem Duft und von schönen, üppigen Frauen belebt; und diese Frauen erblickte ich ebenfalls von wehenden Schleiern umhüllt, mit gelöstem Haar und Augen so blau wie der Himmel, so grün wie das Meer.

Die Welt um mich her war anders. In ihr war alles scharf umrissen, klar, hart; eine Welt aus Stein und Gestrüpp mit knorrigem Gezweig, das der ewige Kampf mit dem Winde menschlichen Gliedern gleich gekrümmt und verhärtet, doch nicht entkräftet hatte. Zogen Nebel über mir auf, so trug der Wind sie alsbald von dannen. Und die Frauen in ihrer Tracht aus schwarz-gelbem harten Tuch und glattem Sammet repräsentierten gleichsam den Tag und die Nacht, ohne linde Dämmerungsstimmungen, die Liebe und den Haß, ohne eine Spur von Komplikation.

Über dieser Kammer befinden sich zwei kleine Räume, die schon damals im schlechtesten Zustand waren: das Wasser tropfte vom Dache herein, und der Wind drang durch die Spalten der verwitterten Läden. In dem einen schlief ich: das Fensterchen geht auf den Hof, doch es gewährt auch den Blick auf weitere Häuser und Höfe. Unter diesen war der Zio Remundus der nächstgelegene: Ochsen und Pferde, Hunde und Schweine bevölkerten den Portikus, der den wie ein Käfig engen Hof umgab; und oft sah ich die bewegliche, dunkle Banna zwischen den Pferden und Fohlen und den drohend den Schwanz schüttelnden jungen Rindern hin und wieder gehen, während Columba sich immer scheu, fast furchtsam an der Mauer hielt, wenn sie zum Brunnen ging, Wasser zu holen. Mitunter zankten sich die beiden Schwestern; dann trat Banna so wild vor Columba hin, daß diese erschrocken zurückwich.

Columba flößte mir Mitleid ein; sie kam mir wie ein schwaches, schutzbedürftiges Wesen vor, und allmählich erschien mir die Idee meiner Stiefmutter als eine gute und großmütige. Obwohl um zwei Jahre jünger als Columba, war ich schon groß und kräftig, während sie noch wie ein Kind aussah.

Ein Hauch von wilder Poesie, ein buntfarbiges Gespinst von Sagen umgab das alte Haus, in dem sie wohnte. Bisweilen sah der charaktervolle Kopf des Alten aus einem der wie Schießscharten schmalen Fensterchen, und eine ganze epische Vergangenheit lebte damit vor mir auf in der tiefen Stille der vom Duft der Mastixbäume erfüllten Mittagsstunde oder in der endlosen Dämmerung, wenn ich, einer allzu armseligen Wirklichkeit müde, mich meinen jugendlichen Schwärmereien überließ.

Dann erschien mir im Hause unserer Nachbarn alles poetisch: der primitive Brunnen, der an die Bauart der Nuraghen erinnerte; die geflochtenen Rohrkörbe, die den Pferden als Krippe dienten; der alte Großvater, der diese liebkoste und zu ihnen redete wie zu Freunden; die vom Eselchen gedrehte altrömische Mühle; die Magd, die unter einem Wetterdach sitzend das Mehl beutelte; die hölzerne Galerie und ganz besonders eine Art Veranda im Hof, über dem ebenerdigen Portikus, das ist eine mit einem Schutzdach aus Ziegeln versehene offene Galerie, auf die sich die Türen zu den Zimmern des ersten Stockwerks öffneten: hier saß Columba häufig auf einem Schemel neben einem Basilikumstrauch, der in einem Behälter aus Kork stand.

Sie pflegte dort zu nähen oder zu sticken, und ein schwarzes Lamm lag zu ihren Füßen. Am lichten Augusthimmel über dem patriarchalischen Hof zogen Falken vorüber: ihr Schrei nach Liebe oder Beute ließ Columba aufblicken, und jenes zarte und warme Gesicht, jene großen Augen mit den dunkeln Lidern, das ganze einfache und uralte Bild rief die Verse des Hohenliedes auf meine Lippen.

Häufig wurde ich dann durch das Erscheinen Bannas in die Wirklichkeit zurückgerufen. Sie betrat den Portikus und hängte einen Sack oder einen Sattel an die langen in die Mauer getriebenen Pflöcke, schalt die Magd, die in unverschämtem Ton erwiderte, schritt über den Hof, grüßte und lächelte, wenn sie mich sah, und verweilte länger als sonst am Brunnen.

Ihr häufiger Gruß, ihr zweideutiges Lächeln, das mir bald spöttisch, bald zärtlich vorkam, bereiteten mir Unbehagen. Oft schickte sie mir Obst, Fleisch, Süßigkeiten herüber. Die barfüßige alte Magd mit dem kurzen, ägyptischen Gesicht, den steifen Röcken und der langen Haube kam alsdann mit leisen Schritten, einen Teller unter der Schürze. Und langsam, beinahe geheimnisvoll enthüllte sie das Geschenk.

»Für den lieben Jorgeddu! Das schickt Banna, meine Herrin.«

Wohlwollen und Spott zugleich lag in ihrer Art – und meine Stiefmutter nahm den Teller in Empfang, leerte ihn und dankte mit Würde.

»Und wann heiratet deine Herrin?«

»Bald, gute Seele! Doch es hat nicht gerade Eile.«

»Eh, wollen sie warten, bis der Bräutigam, die Zähne verliert?«

»Und warum nicht? Die Reichen sind immer sieben Jahre alt, auch wenn sie siebzig zählen.«

»Höre du, mein Trost,« sagte die Stiefmutter, wenn die Alte gegangen war, den leeren Teller unter der Schürze. »Wäre Banna nicht versprochen, so würde ich dir raten, die ins Auge zu fassen: mit ihr würdest du dich vielleicht besser verstehen als mit dem stillen Wasser Columba!«

Und sie reichte mir eine Birne, die die Magd gebracht, – aber ich wies sie mit Widerwillen zurück.

Bannas Heirat fand zu Ostern statt. Ich war für die Feiertage ins Dorf gekommen und wurde zum Hochzeitsfest geladen. Drei Tage lang blieben die Tische gedeckt, und während Zio Remundu zwischen zwei Humpen Wein bei Tisch den Vorsitz führte, ging der Bräutigam im Hause umher und half unter dem Portikus, die für den Festschmaus bestimmten Schafe und Ziegen schlachten.

Im Hofe wurde gesungen und getanzt: die Frauen und Männer schlangen die Finger ineinander und hüpften mit ernstem, beinahe tragischem Ausdruck um die Sänger herum, die, die Hände an die Wangen gelegt, einander so dicht gegenübersaßen, als teilten sie sich Geheimnisse mit, und der ganze Vorgang hatte etwas vom Ritus eines Opferfestes an sich.

Auch ich tanzte: Columba reichte mir ihre schmale Hand, die ich allmählich in der meinen erwarmen fühlte, einem erstarrten Vögelchen gleich, dem Leben und Wärme wiederkehrt.

Am Abend des dritten Tages tanzte man noch immer. Die Tischtücher waren mit Wein, mit Honig, mit Blut befleckt, und das ganze Haus roch nach verbranntem Fett und Likör und war voll von all den Geschenken, die man der Braut dargebracht: Zuckerwerk und Korn, Blumensträuße und Fleisch und ungesponnene Wolle. Eine unbeschreibliche Unordnung herrschte in allen Zimmern, und die Leute gingen darin umher wie auf einem öffentlichen Platz, während die Sänger im Hofe ihre schallenden, wilden Weisen weitersangen, die Tänzer beim Tanzen aufschrien wie brünstige Tiere. Es war eine wahre Orgie, ein bacchisches Fest, beleuchtet von einem im Hofe brennenden Feuer aus Mastixzweigen und vom Monde, der sich blaßrot am Frühlingshimmel neigte.

Und der Alte saß noch immer zu Häupten des Tisches zwischen zwei Humpen Wein und erzählte seine Geschichten; und der Bräutigam war blaß, aber er lachte und trank und entgegnete auf die Scherze und Anspielungen der Gäste, er sei noch imstande, in die Tanca zu gehen und die jungen Pferde zu bändigen; und die Augen der Braut sahen noch grüner aus als sonst. Alle Frauen waren blaß und müde; nur Columba, ungewöhnlich erregt durch die Gesänge, die Tänze, die Reden der Gäste, hatte leuchtende Augen und ein rosiges Gesicht. Nie hatte ich sie so gesehen. Und wir tanzten immer wieder zusammen, beim Schein des Mondes und des Feuers. Die Nacht war frisch, doch wir atmeten mit Wonne die Luft, die den Hauch der feuchten Felsen und des blühenden Buschwerks herübertrug.

Auf die Veranda schien der Mond, und dort erschien mit einemmal die Gestalt Bannas, der der Bräutigam alsbald folgte. Das Paar zu begrüßen, schrien die Tänzer so laut auf, daß Columba erschrocken zusammenfuhr und meine Hand umklammerte. Ich erbebte, sah sie an, und ihr Blick antwortete dem meinen.

Und noch einmal tanzten wir zusammen, und ich fühlte ihre Nähe. Der laute, einförmige Chorgesang, der den Tanz regelte, erinnerte mich an das Windesrauschen im Walde. Es war mir, als stände ich auf einem mondbeschienenen Gipfel inmitten phantastischer Felsen und versteinerter Baumstämme, und wir alle, die wir hier den sardischen Rundtanz tanzten, wären primitive Geschöpfe, zu einer heiligen Handlung versammelt, nach deren Vollziehung ein jeder seine Gefährtin entführen und mit ihr umhertollen dürfe, seinem Instinkt und seinem Verlangen gemäß.

Von dieser Vorstellung beherrscht, folgte ich Columba, als sie auf einen Augenblick ins Haus ging. Sie stieg die Treppe hinauf, durchschritt den Festraum und trat auf eine Galerie, die zu einem andern Zimmer führte. Ich folgte ihr überall. Der Mond war untergegangen, und nur ein weißlicher Schimmer machte die Linien der Berge kenntlich: Und der aus dem Hofe heraufdringende Gesang ward schwächer und schwächer, gleichsam als bezeichnete das Verschwinden des Mondes das Ende des Festes. Da nahm ich das Mädchen in meine Arme und küßte sie mit allem Feuer und aller Treuherzigkeit des Jünglings: sie stellte für mich in diesem Augenblick das Geheimnis der Nacht, den Frühling, die Poesie des Lebens dar; sie war die Liebe, und ihre Lippen waren für mich gleich dem Rand eines Bechers, angefüllt mit der Substanz des Lebens.


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