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VI

Bald nach der Friedensfeier heiratete mein Vater die Witwe. Er war ein gütiger, schweigsamer Mann, unfähig, irgend jemand etwas zuleide zu tun; doch wehe, wenn man ihn ohne Grund kränkte oder ihm das Seine nahm. Er forderte auf der Stelle Gerechtigkeit, und erlangte er sie nicht, so verschaffte er sie sich.

Ich erinnere mich: ich war neun Jahre alt, wir lebten in diesem Häuschen, mein Vater, meine Stiefmutter und ich. Mein Vater war fast immer abwesend und wollte doch nicht, daß ich einmal seine Schäferei übernehmen sollte; er wünschte, ich sollte studieren, Advokat oder Geistlicher werden. War ich nicht in der Schule, so schlenderte ich durch die Gassen oder zankte mich mit meiner Stiefmutter, die vielleicht gegen mich noch den alten Familienhaß hegte. Eines Tages kam ich vom Wasserholen, als ich meinen Vater und einen Bauer aus Nuoro die Treppe zum Rathausplatz hinaufgehen sah. Ich wußte, daß mein Vater dem Bauer die Pacht für eine Tanca schuldete; von Neugierde erfaßt, eilte ich die Gasse hinunter, stellte schnell die Wassereimer ab und lief davon. Meine Stiefmutter, die am Fensterchen der oberen Kammer stand, rief mich mit lautem Geschrei zurück, mir wünschend, ich solle Hungers sterben, oder irgendein anderes Unheil solle über mich kommen. Doch ich lief wie ein Hase und war in einem Augenblick auf dem Platze, auf dem ich übrigens stets einen guten Teil des Tages verbrachte, wie bezaubert von dem Rundblick über die grünen und grauen Täler, die Felsenhänge, die ferne Ebene und die Berge am Horizont.

Der Wind wehte ununterbrochen, wie auf einem Alpengipfel, die Bäume rauschten, und große Silberwolken zogen am tiefblauen Himmel hin.

Ich sah meinen Vater und den Bauer auf einer Bank sitzen und schlich mich leise an die Brüstung hinter ihnen.

Sie sprachen sehr laut und schienen zu streiten. »Seid vernünftig!« sagte der Bauer. »Ich brauche Geld und keine Schwatzerei; heute gehe ich nicht von hier ohne Geld, weil morgen ein Wechsel fällig ist, und wenn der, der mir Geld schuldet, mich nicht bezahlt, so muß ich mein Pferd verkaufen. Mein Pferd, das mir voriges Jahr bei den Rennen am Erlöserfest einen Preis von zwölf Skudi und zwei Ellen Brokat eingebracht hat. Seht ihn dort oben: meine Zunge soll vertrocknen, wenn ich lüge.«

Er nahm seine Mütze ab und bekreuzte sich. Auch ich schaute nach dem Orthobene hinüber, auf dessen Gipfel die Gestalt des Erlösers so klein wie eine Fliege aussah.

»Warum also soll ich dies Jahr die zwölf Skudi verlieren?« schrie der Bauer. »Mein Pferd allein kann das Rennen gewinnen. Daß die Würmer dir die Ohren abfressen!«

Und mein Vater schrie: »Ich werde Euch bezahlen! Noch nie hat jemand sagen hören, Remundu Nieddu sei ein schlechter Zahler! Ich habe Kühe, ich habe Ziegen und ich lasse meinen Sohn Advokat werden. Um eine solche Lumperei also braucht Ihr Euch nicht aufzuregen.«

Aber der Bauer blieb hartnäckig und erzählte die Geschichte von seinem Pferd so lange, bis ich ganz davon benommen war. Nachdem er sich endlich mit meinem Vater verständigt und sie zusammen in die Schenke gegangen waren, blieb ich träumend auf dem Platze zurück. Ich meinte schon in der breiten Straße zu Nuoro das Pferderennen am Erlöserfest zu sehen: Schwarze und weiße Pferde, Braune und Schecken liefen dort in sonnengoldenem Staub; sie liefen so schnell, daß man kaum ihre Farbe erkennen konnte, und die Reiter, lauter kleine Burschen wie ich, barfüßig und barhäuptig, bückten sich auf den Hals der Tiere herab und ritten ohne Sattel fest und sicher drauf los. Von den Hängen, aus den Gärten sahen die Leute zu, und ein einziger Schrei stieg von der ganzen erwartungsvollen Menge auf. Auch ich fühlte mein Herz klopfen, weil mir war, als sei auch ich unter den Reitern und käme als erster ans Ziel, und der Schrei der Menge, die zwölf Skudi: alles war für mich!

Ich fuhr zusammen, als die heisere Glocke von Santu Jorgi Mittag läutete. Auch die mit gekreuzten Beinen auf den Bänken sitzenden Alten stützten nun den Stock auf den Boden, um aufzustehen und heimzugehen: einer nach dem andern stiegen sie langsam und. würdevoll die Treppe hinunter, während der Wind ihre langen Patriarchenbärte zauste. Ich folgte ihnen.

Eine Frau, die vom Brunnen kam, sagte mir: »O, deine Stiefmutter ist so giftig wie eine Natter! Mache, daß du nach Hause kommst, sie wartet auf dich.«

»Was liegt mir daran? Ich werde am Erlöserfest mitreiten!«

»Heilige Mutter Gottes!« kreischte die Frau. »Die Sonne hat dir das Gehirn geschmolzen!«

Darum machte ich mir keine Sorge, sondern eilte, trotz der Warnung jener Frau, singend nach Hause. Der Duft am Spieß gebratenen Ziegenfleisches, der aus vielen Hütten herausdrang, hatte meinen Appetit gereizt; kaum war ich eingetreten, so sah ich auch zu Hause ein Stück Fleisch am Spieß stecken, und da meine Stiefmutter gerade hinaufgegangen war Brot holen, bückte ich mich über den Braten und fing an, mit meinen Zähnen ein paar Stückchen abzureißen …

Ich war ein frecher Straßenjunge, das leugne ich nicht – aber niemand kümmerte sich um mich, außer um mich zu mißhandeln. Ich sehe mich noch, wie ich als Kind in dieser Höhle – die allerdings noch nicht so verwahrlost war wie jetzt – immer auf der Suche nach irgend etwas war, den Deckel der Truhe mit dem Kopf in die Höhe hielt, auf die Schemel stieg, um zu sehen was auf der Cannitta Ein in der Küche mit vier Stricken an der Decke befestigtes hölzernes Gitter, auf dem der Käse geräuchert wird. lag; und ich sehe in der Tür die düstere Gestalt meiner Stiefmutter stehen, gelb und schwarz im Gesicht wie in der Kleidung, einen Korb Brot auf dem Kopfe und die Hand drohend erhoben … Aber ich hatte keine Angst vor ihr, sondern lachte ihr ins Gesicht.

»Zur Essenszeit stellst du dich ein, wie die Hasen im Weinberg, du Faulpelz, du Taugenichts …«

Die ewige Geschichte aller Kinder, die sich selbst überlassen sind! Ich war betrübt, empfand Beschämung und Trotz und dachte immer darüber nach, wie ich mir etwas verdienen könnte, um mich der Beschimpfung durch meine Feindin zu entziehen.

Sobald sie jedoch den Tritt der eisenbeschlagenen Schuhe meines Vaters vernahm, die auf dem Kies des Hofes wie Hufeisen klangen, verwandelte sich ihr Gesicht und nahm eine sanfte, unterwürfige Miene an; sie richtete das Fleischbrett her, stellte den Brotkorb neben den Herd und sagte zu mir: »Komm, liebes Herz, du wirst hungrig sein!«

Und mein Vater trat ein, sprach von der Pacht für die Tanca, von dem Bauer, der Geld haben wollte, von den Ziegen, den Kühen, dem Viehknecht, kurz von allem, nur nicht von mir.

Ich verbrachte meine Tage mit Umherschlendern, Wasserholen und Schwaben mit den Weibern am Brunnen. Jetzt fragte ich sie alle, wer wohl ein schönes Rennpferd hätte, und alle erwiderten, ob ich eins kaufen wolle, und lachten mich aus. Endlich nannte ein schon kindischer Alter einen kranken Bauer, der sein Pferd verkaufen wollte. Ich ging in sein Haus, aber der Mann lag gelb und unbeweglich auf der Matte, und die Frauen beweinten ihn schon für tot. Ich ließ mich dennoch nicht entmutigen, fragte nach dem Pferde, und eine Frau erwiderte mir leise, es sei auf der Weide im Gemeindewald: wenn jemand es kaufen wolle, möge er es dort ansehen.

Nun verließ mich der Gedanke nicht mehr, das Pferd zu suchen, es zu den Rennen zu führen und nachher auf die Weide zurückzubringen. Die Festtage rückten heran, alle sprachen davon, und einige Nachbarinnen beschlossen, zu Fuß durch das Tal nach Nuoro zu gehen; dieses Vorhaben beschäftigte sie so sehr, daß sie nicht einmal mehr auf Zio Remundus Erzählungen horchten. Auf der hohen Steinstufe der Tür zur Rechten seines Hauses sitzend, den Stock zwischen den Beinen und die Hände auf den Stock gestützt, pflegte er an schönen Abenden den Frauen und Kindern seine früheren Erlebnisse zu erzählen, und sie hörten ihm zu, als wenn es Märchen und Legenden wären.

Auch dieses charakteristische Bild ist in meiner Erinnerung nie verblaßt. Auf der Schwelle hinter ihm kauerte alsdann seine Tochter Liedda, die, ebenfalls Witwe, noch jung, doch durch ein Herzleiden vor der Zeit gealtert war; und den Hintergrund ihrer dunkeln Gestalt mit dem wachsbleichen Gesicht bildete das Innere der Küche, von dem auch im Sommer unterhaltenen Herdfeuer rot beleuchtet, und die Kupferkessel glänzten an den Wänden wie Abendsonnenschein. Im Rahmen eines Fensters des oberen Stockwerks erschien dann wohl das braune, aufmerksame Gesicht Columbas, der Tochter Lieddas, während ihre Schwester, die große und frühreife Banna, schon mit zwölf Jahren einem Hirten von dreißig verlobt, nahe der Tür an der Mauer lehnend den Erzählungen des Großvaters zuhörte, die Hände auf den Rücken gelegt und ein zweideutiges Lächeln auf den Lippen.

Obwohl sie Zwillinge waren, glichen Columba und Banna einander nicht; die erstere, zart und kränklich, hatte ein Gesicht so oval und braun wie eine Olive, grünlich-schwarze Augen wie der Alte, nur sanft und von schweren, bläulichen Lidern verschleiert: Augen, größer als der kleine volle Mund; Banna dagegen war ein kräftiges Geschöpf, so dunkel von Gesicht wie eine Mulattin, mit dicken Lippen, einer edel geschnittenen Nase mit stets beweglichen Flügeln und grünlichen, verschmitzten Katzenaugen. Es war, als hätte sie alle Lebenskraft in sich gesogen, die der Schwester mangelte.

An Festabenden schloß sich Bannas Verlobter der Gruppe an, ein großer, starker junger Mann mit dunklem, ein wenig grobem Gesicht: ein sehr einfacher Mensch, wie meine Stiefmutter behauptete: allzu einfach. Er stand alsdann bewundernd vor dem Alten und bekümmerte sich nicht im geringsten um seine Braut.

Und der Alte erzählte. Es war, als fände er Gefallen daran, seine Geschichten zu übertreiben, um die Frauen zu erschrecken: »Einmal wurde ich verwundet, ja, eine Kugel durchschlug mir die Schulter, so soll der Zorn Gottes in die Seele meines Feindes fahren! Na, gut! das Blut floß wie das Wasser aus dem Eimer. Ich warf mich hinter einem Felsen auf die Erde und blieb drei Tage da liegen; hörte ich einmal jemand vorüberkommen, so rief ich nicht, denn wenn es nun mein Feind war? Endlich fand mich ein Freund; ich hatte schon die Besinnung verloren, und nur mit Mühe retteten sie mich.«

»Erzählt weiter, Zio Remundu!« drängten dann die Frauen. »Erzählt, wie Eure Frau Euch besuchte …«

»Ja, damals tat ich den Mund auf! Also, meine Frau wollte mich besuchen. Ich hielt mich damals im Walde von S'Ena e Melas auf, wo wir früher unser Vieh gehalten hatten. Nun, und lag nicht der Feind im Hinterhalt und schoß auf die Frau? Ach, du sollst gevierteilt werden, du verfluchter Teufel! Du wolltest mein Blut trinken und auch noch meine Frau umbringen? Sie war aschbleich, aber sie zitterte nicht. Ich fing an zu schreien, und mein Geschrei widerhallte wie das Gebrüll des Löwen in der Wüste; der Feind entfloh, weil er glaubte, ich hätte wenigstens zwanzig andere bei mir: so hatte ich geschrien.«

»Erzählt, erzählt doch!« wiederholten die Frauen. Und der Alte erzählte; hoch über der steinigen Gasse zog der Mond am Himmel hin, und die Gestalten und die Landschaft erschienen ganz schwarz-weiß, wie auf einem saubern Kupferstich, oder schwarz und rot, wenn kein Mond schien und aus den Häusern Feuerschein herausdrang.

Dann pflegte auch Dionisi Oro, der Bettler, auf dem Stein vor seiner Hütte zu sitzen, und es war, als vernähme er das Schwatzen der Frauen und die Erzählungen Zio Remundus, obwohl er beinahe taub war.

Und wieder erzählte der Alte: »Einmal ließ Junassiu Arras, der Faulpelz, der noch immer draußen bleibt, weil ihm das besser gefällt als arbeiten; also der ließ mir sagen, ich sollte binnen acht Tagen beichten. Gut, das sollte heißen am neunten Tage würde er mich umbringen. Also was tue ich, meine Täubchen? Ich lasse Priester Arras, dem Vetter Junassius sagen, er möchte kommen und mir die Beichte abnehmen, weil sein Vetter, der Schuft, mich's geheißen hätte. Priester Arras, Gott hab' ihn selig, jetzt, da er tot ist, war ein Mann, der das Leben liebte. Er ließ mir sagen, wenn ich beichten wollte, sollte ich zu ihm kommen, sonst könnte ich meine Sünden einem Eichenstumpf beichten. Gut, also was tue ich? Ich lasse ihm sagen, ich würde zu ihm kommen, aber Nachts und als Frau verkleidet, und es dürfte mich niemand sehen außer ihm. Er war damit einverstanden, und als die verabredete Nacht gekommen war, schickten ich und meine Freunde eine wirkliche Frau zu ihm, eine die ihr alle gekannt habt, aber die ich jetzt nicht nennen will. Auch sie ist tot, und Gott hab' sie selig, sie war ein lustiges Frauenzimmer. Kaum war sie drinnen, so geht einer von uns und klopft an die Tür des Priesters: keine Antwort! Dann gehen unser mehrere, klopfen und rufen, ein Sterbender wolle beichten. Die Frau drinnen tut ganz erschrocken und springt aus dem Fenster – und am andern Tage wußte das ganze Dorf, daß, Priester Arras jene Frau bei Nacht eingelassen hatte …«

»Und Junassiu Arras? Was tat er Euch?«

»Er? Der Feigling! Wenn er nur meine Schuhe riecht, so flieht er wie der Hase vor dem Hund.«

An den Abenden, die dem Fest in Nuoro vorausgingen, bildete der Ausflug dorthin das Hauptgespräch der Frauen. Auch ich verspürte ein fieberhaftes Verlangen dabei zu sein, und an einem Abend, als ich die Hefe verschüttet hatte, die meine Stiefmutter zum Brotbacken gebrauchen wollte, lief ich ohne weiteres davon und zum Dorf hinaus.

Ich werde das nie vergessen! Es war eine Vollmondnacht: ein jedes Steinchen warf seinen Schatten, und die fernen Berge sahen aus wie am Horizont schwebende blaue Schleier. Als ich auf der Landstraße war, oben, am Anfang der Hochebene, wandte ich mich um und betrachtete das Dorf, das im Mondschein dalag, als wäre es auf den felsigen Hintergrund gemalt. Ich meinte zu träumen. Die ganze Luft roch nach Wacholder; zu beiden Seiten des bläulichen Kegels des Monte Pizzinnu sah ich zwei Stückchen Meer, die mir wie ein geheimnisvolles Augenpaar vorkommen, und ich fühlte mich frei wie ein Hase, der der Schlinge entschlüpft ist. Und da glaubte ich an die Toten, an die höllischen Geister, die die Schäfte hüten, an die Banditen, die die Wälder durchstreifen, an die weißen Frauen, die auf den Felsen ihre weiße Wolle spinnen und, wenn sie gestört werden und die Spindel ihnen aus der Hand fällt, dem Wanderer, der die Ursache war, den Tod bringen. Doch um all diesen Gespenstern zu entgehen, und weil ein Pferd, das ich bei Nacht sehen würde, leicht eines der geheimnisvollen grünen Rosse sein konnte, die den, der sie zu besteigen wagt, an den Abgrund tragen, beschloß ich, die Nacht im Walde zu verbringen. Hinter einer Mauer legte ich mich nieder, schlief ein und träumte, meine Stiefmutter verfolge mich zu Pferde und drohe mir … Beim Morgengrauen machte ich mich wieder auf, und um mich nicht zu verirren, hielt ich mich immer an der Landstraße, die sich durch Eichen und Korkeichengehölz über die felsige Hochebene hinzieht, und blieb nur von Zeit zu Zeit stehen, um mich umzusehen. Rebhühner mit von den ersten Strahlen der Sonne vergoldeten Flügeln flogen von Baum zu Baum; zwischen den Bäumen tauchten in der Ferne blaue und rosige Berge auf, und die von Oliena veränderten sich fortwährend an Farbe und Aussehen, erschienen aber immer phantastisch und hell, als wären sie aus Marmor.

Dann setzte ich meinen Weg wieder fort, immer in der Hoffnung, dem Pferde auf der Weide zu begegnen. Endlich glaubte ich eins zu sehen, im Schatten, unterhalb eines kleinen Hügels, auf dessen Kuppe ein Nuraghe erschien. Ich lief darauf zu, erkannte aber, daß ich mich getäuscht: es war nur ein dunkler Felsblock, der inmitten der hellen Felsen gerade wie ein ruhendes Pferd aussah.

Ich war nahe daran, den Mut zu verlieren, als ich einem alten Hirten aus Nuoro begegnete, der auf La Serra zu ritt.

»Zio,« sagte ich zu ihm, »wollt Ihr mich beim Fest das schöne Pferd reiten lassen? Den Preis teilen wir!«

Der Alte, ein dicker, gutmütig aussehender Mann mit frischem Gesicht, wunderte sich nicht weiter, sondern sah mich wohlwollend an und nickte mir zu. »Wessen Sohn bist du?« rief er.

»Meines Vaters!«

»Schön, höre! Komm am Dienstag in mein Haus, ich heiße Giuseppe Maria Conzu. Ich will dir das Pferd geben, aber ich hoffe, du wirst mir nicht damit durchgehen!«

Müde, doch glücklich gelangte ich nach Nuoro und begegnete dort einer Frau aus unserm Dorfe, die mir ein Stück Pfefferkuchen schenkte; damit hielt ich bis zum folgenden Tage aus. Ich schlief unter freiem Himmel, in Gesellschaft der Obsthändler aus der Baronia, die ihre Karren vor dem Zollhäuschen aufgefahren hatten, und am ersten Festtag schwärmte ich lange unter der bunten Menge umher. Die Musik spielte einen lustigen Marsch, und alle Leute bewegten sich wie im Takt danach. Auch ich ging mit, aber ich verspürte ein starkes Sausen in den Ohren, und meine Beine knickten. Ich suchte den Hirten auf, aber man sagte mir, er würde erst den folgenden Tag zurückkehren.

Auch die zweite Nacht schlief ich bei den Karren der Baroniesen und aß die Melonenschalen, die sie fortwarfen. Dann ging ich wieder zu dem Hirten, und er hielt sein Wort.

»Tu' deine Mütze ab und zieh' dir die Schuhe aus,« sagte er, während er dem Pferde den Schwanz flocht und mit einem gelben Bande zusammenband. »Und sorge, daß du den ersten Preis bekommst, aber reite mir das Tier nicht zuschanden. Heute hab' ich's fasten lassen.«

»So hab' ich's auch gemacht!« sagte ich gähnend.

»Um so besser! So bist du um so leichter. Nach dem Rennen werde ich dir schon zu essen geben.«

Er führte mich zu dem Platz, wo die Festordner die Pferde einschrieben, die an dem Rennen teilnehmen sollten; und als ich auf dem bloßen Rücken des unruhigen Tieres saß, bog ich mich vorwärts, rückwärts und zur Seite, um meine Beweglichkeit zu zeigen.

Der Hirt ging noch ein Stück mit mir, dann ritt ich allein weiter, bis zu der Brücke zwischen dem Tal und dem Berge, von wo der Aufbruch erfolgen sollte. Die andern Buben, ebenfalls barfüßig und barhäuptig, höhnten einander, und jeder rühmte das eigene Pferd über die Maßen; und weiterhin, auf den von der Sonne bestrahlten Hängen, drängte sich eine Menge dunkler Gestalten, zwischen denen hin und wieder die roten Mieder der Frauen gleich Blutflecken hervortraten.

Der Hunger und die Sonne verursachten mir Schwindel; mit Besorgnis betrachtete ich die Pferde, die schöner waren als meines, doch ich hoffte zum wenigsten den zweiten, den dritten Preis zu gewinnen. Das war ja notwendig! Ich mußte wenigstens fünf Lire nach Hause bringen.

Endlich stellte ein Mann uns in einer Reihe auf und klatschte in die Hände. Wie Pfeile schossen die Pferde davon, von Staubwolken eingehüllt; und ich, der von Anfang an unter den Letzten gewesen, sah mich bald ganz allein, auf die feuchte Mähne des keuchenden Pferdes gebückt, allein, der Letzte, für den Spott der Zuschauer bestimmt!

Ich war sehr niedergeschlagen und fing an zu schreien, um das Pferd anzutreiben; doch die andern Pferde waren immer voraus, und ich hatte den Eindruck, als ob eines dem andern nachsetzte und davonsprengte, toll vor Schreck und Wut.

Aber das tollste war das meine, und auf seiner heißen Kruppe lang ausgestreckt, ließ ich mich von ihm mit fortreißen. Bei der Biegung der Straße, oberhalb dem Brunnen, stolperte das Pferd vor mir und verlangsamte seinen Lauf: in einem Augenblick holte ich es ein und kam ihm vor, und damit kehrte mir der Mut wieder. Laut schreiend richtete ich mich auf, und das Pferd selbst, wie stolz auf den Erfolg, wieherte und verdoppelte seine Schnelligkeit. Wieder überholte ich eines und noch eines … Ich meinte zu träumen! Bevor die Tränke erreicht war, wo die Menge stand und schrie, holte ich auch die andern ein, überholte sie. Mein Herz klopfte heftig; ich sah alles rot, und in meinen Ohren klang es wie Bienensummen.

Vor Freude schwindelte mir. Ich dachte an nichts mehr, weder an den Preis noch an meine Stiefmutter; nur hörte ich plötzlich eine Stimme, die mich zum Zittern brachte: Bravo, Oronou, Bravo!

Doch beim Klang der Stimme seines Herrn fuhr das Pferd zusammen und schüttelte sich so heftig, als ob es sich von seiner Last befreien wollte; und ich stürzte in den Staub wie ein aus der Höhe gefallener Stein, und der Staub erschien mir rot, und die Hufe des Pferdes, die über mich hingingen, kamen mir vor wie Hämmer, die auf mich losschlügen … Und dann wurde ich ohnmächtig, mehr noch als vor Schmerz durch das entsetzliche Schreien der Menge.


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