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Schlussbetrachtung

Nachdem wir alles gründlich besprochen und festgestellt haben, daß die Not unseres Volkes wesentlich auf der überlebten Anschauung beruht, eine ungeregelte, starke Vermehrung sei einem Volke immer nützlich, nachdem ich – wie ich glaube – schlagend bewiesen habe, daß wir dabei in eine Sackgasse geraten sind und schleunigst umkehren müssen, möchte ich noch einiges über die Gründe sagen, die mich veranlaßten, diese Schrift zu verfassen.

Kollwitz: Brot!

Es war gewiß nicht Eigensucht oder Ehrgeiz! Der Stoff, der behandelt wurde, ist ein so heikler, meine Gedankengänge sind den Mächtigen und Einflußreichen, darunter auch vielen Angesehenen in meinem eigenen Beruf, so wenig zusagend, daß ich starke Feindschaft und Ungemach aller Art wohl eher als Lob und Anerkennung ernten werde. Liebe zu meinem Volk war meine einzige Triebfeder, zu dem deutschen Volk, an dessen Zukunft ich glaube, dessen Männer mir als Kriegsgenossen, dessen Frauen mir in meinem Beruf ans Herz gewachsen sind, dies um so mehr, je ärmer und elender sie waren. Wenn ich beabsichtigte, die Menschen ohne Herz, die Eigensüchtigen, die Gemütsarmen für meine Gedanken zu gewinnen, so wäre ich ein Tor. Darauf muß ich von vornherein verzichten. Dagegen wollte ich die Gedankenfaulen und Lauen, die oberflächlich und die nicht folgerichtig Denkenden aufklären und aufrütteln. Meinen Mitstreitern sollte mit meiner Schrift eine starke und scharfe Waffe geschmiedet werden. Ich glaubte, hierzu berufen zu sein! Reiche ärztliche und naturwissenschaftliche Erfahrung versuchte ich zu ergänzen und zog die Lehren der Geschichte, der Volkswirtschaft und der Rechtskunde so weit heran, wie es jemand als ein Laie auf diesen Gebieten vermag.

Eine schwere Krankheit hat unseren ganzen Volkskörper erfaßt, der Glaube, der Familiensinn und das Geschlechtsleben sind aufs höchste gefährdet! Unsere Genesung kann nur von der Frau kommen (Graßl), diese muß zuerst wieder gesund und glücklich werden. Folgte man meinen Vorschlägen, so würden sich die deutschen Frauen bald seelisch und körperlich erholen, damit würde Frieden und Glück wieder in die Familien einziehen, unser ganzes Volk würde innerlich ruhiger werden. Gelänge es dann noch, bald die Wohnungsnot zu beheben – einen guten Weg glaube ich gewiesen zu haben –, so würde unser Volk bald gesund werden. Die Sittlichkeitsbegriffe würden sich von selbst wieder festigen, die Ausgaben für Kranke und Schwache verringern, der Volkswohlstand sich vermehren.

Ich bin der festen Meinung, daß der Geburtenrückgang – die »Gebärmüdigkeit«, so möchte ich es nennen – des deutschen Volkes vorwiegend seelisch gewertet werden muß. Sie bedeutet noch keinen Verfall, sondern zeigt nur den unerschütterlichen Willen der Masse, die mit einer gewollten Beschränkung der Kinderzahl auf die Erschwerung aller Arbeits- und Lebensbedingungen antwortet. Träte – das ist das Wichtigste, was noch zu wünschen übrig bliebe – eine Besserung der wirtschaftlichen Gesamtlage unseres Volkes ein, würde unser im innersten Kern so tief sittlich empfindendes deutsches Volk sich bald wieder ganz von selbst umstellen, und diese Wandlung würde sich durch Vermehrung der Geburtenzahlen erweisen.

Diese Schrift ist nahezu ganz ohne die Benutzung von Ergebnissen anderer Schriftsteller auf dem allerdings festen Grund eigener Erfahrungen und Gedanken entstanden. Ich möchte aber nicht unerwähnt lassen, daß mich das Werk »Deutschlands Wiedergeburt« des warmherzigen und scharfsinnigen Dr. Graßl angeregt, auch mehrfach beeinflußt hat, obwohl er gerade in der Hauptfrage, die ich behandelte, auf einem anderen Standpunkt steht als ich. So möge denn diese Schrift hinausgehen und um Liebe und Verständnis für unser Volk werben.

Wenn diese Schrift ins Französische und Englische oder Esperanto gut übertragen werden würde – vielleicht findet sich ein Gesinnungsgenosse für diese Arbeit –, würde man im Ausland bald erkennen, wie schwer das deutsche Volk zu leiden hat, wie tief sein Friedensbedürfnis ist, wie viel es vom Völkerbund, von der Entstehung eines Europäischen Staatenbundes erwartet! Wenn ich auch diese großen Menschheitsgedanken durch meine Schrift fördern würde, sollte mir das im Kerker vertrauerte Lebensjahr nicht mehr leid tun, ich wäre dann des gewiß, daß ich eine Sendung zu erfüllen hatte, deren Voraussetzung Einsamkeit und tiefstes Leid waren.

 


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