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Durch den § 218 des Strafgesetzbuches wird auch heute noch das keimende Leben unter den unbedingten Schutz des Staates gestellt. Die weitverbreitete Annahme, daß ein Arzt berechtigt sei, einer zugleich bestehenden Krankheit wegen eine Schwangerschaft zu unterbrechen, ist durchaus irrig. Er darf nur eingreifen, wenn es sich um nahe Angehörige handelt und ein Notstand vorliegt. Auch die Schwangeren selbst und Laien, die Eingriffe machen, sind immer strafbar. So hat der Deutsche Reichstag, dessen Rechtsausschuß lange darüber beraten hat, beschlossen. In diesem Rechtsausschuß war übrigens nahezu die Hälfte (12:14) der Mitglieder für völlige Freigabe der Schwangerschaftsunterbrechung bis zum dritten Monat durch die Aerzte, und meine feste Meinung ist, wenn man in dieser Frage einen Volksentscheid herbeiführen würde, so würde dieser mit überwältigender Stimmenmehrheit sich für eine gänzliche Abschaffung des Verbots der Schwangerschaftsunterbrechung aussprechen. Der jetzige Zustand ist nämlich für alle Beteiligten schlechthin unerträglich. Ich schreibe diese Zeilen im Gefängnis, in dem ich mich seit 11 Monaten befinde. Ich wurde zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, zugleich mit mir zwei unbescholtene Kollegen, weil wir uns – nach Ansicht des Gerichts – zu unrecht veranlaßt gesehen hatten, bei einer Reihe von Patientinnen Schwangerschaften zu unterbrechen, deren Fortbestehen unserer Ansicht nach Siechtum oder Tod der Betreffenden zur Folge gehabt hätte. Irgendwelche genauen Richtlinien, an die sich der praktische Arzt halten könnte, gibt es nicht. Man erkennt wohl heute, in der Wissenschaft, eine ganz erheblich größere Anzahl von Gründen an als früher; aber es ist doch noch alles im Fluß, und wenn erst einmal Anklage erhoben ist, kann man den Ausgang eines Verfahrens nie voraussehen. Der betroffene Arzt ist auf das Wohlwollen der Richter, noch mehr auf die Einstellung der Sachverständigen, angewiesen, die ihn jederzeit verurteilen können, weil das Gesetz ihnen die Macht dazu gibt. Der angeklagte praktische Arzt ist ganz besonders auf das Verständnis der Sachverständigen angewiesen. Diese werden fast durchweg aus Amtsärzten oder Leitern großer, meist staatlicher Institute bestehen, und ihre Einstellung ist daher in erster Linie vom Interesse des Staates diktiert. Der praktische Arzt hingegen muß, weil auf seinen Schultern die ganze Wucht, die ganzen Nöte des Volkes lasten, wenn er mit offenem Auge und Herzen durchs Leben geht, zu einer Auffassung kommen, die von vornherein im Gegensatz zu der der Sachverständigen steht. Daher erleben wir in letzter Zeit, in sich erschreckend vermehrender Zahl, Strafprozesse gegen praktische Ärzte, die fast immer mit einer Verurteilung enden und für den Betreffenden den Verlust von Berufsehre und Existenz bedeuten. Mein Verteidiger hatte schon mehr als 30 Aerzte verteidigt; in jedem größeren Gefängnis, fast in allen Zuchthäusern findet man mehrere Ärzte, wegen Abtreibung eingesperrt. Man sollte annehmen, daß die praktische Ärzteschaft sich wie ein Mann erheben würde, um diesem unklaren, für sie unwürdigen und gefährlichen Zustand ein Ende zu bereiten. Doch leider ist dem nicht so. Anstatt es auf den Ärztetagungen offen zuzugeben, daß unsere Bevölkerungspolitik in eine Sackgasse geraten ist, verteidigt man gerade dort immer wieder überlebte und der Volksgesamtheit schädliche Einstellungen und Gesetze und will nicht erkennen, daß gerade die praktische Ärzteschaft jetzt verpflichtet ist, dafür einzutreten, daß der falsche Weg endlich verlassen und der richtige beschritten werde. Es ist gar kein Wunder, daß man sich auf den Ärztetagungen so gebärdet. Die dort anwesenden Vertreter sind meist ältere oder alte Ärzte – gewiß hochachtbare Männer –, die aber doch in dem Althergebrachten, Gewohnten zu sehr erstarrt sind, um Kraft und Willen zum Umdenken und Umlernen aufzubringen. Ob die Behauptung zutrifft, daß es neben diesen Hochachtbaren in der Ärzteschaft leider auch Heuchler gäbe, die sich im eigenen Betrieb, in der eigenen Familie, ganz und gar nicht scheuten, einmal eine, auch nicht vollbegründete Schwangerschaftsunterbrechung vorzunehmen, die dann aber nach außen hin am ersten bereit wären, den Stab über Kollegen zu brechen, die offen und ehrlich für das eintreten, was diese Heuchler nur heimlich und unter größter Vorsicht zu tun wagen, kann ich nicht entscheiden, ich möchte sie mir daher nicht zu eigen machen. Wenn man die älteren Kollegen, die sowieso vor fast allen Operationen eine gewisse Scheu haben, ausnimmt und einmal dann die Ansicht der ganzen praktischen Ärzteschaft auf Herz und Nieren prüfen würde, so daß jeder seine wirkliche Meinung sagen müßte, so würde dies ein überraschendes Ergebnis haben. Ich schätze, daß drei Viertel aller praktischen deutschen Ärzte schon aus durchaus anständigen Beweggründen heraus verbotene Eingriffe gemacht haben, daß 90 vom Hundert der deutschen Ärzte für eine Freigabe der Schwangerschaftsunterbrechung bis zum dritten Monat durch die Ärzte stimmen würden, denn die beschäftigten praktischen Ärzte wissen, wie groß die allgemeine Not ist. In meinem Strafverfahren sagten sämtliche als Zeugen vernommenen praktischen Ärzte eidlich aus, daß sie beinahe täglich um Unterbrechungen angegangen würden. Ich selber habe in einer, allerdings sehr umfangreichen Arzttätigkeit, im Zeitraum von fünf viertel Jahren, annähernd 200 Frauen abgelehnt – ablehnen müssen –, die mit einer solchen Bitte kamen, weil keine medizinischen Gründe vorlagen. Ich war gewohnt, bei allen Narkoseoperationen Aufzeichnungen zu machen und stets einen zweiten Arzt zuzuziehen. Diese Dokumente wurden aus Anlaß meiner Verhaftung beschlagnahmt, und der Untersuchungsrichter erklärte in der Hauptverhandlung, er habe nach meinen Operationsprotokollen bereits ungefähr 50 Frauen vernommen, bei denen ich Fehlgeburten behandelt hätte, von denen diese Frauen zugegeben hätten, daß sie eine Folge eigener verbotener Eingriffe gewesen seien. Ich weiß, daß eine Anzahl meiner Kollegen ähnliche Statistiken aufweisen könnten, wenn sie es nur wollten. Und das hat sich alles in einer Stadt von etwa 25 000 Einwohnern abgespielt, im Arbeitsbereich weniger Ärzte! Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich annehme, daß in Deutschland überall gleiche Verhältnisse hierin herrschen, und diese Annahme wird gestützt durch eine Reihe von statistischen Erhebungen, die namhafte Forscher angestellt haben. In einer der ersten Ärztezeitungen fand ich die Feststellung, daß auf 100 Frauen, wahllos aus allen Ständen der Bevölkerung heraus zusammengestellt, im Hauptgebäralter von 25 bis 35 Jahren, 110 Fehlgeburten errechnet worden sind, von denen 89 vom Hundert durch verbrecherische Eingriffe hervorgerufen worden waren. Daraus ergibt sich, daß, selbstverständlich durchschnittlich betrachtet, jede Frau im gebärfähigen Alter eine verbotene Abtreibung, eine Gesetzesverletzung, hinter sich hat. Welch verderblichen Einfluß so etwas auf die Moral des ganzen Volkes haben muß, darüber werde ich später noch ausführlich sprechen. Es kam mir jetzt nur darauf an, zu beweisen, wie gewaltig die Zahlen sein müssen, um die es sich handelt. Dann wird man diesen Ausführungen auch mit dem Interesse begegnen, das sie verdienen.
»Es erben sich Gesetz und Rechte wie eine ew'ge Krankheit fort!« Recht und Gesetz muß es gewiß geben, um das menschliche Leben zu regeln. Aber diese Gesetze werden zu einer Volksplage, wenn sie sich nicht der veränderten Lage, den veränderten Lebensbedingungen eines Volkes anpassen! Sie können dann auch – und es kommt mir ganz besonders darauf an, dies zu beweisen – dem Staate selbst unendlich schädlich werden. Es ist vorwiegend meine Absicht, in dieser Schrift zu beweisen, daß nicht nur die Not der einzelnen Volksgenossen eine gründliche Neuregelung gebieterisch fordert, sondern daß das ureigenste Interesse des Staates die schleunigste und rücksichtsloseste Umstellung erstreben muß. Bevor ich aber den Kampf bis in dieses Herz der feindlichen Stellung, die ich berenne – das ist die falsche Beurteilung der staatlichen Interessen –, vortrage, wollen wir einen Handstreich auf einige Außenbefestigungen unternehmen.