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Viertes Kapitel.
Staat und § 218

In den bisherigen Ausführungen habe ich lediglich auf den einzelnen oder auf Gruppen des Volkes Rücksicht genommen. Dies geschah, um sie für die von mir verfolgten Ziele zu gewinnen, zum mindesten sie vorurteilslos zu machen. Ausschlaggebend wird bei einer Änderung des Gesetzes aber schließlich das sein, was die Vertreter des Staates und seiner Belange, sei es in seinem Beamtentum, sei es in den Volksvertretungen, für dienlich halten werden. Es muß damit gerechnet werden, daß die Genannten sich auch jetzt noch nicht von gewissen Gedankengängen freigemacht haben, obwohl diese eigentlich überlebt sind. Um das Gebiet des geistigen Kampfes, den ich mit ihnen führen muß, vorerst zu beschränken, will ich zunächst beweisen, daß ein Festhalten an dem unbedingten Verbot der Schwangerschaftsunterbrechung dem Staat auch dann schädlich ist, wenn er auf dem Standpunkt stehen bleibt, daß ein möglichst rasches, ungeregeltes Anwachsen der Bevölkerungszahl ihm dienlich sei. Diese irrige Auffassung will ich zuerst zerstören! Wenn man annimmt, daß viele Frauen sich heute noch durch Strafandrohungen bestimmen ließen, ein Kind auszutragen, dessen Geburt für sie und ihre Familie eine weitere Verengerung der Grundlage des Daseins, oft eine ausgesprochene Verelendung bedeuten würde, so irrt man sich gewaltig. Finden diese Frauen keine Hilfe beim Fachmann – dem Arzt –, und der Zeitpunkt wird nicht mehr fern sein, an dem die Ärzte schon jede Untersuchung, geschweige denn Unterbrechung, ablehnen, so treiben die Frauen sich selbst ab oder begeben sich in die gefährlichen Hände gewerbsmäßiger Laienabtreiber. Die Folge hiervon muß sein, daß in einer noch erschreckenderen Zahl von Fällen als heute Frauen nach Eingriffen, die unsachgemäß ausgeführt werden, schwer erkranken oder sterben. Die feine Bildung der weiblichen Geschlechtsorgane setzt diese besonders der Gefahr aus, verseucht und damit für alle Zeiten unbrauchbar gemacht zu werden. Dadurch wird jetzt schon – jahraus jahrein – eine gewaltige Zahl von Frauen im besten Gebäralter für immer unfruchtbar gemacht. Würde man durch Änderungen der gesetzlichen Bestimmungen dafür sorgen, diese Frauen vor einer allzu raschen Folge der Geburten zu schützen, so würde man zweifellos bei vielen von ihnen erreichen, daß sie willig wären, schließlich doch noch weitere Kinder zu gebären. Welche Lücke der Tod, eine sehr häufige Folge verbotener Eingriffe, In Deutschland starben in einem Jahr 25 000 Frauen an Abtreibungen gegen nur 31 000 Menschen an Tuberkulose. in die Familie reißt, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden! Es ist allseitig anerkannt, daß gerade bei der vermögenslosen Bevölkerung die Mutter für die Aufzucht der Kinder wichtiger ist als der Vater. Der Tod einer Mutter zieht den Untergang des einen oder anderen kränklichen Kindes unweigerlich nach sich, das am Leben bleiben würde, wenn die Mutter nicht so vorzeitig auf dem Schlachtfelde der Frau, dem Gebärbett, zugrunde gehen müßte. Gilt dies schon für eine gesunde Frau, so trifft es noch viel mehr für eine kränkliche zu. Ich brauche hierauf nicht näher einzugehen, weil ich schon früher an dem Beispiel einer schwindsüchtigen Frau – wie ich hoffe – überzeugend bewiesen habe, von welchen Folgen es begleitet ist, wenn man solche kranken Frauen durch Strafgesetze zwingt, einer Gebärpflicht genügen zu müssen, der sie eben einfach nicht gewachsen sind.


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