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Achtzehntes Kapitel.
Besserung der Wohnungsnot

Jedem, der Anteil an dem wirklichen Wiedererstarken und Gesunden unseres Volkes nimmt, wird es einleuchten, wenn ich jetzt, nachdem ich gerade von unseren Volksdrohnen sprach, noch in eine Besprechung der Wohnungsnot eintrete, denn diese ist zum großen Teil darauf zurückzuführen, daß die Drohnen sich im Bienenstock unseres Volkes in einer Weise breit gemacht haben, die unnatürlich und außerordentlich schädlich ist. Wenn ich die Wohnungsfrage ebenso ausführlich besprechen werde wie meine Absicht, uneheliche Kinder gut unterzubringen, so leitet mich dabei der Gedanke, Volk und Staat zu dienen. Vorher noch eine Bemerkung: Uneheliche Mütter hängen oft schon im schwangeren Zustande deshalb trüben Gedanken nach, weil sie wissen, daß ihr Kind einer ungewissen Zukunft entgegengeht und weil sie sich auch sagen, daß es ihnen selbst zu einem »schweren Klotz am Bein« werden wird, den sie fünfzehn bis zwanzig Jahre herumzuschleppen haben. Erfahren sie, daß dieser Zustand geändert ist, so wird bei vielen der Muttertrieb über den Wunsch, abzutreiben, siegen. Ich glaube nicht – um einem Einwand zu begegnen –, daß die Unsittlichkeit und der außereheliche Geschlechtsverkehr durch Verwirklichung meiner Pläne wesentlich gefördert werden würden. Bei diesem Verkehr denken die Beteiligten meist recht wenig an die Möglichkeit einer Befruchtung! Nun zu dem Kapitel Wohnungsnot!

Wenn es gelänge, durch durchgreifende Änderung der Lage in unserem Wohnungswesen wieder gesunde Verhältnisse zu schaffen, so hätten Volk und Staat den allergrößten Gewinn davon. Mindestens die Hälfte aller Fälle, die für die soziale Anzeige zur Unterbrechung der Schwangerschaft in Betracht kämen, würden dann wegfallen! Ohne ins einzelne gehende Vorschläge machen zu wollen, möchte ich anregen: Jedem einzelnen Menschen sollte man nur das Recht geben, zwei Wohnräume (höchstens) in Anspruch zu nehmen. Das wäre für ein kinderloses Ehepaar eine Vierzimmerwohnung. Die Grundzahl der Zimmer sollte sich dann für jeden weiteren Menschen, der zum Hausstand gehörte, um einen Raum erhöhen. Danach hätte eine Familie mit einem Kind Anspruch auf fünf Räume, mit zwei Kindern auf sechs Räume, mit drei Kindern auf sieben und so fort. Räume, die gewerblich benutzt würden, sollten dabei nicht in Anrechnung gebracht werden. Die Regelung müßte aber so durchgreifend sein, daß sie den gesamten im Vaterland vorhandenen Wohnraum erfaßte, gleichviel, ob es sich um Eigentum, Mietsraum oder Dienstwohnungen – vor denen alles bisher scheu halt machte – handelte. Um besonderen Verhältnissen Rechnung zu tragen, vor allem aber um die nötigen Geldmittel zur Förderung des Wohnungsneubaues zu gewinnen, sollte man die Möglichkeit offen lassen, daß an Stellen, wo nicht allzu große Not dies verbieten würde, der einzelne sich Anspruch auf mehr Wohnräume vom Staate durch dauernde Entrichtung einer besonderen Abgabe erkaufen könnte. Diese dürfte nicht zu niedrig gehalten sein und gestaffelt werden; die aus ihr fließenden Beträge hätten zur Bildung eines Geldstocks zu dienen, der jedes Jahr restlos für Neubauten zu verwenden wäre. Ob Staat oder Gemeinde als Unternehmer die Bautätigkeit in die Hand nähme, oder ob man sich dazu entschlösse, durch Hergabe billigen Baugeldes oder niedrig zu verzinsender Grundschuldgelder die von mir angeregten Pläne zu verwirklichen, das zu entscheiden dürfte Sache der Fachleute sein. Man hätte es auch jederzeit in der Hand, diese Pläne wieder abzubauen, wenn wieder geregelte, gesunde Verhältnisse herrschten, wenn die Wohnungsnot behoben wäre. Sicherlich werden die Vertreter des Staates, dessen Hauptwurzel neben dem Geschlechtsleben das Eigentum ist, sich nur schwer dazu bequemen, meinen Gedankengängen zu folgen, eben weil sie das Eigentum antasten. Man sollte sich aber gesagt sein lassen, daß es unvernünftig wäre, nur die eine Wurzel, das Eigentum, auf Kosten der beiden anderen, der Familie und des Geschlechtslebens, einseitig zu schützen und zu fördern; das wäre sehr gefährlich. Mit den falsch eingestellten Lenkern des Staates werden wir auch alle jene im Widerspruch vereint sehen, die von rücksichtsloser Ichsucht beherrscht sind und hartherzig genug empfinden können, um sich in einer weiten, üppigen Wohnung wohlzufühlen, obgleich ein paar Häuser von ihnen entfernt Mitmenschen in ungesunder, qualvoller Engigkeit hausen müssen. So veranlagte Menschen würde man allerdings weder rühren noch überzeugen können, man müßte sie daher zu einer anderen Auffassung und höherer Sittlichkeit zwingen. Sie, ebenso der Staat, mögen sich aber doch noch einmal von mir sagen lassen, wie groß der seelische Schaden ist, der durch das Zusammenpferchen von Menschen angerichtet wird, zu dem unsere arme Bevölkerung sich verurteilt sieht. Wer als Arzt in einer solchen Umwelt täglich gearbeitet hat, weiß von diesen Schäden ein Lied zu singen. In den großen Mietskasernen herrscht meistens ein Schmutz und eine Unsauberkeit, von denen man sich kaum einen Begriff machen kann, wenn man es nicht selber gesehen hat! Ich kann nur wieder dazu auffordern, Zilles Zeichnungen zur Hand zu nehmen! Viel schlimmer als der äußerliche Schmutz ist aber der innere! Diese von Sorgen geplagten Menschen sind immer, die Kleinen sowohl wie die Großen, untereinander gefährlich verzankt. Viele von Haus aus saubere und friedfertige Frauen, die durch Not in so ein Massenwohnhaus verschlagen sind, versuchen zunächst noch gegen den Strom zu schwimmen und wenigstens ihre nächste Umgebung rein und sich vom Zank fern zu halten; bald müssen sie jedoch einsehen, daß dies unmöglich ist. Wie die armen Kinder körperlich und seelisch unter all dem leiden, wie die ansteckenden Krankheiten in diesem engen Miteinander, viel häufiger als sonst, übertragen werden, wie besonders unsere gefährlichsten Krankheiten, die Schwindsucht und die Geschlechtskrankheiten, in diesen überfüllten Häuservierteln den besten Nährboden finden, wird jeder ohne weiteres einsehen. Der Staat und die Besitzenden werden sich eines Tages unweigerlich vor die Notwendigkeit gestellt sehen, diese böse Zeche bezahlen zu müssen.

Kollwitz: ... für Wiens hungernde Kinder

Die nicht endenwollende Massenerregung, eine tiefgehende Erkrankung unserer Volksseele, äußert sich bei den Männern in immerwährender Unzufriedenheit und Reizbarkeit auf allen Gebieten des Lebens, bei den Frauen in Nervensucht, Zanksucht und Hemmungslosigkeiten aller Art, bei den Kindern in Roheit und frühzeitiger Verderbtheit. Dies hat im Wohnungselend seine Hauptursache, und dies alles muß eines Tages zu einer furchtbaren Aufflammung führen, die sehr wohl so gewaltig sein könnte, daß Staat und Gesellschaft völlig über den Haufen gerannt würden. Da dürfte es doch wohl besser sein, wenn die Besitzenden beizeiten Zugeständnisse machten! Sie sollten dies schon aus Klugheit tun, wenn ihr sittliches Gefühl und ihre Frömmigkeit nicht ausreichten, um sie zu den Entschlüssen zu bringen, die ich ihnen nahe lege. Wer mir nicht glauben will, daß die Wohnungsenge wirklich so verheerend auf unsere Volksseele wirkt, der lasse sich durch einen Bericht im Hannoverschen Anzeiger vom 2. 11. 1926 belehren, aus dem ich einiges wiedergebe:

»Die Schlacht in den Kleefelder Alpen. (Ein Gemälde von der Wohnungsnot vor Gericht.)

In Kleefeld sind bekanntlich sieben Baracken errichtet, deren jede zwölf Familien Aufnahme bietet. Jede Familie, zum Teil aus zehn bis zwölf Personen bestehend, verfügt nur über einen Raum, der gleichzeitig als Wohn- und Schlafzimmer und auch als Küche dient. Gipswände trennen eine »Wohnung« von der anderen, die in dem einen Raum geführten Gespräche sind in dem anderen Raume deutlich vernehmbar. Der Korridor zwischen den einzelnen Räumen ist derart eng und schmal, daß beim gleichzeitigen Heraustreten aus den beiden Räumen ein Zusammenstoß fast unvermeidlich ist. Daß unter den aus allen Bevölkerungsschichten bestehenden etwa 700 Bewohnern dieser Baracken nicht immer volle Harmonie herrscht, ist durchaus begreiflich. Kleinere Streitigkeiten und Prügeleien waren nichts Seltenes und die in Kleefeld stationierten Polizeibeamten können ein Lied davon singen über die Schwierigkeiten, die ihnen durch diese Baracken verursacht werden. Besonders schlimm wurde es, als der lungenkranke frühere Schmied X. mit seiner Ehefrau dort einzog. Diese Ehefrau hatte 24mal geboren. Die Ehefrau X. gefiel sich darin, Streit zu säen und Unfrieden zu stiften, außerdem war sie dem Alkohol sehr zugetan. Es gab einen allgemeinen Aufstand, es kamen immer mehr Menschen hinzu. Die Prügelei wurde allgemein und nach Beendigung der »Schlacht« ergab sich folgendes Bild: X. und dessen dreizehnjähriger Sohn waren mit Blut überströmt, Frau X. war der linke Arm abgeschlagen und Y. hatte außer der durch den Stich hervorgerufenen Brustverletzung eine erhebliche Beschädigung des linken Auges erlitten. Nach dieser Schlägerei hat sich das Wohlfahrtsamt veranlaßt gesehen, die Familie X. und eine andere Familie, in deren Wohnung am hellen Tage Nackttänze aufgeführt waren, wobei die schulpflichtige Jugend durch die Fenster zusah, aus den Baracken zu entfernen und anderswo unterzubringen.

Seitdem hat sich, nach den Bekundungen der Polizeibeamten, der Zustand dort etwas gebessert, wenngleich sich jetzt noch Dinge dort ereignen, die ein entsetzliches Bild von der Verwahrlosung geben. Die von einigen Barackenbewohnern darüber gegebenen Schilderungen waren derart, daß sie sich nicht einmal andeutungsweise wiedergeben lassen.

Es muß mit allen Mitteln darauf hingearbeitet werden, daß ein Zusammenpferchen von Hunderten von Menschen auf engem Raum unterbleibt und menschenwürdige Unterkünfte geschaffen werden. Die Moral, die in manchen Kreisen, wie die Verhandlung bewies, bereits unter den Nullpunkt gesunken ist, dürfte sonst ganz verschwinden.«

700 Menschen in sieben Baracken! Ein Lungenschwindsüchtiger, dessen Frau 24! Kinder zur Welt gebracht hat! Und was für eine Frau! Wenn die Kinder ihr ähneln und nicht allzuviel Tuberkeln vom Vater mitbekommen haben, sollte diese Frau öffentlich belobt werden, weil sie so viel für das »Wiedererstarken« Deutschlands geleistet hat! Nackttänze am hellichten Tage, denen Schulkinder zusehen! Habe ich meine vorhergehenden Schilderungen übertrieben?!


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