Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Letztes Kapitel.

In welchem Alles zum Schlusse kommt – Brief des Glaukus an den Sallust, zehn Jahre nach dem Untergange Pompeji's.

Athen.

Glaukus seinem geliebten Sallust Gruß und Gesundheit!

Du verlangst, ich solle Dich in Rom besuchen; nein, Sallust, komm lieber Du zu mir nach Athen! Ich will von der Kaiserstadt, ihrem Tumult und ihren eiteln Freuden nichts mehr wissen, sondern für immer in meinem Vaterlande wohnen. Der Geist unserer gefallenen Größe ist mir theurer, als die vielgepriesene Großartigkeit Eures Lebens. In den durch ehrwürdige Schatten geheiligten Säulenhallen Athens liegt ein Reiz für mich, den mir kein anderer Ort ersetzen kann. In den Olivenhainen des Ilissus höre ich noch die Stimme der Poesie – auf den Höhen von Phyle scheinen mir die Wolken des Zwielichts noch die Leichentücher der entschwundenen Freiheit – der Herold Morgens, der da kommen soll! Du lächelst über meine Begeisterung. O Sallust, ich will lieber in Ketten noch hoffen, als mich willenlos in dieselben ergeben. Du schreibst, ich könne mich unter diesen melancholischen Trümmern einer gefallenen Majestät sicherlich des Lebens nicht freuen. Du verweilst mit Entzücken bei dem Glanze Roms und dem Luxus des kaiserlichen Hofes. Mein lieber Sallust, »non sum qualis eram,« ich bin nicht mehr was ich war! Die Ereignisse meines Lebens haben das heiße Blut meiner Jugend abgekühlt. Seitdem ich die Krankheit gefühlt und in der dumpfen Kerkerluft geschmachtet habe, hat meine Gesundheit ihre frühere Festigkeit nicht wieder erlangt. Ich kann die düstern Schatten des letzten Tages von Pompeji, den Schrecken und die Öde dieser schauervollen Ruine mir immer noch nicht aus dem Sinn schlagen. Ich denke noch immer an unsere geliebte, unvergeßliche Nydia, und ich habe ihr ein Denkmal errichtet, das ich täglich aus dem Fenster meines Studirzimmers sehen kann. Es erhält eine zärtliche Erinnerung, eine nicht unangenehme Wehmuth, welche nur eine schwache Huldigung für ihre Treue und ihren geheimnisvollen, frühen Tod sind, in mir lebendig. Ione sammelt die Blumen, aber meine eigene Hand bekränzt täglich mit denselben Nydia's Grabmal. Sie war eines Denkmals in Athen würdig!

Du sprichst von dem Wachsthum der Sekte der Christen in Rom. Sallust! Dir vertraue ich mein Geheimnis an; ich habe lange über diesen Glauben nachgedacht und ihn angenommen. Nach dem Untergang Pompeji's begegnete ich auch dem Olinth noch einmal; er wurde nur für kurze Zeit gerettet, da er nachher als ein Märtyrer seines unbezwinglichen Glaubens starb. In meine Befreiung von dem Löwen und meinem glückseligen Entkommen aus den Schrecknissen des Erdbebens lehrte er mich die Hand des unbekannten Gottes erkennen. Ich lauschte seinen Worten, ich glaubte und betete an. Meine theure, meine mehr als geliebte Ione hat auch den christlichen Glauben angenommen – einen Glauben, Sallust, der, indem er Licht über diese Welt ausgießt, gleich einer untergehenden Sonne seine Glorie auch über die andere Welt verbreitet. Es ist uns klar, daß wir auf ewig an Seele und Leib vereinigt sind. Jahrhunderte mögen dahin eilen, wir selbst in Staub zerfallen und die Erde mag gleich einer Rolle zusammenschrumpfen; aber rund um den Kreis der Ewigkeit rollt das Rad des unvergänglichen Lebens. Und wie die Erde ihr Gedeihen aus der Sonne, so saugt die Unsterblichkeit ihr Glück aus der Tugend, welche das Lächeln auf dem Angesichte Gottes ist. Besuche mich, mein Sallust, bring die gelehrten Schriften des Epikur, Pythagoras und Diogenes mit; aber mache Dich auf eine Niederlage gefaßt. Laß uns in den akademischen Hainen an der Hand eine sicheren Führers, als je unsere Väter hatten, über die wichtigen Zwecke des Lebens und die Natur des Geistes disputiren.

Ione – bei diesem Namen klopft mein Herz – Ione steht neben mir, während ich schreibe. Ich blicke auf und sehe sie lächeln. Die Sonne strahlt über den Hymettus und in meinem Garten höre ich das Gesumse der Bienen. Du fragst, ob ich glücklich sei? Oh, was kann Rom mir bieten, das dem gleichkäme, was ich zu Athen besitze? Hier weckt Alles in der Seele erhabene Empfindungen – die Bäume, das Wasser, die Hügel, die Wolken; – überall sehe ich Athen, die auch in ihrer Trauer noch schöne Mutter der Poesie und Weltweisheit. In meiner Halle stehen die Marmorbüsten meiner Vorfahren. In dem Keramikus betrachte ich ihre Gräber! In den Straßen bemerke ich die Hand des Phidias und den Geist des Perikles, Hermodius und Aristogeiton – sie sind überall – und in unsern Herzen, in dem meinen wenigstens, sollen sie nicht untergehen! Wenn irgend etwas mich vergessen lassen kann, daß ich ein Athener und nicht frei bin, so vermag dies die beseligende, sorgsame Liebe Ione's – eine Liebe, die eine neue Weihe in unserem neuen Glauben erhalten hatWas wir jetzt in der Liebe Sentimentalität nennen, war den Alten wenig bekannt und findet sich hauptsächlich nur im Christentum. Es ist ein Gefühl, welches nicht mit dem Glauben, sondern mit der Ueberzeugung, daß die Liebe aus dem Geiste komme und wie der Geist selbst unsterblich sei, innig verbunden ist; Chateaubriand hat in seinem »Genius des Christenthums,« einem Werke voller Irrthümer, aber auch voll Wahrheiten, dieses Gefühl mit seiner gewöhnlichen Beredsamkeit entwickelt. Es bildet auch wirklich den großen Unterschied zwischen der alten und der modernen Lebensweise. Ich habe meiner Ansicht nach keinen groben Verstoß gegen die Wahrheit begangen, wenn ich dem Glaukus nach seiner Bekehrung zum Christentum sentimentale Gefühle beilegte, obwohl vorauszusetzen ist, daß er dieselben eher ahne als wirklich begriff. – eine Liebe, welche keiner unserer Dichter, so trefflich seine Gedanken auch sein mögen, jemals in seiner Schilderung erreicht hat, denn mit Religion gemischt, ist sie selbst ein Theil derselben; es kommt ihr nichts Unreines oder Weltliches in den Sinn, daher wir hoffen, uns auch in der Ewigkeit ihrer zu erfreuen, und wir nehmen keinen Anstand, sie unserem Gott zu bekennen. Dies ist die wahre Bedeutung der dunkeln Fabel von unserem griechischen Eros und Psyche – es ist wirklich die in den Armen der Liebe schlummernde Seele. Wenn man diese unsere Liebe mir die Entbehrung der Freiheit ertragen hilft, so leistet meine Religion mir noch weit wichtigere Dienste; denn sobald ich das Schwert ergreifen, die Kriegstrompete blasen und nach einem neuen Marathon (aber ein Marathon ohne Sieg) eilen möchte, so fühle ich meine Verzweiflung bei dem niederschlagenden Gedanken an die Unmacht meines Vaterlandes und die drückende Macht des römischen Joches wenigstens durch das Bewußtsein gemildert, daß die Erde nur der Anfang des Lebens, daß der Ruhm weniger Jahre in dem unermeßlichen Raume der Ewigkeit von gar keiner Bedeutung ist, und daß es hienieden keine vollkommene Freiheit gibt, bis die Ketten des Leibes von der Seele fallen und dieser über Raum und Zeit, als über sein Erbgut, herrscht. Jedoch mein Glaube hat immer noch eine Beimischung von dem sanften griechischen Blute. Ich kann den Eifer derjenigen, welche Alle, die nicht das Nämliche, was sie selbst glauben, verfolgen, keineswegs theilen. Ich verfluche Andersglaubende nicht, sondern bitte Gott den Vater, daß er sie bekehren möge. Diese Duldsamkeit setzt mich unter den Christen einigem Verdachte aus; aber ich vergebe es ihnen, und da ich die Vorurtheile des Volkes nicht öffentlich verletze, so wird es mir möglich, meine Brüder vor der Strenge des Gesetzes und vor den Folgen ihres eigenen Eifers zu bewahren. Wenn mir Mäßigung die natürliche Folge des Wohlwollens zu sein scheint, so verleiht sie auch der Wohlthätigkeit den größten Spielraum.

Von dieser Art also, o Sallust, ist mein Leben; von dieser Art sind meine Meinungen. So will ich leben und sterben. Und Du, freundlicher Zögling Epikurs, Du – doch komm hieher und sieh, welche Freuden, welche Hoffnungen wir unser nennen; dann wirst Du zugestehen, daß weder der Glanz der kaiserlichen Feste, noch der Jubel des vollen Cirkus, noch das geräuschvolle Forum, noch die glänzenden Theater, noch die üppigen Gärten oder die schwelgerischen, römischen Bäder ein reineres und dauernderes Glück zu bereiten vermögen, als das Leben des Atheners Glaukus bietet, welches Du so ganz ohne Grund bemitleidest. Lebe wohl!


Beinahe siebzehn Jahrhunderte waren verflossen, als die Stadt Pompeji aus ihrem stillen Grabe hervorgezogen wurde,Untergegangen im Jahre 79. n. Chr. – zuerst wieder entdeckt im Jahre 1750. noch ganz unverändert in ihren Farben. Die Wände hatten eine Frische, als ob der Maler erst gestern hinweggegangen wäre; keine Farbe war auf der reichen Mosaik der Fußböden erblichen; auf dem Forum lagen noch die halbvollendeten Säulen; vor den Bäumen in den Obstgärten stand noch Opferdreifuß; in den Hallen befanden sich noch die Schatzkästen, in den Bädern die Reibeisen, in den Theatern die Einlaßkarten, in den Sälen die Möbel und Lampen, in dem Triklinikum die Überreste vom letzten Mahl, in den Schlafgemächern die wohlriechenden Salben und die rothe Schminke der verwelkten Schönheit, und überall lagen die Gebeine und Skelette DererBis jetzt sind ungefähr 350 bis 400 Skelette in Pompeji entdeckt worden; da jedoch ein großer Theil der Stadt noch unter der Erde liegt, so läßt sich die Zahl Derer, welche bei ihrer Zerstörung umkamen, nicht wohl berechnen. Wir haben indes Grund zu der Annahme, daß es im Verhältnisse zu Denen, welche sich retteten, wenige waren. Die Asche war offenbar nachher von manchen Häusern hinausgeräumt worden, ohne Zweifel, um die zurückgelassenen Schätze aufzusuchen. Die Wohnung unseres Freundes Sallust gehört gleichfalls zu diesen Häusern. Die Skelette, welche auf eine Zeitlang wieder belebt vor den Augen des Lesers unter dem Namen Burbo, Kalenus, Diomed, Julia und Arbaces ihre Rolle spielten, wurden genau so aufgefunden, wie der Text es schildert. Möge der Leser an der Wiederbelebung dieser Skelette ein größeres Interesse finden, als der Autor gefunden hat, der sich vergeblich bemühte, in dem Werke, das er jetzt schließt, die peinliche, äußerste und verzweiflungsvollste Periode seines Lebens zu erheitern, welchem weit weniger Sonnentage vergönnt sind, als die Welt vielleicht glaubt. Aber gleich den meisten Freunden ist die Einbildungskraft launisch und verläßt uns oft gerade in dem Augenblicke, wo wir sie am meisten nöthig haben. Wenn wir älter werden, so sehen wir ein, daß unsere treueste Begleiterin die Gewohnheit ist. Ich muß jedoch wegen dieser plötzlichen, unpassenden Hinneigung zu einer vorübergehenden (sie ist nur vorübergehend!) Schwäche um Entschuldigung bitten. Mit der Rückkehr der Gesundheit kehrt auch die Energie wieder zurück, ohne welche der Geist uns wenig nützen würde, und die am meisten zur Erfüllung unserer Pflichten und zur Durchführung unserer Absichten beiträgt. Es gibt nur eine Philosophie, obwohl eine Unzahl philosophischer Schulen, und ihr Name heißt Seelenstärke. »Unser Schicksal tragen, heißt es besiegen.« zerstreut, welche einst die Triebfedern dieser künstlichen Maschine von Luxus und Leben in Bewegung gesetzt hatten.

In dem Hause Diomeds fand man in den unterirdischen Gewölben zwanzig Skelette (darunter das eines Kindes) auf einem Platze bei der Thür. Sie waren mit feiner Asche bedeckt, die augenscheinlich nach und nach durch die Öffnungen hereindrang, bis sie endlich den ganzen Raum angefüllt hatte. Man fand auch Juwelen und Münzen, Leuchter und in der Amphora hart gewordenen Wein – was Alles auf bedeutende Vorkehrungen schließen läßt, welche man zur Verlängerung des Lebens anwandte. Der durch Dämpfe hart gewordene zarte Sand hatte die Gestalten der Leichname wie in einem Abgusse angenommen, und der Reisende kann noch heute die Formen eines Nackens und Busens von jugendlicher Fülle und Rundung – eine Spur von der unglücklichen Julia – sehen. Es scheint fast, es habe sich die Luft allmählig in einen schwefeligen Dunst verwandelt; die Flüchtlinge in den Gewölben hatten nämlich offenbar den Versuch gemacht, die Thüre zu öffnen, da ihnen aber dieses wegen der davor liegenden Schlacken und Steine nicht gelang, waren sie durch die verpestete Luft erstickt worden.

In dem Garten wurde ein Skelett mit einem Schlüssel in der knöchernen Hand und nahe dabei ein Geldbeutel gefunden. Dies hielt man für den Herrn des Hauses, den unglücklichen Diomed, der wahrscheinlich zu entkommen suchte und entweder von Dämpfen erstickt oder von Steinen getödtet wurde. Neben einigen silbernen Vasen lag ein anderes Skelet, wahrscheinlich das eines Sklaven.

Die Häuser Sallust's und Pansa's, der Isistempel mit den heimlichen Verstecken hinter den Statuen, von wo aus die Orakel durch Priester ertheilt wurden, sind jetzt zu Tage gefördert. In einem Gemache des Tempels fand man ein ungeheuer großes Skelet mit einer Axt neben sich; zwei Wände waren vermittelst der Axt bereits durchbrochen, aber der Unglückliche konnte nicht weiter vordringen. In der Mitte der Stadt wurden ein anderes mit Gold beladenes Skelet und viele mystische Schmucksachen aus dem Heiligthum der Isis gefunden. Der Tod hatte den Räuber ereilt und Kalenus war zugleich mit Burbo umgekommen. Als die Arbeiter an einer gewissen Stelle den Schutt wegräumten, fanden sie das Skelet eines Mannes, der durch den Einsturz einer Säule buchstäblich in zwei Hälften zerrissen worden war. Der Schädel hatte eine so merkwürdige Bildung, sowohl in seinen geistigen, als in seinen physischen Organen, daß er stets die Aufmerksamkeit eines jeden Reisenden, der an die Theorien Spurzheims glaubt, in höchstem Grade rege machte. Nach Verfluß von achtzehn Jahrhunderten noch kann der Wanderer jene geräumige Schädelhöhlung betrachten, in deren labyrinthischen Gängen und Gemächern einst der Geist des Egypters Arbaces dichtete, urtheilte, träumte und sündigte.

Mit Betrachtung der mannigfaltigen Zeugnisse eines socialen Systems beschäftigt, welches für immer von der Erde verschwunden ist, verweilte ein Fremdling von jener fernen barbarischen Insel, die der Römer aus der Kaiserzeit nur mit Schaudern nannte, in dem paradiesisch schönen Kampanien und schrieb diese Geschichte!


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