Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Sechstes Kapitel.

Der Vogelfänger fängt den kaum entwischten Vogel zum zweitenmal und legt seine Schlingen für ein neues Opfer.

In meiner Geschichte drängen und folgen sich die Ereignisse so schnell wie in einem Drama. Ich beschreibe eine Zeit, wo die Tage hinreichten, um das zu reifen, was sonst nur die Frucht von Jahren ist. Arbaces hatte seit einiger Zeit das Haus Ione's wenig besucht, und wenn er zufällig hinkam, den Glaukus nie getroffen; daher wußte er von der Liebe, die so plötzlich zwischen ihm und seinen Entwürfen aufgeschossen war, nichts. Sein Plan auf den Bruder Ione's hatte ihn genötigt, seine Pläne auf Ione selbst eine Zeitlang aufzuschieben. Sein Stolz und Egoismus wurden durch den plötzlichen Wechsel, der in dem Sinne des Jünglings eingetreten war, aufgeweckt und beunruhigt; er fürchtete, daß er selbst einen gelehrigen Schüler und Isis einen begeisterten Anhänger verlieren könne. Apäcides besuchte und befragte ihn nicht mehr; man traf den jungen Mann selten; er wandte sich finster von dem Ägypter ab und floh ihn sogar, wenn er ihn in der Ferne sah. Arbaces, der einer jener stolzen und gewaltigen Geister war, welche über Andere zu herrschen gewöhnt sind; er ärgerte sich bei dem Gedanken, daß Einer, der einst ihm gehörte, sich von ihm losmachen könne und schwur bei sich selbst, daß ihm Apäcides nicht entwischen solle. Mit diesem Entschlusse beschäftigt, durchwandelte er ein dunkles, dichtes Wäldchen, das inmitten der Stadt zwischen seiner und Ione's Wohnung lag, zu der er sich begab. Hier traf er unvermuthet den jungen Isispriester mit zur Erde gesenktem Blicke an einen Baum gelehnt.

»Apäcides,« sagte er, die Hand vertraulich auf die Schulter des jungen Mannes legend.

Der Priester schauderte zusammen und schien instinktmäßig fliehen zu wollen.

»Mein Sohn,« sagte der Egypter, »was ist vorgefallen, daß Du meine Gegenwart zu meiden suchst?«

Apäcides blieb still und finster; seine Augen waren zur Erde geheftet, seine Lippen zitterten und seine Brust hob sich schwer.

»Sprich zu mir, mein Freund,« fuhr der Egypter fort, »sprich! Dein Geist ist durch irgend etwas niedergedrückt; was hast Du mir anzuvertrauen?«

»Dir – Nichts!«

»Warum hast Du zu mir so wenig Vertrauen?«

»Weil Du Dich als meinen Feind bewiesen hast.«

»Laß uns sprechen,« sagte Arbaces mit leiser Stimme, legte des Priesters widerstrebenden Arm in den seinigen und führte ihn zu einer der in dem Wäldchen stehenden Bänke. Sie setzten sich nieder, und ihre düstern Gestalten paßten trefflich zu der schattigen Einsamkeit des Ortes.

Apäcides stand im Lenze seiner Jahre, und doch schien er das Leben mehr erschöpft zu haben als der Ägypter. Seine zarten und regelmäßigen Gesichtszüge waren saft- und farblos; seine hohlen Augen funkelten von blendendem, fieberhaftem Glanze; sein Körper beugte sich vor der Zeit, und an seinen bis zur Weiblichkeit kleinen Händen zeigten blaue und angeschwollene Adern die Ermattung und Schwäche seiner Fibern an. Man fand in seinem Gesichte eine auffallende Ähnlichkeit mit Ione; aber der Ausdruck war sehr verschieden von jener majestätischen und geistigen Stille, welche der Schönheit seiner Schwester eine so klassische, ja göttliche Ruhe verlieh. Auch bei ihr war der Enthusiasmus sichtbar, aber immer beherrscht und gezügelt, und dies gerade verlieh ihrem Gesichte so hohen Reiz und Ausdruck; man fühlte sich lebhaft versucht, einen Geist zu wecken, der nur unter der Asche ruhte, aber offenbar nicht schlief. Bei Apäcides dagegen offenbarte sein ganzes Äußeres die Glut und Leidenschaft seines Temperaments, während nach dem wilden Feuer seiner Augen, nach der im Vergleiche mit der Stirnhöhe übermäßigen Breite seiner Schläfe und nach dem beständigen Zittern seiner Lippen zu schließen, das denkende Element seiner Natur von dem imaginativen und idealen Elemente beherrscht und tyrannisirt zu werden schien. Bei der Schwester war die Einbildungskraft an der goldenen Schranke der Poesie stehen geblieben, bei dem weniger glücklichen und weniger gezügelten Bruder hingegen in unberührbare, körperlose Regionen hinübergewandert, so daß dieselben Eigenschaften, die dem einen der beiden Wesen Genie verliehen, das andere mit Wahnsinn bedrohten.

»Du sagst, ich hätte mich als Deinen Feind bewiesen,« redete ihn Arbaces an. »Ich kenne den Grund dieser ungerechten Beschuldigung. Ich habe Dich unter die Priester der Isis gebracht; ihre Kunstgriffe und Täuschungen empören Dich – Du meinst, auch ich habe Dich hintergangen, getäuscht – die Reinheit Deines Gemüthes fühlt sich verletzt – Du glaubst, ich sei ein Betrüger.«

»Du kanntest das Gaukelspiel dieser gottlosen Kaste, warum hast Du mir ein Geheimnis daraus gemacht? Als Du in mir das Verlangen anfachtest, mich dem Stande zu widmen, dessen Kleid ich trage, sprachst Du mir von dem heiligen Leben von Männern, die sich ausschließlich der Wissenschaft widmen, und Du hast mich einer unwissenden und sinnlichen Heerde beigesellt, die von nichts als von den plumpesten Betrügereien wissen! Du sprachst mir von Menschen, die alle weltlichen Vergnügungen dem erhabenen Dienste der Tugend aufopfern, und Du hast mich unter Männer gebracht, denen die entehrenden Laster zur zweiten Natur geworden sind; Du sprachst mir von Freunden, von Aufklärern des Menschengeschlechts, und ich sehe in ihnen nur seine Betrüger! Oh! Dein Betragen ist schändlich! – Du hast mir die Glorie der Jugend, den Glauben an die Tugend, den heiligen Durst nach Weisheit geraubt! Jung, reich, glühend, mit all den sonnigen Genüssen der Erde vor mir, entsage ich Allem ohne einen Seufzer, ja sogar glücklich und entzückt in dem Gedanken, sie hinzugeben gegen die Geheimnisse der göttlichen Weisheit, die Gemeinschaft der Götter, die Offenbarungen des Himmels – Und jetzt ... jetzt ...«

Convulsivisches Schluchzen erstickte des Priesters Stimme; er bedeckte sein Gesicht mit den Händen, und durch seine abgezehrten Finger brachen sich große Thränen und rollten reichlich auf sein Kleid herab.

»Mein Versprechen, mein Freund und Zögling, will ich Dir halten; alles Bisherige war bloß eine Prüfung Deiner Tugend, die aus diesem Noviziate nur mit neuem Glanze heraustritt; denke nicht mehr an jene unverständigen Betrügereien, habe keine Gemeinschaft mehr mit diesen Sklaven der Göttin, die nur die Atrienses ihrer Halle sind; Du bist würdig, in das Allerheiligste einzutreten. Künftig will ich Dein Priester, Dein Führer sein, und Du, der Du jetzt meine Freundschaft verfluchst, wirst sie noch segnen müssen.«

Der junge Mann erhob seinen Kopf und starrte dem Egypter mit irrem und verwundertem Blicke an.

»Höre mich,« fuhr Arbaces, nachdem er forschend herumgespäht, ob sie auch allein seien, mit ernster und feierlicher Stimme fort: »Von Egypten kam alle Weisheit der Welt; von Egypten das Wissen Athens und die tiefe Politik Kreta's; von Egypten kamen jene frühen, geheimnisvollen Stämme, die lange, ehe die Herden des Romulus die Ebenen Italiens überzogen und in dem ewigen Kreislauf der Ereignisse die Civilisation in Barbarei und Finsternis zurückstießen, alle Künste der Weisheit und alle Anmuth geistigen Lebens besaßen; aus Egypten kamen die Größe und die gottesdienstlichen Gebräuche der heiligen Stadt Cäre, deren Einwohner ihre eisernen, römischen Besitzer Alles das lehrten, was diese bis jetzt von Erhabenem in der Religion, von Feierlichem im Gottesdienste wissen. Und wodurch glaubst Du, junger Mann, daß dieses ehrwürdige Egypten, die Mutter zahlloser Nationen, seine Größe erlangt und sich auf den Gipfel der Weisheit geschwungen habe? Nur durch seine tiefe und heilige Politik. Die neueren Nationen verdanken ihre Größe Egypten, und dieses die seinige seinen Priestern. Zu sich selbst zurückgezogen und von dem Wunsche beseelt, über den edleren Theil des Menschen, über seine Seele und seinen Glauben zu herrschen, waren diese alten Diener der Gottheit von dem erhabensten Gedanken begeistert, der je Sterblichen in den Kopf gekommen ist. Den Veränderungen der Gestirne, den Jahreszeiten der Erde, dem ewigen Kreislaufe menschlicher Geschicke entnahmen sie eine höhere Allegorie. Diese machten sie durch Zeichen von Göttern und Göttinnen dem Volke deutlich und handgreiflich, und was in Wirklichkeit nur Regierung war, nannten sie Religion. Isis ist eine Fabel – erschrick nicht – das, wovon Isis ein Sinnbild ist, ist in der Wirklichkeit vorhanden, ist ein unsterbliches Wesen. Isis ist Nichts; die Natur, deren Abbild sie ist, ist die Mutter aller Dinge – dunkel, uralt, unerforschlich, außer für wenige Auserwählte. – ›Nie hat ein Sterblicher meinen Schleier gelüftet!‹ – So spricht die von Dir angebetete Isis; aber für den Weisen ist dieser Schleier hinweggenommen und wir haben die festliche Pracht der Natur von Angesicht zu Angesicht geschaut. Die Priester waren die Wohlthäter, die Erzieher des Menschengeschlechts; sie waren übrigens auch, wenn Du willst, Betrüger. Aber glaubst Du, junger Mann, sie hätten ihren Mitmenschen nützlich werden können, wenn sie sie nicht getäuscht hätten? Die unwissende und knechtische Menge muß zu ihrem eigenen Wohle geblendet werden; eine Grundwahrheit würde sie nicht glauben, aber ein Orakel betet sie an. Der römische Kaiser beherrscht eine Menge verschiedener Nationen, und weiß unter diesen streitenden und getrennten Elementen eine Einheit herzustellen; hoher Friede, Ordnung, Gesetzlichkeit, die Segnungen des Lebens. Glaubst Du, es sei der Mensch, der Kaiser, der so regierte? – Nein, es ist die Pracht, die Ehrfurcht, die Majestät, die ihn umgeben; dies sind seine Täuschungen, seine Blendwerke. Unsere Orakel und Prophezeihungen, unsere Gebräuche und Ceremonien sind die Mittel unserer Oberherrschaft und die Hebel unserer Macht. Es sind dieselben Mittel zu demselben Zwecke – zum Glücke und zur Eintracht der Menschen. Du hörst mir mit Aufmerksamkeit und Entzücken zu; das Licht beginnt Dir zu tagen.«

Apäcides schwieg stille, aber die rasch wechselnden Gefühle, die sich auf seinem belebten Gesichte abmalten, ließen den Eindruck bemerken, den die Worte des Egypters auf ihn machten – Worte, die durch die Stimme, das Wesen und Benehmen des Redners noch zehnfach beredter wurden.

»Während nun,« hub Arbaces von Neuem an, »unsere Vorfahren am Nil die ersten Elemente, durch welche das Chaos zerstört wurde, nämlich den Gehorsam und die Achtung der Menge gegen Wenige, vollständig ins Dasein riefen, zogen sie aus ihren erhabenen und himmlischen Betrachtungen jene Weisheit, die keine Täuschung war; sie erfanden die Gesetzbücher und Vorschriften, die Künste und Verherrlichungen des gesellschaftlichen Lebens. Sie forderten Glauben und lohnten mit Civilisation. War also nicht sogar ihr Betrug Tugend? Glaube mir, wer immer von göttlicherer, wohlthätigerer Natur aus jenen fernen Himmeln auf unser Welt herabschaut, wird der Weisheit, die ein so großes Ziel zu erreichen wußte, Beifall zulächeln. Aber Du wünschest, daß ich diese allgemeinen Sätze auf Deine eigene Person anwende und ich beeile mich, Deinem Wunsche zu genügen. Die Altäre der Göttin unseres alten Glaubens müssen Diener haben und auch in den Personen jener einfältigen und seelenlosen Geschöpfe, die gewissermaßen nur Pflöcke und Haken sind, woran man Kleid und Binde aufhängt. Erinnere Dich zweier Sätze des Pythagoräers Sextus, die der egyptischen Lehre entlehnt sind. Der erste heißt: ›Sprich nicht von Gott zu der Menge;‹ der zweite: ›der Mensch, der Gottes würdig ist, ist ein Gott unter Menschen.‹ Wie die geistige Kraft den Priestern Egyptens die Herrschaft verlieh, so kann diese seit einiger Zeit so fürchterlich gesunkene Macht, auch nur durch die geistige Kraft wieder hergestellt werden. In Dir, Apäcides, sah ich einen meiner Lehren würdigen Schüler – einen der großen Zwecke, die noch erreicht werden können, würdigen Diener; Deine Energie, Deine Talente, Deine Glaubenseinheit, der Ernst Deines Enthusiasmus, Alles macht Dich zu einem Berufe tauglich, der ein erhabenes und glühendes Wesen so gebieterisch fordert. Deswegen habe ich Deine heiligen Wünsche angefacht und Dich zu dem Schritte angespornt, den Du gethan hast. Du tadelst mich zwar, daß ich Dir die kleinlichen Seelen und die Blendwerke Deiner Gefährten nicht zuvor enthüllt habe; aber wenn ich dies gethan hätte, Apäcides, so würde ich meinen Zweck selbst vereitelt haben; Dein edler Sinn hätte sich empört und Isis ihren Priester verloren.«

Apäcides seufzte laut. Der Egypter fuhr, ohne auf diese Gefühlsäußerung zu achten, folgendermaßen fort: »Ich führte Dich daher ohne weitere Vorbereitung in den Tempel und überließ Dich Dir selbst, damit Du alle diese Mummereien, die den Pöbel blenden, entdecken und einen Ekel an ihnen bekommen mögest. Ich wünschte, Du selbst möchtest die Triebfedern der Maschine erkennen, welche die Quelle sprudeln läßt, deren Wasser die Welt erfrischen. Dieser Prüfung waren alle unsere Priester seit undenklicher Zeit unterworfen; Diejenigen, welche sich an die Täuschung des Volks gewöhnen, werden bei deren Ausübung belassen; denen aber, deren höhere Natur eine höhere Beschäftigung verlangt, enthüllt die Religion göttlichere Geheimnisse. Ich freue mich, in Dir denjenigen Charakter zu finden, den ich erwartet hatte. Du hast Deine Gelübde abgelegt, zurücktreten kannst Du nicht mehr; vorwärts – ich will Dein Führer sein.«

»Und was willst Du mich lehren, sonderbarer und schrecklicher Mann? Neue Täuschungen, neue –«

»Nein – ich habe Dich in den Abgrund des Unglaubens geschleudert; ich will Dich jetzt zu der Höhe des Glaubens führen. Du hast die falschen Sinnbilder gesehen und jetzt sollst Du die Wirklichkeiten, die sie vorstellen, kennen lernen. Es gibt keinen Schatten, Apäcides, ohne Wesenheit. Besuche mich diese Nacht, gib mir Deine Hand darauf.«

Gerührt, aufgeregt, und durch die Reden des Egypters verwirrt, reichte ihm Apäcides die Hand, und Lehrer und Schüler trennten sich.

Bei Apäcides war in der That kein Rücktritt mehr möglich; er hatte das Gelübde der Keuschheit abgelegt und sich einem Berufe geweiht, der ihm für jetzt die ganze Strenge des Fanatismus ohne die Tröstungen des Glaubens zu zeigen schien. Es war darum natürlich, daß er sich dem sehnsüchtigen Wunsche hingab, mit einer künftig unwiderruflichen Laufbahn sich auszusöhnen. Der mächtige und tiefe Geist des Egypters übte noch eine große Herrschaft auf seine jugendliche Einbildungskraft aus, regte ihn noch zu eitlen Vermuthungen auf und erhielt ihn zwischen Furcht und Hoffnung schwebend.

Unterdessen wandelte Arbaces mit langsamen und schwerfälligen Tritten der Wohnung der Ione zu. Bei seinem Eintritte in das Tablinum, vernahm er aus dem Portikus des Peristyls her eine Stimme, die, so wohlklingend sie auch war, sein Ohr doch unangenehm berührte. Es war die Stimme des jungen und schönen Glaukus, und zum erstenmale beunruhigte eine unwillkürliche Anwandlung der Eifersucht das Herz des Egypters. Beim Eintritt ins Peristyl sah er Glaukus neben Ione sitzen. Der Springbrunnen in dem balsamisch duftenden Garten schleuderte seinen Silberstrahl in die Luft und erhielt sogar während der heißesten Tagesstunden eine herrliche Kühlung. Die Dienerinnen der Ione, die sie niemals verließen, da sie bei all der Freiheit des Lebens den zartesten Anstand beobachtete, saßen in einiger Entfernung; zu Glaukus Füßen lag die Leier, auf der er so eben Ione ein lesbisches Lied gespielt hatte. Die Scene – die Gruppe, die Arbaces vor sich sah, trug das Gepräge jener verfeinerten, ganz eigenthümlichen poetischen Idealität, die wir jetzt noch, und nicht ohne Grund, als die unterscheidende Charakteristik der Alten ansehen – die Marmorsäulen, die Blumenvasen, die weiße und unbewegliche Statue, die jede Aussicht abschloß, und vor Allem die beiden lebenden Gestalten, die einen Bildhauer entweder begeistert oder zur Verzweiflung gebracht hätten.

Arbaces stand wenige Augenblicke still und betrachtete das Paar mit einer Stirne, aus der alle gewohnte, ruhige Heiterkeit verschwunden war. Er sammelte sich gewaltsam wieder und näherte sich mit so leisem und so wenig vernehmbarem Tritte, daß sogar die Dienerinnen ihn nicht hörten, viel weniger Ione und ihr Geliebter.

»Und doch,« sagte Glaukus, »glauben wir nur, ehe wir lieben, daß unsere Dichter die Leidenschaft wahr geschildert hätten. Sobald die Sonne aufgeht, verschwinden alle Sterne, die in ihrer Abwesenheit glänzten, in der Luft. Die Dichter sind für uns nur in der Nacht des Herzens da; sie sind uns nichts mehr, sobald wir die ganze Herrlichkeit des Gottes fühlen.«

»Schönes und überaus glühendes Gleichnis, edler Glaukus.«

Beide fuhren auf und erkannten nun hinter dem Sitze der Ione das kalte und satirische Angesicht des Egypters.

»Du bist ein unerwarteter Gast,« sagte Glaukus, indem er sich mit erzwungenem Lächeln erhob.

»Dies sollten Alle sein, die wissen, daß sie willkommen sind,« versetzte Arbaces, indem er sich niederließ und Glaukus bat, es eben so zu machen.

»Ich bin sehr erfreut,« sagte Ione, »Euch endlich beisammen zu sehen; denn Ihr passet für einander und seid geschaffen, Freunde zu werden.«

»Gib mir etwa fünfzehn Jahre meines Lebens zurück,« erwiderte der Egypter, »ehe Du mich mit Glaukus vergleichst; seine Freundschaft würde mich glücklich machen, aber was kann ich ihm dafür bieten? Könnte ich ihm dieselben vertraulichen Mittheilungen machen, die er gegen mich ablegte, über Bankette und Blumenkränze, über parthische Rosse und Wechselfälle des Würfels? Solche Vergnügungen passen sich für sein Alter, seine Natur, seinen Stand; nicht aber für mich.«

Bei diesen Worten senkte der listige Egypter seine Augen und seufzte; aber aus seinem Augenwinkel blickte er doch verstohlenerweise nach Ione hin, um zu sehen, wie sie diese Anspielungen auf das Treiben ihres Gastes aufnehme; ihre Miene befriedigte ihn jedoch nicht. Leicht erröthend beeilte sich Glaukus mit heiterer Miene, und vielleicht von dem geheimen Wunsche geleitet, den Egypter aus der Fassung zu bringen und zu demüthigen, diesem Folgendes zu erwidern: »Du hast Recht, weiser Arbaces, wir können uns gegenseitig achten, aber keine Freunde sein. Meinen Gastmählern fehlt das geheime Salz, das, wenn man dem öffentlichen Gerede Glauben schenken darf, den Deinigen solche Würze verleiht. Und beim Herkules! wenn ich Dein Alter erreicht habe, und für weise halte, den Vergnügungen des Mannesalters mich hinzugeben, dann werde ich ohne Zweifel, wie Du, das Treiben der Jugend bekritteln.«

Der Egypter erhob seine Augen zu Glaukus mit einem schnellen und durchbohrenden Blick.

»Ich begreife Dich nicht,« sagte er kaltblütig, »aber es glauben ja Viele, der Witz liege nur im Dunkeln.«

Mit diesen Worten wendete er mit kaum bemerkbarem, verächtlichen Lächeln sein Gesicht von Glaukus ab, und redete nach einer kurzen Pause Ione folgendermaßen an: »Die letzten zwei oder dreimale, da ich Dein Vestibulum besuchte, bin ich nicht so glücklich gewesen, schöne Ione, Dich zu Hause zu treffen.«

»Die Schönheit des Meeres hat mich oft aus dem Hause gelockt,« antwortete Ione etwas verwirrt.

Diese Verlegenheit entging Arbaces nicht, aber er stellte sich, als ob er sie nicht bemerke, und versetzte lächelnd: »Du weißt, der alte Dichter sagt: ›Die Frauen sollen zu Hause bleiben und sich dort unterhalten.‹«

»Dieser Dichter war ein Cyniker,« fiel Glaukus ein, »und haßte die Frauen.«

»Er sprach nach den Sitten seines Landes, und dieses Land ist Euer so gerühmtes Griechenland.«

»Andere Zeiten, andere Sitten. Wenn unsere Voreltern Ione gekannt hätten, so würden sie ein ganz anderes Gesetz gemacht haben.«

»Hast Du diese hübsche Artigkeit zu Rom gelernt?« sagte Arbaces mit nur mühsam verhaltener Aufregung.

»Sicherlich würde Niemand nach Egypten gehen, um Artigkeiten zu lernen,« versetzte Glaukus, indem er gleichgültig mit seiner Kette spielte.

Ione suchte eine Unterredung zu unterbrechen, die, wie sie mit Bedauern sah, so wenig geeignet war, die beabsichtigte, innige Verbindung zwischen Glaukus und ihrem Freunde zu befestigen.

»Geht, geht,« sagte sie darum, »Arbaces muß gegen seine arme Pflegetochter nicht so streng sein. Als eine Waise ohne mütterliche Aufsicht verdiente ich vielleicht einen Vorwurf wegen der unabhängigen und gewissermaßen männlichen Lebensfreiheit, die ich mir erwählt habe; gleichwohl aber ist sie nicht größer, als die, an welche die römischen Frauen gewöhnt sind – nicht größer als die, an welche die griechischen gewöhnt sein sollten. Ach! sollte man denn nur unter Männern Freiheit und Tugend vereinigt finden. Warum sollte die Sklaverei, die Euch zernichtet, als das einzige Mittel betrachtet werden, uns zu schützen? Ach! glaube mir, es war ein großer Irrthum der Männer, – ein auf ihr Schicksal traurig einwirkender Irrthum, – zu glauben, die Natur der Frauen sei (ich will nicht sagen, untergeordnet, es mag sein), aber so verschieden von ihrer eigenen, daß sie Gesetze für nothwendig hielten, welche die geistigen Fortschritte der Frauen so sehr hindern. Mochten sie nicht, indem sie dies thaten, Gesetze gegen ihre eigenen Kinder, welche die Frauen erziehen sollen, gegen die Gatten, deren Freundinnen und Rathgeber die Frauen oft sein sollen?«

Plötzlich hielt Ione inne und über ihre Wangen ergoß sich das entzückendste Roth. Sie fürchtete, ihr Enthusiasmus möchte sie zu weit geführt haben; jedoch scheute sie den strengen Arbaces weniger, als den freundlichen Glaukus; den letzteren liebte sie, und bei den Griechen pflegte man den Frauen, wenigstens denen, die man am meisten achtete, nicht dieselbe Freiheit und Stellung in der Gesellschaft zuzugestehen, deren die Frauen in Italien genossen. Sie empfand daher einen Schauer der Freude, als Glaukus in ernstem Tone erwiderte: »Mögest Du immer so denken, Ione! Möge Dein reines Herz stets Dein zuverlässiger Führer sein. Ein Glück wäre es für Griechenland gewesen, wenn es den keuschen Frauen dieselben geistigen Reize gestattet hätte, durch welche die minder würdigen unter seinem Frauengeschlechte so berühmt geworden. Kein Staat sieht seine Freiheit, sein Wissen gefährdet, so lange Dein Geschlecht nur dem Freien zulächelt, nur den Weisen durch Beifall ermuntert.«

Arbaces schwieg stille; denn es lag weder in seinem Plane, die Ansichten des Glaukus zu billigen, noch die der Ione zu tadeln, und nach einer kurzen und verlegenen Unterhaltung verabschiedete sich Glaukus von Ione.

Als er fort war, rückte Arbaces seinen Stuhl näher zu der Neapolitanerin und sagte zu ihr in jenem milden und unterwürfigen Tone, unter dem er die Verschlagenheit und den Ungestüm seines Charakters so gut zu verbergen wußte: »Glaube nicht, meine süße Mündel, wenn ich Dich so heißen darf, daß ich dieser Freiheit Fesseln anlegen will, die sich durch Deine Wahl verherrlicht sieht, die aber, wenn sie auch nicht größer ist, als die der römischen Frauen, wenigstens mit sehr großer Umsicht gehandhabt werden muß, wenn sie von einer Unverheiratheten in Anspruch genommen wird. Fahre fort, die Lebenslustigen, die Glänzenden, die Weisen selbst zu Deinen Füßen zu ziehen; fahre fort, sie durch die Unterhaltung einer Aspasia und durch die Musik einer Korinna zu bezaubern; gedenke aber jener Lästerzungen, die den zarten Ruf eines Mädchens so leicht beflecken können, und gib, während Du Bewunderung erregst, dem Neide keine Veranlassung, über Dich zu triumphiren.«

»Was meinst Du, Arbaces?« sagte Ione mit aufgeregter und zitternder Stimme; »ich weiß, Du bist mein Freund und wünschest nur meine Ehre und mein Glück. Was wolltest Du sagen?«

»Dein Freund! Ach! wie aufrichtig! Darf ich als Freund, ohne Rückhalt und ohne Furcht, zu beleidigen, sprechen?«

»Ich bitte Dich darum.«

»Wie hast Du die Bekanntschaft dieses jungen Wollüstlings, dieses Glaukus, gemacht? Hast Du ihn schon oft gesehen?«

Während Arbaces dieses sagte, heftete er seinen Blick auf Ione, als ob er in das Innerste ihrer Seele dringen wolle.

Vor diesem Blicke mit sonderbarem Schrecken, den sie sich nicht erklären konnte, zurückbebend, antwortete die Griechin verwirrt und zaudernd: »Er wurde bei mir als ein Landsmann meines Vaters, und, ich darf wohl sagen, als der meinige, eingeführt. Ich kenne ihn erst seit etwa Tagen; aber wozu diese Fragen?«

»Verzeihe mir,« sagte Arbaces; »ich glaubte, Du kennest ihn schon länger. Ein elender Prahlhans!«

»Wie! Was meinst Du damit? Wozu diesen Ausdruck?«

»Ach, laß es gut sein; ich will Deinen Unwillen gegen einen Menschen, der eine so hohe Ehre nicht verdient, nicht aufregen.«

»Ich beschwöre Dich, sprich. Womit hat Glaukus geprahlt, oder vielmehr, in wiefern glaubst Du, daß er beleidigt habe?«

Arbaces, den Zorn unterdrückend, den die letzten Worte der Ione bei ihm erregten, fuhr fort: »Du kennst sein Treiben, seine Genossen, seine Sitten. Gastmähler und Würfel sind seine einzige Beschäftigung – wie könnte er aber unter den Genossen des Lasters an Tugend denken?«

»Du sprichst immer noch in Räthseln; ich beschwöre Dich bei den Göttern, sage mir das Schlimmste auf einmal.«

»Wohlan denn, wenn es sein muß: wisse also, meine Ione, daß Glaukus erst gestern noch in den öffentlichen Bädern sogar sich laut Deiner Liebe zu ihm gerühmt hat. Er sagte, es belustige ihn, sich dieselbe zu Nutzen zu machen. Um jedoch gerecht gegen ihn zu sein, muß ich gestehen, daß er Deine Schönheit lobte. Wer wollte sie übrigens läugnen? Aber er lachte mit verächtlicher Miene, als sein Klodius oder sein Lepidus ihn fragte, ob er Dich hinreichend liebe, um Dich zu heirathen, und wann er seine Thürpfosten mit Blumen zu behängen gedenke?«

»Unmöglich! Woher hast Du diese ehrlose Verleumdung?«

»Wie? Soll ich Dir alle Bemerkungen der unverschämten Gecken wiederholen, mit denen diese Geschichte die Runde durch die Stadt macht. Sei überzeugt, daß ich im ersten Augenblicke selbst nicht daran glauben wollte, daß ich jedoch unglücklicherweise von der Wahrheit dessen, was ich Dir nur widerstrebende erzählte, so eben durch Ohrenzeugen überführt wurde.«

Ione sank zurück und ihr Gesicht ward blässer, als der Pfeiler, an den sie sich lehnte.

»Ich gestehe, es ärgerte, es empörte mich, Deinen Namen, wie den Ruf einer bloßen Tänzerin, so leicht in von Munde zu Munde werfen zu hören. Diesen Morgen war es mein angelegentliches Geschäft, Dich aufzusuchen und Dich zu warnen. Ich traf Glaukus hier, und da war es um meine Selbstbeherrschung geschehen. Ich konnte meine Gefühle nicht verhehlen und war unhöflich in Deiner Gegenwart. Ione, kannst Du Deinem Freunde verzeihen?«

Ohne zu antworten, legte Ione ihre Hand in die seinige.

»Denke nicht mehr daran,« sagte er, »aber laß es Dir eine warnende Stimme sein, die Dir sagt, wie viel Vorsicht in Deiner Lage erforderlich ist. Diese Sache kann Dich keinen Augenblick betrüben, denn ein so leichtsinniger Mensch, wie Glaukus, konnte nie auch nur durch einen ernstlichen Gedanken Ione's geehrt werden. Solche Beschimpfungen verwunden nur, wenn sie von einem Wesen kommen, das man liebt; derjenige aber, den die erhabene Ione zu lieben sich herabläßt, muß ein ganz Anderer sein.«

»Lieben!« murmelte Ione mit krampfhaftem Lächeln, »ja wahrhaftig!«

Es ist nicht ohne Interesse, zu sehen, wie auch in jenen fernen Zeiten und unter einem gesellschaftlichen Systeme, das von dem unsern so sehr verschieden ist, dieselben kleinen Ursachen den Lauf des Lebens stören und unterbrechen; – wie dieselbe erfinderische Eifersucht, dieselbe arglistige Verleumdung, dieselbe schlaue Hinterbringung geringschätziger, zu diesem Zwecke geschmiedeter Klatschereien, die so oft auch in unseren Tagen die Bande zärtlicher Liebe zu b rechen und dem Laufe der scheinbar günstigen Verhältnisse eine andere Richtung zu geben vermögen, schon damals in Anwendung gebracht wurden. Die Fabel erzählt uns von einem ganz kleinen Fischlein, das, wenn die Barke über das sanfteste Gewässer hinsegelt, sich an den Kiel anklammern und seinen Lauf hemmen kann. So verhält es sich gerade mit den großen Leidenschaften der Menschen und wir würden das Leben nur schlecht schildern, wenn wir in den an romantischem Stoffe reichsten Zeiten nicht auch den Mechanismus jener gemeinen Triebfedern des Unheils beschreiben wollten, die wir täglich in unsern Zimmern und an unsern Herden in Thätigkeit sehen. Gerade in diesen kleinen Intriguen des Lebens finden wir uns mit der Vergangenheit am meisten vertraut; wer sie vernachlässigt, ist nur ein Romanschreiber und spricht das Herz nicht an, weil er kein Gemälde desselben liefert.

Mit großer Schlauheit hatte er Egypter die schwache Seite Ione's angegriffen, mit überaus gewandter Hand den vergifteten Pfeil gegen ihren Stolz geschleudert. Er glaubte das unterdrückt zu haben, was er in Betracht der kurzen Zeit, die sich Ione und Glaukus kannten, nur für eine aufkeimende Liebe hielt und sprach nun sofort, zu einem andern Gegenstande übergehend, von ihrem Bruder. Das Gespräch dauerte jedoch nicht lang. Arbaces verließ die schöne Griechin mit dem festen Vorsatze, nicht mehr so lang wegzubleiben, sondern sie jeden Tag zu besuchen und zu überwachen.

Kaum hatte er sich aus Ione's Gegenwart entfernt, als der weibliche Stolz – die Verstellung ihres Geschlechts sein beabsichtigtes Opfer verließ und die hochstrebende Ione in leidenschaftliche Thränen zerfloß.


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