Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Zwölftes Kapitel.

Eine Welpe wagt sich in das Netz der Spinne.

Die Nacht des zweiten Gerichtstages war angebrochen, und es war so ziemlich um dieselbe Zeit, in welcher Sosia dem furchtbaren Unbekannten sich gegenüberstellen sollte, als durch dasselbe Gartenthor, das der Sklave offen gelassen hatte, zwar keiner von den geheimnisvollen Geistern der Erde oder Luft, wohl aber die schwere und höchst menschliche Gestalt des Isispriesters Kalenus trat. Er beobachtete kaum das bescheidene Opfer geringer Früchte und noch geringeren Weins, das der fromme Sosia für gut genug erachtet hatte, um den unsichtbaren Fremdling zu empfangen. »Ein Zoll für den Gartengott,« dachte er, »bei meines Vaters Haupt, wenn seine Göttlichkeit nie besser bedient wurde, so thäte er gut daran, das göttliche Handwerk aufzugeben; ach, wären wir Priester nicht, so hätten die Götter eine böse Zeit. Doch jetzt handelt es sich von Arbaces – mein Fuß betritt einen Sandboden, aber unter diesem Flugsand liegt ein Goldlager. Ich habe des Egypters Leben in meiner Gewalt – wie hoch wird er es wohl schätzen?«

Unter diesem Selbstgespräch schritt er durch den offenen Hof in das Peristyl, wo da und dort einige Lampen sich mit der Sternennacht um die Oberhand stritten und begegnete plötzlich dem Egypter, der aus einem der sich längs der Kolonnade hinziehenden Gemächer heraustrat.

»Ah, Kalenus – suchst Du mich?« fragte der Egypter mit etwas verlegener Stimme.

»Ja, weiser Arbaces – wie ich hoffe, kommt mein Besuch nicht zu ungelegener Stunde?«

»Nein – gerade vorhin nieste mein Freigelassener Kallias dreimal zu meiner rechten Seite; ich wußte also, daß mir etwas Gutes begegnen würde – und sieh, die Götter senden mir Kalenus.«

»Wollen wir nicht in die Zimmer hineingehen, Arbaces?«

»Wie Du willst; aber die Nacht ist klar und balsamisch – ich bin noch immer etwas ermattet von meiner letzten Krankheit – die Luft erfrischt mich – laß uns im Garten spaziren gehen – wir sind ja dort ebenfalls allein.«

»Von Herzen gern,« antwortete der Priester, und die zwei Freunde begaben sich langsam nach einer der Terrassen, die, von Marmorvasen und schlummernden Blumen umgeben, den Garten durchschnitten.

»Eine liebliche Nacht,« sagte Arbaces, »blau und schön wie die, in welcher ich vor zwanzig Jahren zum erstenmal Italiens Küste erblickte. Mein Kalenus, das Alter beschleicht uns – laß uns wenigstens fühlen, daß wir gelebt haben.«

»Du wenigstens kannst Dich dessen rühmen,« erwiederte Kalenus, nach einer Gelegenheit suchend, des Geheimnisses, das ihn drückte, sich zu entledigen, zugleich aber seine gewöhnliche Scheu vor Arbaces, durch den von dem Egypter angenommen, ruhigen und freundlichen Ton würdevoller Herablassung noch verstärkt fühlend – »Du wenigstens kannst Dich dessen rühmen. Dir fiel unermeßlicher Reichthum zu – ein Körper, durch dessen enggewobene Fibern keine Krankheit eindringen kann – glückliche Liebe – unerschöpflicher Genuß und sogar in dieser Stunde der Triumph der Rache.«

»Ah, Du sprichst vom Athener. Nun, morgen wird sein Todesurtheil ausgesprochen werden. Der Senat läßt keine Milderung eintreten. Aber Du irrst Dich – sein Tod gibt mir keine andere Befriedigung, als daß er mich von einem Nebenbuhler in Ione's Herz befreit. Ich hege keine weitere feindliche Gesinnung gegen diesen unglücklichen Mörder.«

»Mörder!« wiederholte Kalenus langsam und bedeutungsvoll, und heftete, während er sprach, seine Blicke auf Arbaces. Die Sterne schienen bleich und fest auf das stolze Antlitz ihres Propheten, aber sie verriethen keinen Wechsel auf demselben; enttäuscht und beschämt schlug Kalenus die Augen zu Boden, und fuhr hastig fort: »Mörder! Es ist gut, daß Du ihn dieses Verbrechens anklagst; aber Du weißt am Besten, daß er unschuldig ist.«

»Erklär Dich näher,« sagte Arbaces kalt; denn er hatte sich für einen derartigen Auftritt, den ihm seine geheimen Befürchtungen vorausgesagt, vorbereitet.

»Arbaces,« antwortete Kalenus, seine Stimme zu einem Flüstern herabsenkend; »ich war in dem Hain, verborgen durch die Kapelle und das umgebende Gebüsch; ich hörte, ich bemerkte Alles. Ich sah, wie Deine Waffe das Herz des Apäcides durchbohrte. Ich tadle die That nicht – sie vernichtete einen Feind und Abtrünnigen.«

»Du sahest das Ganze!« sagte Arbaces trocken; »das dachte ich mir – Du warst allein?«

»Allein!« antwortete Kalenus, erstaunt über des Egypters Ruhe.

»Und weshalb verbargst Du Dich um diese Stunde hinter der Kapelle?«

»Weil ich den Übertritt des Apäcides zum Glauben der Nazarener erfahren hatte – weil ich wußte, daß er auf dieser Stelle mit dem feurigen Olinth zusammentreffen sollte – weil sie dort einen Plan besprechen wollten, dem Volke die heiligen Mysterien unserer Gottheit zu enthüllen – ich war dort, ihr Vorhaben zu entdecken, um es zu vereiteln.«

»Hast Du eines Menschen Ohr gesagt, was Du gesehen?«

»Nein, mein Gebieter, das Geheimnis ist in Deines Dieners Brust verschlossen.«

»Wie! Selbst Dein Vetter Burbo ahnt es nicht? Komm, sag' die Wahrheit!«

»Bei den Göttern – –«

»Still! Wie kennen einander – was sind die Götter für uns?«

»Also, bei der Furcht vor Deiner Rache, Nein!«

»Und warum hast Du dieses Geheimnis bisher vor mir verborgen? Warum hast Du gewartet bis zum Vorabend der Verurtheilung des Atheners, ehe Du mir zu sagen wagtest, daß Arbaces ein Mörder ist? Und nun Du so lange gezögert, warum enthüllst Du mir jetzt Dein Wissen?«

»Weil – weil –« stammelte Kalenus erröthend und verlegen.

»Weil,« unterbrach ihn Arbaces mit freundlichem Lächeln, indem er den Priester freundlich und vertraulich auf die Schulter klopfte; »weil Du, mein Kalenus (sieh, jetzt will ich in Deinem Herzen lesen und seine Beweggründe erklären), weil Du wünschtest, ich möchte mich so sehr in die gerichtliche Verhandlung verwickeln, daß mir keine Hinterthüre zur Rettung offen bliebe – ich möchte des Meineides und der Bosheit sowohl als des Mordes schuldig befunden und nachdem ich die Blutgier des Volkes selbst gereizt, ohne daß mich Reichthum oder Macht zu schützen im Stande wären, das Opfer dieses Durstes werden. Und Du enthüllst mir Dein Geheimnis jetzt, ehe die Verhandlung zu Ende und der Unschuldige verurtheilt ist, um mir zu zeigen, welch schlaues Gewebe der Bosheit Dein Wort morgen zerreißen könnte – um in dieser entscheidenden Stunde den Werth Deines Stillschweigens zu erhöhen – um mir zu zeigen, daß die Kunst, mit der ich die Volkswuth aufgereizt, bei Deinem Zeugnis auf mein eigenes Haupt zurückfallen, und daß der Löwe, statt für Glaukus, für mich seinen Rachen öffnen würde! Nicht wahr, ich habe Recht?«

»Arbaces,« erwiderte Kalenus, die gemeine Frechheit seiner Natur verlierend, »fürwahr, Du bist ein Magier; Du liest im Menschenherzen, als ob es eine Papyursrolle wäre.«

»Das ist mein Beruf,« antwortete der Egypter, sanft lächelnd. »Wohlan denn, schweige und wenn Alles vorüber ist, will ich Dich reich machen.«

»Verzeih mir,« versetzte der Priester, dem die Habsucht, seine Hauptleidenschaft, zuflüsterte, keiner allenfallsigen zukünftigen Freigebigkeit zu vertrauen; »verzeih mir; mit Recht sagtest Du so eben, wir kennten einander. Wenn Du mein Schweigen Dir sichern willst, mußt Du etwas zum Voraus bezahlen, als ein Opfer für Harpokrates. Soll die Rose, das liebliche Sinnbild der Verschwiegenheit, feste Wurzeln schlagen, so begieße sie heute Nacht mit einem Strome Gold.«

»Witzig und poetisch,« antwortete Arbaces noch immer in jenem sanften Tone, der seinen habgierigen Gefährten einschläferte und ermuthigte, während er ihn hätte beunruhigen und zurückhalten sollen.

»Wozu dieser Verzug? Wenn ich einmal mein Zeugnis nicht ablegen kann, ohne die Schande auf mich zu laden, daß ich durch mein Zögern den Tod eines Unschuldigen zugegeben habe, dann vielleicht wirst Du meine Ansprüche vergessen, und in der That ist Dein gegenwärtiges Zaudern ein schlimmes Zeichen für Deine zukünftige Freigebigkeit.«

»Wohlan denn, Kalenus, was verlangst Du von mir?«

»Dein Leben ist sehr kostbar, und Dein Reichthum sehr groß,« erwiderte der Priester grinsend.

»Immer witziger. Aber sprich Dich aus – was soll die Summe sein?«

»Arbaces, ich habe gehört, in Deiner geheimen Schatzkammer unter diesen rohen oscischen Säulen, die Deine herrlichen Hallen stützen, bewahrest Du Haufen von Gold, Vasen und Juwelen, die den Gewölben des vergötterten Nero's den Rang streitig machen könnten. Von diesen Vorräthen nun kannst Du leicht so viel hinwegnehmen, um Kalenus zum reichsten Priester in Pompeji zu machen, ohne daß Du den Verlust spürst.«

»Komm, Kalenus,« sprach Arbaces mit freundlichem Tone und mit der Miene der Offenherzigkeit und Großmuth: »Du bist ein alter Freund und warst mir ein getreuer Diener. Es kann ebensowenig Dein Wunsch sein, mir das Leben zu nehmen, als der meinige, Dir Deinen Lohn vorzuenthalten; Du sollst mit mir in dieselbe Schatzkammer, deren Du vorhin erwähntest, hinabsteigen; sollst Dein Auge am Glanz von ungezähltem Gold und am Funkeln unschätzbarer Edelsteine weiden, und heute Nacht schon zu Deinem Lohne so viel hinwegtragen, als Du unter Deinem Gewande verbergen kannst. Und hast Du einmal gesehen, wie viel Dein Freund besitzt, wirst Du auch ermessen, wie thöricht es wäre, feindlich gegen einen Mann aufzutreten, der so viel zu verschenken hat. Ist Glaukus nicht mehr, sollst Du dem Gewölbe einen zweiten Besuch abstatten. Spreche ich nicht offen und als Freund?«

»Oh, größter, edelster der Menschen!« rief Kalenus fast weinend vor Freude. »Kannst Du meine kränkenden Zweifel an Deiner Gerechtigkeit und Großmuth also verzeihen?«

»Still, hier wollen wir einlenken und zu den oscischen Bögen hinabsteigen.«


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