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Ungeduldig, zu erfahren, ob der grausame Trank von Julia seinem verhaßten Nebenbuhler bereits beigebracht worden sei und mit welcher Wirkung, beschloß Arbaces, sich bei dem Einbruch des Abends nach dem Hause Diomeds zu begeben und seine Neugierde zu befriedigen. Wie bereits angeführt, war es zu jener Zeit üblich, daß die Männer auf ihren Ausgängen die Schreibtafel und den Stylus, an ihrem Gürtel befestigt, bei sich trugen, die mit dem Gürtel auch zu Hause wieder abgelegt wurden. Unter dem Anscheine eines Schreibinstrumentes aber führten die Römer eine sehr scharfe und fürchterliche Waffe bei sich. Gerade mit einem solchen StylusVon diesem Stylus stammt wahrscheinlich das Stilet der Italiener ab. erstach Cassius den Cäsar im Senat.
Nachdem er also Gürtel und Mantel angelegt, verließ Arbaces sein Haus, stützte seine Schritte, die noch immer etwas schwach waren (obgleich Hoffnung und Rache in Verbindung mit seiner eigenen tiefen, ärztlichen Kenntnis dazu beigetragen hatten, ihm seine natürliche Kraft wiederzugeben) auf seinen langen Stab, und schlug den Weg nach der Villa des Diomed ein.
Schön ist fürwahr das Mondlicht des Südens! In diesem Klima tritt die Nacht so schnell an die Stelle des Tages, daß Dämmerung kaum eine Brücke zwischen ihnen bildet. Ein Augenblick dunkleren Purpurs am Horizont – tausend rosiger Tinten im Wasser – eines über das Licht halb siegreichen Schattens – und dann brechen auf einmal hervor die zahllosen Sterne – der Mond ist da – die Nacht hat ihre Herrschaft wieder angetreten.
Glänzend also, und sanft glänzend, fielen die Mondstrahlen auf den alten der Cybele geweihten Hain; die stattlichen, uralten Bäume warfen ihre langen Schatten auf den Boden, während durch die Öffnungen in den Zweigen zahllose Sterne still herabschienen. Die weiße Farbe des kleinen Sacellums in der Mitte des Hains, umgeben von dem dunkeln Laube, hatte etwas Unerwartetes und Abschreckendes an sich; sofort erinnerte es an den Zweck, dem das Gehölz geweiht war, seine Heiligkeit und seine Feierlichkeit.
Mit schnellen und verstohlenem Schritt erreichte Kalenus, unter dem Schatten der Bäume hingleitend, den Tempel, schob die Zweige, die seiner hintere Seite rings umgaben, sachte zurück und nahm sein Plätzchen in seinem Verstecke ein, das durch den Tempel vorne und die Bäume hinten so gesichert war, daß kein Vorübergehender ihn irgend entdecken konnte, wofern er nicht etwa zuvor schon Verdacht gehegt hätte. Abermals war anscheinend Alles einsam in dem Hain; aus der Ferne hörte man schwach die Stimmen einiger lärmender Schwärmer, oder die Musik, die hinter den Gruppen spielte, welche damals wie noch heute unter jenem Himmel während der Sommernächte in den Straßen verwelkten und der frischen Luft und des sanften Mondlichtes eines milderen Tages genossen.
Von der Höhe, auf welcher der Hain sich befand, sah man durch die Zwischenräume des Gehölzes die breite, purpurne, in der Ferne sich kräuselnde See, die weißen Villen von Stabäa an der geschweiften Küste und die dämmerigen lactiarischen Berge in den herrlichen Himmel verschwimmend. In diesem Augenblicke trat die hohe Gestalt des Arbaces auf seinem Wege nach dem Hause des Diomed in das Wäldchen ein, und in derselben Minute kreuzte Apäcides, seiner Verabredung mit Olinth gemäß, den Pfad des Egypters.
»He, Apäcides,« rief Arbaces, der den Priester auf den ersten Blick erkannte; »als wir uns das letztemal trafen, warst Du mein Feind. Ich habe seitdem gewünscht, Dich zu sehen, denn ich möchte Dich noch immer zu meinem Freund und Zögling haben.«
Apäcides fuhr bei der Stimme des Egypters auf, hielt plötzlich an und betrachtete ihn mit einem Gesicht, auf welchem sich Bitterkeit und Verachtung stritten.
»Elender Betrüger,« sagte er endlich, »Du bist also dem Rachen des Grabes entgangen? Glaube übrigens nicht, mich aufs Neue mit Deinem sündhaften Gewebe zu umstricken zu können. Retiarius, ich bin gegen Dich gewaffnet!«
»Still,« sagte Arbaces mit sehr leiser Stimme, aber der Stolz, der in diesem Abkömmlinge von Königen groß war, verrieth die Wunde, die ihm die Schimpfworte des Priesters beigebracht, durch das Zittern seiner Lippen und das Erröthen seiner dunklen Stirne.
»Stille, leiser, man könnte Dich hören, und wenn andere Ohren als die meinigen diese Töne einsögen – dann –«
»Drohest Du? – Was wäre es, wenn mich die ganze Stadt gehört hätte?«
»Dann würden die Manen meiner Vorfahren nicht dulden, daß ich Dir vergebe. Aber halt und höre mich, Du bist wüthend, daß ich gegen Deine Schwester Gewalt versucht habe – ruhig, ruhig, nur einen Augenblick, ich bitte Dich. Du hast Recht, es war die Raserei der Leidenschaft und der Eifersucht – ich habe meine Verrücktheit bitter bereut. Vergib mir; ich, der ich nie einen Menschen auf Erden um Verzeihung bat, flehe Dich jetzt an, mir zu vergeben. Noch mehr, ich will die Schmach wieder gut machen, ich fordere Deine Schwester zur Ehe. Erschrick nicht, bedenke wohl; was ist die Verbindung mit jenem obscuren Griechen im Vergleich zu der mit mir? Unbeschränkter Reichthum – eine Abstammung, die durch ihr hohes Alter Eure griechischen und römischen Namen zu denen von gestern macht – ein Wissen – doch das weißt Du ja. Gib mir Deine Schwester, und mein ganzes Leben soll die Verirrung eines Augenblicks gut machen.«
»Wollte ich auch meine Zustimmung geben, Egypter, so ist doch die Luft sogar, die Du einathmest, meiner Schwester ein Abscheu; aber auch ich habe Dir manches, mir persönlich widerfahrenes Unrecht zu vergeben – daß Du mich zu einem Werkzeuge Deiner Betrügereien gemacht hast, kann ich Dir verzeihen, nie jedoch, daß Du mich verleitet, ein Genosse Deiner Laster zu werden – ein befleckter und meineidiger Mensch. Zittere, denn gerade jetzt bereite ich die Stunde vor, in welcher Du und Deine falschen Götter enthüllt werden sollen. Das Tageslicht wird kommen Dein ausschweifendes und circeisisches Leben – bloßgestellt die Mumerei Deiner Orakel; der Tempel der abgöttischen Isis soll zum Sprüchwort des Spottes und der königliche Name des Arbaces zur Zielscheibe für das Hohngezisch der Verwünschung werden. Zittere!«
Der Röthe auf der Stirn des Egypters folgte die Leichenfarbe des Todes. Er spähte nach allen Seiten, um sich zu versichern, daß Niemand in der Nähe sei, und richtete dann sein dunkles und großes Auge so zornig und drohend auf den Priester, das vielleicht nur ein Mensch, der wie Apäcides von dem glühenden Muth eines göttlichen Eifers beseelt war, diesen finsteren Blick mit fester Stirne ertragen konnte. Unter diesen Umständen jedoch hielt ihn der junge Neubekehrte nicht nur aus, sondern erwiderte ihn sogar mit einem Auge, worin stolze Herausforderung lag.
»Apäcides,« sprach der Egypter mit zitternder und leiser Stimme, »nimm Dich in Acht! Was hast Du im Sinn? Sprachst Du – bedenke wohl, ehe Du antwortest – sprachst Du von augenblicklichem Zorn angetrieben, ohne damit einen bestimmten Entschluß anzudeuten, oder hast Du Dir etwa schon einen Plan ausgedacht?«
»Ich spreche unter der Eingebung des wahren Gottes, dessen Diener ich nun bin,« sprach der Christ kühn, »und im Bewußtsein, daß durch seine Gnade menschlicher Muth Deiner Heuchelei und Deinem Götzendienst ein Ziel gesteckt hat; noch ehe die Sonne dreimal aufgegangen, wirst Du Alles erfahren! Dunkler Zauberer, zittere und lebe wohl!«
All die wilden und düsteren Leidenschaften, die er von seinem Volk und Land geerbt und jederzeit unter listiger Sanftmuth und philosophischer Kälte nur schlecht verbarg, waren jetzt in des Egypters Brust entfesselt. Hastig, jagte ein Gedanke den andern; vor sich sah er in Apäcides eine hartnäckige Schranke, die selbst eine gesetzliche Verbindung mit Ione verhinderte – den Bundesgenossen des Glaukus in dem Kampfe, der seine Pläne vereitelt hatte – den Schmäher seines Namens – den drohenden Entweiher der Göttin, der er, obgleich er nicht an sie glaube, diente – den geständigen und nahen Enthüller seiner eigenen Betrügereien und Laster. Seine Liebe, sein Ruf, ja selbst sein Leben konnte in Gefahr schweben – Tag und Stunde sogar zu einem Anschlag gegen ihn schienen bereits festgesetzt. Aus den Worten des Neubekehrten entnahm er, daß Apäcides zum christlichen Glauben übergegangen war; den unbezähmbaren Eifer aber, der die Proselyten dieses Glaubens antrieb, kannte er. So war sein Feind beschaffen; er griff nach seinem Stylus – dieser Feind war in seiner Gewalt! Jetzt stunden sie vor der Kapelle; noch einmal blickte er hastig umher; Niemand war in der Nähe zu sehen, Stille und Einsamkeit führten ihn in Versuchung.
»Stirb also in Deiner Tollkühnheit,« murmelte er; »hinweg Du Hindernis meines Geschickes!«
Und gerade als der junge Christ sich umgewandt hatte, um fortzugehen, erhob Arbaces seine Hand hoch über die linke Schulter des Apäcides und stieß die scharfe Waffe zweimal in seine Brust.
Mit durchbohrtem Herzen stürzte Apäcides nieder, stumm, ohne einen Seufzer sogar, gerade am Fuß der heiligen Kapelle.
Einen Augenblick schaute ihn Arbaces an, mit der wilden thierischen Freude des Sieges über einen Feind. Abe sofort drängte sich ihm das volle Bewußtsein der Gefahr, der er ausgesetzt war, auf; sorgfältig wischte er seine Waffe im langen Gras und sogar an den Kleidern seines Opfers ab, hüllte sich in seinen Mantel und wollte eben fortgehen, als er gerade vor sich die Gestalt eines jungen Mannes heraufkommen sah, dessen Schritte seltsam schwankten; das ruhige Mondlicht strömte voll auf das Gesicht des Herannahenden, das durch den bleichenden Strahl weiß wie Marmor schien. Der Egypter erkannte die Gestalt und die Züge des Glaukus. Der unglückliche, in geistige Dunkelheit gehüllte Grieche sang ein unzusammenhängendes, wahnwitziges Lied, aus Bruchstücken von Hymnen und heiligen Oden bestehend, wie sie die umnachtete Aufregung augenblicklich eingab.
»Ha,« dachte der Egypter, seinen Zustand und dessen schreckliche Ursache sofort erratend, »so wirkt also der Höllentrank und das Schicksal hat Dich hierhergesendet, damit ich zwei meiner Feinde zugleich vernichte!«
Schnell, und ehe dieser Gedanke ihm gekommen war, hatte er sich auf eine Seite der Kapelle zurückgezogen und unter den Zweigen verborgen; von diesem Versteck aus lauerte er, wie der Tiger auf seinem Lager, auf die Annäherung seines zweiten Opfers. Er bemerkte das unstäte Feuer in den hellen und schönen Augen des Atheners, die Krämpfe, die seine herrlichen Züge und seine farblosen Lippen verzerrten. Er sah, daß der Grieche seiner Vernunft gänzlich beraubt war. Als Glaukus jedoch der Leiche des Apäcides sich näherte, aus welcher der dunkelrothe Strom langsam über das Gras hinfloß, ergriff ihn gleichwohl, so verwirrt und verdunkelt auch sein Bewußtsein war, ein so sonderbarer und schrecklicher Anblick gewaltig. Er hielt an, legte die Hand an die Stirne, als wolle er sich sammeln, und sagte dann: »He, Endymion, schläfst Du so fest, was hat Selene Dir gesagt? Du machst mich eifersüchtig, es ist Zeit zu erwachen.«
Mit diesen Worten beugte er sich, in der Absicht, den Leichnam aufzuheben.
Seine eigene Schwäche vergessend und sie nicht fühlend, sprang der Egypter aus seinem Versteck hervor und versetzte dem Griechen, während er sich niederbeugte, einen so gewaltigen Streich, daß er gerade über den Leichnam des Christen hinfiel; dann schrie er mit seiner kräftigen Stimme so laut er konnte: »Holla, Bürger, holla, Hülfe! hierher, hierher, ein Mord – ein Mord – dicht vor Eurem Tempel! Hülfe, oder der Mörder entrinnt!«
Also rasend setzte er seinen Fuß auf die Brust des Glaukus; eine leere und überflüssige Vorsicht, denn durch die Wirkung des Trankes und des Falles lag der Grieche regungslos und bewußtlos da, ausgenommen, daß dann und wann unbestimmte, wahnsinnige Laute seinen Lippen entschlüpften.
Während Arbaces hier stund, in Erwartung Derer, die seine Stimme herbeigerufen fortfuhr, stellten sich vielleicht Reue und Gewissensbisse in seiner Brust ein; denn trotz seiner Verbrechen fühlte er menschlich. Der wehrlose Zustand des Glaukus, seine sinnlosen Worte, seine zerrüttete Vernunft rührten ihn mehr sogar als der Tod des Apäcides, und halb hörbar sagte er zu sich selbst: »Armer Staub – arme menschliche Vernunft! Wo ist jetzt die Seele? Ich könnte Dich schonen, mein Nebenbuhler – hinfort nicht mehr mein Nebenbuhler! Aber das Geschick muß erfüllt werden; meine Sicherheit erheischt Deine Opferung,« und jetzt schrie er, als wollte er die Stimme seines Gewissens übertäuben, noch lauter, zog aus dem Gürtel des Glaukus den dort befindlichen Stylus hervor, tauchte ihn in das Blut des Ermordeten und legte ihn neben den Leichnam.
Schnell und athemlos eilten jetzt mehre Bürger herbei, einige mit Fackeln versehen, die der Mond zwar unnöthig machte, die aber einen rothen und zitternden Schimmer gegen das dunkle Laub der Bäume warfen. Alle umgeaben den Ort.
»Hebt jene Leiche auf,« sagte der Egypter, »und bewacht den Mörder gut.«
Sie erhoben den Körper, und groß war ihr Entsetzen und ihre fromme Entrüstung, als sie in diesem leblosen Staube einen Priester der angebeteten und verehrungswürdigen Isis entdeckten; aber noch größer vielleicht ihr Erstaunen, als sie in dem Angeklagten den glänzenden und bewunderten Athener erkannten.
»Glaukus,« riefen die Umstehenden einstimmig, »ist es möglich?«
»Eher,« flüsterte Einer seinem Nachbar zu, »möchte ich glauben, daß der Egypter selbst der Mörder ist.«
Hier brach sich ein Centurio mit einem Wesen von Autorität durch die immer zunehmende Menge Bahn.
»Wie, Blut vergossen? Wer ist der Mörder?«
Die Umstehenden deuteten auf Glaukus.
»Der – beim Mars, der sieht eher aus, als ob er das Opfer wäre! Wer klagt ihn an?«
»Ich,« sagte Arbaces, sich stolz emporrichtend, und die Juwelen, die sein Kleid schmückten und den Augen des Soldaten entgegenfunkelten, überführten diesen würdigen Krieger sofort von der Achtungswürdigkeit des Zeugen.
»Verzeihe mir – Dein Name?« fragte er.
»Arbaces. Er ist, glaube ich, in Pompeji wohl bekannt. Als ich durch den Hain ging, erblickte ich den Griechen und den Priester in eifrigem Gespräche vor mir. Die wankenden Bewegungen des ersten, seine heftigen Geberden und seine laute Stimme machten mich aufmerksam; er schien mir entweder betrunken, oder wahnsinnig zu sein. Plötzlich sah ich ihn seinen Stylus schwingen – ich sprang vor, jedoch zu spät, den Stoß aufzuhalten. Zweimal hat er sein Opfer durchbohrt und beugte sich gerade über dasselbe, als ich in Abscheu und Entrückung den Mörder zu Boden schlug. Er fiel ohne Widerstand, was mich noch mehr in der Vermuthung bestärkt, daß er bei Begehung des Verbrechens nicht ganz bei Sinnen war; denn da ich kaum erst von einer schweren Krankheit wieder genesen bin, war mein Streich natürlich nur schwach, Glaukus aber ist, wie Du siehst, jung und kräftig.«
»Seine Augen sind jetzt offen – seine Lippen bewegen sich,« sagte der Soldat; »sprich, Gefangener, was erwiderst Du auf die Anklage?«
»Die Anklage, ha, ha! Nun, es war eine lustige Geschichte – als die alte Hexe ihre Schlange auf mich losließ und Hekate daneben stund, von einem Ohr zum andern lachend – was konnte ich thun? Aber ich bin krank – mir wird übel – der Schlange feurige Zunge hat mich gestochen. Bringt mich zu Bett und schickt nach dem Arzt; der alte Äskulap selbst wird mich pflegen, wenn Ihr ihm sagt, daß ich ein Grieche bin. O Erbarmen, Erbarmen, ich brenne – in Mark und Gehirn tobt die Flamme!«
Und mit durchdringendem und wildem Gestöhn sank der Athener in die Arme der Umstehenden zurück.
»Er rast,« sagte der Krieger mitleidig, »und in seiner Wuth hat er den Priester erschlagen. Hat ihn Jemand unter Euch heute gesehen?«
»Ich,« antwortete einer der Zuschauer, »erblickte ihn diesen Morgen. Er ging an meiner Bude vorbei und redete mich an. Er schien so wohl und gesund, wie der Kräftigste von uns.«
»Und ich,« fiel ein Anderer ein, »sah ihn vor einer halben Stunde; er lief durch die Straßen und sprach unter seltsamen Geberden mit sich selbst, ganz wie es der Egypter beschrieben hat.«
»Dies bestärkt also sein Zeugnis; es muß richtig sein. Glaukus muß auf jeden Fall vor den Prätor; es ist Schade, so jung und reich; aber das Verbrechen ist fürchterlich; einen Priester der Isis in seinem Gewande, und dicht an unserer ältesten Kapelle sogar, zu ermorden!
Bei diesen Worten wurde die Menge kräftiger, als sie es in ihrer Aufregung und Neugierde bis daher gewesen war, an die Abscheulichkeit einer Tempelschändung erinnert. In frommem Abscheu schauderten Alle.
»Kein Wunder, daß die Erde bebte,« rief Einer, »als sie ein solches Ungeheuer trug.«
»Fort mit ihm, ins Gefängnis – fort!« schrien Alle. Eine einzige Stimme aber tönte scharf und freudig aus den übrigen heraus: »Die wilden Thiere haben jetzt keinen Gladiator nöthig!«
Tripp, trapp, sie schreiten mit stolzem Gefühl
Juchheißa, zum lustigen, lustigen Spiel!
Es war die Stimme des jungen Mädchens, deren Gespräch mit Medon wir bereits berichteten.
»Ja, ja – das kommt gerade recht für die Spiele,« – riefen verschiedene, und bei diesen Gedanken schien alles Mitleid für den Angeklagten zu verschwinden. Seine Jugend, seine Schönheit machten ihn nur um so geeigneter für die Arena.
»Bringt einige Bretter her, oder eine Sänfte, wenn sie bei der Hand ist, um den Todten zu tragen,« sagte Arbaces; »ein Priester der Isis darf nicht wie ein geschlachteter Gladiator von gemeinen Händen in seinen Tempel gebracht werden.«
Bei diesen Worten legten die Anwesenden den Leichnam des Apäcides ehrerbietig, mit dem Gesicht nach oben, auf den Boden und einige eilten fort, irgend einen Apparat aufzusuchen, um den Ermordeten, unberührt von profanen Händen, forttragen zu können.
Gerade in diesem Augenblicke machte die Menge einer stämmigen Gestalt Platz, die sich mitten durchdrängte und der Christ Olinth stund unmittelbar dem Egypter gegenüber. Anfänglich ruhten jedoch seine Augen mit unaussprechlichem Schmerz und Schrecken auf der blutigen Brust und dem nach Oben gewandten Antlitz, das die Quaal eines gewaltsamen Todes noch immer zeigte.
»Ermordet,« sagte er, »hat Dich Dein Eifer dahin gebracht? Habe sie Dein edles Vorhaben entdeckt und sind sie ihrer eigenen Schande durch Deinen Tod zuvorgekommen?«
Plötzlich wandte er sein Haupt und seine Augen fielen auf die ernsten Züge des Egypters.
Während er diesen betrachtete, konnte man in seinem Gesichte und sogar in dem leichten Schauder, der ihn durchzuckte, den Widerwillen und Abscheu lesen, den der Christ gegen einen Mann fühlte, den er als so gefährlich und verbrecherisch kannte. Es war in der That der Blick des Vogels auf den Basilisken, so still und anhaltend war er. Aber des plötzlichen, unheimlichen Gefühles, das ihn beschlichen, sich bemeisternd, streckte Olinth seinen rechten Arm gegen Arbaces aus und sprach mit tiefer und lauter Stimme: »Mord ist begangen worden an dieser Leiche! Wo ist der Mörder? Tritt hervor, Egypter! Denn so wahr der Herr lebt, ich glaube, Du bist der Thäter!«
Für einen Augenblick konnte man einen ängstlichen und unruhigen Wechsel auf den dunklen Zügen des Arbaces bemerken, der übrigens den grimmigen Ausdruck der Entrüstung und Verachtung wich, sobald, erschreckt und aufmerksam gemacht durch dieses plötzliche und unumwundene Anklage, die Zuschauer sich immer näher um die zwei Hauptpersonen der Trauerscene drängten.
»Ich weiß,« entgegnete Arbaces stolz, »wer mein Ankläger ist, und ich kann mir auch wohl denken, weshalb er mich also beschuldigt. Männer und Bürger wisset, daß dieser Mensch der erbitterste der Nazarener oder Christen ist, welches von diesen beiden nun ihr eigentlicher Name sein mag! Was Wunder, daß er in seiner Bosheit sogar einen Egypter der Ermordung eines egyptischen Priesters zu beschuldigen wagt!«
»Ich kenne ihn! Ich kenne den Hund!« brüllten verschiedene Stimmen; »es ist Olinth, der Christ oder vielmehr der Atheist – er läugnet die Götter.«
»Seid ruhig, Brüder,« sprach Olinth mit Würde, »und höret mich. Dieser ermordete Isispriester hat vor seinem Tode den christlichen Glauben angenommen – mir entdeckte er die schwarzen Sünden, die Zaubereien jenes Egypters – das Gaukelspiel und die Täuschungen des Isistempels. Er stund auf dem Sprunge, sie an den Pranger der Öffentlichkeit zu stellen. Wer solle auch ihn, einen Fremden, der Niemanden etwas zu Leide that und keine Feinde hatte, wer sollte ihn ermorden, als einer von Denen, die sein Zeugnis fürchteten? Und wer hatte dieses Zeugnis am meisten zu fürchten? – Arbaces der Egypter!«
»Ihr hört ihn,« rief Arbaces, »Ihr hört ihn; er stößt Gotteslästerung aus! Fragt ihn, ob er an Isis glaube?«
»Ob ich an einen bösen Geist glaube?« entgegnete Olinth keck.
Die ganze Versammlung zitterte und stieß einen gewaltigen Seufzer aus.
Durch nichts eingeschüchtert – denn er war stets auf jede Gefahr gefaßt und setzte in der Aufregung des Augenblicks alle Klugheit hintan – fuhr der Christ fort: »Zurück, Götzendiener! Diese Leiche gehört nicht Euren eiteln und befleckenden Gebräuchen an – uns, den Nachfolgern Christi, steht es zu, einem Christen den letzten Liebesdienst zu erweisen. Ich fordere diesen Staub im Namen des großen Schöpfers, der den Geist wieder zu sich genommen hat!«
Mit so feierlichem und gebietendem Ton und Ansehen sprach der Christ diese Worte, daß selbst die Menge es nicht wagte, die Verwünschungen der Furcht und des Hasses, die ihr Herz erfüllten, laut auszusprechen. Und wie vielleicht seit Lucifer und der Erzengel um den Leichnam des gewaltigen Gesetzgebers stritten, gab es einen ergreifenderen Gegenstand für den Geist eines Malers, als diese Scene. Die dunklen Bäume – der herrliche Tempel – der volle Mond auf dem Leichnam des Ermordeten – die Fackeln im Hintergrunde wild hin und hertreibend – die verschiedenen Gesichter der bunten Zuhörerschaft – die leblose Gestalt des Atheners in der Ferne: im Vordergrund aber und als Hauptfiguren Arbaces und der Christ; Ersterer, zu seiner vollen Größe aufgerichtet, seine ganze Umgebung weit überragend, die Arme über einander gelegt, die Stirne gerunzelt, die Augen starr, die Lippen von Trotz und Verachtung leicht gekrümmt; Letzterer, auf einer abgelebten und gefurchten Stirne die Majestät einer gleichen Herrschermacht tragend – die Züge ernst, aber frei – die Miene kühn, aber offen – der ruhigen Würde der kühnen Gestalt ein unaussprechlicher Ernst eingeprägt, den ein heiliges Mitgefühl des Schauders, den er hervorgerufen, gewissermaßen milderte; die linke Hand auf die Leiche zeigend, die rechte aber zum Himmel erhoben.
Der Centurio drängte sich von neuem vor.
»Die erste Frage, die ich an Dich richten muß, ist: Hast Du, Olinth, oder wie Du heißen magst, außer Deinem unbestimmten Verdacht einen weiteren Beweis für Deine gegen Arbaces erhobene Beschuldigung?«
Olinth blieb still; der Egypter lachte höhnisch.
»Forderst Du den Leichnam des Isispriesters als den eines Mitgliedes der nazarenischen oder christlichen Sekte?«
»Allerdings.«
»Schwöre also bei jenem Tempel, jener Statue der Cybele, bei dem ältesten Sacellum in Pompeji, daß der verstorbene Euren Glauben angenommen.«
»Thörichter Mensch, ich verläugne Eure Götzen, ich verabscheue Eure Tempel! Wie kann ich also bei Cybele schwören?«
»Fort, fort mit dem Atheisten, fort. Die Erde wird uns verschlingen, wenn wir solche Gotteslästerungen in einem geheiligten Haine zulassen – fort mit ihm zum Tode!«
»Für die wilden Thiere!« fügte eine weibliche Stimme mitten aus der Menge hinzu; »jetzt haben wir ein Stück für den Löwen und eines für den Tiger!«
»Wenn Du, o Nazarener, an Cybele nicht glaubst, welche unserer Gottheiten erkennst Du an?« begann der Krieger von Neuem, ohne sich durch das Geschrei des Volkes irre machen zu lassen.
»Keine.«
»Hört ihn, hört ihn!« schrie die Menge.
»O Eitle und Blinde!« fuhr der Christ, seine Stimme erhöhend, fort; »könnt Ihr an Bilder von Holz und Stein glauben? Bildet Ihr Euch ein, sie haben Augen zu sehen, Ohren zu hören, Hände Euch zu helfen? Ist jenes stumme, durch menschliche Kunst geschnitzte Ding eine Gottheit? – Hat es Menschen geschaffen? – Ach, von Menschen wurde es geschaffen. Seht, überzeugt Euch selbst von seiner Nichtigkeit – von Eurer Thorheit!«
Während er also sprach, schritt er auf den Tempel zu, und ehe einer der Umstehenden seine Absicht errathen konnte, stürzte er in seinem Mitleid oder Eifer die hölzerne Statue von ihrem Fußgestell herab.
»Seht,« rief er, »Eure Göttin vermag sich nicht zu rächen. Ist dies ein Gegenstand zur Anbetung?«
Weiter durfte er nicht reden; eine so gerade und freche Tempelschändung, zumal an einem der heiligsten Andachtsorte begangen, erfüllte selbst die lauesten mit Wuth und Abscheu. Einmüthig stürzte die Menge auf ihn, packte ihn und würde ihn, ohne das Einschreiten des Centurio's, in Stücke zerrissen haben.
»Ruhe,« sprach der Soldat gebieterisch; »überliefern wir diesen unverschämten Gotteslästerer dem betreffenden Gericht; schon haben wir zu viele Zeit verloren. Bringen wir also die beiden Schuldigen vor die Obrigkeit; legt den Körper des Priesters auf die Sänfte und tragt ihn in seine eigene Wohnung.«
In diesem Augenblick trat ein Priester der Isis vor:
»Ich fordere diese Ueberreste nach dem Brauche unserer Priesterschaft.«
»Das Begehren des Flamen werde erfüllt,« entgegnete der Centurio; »wie geht's mit dem Angeklagten?«
»Er ist bewußtlos oder schläft.«
»Wäre sein Verbrechen geringer, ich könnte ihn bemitleiden – vorwärts –«
Als sich Arbaces umwandte, begegnete er dem Blicke des Isispriesters – es war Kalenus, und in diesem Blicke lag etwas so Ausdrucksvolles und Unheimliches, daß der Egypter vor sich hinsagte: »Sollte er die That mit angesehen haben?«
Ein Mädchen drängte sich aus der Menge hervor und schaute Olinth fest in's Gesicht: »Beim Jupiter, ein stämmiger Bursche! Jetzt haben wir also einen Mann für den Tiger – für jedes Thier einen – Juchheisa.«
»Juchheisa!« schrie das Volk, »einen Mann für den Löwen und einen für den Tiger. Welch ein Glück! Juchheisa!«