Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Siebenzehntes Kapitel.

Ein Wechsel für Glaukus.

In langsamer Qual strichen die Stunden über dem Hause Nydia's hin, seit sie wieder in ihre Zelle gebracht worden war.

Als befürchte er von Neuem überlistet zu werden, hatte Sosia sie erst spät am Morgen des folgenden Tages wieder besucht und auch dann nur den Korb mit Speise und Wein hereingestellt und die Thüre schnell wieder verschlossen. Der Tag verstrich und Nydia fühlte sich gerade in der Stunde, wo über Glaukus das Urtheil gesprochen werden sollte, und ihre Freiheit ihn gerettet hätte, hinter unerbittlichen Riegeln! Im Bewußtsein jedoch, daß, obwohl ihre Entweichung beinahe unmöglich schien, die einzige Möglichkeit der Rettung des Glaukus auf ihr beruhte, beschloß das junge Mädchen, trotz ihrer Schwäche und der leichten Reizbarkeit ihres Gemüthes sich keiner Verzweiflung hinzugeben, die sie unfähig machen würde, eine sich vielleicht noch darbietende Gelegenheit zu ergreifen. Sie behielt ihre Besinnung, so oft diese auch unter dem Strudel unverträglicher Gedanken kreiste und schwankte; ja, sie nahm Speise und Trank, damit es ihr nicht an Kräften fehlen – damit sie bereit sein möchte!

Plan auf Plan zur Flucht wälzte sie in ihrem Geiste umher und jeden mußte sie wieder aufgeben. Sosia blieb ihre einzige Hoffnung, das einzige Werkzeug, das sie für sich zu gewinnen suchen konnte. Er war abergläubisch gewesen in der Hoffnung, zu erfahren, ob er eines Tages seine Freiheit erkaufen könne. Große Götter! Konnte er nicht durch das Geschenk der Freiheit selbst gewonnen werden? War sie nicht beinahe reich genug, ihm diese zu erkaufen? Ihre zarten Arme waren mit den Bändern, die ihr Ione geschenkt, bedeckt und um ihren Hals trug sie noch jene Kette, die, wie sich der Leser erinnern wird, ihren eifersüchtigen Streit mit Glaukus veranlaßt und die sie sodann immer zu tragen gelobt hatte. Mit heißer Sehnsucht wartete sie auf Sosia's Wiederkehr; als aber Stunde um Stunde entrann, und er nicht kam, da ward sie ungeduldig. Jede Nerve zuckte fieberhaft; es war ihr unmöglich, die Einsamkeit länger zu ertragen – sie stöhnte, sie schrie laut – sie stieß mit ihrem Kopfe gegen die Thüre. Ihr Geschrei hallte weit hin und Sosia eilte höchst erzürnt herbei, um zu sehen, was es denn gebe, und um seine Gefangene wo möglich zum Stillschweigen zu bringen.

»Ho, ho! was soll dies?« fragte er finster. »Junge Sklavin, wenn Du so schreist, müssen wir Dich knebeln. Meine Schultern müßten dafür büßen wenn mein Herr Dich hörte.«

»Lieber Sosia, zank' mich nicht – ich kann's nicht aushalten, so lang allein zu bleiben,« antwortete Nydia, »die Einsamkeit beängstigt mich. Ich bitte Dich, sitze nur einen Augenblick zu mir. Fürchte nicht, daß ich zu entweichen versuche; stelle Deinen Stuhl vor die Thüre – richte das Auge auf mich – ich will mich nicht von der Stelle bewegen.«

Sosia, selbst ein gewaltiger Freund vom Plaudern, wurde durch diese Anrede gerührt. Er bemitleidete ein Wesen, das Niemand zum Plaudern hatte – denn er befand sich in derselben Lage; er fühlte Mitleid und beschloß, sich selbst von der Qual zu befreien. Nydia's Wink ergreifend, setzte er einen Stuhl vor die Thüre, lehnte den Rücken gegen dieselbe und antwortete: »Ich will gewiß nicht unfreundlich gegen Dich sein, und so lange es sich nur um ein unschuldiges Geplauder handelt, gerne Deinem Wunsch entsprechen. Aber merk Dir's, keine Schliche, keine Geisterbeschwörungen mehr!«

»Nein, nein; sag' mir, lieber Sosia, was ist die Stunde?«

»Es ist schon Abend – die Ziegen gehen nach Haus.«

»O Götter, wie gings beim Gericht?«

»Beide verurtheilt!«

Nydia unterdrückte den Klageruf. »Gut, gut, ich dachte mir, es würde so gehen. Wann sollen sie den Tod erleiden?«

»Morgen im Amphitheater; wenn Du nicht wärest, armer Schelm, so dürfte ich auch mit den Übrigen hingehen und zuschauen.«

Nydia lehnte sich für einige Augenblicke zurück. – Die Natur vermochte nicht weiter zu ertragen – sie war ohnmächtig geworden. Aber Sosia bemerkte es nicht, denn es war Abenddämmerung und er voll von den über ihn selbst verhängten Entbehrungen. Er ergoß sich in Wehklagen über den Verlust eines so herrlichen Schauspiels und beschuldigte den Arbaces der grausamsten Ungerechtigkeit, daß er gerade ihn aus allen seinen Kameraden zum Kerkermeister gestempelt habe. Ehe er jedoch sein Herz völlig ausgeschüttet, war Nydia mit einem tiefen Seufzer wieder zu sich gekommen.

»Du seufzest über mein Mißgeschick, meine Blinde, gut, das ist doch einiger Trost; so lange Du anerkennst, was Du mich kostest, will ich mir Mühe geben, nicht zu zanken – es ist hart, schlimm behandelt, und nicht einmal bemitleidet zu werden.«

»Sosia, wie viel brauchst Du noch, um Deine Freiheit zu erkaufen?«

»Wie viel? – Nun, etwa zweitausend Sesterze.«

»Die Götter seien gepriesen! Nicht mehr? Siehst Du diese Armbänder und diese Kette? – Sie sind wohl doppelt so viel werth. Ich will Sie dir geben, wenn –«

»Versuche mich nicht; ich kann Dich nicht loslassen; Arbaces ist ein strenger und fürchterlicher Herr. Wer weiß, ob ich nicht den Fischen des Sarnus zur Speise dienen müßte? Ach! alle Sesterze in der Welt würden mich alsdann nicht mehr ins Leben zurückkaufen. Besser ein lebendiger Hund, als ein tödter Löwe!«

»Sosia, Deine Freiheit! Überleg' es wohl; wenn Du mich hinausläßt – nur für ein einziges Stündlein! Laß mich um Mitternacht aus, und ich will, noch ehe der Tag graut, zurückkehren. Ja, Du kannst sogar mit mir gehen.«

»Nein,« antwortete Sosia aufs Entschiedenste, "ein Sklave war dem Arbaces einmal ungehorsam, und nie mehr hörte man von ihm.«

»Aber das Gesetz gibt dem Herrn keine Gewalt über das Leben seiner Sklaven.«

»Das Gesetz ist sehr gütig, aber leider nicht eben so wirksam als artig; ich weiß, daß Arbaces das Gesetz immer auf seine Seite bekommt. Überdies, wenn ich einmal todt bin, welches Gesetz kann mich wieder ins Leben bringen?«

Nydia rang die Hände: »Ist also keine Hoffnung vorhanden?« rief sie krampfhaft.

»Keine zum Fortkommen, bis Arbaces die Erlaubnis ertheilt.«

»Gut denn,« versetzte Nydia rasch, »Du wirst mir wenigstens nicht abschlagen, einen Brief von mir zu überliefern; dafür kann Dich Dein Herr nicht tödten.«

»An wen?«

»An den Prätor.«

»An eine obrigkeitliche Person? – Nein! ich nicht – ich könnte da in einer Sache, von der ich nichts weiß, zur Zeugenschaft gezogen werden, und Sklaven verhört man nur auf der Folter.«

»Verzeihung; ich meine nicht den Prätor – das Wort entschlüpfte mir unversehens; ich meinte eine ganz andere Person – den muntern Sallust.«

»Ah so! Und was willst Du von ihm?«

»Glaukus war mein Gebieter; er kaufte mich von einem grausamen Herrn und er, der allein gütig gegen mich war, soll jetzt sterben. Nie werde ich mich meines Lebens freuen, wenn ich ihn nicht in seiner letzten Stunde benachrichtigen kann, daß wenigstens ein Herz dankbar gegen ihn gesinnt ist; Sallust ist sein Freund, er wird mein Schreiben überliefern.«

»Das thut er gewiß nicht. Glaukus wird zwischen jetzt und morgen genug zu denken haben, ohne daß man ihn auch noch mit dem Briefe eines blinden Mädchens beunruhigt.«

»Wann,« versetzte Nydia aufstehend, »willst Du frei werden? – Du hast das Mittel in Deiner Gewalt; morgen wird es zu spät sein. Nie wurde Freiheit billiger erkauft; leicht, und ohne, daß man Dich vermißt, kannst Du das Haus verlassen, und kaum eine halbe Stunde brauchst Du fortzubleiben. Wegen einer solchen Kleinigkeit willst Du Deine Freiheit ausschlagen?«

Sosia war sehr bewegt. Allerdings lastete die Stille überaus einfältig; aber was ging das ihn an? Um so besser für ihn; er konnte ja die Thüre verschließen, und wenn Arbaces je seine Abwesenheit erfuhr, so war das Vergehen nur ganz unbedeutend und konnte ihm nur einen kleinen Verweis eintragen. Aber sollte Nydia's Schreiben etwas mehr enthalten, als was sie vorgegeben – sollte es, wie er schlau vermuthete, von ihrer Haft sprechen – was dann? Doch Arbaces brauchte ja nie zu wissen, daß er den Brief überbracht habe. Im schlimmsten Fall war der Preis ungeheuer, die Gefahr gering, die Versuchung unwiderstehlich. Er zauderte nicht länger – er ging auf den Vorschlag ein.

»Gib mir den Schmuck und ich will den Brief überliefern. Doch halt – Du bist eine Sklavin – Du hast kein Recht auf diese Sachen – sie gehören Deinem Herrn.«

»Es sind Geschenke von Glaukus; er ist mein Herr, welche Wahrscheinlichkeit aber ist vorhanden, daß er sie je zurückfordert, und wer sonst weiß, daß sie in meinem Besitze sind?«

»Genug, ich will Dir den Papyrus bringen.«

In wenigen Minuten hatte Nydia ihren Brief vollendet, den sie aus Vorsicht griechisch – in der Sprache ihrer Kindheit, die fast jeder Italiener aus den höheren Ständen zu jener Zeit verstand – abfaßte. Sorgsam wand sie den schützenden Faden um das Schreiben und bedeckte den Knoten mit Wachs. Ehe sie die wichtige Depesche in Sosia's Hände niederlegte, redete sie ihn folgendermaßen an: »Sosia, ich bin blind und in Haft; vielleicht gedenkst Du mich zu betrügen; vielleicht gibst Du nur vor, diesen Brief an Sallust zu überliefern, ohne Deinen Auftrag zu vollziehen. Aber feierlich weihe ich hiemit Dein Haupt der Rache, Deine Seele den höllischen Mächten, wenn Du mein Vertrauen täuschest. Ich fordere Dich auf, Deine Rechte Hand in die meinige zu legen, und mir folgende Worte nachzusprechen: ›Bei dem Boden, auf welchem wir stehen, bei den Elementen, welche Leben erhalten und Leben vernichten können, bei dem Alles rächenden Orkus, bei dem allsehenden Jupiter schwöre ich, daß ich meines Auftrags mich ehrlich entledigen und diesen Brief treulich in die Hände Sallust's überliefern will; wenn ich aber diesen Eid breche, möge der volle Fluch des Himmels und der Hölle über mich kommen!‹ Genug – ich traue Dir – empfange Deinen Lohn. Es ist schon dunkel – mach' Dich sofort auf den Weg.«

»Du bist ein sonderbares Mädchen und hast mich fürchterlich erschreckt; aber es geht alles sehr natürlich zu, und wenn Sallust aufzufinden ist, so will ich ihm diesen Brief einhändigen, wie ich geschworen. Meiner Treu, ich mag auch schon meine kleinen Sünden auf dem Gewissen haben; aber Meineid – nein! das überlaß ich vornehmeren Leuten.«

Mit diesen Worten entfernte sich Sosia, nachdem er sorgfältig den schweren Riegel an Nydia's Thüre vorgeschoben, und sie noch überdies sorgsam verschlossen hatte. Hierauf begab er sich, den Schlüssel in seinen Gürtel steckend, in seine eigene Zelle, hüllte sich von Kopf zu Fuß in einen großen Mantel und schlüpfte durch die Hinterthüre ungestört und ungesehen hinaus.

Die Straßen waren leer und somit gelangte er bald zum Haus des Sallust. Der Pförtner hieß ihn den Brief da zu lassen und wieder heimgehen, da Sallust über die Verurtheilung des Glaukus zu betrübt sei, daß er unter keinem Vorwande gestört werden dürfe.

»Aber ich habe einmal geschworen, diesen Brief in seine eigenen Hände zu überliefern, und muß es also auch thun.«

Damit drückte Sosia, der aus Erfahrung genau wußte, daß sich Cerberus seinen Brocken nicht gerne entziehen lasse, dem Pförtner ein Halbdutzend Sesterze in die Hand.

»Gut, gut,« versetzte dieser, nachgiebiger gestimmt, »Du kannst eintreten, wenn Du willst; aber um Dir die Wahrheit zu sagen, Sallust vertrinkt gerade seinen Kummer. Das ist so seine Weise, wenn ihn etwas beunruhigt. Er bestellt ein tüchtiges Abendessen, den besten Wein, und steht nicht eher auf, bis Alles aus seinem Kopf ist, – außer dem Falerner.«

»Ein herrliches Mittel fürwahr! Ach, was ist es so schön, reich zu sein! Wenn ich Sallust wäre, würde ich mir jeden Tag einen neuen Kummer in den Kopf setzen. Aber leg' jetzt ein gutes Wort bei dem Atriensis ein; ich sehe ihn gerade kommen.«

Sallust war zu traurig, um Besuche zu empfangen; aber er war auch zu traurig, um allein zu trinken; deshalb hatte er gewohnterweise seinen Lieblingsfreigelassenen zu seinem Kumpanen gewählt, und nie sah man ein so sonderbares Banket; denn bisweilen seufzte der gutmüthige Epikuräer, winselte und weinte laut; dann aber wandte er sich mit verdoppeltem Eifer zu einer neuen Schüssel oder seinem frischgefüllten Becher.

»Guter Bursche,« sagte er zu seinem Gefährten, »es war ein fürchterlicher Urtheilsspruch – o weh! – das Zicklein ist nicht übel, nicht wahr? – Lieber, armer Glaukus! – welch einen Rachen der Löwe obendrein hat! Ach, ach, ach!«

»Nimm einen Schluck Wein!« rief der Freigelassene.

»Es ist ein wenig zu kalt; aber wie muß es erst den Glaukus frieren. Schließ morgen das Haus – kein Sklave soll hinaus – keiner von meinen Leuten soll diese verfluchte Arena durch seinen Besuch beehren, nein, nein!«

»Einen Schluck Wein – Dein Kummer macht Dich zerstreut. Bei den Göttern! so ist's – ein Stück von diesem Käsekuchen!«

In diesem günstigen Augenblicke nun wurde Sosia in die Gegenwart des untröstlichen Zechers zugelassen.

»Ha, wer bist Du?«

»Nur ein Bote an Sallust. Ich überbringe ihm dieses Billet von einer jungen Dame. So viel ich weiß, bedarf es keiner Antwort. Kann ich wieder gehen?«

So sprach der vorsichtige Sosia, das Gesicht in den Mantel verhüllt und mit verstellter Stimme redend, um jeder späteren Bloßstellung vorzubeugen.

»Bei den Göttern – ein Kuppler! Gefühlloser Wicht – siehst Du meinen Schmerz nicht? Geh! – und nimm den Fluch des Pandorus mit Dir!«

Sosia verlor keinen Augenblick, sich zu entfernen.

»Willst Du den Brief lesen, Sallust?« fragte der Freigelassene.

»Brief! welchen Brief!« versetzte der Epikuräer schwankend, denn er begann, doppelt zu sehen. »Verflucht seien diese Dirnen, sage ich! Bin ich der Mann, um an Vergnügungen zu denken, wenn – wenn mein Freund nahe daran ist, aufgefressen zu werden?«

»Iß noch ein Törtchen!«

»Nein, nein, der Kummer erstickt mich.«

»Bringt ihn zu Bette,« sagte der Freigelassene, und mit lieblich auf die Brust herabsinkenden Kopf wurde Sallust in sein Cubiculum getragen, während er noch immer Wehklagen über Glaukus und Flüche über die gefühllosen Einladungen der Buhlerinnen vor sich hin murmelte.

Unterdessen eilte Sosia voll Entrüstung seiner Wohnung zu. »Ja, ja, ein Kuppler,« sagte er zu sich selbst, »ein Kuppler! Ein bösmauliger Bursche, dieser Sallust! Hätte er mich Schurke oder Dieb genannt, wollte ich's ihm verzeihen; aber Kuppler! Pfui, in dem Worte liegt Etwas, wogegen sich der zäheste Magen in der Welt empören würde. Ein Schurke ist ein Schurke zu seinem eigenen Vergnügen, und ein Dieb ein Dieb zu seinem eigenen Nutzen, und es liegt etwas Ehrenhaftes und Philosophisches darin, um seiner selbst willen ein Schurke zu sein; das heißt nach Grundsätzen, nach einem großen Maßstab handeln. Aber ein Kuppler ist ein Ding, das sich um eines Andern willen beschmutzt! ein Topf, der um eines Andern Suppe willen ans Feuer gesetzt wird! eine Serviette, woran jeder Gast seine Hände abwischt, und zu der selbst der Küchenjunge nur sagt: ›Mit Erlaubnis!‹ Ein Kuppler! Lieber wollte ich, er hätte mich Vatermörder genannt. Doch der Mann war betrunken, und wußte nicht, was er sagte, und überdies war ich vermummt. Hätte er gesehen, daß ihn Sosia anredete, so hätte es gewiß geheißen: ›ehrlicher Sosia‹ und ›würdiger Mann.‹ Indes wurde der Schmuck leicht verdient, das ist einiger Trost. O Göttin Feronia, bald werde ich frei sein, und dann möchte ich den sehen, der mich Kuppler nennt! – wofern er mich nicht recht hübsch dafür bezahlt.«

Während Sosia in solch hochherziger und edelmüthiger Weise mit sich selbst redete, kam er durch ein enges Gäßchen, das nach dem Amphitheater und den in seiner Nähe liegenden Palästen führte. Um eine scharfe Ecke biegend, befand er sich plötzlich inmitten eines beträchtlichen Volkshaufens. Männer, Weiber und Kinder rannten, lachten, schwatzten, gestikulirten, und ehe er sich's versah, war der würdige Sosia von dem lärmenden Strome mit fortgerissen.

»Was gibt's,« fragte er den ihm zunächst Stehenden, einen jungen Handwerker; »was gibt's? Wo drängen sich alle diese guten Leute hin? Theilt heute Nacht irgend ein reicher Mann Almosen oder Speisen aus?«

»Nicht doch, lieber Freund, etwas Besseres,« versetzte der junge Handwerker. »Der edle Pansa, der Freund des Volkes, hat die Erlaubnis ertheilt, die wilden Thiere in ihren Behältern zu sehen. Beim Herkules! es gibt Leute, die sie morgen nicht mit so heiler Haut sehen werden!«

»Das ist ein hübsches Schauspiel,« sagte der Sklave, indem er sich von der nachdrückenden Menge vorschieben ließ, »und da ich morgen nicht zu den Spielen gehen kann, so will ich wenigstens heute Abend einen Blick auf die Thiere werfen.«

»Da wirst Du gut daran thun,« versetzte sein neuer Bekannter, »einen Löwen und einen Tiger sieht man nicht alle Tage.«

Die Menge war jetzt auf einem ungleichen und weiten Platz angelangt, auf welchem, da er nur dürftig und aus der Ferne beleuchtet war, das Gedränge für diejenigen gefährlich wurde, deren Glieder und Schultern nicht zu einem solchen Gewühl paßten. Nichts destoweniger zeigten sich gerade die Frauen, – manche von ihnen mit Kinder auf den Armen, oder sogar an der Brust, – am entschlossensten, sich ihren Weg zu bahnen, und der gellende Ruf ihrer Schimpfworte übertönte die heiteren, männlichen Stimmen. Doch ließ sich unter ihnen auch ein junges Mädchen hören, das in ihrer Aufregung zu glücklich zu sein schien, um das Unbehagliche des Gedränges zu fühlen.

»Ach,« rief sie einigen ihrer Begleiterinnen zu, »ich hab's ja stets gesagt und behauptet, wir würden einen Mann für den Löwen bekommen, und jetzt haben wir obendrein einen für den Tiger, ich wünschte nur, es wäre schon morgen!«

Juchheisa zum lustigen, lustigen Spiel!
Ein Wald von Gesichtern, ein endlos Gewühl!
Die Kämpfer so kühn, wie der Sohn der Allmäna,
Sie schreiten im Zug durch die stumme Arena.
Schwatzt, weil es noch Zeit ist, ihr werdet schon schweigen,
Wenn sie sich mit tödtlichem Armen umzweigen.
Tripp, trapp! sie schreiten im stolzen Gefühl,
Juchheissa zum lustigen, lustigen Spiel.«

»Ein munteres Mädchen,« meinte Sosia.

»Ja,« versetzte eifersüchtig der junge Handwerker, ein krausköpfiger, schöner Jüngling, »ja, die Weiber sind den Gladiatoren gut, wenn ich ein Sklave wäre, ich würde längst bei dem Lanista in die Schule gegangen sein.«

»In der That?« versetzte Sosia höhnisch, »der Geschmack der Leute ist unterschiedlich!«

Jetzt war die Menge an der ersehnten Stelle angelangt; aber da der Raum, in welchem die wilden Thiere verwahrt wurden, überaus klein und eng war, wurde jetzt das Drängen und Pressen der Einlaßsuchenden noch zehnmal heftiger. Zwei am Eingang stehende Diener des Amphitheaters verminderten das Übel sehr weislich dadurch, daß sie den Vordersten nur eine kleine Zahl Einlaßtäfelchen austheilten, und neue Zuschauer erst dann einließen, wenn die jedesmaligen Vorgänger ihre Neugierde befriedigt hatten. Unserem Sosia, der ein recht kräftiger Bursche war, und dem weder Schüchternheit noch feinere Lebensart besondere Bedenklichkeiten erregten, gelang es, als einer der Ersten hineinzukommen.

Von seinem Gefährten, dem Handwerker, getrennt, fand er sich jetzt in einer engen Zelle, in der eine drückende Hitze herrschte, und die von einigen übelriechenden und flackernden Fackeln erleuchtet wurde.

Die Thiere, die gewöhnlich in verschiedenen Behältnissen bewahrt wurden, waren jetzt zum größeren Ergötzen der Zuschauer in einem Raume versammelt, dabei aber immer durch starke, mit eisernen Stangen geschützte, Käfige von einander getrennt.

Da waren sie also, die blutdürstigen und grimmen Wanderer der Wüste, die jetzt beinahe die Hauptpersonen dieser Geschichte geworden sind. Der Löwe, der – als von Natur weniger wild, denn sein Gefährte – durch Hunger zur Wildheit aufgereizt worden, schritt rastlos und trotzig in seinem engen Kerker hin und her: seine Augen funkelten vor Wuth und Hunger, und wenn er so bisweilen stillhielt und umherstarrte, so drängten sich die Zuschauer furchtsam zurück, und ihr Athem ward keuchender. Der Tiger aber lag ruhig und seiner ganzen Länge nach ausgestreckt in seinen Käfig, und beurkundete nur durch ein gelegentliches Spiel mit seinem Schweife oder ein langes, ungeduldiges Gähnen den Ärger über seine Haft oder die Freude über die zahlreiche Menge, die ihn mit ihrer Gegenwart beehrte.

»Selbst im Amphitheater zu Rom habe ich kein grimmigeres Thier gesehen, als diesen Löwen,« sagte ein riesenhafter, nerviger Kerl, der zur Rechten Sosia's stund.

»Ich fühle mich gedemühtigt, wenn ich seine Glieder ansehe,« versetzte zur Linken Sosia's eine schlankere und längere Gestalt, mit über der Brust gekreuzten Armen.

Der Sklave schaute zuerst den Einen und hierauf den Andern an. »Virtus in medio,« murmelte er vor sich hin. »Eine hübsche Nachbarschaft für Dich, Sosia – ein Gladiator auf jeder Seite!«

»Gut gesprochen, Lydon,« versetzte der stämmigere Gladiator, »ich fühle dasselbe.«

»Und zu denken,« bemerkte Lydon in einem Tone tiefer Rührung, »daß der edle Grieche, den wir vor wenigen Tagen noch so voll Jugend, Gesundheit und Heiterkeit vor uns sahen, jenem Ungeheuer zur Speise dienen soll.«

»Warum nicht?« brummte Niger wild, »mancher ehrliche Gladiator wurde zu einem derartigen Kampfe von dem Kaiser gezwungen – warum nicht auch ein reicher Mörder durch das Gesetz?«

Lydon seufzte, zuckte die Achseln und blieb still. Unterdessen lauschten die gewöhnlichen Zuschauer mit starren Augen und offenstehenden Lippen diesem Gespräche zu. Die Gladiatoren waren eben so gut, als die wilden Thiere Gegenstände des Interesses, – sie waren Geschöpfe von derselben Art. So schaute auch die Menge halb auf die einen, halb auf die andern, flüsterte sich ihre Bemerkungen zu und besprach die Ereignisse des morgenden Tages.

»Ja, ja,« sagte Lydon, sich abwendend, »ich danke den Göttern, daß ich es nicht bin, der mit dem Löwen oder Tiger zu kämpfen hat. Selbst Du, Niger, bist ein milderer Gegner als sie.«

»Aber ein eben so gefährlicher,« versetzte der Gladiator mit trotzigem Lachen, und die Umstehenden, die seine gewaltigen Glieder und das wilde Gesicht bewunderten, stimmten grinsend mit ein.

»Schon recht,« antwortete Lydon sorglos, drängte sich durch die Menge und verließ den Behälter.

»Ich kann wohl auch aus seinen Schultern Nutzen ziehen,« dachte der kluge Sosia, und beeilte sich, ihm nachzufolgen. »Das Volk macht immer einem Gladiator Platz; ich will mich deshalb dicht hinter ihn halten, und mir einen Theil seiner Wichtigkeit aneignen.«

Rasch schritt der Sohn Medon's durch die Menge, unter der ihn Manche erkannten.

»Das ist der junge Lydon, ein wackerer Bursche; er ficht morgen,« rief einer.

»Ah, ich habe auf ihn gewettet,« sprach ein Anderer, »sieh, wie fest er einhergeht!«

»Viel Glück, Lydon!« ließ sich ein Dritter hören.

»Du hast meine besten Wünsche, Lydon,« flüsterte eine hübsche Frau aus dem Mittelstande, »und wenn Du siegst, nun, so wirst Du mehr von mir hören.«

»Ein schöner Mann, bei der Venus!« rief ein junges Mädchen, das kaum die Kinderschuhe ausgetreten hatte.

»Dank Dir,« entgegnete Sosia, der das Compliment ganz ernsthaft auf sich bezog.

So stark übrigens auch die reineren Beweggründe Lydons waren, und so gewiß ihn nur die Hoffnung, seinem Vater die Freiheit zu verschaffen, diesem blutigen Berufe zugeführt hatte, so blieb er dennoch nicht unempfindlich gegen die Aufmerksamkeit, die er erregte. Er vergaß, daß die Stimmen, die sich jetzt zu seinem Preise erhoben, vielleicht morgen über seine Todesqualen jubelten. Von Natur ebenso wild und rücksichtslos, als edelmüthig und gefühlvoll, hatte er doch bereits den Stolz auf ein Gewerbe eingesogen, das er zu verachten glaubte, und sich dem Einfluß einer Genossenschaft, die er in Wahrheit verabscheute, hingegeben. Er sah sich jetzt als einen Mann von Gewicht anerkennen; sein Schritt ward leichter, seine Haltung stolzer.

»Niger,« sagte er, sich plötzlich umwendend, als er sich aus der Menge herausgedrängt hatte, »wir haben uns oft gezankt; wir sind kein Paar füreinander; aber Einer von uns wird wahrscheinlicher Weise fallen – gib mir Deine Hand.«

»Von ganzem Herzen,« antwortet Sosia, die seinige ausstreckend.

»Ha, welch ein Narr ist das? Ich glaubte, Niger folge mir auf den Fersen nach.«

»Ich verzeihe den Irrthum,« versetzte Sosia herablassend, »sprechen wir nicht mehr davon; das Mißverständnis war so leicht – ich und Niger sind so ziemlich gleich gebaut.«

»Ha, ha, das ist herrlich! Niger würde Dir die Kehle aufschlitzen, wenn er das hörte!«

»Ihr Herren von der Arena habt eine überaus unangenehme Art zu reden,« sprach Sosia; »laß uns zu etwas Anderem übergehen.«

»Bah, bah!« versetzte Lydon ungeduldig; »ich bin nicht gelaunt, mich mit Dir zu unterhalten.«

»Nun ja,« erwiderte der Sklave, »Du hast allerdings an ernste Gegenstände zu denken; morgen versuchst Du Dich, glaube ich, zum erstenmale auf der Arena. Nun, ich bin überzeugt, Du wirst muthig sterben.«

»Mögen Deine Worte auf Dein eigenes Haupt fallen,« sprach Lydon abergläubisch; denn der Gegenwunsch Sosia's gefiel ihm durchaus nicht. »Sterben! Nein – ich hoffe, meine Stunde ist noch nicht gekommen!«

»Wer mit dem Tode Würfel spielt, muß sich stets auf den Hundewurf gefaßt machen,« versetzte Sosia boshaft; »aber Du bist ein starker Bursche, und so wünsche ich Dir alles mögliche Glück. Vale!«

Mit diesen Worten wandte sich der Sklave um und schlug den Weg nach Hause ein.

»Hoffentlich sind die Worte des Schurken von keiner schlimmen Vorbedeutung,« sagte Lydon nachdenklich. »Im Eifer für die Freiheit meines Vaters, und im Vertrauen auf meine Kraft habe ich die Möglichkeit des Todes nicht bedacht. Mein armer Vater – ich bin Dein einziger Sohn! – Sollte ich fallen – –«

Sobald ihn dieser Gedanke durchzuckte, eilte der Gladiator mit rascherem, unruhigerem Schritte vorwärts, als er plötzlich in einer gegenüberliegenden Straße den Gegenstand seiner Gedanken erblickte. Auf seinen Stab gelehnt, die Gestalt von Sorgen und Alter gebeugt, die Augen niedergeschlagen, und die Schritte zitternd, näherte sich der ergraute Medon langsam dem Gladiator. Lydon blieb einen Augenblick stehen; er errieth sofort, weshalb der alte Mann noch zu so später Stunde ausgegangen war.

»Gewiß sucht er mich,« dachte er, »von Schrecken betroffen über die Verurtheilung des Olinth hält er die Arena für verbrecherischer und gehässiger als je, und kommt nun, mir von Neuem den Kampf zu widerrathen. Ich muß ihm ausweichen – seine Bitten, seine Thränen kann ich nicht ertragen!«

Diese Gedanken, die sich nur mit langen Worten nacherzählen lassen, durchzuckten den jungen Mann mit Blitzesschnelle. Er wandte sich rasch um und entfloh schnell in entgegengesetzter Richtung. Er hielt nicht an, bis er, fast erschöpft und außer Athem, sich auf dem Gipfel einer kleinen Anhöhe befand, von dem man den heitersten und glänzendsten Theil dieser Miniaturstadt übersah; und als er von da aus auf die ruhigen Straßen hinabschaute, die in den Strahlen des Mondes glänzten, der eben aufgegangen war, und stellenweise ein malerisches Licht auf die in der Ferne um das Amphitheater wogende und summende Menge warf, da machte diese Scene, so roh und phantasielos er auch von Natur war, einen gewaltigen Eindruck auf ihn. Er setzte sich auf die Stufen eines verlassenen Säulengangs, und fühlte, wie die Ruhe der Stunde ihn besänftigte und stärkte. Ihm gegenüber und dicht in der Nähe funkelten die Lichter eines Palastes, dessen Besitzer jetzt ein Fest gab. Die Thüren stunden der Kühlung wegen offen, und der Gladiator sah die zahlreiche, festlich gekleidete Gruppe um die Tische im AtriumGrößere Gesellschaften wurden, wie ich schon an anderem Orte bemerkte, gewöhnlich im Atrium bewirthet. her versammelt; während hinter ihnen, die lange Perspektive der erleuchteten Zimmer schließend, der Schaum des fernen Springbrunnens im Mondschein funkelte. Hier waren Blumenkränze um die Säulen der Halle gewunden – dort glänzten still die zahllosen Marmorstatuen – und inmitten des fröhlichen Gelächters erhob sich, von Musik begleitet, folgendes Lied:

Hinweg mit eurer Hadesgeschichte,
Die Priester erschrecken uns nicht mehr;
Man lacht über eure drei Parzengedichte,
Eu'r Acheron hat kein Gewicht mehr.

Zeus wäre zu traurigen Loosen geboren,
Nie blühte dem Armen ein Glück auf –
verstopfte er seiner Geliebten die Ohren
Und schlösse den Menschen den Blick auf.

Du lehrst, Epikur, uns verlachen die Fabel,
Die nur ein umnachteter Wahn fand;
Und du zerschnittest die furchtbare Kabel,
Die uns an den stygischen Kahn band.

Hat's je einen Zeus, eine Juno gegeben,
Zerbrachen mit uns sie den Kopf nicht.
Drum lasset die Götter, – die Götter sie leben
Gewiß wie ein sterblichher Tropf nicht!

Was, glaubt ihr, sie gehen als Späher und Rächer
Dem Sündergeschlecht auf dem Fuß nach;
Sie zählen beim Schmause uns jeglichen Becher,
Beim Liebchen und jeglichen Kuß noch?

Drum nehmet den Kranz, den die Freude gewoben,
Entbehret des rosigen Munds nicht;
Und lasset sie schlafen, die Götter da droben,
Die Götter, sie sind ja für uns nicht!

Während Lydons Frömmigkeit, die bei aller Duldsamkeit durch diese Verse, in welchen sich die Modephilosophie jener Zeit aussprach, in nicht geringem Grade verletzt wurde, von dem erhaltenen Stoße sich langsam wieder erholte, ging eine kleine Gesellschaft von Männern aus dem Mittelstand in einfachen Kleidern an seinem Ruhepatze vorüber. Sie waren in ernsthaftem Gespräche begriffen, und schienen den Gladiator nicht zu beachten.

»O Schrecken aller Schrecken,« rief einer, »Olinth is tuns entrissen! unser rechter Arm abgehauen! Wann wird Christus herabsteigen, die Seinigen zu schützen?«

»Kann menschliche Rohheit weiter gehen?« sagte ein Anderer, »einen Unschuldigen zu derselben Strafe zu verdammen, wie einen Mörder! Aber laßt uns nicht verzagen; noch kann der Donner Sinai's ertönen, und der Herr seinen Heiligen bewahren. ›Ein Narr spricht in seinem Herzen; Es ist kein Gott‹«

Und in diesem Augenblicke ertönte von Neuem aus dem erleuchteten Palaste der Schlußvers des Liedes:

Und lasset sie schlafen, die Götter da droben,
Die Götter, sie sind ja für uns nicht.Die Lehren des Epikur selbst sind rein und einfach. Vellejus, der Vertheidiger und Erklärer der epikuräischen Philosophie in Cicero's Dialog von der Natur der Götter versichert, Epikur sei, weit entfernt, das Dasein göttlicher Mächte zu läugnen, der erste gewesen, der aus dem Eindruck, den die Natur auf das Gemüth aller Menschen mache, die Existenz der Götter zu beweisen gesucht habe. Er hielt den Glauben an die Gottheit für eine angeborene Idee (πρόληψις) der Seele – eine Lehre, welche sich die neueren Metaphysiker, die gewiß keine Epikuräer sind, gewaltig zu Nutze machten! Er glaubte, daß man den göttlichen Mächten wegen der Verehrung, die ihre Glückseligkeit und Vortrefflichkeit in den Gemüthern erwecken, nicht aber wegen Furcht vor ihrer Rache oder Scheu vor ihrer Macht Anbetung schuldig sei: eine erhabene und furchtlose Philosophie, die vielleicht für ein Halbdutzend großer und gebildeter Geister paßte, die aber die Leidenschaften der Menge nicht im Zaume zu halten vermöchte. Nach Epikurs Ansicht waren die Götter mit Beschauung ihrer eigenen Seligkeit viel zu angenehm beschäftigt, um sich mit den Schmerzen und Freuden, den Streitigkeiten und Sorgen, den kleinlichen und vorübergehenden Angelegenheiten der Menschen den Kopf anzufüllen. Für diese Erde waren sie theilnahmslose Abstraktionen.

Noch ehe diese Worte verhallten, faßten die Nazarener, von plötzlichem Unwillen ergriffen, das Echo auf, und sangen in den Worten einer ihrer Lieblingshymnen mit lauter Stimme also:

Ueberall und immer gegenwärtig
Ist dein Gott, o Mensch, und fleht und hört dich;
Führt einher in tobenden Gewittern,
Und die Himmel und die Tiefen zittern.
Weh den Stolzen, die sich ihm nicht beugen,
Weh den Träumern, die von ihn nicht zeugen!
Weh den Sündern, weh!
Denn wenn die Posaunen einst erschallen,
Oeffnen sich des Todes grause Hallen
Und ein Schmerz durchwogt das Feuermeer,
Saust und braust in wilder Flut daher,
Jede Woge ein lebendig Wesen!
Sonn' und Sterne geben keinen Schein
Und die Himmel rollen sich zusammen,
Die Verlornen von dem Herrn zu scheiden.
Weh den Stolzen, die sich ihm nicht beugen,
Weh den Träumern, die von ihn nicht zeugen!
Weh den Sündern, weh!

Auf diese prophetischen Worte trat in dem aufgeschrecktem Festsaale eine plötzliche Stille ein; die Christen gingen weiter und waren bald den Blicken des Gladiators entschwunden. Von ihren geheimnisvollen Drohungen – er wußte selbst kaum weshalb – mit heiliger Scheu erfüllt, erhob sich jetzt Lydon nach kurzer Pause, um seinen Weg nach Hause fortzusetzen.

Wie heiter schlief das liebliche Sternenlicht auf dieser Stadt vor ihm, wie athemlos ruhten die säulenbekränzten Straßen in ihrer Schönheit! – Wie sanft kräuselten sich jenseits die dunkelgrünen Wogen, wie wolkenlos breitete sich in seinem hohen Blau der träumende Himmel Kampaniens aus! Und doch war dies die letzte Nacht für das heitere Pompeji, die Kolonie des rauhen Chaldäers, die mystische Stadt des Herkules und die Wonne des genußsüchtigen Römers! Unbeachtet und ruhig war Jahrhundert auf Jahrhundert über ihr Haupt hinweggerollt und jetzt zitterte der letzte Strahl auf dem Zifferblate ihres Geschicks!

Der Gladiator hörte leichte Schritte hinter sich; eine Gruppe Frauen kehrte von dem Besuch des Amphitheaters zurück. Als er sich umsah, wurde sein Auge von einer sonderbaren und plötzlichen Erscheinung gefesselt. Von dem in der Ferne dämmernden Gipfel des Vesuves schoß ein blasses, meteorartiges Licht auf – es zitterte einen Augenblick und verschwand dann wieder, und in dem gleichen Augenblick, da Lydon dies gewahrte, sang eine der jüngsten unter den Frauen mit heiterer und heller Stimme:

Tripp, trapp, sie schreiten mit stolzem Gefühl!
Juchheisa, zum lustigen, lustigen Spiel!


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