Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Erstes Kapitel.

Der Traum des Arbaces – Ein warnender Besuch.

Düster verstrich die schauervolle Nacht, welche der wilden Luft des Amphitheaters voranging, und ahnungsgrauend brach der Morgen des letzten Tages von Pompeji an! Die Luft war ungewöhnlich ruhig und schwül – ein dünner, dunstiger Nebel schwebte auf den Thälern und Gründen des weiten kampanischen Gefildes. Aber mit Erstaunen bemerkte der früh geschäftige Fischer, daß ungeachtet der Ruhe die Atmosphäre die See wie im Sturme wogte und sich scheu vom Gestade zurückzog, währen der blaue, lange Sarnus, dessen frühere Breite der Wanderer jetzt vergeblich sucht, auf seinem Zuge durch die lachenden Ebenen und stolzen Landgüter ein heiseres, stolzes Gemurmel vernehmen ließ. Über dem Dunstmeere des Nebels erhoben sich die grauen Thürme der uralten Stadt, die rothen Dächer der stattlichen Häuser, die hehren Säulen der Tempel und die statuengekrönten Portale des Forums und des Triumphbogens. In der Ferne tauchten die schwankenden Umrisse der Höhenlinie, welche den Gesichtskreis begrenzte, aus der Nebelmasse empor und verschwammen im wechselnden Farbenspiele des Morgenlichts. Die Wolken, welche so lange auf dem Gipfel des Vesuvs gethront hatten, waren auf einmal verschwunden, und frei und faltenlos ragte die Stirne des Berges hinaus in die heitere Natur.

Ob es gleich noch so frühe am Tage war, standen die Thore der Stadt bereits offen. Reiter an Reiter, Wagen an Wagen strömten hinein, und die Fußgänger in ihren festlichen Anzügen erfüllten die Luft mit freudigem Jubel; Einheimische und Fremde aus der stark bevölkerten Umgebung Pompeji's bedeckten die Straßen, und in lärmendem Gedränge strömten die Massen nach dem verhängnisvollen Circus.

Aus allen Gegenden Kampaniens wogte eine solche Menge Menschen herein, daß trotz der ungeheuren Größe des Theaters, welche mit dem Umfange der Stadt in gar keinem Verhältnisse zu stehen schien, und beinahe auf die ganze Bevölkerung Pompeji's berechnet war, daß, sage ich, der äußere Raum gewöhnlich schon mehre Stunden vor dem Beginne der Schauspiele gedrängt voll Menschen war, die vermöge ihres Ranges kein Recht auf bestimmte Sitze hatten. An dem heutigen Tage aber hatte die Neugierde, welche durch die Verurtheilung zweier so merkwürdiger Verbrecher aufs Höchste gespannt worden war, eine Volksmasse herbeigelockt, wie man sie noch nie beisammen gesehen.

Während die Menge mit dem ganzen Feuer ihres kampanischen Blutes, und dennoch, wie noch heute die Italiener bei solchen Gelegenheiten, in bewundernswürdiger Ordnung und mit der harmlosesten Heiterkeit hereinströmte, verfolgte eine seltsame Gestalt ihren Weg nach dem abgelegenen Hause des Egypters. Beim Anblicke ihres auffallenden und alterthümlichen Anzuges, ihres hastigen Ganges und ihres aufgeregten Benehmens, stießen sich die Vorübergehenden lächelnd in die Seite: aber wenn sie ihr ins Gesicht sahen, erstarb dieses Lächeln auf ihren Lippen, denn es war das Gesicht einer Todten, und die geisterhaften Züge nebst der veralteten Tracht schienen die Fremde als eine längst Begrabene zu bezeichnen, die eben erst in den Kreis der Lebenden zurückkehrte. In ehrfurchtsvollem Schweigen ging ihr Alles aus dem Wege, und bald hatte sie das große Portal erreicht, das in die Wohnung des Egypters führte.

Der schwarze Pförtner, der, wie die übrige Welt, an diesem Tage schon früh auf den Beinen war, bebte vor ihrem Anblicke zurück, als er auf ihre Aufforderung das Thor öffnete.

Der Egypter hatte während der Nacht in einem ungewöhnlich tiefen Schlafe gelegen, aber gegen Morgen wurde er durch seltsame Träume beunruhigt, die einen um so tieferen Eindruck auf ihn machten, als sie die Färbung der Philosophie an sich trugen, die er sich angeeignet hatte.

Er sah sich in die Eingeweide der Erde versetzt, und stund allein in einer ungeheuren Höhle, die von riesenhaften Säulen aus rohen Felsmassen getragen wurde, welche sich in der Höhe in eine endlose Finsternis verloren, durch deren ewige Nacht noch nie ein Strahl des Lichts gedrungen war. Zwischen diesen Säulen drehten sich kolossale Räder mit betäubendem Lärm in unaufhörlichem Kreislauf. Nur zu der rechten und linken Seite der Höhle war der Raum zwischen den Pfeilern frei und verlief in lange Gänge, die von wandernden Flämmchen matt erleuchtet waren, welche sich halb schlangenartig über den rauhen und feuchten Boden hinwanden, bald in wilden Sprüngen durch das Dunkel hüpften und plötzlich verschwanden, um ebenso plötzlich mit zehnfachem Glanze wieder hervorzubrechen. Während er voll Bewunderung in den linken Gang hinunterstarrte, schwebten ätherische Nebelgestalten langsam an ihm vorüber; wenn sie aber die Halle erreicht hatten, erhoben sie sich in die Lüfte und verschwanden wie Rauch in der mastlosen Höhe.

Voll Furcht wandte er sich nach der rechten Seite, und siehe, aus der purpurnen Finsternis fuhren ähnliche Schatten nieder, und trieben eilends die Galerie zur Rechten hinab, als würden sie von den Fluten eines unsichtbaren Stromes dahingetragen; diese Gespenster nun hatten deutlicher ausgeprägte Gesichter, als diejenigen, welche aus dem Hintergrunde des linken Ganges heranschwebten. In ihren Zügen lag Freude oder Schmerz, Entzücken oder Verzweiflung. In ununterbrochener Folge und mit reizender Schnelligkeit schwebten die Gestalten vorüber oder wurden vielmehr durch eine fremde Gewalt vorübergetrieben, und dem Träumer vergingen die Augen ob diesem unaufhörlich wechselnden Gewimmel.

Er wandte sich weg – und in der Tiefe der Halle sah er die hohe Gestalt einer Riesin auf einem Haufen Schädel sitzen. Ihre Hände arbeiteten an einem aschgrauen Gewebe, das mit den zahllosen Rädern in Verbindung stand und ihre Mechanik zu leiten schien. Eine unsichtbare Gewalt stellte ihn dem Titanengewebe von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Ihre Züge hatten einen feierlichen und erhabenen Ausdruck und trugen das Gepräge der wolkenlosen Schönheit; sie schienen dem Gesichte einer kolossalen Sphynx aus der alten Zeit seines Vaterlandes anzugehören. Keine Leidenschaft – keine menschliche Regung störte den Frieden ihrer faltenlosen Stirne; weder Schmerz noch Freude, weder Erinnerung noch Hoffnung – nicht Eines von den Wechselgefühlen des menschlichen Herzens sprach aus ihren Marmorzügen. Ihre Schönheit war mit dem Geheimnis der Geheimnisse besiegelt – sie flößte Ehrfurcht, aber nicht Schrecken ein; es war die Verkörperung des Erhabenen. Und Arbaces fühlte eine Stimme über seine Lippen treten, die einer andern Gewalt, als seinem Willen gehorchte, und die Stimme fragte: »Wer bist Du, oder was ist Dein Geschäft?«

»Ich bin das, was Du anerkannt hast,« antwortete das Riesengesicht, ohne die Arbeit zu unterbrechen. »Mein Name ist Natur! Das sind die Räder der Welt, und meine Hand leitet sie zur Belebung aller Dinge.«

»Und was sind diese Gesänge,« fragte Arbaces Stimme weiter – »was sind diese Gesänge, die so seltsam und grauenhaft erleuchtet, auf beiden Seiten in den Abgrund der Finsternis verlaufen?«

»Der Gang zur Linken,« antwortete die Riesin, »ist die Galerie der Ungebornen; die Schatten, welche aus dem Hintergrunde heranschweben und in die Höhe emporsteigen, sind die Seelen, die aus der unergründlichen Ewigkeit des Seins emporkommen, um ihre Bestimmung auf Erden anzutreten. Der Gang zur Rechten, wie die dunkeln Schatten von oben herabschweben, ist die Galerie der Todten.«

»Und was sollen,« forschte Arbaces' Stimme ferner, »was sollen jene wandernden Flämmchen, welche in wilden Sprüngen die Finsternis durchbrechen; aber nur durchbrechen, nicht erleuchten?«

Einfältiger Thor des menschlichen Wissens, der Du von den Sternen träumst und das Wesen und den Ursprung der Dinge ergründen willst! Diese Lichter sind nur die Schimmer der Wissenschaft, die der Natur verliehen ist, um ihr den Weg zu zeigen, und so viel von der Vergangenheit und Zukunft zu enthüllen, daß sie im Stande ist, ihre Zwecke zu verfolgen. Urtheile nun, Drahtpuppe, die Du bist, urtheile, wie viel Licht Dir zufällt!«

Arbaces zitterte, als er weiter fragte: »Was soll ich hier?«

»Den Vorgeschmack Deiner Zukunft erhalten – das auf Dich wartende Halbdunkel ahnen – den Schatten Deines Verhängnisses sehen, wie er in die Ewigkeit hinübergleitet, wenn er die Erde hinter sich läßt.«

Ehe Arbaces antworten konnte, vernahm er das Rauschen eines Windes, und es war ihm, als peitschte ein unsichtbarer Riesenvogel die Luft mit seinen Schwingen. Der Boden wich unter seinen Füßen, und er wurde in die Lüfte getragen wie ein Blatt, das die Stürme des Herbstes entführen. Auf einmal sah er sich mitten unter den Gespenstern des Todes und fühlte sich mit ihnen dahingerissen in den Abgrund der Finsternis. Während er in unmächtigem Sträuben mit der fremden Gewalt rang, kam es ihm vor, als ob er Wind eine Gestalt annehme – gleich den Schwingen und Krallen eines Adlers, dessen Glieder sich nur wie in der Luft zerfließende Umrisse zeigten, der aber mit glänzenden, starren, fast versteinerten Augen ihn anblickte.

»Wer bist Du?« ertönte wiederum die Stimme des Egypters.

»Ich bin das, was Du anerkannt hast,« antwortete das Gespenst laut auflachend, »und mein Name ist Nothwendigkeit

»Wohin willst Du mich führen?«

»Zu dem Unbekannten.«

»Zum Glück oder zum Weh?«

»Wie Du gesäet hast, so wirst Du ernten.«

»Nein, nimmermehr! Du schauervolles Wesen! Bist Du der Herr des Lebens, so sind meine Missethaten Deine und nicht meine Schuld.«

»Ich bin nur der Athem Gottes!« entgegnete der gewaltige Wind.

»Dann ist mein Wissen eitel!« seufzte der Träumer.

»Darf der Landwirth, welcher Disteln gesäet hat, das Schicksal anklagen, weil er kein Korn erntet? Du hast die Saat des Lasters ausgestreut – klage also das Schicksal nicht an, wenn Dir nicht die Ernte der Tugend zu Theil wird.«

Plötzlich wechselte die Scene. Arbaces stand auf einem Gefilde voll menschlicher Gebeine, und mitten unter diesen Gebeinen befand sich ein Schädel; dieser nahm allmählig mit seinen fleischlosen Höhlen in dem geheimnisvollen Gewirre des Traumes die Züge des Apäcides an, und aus den grinsenden Kinnladen kroch ein kleiner Wurm zu den Füßen des Arbaces hin. Der Egypter wollte den Wurm zertreten; aber dieser wurde immer länger und dicker, bis er endlich zu einer ungeheuern Schlange anschwoll, welche die Glieder des Arbaces umstrickte, seine Knochen zermalmte, und mit glühenden Augen und giftigen Zähnen ihm nach dem Gesichte fuhr. Er sträubte und wandte sich vergebens – er wankte unter dem Einflusse des erstickenden Athems der Schlange – der Schauer des Todes erfaßte ihn mit eisiger Kälte. Eine Stimme ertönte aus dem Rachen des Ungethüms, das die Züge des Apäcides annahm, und in das Ohr des Arbaces klangen die Schreckensworte:

»Dein Opfer ist Dein Richter! Der Wurm, den Du zertreten wolltest, wird die Schlange, welche Dich zermalmt!«

Mit einem Schrei des Entsetzens und verzweifelten Widerstandes erwachte Arbaces; sein Haar sträubte sich, über seine Stirne rannen schwere Schweißtropfen, und seine Augen starrten verworren, denn seine sonst gewaltige Körperkraft beugte sich zitternd unter dem Gewichte dieses Traumes. Als er endlich zum vollen Bewußtsein kam, so dankte er den Göttern, an die er nicht glaubte, das Alles nur ein Traum war. Er sah sich nach allen Seiten um, gewahrte, wie das dämmernde Licht durch das schmale, aber hohe Fenster hereindrang, er freute sich, er lächelte dem neuen Tage entgegen; da fielen auf einmal seine Blicke auf die geisterhaften Züge, die starren Augen und die welken Lippen der Hexe des Vesuvs!

»Ha!« schrie er, die Hände vors Gesicht haltend aus Bangigkeit vor der unheimlichen Erscheinung, »träume ich noch? – weile ich unter den Todten?«

»Gewaltiger Hermes – nein! Es steht neben Dir eine Todtenähnliche, aber keine Todte. Erkennst Du nicht Deine Freundin und Sklavin?«

Ein langes Schweigen folgte. Allmählig ließen die Schauer, welche die Glieder des Egypters durchzuckten, nach, und er gewann wieder seine frühere standhafte Fassung.

»Ein Traum war es also!« sagte Arbaces: »aber für die Schrecken eines solchen Traumes, einer solchen Nacht, vermag der Tag keinen Ersatz zu bieten. Weib, wie kamst Du hieher und warum?«

»Ich kam, um Dich zu warnen,« antwortete die Grabesstimme der Hexe.

»Mich warnen! Der Traum log also nicht? Mich warnen! Und vor welcher Gefahr?«

»Höre mich. Eine Gefahr schwebt über dieser Stadt. Fliehe, während es noch Zeit ist. Du weißt, daß ich an dem Berge hause, unter welchem, einer alten Sage zufolge, die Feuerfluten des Phlegeton noch glühen; in meiner Höhle ist ein ungeheurer Abgrund, und in diesem Abgrunde habe ich neulich einen düsterrothen Strom langsam hin- und herwallen sehen, und habe viele gewaltige Töne gehört, die in der Tiefe tobten, rauschten und zischten. Aber als ich vergangene Nacht hinunterschaute, da erschien der Strom nicht mehr düster, sondern glänzend hell. Während ich nun darüber staunte, stieß das Thier, welches schon lange mein Lebensgefährte war und sich jetzt an meine Seite schmiegte, ein durchdringendes Geheul aus, fiel zu Boden und starb, indes Geifer und Schaum seine Lippen umzog.Wahrscheinlich brachte die Ausdünstung hier die gleiche Wirkung hervor, wie in der Grotta del Cane. Ich schlich nach meinem Lager zurück, vernahm aber auch dort die ganze Nacht hindurch das Zittern und Wanken des Felsens – und obgleich die Luft dumpf und ruhig war, dauerte das unterirdische Brausen und Rollen dennoch fort. Als ich diesen Morgen mit Tagesanbruch mich erhob und abermals in den Abgrund hinunterblickte, da sah ich ungeheure schwarze Steinmassen über dem Glutstrome und dieser selbst war breiter, feuriger und röther, als in der vorigen Nacht. Jetzt trat ich zur Hütte hinaus und bestieg den Gipfel des Berges. Dort fand ich eine große Vertiefung, die zuvor nicht dagewesen, und aus dieser Vertiefung drang ein dichter Dampf, dessen erstickender Gifthauch mir beinahe das Leben gekostet hätte. Ich kehrte nun wieder in meine Hütte zurück, nahm mein Geld und meine Tränke und verließ den Ort, wo ich schon so viele Jahre gehaust habe; denn ich erinnerte mich einer etruskischen Prophezeihung, welche sagt: ›Wenn der Berg sich öffnet, wird die Stadt fallen – wenn der Rauch über den Hügel der verbrannten Felder sich erhebt, werden die Kinder der See weinen und wehklagen.‹ Furchtbarer Meister, ehe ich von dieser Gegend scheide, um in der Ferne eine andere Wohnung aufzusuchen, komme ich zu Dir. So gewiß als Du lebst, war das Erdbeben, welches vor sechszehn Jahren diese Stadt in ihren Grundfesten erschütterte, nur der Vorbote eines noch schrecklicheren Schicksals. Die Wälle Pompeji's stehen über den Gefilden des Todes und den Strömen der schlaflosen Unterwelt. Verachte nicht meine Warnung und fliehe!«

»Habe Dank, Alte, für Deine Sorge um einen keineswegs Unerkenntlichen. Dort auf dem Tische steht ein goldener Becher; nimm ihn, er ist Dein. Ich ahnte nicht, daß es außer der Priesterschaft der Isis noch ein Wesen gäbe, das den Arbaces vom Verderben retten würde. Die Zeichen, welche Du in dem Krater des erloschenen Vulkans gesehen hast,« fuhr der Egypter fort, »deuten sicher auf eine der Stadt drohende Gefahr, vielleicht auf ein Erdbeben, das noch schrecklicher wird als das vorhergehende. Dem sei nun wie ihm wolle, ich habe einen neuen Grund, mich schleunig aus diesen Mauern zu entfernen. Morgen will ich Anstalt zu meiner Abreise treffen. Tochter Etruriens, wohin wendest Du Dich?«

»Ich werde noch heute den Weg nach Herkulanum einschlagen, und dann, längs der Küche hinwandernd, mir eine neue Heimath suchen. Ich habe keinen Freund mehr; meine beiden Gefährten, der Fuchs und die Schlange, sind todt. Großer Hermes, Du hast mir noch zwanzig Lebensjahre verheißen!«

»Ja, ich habe sie Dir verheißen,« sagte der Egypter. »Aber, Weib,« fügte er, sich auf seinen Arm stützend und ihr neugierig ins Gesicht blickend, hinzu, »höre, warum willst Du so lange leben? Welche Annehmlichkeit findest Du in dem menschlichen Dasein?«

»Das Leben ist gerade nicht süß, aber der Tod ist furchtbar,« erwiderte die Hexe in so scharfem, eindringlichem Tone, daß der eitle Astrolog tief davon erschüttert wurde. Er fühlte die grausame Wahrheit ihrer Antwort, und nicht länger bemüht, einen so unwillkommenen Gast zurückzuhalten, sprach er: »Die Zeit verrinnt; ich muß mich zu dem heutigen Schauspiele bereit machen. Schwester, lebe wohl! Freue Dich, wenn Du kannst, über der Asche des Lebens.«

Die Hexe, welche das kostbare Geschenk des Arbaces in die weiten Falten ihres Kleides verborgen hatte, schickte sich jetzt zum Aufbruche an. Als sie die Thüre erreicht, stand sie stille, kehrte sich um und sagte: »Vielleicht sehen wir uns jetzt zum letztenmale auf Erden; aber wohin entweicht die Flamme, wenn sie die Asche verläßt, wenn sie hin und her, auf und ab züngelt wie der Irrwisch auf dem Moore? Die Flamme zieht sich vielleicht in die Tiefe des Sumpfes zurück, und die Hexe und der Zauberer, die Schülerin und der Meister, das Hohe und das Verachtete treffen sich vielleicht wieder. Lebe wohl!«

»Hinaus, Du Unglücksprophetin!« murmelte Arbaces, als die Thüre sich hinter der Hexe schloß, und als wären ihm seine eigenen Gedanken, die noch immer an dem Traume der letzten Nacht hingen, zuwider, rief er eilends nach seinen Sklaven.

Gewöhnlich wohnte man den amphitheatralischen Schauspielen in festlichen Gewändern bei, und Arbaces verwandte an diesem Tage auf seine Kleider eine größere Sorgfalt als sonst. Seine Tunika war von dem glänzendsten Weiß; die zahlreichen Fibulä bestanden aus den kostbarsten Steinen; über der Tunika wallte ein weites orientalisches Gewand, halb Rock, halb Mantel, von dem reichsten tyrischen Purpur; seine Sandalen, welche bis zur Hälfte der Waden hinaufreichten, waren mit Juwelen und Gold eingelegt. Unter den Gaukeleien, die sein priesterlicher Genius liebte, vernachlässigte Arbaces bei wichtigen Gelegenheiten niemals diejenigen Künste, welche blenden und den Pöbel bestechen; an diesem Tage jedoch, der ihn durch den Tod des Glaukus für immer von einem gefährlichen Nebenbuhler und der Möglichkeit der Entdeckung befreien sollte, war es ihm, als bereite er sich zu einem Triumphe oder zu einem Hochzeitsfeste vor.

Männer von Rang ließen sich zu den Spielen des Amphitheathers stets durch ein zahlreiches Gefolge von Sklaven und Freigelassenen begleiten; auch die große Dienerschaft des Arbaces stand bereits in der schönsten Ordnung versammelt, um der Sänfte ihres Herrn zu folgen.

Diejenigen Sklavinnen hingegen, welche Ione bedienten, sowie der würdige Sosia, Nydia's Gefangenwärter, mußten zu ihrem nicht geringen Ärger zu Hause bleiben.

»Kallias,« sagte Arbaces leise zu dem Freigelassenen, der ihm den Gürtel umband, »ich bin dieser Stadt überdrüssig, und bin fest entschlossen, innerhalb drei Tagen, wenn der Wind uns begünstigt, Pompeji zu verlassen. Du weißt, es liegt ein, dem Narses aus Alexandrien gehöriges Fahrzeug im Hafen, und ich habe es von ihm selbst gekauft. Übermorgen wollen wir alle meine Sachen einschiffen.«

»Schon so bald! Doch gut, ich werde m einem Gebieter gehorchen – und Deine Mündel Ione?«

»Begleitet mich. Genug davon! – Ist es diesen Morgen heiteres Wetter?«

»Schwüldrückend; wahrscheinlich bekommen wir einen ausnehmend heißen Tag.«

»Die armen Gladiatoren und die unglücklichen Verbrecher! Geh hinunter und sieh nach, daß der Zug der Sklaven in Ordnung gebracht wird.«

Als der Freigelassene fort war, trat Arbaces in sein Studirzimmer und von da in den Säulengang hinaus. Er sah, wie dichte Volkshaufen sich nach dem Amphitheater drängten; er hörte das Geschrei der Arbeiter und das Krachen des Tauwerks, als man die ungeheure Zeltdecke ausspannte, unter welcher die Bürger Pompeji's, durch keinen Sonnenstrahl belästigt, dem Todeskampfe ihrer Mitgeschöpfe behaglich zusehen wollten. Plötzlich ließ sich ein wilder, seltsamer Ton hören, der eben so schnell wieder erstarb – es war das Brüllen des Löwen. Lautlose Stille herrschte dabei unter den Schaaren der Zuschauer; aber auf diese Stille folgte ein ausgelassenes Gelächter – der rohe Pöbel ergötzte sich an dem ungeduldigen Heißhunger des königlichen Thieres.

»Bestien!« murmelte Arbaces verdrießlich, »seid ihr weniger Mörder als ich? Ich morde nur, weil meine eigene Sicherheit es fordert – ihr findet an dem Morde ein Vergnügen.«

Mit unstätem und neugierigen Auge blickte jetzt der Magier nach dem Vesuv. In prachtvollem Grün prangten die Weinberge, welche denselben umgaben, und ruhig, wie die Ewigkeit, ragte der gewaltige Berg in die schweigenden Lüfte empor.

»Das Erdbeben läßt mir noch Zeit,« dachte Arbaces und kehrte sich um. Er ging an dem Tische vorbei, auf welchem seine mystischen Pergamentrollen und seine chaldäischen Berechnungen lagen.

»Erhabene Kunst!« dachte er, »ich zog dich nicht mehr zu Rathe seit jener Gefahr, deren Ausgang du mir vorher verkündetest. Weshalb denn? – Von jetzt an finde ich ja auf meinem Lebenspfade nur Glück und Freude. Beweisen die letzten Ereignisse dieses nicht? Fort, ihr Zweifel! – Fort, ihr Regungen des Mitleids! – Nur zwei Bilder, mein Herz, nur zwei Bilder laß mich in Zukunft erblicken – die Herrschaft und Ione!«


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