Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Viertes Kapitel.

Der Nebenbuhler des Glaukus dringt vor auf der Rennbahn.

Ione war eine jener strahlenden Erscheinungen, wie sie über unsere Lebensbahn nur ein- oder zweimal hinblitzen. Sie vereinigte in sich in der höchsten Vollkommenheit die zwei seltensten irdischen Gaben, Geist und Schönheit. Nie noch besaß Jemand höhere geistige Fähigkeiten, ohne sich ihrer bewußt zu sein; die Paarung der Bescheidenheit mit dem Verdienste ist etwas recht Hübsches, aber wo das Verdienst groß ist, da verbirgt der Schleier jener bewunderten Bescheidenheit die Größe des Verdienstes nie vor den Augen dessen, der es in sich trägt. Das stolze Bewußtsein gewisser Eigenschaften, die es dem Alltagsmenschen nicht enthüllen kann, ist es, was dem Genie jenes schüchterne, zurückhaltende und etwas verlegene Wesen gibt, das dich, wenn du es triffst, zugleich irre macht und dir schmeichelt. Täusche dich nicht, eitler Weltmensch, mit dem Gedanken, das verlegene Wesen jenes großen Mannes sei ein Zeichen, daß er seine Geistesüberlegenheit über dich nicht kenne! Was du für Bescheidenheit hältst, ist der innere Kampf der Selbstachtung. Er kennt den unermeßlichen Abstand zwischen dir und ihm nur zu sehr, und ist bloß deshalb aus der Fassung gebracht, weil er sich an den Orten, wo er dir begegnet, plötzlich auf dein Niveau herabgesetzt sieht. Er hat keine Unterredung, keine Gedanken, keinen Verkehr mit Menschen, wie du; – deine Kleinheit ist es, die ihn aus der Fassung bringt, nicht die seinige.

Ione also war sich ihres Genius bewußt; aber mit jener bezaubernden Gewandtheit, die den Frauen eigenthümlich ist, besaß sie das Talent, dessen sich wenige gleichartige Geister unter dem minder biegsamen Geschlechte rühmen können – das Talent, ihr anmuthiges Wissen nach der Fassungskraft derer, mit denen sie in Berührung kam, herabzustimmen und zu modelliren. Die sprudelnde Quelle goß ihre Wasser gleichmäßig auf Ufer, Höhle und Blumen aus; überall erfrischte, lächelte, blendete sie. Jener Stolz, der das natürliche Resultat geistiger Überlegenheit ist, fiel bei ihr nicht lästig; in ihrer Brust concentrirte er sich zur Unabhängigkeit. Sie verfolgte also ihren eigenen, hellen und einsamen Pfad; sie bat keine alte Matrone, sie zu leiten und zu lenken, sie wandelte bloß im nie flackernden Lichte ihrer eigenen Reinheit. Sie gehorchte keiner tyrannischen und allgemeinen Sitte, sondern formte dieselbe im Gegentheile nach ihrem eigenen Willen, aber auf so zarte Weise und mit so weiblicher Anmuth, mit so vollkommenem Fernehalten von jedem Irrthume, daß man nicht sagen konnte, sie trotze der Sitte, sondern sie gebiete ihr. Es war möglich, Ionen nicht zu lieben; vielleicht schien sie zu erhaben für die Liebe gewöhnlicher Geschöpfe; liebte man sie aber einmal, so ging es auch bis zur Anbetung. Der Born ihrer Anmuth war unerschöpflich, sie verschönerte die gewöhnlichsten Handlungen; ein Wort, ein Blick von ihr glich einem Zauber. Wer sie liebte, trat in eine neue Welt ein, und entfernte sich von dieser abgenutzten und prosaischen Erde. Man befand sich alsdann in einem Lande, wo das Auge alle Gegenstände durch ein Kaleidoskop sah. In ihrer Gegenwart glaubte man eine vortreffliche Musik zu hören; man war in jenes Gefühl getaucht, das so wenig von der Erde an sich hat, in jene Entzückung, die die Musik so herrlich einzuflößen vermag, die verfeinert und erhebt, die allerdings die Sinne erfaßt, aber nur, um ihnen die Eigenthümlichkeiten des Geistes zu verleihen.

Sie war somit besonders geschaffen, die minder gewöhnlichen und kühneren Naturen zu beherrschen und zu fesseln. Sie lieben hieß zwei Leidenschaften vereinigen – die der Liebe und des Ehrgeizes; man strebte aufwärts, wenn man sie anbetete. Man darf sich also nicht wundern, daß sie die geheimnisvolle, aber feurige Seele des Egypters – eines Mannes, der die heftigsten Leidenschaften nährte – vollkommen gefesselt und unterjocht hatte. Ihre Schönheit und ihre Seele unterjochten ihn gemeinschaftlich.

Da er selbst von der gewöhnlichen Welt abgesondert dastand, so liebte er jene Kühnheit des Charakters, die sich auch inmitten der Alltagsdinge eine besondere und erhabene Stellung zu verschaffen wußte. Er sah nicht, oder wollte nicht sehen, daß gerade diese Idealisierung sie von ihm noch mehr, als von der Menge entfernte. So ferne, wie die Pole von einander – ferne, wie der Tag von der Nacht, stund seine Einsamkeit von der ihrigen. Er stund vereinzelt da wegen seiner dunkeln, mit Feierlichkeit umgebenen Laster – sie durch ihre schönen Gefühle und ihre reine Tugend.

Wenn es schon nicht befremden konnte, daß Ione das Herz des Egypters so an sich fesselt, so war es noch weit weniger auffallend, daß sie sich ebenso plötzlich als unwiderruflich des hellen und sonnigen Herzens des Atheners bemächtigte. Die Heiterkeit eines Temperaments, das aus Lichtstrahlen gewoben schien, hatten den Glaukus in den Strudel des Vergnügens gestürzt. Wenn er sich der Zerstreuung seines Zeitalters überließ, so gehorchte er nicht sowohl lasterhaften Eingebungen, als vielmehr den munteren Stimmen der Gesundheit und Jugend. Er warf den Lichtglanz seines Wesens über jede Kluft und jede Höhle, durch die er irrte. Seine Einbildungskraft blendete ihn, aber sein Herz war nie verdorben. Weit mehr durchdringenden Scharfsinn besitzend, als seine Kameraden vermutheten, sah er wohl, daß sie seinen Reichthum und seine Jugend auszubeuten suchten; oder das Geld hatte nur insofern Werth für ihn, als es ihm Mittel zum Genuß war, und die Jugend war das sympathische Pfand das ihn an sie knüpfte. Allerdings fühlte er den Antrieb zu ersterem Gedanken und zu einem höheren Ziele, als bei dem Vergnügungen errungen werden konnte; aber die Welt war damals ein großes Gefängnis, dessen kaiserlicher Kerkermeister der Beherrscher von Rom war, und dieselben Tugenden, die in den freien Tagen Athens dem Glaukus Ehrbegierde eingeflößt hatten, machten ihn in der Sklaverei der Erde unthätig und gleichgültig, denn bei jener widernatürlichen und mehr scheinbaren, als wirklichen Civilisation war jeder edle Wetteifer unmöglich gemacht. In den Regionen eines despotischen und wollüstigen Hofes wurde Ehrbegierde zu einem Kampfe der Schmeichelei und List. Habsucht war ausschließlich die Mutter der Ehrbegierde; man suchte Präturen und Provinzen, nur um das Privilegium zu haben, zu plündern. In den kleineren Staaten ist die Ehrliebe am thätigsten und reinsten; je enger die Grenzen des Kreises sind, desto glühender ist die Vaterlandsliebe. Die öffentliche Meinung ist concentrirt und stark; alle Augen sind auf deine Handlungen gerichtet; deine Motive im öffentlichen Leben stehen im Einklange mit deinen Verbindungen im Privatleben; jeder Punkt auf deiner engen Sphäre ist mit Individuen besetzt, die schon seit deiner Jugend dir vertraut sind; der Beifall deiner Mitbürger ist zugleich eine Liebkosung von Freunden. Aber in großen Staaten ist die Hauptstadt nur der Hof; die dir unbekannten Provinzen – fremd in ihren Sitten und vielleicht auch in ihrer Sprache – haben kein Recht auf deinen Patriotismus; die Voreltern ihrer Bewohner sind nicht die deinigen. Am Hofe suchst du Gunst, nicht Ruhm; ferne vom Hofe ist die öffentliche Meinung für dich verschwunden und die Selbstsucht ohne Gegengewicht.

Italien! Italien! In dem Augenblicke, da ich dies schreibe, ist dein Himmel über mir und deine Meere fließen zu meinen Füßen; höre nicht auf jene blinde Politik, die alle deine glorreichen Städte, die um ihre republikanische Freiheit trauern, in ein einziges Reich verwandeln möchten. Falsche, verderbliche Täuschung! Deine einzige Hoffnung zur Wiedergutmachung beruht auf Theilung. Florenz, Mailand, Venedig, Genua, können wieder frei werden, wenn jedes einzeln frei ist. Aber träume nicht von der Freiheit für das Ganze, während du die Theile unter die Knechtschaft beugest; das Herz muß der Mittelpunkt der Organisation sein, das Blut muß überall frei hinrollen; große Staaten hingegen gleichen nur einem aufgedunsenen und kraftlosen Riesen, dessen Gehirn schwach, dessen Glieder lahm sind, und der durch Krankheit und Entkräftung dafür büßt, die natürlichen Verhältnisse der Gesundheit und Kraft überschritten zu haben.

So auf sich selbst beschränkt konnten die herrlicheren Eigenschaften des Glaukus nur in jener überreichen Einbildungskraft, welche dem Vergnügen Anmuth und dem Gedanken Poesie verleiht, einen Ausweg finden. Behagliches Leben nur minder verächtlich, als ein Wettstreit mit den Parasiten und Sklaven, und obgleich die Ehrfurcht nicht geadelt werden konnte, so ließ sich doch der Luxus läutern. Aber was an Vortrefflichem und Glänzendem in Glaukus Herz geschlummert hatte, erwachte auf einmal, als er Ione kennen lernte. Hier war ein Reich, würdig des Strebens eines Halbgottes; hier eine Herrlichkeit, die der garstige Rauch einer verdorbenen Gesellschaft weder beschmutzen noch verdunkeln konnte. So kann die Liebe zu allen Zeiten und unter allen Verhältnissen Raum für ihre goldenen Altäre finden. Und saget mir, ob es je, selbst in den dem Ruhme günstigsten Zeiten einen erhabeneren und entzückenderen Triumph gegeben habe, als die Eroberung eines Herzens?

Diese Empfindung also mochte ihn in Ione's Gegenwart so sehr begeistern, daß sein Geist höher glühte, seine Seele wacher und sichtbarer schien. Wenn es natürlich war, daß er sie liebte, so war es eben so natürlich, daß sie die Leidenschaft erwiderte. Jung, glänzend, beredt, liebeglühend und ein Athener, war er in ihren Augen die verkörperte Poesie des Landes ihrer Väter. Sie waren nicht wie die Geschöpfe einer Welt, deren Elemente Krieg und Schmerz sind, sondern wie Wesen, die nur an den Festtagen der Natur sichtbar sind; so herrlich und frisch war ihre Jugend, ihre Schönheit, ihre Liebe. Sie schienen auf dieser rauhen Alltagswelt nicht an ihrem Platze zu sein; sie gehörten eigentlich dem Zeitalter des Saturnus und den Träumen von Halbgöttern und Nymphen an. Es war, als ob die der Poesie des Lebens ursprüngliche Anmuth in ihnen sich gesammelt und seine Nahrung gefunden habe, und in ihrem Herzen concentrirten sich die Strahlen der Sonne von Delos und Griechenland.

Wenn aber Ione in der Wahl ihres Lebens unabhängig zu Werke ging, so war ihr bescheidener Stolz in demselbem Maße wachsam und leicht zu beruhigen. Die Lüge des Egypters war von einer tiefen Kenntnis ihrer Natur eingegeben. Der Bericht von dem rohen und unzarten Benehmen des Glaukus verwandelte sie in ihrem Innersten; sie sah darin einen Tadel ihres Charakters und ihrer Lebensweise, vor Allem aber eine Bestrafung ihrer Liebe. Sie erkannte zum erstenmale, wie unvorsichtig schnell sie dieser Liebe nachgegeben hatte, und erröthete über eine Schwäche, deren Größe sie bebend ermaß; sie dachte sich, gerade diese Schwäche habe ihr die Verachtung des Glaukus zugezogen, und so litt sie die grausamste Pein edler Naturen, Demüthigung. Und doch war ihre Liebe vielleicht eben so beunruhigt, als ihr Stolz. Wenn sie einen Augenblick dem Glaukus mit halblauter Stimme Vorwürfe machte, ihm entsagte, ihn beinahe haßte, so brach sie im nächsten Augenblicke in leidenschaftliche Thränen der Liebe aus, ihr Herz gab seiner angeborenen Milde nach, und in der Bitterkeit ihrer Qual sagte sie: »er verachtet mich, er liebt mich nicht.«

Sobald sie der Egypter verlassen, hatte sie sich in das entlegenste Zimmer ihres Hauses zurückgezogen, ihre Dienerinnen entfernt und vor der Schaar, die ihre Thüre umlagerte, sich verläugnet. Glaukus wurde mit den Andern ausgeschlossen; er wunderte sich darüber, errieth aber den Grund nicht. Seiner Ione, seiner Königin, seiner Göttin, traute er nie jene weibliche Launenhaftigkeit zu, über die sich die Liebesdichter Italiens so unablässig beklagen. Er glaubte, sie sei bei der Majestät ihrer Aufrichtigkeit über alle jene Kunstgriffe erhaben, die einen Liebenden martern, und obgleich er sich beunruhigt fühlte, waren doch seine Hoffnungen nicht verdüstert, denn er wußte ja bereits, daß er liebte und geliebt wurde, – welch kräftigeres Amulet konnte er wünschen, um sich der Furcht zu erwehren.

In tiefster Nacht, wenn Stille in den Straßen herrschte, und nur der Mond ein Zeuge seiner Huldigung war, stahl er sich zu dem Tempel seines Herzens, – zu ihrer Wohnung hin; denn ach den Worten der Athener ist die Wohnung der Geliebten ein wahrer KupidotempelAthenäus – »der wahre Tempel des Kupido, ist das Haus der Geliebten.« und er freite um sie nach der schönen Sitte seines Landes. Er überdeckte ihre Thürschwelle mit den reichsten Blumenkränzen, in denen jede Blume ein Ausdruck süßer Liebe war, und erfüllte die lange Sommernacht mit den Thönen der lycischen Laute und mit Versen, wie sie die Begeisterung des Augenblicks erschuf.

Aber das Fenster oben öffnete sich nicht, kein Lächeln machte den Schein der Nacht heiliger. Alles blieb still und dunkel; er wußte nicht, ob seine Verse gut aufgenommen waren, seine Bitten Gehör fanden.

Doch Ione schlief nicht und verschmähte nicht, ihn zu hören; sie trösteten – sie überwältigten sie. Während sie denselben zulauschte, glaubte sie Nichts gegen ihren Geliebten; aber wenn sie endlich verstummten und seine Tritte verhallten, da verschwand auch der Zauber, und in der Bitterkeit ihres Herzens fand sie in dieser zarten Huldigung beinahe eine neue Beleidigung.

Ich sagte, sie habe sich vor jedermann verläugnet, indessen fand sie doch eine Ausnahme Statt; es gab eine einzige Person, die sich nicht zurückweisen ließ und die sich über ihre Handlungen und das Haus eine Art väterliche Autorität anmaßte. Arbaces forderte für sich eine Ausnahme von allen Andern gegenüber beobachteten Förmlichkeiten. Über ihre Thürschwelle trat er mit der Zuversicht eines Mannes, der fühlt, daß er in seinem Rechte, daß er zu Hause ist. Er drang in ihre Einsamkeit mit jener ruhigen und keiner Entschuldigung bedürfenden Miene, als ob das so ganz in der Ordnung wäre. Bei aller Unabhängigkeit im Charakter Ione's war es ihm durch seine Gewandtheit gelungen, eine geheime und mächtige Herrschaft über ihr Gemüth zu erlangen. Sie konnte sich nicht davon losmachen; bisweilen wünschte sie es zwar, aber nie versuchte sie einen ernstlichen Kampf dagegen. Sie war durch seinen Schlangenblick verzaubert; er gebot über ihr Thun und Lassen durch den Zauber seines Geistes, der längst daran gewöhnt war, Eifersucht einzuflößen, und zu unterjochen. Da Ione auch nicht die leiseste Ahnung von seinem wahren Charakter oder von seiner geheimen Liebe hatte, so fühlte sie für ihn die hohe Achtung, die das Genie für die Weisheit und die Tugend für die Heiligkeit hegt. Sie betrachtete ihn wie einen jener mächtigen Weisen des Alterthums, die durch ihre Eremtion von den Leidenschaften der übrigen Menschen in die Geheimnisse des Wissens eingedrungen waren. Sie sah ihn kaum als ein irdisches, ihr ähnliches Wesen an, sondern als ein geheimnisvolles und heiliges Orakel. Sie liebte ihn nicht, aber sie fürchtete ihn. Seine Gegenwart war ihr unangenehm; sie verdüsterte ihren Geist selbst in seiner klarsten Stimmung. Sein erhabenes und eisiges Wesen erinnerte sie an einen jener hohen Berge, die über die Sonne einen Schatten warfen. Dessenungeachtet aber dachte sie nie daran, ihm seine Besuche zu verbieten, sondern verhielt sich ruhig unter dem Einflusse, der in ihrer Brust zwar nicht das Zurückstoßende, aber doch Etwas von der Unheimlichkeit des Schreckens erregte.

Arbaces selbst beschloß künftig alle seine Künste anzuwenden, um in den Besitz des Schatzes zu gelangen, nach dem er sich so glühend sehnte. Er fühlte sich ermuthigt und erhoben bei dem Gedanken an seinen Sieg. Von der Stunde an, in der Apäcides dem wollüstigen Zauber des erwähnten Festes unterlag, fühlte er seine Herrschaft über den jungen Priester glorreich gesichert. Er wußte, daß es kein vollkommener unterjochtes Opfer gibt, als einen glühenden jungen Mann, der zum erstenmale der Herrschaft der Sinne überlassen wird.

Als Apäcides mit dem frühen Morgen aus dem tiefen Schlafe erwachte, der dem Delirium des Erstaunens und der Lust folgte. fühlte er sich allerdings beschämt, erschrocken und bange. Sein Gelübde der Enthaltsamkeit und Keuschheit ertönte in seinem Ohre; sein Durst nach Heiligkeit war aus einer so unreinen Quelle gestillt worden! Aber Arbaces kannte die Mittel genau, seinen Sieg zu sichern. Von den Künsten der Wollust führte er den jungen Priester sofort in seine mysterische Weisheit ein. Er enthüllte vor seinen erstaunten Blicken die düstere Philosophie des Nils, jene den Gestirnen entnommenen Geheimnisse, und jene ungeregelte Alchymie, die in einem Zeitalter, wo sogar die Vernunft nur ein Geschöpf der Einbildungskraft war, wohl für die Lehre eines vom Himmel gesandten Zauberers gelten konnte. In den Augen des jungen Priesters war Arbaces ein über die Sterblichkeit erhabenes und mit übernatürlichen Gaben ausgerüstetes Wesen. Jene heftige und gewaltige Sehnsucht nach der Wissenschaft, die nicht von dieser Erde ist, die schon seit früher Zeit im Herzen des Priesters glühte, wurde verblendet, die bis sie sein klares Bewußtsein verwirrte und bemeisterte. Er überließ sich einer Leitung, die sich zu gleicher Zeit an die zwei stärksten der menschlichen Leidenschaften – an das Verlangen nach sinnlichem Genuß und an das Streben nach Wissenschaft – wandte. Er konnte nicht glauben, daß ein so weiser Mann irren, daß ein so erhabener sich zum Betruge erniedrigen könne. In das düstere Gewebe metaphysischer Lehren verstrickt, griff er gierig nach der Entschuldigung, durch die der Egypter Laster in Tugend verwandelte. Seine Eitelkeit fühlte sich, ohne daß er es selbst wußte, geschmeichelt, daß Arbaces ihn für würdig gehalten hatte, ihn auf seine eigene Höhe zu erheben, ihn von den Gesetzen zu entbinden, welche die Menge regierten und ihn an den mystischen Studien und dem magischen Blendwerke seiner Einsamkeit Theil nehmen zu lassen. Die reinen und strengen Lehren jenes Glaubens, zu welchem Olinth ihn zu bekehren gesucht, waren durch die Flut neuer Leidenschaften aus seinem Gedächtnisse verwischt worden; der mit den Dogmen des wahren Glaubens wohl vertraute Egypter vernahm von seinem Schüler kaum, welchen Eindruck ihre Anhänger auf ihn gemacht hatten, als er auch schon mit ziemlicher Gewandtheit durch eine Reihe von halb ernsten, halb ironischen Bemerkungen diesen Eindruck zu verstören suchte.

»Dieser Glaube,« sagte er, »ist nur ein Plagiat, den zahllosen, von unsern alten Priestern erfundenen Allegorien entnommen. Sieh,« fuhr er, auf eine mit Hieroglpyhen beschriebene Rolle zeigend, fort, »sieh, in diesen alten Figuren den Ursprung der christlichen Dreieinigkeit. Hier sind auch drei Götter: der Vater, der Geist und der Sohn. Bemerke, daß der Beiname des Sohnes Erlöser heißt; bemerke ferner, daß das Zeichen, durch welches seine menschlichen Eigenschaften angedeutet werden, das Kreuz ist,Der Gläubige wird aus diesem zufälligen Zusammentreffen einen von dem des Egypters sehr verschiedenen Schluß ziehen. betrachtete hierbei die mystische Geschichte des Osiris, wie er getödtet wurde, wie er im Grabe lag, und wie er, eine heilige Sühne vollziehend, wieder von den Todten auferstand. Zu diesen Geschichten beabsichtigten wir bloß eine Allegorie von den Operationen der Natur und den Bewegungen des ewigen Himmels zu geben; aber da der allegorische Sinn nicht verstanden wurde, so haben die Standbilder abergläubischen Nationen Stoff zu einer Menge von Glaubenslehren geliefert. Diese Sinnbilder sind sogar in die ungeheuren Ebenen Indiens gedrungen und haben sich den träumerischen Spekulationen der Griechen beigemischt. Immer gröber und kühner werdend, je mehr sie sich von dem Schatten ihres Ursprungs entfernten, nahmen sie in diesem neuen Glauben eine menschliche und handgreifliche Gestalt an, und die Anhänger des Galiläers sind, ohne es zu wissen, nur die Nachbeter einer der Allegorien vom Nil.«

Dies war der letzte Beweis, der den jungen Priester vollkommen überwältigte. Wie alle Menschen fühlte er das Bedürfnis, an Etwas zu glauben, und ungetheilt gab er sich dem Glauben hin, den ihn Arbaces lehrte, und dem endlich auch Alles, was Menschliches in der Leidenschaft, Schmeichelhaftes in der Eitelkeit, Verlockendes im Genusse liegt, als anziehende, sowie als vollkommen bekräftigende Macht, zur Seite stand.

Nachdem der Egypter diesen Sieg so leicht gewonnen hatte, konnte er sich nun gänzlich der Verfolgung eines ihm wichtigeren und werthvolleren Planes widmen, und in seinem guten Glücke bei dem Bruder begrüßte er ein günstiges Omen für seinen Triumph bei der Schwester.

Er hatte Ione am Morgen nach dem Gelage besucht, dessen Zeugen wir waren, und somit gerade den Tag, nach dem er sie gegen Glaukus gestimmt hatte. Er sah sie den zweiten und dritten Tag nachher wieder, und jedesmal bot er all seine Gewandtheit auf, theils um den Eindruck gegen Glaukus zu befestigen, hauptsächlich aber, um sie für die Eindrücke empfänglich zu machen, die sie nach seinem Wunsche emfpangen sollte. Die stolze Ione verhehlte die Qual, die sie erlitt, sorgfältig, und weiblicher Stolz besitzt eine Verstellung, die den schärfsten Blick täuschen, die vollendetste Schlauheit beschämen kann. Übrigens war Arbaces schlau genug, nicht wieder auf eine Gegenstand zurückzukommen, den ihn sein richtiges Gefühl als etwas höchst Unbedeutendes behandeln ließ. Er wußte, daß man durch längeres Verweilen bei dem Vergehen eines Nebenbuhlers diesem in den Augen der Geliebten nur einen gewissen Werth verleiht; das Klügste ist, ihn weder laut zu hassen, noch bitter zu verdammen, sondern ihn durch einen gleichgültigen Ton zu erniedrigen, als ob man gar nicht daran dächte, daß er geliebt werden könne. Das Sicherste für uns selbst ist, die unserm eigenen Stolze beigebrachte Wunde zu verhehlen, dagegen unbemerkbar den Stolz der Schiedsrichterin, deren Stimme ein Gebot des Fatums ist, zu verletzen! Dies wird zu allen Zeiten die Politik eines Mannes sein, der das weibliche Geschlecht kennt – es war jetzt die des Egypters.

Er kehrte nicht wieder auf die Anmaßung des Glaukus zurück: er nannte wohl seinen Namen, aber nicht öfter, als den des Klodius oder Lepidus. Er gab sich den Anschein, sie in eine Klasse zu stellen, als Wesen einer niederen, ephemeren Art; als Wesen, denen zum Schmetterlinge nichts fehlt, als dessen Unschuld und Anmuth. Bisweilen erwähnte er flüchtig irgend eine erfundene Schwelgerei, bei der sie Genossen gewesen seien; dann sprach er wieder von ihnen als von den Antipoden jener erhabenen und geistigen Naturen, zu deren Ordnung Ione gehörte. Durch den Stolz Ione's, sowie vielleicht durch seinen eigenen gleichmäßig verblendet, ließ er sich nicht träumen, daß sie bereits liebe; aber er fürchtete wenigstens, daß sie für Glaukus jene ersten flüchtigen Vorgefühle empfinde, die zur Liebe führen. Darum knirschte er auch insgeheim die Zähne vor Wuth und Eifersucht, wenn er an die Jugend, die Liebenswürdigkeit und den Glanz jenes fürchterlichen Nebenbuhlers gedachte, dem er anscheinend so geringen Werth beilegte.

Am vierten Tage nach der am Schlusse des vorigen Buches erzählten Begebenheiten saßen Arbaces und Ione wieder beisammen.

»Du trägst auch zu Hause einen Schleier,« hub der Egypter an; »das ist nicht schön gegen die, welche Du mit Deiner Freundschaft beehrst.«

»Was kann aber dem Arbaces,« antwortete Ione, die allerdings den Schleier über ihr Gesicht geworfen hatte, um die vom Weinen gerötheten Augen zu verbergen, »was kann aber dem Arbaces, der nur auf den Geist sieht, daran liegen, wenn das Gesicht verhüllt ist?«

»Ich sehe bloß auf den Geist,« antwortete der Egypter; »zeige mir darum Dein Antlitz, denn dort werde ich ihn sehen.«

»Du wirst zum Schmeichler in der Luft von Pompeji,« entgegnete Ione mit einem Tone erzwungener Heiterkeit.

»Glaubst Du etwa, herrliche Ione, ich habe Dich nur zu Pompeji schätzen gelernt?«

Des Egypters Stimme zitterte – er hielt einen Augenblick inne und fuhr sodann fort: »Es gibt eine Liebe, schöne Griechin, die nicht bloß die Liebe der Gedankenlosen und der Jungen ist – es gibt eine Liebe, die nicht mit den Augen sieht, die nicht mit den Ohren hört, sondern in welcher Seele für Seele glüht. Der Landsmann Deiner Vorfahren, der tiefdenkende Plato, träumte von solch einer Liebe – seine Jünger haben ihn nachzuahmen gesucht; aber es ist dies eine Liebe, die kein Echo hat für die große Heerde – eine Liebe, die nur erhabene und edle Naturen begreifen können – sie hat nichts gemein mit den Sympathien und Banden niedriger Neigung – Runzeln sind ihr nicht zuwider – die Häßlichkeit der Gesichtszüge schreckt sie nicht ab. Sie verlangt allerdings Jugend, aber nur in der Frische der Empfindungen; sie verlangt allerdings Schönheit – aber nur die Schönheit des Gedankens und des Geistes. Dies ist die Liebe, o Ione, die der kalte und strenge Mann Dir als würdiges Opfer darbringt. Du hältst mich für streng und kalt – dies ist die Liebe, die ich auf Deinem Altar niederzulegen wage, Du kannst sie ohne Erröthen annehmen.«

»Und ihr Name ist Freundschaft!« entgegnete Ione; ihre Antwort war unschuldig, und doch klang sie wie ein Vorwurf gegen die durchschauten Absichten des Arbaces.

»Freundschaft!« sprach Arbaces heftig; »nein, das ist nur ein zu oft entweihtes Wort, um es auf eine so heilige Empfindung anzuwenden. Freundschaft! das ist ein Band, das Thoren und Wüstlinge verknüpft. Freundschaft! das ist der Bund, der die gehaltlosen Herzen eines Glaukus und Klodius umschlingt. Freundschaft! das ist eine irdische Neigung, gemeinen Gewohnheiten und unlautern Sympathien entsprungen; – das Gefühl, von dem ich rede, ist den Sternen entlehnt. Es trägt etwas von jener mystischen und unaussprechlichen Sehnsucht in sich, die uns ergreift, wenn wir sie betrachten – es brennt, aber es läutert – es ist die Naphtalampe in der Alabastervase, die von herrlichen Wohlgerüchen glüht, aber nur durch die reinsten Gefäße strahlt. Nein, es ist nicht Liebe und ist nicht Freundschaft, was Arbaces für Ione fühlt. Gib ihm keinen Namen – die Erde hat keinen Namen dafür – es ist nicht von der Erde – warum es durch irdische Benennungen und irdische Beisätze erniedrigen?«

Nie zuvor hatte sich Arbaces so weit gewagt, aber er fühlte sich Schritt für Schritt auf festem Grund; er wußte, daß er in einer Sprach redete, die, wenn sie auch in unsern Tagen eines affektirten Platonismus schönen Ohren wohl verständlich sein würde, doch zu jener Zeit seltsam und ungewöhnlich klang, und mit der keine bestimmten Vorstellungen verknüpft werden konnten, so daß er unmerklich vorzurücken oder zurückzuweichen volle Freiheit hatte, wie es die Gelegenheit erforderte, und je nachdem die Hoffnung ermuthigte oder die Furcht abschreckte. Ione zitterte, obgleich sie nicht wußte, warum; ihr Schleier verhüllte ihre Züge und verbarg einen Ausdruck, der, wenn ihn der Egypter gesehen hätte, diesen zugleich entmuthigt und in Wuth versetzt haben würde; in der That hatte er ihr nie mehr mißfallen – die harmonische Biegsamkeit der überredensten Stimme, die je unheilige Gedanken verbarg, fiel mißklingend in ihr Ohr. Ihre ganze Seele war noch mit dem Bilde des Glaukus erfüllt und der Ausdruck der Zärtlichkeit aus jedem andern Munde entrüstete und erschreckte sie; doch glaubte sie nicht, daß eine glühendere Leidenschaft, als jene platonische Liebe, die Arbaces ausdrückte, unter seinen Worten laure. Sie glaubte, er habe in Wahrheit nur von der Neigung und Sympathie der Seele gesprochen; aber war es nicht gerade diese Neigung, diese Sympathie, die einen Theil der Gefühle ausmacht, die sie für Glaukus empfand? Und konnte irgend ein anderer Fußtritt, als der seinige, der wohlverwahrten Pforte ihres Herzens sich nähern?

Vom ängstlichen Wunsche geleitet, dem Gespräch eine andere Richtung zu geben, antwortete sie deshalb mit kalter und gleichgültiger Stimme: »Es ist natürlich, daß Arbaces, wen er auch immer mit dem Gefühle seiner Achtung beehrt, in seiner erhabenen Weisheit diesem Gefühle seine eigene Farbe gibt; es ist natürlich, daß seine Freundschaft reiner ist, als die Anderer, deren Treiben und Irrthum er zu theilen verschmäht. Aber sage mir, Arbaces, hast Du meinen Bruder kürzlich gesehen? Er hat mich seit einigen Tagen nicht besucht, und als ich ihn zuletzt sprach, beunruhigte und erschreckte mich sein Benehmen sehr; ich fürchte, er war zu voreilig in der strengen Wahl, die er getroffen, und bereut nun einen unwiderruflichen Schritt.

»Sei unbesorgt, Ione,« antwortete der Egypter. »Er war allerdings seit einiger Zeit unruhig und traurigen Geistes; Zweifel überfielen ihn, wie sie bei einem Menschen von jenem glühenden Temperamente, das beständig ebbt und flutet und zwischen Aufregung und Erschöpfung schwankt, sich so leicht einstellen. Aber er, Ione, er kam zu mir in seiner Angst und Qual; er suchte Jemand, der ihn bemitleide und liebe; ich habe sein Gemüth beruhigt, habe seine Zweifel beseitigt, habe ihn von der Schwelle der Weisheit in ihren Tempel eingeführt und vor der Majestät der Gottheit ward seine Seele beruhigt und besänftigt. Sei ohne Furcht, er wird hinfort nicht mehr bereuen; die, so sich dem Arbaces vertrauen, bereuen nie länger, als einen Augenblick.«

»Du freust mich,« antwortete Ione; »mein theurer Bruder! In seiner Zufriedenheit fühle ich mich glücklich.«

Das Gespräch ging nun auf leichtere Gegenstände über; der Egypter bemühte sich, zu gefallen, ließ sich sogar herab, zu unterhalten; die ungeheure Mannigfaltigkeit seines Wissens befähigte ihn, jeden Gegenstand, den er berührte, zu schmücken und aufzuhellen; den mißfälligen Eindruck seiner früheren Worte vergessend, sah sich Ione, trotz ihrer trüben Stimmung, durch den Zauber seines Geistes fortgerissen. Ihr Benehmen wurde wieder unbefangen und ihre Rede fließend, Arbaces aber, der längst auf diese Gelegenheit gewartet hatte, beeilte sich, sie zu ergreifen.

»Du hast noch nie,« hub er an, »das Innere meines Hauses gesehen; eine solche Beaugenscheinigung möchte Dich vielleicht ansprechen; es enthält einige Zimmer, die Dir das erklären können, worüber Du so oft eine Beschreibung von mir fordertest – die Einrichtung eines egyptischen Hauses; zwar wirst Du keineswegs in den ärmlichen und kleinlichen Verhältnissen der römischen Architektur die massive Kraft, die ungeheure Ausdehnung, die riesenhafte Pracht oder auch nur das Häusliche in der Bauart der Paläste von Theben und Memphis finden, aber da und dort wirst Du doch Manches sehen, was Dir einigen Begriff von jener uralten Civilisation geben kann, welche die Welt humanisirt hat. Widme also dem strengen Freunde Deiner Jugend einen dieser herrlichen Sommerabende und gewähre mir den Ruhm, daß meine düstere Wohnung durch die Gegenwart der bewunderten Ione beehrt worden sei.«

Ohne weder die Entweihungen dieses Hauses, noch die Gefahr, die sie dort erwartete, zu ahnen, ging Ione sofort auf den Vorschlag ein; der nächste Abend wurde zum Besuche bestimmt, und der Egypter entfernte sich mit heiterem Angesichte und einem Herzen, das von wilder und unheiliger Freude pochte. Kaum war er fort, als ein anderer Besuch um Einlaß bat – doch jetzt kehren wir zu Glaukus zurück.


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