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Tage sind wie Jahre in der Liebe der jungen Leute, wenn keine Schranke, kein Hindernis zwischen ihrem Herzen sich erhebt – wenn die Sonne scheint und der Strom sanft dahinfließt – wenn ihre Liebe glücklich und geoffenbart ist. Ione verhehlte dem Glaukus nicht länger die Zuneigung, die sie für ihn hegte, und ihr einziges Gespräch hinfort war ihre Liebe. Über der Entzückung der Gegenwart glühten die Hoffnungen der Zukunft, wie der Himmel über den Gärten des Frühlings. In ihren zutrauensvollen Gedanken schifften sie weit auf dem Strome der Zeit hinab – entwarfen sich den Plan ihres künftigen Geschicks und ließen den Glanz des heutigen Tages auch auf den morgigen sich ergießen. In der Jugend ihrer Herzen schienen ihnen Sorge und Wechsel und Tod völlig unbekannte Dinge zu sein. Vielleicht liebten sie einander um so mehr, weil der Zustand der Welt dem Glaukus kein Ziel und keinen Wunsch übrig ließ, als Liebe; weil diejenigen Beschäftigungen, die in Freistaaten des Mannes Neigung gewöhnlich in Anspruch nehmen, für den Athener nicht vorhanden waren – weil sein Vaterland ihn nicht in das Gewühl des bürgerlichen Lebens berief, weil die Ehrfurcht kein Gegengewicht gegen die Liebe bot und deshalb letztere allein über alle Pläne unserer Liebenden herrschte. In dem eisernen Zeitalter lebend, glaubten sie sich im goldenen, nun dazu bestimmt, zu leben und zu lieben.
Dem oberflächlichen Beobachter, der sich nur für scharf markirte und mit dicken Farben aufgetragenen Charaktere interessirt, mögen die beiden Liebenden von zu leichter und zu gewöhnlicher Form erscheinen; denn der Leser glaubt bisweilen in der Zeichnung von Personen, die absichtlich nicht so scharf hervorgehoben sind, einen Mangel an Charakter zu erblicken, und vielleicht bin ich auch in der That dadurch ungerecht gegen die Natur dieser beiden Liebenden, daß sich ihre äußere Persönlichkeit nicht schärfer ans Licht stelle. Wenn ich jedoch so lange bei dem strahlenden und einem Vogel gleich in den Lüften sich bewegende Theile ihres innern Wesens verweile, werde ich hiezu fast unbewußt von der Ahnung der Veränderung bestimmt, die ihrer harrt und auf die sie so wenig vorbereitet sind. Gerade diese Milde und Heiterkeit des Lebens bildet den kräftigsten Gegensatz zu den Wechselfällen ihres künftigen Schicksals. Für die Eiche ohne Frucht oder Blüte, deren starker und rauher Stamm dem Sturme zu trotzen vermag, ist weniger Gefahr verbunden, als für die zarten Zweige der Myrte und die lachenden Büscheln des Weinstocks.
Man war jetzt weit im August vorgerückt – ihre Hochzeit war auf den nächsten Monat festgesetzt und die Thürschwelle des Glaukus bereits mit Kränzen geschmückt, während er selbst des Nachts vor Ione's Thür reiche Libationen brachte. Für seine munteren Genossen war er nicht mehr da, sondern stets bei Ione. In den Vormittagen verkürzten sie die heißen Stunden mit Musik, in den Abenden aber verließen sie die angefüllten Versammlungsorte froher Menschen, um Spazierfahrten auf dem Wasser oder Ausflüge nach den fruchtbaren und rebenbedeckten Ebenen zu machen, die am Fuße des verhängnisvollen Berges Vesuv liegen. Die Erde bebte nicht mehr; die lebhaften Pompejaner vergaßen sogar die erhaltene fürchterliche Warnung ihres hervorstehenden Looses. Glaukus sah in der Eitelkeit seiner heidnischen Religion in jener Erschütterung ein besonderes Einschreiten der Götter, weniger zu seiner eigenen, als vielmehr zu Ione's Rettung. Er brachte Dankopfer in den Tempeln seines Glaubens und selbst der Altar der Isis war mit seinen Votivkränzen bedeckt. Was das Wunder des belebten Marmorbildes anbelangt, so erröthete er über den Eindruck, den es auf ihn hervorgebracht. Er glaubte zwar, daß es durch menschliche Zauberkraft bewerkstelligt worden sei, aber der Erfolg überzeugte ihn, daß sich keineswegs der Zorn der Göttin darin ausgesprochen hatte.
Von Arbaces hörten sie nur, daß er noch am Leben sei; auf das Schmerzenslager gestreckt, erholte er sich langsam von den Folgen des erlittenen Schlages. Er ließ die Liebenden unbelästigt, aber nur um über die Stunde und die Art seiner Rache zu brüten.
Wie Morgens im Hause Ione's, so war auch Abends auf ihren Spaziergängen Nydia ihre beständige und oft einzige Gesellschaft. Das geheime Feuer, das sie verzehrte, ahnten sie nicht; das freie Wesen, mit dem sie sich ganz unversehens in ihr Gespräch mischte, ihre launenhafte und oft mürrische Stimmung fand in der Erinnerung an den Ione geleisteten Dienst und in dem Mitleiden mit ihrem Unglück die vollste Nachsicht. Vielleicht fühlten sie gerade wegen der Sonderbarkeit und des Eigensinnes ihrer Natur, wegen der auffallenden Übergänge von Leidenschaftlichkeit und Milde – der Mischung von Unwissenheit und Genie, von Zartgefühl und Rauheit, den schnellen Launen eins Kindes und der stolzen Ruhe eines Weibes – eine um so größere und innigere Theilnahme für sie. Obgleich sie sich weigerte, ihre Freilassung anzunehmen, so ließ man ihr doch beständig alle Freiheit; sie ging wohin sie mochte, ihren Worten und Handlungen war kein Zwang angelegt, denn Glaukus und Ione fühlten für ein so unglückliches und für jede Wunde so empfängliches Wesen dieselbe mitleidsvolle Nachsicht, welche eine Mutter für ein verwöhntes und kränkliches Kind fühlt, und mochten selbst da ihr Autorität nicht gebrauchen, wo sie es zu Nydia's eigenem Besten zu thun gewünscht hätten. Sie benützte diese Freiheit zunächst dazu, sich die Gesellschaft des Sklaven zu verbitten, der sie nach dem Wunsche ihrer Gebieter hätte begleiten sollen. Mit dem leichten Stabe, der ihre Schritte lenkte, schritt sie auch jetzt, wie in ihrem frühen schutzlosen Zustande durch die volkreichen Straßen; fast wunderbar zu schauen war es, wie schnell und wie gewandt sie durch jeden Volkshaufen sich Bahn brach, jede Gefahr vermied, und ihren umnachteten Weg durch die verwickelsten Straßenwendungen finden konnte. Ihr Hauptvergnügen jedoch bestund noch immer darin, die wenigen Fuß Bodens zu besuchen, die den Garten des Glaukus bildeten, und die Blumen zu pflegen, die wenigstens ihre Liebe vergalten. Bisweilen trat sie in das Zimmer, wo er saß, und suchte ein Gespräch anzuknüpfen, das sie beinahe jedesmal plötzlich wieder abbrach – denn ein Gespräch mit Glaukus zielte nur auf einen Gegenstand – auf Ione, und dieser Name aus seinen Lippen verursachte ihr schreckliche Qualen. Oft bereute sie bitterlich den Dienst, den sie Ione erwiesen hatte; oft sagte sie zu sich selbst: »Wäre sie gefallen, so hätte Glaukus sie nicht länger lieben können!« und dann schlichen sich dunkle und fürchterliche Gedanken in ihre Brust.
Als sie so edelmütig gehandelt, hatte sie die Prüfungen, die ihrer harrten, noch nicht völlig kennen gelernt. Sie war noch nie dabei gewesen, wenn Glaukus und Ione beisammen saßen; sie hatte noch nie gehört, wie diese Stimme, die so liebreich gegen sie war, so unendlich sanfter mit einer Andern sprach. Der Schlag, der ihr Herz bei der Kunde von Glaukus Liebe zermalmte, hatte sie anfänglich nur betrübt und erstarrt; allmählig jedoch trat ihre Eifersucht in einer wilderen und trotzigeren Gestalt auf, nahm etwas von dem Haß an, flüsterte von Rache. Wie man den Wind nur die grünen Blätter am Zweige bewegen sieht, während das Land, das verwelkt und dürr, zusammengedrückt und mit Füßen getreten, auf dem Boden lag, bis Saft und Leben daraus entschwanden, plötzlich aufgewirbelt wird – jetzt hierhin – jetzt dorthin – ohne Rast und ohne Ruhe: so hat die Liebe, welche den Glücklichen und Hoffnungsvollen besucht, nur Frische auf ihren Schwingen, ihre Heftigkeit ist nur ein Spiel; aber das Herz, das von den grünen Zweigen des Lebens abgefallen ist, das keine Hoffnung in sich selbst, keinen Sommer in seinen Adern trägt, wird von demselben Wind, der seine Brüder nur liebkost, zerrissen und umhergewirbelt; es hat keinen Zweig, um sich daran zu halten – wird von Pfad zu Pfad geweht, bis die Winde sich legen oder bis es für immer in den Schlamm niedergetreten wird.
Die freundlose Kindheit Nydia's hatte ihren Charakter frühzeitig gehärtet; vielleicht hatten auch die Scenen der sündhaften Schwelgereien, denen sie anscheinend unbeschädigt beigewohnt, ihre Leidenschaften gereift, obwohl kein Flecken auf ihre Reinheit gefallen war. Im ersten Augenblicke mochten sie die Orgien Burbo's nur angeekelt, die Gastmahle des Egypters nur erschreckt haben; aber dennoch hatte vielleicht dieser Hauch von Befleckung in der Brust, über die er so leicht hingekreist, seine Samenkörner zurückgelassen. Da zudem Dunkelheit die Träumereien der Einbildungskraft begünstigt, so trug vielleicht gerade ihre Blindheit dazu bei, die Liebe des unglücklichen Mädchens mit wilden und wahnsinnigen Visionen zu nähren. Die Stimme des Glaukus war die erste gewesen, die ihrem Ohre melodisch erklungen; seine Güte machte einen tiefen Eindruck auf ihr Gemüth; als er im vorigen Jahre Pompeji verließ, hatte sie jedes seiner Worte als einen kostbaren Schatz in ihrem Herzen aufbewahrt, und wenn ihr irgend Jemand sagte, dieser Freund und Gönner des armen Blumenmädchens sei der glänzendste und anmuthigste Lebemann in Pompeji, so empfand sie in dem treuen Andenken an ihn einen wohlgefälligen Stolz. Selbst das Geschäft, das sie sich auferlegte, seine Blumen zu pflegen, trug dazu bei, ihn in ihrem Gedächtnisse zu erhalten; sie brachte ihn mit Allem, was einen zauberhaften Eindruck auf sie ausübte, in Verbindung, und wenn sie sich geweigert hatte, zu sagen, unter welchem Bilde sie sich Ione vorgestellt habe, so geschah dies vielleicht theilweise deshalb, weil sie alles Glänzende und Sanfte in der Schöpfung bereits an das selbstgeschaffene Bild des Glaukus geknüpft hatte. Hat je einer meiner Leser in einem Alter gelebt, bei dessen Rückerinnerung er jetzt lächelt – einem Alter, in welchem die Phantasie stärker war als die Vernunft, so möge er sagen, ob nicht diese Liebe bei all ihrer wunderlichen und verzweigten Zartheit empfänglicher für Eifersucht war, denn jede andere und spätere Leidenschaft? Nach der Ursache forschte ich hier nicht; aber ich weiß, daß es gewöhnlich der Fall ist.
Als Glaukus nach Pompeji zurückkehrte, war Nydia um ein Jahr älter geworden; dieses Jahr mit seinen Leiden, seiner Einsamkeit, seinen Prüfungen hatte ihren Geist und ihr Herz gewaltig entwickelt, und als der Athener sie bewußtlos an seine Brust zog – der Seele wie den Jahren nach sie noch immer für ein Kind haltend – als er ihre zarte Wange küßte und seinen Arm um ihre zitternde Gestalt schlang, da fühlte Nydia plötzlich und wie durch Offenbarung, daß die Gefühle, die sie lange und unschuldig genährt hatte, Liebe seien. Verurtheilt, von Glaukus aus der Tyrannei befreit zu werden – verurtheilt, unter seinem Dache Schutz zu finden – verurtheilt, zwar nur für so kurze Zeit, dieselbe Luft einzuathmen und im ersten Stadium tausend glücklicher und dankbarer Gefühle eines überströmenden Herzens zu hören, daß er eine Andere liebe – verurtheilt, an diese Andere als Botin und Dienerin abgeordnet zu werden, mit Einemmale jenes gänzliche Nichts zu fühlen, das sie selbst war, und das sie immer bleiben mußte, das aber bis daher ihr junge Geist nicht geahnt hatte – jenes gänzliche Nichts für ihn, der Alles für sie war; – was Wunder, daß in ihrer wilden und leidenschaftlichen Seele alle Elemente unharmonisch erklangen, daß, wenn Liebe über das Ganze herrschte, es nicht diejenige Liebe war, die heiligeren und sanfteren Regungen ihr Entstehen verdankt! Bisweilen fürchtete sie nur, daß Glaukus ihr Geheimnis entdecken möchte, bisweilen aber fühlte sie sich entrüstet, daß er es nicht ahne; war dies doch ein Zeichen der Verachtung – konnte er sich denn auch denken, daß sie eine so große Anmaßung besitze? Ihre Gefühle für Ione ebbten und fluteten in jeder Stunde; jetzt liebte sie die Griechin, weil er sie liebte; jetzt haßte sie dieselbe aus der gleichen Ursache. Es gab Augenblicke, wo sie ihre arglose Gebieterin hätte ermorden können, Augenblicke, wo sie ihr Leben für die hingegeben hätte. Diese wilden und gewaltsamen Wechsel der Leidenschaft waren zu stark, um in die Länge ertragen zu werden. Ihre Gesundheit begann, obgleich sie es nicht fühlte, ihre Wange erblaßte, ihr Schritt wurde schwächer, Thränen traten ihr häufiger in die Augen und brachten ihr nur geringere Erleichterung.
Eines Morgens, als sie sich zu ihrem gewöhnlichen Geschäfte in den Garten des Atheners begab, traf sie Glaukus mit einem Kaufmann aus der Stadt unter den Säulen des Peristyls damit beschäftigt, Juwelen für seine Braut auszulesen. Schon hatte er für Ionen ein Zimmer eingerichtet, und die Juwelen, die er heute kaufte, wurden auch dorthin gebracht. Ach, nie sollten sie die schöne Gestalt Ione's schmücken und noch heutzutage kann man sie unter den ausgegrabenen Schätzen zu Pompeji im Museum zu Neapel sehen.Mehre Armbänder, Ketten und Juwelen wurden in dem Hause gefunden.
»Komm hierher, Nydia; stelle Dein Gefäß nieder und komm hierher. Du mußt diese Kette von mir annehmen; halt, so, jetzt habe ich sie Dir angelegt. Sag einmal, Servilius, steht sie ihr nicht gut?«
»Ausgezeichnet,« antwortete der Juwelier – denn Juweliere waren selbst damals wohlerzogene Leute, die gerne schmeichelten. – »Aber wenn einmal diese Ringe in den Ohren der edlen Ione glänzen, dann beim Bacchus! sollst Du sehen, ob meine Kunst nicht die Schönheit zu erhöhen vermag!«
»Ione,« widerholte Nydia, die bisher durch Lächeln und Erröthen ihren Dank für die Gabe des Glaukus ausgedrückt hatte.
»Ja,« erwiderte der Athener, gleichgültig mit den Edelsteinen spielend, »ich suche da ein Geschenk für Ione, aber hier ist nichts, das ihrer würdig wäre.«
Während er sprach, wurde er durch ein plötzliches Auffahren Nydia's erschreckt; sie riß die Kette heftig von ihrem Hals und warf sie auf den Boden.
»Was soll das? Wie, Nydia, hast Du keine Freude an dem Tand? Bist Du beleidigt?«
»Du behandelst mich immer als eine Sklavin und als ein Kind,« antwortete die Thessalierin, während sich ihre Brust von schlecht unterdrückten Seufzern hob und hastig wandte sie sich nach der entgegengesetzten Seite des Gartens. Glaukus dachte nicht daran, ihr zu folgen oder sie zu beruhigen, er war ja beleidigt. Er fuhr fort, die Juwelen zu untersuchen und Bemerkungen über ihre Façon zu machen, Dies zu tadeln und Jenes zu loben und ließ sich endlich von dem Kaufmann überredeten, Alles zu kaufen; das sicherste Auskunftsmittel für einen Liebhaber und Jedem zu empfehlen, vorausgesetzt jedoch, daß er eine Ione erwerben kann!
Nachdem er den Handel ins Reine gebracht und den Juwelier entlassen hatte, begab er sich auf sein Zimmer, kleidete sich an, bestieg seinen Wagen und fuhr zu Ione. Er dachte nicht mehr an die junge Blinde oder ihre Ungezogenheit; er hatte die eine wie die andere vergessen.
Er verbrachte den Vormittag bei seiner schönen Neapolitanerin, begab sich sodann in die Bäder, speiste, wenn wir die um zwei Uhr stattfindende Cœna der Römer Nachtmahlzeit nennen dürfen, allein und außer dem Hause zu Nacht – denn Pompeji hatte auch damals seine Restaurants – und kehrte hierauf nach Hause zurück, um die Kleider zu wechseln, ehe er wieder in dem Hause Ione's erschien. Mit dem in Träumereien vertieften und abwesenden Auge eines Verliebten schritt er durch das Peristyl, ohne die Gestalt des armen blinden Mädchens zu beachten, das genau an derselben Stelle, wo er es verlassen hatte, saß. Wenn übrigens er sie nicht sah, so erkannte doch ihr Ohr sofort seinen Schritt; hatte sie doch die Minuten bis zu seiner Rückkehr gezählt. Kaum war er in sein Lieblingszimmer getreten, das sich gegen den Peristyl öffnete, und nachdenkend auf sein Ruhebett niedergelassen, als er fühlte, daß etwas schüchtern sein Kleid berührte und als er sich umwandte, sah er Nydia vor sich stehen, und ihm eine Hand voll Blumen emporreichen – eine zarte und zweckmäßige Friedensgabe; – ihre dunklen zu ihm aufgerichteten Augen strömten von Thränen.
»Ich habe Dich beleidigt,« sagte sie schluchzend, »und zwar zum erstenmale. Ich möchte übrigens lieber sterben, als Dich einen Augenblick betrüben – sage, daß Du mir verzeihst. Sieh, ich habe die Kette wieder aufgehoben und sie angelegt; ich will mich nie von ihr trennen, denn sie ist Deine Gabe.«
»Meine theure Nydia,« antwortete Glaukus, hob sie auf und küßte sie auf ihre Stirne, »denke nicht mehr daran. Aber warum, mein Kind, wurdest Du so plötzlich ärgerlich? Ich vermochte die Ursache nicht zu errathen!«
»Frage nicht,« sagte sie stark erröthend, »ich bin ein Geschöpf voll Gebrechen und Mängel; bin ja nur ein Kind, wie Du so oft sagst, und kannst Du von einem Kinde für eine jede Thorheit einen Grund erwarten?«
»Aber bald, hübsches Mädchen, wirst Du kein Kind mehr sein, und wenn Du willst, daß wir Dich als eine Erwachsene behandeln, so mußt Du diese sonderbaren Stürme der Leidenschaft beherrschen lernen. Glaube nicht, daß ich Dich zanke, nein, ich spreche nur zu Deinem eigenen Wohle.«
»Es ist wahr,« erwiderte Nydia, »ich muß mich beherrschen lernen, ich muß mein Herz verbergen, unterdrücken. Das ist die Aufgabe und die Pflicht eines Weibes; seine Tugend, däucht mir, ist Heuchelei.«
»Selbstbeherrschung ist keine Falschheit, meine Nydia, und diese Tugend ist dem Manne so nothwendig wie dem Weibe; sie ist die wahre Senatorentoga, das Merkmal der Würde, welche sie bedeckt.«
»Selbstbeherrschung, Selbstbeherrschung! schön, schön, was Du sagst, ist richtig! Wenn ich Dich anhöre, Glaukus, werden meine wildesten Gedanken ruhig und sanft, und eine köstliche Heiterkeit senkt sich auf mich herab. Berathe und führe mich immer, mein Erretter!«
»Dein liebevolles Herz wird Dein bester Führer sein, Nydia, wenn Du gelernt hast, Dein Herz zu regeln.«
»Ach, das wird nie geschehen,« seufzte Nydia sich die Thränen wegwischend.
»Sage das nicht, nur der erste Versuch ist schwer.«
»Ich habe viele erste Versuche gemacht,« antwortete Nydia in ihrer Unschuld. »Aber Du, mein Lehrer, findest es so leicht, Dich zu beherrschen, kannst Du Deine Liebe für Ione verbergen, oder auch nur unter gewisse Regeln bringen?«
»Liebe, theure Nydia, ach! das ist etwas ganz Anderes,« antwortete der junge Mentor.
»Das dachte ich,« entgegnete Nydia mit wehmütigem Lächeln. »Glaukus, willst Du meine armen Blumen annehmen? Mache mit ihnen, was Du willst – Du kannst sie Ione geben, wenn Du willst,« setzte sie nach kurzem Bedenken hinzu.
»Nein, Nydia,« antwortete Glaukus freundlich, da er in diesen Worten eine gewisse Eifersucht sah, obgleich er es nur für die Eifersucht eines eitlen und empfindlichen Kindes hielt, »ich will Deine schönen Blumen Niemand geben. Da setz' Dich hin und flechte sie in einen Kranz; ich will ihn heute Nacht tragen; es ist nicht der erste, den diese zarten Finger für mich geflochten haben.«
Voll Entzücken setzte sich das arme Mädchen neben Glaukus nieder; aus ihrem Gürtel zog sei einen Knäuel der vielfarbigen Fäden, oder vielmehr schmalen Bändchen, deren man sich beim Flechten von Kränzen bediente, und die sie, da dieses Flechten ihre eigentliche Berufsarbeit war, beständig bei sich trug. Schnell und anmuthig machte sie sich ans Geschäft. Auf ihren jungen Wangen waren die Thränen bereits vertrocknet, ein schwaches, aber glückseliges Lächeln spielte um ihre Lippen; – einem Kinde gleich fühlte sie in der That nur die Freude der gegenwärtigen Stunde. Sie war mit Glaukus wieder ausgesöhnt, er hatte ihr verziehen – sie saß neben ihm – er spielte zärtlich mit ihrem seidenen Haare – sein Athem fächelte ihre Wange – Ione, die grausame Ione war nicht da, Niemand sonst begehrte, Niemand theilte seine Aufmerksamkeit. Ja, sie war glücklich und ihres Kummers nicht mehr eingedenk; es war einer der wenigen Augenblicke in ihrem kurzen und unruhigen Leben, die im Herzen aufzubewahren und ins Gedächtnis zurückzurufen so viele Wonne gewährte. Wie der Schmetterling, von der Wintersonne angelockt, sich eine kurze Weile an dem plötzlichen Lichte wärmt, ehe der Wind erwacht und der Frost, der ihn noch vor Abend tödten wird, herankommt – so ruhte auch sie unter einem Lichtstrahl, der im Vergleich mit dem gewohnten Himmel nicht frostig war und der Instinkt, der sie an dessen Kürze hätte mahnen sollen, flüsterte ihr nur zu, sich seines Lächelns zu freuen.
»Du hast schöne Locken,« begann Glaukus, »sie waren sicherlich einst das Entzücken einer Mutter.«
Nydia seufzte; es schien ihr, daß sie nicht als Sklavin geboren worden sei, aber stets vermied sie, ihrer Herkunft zu erwähnen; denn mochte diese niedrig oder hoch sein, so war jedenfalls gewiß, daß weder ihren Wohlthätern noch sonst Jemand an dieser fernen Küste etwas Näheres über ihre Geburt je bekannt war. Ein Kind des Schmerzens und des Geheimnisses kam und verschwand sie wie ein Vogel, der für einen Augenblick in unser Zimmer fliegt; wir sehen ihn einige Zeit vor unsern Augen flattern, aber wir wissen nicht, wohin er eilt, oder von welchem Himmelsstriche er herkömmt.
Nydia seufzte und sagte nach kurzer Pause, ohne auf die Bemerkung zu antworten: »Aber flechte ich vielleicht zu viele Rosen in Deinen Kranz? Man sagt mir, die Rose sei Deine Lieblingsblume.«
»Und möge sie es immer bleiben, meine Nydia, bei Allen, die eine dichterische Seele haben – sie ist die Blume der Liebe und der Feste; sie ist auch die Blume, die wir dem Stillschweigen und dem Tode weihen; sie blüht im Leben um unsere Stirne, so lange das Leben einen Werth hat, und wird auf unser Grab gestreut, wenn wir nicht mehr sind.«
»Ach, könnte ich doch,« sagte Nydia, »statt dieses vergänglichen Kranzes Deinen Faden aus der Hand der Parzen nehmen und dort die Rosen einflechten!«
»Hübsches Kind! Dein Wunsch ist einer so hermetisch tönenden Stimme würdig, er ist im Geiste des Gesanges ausgesprochen, und was für ein Loos mir auch aufbewahrt sein mag, ich danke Dir.«
»Was für ein Loos! Ist nicht schon bestimmt, daß alles Schöne und Glänzende Dir zufallen soll? Mein Wunsch war unnöthig. Die Parzen werden so zärtlich gegen Dich sein, als ich es wäre.«
»Mein Glück in der Liebe ausgenommen, Nydia, möchte das denn doch nicht der Fall sein! So lange die Jugend währt, kann ich mein Vaterland auf eine kurze Zeit vergessen. Aber welcher Athener kann in seinem reiferen Mannesalter an Athen denken, wie es war, und mit seinem Glücke zufrieden sein, während Athen gefallen ist – gefallen für immer.«
»Und weshalb für immer?«
»Wie die Asche nicht wieder angezündet werden, wie einmal erstorbene Liebe nicht wieder aufleben kann, so ist auch die Freiheit, wenn sie einmal von einem Volke gewichen ist, nie wieder zu erlangen. Aber sprechen wir nicht von Dingen, die für Dich nicht passen.«
»Für mich, – o, Du irrst. Auch ich habe meine Seufzer für Griechenland; meine Wiege schwankte am Fuße des Olympos; die Götter haben den Berg verlassen, aber die Spuren ihres Aufenthaltes kann man noch finden – in den Herzen ihrer Anbeter, in der Schönheit ihres Landes. Man sagt mir, es sei schön, und ich selbst habe seine Luft gefühlt, gegen welche die von Pompeji rauh ist – seine Sonne, gegen welche dieser Himmel frostig erscheint. O sprich mit mir von Griechenland. Ein so armes unwissendes Kind ich auch bin, so kann ich Dich doch verstehen, und mir däucht, hätte ich länger an jenen Küsten gelebt, währe ich ein griechisches Mädchen gewesen, deren glückliche Bestimmung ist, zu lieben und geliebt zu werden, ich selbst hätte können meinen Geliebten zu einem neuen Marathon, einem neuen Platäa bewaffnen. Ja, die Hand, die jetzt Rosen windet, würde Dir den Olivenkranz geflochten haben!«
»Wenn ein solcher Tag käme!« rief Glaukus, auf die Begeisterung der blinden Thessalierin eingehend und sich halb aufrichtend. – »Doch nein, die Sonne ist hinunter und die Nacht befielt uns nur zu vergessen – und heiter zu sein in der Vergessenheit; – flechte nur die Rosen fort!«
Aber der Athener hatte die letzten Worte mit einem wehmütigen Tone erzwungener Heiterkeit gesprochen und versank in düstere Träumereien, aus denen er erst einige Minuten später durch die Stimme Nydia's erweckt wurde, die mit leisem Tone folgendes Lied sang, das sie Glaukus einmal gelehrt hatte:
Wer möchte nach dem Lorbeer geizen,
Den sich die Vorwelt wand?
Wen möcht' ein Kranz am Grabe reizen,
In das der Ruhm verschwand?
Wer möchte die Entschlaf'nen wecken,
Ein Blatt im Todtenhaine schrecken?
Der Lorbeerzweig ist ihnen,
Laßt ihn am Stamme grünen!
Nur dieser Rose vergängliche Blüten
Sind Sklaven sowohl als Freien beschieden!
Wenn Freiheit nicht, noch Hoffnung winket,
Und wenn in den Platon'schen Fluß,
Nicht die Erinnerung versinket,
So ist entschuldigt der Genuß.
So nehmt ein Rosenangebinde,
Wir haben ja die Rosen noch;
Die Vorwelt ließ dem schwachen Kinde
Als Spielzeug seine Blumen doch!
Noch immer ist der Fuß der Helden
Dort auf dem Berg, der Phyle geschmückt,
Tief in den Boden eingedrückt!
Noch immer schlägt im Flammenschmerz
Der Griechenheere jenes Herz,
Das einst des Ruhmes Ströme schwellten!
Vergaß auch selbst Glaukopis unser,
Floh'n alle Götter himmelwärts,
So hallen doch noch hin und wieder
An blauen Strömen unsre Lieder,
Und Luna lauscht nach Philomenen;
Und selbst die alten Bienen stehlen
Sich noch in des Hymetthus Herz!
Gefallen sind wir, nicht verloren,
So lang das Herz sich noch ergötzt,
Die Liebe ward zuerst geboren,
Die Liebe sterbe auch zuletzt.
So windet Rosen denn zum Kranz,
Noch immer bleibt uns das Schöne!
So lange noch die Ströme ziehn,
So lange noch die Wolken glühn,
Noch immer bleibet uns das Schöne!
Denn was uns aus dem Arm der Nacht,
Dem Schooß des Tags entgegen lacht,
Spricht auch von Hellas uns zum Herzen
Und lindert unsrer Seele Schmerzen.
So windet Rosen denn zum Kranz!
Die Rose spricht von früh'ren Tagen
Und läßt den Puls des Vaterlands
Auch in der Fremde Blumen schlagen!