Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Erstes Kapitel.

Betrachtungen über den Eifer der ersten Christen – Zwei Männer fassen einen gefährlichen Entschluß – Wände haben Ohren, namentlich heilige Wände.

Jeder, der die frühere Geschichte des Christentums betrachtet, wird eingestehen, wie nothwendig für seinen Sieg jener Feuereifer war, der, keine Gefahren fürchtend, keinen Vergleich annehmend, seine Kämpen begeisterte und seine Märtyrer aufrecht erhielt. In einer herrschenden Kirche wird der Geist der Unduldsamkeit zum Verräther an der Sache, in einer schwachen und verfolgten Kirche aber ist derselbe Geist ihre kräftigste Stütze. Es war nothwendig, den Glauben anderer Menschen zu verschmähen, zu verachten, zu verabscheuen, um die Versuchungen, die er darbot, zu überwinden – es war nothwendig, streng zu glauben, daß das Evangelium nicht nur der wahre Glaube, sondern auch der einzig wahre, seligmachende Glaube sei, um seine Jünger für die Strenge der Lehre zu stärken und sie zu dem heiligen und gefahrvollen Werk der Bekehrung der polytheistischen Heiden zu ermutigen. Der strenge Sektengeist, der Tugend und Himmelreich auf wenige Auserwählte beschränkte, in andern Göttern Dämonen und in jeder andern Religion die Strafen der Hölle sah, machte es natürlich dem Gläubigen zur strengsten Gewissenssache, Alle zu bekehren, an welche ihn ein Band menschlicher Neigung fesselte, und der auf diese Weise durch das Wohlwollen gegen Menschen gezogene Kreis wurde noch mehr erweitert durch das Verlangen, für den Ruhm Gottes zu wirken. Zur Ehre des christlichen Glaubens geschah es, daß der Christ seine Glaubenssätze muthig dem Skepticismus der Einen, dem Widerstreben der Andern, der weisen Verachtung der Philosophen und dem frommen Entsetzen des Volkes aufdrang, und gerade seine Unduldsamkeit versah ihn selbst mit den besten Werkzeugen zum Erfolg; der verweichlichste Heide aber fing endlich an zu denken, es müsse doch in der That etwas Heiliges in einem seiner bisherigen Erfahrung gänzlich fremden Eifer liegen, der bei keinem Hindernis anhielt, keine Gefahr fürchtete und selbst auf der Folter oder dem Blutgerüst die Streitfrage – weit verschieden von den ruhigen Disputationen spekulativer Philosophen – der Entscheidung eines ewigen Richters anheimgab. Auf diese Weise also bildete derselbe Eifer, der den Christus des Mittelalters zu einem erbarmungslosen Fanatiker machte, den Christen der ersten Zeit zu einem furchtlosen Helden.

Unter diesen feurigen, kühnen und ernsten Naturen nahm Olinth eine der ersten Stellen ein. Kaum war Apäcides durch die Feierlichkeit der Taufe in den Schoß der Kirche aufgenommen, als ihm der Nazarener sofort die Unmöglichkeit vorstellte, das Amt und die Kleidung des Priesterstandes länger beizubehalten. Es war einleuchtend, daß er sich nicht als einen Anbeter des wahren Gottes bekennen und gleichzeitig, wenn auch nur äußerlich, die abgöttischen Altäre des Feindes ehren konnte.

Dies war übrigens noch nicht Alles; das sanguinische und ungestüme Gemüth des Olinth sah in der Gewalt des Apäcides das Mittel, dem getäuschten Volk das Gaukelspiel der Isisorakel kund zu thun. Er glaubte, der Himmel selbst habe dieses Werkzeug seiner Pläne gesandt, um die Menge zu enttäuschen und vielleicht zur Bekehrung einer ganzen Stadt den Weg anzubahnen. Er zauderte daher nicht, den ganzen, neu entzündeten Enthusiasmus des Apäcides in Anspruch zu nehmen, seinen Muth zu steigern und seinen Eifer zu stacheln. Vorhergegangener Verabredung zufolge trafen sie den Abend nach der Taufe des Apäcides in dem schon früher beschriebenen Hain der Cybele zusammen.

»Bei der nächsten feierlichen Befragung des Orakels,« sagte Olinth im Verlaufe seiner feurigen Rede, »tritt ans Gitter vor, verkünde laut dem Volke die Täuschung, in der es lebt – fordere es auf, einzutreten und selbst Zeige des groben, aber künstlichen Täuschungsmechanismus zu sein, den Du mir beschrieben hast. Fürchte Dich nicht, der Herr, der Daniel schützte, wird auch Dich in seinen Schutz nehmen; wir, die Christengemeinde, werden unter der Menge stehen; wir werden die Furchtsamen vorwärts drängen, und in der ersten Hitze der Entrüstung und Beschämung des Volkes will ich selbst den Palmzweig, das Sinnbild des Evangeliums, auf diese Altäre pflanzen, und auf meine Zunge wird der Geist des lebendigen Gottes niedersteigen.«

Erhitzt und aufgeregt, wie er war, fand Apäcides diesen Vorschlag durchaus nicht unerwünscht. Er war erfreut, sobald eine Gelegenheit zu finden, seinen Eifer für diesen neuen Glauben kund zu geben, und zu seinen heiligeren Gefühlen gesellten sich der Zorn über die selbst erlittene Täuschung und das Verlangen, sie zu rächen. Bei diesem sanguinischen und elastischen Überspringen der Hindernisse (eine für alle Unternehmer kühner und gefährlicher Taten unerläßliche Blindheit) erblickten weder Olinth noch der Neubekehrte die vielen Schwierigkeiten, die dem Gelingen ihres Planes entgegenstunden, und die hauptsächlich in dem ehrfurchtsvollen Aberglauben des Volkes selbst lagen, das Angesichts der geheiligten Altäre der großen egyptischen Gottheit aller Wahrscheinlichkeit nach keine Lust hatte, einem Zeugnisse gegen die Macht der Isis Glauben zu schenken, selbst wenn es von einem ihrer Priester kam.

Apäcides willigte in diesen Vorschlag mit einer Bereitwilligkeit ein, die den Olinth entzückte. Sie trennten sich mit der Verabredung, daß Olinth mit den Bedeutenderen unter seinen christlichen Brüdern sich besprechen, ihren Rath einholen und sich ihrer Unterstützung für den ereignisvollen Tag versichern solle. Es traf sich, daß am zweiten Tage nach dieser Unterredung ein Fest der Isis abgehalten werden sollte, und dies bot die erwünschteste Gelegenheit zur Ausführung des Planes. Sie verabredeten, am nächsten Abend noch einmal auf der Stelle zusammenzukommen, um sodann die Art und Weise der am folgenden Tag vorzunehmenden Enthüllung vollends festzulegen.

Der Zufall wollte, daß der letztere Theil dieser Unterredung nahe beim Sacellum oder Kapellchen gehalten wurde, und hinter diesem trat, sobald die Gestalten Olinths und des Priesters aus dem Hain verschwunden waren, eine dunkle und abstoßende Figur hervor.

»Ich bin dir also nicht umsonst nachgeschlichen, mein Herr College,« sagte der Horcher, »du, der Priester der Isis, bist nicht aus bloßer Disputirsucht mit diesem finstern Christen zusammengekommen. Ach, daß ich eure köstliche Verschwörung nicht ganz hören konnte; genug! ich weiß wenigstens, daß ihr die geheiligten Mysterien zu enthüllen gedenket, daß ihr morgen wieder hier zusammentreffet, um das Wie und Wann zu bestimmen. Möge dann Osiris meine Ohren schärfen, damit ich das ganze eurer unerhörten Frechheit erfahre. Wenn ich einmal mehr weiß, so muß ich mich mit Arbaces besprechen. Wir wollen eure Pläne zu nichte machen, gute Freunde, so tief ihr sie auch angelegt glaubt. Für jetzt ist meine Brust eine verschlossene Schatzkammer eures Geheimnisses.«

Mit diesen Worten hüllte sich Kalenus, denn er war es, dicht in seinen Mantel und schritt nachdenkend seiner Wohnung zu.


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