Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Fünftes Kapitel.

Noch etwas von dem Blumenmädchen – Fortschritte der Liebe.

Die Strahlen der Sonne fielen glänzend in jenes schöne Zimmer im Hause des Glaukus, das, wie ich bereits bemerkte, jetzt das »Zimmer der Leda« genannt wird. Die Morgensonne drang durch eine Reihe kleiner, im obern Theile des Zimmers angebrachte Fenster und durch die Thüre, die in den Garten führte, der für die Bewohner der Städte des Südens dasselbe war, was bei uns ein Gewächs- oder Treibhaus ist. Die geringe Ausdehnung dieses Gartens machte ihn zum Spazierengehen nicht geeignet, aber die mannigfaltigen, wohlriechenden Pflanzen, von denen er voll war, verliehen dem bei den Bewohnern eines warmen Klima's so beliebten Nichtsthun eine wollüstige Empfindung. Und gerade jetzt verbreiteten sich die durch ein leichtes Lüftchen vom nahen Meere hergefächelten Düfte über das Zimmer, dessen Wände mit den reichen Farben der glühendsten Blumen wetteiferten. Neben den Hauptstücken, dem Gemälde von Leda und Tyndareus, waren mitten in jedem Wandfelde andere Malereien von großer Schönheit angebracht. Auf dem einen sah man Kupido, wie er auf den Knieen der Venus schaukelt; auf einem zweiten Ariadne, am Ufer schlafend, noch unbekannt mit der Treulosigkeit des Theseus. Wenn aber schon die Sonnenstrahlen lustig auf dem mit Mosaik ausgelegten Fußboden und an den glänzenden Wänden spielten, so drangen doch die Freudenstrahlen noch heiterer zum Herzen des jungen Glaukus.

»Ich habe sie also gesehen!« sagte er, in dem er in diesem kleinen Zimmer auf und ab ging; »ich habe sie gehört, ich habe wieder mit ihr gesprochen, der Musik ihres Gesanges zugelauscht und sie sang von Ruhm und von Griechenland! Ich habe das lang gesuchte Ideal aller meiner Träume entdeckt, und wie der cyprische Bildhauer, habe ich dem Geschöpfe meiner Einbildungskraft Leben eingehaucht.«

Das verliebte Selbstgespräch des Glaukus hätte vielleicht noch länger fortgedauert, hätte nicht in diesem Augenblicke ein Schatten die Schwelle des Zimmers verdunkelt, und ein junges, kaum der Kindheit entwachsenes Mädchen, seine Einsamkeit unterbrochen. Sie trug ganz einfach eine weiße Tunika, die vom Nacken bis auf die Knöchel hinabfiel, in ihrem Arme ein Blumenkörbchen und in der andern Hand ein bronzenes Wassergefäß. Ihre Gesichtszüge waren ausgebildeter, als eigentlich ihr Alter erwarten ließ, übrigens voll Sanftmuth und Zartheit, und ohne gerade an sich schön zu sein, wurden sie es doch durch die Schönheit ihres Ausdruckes. In ihrem Aussehen lag etwas, man möchte sagen Geduldiges, unaussprechlich Mildes; ein Zug von resignirter Trauer, von ruhigem Dulden hatte das Lächeln von ihren Lippen verbannt, nicht aber die Anmuth; eine gewisse Schüchternheit und Vorsicht in ihrem Gange, etwas Unstätes in den Augen ließen das Unglück errathen, unter dem sie seit ihrer Geburt seufzte; sie war blind. Indessen hatten ihre Augensterne keinen sichtbaren Fehler; ihr wehmüthiges und schwaches Licht war klar, wolkenlos und heiter.

»Man hat mir gesagt, Glaukus sei hier,« sprach sie; »darf ich eintreten?«

»Ah! meine Nydia,« antwortete der Grieche, »bist Du es? Ich wußte wohl, daß Du meine Einladung nicht vernachlässigen würdest.«

»Glaukus erwies sich nur gegen sich selbst gerecht,« antwortete Nydia erröthend, »denn er war gegen das arme, blinde Mädchen immer sehr gütig.«

»Wer sollte es denn nicht sein?« sagte Glaukus zärtlich, im Tone eines mitfühlenden Bruders.

Nydia seufzte, schwieg eine Zeitlang still und versetzte alsdann, ohne auf seine Bemerkung zu antworten: »Du bist erst kürzlich zurückgekehrt?«

»Dies ist die sechste Sonne, die in Pompeji auf mich scheint.«

»Und bist Du wohl? – Ach! Ich darf nicht fragen. Kann einer krank sein, der diese Erde sieht, die, wie man mir sagt, so schön ist?«

»Ich befinde mich wohl. – Und Du, Nydia? Aber wie groß Du bist! Im nächsten Jahre wirst Du auf die Antworten denken müssen, die Du Deinen Liebhabern zu geben hast.«

Nydia erröthete wiederholt; diesmal runzelte sie aber auch zugleich die Stirne.

»Ich habe Dir einige Blumen gebracht,« sagte sie, ohne auf seine Bemerkung zu antworten, die sie beleidigt zu haben schien; sie tastete im Zimmer umher, bis sie den Tisch fand, an dem Glaukus stand; stellte ihr Körbchen darauf und sagte: »Die Blumen sind nicht kostbar, aber frisch gepflückt.«

»Flora selbst könnte mir keine lieblicheren darreichen,« sagte Glaukus wohlwollend, »und ich wiederhole mein den Grazien dargebrachtes Gelübde, keinen andern Kranz zu tragen, so lange Deine Hände mir solche, wie diese, winden können.«

»Und wie findest Du die Blumen in Deinem Viridarium?« Kommen sie gut fort?»

»Wundervoll! Herrlich! die Laren selbst müssen sie gepflegt haben.«

»Oh! das freut mich sehr! denn ich bin während Deiner Abwesenheit, so oft ich konnte, hingegangen, um sie zu begießen und zu pflegen.«

»Wie kann ich Dir danken, schöne Nydia?« sagte der Grieche. »Glaukus ließ sich nicht träumen, daß er in Pompeji Jemand zurückgelassen habe, der an seinen Lieblingen so großen Antheil nehme.«

Die Hand des Kindes zitterte und ihr Busen wogte unter der Tunika. Sie wandte sich verlegen um.

»Die Sonne ist heute zu heiß für diese armen Blumen,« sagte sie, »sie werden meine Abwesenheit fühlen, ich war neulich krank, und habe sie schon seit neun Tagen nicht mehr besucht.«

»Krank, Nydia! Aber Deine Wangen sind rosiger, als im vorigen Jahre.«

»Ich bin oft leidend,« sagte das blinde Mädchen mit rührendem Tone, »und je größer ich werde, desto mehr schmerzt es mich, daß ich nicht sehe. Aber jetzt zu den Blumen.«

Bei diesen Worten verbeugte sie sich leicht mit dem Kopfe, ging ins Viridarium und fing an zu begießen.

»Arme Nydia,« dachte Glaukus, indem er sie betrachtete, »Dein Geschick ist hart. Du siehst weder die Sonne noch die Erde, weder den Ocean noch die Sterne – und vor Allem kannst Du Ione nicht schauen.«

Dieser letztere Gedanke rief ihm die Erinnerung an den gestern verlebten Abend zurück, als er durch den Eintritt des Klodius in seinen Träumereien von Neuem unterbrochen wurde. Es war merkwürdig und ein Beweis, wie sehr ein einziger Abend hingereicht hatte, die Liebe des Atheners für Ione zu steigern und zu läutern, daß er, obschon er Klodius das Geheimnis seines ersten Zusammentreffens mit ihr, den Eindruck, den sie damals auf ihn gemacht, mitgetheilt hatte, doch jetzt einen unüberstehlichen Widerwillen fühlte, sogar nur ihres Namens in seiner Gegenwart zu erwähnen. Er hatte Ione unter den ausschweifendsten und zügellosesten jungen Leuten strahlend, rein und makellos wiedergefunden, und gesehen, wie sie selbst die Kühnsten mehr durch ihren Reiz als durch Furcht zu achtungsvollem Benehmen zwang, gesehen, wie sie sogar die innerste Natur der Sinnlichsten und am wenigsten Idealen änderte, und so durch ihren geistigen und reinen Zauber die Fabel der Circe umkehrte und Thiere in Menschen verwandelte. Diejenigen, die ihren Geist nicht fassen konnten, wurden durch den Zauber ihrer Schönheit der Erde entrückt; die kein Herz hatten für die Poesie, hatten wenigstens Ohren für die Melodie ihrer Stimme. Als er sie so ihre ganze Umgebung durch ihre Gegenwart reinigen und erleuchten sah, fühlte Glaukus vielleicht zum erstenmale die Fähigkeit seiner eigenen Natur; er fühlte, wie sehr seine Gesellschaft und sein Treiben der Göttin seiner Träume unwürdig gewesen sei. Ein Vorhang schien von seinen Augen hinweggenommen zu werden, und er erkannte den unermeßlichen Abstand zwischen sich und seinen Genossen, den die betrüglichen Nebel der Vergnügungen bis jetzt verborgen hatten. Durch das Gefühl seines Muthes, mit dem er nach Ionen strebte, wurde er selbst veredelt. Er fühlte, daß es hinfort seine Bestimmung sei, aufwärts zu schauen und sich zu erheben. Den Namen, der seiner glühenden Einbildungskraft als etwas Heiliges und Göttliches ertönte, vermochte er nicht mehr vor unwürdigen und gemeinen Ohren auszusprechen. Sie war nicht mehr jenes schöne, einst gesehene und in leidenschaftlichem Andenken bewahrte Mädchen; jetzt war sie die Gebieterin, die Göttin seines Herzens. Wer hat dieses Gefühl nie erfahren? Wenn du es nie empfunden, so hast du nie geliebt!

Als daher Klodius mit affektirtem Entzücken von Ione's Schönheit redete, empfand Glaukus nur Ärger und Widerwillen, daß ein solcher Mund ihr Lob auszusprechen wagte; er antwortete kalt, so daß der Römer glaubte, seine Leidenschaft sei eher geheilt als gesteigert. Klodius bedauerte dies kaum; denn er wünschte sehr, den Glaukus mit einer noch viel reicheren Erbin zu verheirathen, mit Julia, der Tochter des reichen Diomed, dessen Geld er hiedurch leicht in seine eigene Kasse leiten zu können glaubte. Das Gespräch der Freunde hatte heute den gewöhnlichen Fluß nicht, und sobald Klodius von Glaukus fortgegangen war, schlug dieser den Weg nach Ione's Wohnung ein. Auf der Schwelle seines Hauses begegnete ihm Nydia wieder, die soeben ihr anmuthiges Geschäft beendigt hatte. Sie erkannte seinen Schritt augenblicklich.

»Du gehst frühe aus,« sagte sie.

»Ja; denn der kampanische Himmel ist dem Trägen böse, der ihn vernachlässigt.«

»Ach, daß ich ihn nicht sehen kann!« murmelte die junge Blinde, aber mit so leiser Stimme, daß Glaukus ihre Klage nicht vernahm.

Die Thessalierin blieb eine Zeitlang auf der Schwelle stehen, hierauf suchte sie mit Hülfe eines langen Stabs, dessen sie sich mit großer Geschicklichkeit bediente, zu ihrer Wohnung zurückzugelangen. Sie wandte sich von den belebteren Straßen der Stadt ab und trat in ein von anständigen und sittsamen Leuten nur wenig besuchtes Stadtviertel. Ihre Blindheit ersparte ihr den Anblick der niederen und rohen Zeichen des Lasters. Überdies war es um diese Zeit in den Straßen ruhig und still, und so wurde auch ihr jugendliches Ohr nicht durch die Töne beleidigt, die allzu oft in jenen dunkeln Schlupfwinkeln wiederhallten, inmitten deren sie traurig und geduldig hinwandelte.

Sie klopfte an die Hinterthüre einer Art Schenke; man öffnete und eine rauhe Stimme befahl ihr, über die eingenommenen Sesterzien Rechenschaft abzulegen. Ehe sie zu einer Antwort Zeit hatte, sagte eine andere, etwas minder gemeine Stimme: »Kümmre Dich nicht um diesen kleinen Gewinn, mein Burbo; bei den Festen unseres reichen Freundes wird man der Stimme des Mädchens bald wieder bedürfen, und Du weißt, daß er solche Nachtigallenzungen ziemlich theuer bezahlt.«

»Ach! ich will nicht hoffen – ich glaube nicht –« rief Nydia zitternd; »ich will vom Aufgang bis zum Untergang der Sonne betteln, schickt mich nur nicht dorthin!«

»Und warum denn?« fragte dieselbe Stimme.

»Weil ich – weil ich jung und zart von Geburt bin, und weil die Frauenzimmer, die ich dort treffe, keine anständige Gesellschaft sind für Eine, die – die –«

»Sklavin im Hause Burbo's ist,« fiel die Stimme ironisch und mit rauhem Gelächter ein.

Die Thessalierin stellte die Blume nieder, verbarg ihr Gesicht in ihren Händen und weinte still.

Während dieser Zeit begab sich Glaukus nach der Wohnung der schönen Neapolitanerin. Er traf Ione unter ihren Dienerinnen sitzend, die um sie herum arbeiteten; ihre Harfe stand neben ihr, denn Ione war heute müßiger, vielleicht nachdenklicher als gewöhnlich. Er fand sie beim Morgenlicht und in ihrem einfachen Kleide sogar schöner, als am vorigen Abende, beim Glanze vieler Lampen und im Schmucke der kostbarsten Juwelen, und diese Schönheit wurde seines Erachtens weder durch eine gewisse Blässe, die auf ihrer durchsichtigen Haut lag, noch durch die schnelle Röthe vermindert, die bei seiner Annäherung darüber hinflog. Obgleich er zu schmeicheln gewohnt war, so erstarb doch die Schmeichelei auf seinen Lippen, als er Ione anredete; er fühlte, daß es ihrer unwürdig sei, die Huldigung, die jeder seiner Blicke darbrachte, durch Worte auszudrücken. Sie sprachen von Griechenland; dies war ein Gegenstand, über den Ione lieber sprechen hörte, als selbst sprach und der der Beredsamkeit des Griechen ein unerschöpfliches Feld bot. Er beschrieb ihr die Silberhaine, welche die Ufer des Ilissus noch schmückten, und die ihrer Herrlichkeit schon halb beraubten Tempel, die sogar in ihrem Zerfall noch immer so schön waren. Von der Höhe jener fernen Erinnerung, in welcher alle die rauheren und dunkleren Schatten in Licht verschwammen, blickte er nach der weinenden Stadt Harmodius des Freien und Perikles des Herrlichen zurück. Er hatte die Heimath der Poesie in dem poetischen Alter früherer Jugend besucht, und an die Gedanken des Patriotismus knüpfte sich bei ihm die Erinnerung an des Lebens Frühling und Fülle. Ione horchte ihm nachdenkend und still zu; diese Töne und Beschreibungen galten ihr mehr als alle die Schmeicheleien, mit denen ihre zahlreichen Anbeter sie überhäuften. War es eine Sünde, ihren Landsmann zu lieben? Sie liebte Athen in ihm – die Götter ihres Volkes, das Land ihrer Träume redeten zu ihr durch seinen Mund. Von jetzt an sahen sie sich alle Tage. In der Abendkühle fuhren sie auf das ruhige Meer hinaus. Nachts trafen sie sich in den Säulengängen und Hallen Ione's. Ihre Liebe war schnell entstanden, aber stark; sie füllte alle Quellen ihres Lebens. Herz, Verstand, Sinne und Einbildungskraft – Alles wurde zum Diener und Priester dieser Liebe. Wie wenn man bei zwei mit gegenseitiger Anziehungskraft begabten Gegenständen das Hindernis wegnimmt – so trafen jetzt auch sie auf einmal zusammen, vereinten und wunderten sich einzig, daß sie so lange Zeit von einander getrennt hatten leben können. Ja, ihre Liebe war natürlich: Beide jung, schön und geliebt, von derselben Abkunft und von demselben Geiste; – ihre Vereinigung war in der That die höchste Poesie. Sie beredeten sich, der Himmel lächle auf ihre Neigung. Wie die Verfolgten am Altare Schutz suchen, so erblickten auch sie an dem Altare ihrer Liebe ein Asyl gegen die Leiden der Erde; sie bedeckten ihn mit Blumen, ohne die Schlangen zu ahnen, die darunter verborgen lagen.

Eines Abends, den fünften nach ihrem ersten Zusammentreffen in Pompeji, kehrten Glaukus und Ione mit einer kleinen Gesellschaft auserlesener Freunde von einer Spazierfahrt um die Bucht zurück; ihre Barke glitt leicht über die vom Zwielicht beleuchteten Gewässer hin, dessen klarer Spiegel nur durch die nassen Ruder gekräuselt wurde. Während die übrige Gesellschaft sich einer munteren Unterhaltung hingab, lag Glaukus zu Ione's Füßen, ohne daß er ihr jedoch, wie er so gerne gewünscht, ins Angesicht zu schauen gewagt hätte. Ione unterbrach das Stillschweigen.

»Ach!« sprach sie seufzend, »wie würde einst mein armer Bruder sich dieser Stunde erfreut haben!«

»Dein Bruder!« sagte Glaukus, »ich habe ihn nicht gesehen. Ganz allein mit Dir beschäftigt, dachte ich an nichts Anderes, sonst hätte ich Dich schon gefragt, ob der Jüngling, in dessen Begleitung Du mich vor dem Minervatempel in Neapel verließest, nicht Dein Bruder gewesen sei?«

»Er war es!«

»Ist er hier?«

»Ja!«

»In Pompeji, und nicht beständig bei Dir? Unmöglich!«

»Er hat andere Obliegenheiten,« antwortete Ione traurig; »er ist ein Priester der Isis.«

»So jung und bei dieser Priesterschaft, die in ihren Gesetzen wenigstens so streng ist!« sagte der warme und froh gestimmte Grieche mit einem Tone der Verwunderung und des Mitleidens; »was konnte ihn zu einem solchen Entschlusse veranlassen?«

»Er war immer enthusiastisch und voll Feuer in religiösen Dingen; die Beredsamkeit eines Egypters – unseres Vormundes und Freundes – erregte in seinem Herzen den frommen Wunsch, sein Leben der geheimnisvollsten unserer Gottheiten zu weihen. Vielleicht fand er bei seinem glühenden Eifer gerade in der Strenge dieser sonderbaren Priesterschaft einen eigenthümlichen, mächtigen Reiz.«

»Und bereut er seine Wahl nicht? – Er ist hoffentlich glücklich?«

Ione seufzte tief und verhüllte ihr Gesicht mit dem Schleier.

»Ich wünschte,« sagte sie nach einer Pause, »er hätte nicht so sehr geeilt; vielleicht daß er, wie Alle, deren Erwartungen zu hoch gesteigert sind, zu leicht unbefriedigt gelassen wird.«

»Er ist also in seinem neuen Stande nicht glücklich! ... Und war dieser Egypter selbst ein Priester? Hatte er bei der Vermehrung dieser heiligen Schaar irgend ein Interesse?«

»Nein, sein Hauptinteresse war unser Glück. Er glaubte das meines Bruders zu sichern. Wir sind Waisen.«

»Wie ich,« versetzte Glaukus mit bedeutungsvollem Tone.

Ione senkte die Augen und fuhr fort: »Arbaces suchte uns den Vater zu ersetzen. Du mußt ihn kennen lernen; er ist ein Freund des Talentes.«

»Arbaces! Ja, ich kenne ihn bereits; wir sprechen wenigstens miteinander, wenn wir uns begegnen. Aber wenn Du ihn nicht so sehr liebtest, wünschte ich nicht, ihn näher kennen zu lernen. Mein Herz fühlt sich gerne zu meinen Nebenmenschen hingezogen; aber dieser geheimnisvolle Egypter mit seiner trüben Stimme und seinem frostigen Lächeln scheint mir die Sonne selbst zu verdüstern. Man sollte meinen, er habe, wie der Kretenser Epimenides, vierzig Jahre in einer Höhle zugebracht und sich seitdem nicht wieder mit dem Tageslichte befreunden können.«

»Indessen is er, wie Epimenides, gut, weiße und wohlwollend,« versetzte Ione.

»Wie glücklich ist er, daß Du ihn lobst! Er bedarf keiner andern Tugenden, um mir theuer zu sein.«

»Seine Ruhe, seine Kälte,« sagte Ione, indem sie ausweichend fortfuhr, »sind vielleicht nur die Folge früherer Leiden, wie der Berg da« (und dabei deutete sie nach dem Vesuv), »den wir jetzt dunkel und ruhig in der Ferne schauen, einst Feuer nährte, die jetzt für immer verloschen sind.«

Als Ione diese Worte sprach, blickten beide nach dem Vesuv hin; der übrige Himmel war in zarte und rosige Farben gebadet, über jenem grauen Gipfel, aber der aus Wäldern und Weingärten, die damals bis zur halben Höhe des Berges reichten, emporragte, hing eine schwarze, unglückverkündende Wolke, das einzige düstere Bild in der Landschaft. Eine plötzliche und unerklärliche Schwermuth bemächtigte sich der beiden jungen Wesen, und in jener Sympathie, welche die Liebe sie bereits gelehrt hatte, und die ihnen bei der leisesten Gemüthsbewegung, bei der geringsten Ahnung eines Unglücks sagte, daß sie sich gegenseitig die sicherste Zufluchtsstätte seien, wandten sich ihrer Blicke in demselben Momente von dem Berge ab und begegneten sich voll unaussprechlicher Zärtlichkeit.

Was bedurfte es bei ihnen der Worte, um sich zu sagen, daß sie sich liebten?


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