Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Siebentes Kapitel.

Das Ankleidezimmer einer pompejanischen Schönheit – Wichtige Unterredung zwischen Julia und Nydia.

Die elegante Julia saß in ihrem Gemach, umgeben von ihren Sklavinnen. Wie das anstoßende Cubiculum, war auch dieses Zimmer klein, aber doch bedeutend größer als die gewöhnlichen Schlafzimmer, die im Allgemeinen von so kleinem Umfange waren, daß, wer solche, selbst in den stattlichsten Häusern, nicht gesehen hat, sich kaum einen Begriff von den kleinen Taubenschlägchen machen kann, welche die Pompejaner augenscheinlich zum nächtlichen Aufenthalte für unerläßlich nöthig erachtet haben. Um übrigens die Wahrheit zu sagen, machte das Bett bei den Alten auch keineswegs jenen schweren, ernsten und gewichtigen Theil der häuslichen Mysterien aus, den es bei uns bildet. Das Lager selbst glich eher einem sehr schmalen und kleinen Sopha, leicht genug, um von dem Eigenthümer ohne Beschwerde von einer Stelle zur andern gebracht zu werdenDie Worte: »Nimm dein Bett und wandle,« sind somit, wie Sir William Gell irgendwo bemerkt, nicht etwa bloß bildlich zu verstehen. und ohne Zweifel wurde es von Gemach zu Gemach verlegt, je nach den Launen des Besitzers oder dem Wechsel der Jahreszeit. Denn dieselbe Seite des Hauses, die in einem Monat vollgepfropft war, wurde vielleicht im nächsten sorgfältig vermieden; so empfindlich waren die Bewohner des herrlichsten Klimas der Welt für jene Veränderungen der Sonne und Luft, die unser härterer, an den rauhen Himmel des Nordens gewöhnter Körper kaum bemerken würde. Unter den Italienern jener Zeit fand sich auch eine sonderbare und gezierte Furcht vor zu großem Tageslicht; ihre verdunkelten Zimmer, die uns auf den ersten Anblick als das Ergebnis einer nachlässigen Bauart erscheinen, waren im Gegentheil aus dem sorgfältigen Studium hervorgegangen. In ihren Säulenhallen und Gärten huldigten sie der Sonne, wenn es ihrem üppigen Geschmacke zusagte; in dem Innern ihrer Häuser aber suchten sie die Kühle und den Schatten.

Julia's Gemach befand sich in dieser Jahreszeit im untern Theile des Hauses, unmittelbar unter den Staatszimmern, mit der Aussicht auf den Garten, mit dem es auf gleicher Höhe lag. Nur durch die breite Glasthüre drangen die Strahlen der Morgensonne ein; aber der an ein gewisses Dunkel gewöhnte Blick Julia's unterschied gleichwohl scharf genug, welche Farben ihr am besten anstünden – welche Schattirung des zarten Roths ihrem dunklen Aug dem hellsten Glanz und ihrer Wange die jugendliche Frische verleihen würde.

Auf dem Tisch, vor welchem sie saß, stand ein kleiner kreisförmiger Spiegel von aufs feinste polirtem Stahl, auf welchem in genauer Ordnung die Seifen und Salben, die Wohlgerüche und Schminken, die Juwelen und Kämme, die Bänder und goldenen Nadeln aufgepflanzt waren, welche dem natürlichen Reize der Schönheit die Hülfe der Kunst und die eigensinnigen Lockungen der Mode hinzufügen sollten. Durch die Dämmerung des Zimmers strahlten die Fresken der Wand in dem ganzen Glanze und in all der Lebhaftigkeit und Mannigfaltigkeit der Farben, wie sie der pompejanische Geschmack liebte. Vor dem Ankleidetisch und zu den Füßen Juliens lag ein im Orient gewobener Teppich. In ihrer Nähe standen auf einem andern Tische ein Becken und eine Kanne von Silber, eine ausgelöschte Lampe von vollendeter Arbeit, auf welcher der Künstler einen Amor dargestellt hatte, der im Schatten eines Myrtenbaumes ruht, sowie eine kleine Papyrusrolle, welche die sanftesten Elegien des Tybull enthielt. Vor der nach dem Cubiculum führenden Thüre hing ein mit goldenen Blumen reich bestickter Vorhang. So sah das Ankleidezimmer einer Schönen vor 1800 Jahren aus.

Die schöne Julia lehnte sich nachlässig auf ihren Sitz zurück, während die Ornatrix (Haarkünstlerin) langsam eine Masse von kleinen Locken auf einander häufte, die falschen mit den ächten gewandt durchflocht und den ganzen Bau zu einer Höhe ausführte, die das Haupt eher in den Mittelpunkt, als an den Gipfel der menschlichen Gestalt zu verlegen schien.

Ihre Tunika von dunkler Bernsteinfarbe, die zu ihrem schwarzen Haare und ihrem etwas braunen Teint ausgezeichnet ließ, fiel in weiten Falten auf ihre Füße herab, wie man es bei den Türken noch heutzutage sieht, in die purpurnen und etwas aufwärts gebogenen Pantoffeln selbst eine Menge von Perlen eingestickt waren. Eine alte, durch vieljährige Erfahrung in allen Toilettengeheimnissen bewanderte Sklavin stund neben der Haarkünstlerin, den breiten und reich besetzten Gürtel ihrer Gebieterin über den Arm geworfen und ertheilte von Zeit zu Zeit, vermischt mit wohldurchdachten Schmeicheleien gegen die Dame selbst, Lehren über die Ausführung des gewaltigen Thurmes.

»Stecke diese Nadel mehr rechts – tiefer – dummes Geschöpf! Bemerkst Du denn nicht, wie gleich diese schönen Augbraunen sind? – Man sollte glauben, Du stechtest der Korinna die Haare, deren Gesicht ganz auf einer Seite sitzt. Jetzt steck' die Blumen hinein – wie dumm! – Nicht diese düstere Nelke – Du hast jetzt nicht der bleichen Wange der Chloris die Farben anzupassen – nur die hellsten Blumen eignen sich für die Wange der jungen Julia.«

»Sanfter,« rief die Dame, heftig mit dem kleinen Fuße stampfend, »Du zerrst an meinem Haar, als ob Du Unkraut herausrissest.«

»Dummes Ding,« fuhr die Leiterin der Ceremonie fort, »weißt Du nicht, wie zart Deine Herrin ist? Du richtest jetzt nicht das rauhe Roßhaar der Wittwe Fulvia. Jetzt also das Band – so ist's recht. Schöne Julia, sieh in den Spiegel – sahst Du je etwas so Liebenswürdiges, wie Dich?«

Als nach unzähligen Bemerkungen, Schwierigkeiten und Verzögerungen der verwickelte Thurm endlich aufgeführt war, bestund das nächste Geschäft darin, den Augen den sanften und schmachtenden Ausdruck zu geben, der durch ein dunkles, auf Augenlieder und Brauen aufgetragenes Pulver bewirkt wurde. Ein kleines, in Form eines Halbmondes geschnittenes, und mit Gewandtheit neben die rosigen Lippen gelegtes Pflästerchen zog die Aufmerksamkeit auf ihre Grübchen und die Zähne, deren natürliche blendende Weiße zu erhöhen, bereits jede Kunst angewendet worden war.

Einer andern, bisher müßigen Sklavin wurde jetzt das Geschäft zugewiesen, die Juwelen zu ordnen – nämlich die Ohrringe aus Perlen (zwei in jedes Ohr), die Armbänder von massivem Gold, die Kette aus den Ringen von demselben Metall, an welcher ein in Krystall geschnittener Talisman befestigt war; die anmuthige Schnalle auf die linke Schulter, in welcher man eine ausgesuchte Kamee, die Psyche darstellend, angebracht hatte; den purpurnen, reich mit Goldfäden durchwirkten und durch ein Schlangengewinde geschlossenen Gürtel und endlich die verschiedenen Ringe, für jedes Gelenk der weißen und zarten Finger.

Jetzt war die Toilette nach der neuesten Mode von Rom fertig. Die schöne Julia betrachtete sich selbst mit einem letzten Blick wohlgefälliger Eitelkeit, lehnte sich wieder auf ihren Stuhl zurück und befahl der jüngsten ihrer Sklavinnen in verdrossenem Ton, ihr die verliebten Gedichte Tybulls zu lesen. Während diese Vorlesung noch andauerte, führte eine andere Sklavin Nydia bei der Dame des Hauses ein.

»Salve Julia!« sprach das Blumenmädchen, mit gefalteten Armen und blieb einige Schritte von der Tochter des Diomed entfernt stehen. »Ich habe Deinem Befehle gehorcht.«

»Da hast Du wohlgetan, Blumenmädchen,« antwortete die Dame, »tritt näher, Du kannst Dir einen Sitz nehmen.«

Eine der Sklavinnen stellte einen Stuhl neben Julia.

Einige Augenblicke schaute Julia die Thessalierin stillschweigend und beinahe verlegen an. Dann winkte sie ihren Dienerinnen sich zu entfernen und die Thüre zu schließen. Als sie nun mit Nydia allein war, wandte sie, gänzlich vergessend, daß diese ihr Gesicht nicht sehen könne, sich mechanisch von ihr ab und sprach: »Du dienst der Neapolitanerin Ione?«

»Ich bin gegenwärtig bei ihr,« antwortete Nydia.

»Ist sie so schön, wie man sagt?«

»Ich weiß nicht,« entgegnete Nydia, »wie kann ich darüber urtheilen?«

»Ach, ich hätte daran denken sollen – aber wenn nicht Augen, so hast Du doch Ohren. Rühmen Dir Deine Mitsklavinnen ihre Schönheit? Wenn Dienerinnen mit einander plaudern, vergessen sie sogar, ihrer Herrin zu schmeicheln.«

»Sie sagen mir, sie sei schön.«

»Hm, sagen sie, sie sei groß?«

»Ja.«

»Nun, das wär' ich auch – dunkle Haare?«

»So habe ich gehört.«

»Das hab' ich auch. Und besucht sie Glaukus oft?«

»Täglich,« entgegnete Nydia mit halb unterdrücktem Seufzer.

»Im Ernste, täglich! findet er sie schön?«

»Ich glaube wohl, da sie bald ihre Hochzeit feiern werden.«

»Ihre Hochzeit!« rief Julia, selbst durch die falschen Rosen auf ihren Wangen hindurch erblassend, und von ihrem Sitze auffahrend; Nydia bemerkte aber natürlich die Aufregung nicht, die sie hervorgebracht hatte. Julia schwieg lange Zeit; aber ihre wogende Brust und die blitzenden Augen hätten jedem Sehenden die Wunde verrathen, die ihrer Eitelkeit geschlagen worden war.

»Man sagt mir, Du seiest eine Thessalierin,« begann sie endlich, das Stillschweigen brechend.

»Gewiß!«

»Thessalien ist das Land der Magie und der Hexen – der Talismane und der Liebestränke,« sprach Julia.

»Es war von jeher berühmt, wegen seiner Zauberer,« entgegnete Nydia furchtsam.

»Kennst Du also, blinde Thessalierin, irgend einen Liebeszauber?«

»Ich,« erwiderte das Blumenmädchen erröthend, »ich, wie sollte ich? Nein, gewiß nicht.«

»Um so schlimmer für Dich; ich hätte Dir, wärest Du klüger gewesen, Gold genug gegeben, um Deine Freiheit zu kaufen.«

»Aber was,« warf Nydia ein, »kann die schöne und reiche Julia veranlassen, eine solche Frage an ihre Dienerin zu richten? Hat sie nicht Geld und Jugend und Liebenswürdigkeit? Sind das nicht Liebeszauber genug, um die Magie entbehrlich zu machen?«

»Für Jedermann, eine Person in der Welt ausgenommen,« antwortete Julia stolz, »aber mir däucht, Deine Blindheit sei ansteckend und – doch nichts mehr davon –«

»Und diese eine Person?« fragte Nydia hastig.

»Ist nicht Glaukus,« erwiderte Julia, mit der gewöhnlichen Falschheit ihres Geschlechtes. »Glaukus – nein.«

Nydia athmete wieder freier und nach einer kurzen Pause, begann Julia von Neuem: »Das Gespräch von Glaukus und von seiner Neigung zu dieser Neapolitanerin erinnerte mich an den Einfluß der Liebestränke, deren sie vielleicht einen – was weiß, oder was will ich übrigens davon – ihm beigebracht haben mag. Blindes Mädchen, ich liebe – liebe, und – soll Julia leben, um so etwas zu sagen? – werde nicht wieder geliebt! Dies demüthigt – nein, nicht demüthigt, sondern es verwundet meinen Stolz. Ich möchte diesen Undankbaren zu meinen Füßen sehen – nicht um ihn aufzuheben, sondern um ihn wegzustoßen. Als man mir sagte, Du seiest eine Thessalierin, da dachte ich, Dein junger Geist sei vielleicht in den dunklen Geheimnissen Deines Landes erfahren.«

»Ach nein,« murmelte Nydia, »wäre er es doch!«

»Ich danke Dir wenigstens für diesen gütigen Wunsch,« sprach Nydia, ohne zu ahnen, was in der Brust des Blumenmädchens vorging.

»Aber sage mir, Du hörst ja das Geklatsche der Sklaven, die, sich stets zu solchem dunklen Glauben hinneigend, immer bereit sind, in ihren eigenen geringen Liebschaften Zaubereien anzuwenden – hast Du nie von einem morgenländischen Magier in dieser Stadt gehört, der die Kunst, die Dir unbekannt ist, besitzt? Ich habe hier keinen leeren Handwahrsager, keinen Taschenspieler für die Marktplätze, sondern einen gewaltigeren und mächtigen Magier aus Indien oder Egypten im Auge.«

»Aus Egypten, ja,« sagte Nydia schaudernd, »wer in Pompeji hat nicht von Arbaces gehört?«

»Arbaces, ganz richtig!« erwiderte Julia, die Erinnerung festhaltend. »Man sagt, er sei ein Mann, erhaben über all die winzigen und falschen Täuschungen der vorgeblichen Jünger der Wissenschaft – er verstehe, in den Sternen zu lesen und sei vertraut mit den Geheimnissen der alten Macht; warum nicht auch mit den Mysterien der Liebe?«

»Gibt es einen Magier in der Welt, dessen Kunst höher steht, als die der Andern, so ist es dieser furchtbare Mann,« antwortete Nydia, gleichzeitig ihren Talisman betastend.

»Er ist zu reich, um für Geld wahr zu sagen,« fuhr Julia übermüthig fort, »könnte ich ihn nicht besuchen?«

»Es ist ein böses Haus für Jugend und Schönheit,« entgegnete Nydia, »ich habe auch gehört, daß er darniederliege an – –«

»Ein böses Haus,« sagte Julia, die nur den ersten Satz auffaßte. »Wie so?«

»Seine nächtlichen Orgien sind unrein und befleckt – so geht wenigstens das Gerücht!«

»Bei Ceres, Pan und Sybele, Du Du erregst nur meine Neugierde, statt meiner Furcht,« erwiderte die eigensinnige und üppige Pompejanerin. »Ich will ihn besuchen und über seine Liebe befragen. Hat Liebe Zutritt zu diesen Orgien – nun, so ist es um so wahrscheinlicher, daß er auch ihre Geheimnisse kennt.«

Nydia antwortete nicht.

»Noch heute will ich zu ihm gehen,« fuhr Julia fort, »ja, warum nicht in dieser Stunde?«

»Bei Tag und in seinem gegenwärtigen Zustande hast Du zuverlässig weniger zu fürchten,« entgegnete Nydia, in deren Brust schnell der geheime Wunsch aufgestiegen war, zu erfahren, ob der dunkle Egypter in der That, wie sie so oft gehört, die Zaubermittel besitze, Liebe anzuziehen und zu befestigen.

»Und wer sollte es wagen, die reiche Tochter Diomeds zu beleidigen,« sprach Julia stolz. »Ich will hingehen.«

»Darf ich Dich später besuchen, um das Ergebnis zu erfahren?« fragte Nydia besorgt.

»Küß' mich für Deine Theilnahme an Julia's Ehre,« antwortete die Dame; »ja gewiß. Diesen Abend speisen wir außer Haus; komm also morgen um dieselbe Stunde und Du sollst Alles erfahren. Ich habe auch vielleicht etwas für Dich zu thun – doch genug für jetzt. Halt, nimm dieses Armband für den Gedanken, den Du mir eingegeben hast, und sei überzeugt, daß, wenn Du Julien dienst, sie dankbar und freigebig ist.«

»Dein Geschenk kann ich nicht annehmen,« sagte Nydia, das Armband bei Seite legend, »aber, so jung ich auch bin, kann ich unbezahlt mit Denen fühlen, die lieben – und vergebens lieben.«

»Redest Du so?« entgegnete Julia, »Du sprichst wie ein freies Mädchen, und Du sollst noch frei werden. Lebe wohl!«


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