Laurids Bruun
Van Zantens Insel der Verheißung
Laurids Bruun

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Vierundzwanzigstes Kapitel

Der Segen der Einsamkeit

Als Hendrik eines Morgens unter den Bäumen mit seinem Skizzenbuch herumstreifte, stieß er auf einen ausgetretenen Pfad im Gras.

Das ist der Pfad der Wilden, dachte er, und überlegte, ob er umkehren solle, denn er war waffenlos. Die Neugierde aber ließ ihm keine Ruhe; er folgte dem Pfad mit langen, vorsichtigen Schritten und weit aufgerissenen Augen.

Durch hohes Gebüsch gelangte er zu einer runden Lichtung. Auf der gegenüberliegenden Seite erhob sich ein stolzer Hain von steifen Bambusstämmen, die so dicht waren, wie Wasserstrahlen bei Regenwetter.

Er sah, daß von den äußersten Stämmen etliche gefällt waren, und daß der Pfad um den Hain herumführte, bis das Gebüsch von neuem begann. Er folgte dem Weg, bis er einen Abhang erreichte, von dem er Aussicht über einen üppigen, jungen Wald und der leuchtenden Lagune im Hintergrund hatte.

Er ging dem Geräusch eines Wasserfalles nach und kam bis zum Rand eines Abhanges.

Da sah er, wie reines, kühles Quellwasser an dem steilen Kalkfelsen herunterplätscherte.

Hendrik vergaß jede Gefahr, entkleidete sich und nahm ein Bad. Da meinte er eine menschliche Stimme zu hören, schlüpfte schleunigst in seine Bekleidung und schlich am Fuß des Abhanges entlang, bis er zwischen verstreut stehenden jungen Bäumen eine leibhaftige Menschenhütte sah, mit Bambuswänden und Pisangdach, mit Hof und Sonnensegel und Holzblock.

Und vor der Tür hockte im Sonnenschein ein braunes Weib und schälte Bananen.

Tod und Teufel, das ist das Dorf der Wilden, dachte er und versteckte sich vorsichtig hinter einem Busch.

Wie er aber dastand und zu der Behausung hinüberäugte, sah er, daß ein Topf, genau wie seiner, an einem Asthaken baumelte; und war es nicht Pieters Hemd, das dort zum trocknen an einer Schnur hing?

Sein erster Gedanke war, daß der Futtermeister den Wilden zum Opfer gefallen sei, und daß sie sich hinterher seiner Hütte bemächtigt hätten.

Da aber kein anderes Haus weit und breit zu sehen war und kein anderes Wesen außer dem braunen Weib vor der Tür, und alles Frieden und Behaglichkeit atmete, da wurde ihm der Zusammenhang in einer plötzlichen Erleuchtung klar, und er begriff im selben Augenblick die seltsame Veränderung, die mit Pieter Goy vor sich gegangen war.

Hendrik war nicht schüchtern. Er stampfte auf seinen dicken Beinen näher und ließ einen seiner wohlbekannten Naturtriller ertönen, damit Pieter hörte, daß er im Anzug sei und ihn in Empfang nehmen konnte.

Das Weib ließ die Banane fallen und blickte sich in der Luft nach dem merkwürdigen Vogel um.

Da hörte sie Hendriks Schritte und fuhr mit einem Schrei in die Höhe. Sie wollte fliehen; als sie aber sah, daß es ein weißer Mann war, wie ihr Herr, da wagte sie es nicht. Denn es mochte ja ein guter Freund sein, der zu Besuch kam und handeln und plaudern wollte.

Als Hendrik den Hof erreicht hatte, stand sie zitternd gegen die Tür gedrückt; denn dieser weiße Mann war ebenso groß und stark wie ihr Herr und hatte rotes Haar und komische Beulen an der Stirn.

»Sieh, sieh, was für 'n niedliches kleines Mädchen,« sagte Hendrik und kniff aus alter Gewohnheit das eine Auge zu.

Wie war es wohltuend, mal wieder ein Frauenzimmer zu sehen, wenn es auch kaneelbraune Haut hatte.

Er betrachtete ihr krauses Haar, ihre schwarzen Traubenaugen, ihre feste, runde Brust, die vor Angst auf und niederwogte, ihren runden, hervorstehenden Leib, und als sein Blick bis dorthin gekommen war, erkannte er seine gute, alte, Amsterdamer Wolljacke.

Nachdem Hendrik sich satt gelacht hatte, kniff er sie in die Backe und sagte:

»Himmeldonnerwetter, wo hat Pieter Goy dich hergekriegt?«

Eva hatte bereits gelernt, daß, wenn ein weißer Mann sie an einer weichen Stelle berührte, so war es nicht – wie sie zuerst geglaubt hatte – um zu fühlen, ob sie fett genug zum fressen sei, sondern es war nur eine Zeremonie, die nichts Schlimmes zu bedeuten hatte. Im Gegenteil.

Sie fühlte sich beruhigt und zeigte alle ihre Zähne.

Hendrik musterte Hof und Hütte mit großen Augen. Hier war ja alles, was ein Mensch nötig hatte, und noch mehr dazu.

Als er den Vorratsraum gefunden hatte, nahm er sich von dem Proviant, wozu er Lust hatte – er war hungrig nach dem Bad und dem Spaziergang – streckte sich vor der Tür auf die Matte unter dem Sonnensegel und bedeutete Eva, daß sie sich auch setzen solle.

Während er aß, wichen seine starken, blauen Augen keinen Augenblick von ihr. Sie fühlte sich nicht ganz sicher in seiner Nähe, weil er selbst vom Essen genommen hatte; als er ihr aber einen Knochen von dem Vogelgerippe gab, das er in der Suppenschale gefunden hatte, da beruhigte sie sich wieder und erhob sich kurz darauf, um ihm etwas zum trinken zu holen.

Er faßte die Schale mit beiden Händen, goß den Inhalt hinunter, schmatzte mit der Zunge und trocknete sich den Mund. Dann nahm er den Strohhut vom Kopf, wischte sich den Schweiß von der Stirn und setzte sich bequem zurecht, um sie recht gründlich zu betrachten.

Eva wußte noch recht gut, wie es das vorige Mal gegangen war, als der andere weiße Mann seinen Kopf vor ihr entblößt hatte und doch fortlief, als sie ihre Pflicht erfüllen wollte.

Sie war sich keiner Schuld bewußt, hatte ihrem Herrn aber dennoch den Besuch verschwiegen, weil er so ungünstig ausgefallen war.

Als jetzt dieser fette Häuptling mit den seltsamen Beulen an der Stirn, der ihr nicht mal Zeit gelassen hatte, ihm den Willkommensgruß zu reichen, seinen Kopfputz ablegte, da wußte sie wirklich nicht, wie sie sich benehmen sollte. Das Essen hatte er sich ja auch selbst genommen.

Ihr persönlich hatte der kleine, magere Häuptling von neulich, der so freundlich lächelte, besser gefallen. Dieser hier war so dick und erinnerte zu sehr an ihren eigenen Herrn. Andererseits aber rückte er ihr näher und näher und betrachtete sie mit Blicken, die sie kannte.

Wenn sie nur gewußt hätte, was ihre Pflicht sei, denn als gutes, rechtdenkendes Weib wollte sie ja beileibe nichts versäumen; um so weniger, als es auch heut herrlich warm war und sie gut und lange geschlafen hatte, während Pieter auf der Jagd war.

Das beste ist, man fühlt sich vor, dachte sie und richtete ihren schweren, trägen Blick auf seine himmelblauen Augen.

»Oho!« sagte Hendrik. Das Herz wurde ihm warm und er rückte dicht an sie heran.

»Willst du mir wohl meine Wolljacke wiedergeben, du kleine braune Range!« flüsterte er einschmeichelnd und begann an dem Ärmelknoten zu zupfen, der heut vorn saß.

Eva knurrte wie eine Katze. Mit demütig gesenktem Kopf, die dicken Lippen weit über den weißen Zähnen geöffnet, beeilte sie sich, ihm zuvorzukommen, damit der Gast sich nicht selbst zu bemühen brauchte, wie er es mit dem Essen getan hatte.

Behende schob sie die Jacke von den schlanken Beinen; und da dieser Häuptling nicht die geringste Miene machte, seinen Kopf zu bedecken und seines Weges zu laufen, da war sie ihrer Sache gewiß und befreite auch ihn im Handumdrehen von allem, was seine natürliche Bewegungsfreiheit hinderte.

Hendrik Koort gab es nach kurzem Bedenken auf, Pieters Rückkehr abzuwarten.

Er sah dem braunen Weib in die treuen Hundeaugen, entzückt und dankbar über ihre Gastfreiheit, und blickte sich vergeblich nach etwas um, das er ihr als Gegengeschenk geben könne. Da er nichts anderes fand, schnitt er einen Knopf von seiner Hose ab und gab ihn ihr.

Sie war begeistert über das blanke Ding, versuchte es ins Haar zu stecken und nahm es schließlich in den Mund.

Bevor sie sich trennten, versuchte Hendrik ihr klarzumachen, daß er bald wiederkäme.

Das verstand sie sofort.

Dagegen wußte er nicht, ob der starke Blick in ihren schwarzen Traubenaugen eine zustimmende oder abschlägige Antwort bedeutete, als er ihr verständlich zu machen versuchte, daß sie ihren Herren nichts von seinem Besuch zu erzählen brauche. Aber er verließ sich auf den angeborenen Instinkt des Weibes und wanderte seelenruhig von dannen.

Von da ab kam Hendrik hin und wieder bei seinen Morgenspaziergängen in diese Gegend. Er wartete lauschend im Gebüsch, bis alles ruhig war.

Dann ließ er prüfend seine Naturtriller ertönen.

Eva erkannte sie sofort wieder. Wenn sie allein war, kam sie aus der Hütte gesprungen und winkte ihm.

Sie sprachen nicht von Pieter – denn sie konnten sich ja so schwer verständlich machen – im übrigen aber nutzten sie die knappe Zeit gut aus, und Hendrik brachte ihr gewöhnlich irgend etwas mit, was er auf seinem Weg gefunden hatte.

Sie hatte eine kleine Höhle hinter einem losen Kalkstein in der Felswand. Dort versteckte sie ihr privates Eigentum. Und diese Höhle war es, die Hendrik davon überzeugte, daß ihr weiblicher Takt sie vor Indiskretionen bewahrte.

Hendrik erlangte nach und nach dieselbe Seelenstärke bei allem Mißgeschick, dasselbe wunderbare, geistige Gleichgewicht, das den ehemaligen Futtermeister auszeichnete; und er und Pieter wetteiferten bei den sonntäglichen Zusammenkünften, die Segnungen der Sonneninsel und der Einsamkeit zu preisen.

Hendrik malte von morgens bis abends und rückte dem Naturdasein viel näher auf den Leib, als er je geahnt hatte.

Herrliche Dinge malte er aus dem vollen Schoß der nackten, bebenden Natur – ohne Brille und ohne Symbole gesehen.

Er malte nicht mehr im Schlaf, denn er schlief jetzt sanft und ohne Anfechtungen.


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