Laurids Bruun
Van Zantens Insel der Verheißung
Laurids Bruun

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel

Hendrik Koort

Hendrik Koort wanderte singend drauf los, auf seinen kurzen, dicken Beinen, die die schwarzgestreiften Unterhosen bis zum Platzen ausfüllten.

Den großen Manillahut im Nacken, die breite Stirn, von der der Schweiß in Strömen floß, vorgeschoben, als wolle ei sich wie ein Widder durch die Wildnis vorwärtsstoßen, so arbeitete er sich durch das hohe Gras über dem Abhang vorwärts.

Als er das Gehölz erreichte, schwang er seine Axt und haute nach rechts und links um sich.

Die Lianen wanden und krümmten sich unter seinen festen Griffen. Die schlanken Luftwurzeln in der feuchten Erde stöhnten unter seinen Klumpfüßen. Breite, saftiggrüne Blätter klebten sich wie feuchte Hände an sein verschwitztes Gesicht. Er schüttelte sie wiehernd von sich ab, wie ein junger Elefant, der zum erstenmal auf eigene Faust ausgehen darf.

Wie war es herrlich, all den Widerstand zu fühlen. Es war wie ein Zärtlichkeitsaustausch mit der Urnatur, die er anbetete.

In seiner frischen Morgenfreude umschlang er mit beiden Armen eine junge, unschuldige Pflanze, die anders aussah, wie die anderen. Sie bedeckte ihre schlanke Nacktheit mit langen, glatten Jungfernblättern, die noch keinem Menschenblick begegnet waren.

Er kühlte seine heiße Stirn an ihrer grünen Wange, die sie scheu zurückzog, ließ sie dann mit einem liebevollen Blick los und arbeitete sich weiter vorwärts.

Die Lianen verwickelten sich über seinem Kopf zu einem üppigen Wirrwarr unter den Baumkronen. Lange, graziöse Palmenfächer schoben ihre Finger ineinander und blickten verwundert, mit verhaltenem Atem, auf das unsinnige Tier, das sich dort unten vorwärts wälzte.

Der Sonnenschein, der über dem Ganzen brannte, ließ hin und wieder etwas von seinem goldnen Feuer durch die Zweige sickern.

Hendrik blieb stehen und sog mit offenem Mund all das Grün ein, das plötzlich in den Sonnenstrahlen lebendig wurde. Sie tanzten auf den scharfen Blatträndern oder drangen auf die Schattenseite hindurch, so daß diese klar und güldengrün wurde. Sie hüpften in Funken auf den Stengeln und legten sich wie weiße Glut auf alles, was rund war. Sie schimmerten rot durch halbreife Früchte, die sich noch kindesfroh an die Mutterbrust des Stammes schmiegten.

Die Palmenfinger reckten sich im Licht, saugten es mit ihrer Zellenseele ein, bis sie erzitterten, sich zur Seite bogen und dem brennenden Kuß auswichen, der an ihrer Lebenskraft zehrte.

Dann schloß sich das Laub wieder barmherzig über ihnen, das alte, zähe, abgehärtete Laub.

Hendrik stand in dieses Spiel versunken. Er griff zum Skizzenbuch, ließ es aber wieder mit einem Seufzer sinken.

Er vermochte es nicht. Noch nicht. Das alles mußte sich erst sammeln und hinter seinem Auge Frucht ansetzen.

Sehen, fühlen, mit allen Poren des Körpers sinnlich in sich aufnehmen, als sei er ein einziges großes Auge, das durch den Wald wanderte und die Morgendämmerung seiner unberührten Schönheit in sich aufnahm. So sollte es sein.

Er ging und ging, ohne die geringste Müdigkeit in der heißen, feuchten Luft zu spüren.

Bald fesselten ihn die langen, weichen Blattfahnen einer Pisanggruppe, die sich ein- und ausdehnten, wie Kiemen, die sich mit Luft füllen und sie durch ihre bebenden Fibern sieben.

Ihr reines, zartes Grün war von Rot durchleuchtet, klar wie eine Woge, die sich bricht, aber warm und lebendig wie eine sonnenberauschte Weinbeere.

Bald waren es errötende Früchte, die wie ungeheure Trauben an gewundenen Stengeln hingen.

Bald waren es Kokospalmen, die den Raum durchfingerten, um Nahrung für die schweren, starken Lebensfrüchte einzusaugen, die sich noch grün an sie festklammerten.

Oder die Herzblätter der Brotfruchtbäume reckten sich auf der Hochkante von langen, geraden Ästen wie große Schilder in die Höhe.

Das wunderbare Zusammenspiel aller Farben, der Kampf aller Formen um Platz war überall zu finden.

Er war lange gegangen, bis er schließlich hungrig wurde und sich einen Platz am Fuß einer Palme suchte.

Der Wald war weniger dicht, aber höher geworden. Er konnte ein Stück vor sich zwischen die Zweige sehen; und der Boden, der bis jetzt gestiegen war, erschien nun eben und flach.

Er packte seinen Eßvorrat aus, lehnte sich gegen einen Busch und blickte entzückt in den Blätterhimmel hinauf.

Dort oben saßen einige Vögel und schlugen mit den blaugrünen Flügeln; sie blickten neugierig auf ihn herab, während er aß.

Als er sich zur Seite wandte, um noch einen Schiffszwieback zu nehmen, saß etwas Lebendes neben ihm und betrachtete ihn mit glasklaren Augen.

Es war ein langes, schmales Tier, mit einem spitzen Kopf. Hendrik zog seine Beine an sich. Der Blick des Tieres gefiel ihm nicht. Es war keine Schlange. Nein – eine Schlange war es nicht; Daniel hatte versichert, daß es keine auf der Insel gäbe. Aber es war doch ein Geschöpf, das auf der Erde kroch, und einen halben Meter mochte es wohl lang sein, und dann hatte es glasklare Augen, mit einem unangenehm naseweisen Blick. Hendrik versuchte es zu verscheuchen. Aber es blinzelte nur schalkhaft mit den Augen, als ob es sich amüsiere.

Er klatschte in die Hände; da aber wurde der Blick boshaft.

Plötzlich fiel ihm ein, daß das Tier ja noch nie einen Menschen gesehen hatte. Es war natürlich ebenso neugierig wie er selbst.

Diese Erklärung erleichterte ihn. Er begann mit ihm zu verhandeln.

»Sehen Sie wohl, Verehrtester, diese Knüppel sind ein Paar Menschenbeine. Sie sind vielleicht etwas zu dick, aber du bist auch nicht gerade schön, mit deinen widerlichen Zacken, die du auf dem Rücken hast.«

Das Tier blinzelte mit seinen grünen Augen, als ob es ihn verstünde.

»Warum glotzt du mich eigentlich so an? Gönnst du mir mein Essen nicht?«

Er warf ihm zuvorkommend ein Stück Zwieback hin, das Tier aber verdrehte nur die Augen im Kopf, als wollte es sagen: »Um Gottes willen!«

Er ärgerte sich über den Eigensinn des Tieres; nachdem er es aber vergeblich aufgefordert hatte, sich zu entfernen, wurde ihm ganz unheimlich zumute, um so mehr, als es die Zacken bewegte und Miene machte, näherzurücken.

Er packte in aller Eile seinen Proviant zusammen und stand auf, um einen besseren Platz zu suchen. Als er sich aber umblickte, sah er, daß das Tier auf kleinen runden Beinen hinter ihm hergelaufen kam.

Eine Schlange war es nicht, aber doch ein aufdringliches und unzuverlässiges Tier.

Hendrik konnte nichts Kriechendes leiden. Die Begegnung berührte ihn so peinlich, daß er, so gut es ging, zwischen den Büschen davonzulaufen begann.

Als er schließlich atemlos stehen blieb und sich umdrehte, war das Tier verschwunden; sein Herz aber schlug doch stärker, als es sonst zu tun pflegte. Er wollte ungern, daß es neben ihm sitzen und ihn anglotzen sollte, während er schlief.

Der Boden fiel jetzt in sanfter Schrägung ab, und das Unterholz wurde spärlicher. Schließlich verschwand es ganz und machte Palmen und Laubbäumen Platz, die er nicht kannte. Ihre Aste standen schräg in die Höhe und kreuzten sich auf eine seltsam ungeschickte Weise.

Schlanke Palmen reckten ihre geringelten und schuppigen Stämme in anmutigen Bogen in die Höhe. Lianen liefen auf und nieder, ein und aus wie Strickleitern und Klettertaue.

Er probierte, ob sie tragen konnten. Einige rissen, andere aber waren zäh und alt und glichen gedrehtem Bambusrohr. Die hielten famos. Er konnte sich mit den Händen daran hinaufziehen.

Da bekam er einen ausgezeichneten Einfall. Man mußte sich des Auswegs bedienen, den die Natur selbst bot. Er wollte wie ein zweiter Robinson in einem der hohen Bäume mit den gekreuzten Ästen schlafen. Dort konnte das Reptil ihn nicht erreichen.

Er suchte sich einen alten, hohen Baum aus, der von gedörrten Lianen wie ein Türpfosten von Spinngeweben behängt war. An seinem Fuß lag ein umgestürzter, halb verfaulter Baumstamm, von langblättrigen Kräutern bewachsen, die einen süßlichen Geruch von Vanille ausströmten.

Er stieg auf den Stamm und kletterte an den Lianen in die Höhe, bis er zu den untersten dicken Zweigen kam, die weiß von Vogelschmutz waren.

Hier oben, wo vom Himmel Licht hereindrang, fand er eine Ecke, die von der Kreuzung zweier dickarmiger Äste gebildet wurde und von Lianenschnüren und Schlingpflanzen, mit kleinen grüngelben Blättern, die so dicht wie Efeu wuchsen, umwickelt war.

Er schwang sich auf den Stamm, setzte sich in die Kreuzung der Äste, zog die Lianen von der anderen Seite herauf, durchhaute sie mit seiner Axt, flocht sie ein und aus zwischen den sich kreuzenden Ästen, bis sie ein dichtes Flechtwerk bildeten. Dann befestigte er die Lianen am Stamm, so daß das Ganze wie ein langgestreckter Korb wurde, aus dem man nicht herausfallen konnte.

Das war eine ausgezeichnete Koje, die er sich da verfertigt hatte. Über seinem Kopf hatte er noch ein Stockwerk von Zweigen. Die wollte er morgen mit Pisangblättern decken, so daß er ein Dach über sich hatte, wenn es regnete.

Nur der Weg hinauf war etwas beschwerlich. Aber dafür gab es auch Abhilfe. Nichts leichter als sich aus den Lianen, die ihn in die Höhe getragen hatten, eine Strickleiter zu machen.

Er mußte sich eilen. Die Sonne stand schon tief. Er suchte sich die zähesten Schnüre aus, die er finden konnte; sie ließen sich fast nicht durchhauen; er schnürte sie kreuz und quer durch die Lianen, die er als Klettertau benutzt hatte.

Es war in der Eile ausgeführte Arbeit; die Stufen waren gebrechlich; sie rutschten, wenn er hineintrat; aber das konnte er ein andermal besser machen.

Stolz über seine Arbeit kletterte er nach unten, um seinen Rucksack zu holen, stieg wieder nach oben, breitete seine wollene Decke über die Lianenmatratze, schob den Rucksack unter seinen Kopf, band ihn fest, rollte sich in die Decke ein, dachte, daß das Tier mit den glasklaren Augen und den widerlichen Zacken ihn hier oben nicht erreichen konnte, und schlief todmüde ein.


 << zurück weiter >>